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Rettung im Gotthard-Basis-Tunnel

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RETTUNG S<br />

MAGAZIN<br />

14170<br />

Fallbericht<br />

Medizin O Praxis O Fallberichte O Technik O News<br />

Massiver<br />

Blutverlust nach<br />

Halsverletzung<br />

Studiengänge<br />

10 für Retter<br />

Bachelor-Titel neben<br />

dem Job erwerben!<br />

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5 September/<br />

Oktober 2016<br />

Reportage<br />

<strong>Rettung</strong> auf der<br />

<strong>Gotthard</strong>-Baustelle<br />

Notarzt-Mangel<br />

Ist der Telenotarzt<br />

die Lösung?<br />

First Responder<br />

Mit dem Honda<br />

CR-V <strong>im</strong>mer als<br />

Erstes vor Ort<br />

Bundesfreiwilligendienst<br />

Billige Arbeitskräfte<br />

<strong>im</strong> <strong>Rettung</strong>sdienst?


Reportage<br />

<strong>Tunnel</strong>blick<br />

Wie sichert man eine <strong>Tunnel</strong>baustelle,<br />

die sich fast 57 Kilometer quer durch<br />

ein Bergmassiv erstreckt? Und wie<br />

bringt man einen Patienten hier<br />

heraus? Das Schweizer <strong>Rettung</strong>sdienstunternehmen<br />

„Alpinmedic“<br />

hatte sich dieser Aufgabe am<br />

<strong>Gotthard</strong>-<strong>Basis</strong>tunnel gestellt.


<strong>Gotthard</strong>-<strong>Basis</strong>tunnel<br />

Nach rund zehn Jahren Bauzeit ist der<br />

<strong>Tunnel</strong> mittlerweile fertiggestellt, sodass ab<br />

Ende 2016 der fahrplanmäßige Zugverkehr<br />

aufgenommen werden soll.<br />

Seit 2008<br />

betreute die Schweizer Firma Alpinmedic<br />

die Bauarbeiten der Großbaustelle, seit 2011<br />

auch die <strong>Tunnel</strong>rettung.<br />

Foto: Alpinmedic<br />

Foto: ATG<br />

Erst ist ein dumpfes, undeinierbares<br />

Vibrieren zu spüren. Dann hebt<br />

ein lautes, dunkles Grollen an,<br />

bis eine akustische Verständigung nicht<br />

mehr möglich ist. Augenblicke danach<br />

rast ein Zug mit über 200 km/h in etwas<br />

mehr als Armeslänge an einem vorbei.<br />

„Ohne die dicken Scheiben aus Panzerglas<br />

wären wir beide jetzt in den<br />

<strong>Tunnel</strong> gesaugt worden“, erklärt Beat<br />

Mühlethaler, Geschäftsinhaber von<br />

Alpinmedic. Er steht in einer Panzerglaskuppel,<br />

die <strong>im</strong> Seitentunnel des<br />

<strong>Gotthard</strong>-<strong>Basis</strong>tunnels – des längsten<br />

Eisenbahntunnels der Welt – für Besucher<br />

installiert wurde. Der <strong>Tunnel</strong> verbindet<br />

Erstfeld <strong>im</strong> Kanton Uri mit Bodio<br />

<strong>im</strong> Kanton Tessin – 57 Kilometer durch<br />

den Alpenhauptkamm. Nach rund zehn<br />

Jahren Bauzeit ist der <strong>Tunnel</strong> nun fertig<br />

und die ersten Züge fahren.<br />

Seit 2008 betreute die Schweizer Firma<br />

Alpinmedic die Bauarbeiten der<br />

Großbaustelle, seit 2011 auch die <strong>Tunnel</strong>rettung.<br />

In einer ofenen Ausschreibung<br />

bekam das Schweizer Unternehmen<br />

mit Sitz in Altdorf und Arosa den<br />

Zuschlag. Damit war sie für die medizinische<br />

Versorgung bei diesem Projekt<br />

verantwortlich. Jedenfalls für die nördlichen<br />

Zweidrittel des <strong>Tunnel</strong>s, also 40<br />

Kilometer bis zur Multifunktionsstelle<br />

in Faido. Von dort bis zum südlichen<br />

<strong>Tunnel</strong>ausgang übernahm der <strong>Rettung</strong>sdienst<br />

