CHALKY SOIL & the UNEXPECTED BUGS – Drawings
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Chalky Soil & <strong>the</strong> Unexpected Bugs<br />
<strong>Drawings</strong>
For<br />
Snoopy and Tokyo
Vasilis Papageorgiou<br />
26, 27
Gritli Faulhaber<br />
24, 31, 36, 37, 46, 49, 54, 56<br />
Felix Amerbacher<br />
18, 22, 32
Sveta Mordovskaya<br />
15, 30, 33<br />
Maria Kremeti<br />
19, 20, 29, 42, 47
Benedikt Bock<br />
23, 28, 35, 41, 45, 48, 59<br />
Samuel Koch<br />
21, 25, 43
Carolin Gießner<br />
17, 38, 55<br />
Elena Malzew<br />
39, 40, 57, 58
Dimitris Ameladiotis<br />
16, 51, 52, 53<br />
15
16 17
18 19
20 21
22 23
24 25
26 27
28 29
30 31
32 33
34 35
36 37
38 39<br />
WESTERN<br />
<strong>–</strong> und hier spreche ich nicht nur von den klassischen<br />
Western John Fords oder europäischen Italo-Western<br />
Sergio Leones, sondern auch von späteren Interpretationen<br />
dieses Filmgenres durch Regisseure wie Roland<br />
Klick, Clint Eastwood oder Quentin Tarantino <strong>–</strong> spielen<br />
stets an verlassenen Orten, an der Peripherie, an der<br />
Grenze zu einer neuen Welt. Ihr Territorium liegt am<br />
Rande und außerhalb dessen, was sich als zentrale<br />
Orte von „Zivilisation“ manifestiert hat, ähnlich wie<br />
Vrasna mit seinen prärie-ähnlichen Landschaften<br />
und halb-verlassenen, halb-nicht fertig gebauten Häusern.<br />
Die „frontier“, also die Grenze, ist dabei eines der<br />
zentralen Motive im Western. Sie markiert nicht nur den<br />
Übergang aus der alten Welt, aus einer Zivilisation in<br />
die andere, sondern jenes Gelände, auf dem alles, was<br />
die Handlung des Westerns ausmacht, voranschreitet.<br />
Sie manifestiert sich in Szenen, wie jenen Momenten,<br />
in denen John Wayne die Tür des letzten Saloons<br />
hinter sich lässt und in den Sonnenuntergang reitet. Beim<br />
Grenz-Topos des Westerns geht es aber um mehr als<br />
eine bloße Trennung, vielmehr um einen Übergang. Das<br />
Territorium des Westerns ist immer auch eine Schwelle,<br />
ein Gebiet, das zwischen neuer und alter Weltordnung,<br />
besiedeltem und unbesiedeltem Raum, dem „Fremden“<br />
und dem „Eigenen“ sowie zwischen Natur und Kultur<br />
oszilliert. Genau in diesem Kampf im Grenzgebiet<br />
findet die Bewährung der Western-Protagonisten statt,
an den Schauplätzen, die häufig das Leben und Landschaften<br />
an den äußeren Rändern der Zivilisation<br />
zeigen, in den Plots, die ihre Spannung aus dem gefährlichen<br />
Vordringen, Überleben oder Bedroht-Sein auf<br />
umkämpftem Territorium beziehen und in den Figuren,<br />
zu denen heroische männliche Cowboys und Sheriffs<br />
und moralisch niedere Zivilisationsfeinde gehören. Das<br />
Sujet der Schwelle ist somit ein Ort der Dynamik, ein<br />
Motor der Selbstspiegelung und kultureller Entwicklung.<br />
Aus „An der Schwelle“ von Elena Malzew, S. 57 <strong>–</strong> 58<br />
40 41
42 43
44 45
46 47
48 49
<strong>CHALKY</strong> <strong>SOIL</strong> &<br />
THE <strong>UNEXPECTED</strong> <strong>BUGS</strong><br />
<strong>Drawings</strong><br />
THIS PUBLICATION<br />
contains <strong>the</strong> documentation of <strong>the</strong> art<br />
accommodation „Chalky Soil & <strong>the</strong><br />
Unexpected Bugs“ in Vrasna, Greece. (Sept.<br />
<strong>–</strong> Nov. 2016) To create a joint document<br />
every participant was asked to hand in some<br />
memories, experiences and notes as drawings.<br />
DRAWINGS BY<br />
Maria Kremeti, Felix Amerbacher, Gritli<br />
Faulhaber, Vasilis Papageorgiou, Benedikt<br />
Bock, Sveta Mordovskaya, Dimitris<br />
Ameladiotis, Elena Malzew, Samuel Koch,<br />
Carolin Gießner.<br />
THANKS TO<br />
Dimitris for all <strong>the</strong> laughs and your singing<br />
