Berufsakademie Sachsen | Wissen im Markt 2017
Seit mehr als 25 Jahren erweist sich die Berufsakademie Sachsen als verlässlicher Partner für privatwirtschaftliche Unternehmen, öffentliche Institutionen und Träger der freien Wohlfahrtspflege bei der akademischen Qualifizierung des Fach- und Führungskräftenachwuchses. Der große Erfolg dualer Studiengänge, der sich im stetig hohen Angebot von Studienplätzen bei den Praxispartnern und in einer nahezu 100-prozentigen Vermittlungsquote unserer Absolventen zeigt, beruht auf einer nachhaltigen partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Zweifelsohne besteht hier eine Win-win-Situation für alle am dualen Studium Beteiligten. Wissens- und Technologietransfer ist ein immanenter Bestandteil dualer Studiengänge, wird an der Berufsakademie Sachsen originär gelebt und trägt unmittelbar zur Entwicklung und Optimierung von Unternehmen und Studiengängen bei.
Seit mehr als 25 Jahren erweist sich die Berufsakademie Sachsen als verlässlicher Partner für privatwirtschaftliche Unternehmen, öffentliche Institutionen und Träger der freien Wohlfahrtspflege bei der akademischen Qualifizierung des Fach- und Führungskräftenachwuchses. Der große Erfolg dualer Studiengänge, der sich im stetig hohen Angebot von Studienplätzen bei den Praxispartnern und in einer
nahezu 100-prozentigen Vermittlungsquote unserer Absolventen zeigt, beruht auf einer nachhaltigen partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Zweifelsohne besteht hier eine Win-win-Situation für alle am dualen Studium Beteiligten. Wissens- und Technologietransfer ist ein immanenter Bestandteil dualer Studiengänge, wird an der Berufsakademie Sachsen originär gelebt und trägt unmittelbar zur Entwicklung
und Optimierung von Unternehmen und Studiengängen bei.
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BERUFSAKADEMIE SACHSEN<br />
WISSEN<br />
IM MARKT<br />
<strong>2017</strong><br />
studieren-<strong>im</strong>-markt.de<br />
1. JAHRGANG | APRIL <strong>2017</strong> | 19,90 €
<strong>Berufsakademie</strong> <strong>Sachsen</strong><br />
- Staatliche Studienakademie Bautzen<br />
- Staatliche Studienakademie Breitenbrunn<br />
- Staatliche Studienakademie Dresden<br />
- Staatliche Studienakademie Glauchau<br />
- Staatliche Studienakademie Leipzig<br />
- Staatliche Studienakademie Plauen<br />
- Staatliche Studienakademie Riesa
3<br />
INHALT<br />
Vorwort » 04<br />
Alles besser? Alles fairer? Empirische Konsequenzen<br />
des neuen Länderfinanzausgleichs ab 2020<br />
Tony Mudrack » 07<br />
Die Sozialpsychologie der öffentlichen Meinung<br />
Falk Tennert » 17<br />
<strong>Wissen</strong>schaftliche Veranstaltungen der<br />
Staatlichen Studienakademien » 26<br />
Statistische Prozessregelung (SPC)<br />
für kleine Losgrößen – Ansätze und Erfahrungen<br />
Andreas Hänsel und Wolfgang Schultz » 35<br />
Untersuchungen zu einer Wasseraufbereitungsanlage<br />
für die Quarantänestation einer Mähnenrobbenanlage<br />
Laura Bryks und Marko Stephan » 41<br />
Call for Papers » 46<br />
Tagespflege (für Senioren) –<br />
ein missverständliches Inklusionsprojekt<br />
Stefanie Sychla und Stefan Müller-Teusler » 49<br />
Beziehungsarbeit und Persönlichkeitsentwicklung<br />
Armin Schachameier » 55<br />
Innovatives Lernen mit dem Lehr-Lern-Konzept<br />
der hundegestützten Pädagogik an der<br />
<strong>Berufsakademie</strong> <strong>Sachsen</strong><br />
Alexandra Kroczewski-Gubsch und Dr. Katja Soyez » 65<br />
Die Standorte der BA <strong>im</strong> Überblick » 72<br />
Partner, Sponsoren, Impressum » 74
4 VORWORT<br />
Liebe Leserinnen,<br />
liebe Leser,<br />
„Studieren <strong>im</strong> <strong>Markt</strong>“ schafft „<strong>Wissen</strong> <strong>im</strong> <strong>Markt</strong>“<br />
Seit mehr als 25 Jahren erweist sich die <strong>Berufsakademie</strong> <strong>Sachsen</strong> als verlässlicher Partner für privatwirtschaftliche<br />