Tre Valli Soccorso aus dem Kanton<br />

Tessin.<br />

Der <strong>Gotthard</strong>-<strong>Basis</strong>tunnel besteht aus<br />

zwei, rund 57 Kilometer langen Einspurröhren.<br />

Alle 325 Meter verbinden<br />

nummerierte Verbindungsstollen – in<br />

E<br />

<strong>Rettung</strong>s-Magazin<br />

September/Oktober 2016 91


Reportage<br />

der Fachsprache Querschläge genannt<br />

– die beiden <strong>Tunnel</strong> miteinander. Alpinmedic<br />

war demnach von Querschlag<br />

1 bis 122 sowie den gesamten nördlichen<br />

Installationsplatz und die Unterkünfte<br />

der Arbeiter in Amsteg zuständig.<br />

Zwei Multifunktionsstellen unterhalb<br />

der Ortschaften Sedrun und Faido bieten<br />

den Zügen die Möglichkeit, bei Notfällen<br />

einen Spurwechsel vorzunehmen.<br />

Ebenso sind dort technische Anlagen,<br />

Mannschafts- und Sanitätsräume eingerichtet<br />

worden.<br />

Hohe Anforderungen<br />

Die Anforderungen an die Mitarbeiter<br />

des Medizinischen Dienstes am<br />

<strong>Gotthard</strong>-<strong>Basis</strong>tunnel waren außergewöhnlich.<br />

Und das nicht nur, weil der<br />

<strong>Rettung</strong>sdienst in der Schweiz <strong>im</strong> Vergleich<br />