at <strong>the</strong> fireplace, Felix for <strong>the</strong> pleasure to<br />
adventure you, Maria for sharing love at all<br />
times, Vasilis for some proper Kafeneion<br />
nights, Sveta for being just you, Samuel for<br />
celebrating <strong>the</strong> fire making so much, Carolin<br />
for spotting material, Elena for beeing so<br />
patient with us and some neccessary critic,<br />
Family Bock, Family Kouvaklis and<br />
especially Thanassis for his truck, The Cafe<br />
Neon, Snoopy and Tokyo. Thanks Edgar and<br />
Taiyo for helping making shit happen.<br />
PUBLICATION<br />
Edition: 50, Typeface: Post Mediaeval,<br />
Printed in Greece<br />
PUBLISHED BY<br />
Tel. Verlag & Bock Books<br />
2017<br />
50<br />
51
52 53
54 55
AN DER SCHWELLE<br />
von Elena Malzew<br />
Die Idee für die Art Accomodation Chalky Soil and<br />
<strong>the</strong> Unexpected Bugs kreist um das Fundament einer<br />
ehemaligen Konzerthalle (Bouzoukia), das drei Monate<br />
lang von eingeladenen KünstlerInnen bespielt wurde.<br />
Gelegen circa einen Kilometer unterhalb des kleinen<br />
griechischen Bergdorfes Vrasna, 70 km westlich von<br />
Thessaloniki mitten in einer griechischen Landschaft<br />
mit einem weiten Blick auf Olivenbäume, Bergpanorama<br />
und viel Leerstand, bietet das Fundament ein<br />
rund 25 x 25 m großes und an manchen Stellen mit<br />
Fliesen bedecktes Beton-Rechteck an.<br />
Das war das Einzige, was ich über das Projekt im<br />
Vorfeld wusste, als mich Benedikt Bock und Anne<br />
Gritli Faulhaber, die die Art Accomodation initiiert<br />
haben, nach Vrasna einluden, um beim Projekt<br />
mitzuwirken. Mein erster Gedanke angesichts von<br />
Topologie und Verortung: Dieses Gelände wirkt durch<br />
und durch wie eine Anspielung auf das Territorium<br />
des Westerns <strong>–</strong> ohne dass Landschaft oder ProjektmacherInnen<br />
dies so gemeint haben mögen. Als die<br />
einzige Nicht-Künstlerin hatte ich gewissermaßen<br />
eine Carte Blanche, wenn es um das Format meines<br />
Projektbeitrags ging und so habe ich mich entschieden,<br />
eine Western-Filmreihe zu zeigen.<br />
Western <strong>–</strong> und hier spreche ich nicht nur von den klassischen<br />
Western John Fords oder europäischen<br />
Italo-Western Sergio Leones, sondern auch von späteren<br />
Interpretationen dieses Filmgenres durch Regisseure<br />
wie Roland Klick, Clint Eastwood oder Quentin<br />
Tarantino <strong>–</strong> spielen stets an verlassenen Orten, an der<br />
Peripherie, an der Grenze zu einer neuen Welt. Ihr<br />
Territorium liegt am Rande und außerhalb dessen, was<br />
sich als zentrale Orte von “Zivilisation” manifestiert<br />
hat, ähnlich wie Vrasna mit ihren prärie-ähnlichen<br />
Landschaften und halb-verlassenen, halb-nicht fertig<br />
gebauten Häusern. Die “frontier”, also die Grenze,<br />
ist dabei eines der zentralen Motive im Western. Sie<br />
markiert nicht nur den Übergang aus der alten Welt,<br />
aus einer Zivilisation in die andere, sondern jenes<br />
Gelände, auf dem alles, was die Handlung des Westerns<br />
ausmacht, voranschreitet. Sie manifestiert sich in<br />
Szenen, wie jenen Momenten, in denen John Wayne<br />
die Tür des letzten Saloons hinter sich lässt und in den<br />
Sonnenuntergang reitet. Beim Grenz-Topos des Westerns<br />
geht es aber um mehr als eine bloße Trennung,<br />
vielmehr um einen Übergang. Das Territorium des<br />
Westerns ist immer auch eine Schwelle, ein Gebiet,<br />
das zwischen neuer und alter Weltordnung, besiedeltem<br />
und unbesiedeltem Raum, dem “Fremden” und<br />
dem “Eigenen” sowie zwischen Natur und Kultur<br />
oszilliert. Genau in einem Kampf im Grenzgebiet<br />
findet die Bewährung der Western-Protagonisten statt,<br />