Unternehmen, öffentliche Institutionen und Träger der freien Wohlfahrtspflege bei der<br />
akademischen Qualifizierung des Fach- und Führungskräftenachwuchses. Der große Erfolg dualer<br />
Studiengänge, der sich <strong>im</strong> stetig hohen Angebot von Studienplätzen bei den Praxispartnern und in einer<br />
nahezu 100-prozentigen Vermittlungsquote unserer Absolventen zeigt, beruht auf einer nachhaltigen<br />
partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Zweifelsohne besteht hier eine Win-win-Situation für alle am<br />
dualen Studium Beteiligten. <strong>Wissen</strong>s- und Technologietransfer ist ein <strong>im</strong>manenter Bestandteil dualer<br />
Studiengänge, wird an der <strong>Berufsakademie</strong> <strong>Sachsen</strong> originär gelebt und trägt unmittelbar zur Entwicklung<br />
und Opt<strong>im</strong>ierung von Unternehmen und Studiengängen bei.<br />
Mit der Zeitschrift „<strong>Wissen</strong> <strong>im</strong> <strong>Markt</strong>“ möchten wir einen weiteren Beitrag zum <strong>Wissen</strong>stransfer für unsere<br />
und mit unseren Partnern leisten. Ganz bewusst werden in der Zeitschrift aktuelle wissenschaftliche<br />
Themen aus den verschiedenen an der <strong>Berufsakademie</strong> <strong>Sachsen</strong> vertretenen Bereichen angesprochen.<br />
Es wird damit der Facettenreichtum unseres Leistungsspektrums aus der Wirtschaft, der Technik<br />
sowie dem Sozial- und Gesundheitswesen aufgezeigt. Gleichzeitig soll zum wissenschaftlichen und<br />
anwendungsbezogenen interdisziplinären Gedankenaustausch angeregt werden. Wir freuen uns auf die<br />
Resonanz und auf Ihre Anregungen. Sehr gern kommen die Autoren mit Ihnen ins Gespräch.<br />
Das Herausgebergremium
VORWORT<br />
5<br />
Prof. Dr. habil.<br />
Kerry-U. Brauer<br />
Direktorin<br />
Staatliche Studienakademie<br />
Leipzig<br />
Prof. Dr.-Ing. habil.<br />
Andreas Hänsel<br />
Direktor<br />
Staatliche Studienakademie<br />
Dresden<br />
Prof. Dr. phil.<br />
Anton Schlittmaier<br />
Direktor<br />
Staatliche Studienakademie<br />
Breitenbrunn
6<br />
On 14 December 2016 the Federal<br />
Government and the German regions<br />
successfully agreed on a reform of the<br />
German Financial Equalization System<br />
for the year 2020. In principle, the<br />
German Financial Equalization System<br />
is s<strong>im</strong>plified by the el<strong>im</strong>ination of<br />
one compensation level. The regions<br />
are no longer differentiated between<br />
donors and recipients, whereby the<br />
donors transfer their own tax revenues<br />
noticeably to recipients. The Equalization<br />
System between the German federal<br />
states is now determined by the specific<br />
distribution of the share of the value<br />
added tax. The Federal Government<br />
additionally supports the federal<br />
states by increasing the share of value<br />
added tax for the federal states and<br />
municipalities and by increasing specific<br />
federal allocations to the regions. By<br />
designing an own model for the current<br />
and new German Financial Equalization<br />
System, this article proves that the level<br />
of compensation is marginally increased<br />
by the reform. However, this will reduce<br />
the incentives to increase their own<br />
tax revenues for the German federal<br />
states. In addition, the new German<br />
Financial Equalization System increases<br />
the revenues in all federal states at the<br />
expense of the Federal Government. This<br />
article also quantifies the compensation<br />
costs of the financially strong German<br />
regions, which are now being burdened<br />
more strongly by the distribution of the<br />
value added tax due to the el<strong>im</strong>ination of<br />
one compensation level.