zum deutschen System anders<br />

organisiert ist (vgl. eDossier „<strong>Rettung</strong>sdienst<br />

Schweiz“). So mussten deutsche<br />

<strong>Rettung</strong>sfachkräfte, die hier eingesetzt<br />

wurden, die Mindestqualiikation „<strong>Rettung</strong>sassistent“<br />

vorweisen können. Dies<br />

entspricht etwa einem Transportsanitäter<br />

in der Schweiz. Darüber hinaus<br />

waren eine Zusatzqualiikation in Medikamentenkunde<br />

nachzuweisen und<br />

eine regelmäßige Überprüfung durch<br />

den ärztlichen Leiter zu bestehen.<br />

Darüber hinaus waren die allgemeinen<br />

Anforderungen<br />

für alle, die auf dieser<br />

Baustelle eingesetzt<br />

wurden, zu erfüllen.<br />

„Alle, die<br />

auf der Baustelle arbeiteten – also auch<br />

wir –, mussten einen allgemeinen Gesundheitscheck<br />

und eine Hitzetauglichkeitsuntersuchung<br />

bestanden haben“,<br />

erklärt Mühlethaler. „Ebenso forderten<br />

das Staatssekretariat für Wirtschaft, die<br />

SECO, und der Unfallversicherer Suva<br />

eine Eignung zum Schichtdienst und<br />

zur Nachtarbeit.“<br />

Die Arbeitszeiten der <strong>Rettung</strong>sfachkräfte<br />

und der Bauarbeiter liefen nicht<br />

synchron. Während die Arbeiter <strong>im</strong><br />

Vier-Schicht-System à sechs Stunden<br />

tätig waren, stand die medizinische<br />

Crew in zwei Zwölf-Stunden-<br />

Diensten parat.<br />

Die Alpinmedic stellt <strong>im</strong><br />

Kanton Uri eine anerkannte<br />

private <strong>Rettung</strong>s-<br />

Grafik: ATG<br />

Die Idee eines <strong>Tunnel</strong>s unter<br />

dem Alpenhauptkamm ist nicht<br />

neu. Schon seit 1947 existiert<br />

die Projektidee. Dem massiv<br />

gestiegenen Straßenverkehr<br />

geschuldet, wurde 1968 der<br />

<strong>Gotthard</strong>-Straßentunnel gebaut.<br />

Doch erst 1992 erfolgte<br />

die Entscheidung für den<br />

<strong>Gotthard</strong>-<strong>Basis</strong>tunnel. Durch<br />

diesen Eisenbahntunnel wird<br />

die Reisezeit von Zürich nach<br />

Mailand um eine Stunde verkürzt.<br />

Ebenso können bis zu<br />

4.000 Tonnen schwere Güterzüge<br />

ohne Schub- oder<br />

Zusatzlokomotiven die Alpen<br />

überwinden. Damit erhoffen<br />

sich die Schweizer eine deutliche<br />

Entlastung des <strong>Gotthard</strong>-<br />

Straßentunnels. Gesamtverantwortlich<br />

für das Projekt ist die<br />

AlpTransit <strong>Gotthard</strong> AG, eine<br />

hundertprozentige Tochtergesellschaft<br />

der Schweizerischen<br />

Bundesbahn (SBB).<br />

Der <strong>Gotthard</strong>-<strong>Basis</strong>tunnel<br />

verbindet Erstfeld <strong>im</strong> Urner<br />

Talboden mit Bodio bei Biasca<br />

<strong>im</strong> Kanton Tessin. Mit einer<br />

Länge von rund 57 Kilometern<br />

der längste Eisenbahntunnel<br />

der Welt.<br />

Die vier <strong>Tunnel</strong>bohrmaschinen<br />

hatten einen Bohrkopf<br />

mit einem Durchmesser von<br />

fast neun Metern, der mit 58<br />

Rollenmeisseln versehen war<br />

und von zehn Motoren mit<br />

jeweils 350 Kilowatt angetrieben<br />

wurde. Die Geräte waren<br />

inklusive Nachläufer rund 400<br />

Meter lang.<br />

Der Durchschlag in der<br />

Oströhre des <strong>Tunnel</strong>s geschah<br />

am 15. Oktober 2010, der in<br />

der Weströhre am 23. März<br />

2011. Die feierliche Eröffnung<br />

erfolgte am 1. Juni 2016. Der<br />

fahrplanmäßige Betrieb soll <strong>im</strong><br />

Dezember 2016 aufgenommen<br />

werden.<br />

92<br />

<strong>Rettung</strong>s-Magazin<br />

September/Oktober 2016


<strong>Gotthard</strong>-<strong>Basis</strong>tunnel<br />

dienstorganisation dar. Auf der Baustelle<br />

der Alptransit hingegen wurde oiziell<br />

als Betriebssanitätsdienst gearbeitet.<br />

Trotzdem waren die auf der Baustelle<br />

eingesetzten Kräfte bei der Sanitätsnotrufzentrale<br />

(SNZ), dem 144 oder 122<br />

gemeldet und konnten von dort auch<br />

extern disponiert werden.<br />

Spezielle <strong>Rettung</strong>skonzepte, die laufend<br />

dem Betrieb und Ausbau angepasst<br />

wurden, erforderten eine sehr hohe Flexibilität<br />

des Unternehmens. Zum Teil<br />

selbst entwickelte <strong>Rettung</strong>stechniken<br />

und Konzepte wie auch Einsatzmaterial<br />

wurden eigens für den <strong>Gotthard</strong>basistunnel<br />

entworfen, und werden heute<br />

zum Teil auch <strong>im</strong> Ausland eingesetzt.<br />

„Es gab schon den Fall, dass 500 Meter<br />

von uns, aber auf öfentlichem Grund,<br />

ein Unfall passiert ist“, erzählt Mühlethaler.<br />

„Die Leitstelle hat uns gefragt,<br />

ob wir die Erstversorgung übernehmen<br />

können. Das war natürlich keine Frage.“<br />

Die Erstversorgung iel unter Hilfeleistung<br />

und stellte eine kostenlose Amtshil-<br />

E<br />

Foto: Alpinmedic<br />

Der Bohrkopf einer der vier <strong>Tunnel</strong>bohrmaschinen hatte einen<br />