an den Schauplätzen, die häufig das Leben und<br />
Landschaften an den äußeren Rändern der Zivilisation<br />
zeigen, in den Plots, die ihre Spannung aus dem<br />
gefährlichen Vordringen, Überleben oder Bedroht-Sein<br />
auf umkämpftem Territorium beziehen und in den<br />
Figuren, zu denen heroische männliche Cowboys und<br />
Sheriffs und moralisch niedere Zivilisationsfeinde<br />
gehören. Das Sujet der Schwelle ist somit ein Ort der<br />
Dynamik, ein Motor der Selbstspiegelung und<br />
kultureller Entwicklung.<br />
Auch Vrasna liegt an der Schwelle und ist ein<br />
dynamischer Ort des Übergangs. Das Motiv des<br />
Übergangs, des Heraus- und Hineingehens aus einer<br />
symbolischen Welt in eine andere, des Überquerens<br />
und Kreuzens prägte das Projekt vom ersten Moment<br />
an. Das Fundament der ehemaligen Dorfdisco, auf<br />
dem die eingeladenen KünstlerInnen von September<br />
bis November 2016 gearbeitete haben, stellt rein<br />
formalistisch einen separaten Raum dar, dessen Grenzen<br />
klar markiert und abgesteckt sind. Alleine um<br />
das Fundament betreten, das sich rund einen halben<br />
Meter über dem Boden befindet, muss man eine<br />
imaginäre Stufe hinaufsteigen.<br />
Der tägliche Arbeitsbeginn war zunächst mit<br />
dem Überschreiten der formalen Fundaments-Grenze<br />
verbunden sowie nicht zuletzt mit dem Überwinden<br />
der inneren Schwelle, die oftmals jeder künstlerischen<br />
und geistigen Tätigkeit immanent ist. Jede/r der am<br />
Projekt beteiligten KünstlerInnen hatte zwar eine absolute<br />
Freiheit in Bezug auf ihre/seine Arbeitsweise,<br />
die sie oder er auf dem Fundament realisieren wollte<br />
<strong>–</strong> die Müllhalde nebenan und der lokale Baumarkt<br />
galten als Inspirationsquelle, was die Materialauswahl<br />
betraf <strong>–</strong> dennoch haderten die Projektbeteiligten oft<br />
mit der Art und Weise „auf Knopfdruck“ arbeiten zu<br />
müssen, zumal man ja auch nur innerhalb einer begrenzten<br />
Zeit, terminiert durch den bereits gebuchten<br />
Rückflug, agieren konnte. Auch die Entscheidung,<br />
eigenständig oder in einer Gruppe innerhalb eines<br />
begrenztes Raumes zu arbeiten, beeinflusste nicht<br />
nur die künstlerische Produktion selbst, sondern das<br />
ganze Nachdenken darüber, wie ein Ort und die<br />
Umgebung ausschlaggebend für das Entstehen der Arbeiten<br />
sein kann. Ein offenes Territorium, dessen<br />
Grenzen schwellenartig mit der Landschaft zusammenflossen,<br />
lag also tagtäglich aufs Neue vor den<br />
KünstlerInnen bereit.<br />
Obwohl sich das Fundament in einem öffentlichen<br />
Raum befindet, stellte es dennoch eine kleine<br />
Enklave dar, deren Grenzen zwar nicht sichtbar<br />
überschritten wurden, die aber unter ständiger Beobachtung<br />
der DorfbewohnerInnen standen. Dies<br />
merkten wir beispielsweise jedes mal, wenn wir im<br />
Dorf, wo wir alle untergebracht waren, neugierig<br />
darauf angesprochen wurden, was denn jetzt auf dem<br />
56<br />
57
Fundament passieren würde oder als wir in unserer<br />
Abwesenheit leichte Veränderungen bemerkten,<br />
wenn zum Beispiel die von uns auf dem Fundament<br />
vergessenen leeren Cola- und Bierdosen über die<br />
Nacht verschwanden oder die Hühner von einer uns<br />
unbekannten Person gefüttert worden waren. Es<br />
sind also nicht nur die eingeladenen Projektteilnehmer-<br />
Innen, die sich der Grenze und der Schwelle des<br />
Fundaments bewusst waren, sondern auch die „Einheimischen“,<br />
die DorfbewohnerInnen, die trotz<br />
Neugierde das Fundament nicht betreten haben. Die<br />
innere Schwelle beim Besuchen einer Ausstellung<br />
liegt nicht nur vor den Bewohnern eines kleinen Bergdorfes,<br />