7<br />
Dr. Tony Mudrack<br />
Dr. Tony Mudrack studierte Betriebswirtschaftslehre an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt<br />
(Oder). Hier promovierte er <strong>im</strong> volkswirtschaftlichen Themenbereich der öffentlichen Finanzen. Nach<br />
mehrjähriger Tätigkeit als Projektleiter eines Immobilienunternehmens erfolgte der Wechsel an die<br />
Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde als Dozent und akademischer Mitarbeiter. Seit<br />
2015 ist Dr. Mudrack Dozent an der Staatlichen Studienakademie Breitenbrunn und hier seit 2016 Leiter<br />
des Studienganges Industrie.<br />
KONTAKT: Staatliche Studienakademie Breitenbrunn I t.mudrack@ba-breitenbrunn.de<br />
Alles besser? Alles fairer?<br />
Empirische Konsequenzen<br />
des neuen Länderfinanzausgleichs<br />
ab 2020<br />
Tony Mudrack<br />
Bund und Länder einigten sich erfolgreich<br />
am 14.12.2016 auf einen gemeinsamen<br />
Gesetzesentwurf zur Neugestaltung<br />
des Länderfinanzausgleichs ab dem<br />
Jahr 2020. Im Grundsatz wird der<br />
Länderfinanzausgleich durch den<br />
Entfall einer Ausgleichsstufe vereinfacht.<br />
Die Länder werden nicht mehr<br />
zwischen Geber- und Nehmerländern<br />
differenziert, wobei die Geberländer<br />
spürbar eigene Steuereinnahmen<br />
an Nehmerländer transferieren. Der<br />
Finanzausgleich zwischen den Ländern<br />
erfolgt nunmehr über die spezifische<br />
Verteilung des Länderanteils am<br />
Umsatzsteueraufkommen. Der Bund<br />
stützt zudem den Länderfinanzausgleich<br />
zulasten eigener Einnahmen durch die<br />
Erhöhung der Umsatzsteuerbeteiligung<br />
von Ländern und Gemeinden sowie<br />
durch die Erhöhung spezifischer<br />
Bundesergänzungszuweisungen an die<br />
Länder. Durch die Konstruktion eines<br />
eigenen Modells für den bisherigen<br />
sowie den neuen Länderfinanzausgleich<br />
weist dieser Beitrag nach, dass der<br />
Ausgleichsgrad durch die Reform<br />
nochmals marginal zun<strong>im</strong>mt, worunter<br />
die Anreizfreundlichkeit zur Erzielung<br />
ländereigener Mehreinnahmen<br />
leidet. Ferner führt der neue<br />
Länderfinanzausgleich durch die<br />
Zuschüsse des Bundes in allen Ländern<br />
zu entsprechenden Mehreinnahmen.<br />
Der Beitrag quantifiziert zudem die<br />
Ausgleichskosten der finanzstarken<br />
Länder, die durch den Entfall einer<br />
Ausgleichsstufe nun stärker über die<br />
Verteilung des Umsatzsteueranteils<br />
belastet werden.