Durchmesser von fast neun Metern.<br />

Versorgung eines Patienten<br />

<strong>im</strong> Sanitätsraum.<br />

Patiententransport mittels Korbtrage<br />

und Bagger.<br />

Foto: ATG<br />

Foto: Alpinmedic<br />

<strong>Rettung</strong>s-Magazin<br />

September/Oktober 2016 93


Reportage<br />

fe dar. Wurde hingegen ein Patient von<br />

der Unfallstelle ins Krankenhaus transportiert,<br />

dann nur auf Anweisung der<br />

SNZ und mit abrechnungsfähiger Auftragsnummer.<br />

Ähnlich verhielt es sich,<br />

wenn ein Arbeiter von der Baustelle ins<br />

Spital gebracht werden musste.<br />

Öffentlicher <strong>Rettung</strong>sdienst<br />

Normalerweise wurde für den Transport<br />

von der Baustelle zum Spital der<br />

öfentliche <strong>Rettung</strong>sdienst bestellt.<br />

Das Kantonsspital besitzt den Leistungsauftrag<br />

für den bodengebundenen<br />

<strong>Rettung</strong>sdienst. Zwei <strong>Rettung</strong>swagen<br />

stehen tagsüber dafür zur Verfügung,<br />

nachts und am Wochenende lediglich<br />

ein Fahrzeug. Waren die Fahrzeuge des<br />

Regelrettungsdienstes nicht verfügbar,<br />

konnte in Ausnahmefälle nach Weisung<br />

der SNZ auch ein <strong>Rettung</strong>sfahrzeug der<br />

Baustelle den Transport übernehmen.<br />

Für diese Fälle hielt die Alpinmedic <strong>im</strong>mer<br />

einen Hintergrunddienst vor, denn<br />

die Arbeiten auf der Baustelle gingen<br />

weiter und mussten abgesichert werden.<br />

Weil der <strong>Rettung</strong>swagen auch außerhalb<br />

der Baustelle unterwegs war beziehungsweise<br />

von der Sanitätsnotrufzentrale<br />

disponiert werden konnte, unterschied<br />

sich die medizinische Ausrüstung<br />

nicht vom Regel-RTW.<br />

„Darum befanden sich der Kinder-<br />

Notfallkofer ebenso auf dem Fahrzeug<br />

wie das Entbindungsset“, erklärt Mühlethaler.<br />

„Notfälle, die auf der Baustelle<br />

nicht vorkamen.“<br />

Die Ausrüstung des <strong>Rettung</strong>swagens<br />

war nur durch mehr Sauerstof, Kühlpacks<br />

und Flüssigkeiten den zu erwartenden<br />

Notfallszenarien <strong>im</strong> <strong>Tunnel</strong> angepasst<br />

worden. Bei dringlichen Transporten<br />

von erheblicher medizinischer<br />

Relevanz – sprich: bei lebensbedrohlichen<br />

Erkrankungen oder Verletzungen<br />

– stand auch ein <strong>Rettung</strong>shubschrauber<br />

der Rega zur Verfügung. Fahrten mit sitzenden<br />

Patienten zur ambulanten Versorgung<br />

führten die Alpinmedic-Retter<br />

in Eigenregie durch.<br />

„Pauschal sind tagsüber rund 100 Arbeiter<br />

auf der Baustelle tätig gewesen,<br />

nachts zirka 30“, erläutert Eschholz.<br />

„Es befanden sich aber eine Menge extern<br />

beauftragte Unternehmer und Subunternehmer<br />

auf der Baustelle, sodass<br />

sich die Zahl der Menschen von Tag zu<br />

Tag änderte.“<br />

Manche waren nur zwei Stunden <strong>im</strong><br />

<strong>Tunnel</strong>, manche den gesamten Tag.<br />

Hinzu kamen Besichtigungen hochrangiger<br />

Politiker und anderer Celebrities,<br />

die meist einige Tage vorher angemeldet<br />

wurden. In diesem Fall wurde ein zusätzlicher<br />

Sanitäter bereitgestellt.<br />

Spezielle Sicherheitsausrüstung<br />

Jede Person, die sich <strong>im</strong> <strong>Tunnel</strong> aufhielt,<br />

