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BLICKWECHSEL 2017

Journal für deutsche Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Schwerpunkthema: »Mehr als Luther. Reformation im östlichen Europa«

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36 WERKE <strong>BLICKWECHSEL</strong><br />

»WIR SIND JUDEN AUS BRESLAU«<br />

Ein Kinofilm porträtiert Überlebende des Holocaust und zeigt eine Begegnung der Generationen<br />

2015/16 entstand der Dokumentarfilm Wir sind Juden aus<br />

Breslau. Er zeigt ein Generationenporträt jüdischer Zeitzeugen<br />

aus Breslau/Wrocław im heutigen Polen, die 1933 Kinder<br />

und Jugendliche waren. Die Stadt war im 19. Jahrhundert<br />

eines der bedeutendsten jüdischen Zentren. Bis 1944<br />

lebte hier die drittgrößte jüdische Gemeinde Deutschlands<br />

– meist deutsche, häufig assimilierte, aber auch polnische,<br />

oft aus Ostpolen stammende Juden.<br />

Die Berliner Regisseure Karin Kaper und Dirk Szuszies<br />

sprachen mit vierzehn gebürtigen Breslauern, die hochbetagt<br />

in aller Welt verstreut leben: mit Fritz Stern (✝), Walter<br />

Laqueur, Gerda Bikales, David Toren, Abraham Ascher, Esther<br />

Adler und Guenter Lewy in den USA, mit Eli Heyman, Mordechai<br />

Rotenberg, Max und Pinchas Rosenberg in Israel, Renate<br />

Lasker-Harpprecht in Frankreich, Anita Lasker-Wallfisch in<br />

England und Wolfgang Nossen in Deutschland. Diese Zeitzeugen<br />

haben im Film das Wort, sprechen über ihre Kinderund<br />

Jugendzeit in Breslau und ihre Erfahrungen in der Zeit<br />

des aufkommenden Nationalsozialismus und Antisemitismus:<br />

über Verfolgung, Erniedrigung, Emigration, Zwangsarbeit,<br />

Flucht, Deportation, Konzentrationslager, über ihr Überleben<br />

trotz allem. Und über den Neuanfang anderswo in der Welt.<br />

Im Oktober 2015 kamen vier Zeitzeugen nach Breslau, um<br />

ihre Erfahrungen einer Gruppe deutscher und polnischer<br />

Jugendlicher weiterzugeben. Sie lasen für sie aus ihren Erinnerungen,<br />

beantworteten mit großer Geduld und Offenheit<br />

all ihre Fragen. Sie besuchten mit ihnen auch Orte in<br />

der Stadt, die eine besondere Rolle in ihrem Leben gespielt<br />

haben: das Gefängnis, in dem Anita Lasker-Wallfisch ein<br />

Jahr lang in Haft war, den Friedhof, auf dem Wolfgang Nossen<br />

Zwangsarbeit leisten musste, die jüdische Schule, die<br />

alle zuletzt besuchten. Abraham Ascher zeigte den Platz auf<br />

dem Balkon des Hotels Monopol, an dem Hitler 1936 zu einer<br />

Menschenmenge gesprochen hatte: Nun stand er hier! Der<br />

jüdische Junge von damals lebt, Hitler war besiegt worden.<br />

Der Workshop in Zusammenarbeit mit der Bente Kahan Stiftung<br />

Breslau vermittelte den Jugendlichen vielfältige Fakten<br />

zur Geschichte des Nationalsozialismus und der Juden<br />

am Beispiel Breslaus, ließ aber auch Empathie spürbar werden.<br />

Die Jugendlichen erlebten, wie berührt die Zeitzeugen<br />

auch heute noch von ihren Erlebnissen sind. Sie berichteten<br />

begeistert von den Gesprächen mit diesen vier Menschen:<br />

Sie würden diese Begegnungen nie mehr vergessen und<br />

hätten gelernt, dass ihre Generation das Wissen über die<br />

Verbrechen weitertragen müsse.<br />

Im öffentlichen Bewusstsein gibt es weder in Deutschland<br />

noch in Polen ein Gedenken an die Juden Breslaus, schon<br />

gar nicht im Sinne eines persönlichen Zeugnisses der letzten<br />

Zeitzeugen. Der Film versucht daher, die Erinnerung an<br />

die Breslauer Juden der Vorkriegszeit festzuhalten. Er beruht<br />

auf der 2015 publizierten Dissertation Jüdische Lebenswelten<br />

in Breslau und in Wrocław 1933–1949. Überlebensstrategien,<br />

Selbstbehauptung und Verfolgungserfahrungen von Katharina<br />

Friedla, die den Film beratend begleitete.<br />

Maria Luft<br />

Maria Luft ist Mitarbeiterin des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte<br />

der Deutschen im östlichen Europa in Oldenburg ( S. 56/57). Sie betreute<br />

Wir sind Juden aus Breslau als Projektkoordinatorin.<br />

➀ Esther Adler entzündet die Sabbatkerzen beim Workshop 2015.<br />

© Maria Luft<br />

➁ Die Regisseure Karin Kaper und Dirk Szuszies flogen mit dem<br />

Helikopter über New York, um Filmaufnahmen zu machen.<br />

© Karin Kaper Film<br />

➂ Anita Lasker-Wallfisch mit Teilnehmern des Workshops im<br />

Innenhof des Gefängnisses, © Karin Kaper Film<br />

➃ Deutsche und polnische Jugendliche beim Workshop im<br />

Oktober 2015 in der Synagoge »Zum Weißen Storch« in Breslau,<br />

© Maria Luft<br />

➄ Fritz Stern in seiner New Yorker Wohnung im Mai 2015. Der weltweit<br />

angesehene Historiker ist am 18. Mai 2016 in New York verstorben.<br />

Seine Bibliothek hat er der Universität Breslau vererbt.<br />

© Karin Kaper Film<br />

➅ Max Rosenberg mit Familie im Innenhof der Synagoge »Zum<br />

Weißen Storch« in Breslau. © Maria Luft<br />

Der Dokumentarfilm Wir sind<br />

Juden aus Breslau (D 2016, 108 Min.,<br />

deutsch/polnisch/englisch) wurde<br />

unter anderem von Kulturstaatsministerin<br />

Monika Grütters gefördert.<br />

Im Rahmen des Programms<br />

der Europäischen Kulturhauptstadt<br />

Breslau/Wrocław 2016 hatte<br />

er am 6. November 2016 in Breslau<br />

Premiere. Seit dem Kinostart<br />

am 17. November 2016 ist der dreisprachige<br />

Film weltweit zu sehen,<br />

auch auf Festivals.<br />

http://judenausbreslaufilm.de

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