sondern darf als allgemein verbreitetes<br />
Phänomen gelten: Schließlich überschreitet jede/r<br />
beim Anschauen einer Ausstellung immer eine<br />
Grenze, indem man sich in eine andere Situation begeben<br />
muss, die nicht die eigene ist. Dabei gibt es<br />
neben den physischen Abgrenzungen semantische<br />
und symbolische Schwellen, für die jeweils andere<br />
Kodierungen und Adressierungen gelten (Erwartungen<br />
vs Realität, Publikum vs KünstlerInnen, öffentlicher<br />
Raum vs Institution etc.).<br />
Schaut man sich die Koordinatenlage der Art<br />
Residency auf einer Landkarte an, lässt sich der Ort<br />
ebenfalls mit dem Begriff der Schwelle zutreffend<br />
erfassen. Vrasna gehört eindeutig zur griechischen<br />
Peripherie und das nicht nur geografisch gesehen,<br />
denn das Dorf ist rund 600 Kilometer von der Hauptstadt<br />
A<strong>the</strong>n entfernt, sondern gleichzeitig auch<br />
weit entfernt vom dortigen Zentrum der Kunstwelt,<br />
das angesichts der diesjährigen Documenta <strong>–</strong><br />
zumindest für einen Moment <strong>–</strong> auch zu einem international<br />
wichtigen Kunstwelt-Zentrum wird und<br />
bereits im Vorfeld eine Vielzahl an Kunst- und KulturproduzentInnen<br />
wie auch alternativen Projekträumen<br />
anzieht. So gesehen befindet sich Vrasna zwar an<br />
der geografischen und symbolischen Peripherie,<br />
gleichzeitig aber auch an einer Schwelle, die immer in<br />
zwei Richtungen weist. Somit verändert sich die<br />
Grenzziehung bei einer Schwelle je nach gewählter<br />
Perspektive; das erlebte auch A<strong>the</strong>n selbst, das 2010<br />
noch tief in der Finanzkrise versank und keinerlei<br />
Anzeichen einer aufstrebenden Kunstwelt-Metropole<br />
aufzeigte.<br />
Das Potential und die Stärke eines an der Schwelle<br />
liegenden Projektes bedeutet also auch ein<br />
Nicht-ganz-Hier, aber auch ein Noch-nicht-ganz-Da,<br />
ein Dazwischen-Sein, wo das Vrasna-Projekt, so<br />
wie der Western auch, als Ort des Übergangs und der<br />
Passage fungiert. Es wird zu einem Raum, in dem<br />
im Gegensatz zu einem symbolischen Zentrum Vieles<br />
möglich sein kann. Die Schwelle erlaubt es, ja verlangt<br />
es geradezu, auf einem neuen Terrain auch neue<br />
Regeln zu schaffen, die jenseits der festgeschriebenen<br />
Richtlinien und Gesetze funktionieren. Ohne sich auf<br />
ein konkretes Thema oder eine Fragestellung zu<br />
beschränken, jenseits der stetigen Produktivitätsparadigmen,<br />
schafft die Schwelle einen Freiraum für<br />
Kunst, die von Widersprüchen gekennzeichnet ist, die<br />
in einem mehrdeutigen Zustand funktioniert und<br />
für das Flüchtige und Zufällige offen ist ohne dabei in<br />
Beliebigkeit abzurutschen.<br />
Für mich bedeutete das: Die spontane Entscheidung<br />
eine Western-Filmreihe nach Griechenland<br />
mitzubringen und Yojimbo (Akira Kurosawa, 1961), For<br />
a Few Dollars More (Sergio Leone, 1965) sowie Deadlock<br />
(Roland Klick,1970) in Vrasna zu zeigen, hat für einen<br />
Abend auf jenem Projekt-Terrain, dass Chalky Soil and<br />
<strong>the</strong> Unexpected Bugs aufgemacht hat, eine doppelte<br />
Schwelle erscheinen lassen.<br />
Elsaesser, Thomas; Hagener, Malte (2008):<br />
Film<strong>the</strong>orie zur Einführung.<br />
Dresden: Junius Verlag.<br />
Turner, Frederick Jackson (1999):<br />
The Significance of <strong>the</strong> Frontier in American History.<br />
New Haven: Yale University Press.<br />
58 59
with<br />
Maria Kremeti<br />
Felix Amerbacher<br />
Gritli Faulhaber<br />
Vasilis Papageorgiou<br />
Benedikt Bock<br />
Sveta Mordovskaya<br />
Dimitris Ameladiotis<br />
Elena Malzew<br />
Samuel Koch<br />
Carolin Gießner<br />
Bock Books & Tel. 60Verlag