musste angemeldet sein und die<br />

vorgeschriebene Sicherheitsausrüstung<br />

tragen. Dazu gehörten neben festem<br />

Schuhwerk ein Overall, ein Schutzhelm<br />

Fotos (2): Helmut Stark<br />

Um Patienten von der<br />

Unfallstelle ins Krankenhaus<br />

zu transportieren,<br />

musste eine Anweisung<br />

der SNZ vorliegen.<br />

Mit den fest installierten<br />

Telefonen an der <strong>Tunnel</strong>wand<br />

wurde der Anrufer nach<br />

dem Abheben sofort mit<br />

der Baustellenleitstelle<br />

verbunden.<br />

<strong>Rettung</strong>skräfte mit einem Sanitäts-<br />

Ausrüstungs- und Unfallset.<br />

Neben Verletzungen, wie sie auf Baustellen<br />

typischerweise vorkommen, mussten die Sanitäter<br />

auch Herzinfarkte und Lungenembolien versorgen.<br />

Fotos (2): Alpinmedic<br />

94<br />

<strong>Rettung</strong>s-Magazin<br />

September/Oktober 2016


<strong>Gotthard</strong>-<strong>Basis</strong>tunnel<br />

und ein zugeordneter Personenpatch.<br />

Dieser Transponder sendete in regelmäßigen<br />

Abständen ein Signal, das in<br />

der technischen Leitstelle der Transtec<br />

<strong>Gotthard</strong> registriert wurde. Dadurch<br />

konnte die Position jeder Person in dem<br />

150 Kilometer langen Höhlensystem<br />

aufgezeichnet werden. Es konnte also<br />

niemand verlorengehen. Insbesondere,<br />

weil kein Arbeiter allein unterwegs sein<br />

durfte, sondern <strong>im</strong>mer nur mindestens<br />

in Zweierteams.<br />

Wer <strong>im</strong> <strong>Tunnel</strong> arbeitete, führte einen<br />

Sauerstof-Selbstretter sowie eine Handund<br />

Helmleuchte mit sich. Anders als in<br />

den meisten Höhlen lag die Temperatur<br />

<strong>im</strong> <strong>Tunnel</strong> bei trockenen 28 bis 30 Grad<br />

Celsius. Die Temperatur <strong>im</strong> <strong>Tunnel</strong> wurde<br />

durch eine Lüftungsanlage geregelt.<br />

Die Kommunikation zwischen „drinnen“<br />

und „draußen“ stellten der 60-cm-<br />

Betriebsfunk und fest installierte Telefone<br />

sicher. Jeder Bautrupp führte ein<br />

Funkgerät mit sich. Die ohne Elektrik<br />

funktionierenden Heulruftelefone kamen<br />

nur ganz zu Anfang während der<br />

Rohbauphase zum Einsatz.<br />

Mit den fest installierten Telefonen<br />

an der <strong>Tunnel</strong>wand wurde der Anrufer<br />

nach dem Abheben sofort mit der Baustellenleitstelle<br />

verbunden. Auch hier<br />

galt es, bei einem Notruf den genauen<br />

Standort bzw. den Notfallort anzugeben.<br />

Neben der aktuellen Kilometrierung <strong>im</strong><br />

<strong>Tunnel</strong>, dem Standort der Telefone und<br />

dem Transpondersignal gab die Nummerierung<br />

der Querschläge einen genauen<br />

Hinweis zur Orientierung.<br />

RTW mit dem Zug befördert<br />

Beispiel: Ein <strong>Tunnel</strong>retter hielt sich<br />

in der Sedruner Multifunktionsstelle in<br />

Höhe der Querschläge 66 bis 68 auf,<br />

sein Kollege am <strong>Tunnel</strong>eingang. Lief<br />

jetzt die Meldung über einen Notfall<br />

<strong>im</strong> Querschlag 76 auf, wusste der Retter<br />

in Sedrun, dass er zehn Querschläge,<br />

also etwa drei Kilometer nach Süden<br />

musste.<br />

„Alle Bauarbeiter sind von uns in Erster<br />

Hilfe ausgebildet worden“, erklärt<br />

Mühlethaler. „Gerade unter den Bergleuten<br />

ist die Kameradenhilfe ein ungeschriebenes<br />

Gesetz und Ehrensache.“<br />

Die Alpinmedic-Retter hatten einen<br />

Einsatzrucksack mit einer <strong>Basis</strong>ausrüstung<br />

zur Erstversorgung dabei. Zusätzlich<br />

standen in den Querschlägen<br />

Sanitätsboxen mit Erste-Hilfe-Material<br />

und an festgelegten Standorten eine so<br />

genannte SAU – das Sanitäts-Ausrüstungs-<br />

und Unfallset – zur Verfügung.<br />

Je nach Ausbaustand des <strong>Tunnel</strong>s war<br />

bei der An- und Abfahrt zum Verletzten<br />

Kreativität gefordert. In der Anfangszeit<br />

konnten die Sanitäter mit ihrem RTW<br />

(Mercedes Sprinter mit Koferaufbau)<br />

problemlos in den <strong>Tunnel</strong> einfahren.<br />

Je weiter der Ausbau voranschritt, desto<br />

schwieriger gestalteten sich aber die<br />

Platzverhältnisse.<br />

„Eine Zeit lang<br />

konnten wir mit<br />

dem RTW zwar <strong>im</strong><br />

betonierten Gleisbett<br />

ohne Gleise<br />

fahren, aber <strong>im</strong> <strong>Tunnel</strong> nicht wenden“,<br />

erläutert Mühlethaler das Problem.<br />

„Dann mussten wir uns entscheiden:<br />

fahren wir vorwärts in den <strong>Tunnel</strong> und<br />

rückwärts wieder heraus oder anders<br />

herum.“ Wenden war nur an den Multifunktionsstellen<br />

möglich.<br />

Durch die langen Strecken des Rückwärtsfahrens<br />

wurde der Motor auf<br />

Grund des fehlenden Fahrtwindes nicht<br />

mehr ausreichend gekühlt. Daher wurde<br />

ein zusätzlicher Kühler notwendig, um<br />

den Motor nicht zu überhitzen.<br />

Zeitweise waren die <strong>Rettung</strong>sfachkräfte<br />

<strong>im</strong> <strong>Tunnel</strong> auch mit dem Fahrrad<br />

unterwegs. Der Sanitäter war aber nie<br />

allein mit seinem Patienten. Die Kollegen<br />

aus dem Arbeitstrupp waren <strong>im</strong>mer<br />

dabei und halfen tatkräftig mit.<br />

Als die Gleise verlegt waren, wurde<br />

der <strong>Rettung</strong>swagen mit einem Niederlurwagen<br />

per Zug <strong>im</strong> <strong>Tunnel</strong> hin und<br />

her manövriert. Die Idee, einen speziellen<br />

Sanitätswagon einzusetzen, wurde<br />

verworfen. Er wäre zu teuer und vor allem<br />

zu unlexibel gewesen.<br />

Am Geld scheiterte auch die Anschafung<br />

eines Zweiwegefahrzeugs mit<br />

Gleisfahrwerk unter dem RTW. Deswegen<br />

wurde je nach Zustand des Patienten<br />

und Dringlichkeit der Niederlurwagen<br />

an einen schon bestehenden Zug<br />

gehängt oder als Sonderzug gefahren.<br />

Und je nach Baufortschritt konnte der<br />

Zug schneller oder langsamer fahren.<br />

„Das Herausbringen aus dem <strong>Tunnel</strong><br />

dauerte dann schon mal 30 bis 45 Minuten“,<br />

sagt Mühlethaler. „Da wird’s<br />

mit der Golden Hour knapp.“<br />

Natürlich mussten die Alpinmedic-<br />

Retter <strong>im</strong>mer die medizinische Notwendigkeit<br />

<strong>im</strong> Auge haben. Denn während<br />

des <strong>Rettung</strong>seinsatzes stand unter Umständen<br />

der gesamte Baubetrieb still bzw.<br />

„Gerade unter den Bergleuten<br />

ist die Kameradenhilfe<br />

ein ungeschriebenes Gesetz<br />

und Ehrensache.“<br />

durch eine <strong>Rettung</strong>saktion wurde das<br />

Bahngleis für eine best<strong>im</strong>mte Zeit belegt.<br />

„Mit der Betreibergesellschaft gab es<br />

aber nie Diskussionen über den Sinn<br />

einer unserer Maßnahmen“, bekräftigt<br />

Mühlethaler. „Sicherheit und die medizinische<br />

Versorgung hatte für alle oberste<br />

Priorität. Das empfanden wir als eine<br />

große Verantwortung.“<br />

Neben den üblichen kleineren bis<br />

größeren Verletzungen,<br />

wie sie<br />

auf einer Baustelle<br />

vorkommen, wie<br />

Hand- oder Fußverletzungen,<br />

mussten<br />

die Sanitäter auch Herzinfarkte und<br />

Lungenembolien versorgen. Die neun<br />

tödlichen Unfälle <strong>im</strong> <strong>Tunnel</strong> geschahen<br />

in den Anfangsjahren der Rohbauzeit.<br />

Nur wenige Unglücksfälle waren auf<br />

die zu erwartenden Gefahren <strong>im</strong> <strong>Tunnel</strong>bau<br />

wie Steinschlag zurückzuführen.<br />

Im weiteren Umkreis der Baustelle gab<br />

es tödliche Verkehrsunfälle und akute<br />

Erkrankungen mit tödlichem Ausgang in<br />

der Unterkunft der Arbeiter. „Wir waren<br />

ja auch für die medizinische Versorgung<br />

der Arbeiter in der Sammelunterkunft zuständig“,<br />

erklärt Mühlethaler.<br />

Anfang Juni 2016 wurde der <strong>Gotthard</strong>-<br />

<strong>Basis</strong>tunnel mit einer internationalen Feier<br />

<strong>im</strong> Süden und Norden eröfnet. Zu dieser<br />

Veranstaltung kamen unter anderem<br />

die deutsche Bundeskanzlerin, der französische<br />

Präsident und der italienische<br />

Ministerpräsident als Staatsgäste. Für die<br />

Retter von Alpinmedic, die ebenso für die<br />

rund 10.000 Besucher der Feier verantwortlich<br />

waren, ein schöner Abschluss.<br />

Unser Autor: Helmut Stark (Jg. 1960),<br />

<strong>Rettung</strong>sassistent, Einsatzleiter <strong>Rettung</strong>sdienst,<br />

Dozent an einer RD-Schule, freier Journalist (Text)<br />

Informationen<br />

Die Firma Alpinmedic ist <strong>im</strong> Internet<br />

unter www.alpinmedic.ch zu finden.<br />

Informationen zum Bau des <strong>Gotthard</strong>-<br />

<strong>Basis</strong>tunnels liefert die Seite<br />

www.alptransit.ch.<br />

eDossier „<strong>Rettung</strong>sdienst<br />

Schweiz“:<br />

als PDF-Datei zum<br />

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<strong>Rettung</strong>s-Magazin<br />

September/Oktober 2016 95

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