8<br />
Die politisch initiierten Kontroversen um den<br />
Länderfinanzausgleich waren in den letzten<br />
Jahren stetig präsent. Fakt ist, dass die öffentlichen<br />
Ausgaben der ostdeutschen Bundesländer<br />
<strong>im</strong>mens von den Transfers aus dem Finanzausgleich<br />
abhängig sind. Mit der Reform ab<br />
2020 besteht die Gefahr, dass insbesondere die<br />
ostdeutschen Länder als Verlierer aus der neuen<br />
Ressourcenverteilung hervorgehen. Ob dem<br />
tatsächlich so ist, prüft dieser Beitrag.<br />
1 Einleitung<br />
Das Bundeskabinett beschloss am 14.12.2016 den Gesetzesentwurf<br />
zur Änderung des Grundgesetzes sowie den Gesetzesentwurf<br />
zur Änderung des Maßstäbegesetzes (MaßstG)<br />
und des hieraus abgeleiteten Finanzausgleichsgesetzes<br />
(FAG). Der neue Länderfinanzausgleich löst die bisherigen<br />
Regelungen ab dem Jahr 2020 ab. Laut Prognosen des Bundesministeriums<br />
der Finanzen verfügen die Länder durch<br />
den neuen Länderfinanzausgleich <strong>im</strong> Jahr 2020 über Mehreinnahmen<br />
in Höhe von 9,7 Milliarden Euro, die durch den<br />
Bund bereitgestellt werden (vgl. Bundesministerium der<br />
Finanzen, 2016a). Im Gegenzug erhält der Bund mehr Kompetenzen<br />
von den Ländern. Eine exakte Aufschlüsselung, wie<br />
sich diese Mehreinnahmen zusammensetzen und welche<br />
Länder hieran partizipieren, erfolgt jedoch nicht.<br />
Aufgrund der finanziellen Brisanz dieses Themas und der zurückliegenden<br />
Kontroversen um den Länderfinanzausgleich<br />
untersucht dieser Beitrag die finanziellen Auswirkungen des<br />
neuen Länderfinanzausgleichs. Bisher mangelt es an belastbaren<br />
Modellrechnungen, die Kosten und Zugewinne einzelner<br />
Länder <strong>im</strong> Detail aufzeigen. Dieses Defizit beseitigt dieser<br />
Beitrag, der einen Finanzausgleich auf der Grundlage des<br />
Jahres 2015 sowohl nach bestehenden als auch nach neuen<br />
Regelungen auf Basis eines eigenen komplexen S<strong>im</strong>ulationsmodells<br />
durchführt.<br />
Doch warum ist überhaupt ein Finanzausgleich zwischen<br />
den Ländern notwendig, sollte doch jeder eigenständig für<br />
seine Einnahmen sorgen können? Warum werden ebenfalls<br />
zwischen den Gemeinden eines Bundeslandes die Einnahmen<br />
geglättet? Grundlage hierfür leistet Art. 106 Abs. 2<br />
Nr. 2 GG, der eine Wahrung einheitlicher Lebensverhältnisse<br />
innerhalb der Bundesrepublik Deutschland einfordert.<br />
Dieser Forderung wird mit dem Ausgleich der finanziellen<br />
Ausstattung zwischen den Ländern und deren Gemeinden<br />
nach Art. 107 Abs. 2 GG entsprochen. Daher stellt der Länderfinanzausgleich<br />
für die Nivellierung der Finanzausstattung<br />
zwischen den Ländern einen zentralen Baustein des<br />
Fiskalföderalismus dar. Insbesondere die Länderhaushalte<br />
der ostdeutschen Bundesländer sind aufgrund der geringen<br />
eigenen Finanzkraft enorm von der Verteilungswirkung des<br />
Finanzausgleichs abhängig, da hieraus ein hoher Teil aller<br />
öffentlichen Ausgaben bestritten werden muss. Vor Finanzausgleich<br />
weisen die ostdeutschen Bundesländer lediglich<br />
eine Finanzkraft von circa 70 Prozent des Bundesdurchschnitts<br />
auf, sodass die weiteren notwendigen Einnahmen<br />
durch die Umverteilung zwischen den Ländern aber auch<br />
durch den Bund aufgebracht werden.<br />
Zur Analyse der Umverteilungswirkung des Finanzausgleichs<br />
legt Kapitel 2 die Best<strong>im</strong>mungen des bisherigen Länderfinanzausgleichs<br />
<strong>im</strong> Detail dar, während Kapitel 3 auf die<br />
Änderungen des neuen Länderfinanzausgleichs eingeht. Kapitel<br />
4 als zentraler Inhalt dieses Beitrags führt anhand der<br />
Best<strong>im</strong>mungen beider Finanzausgleichssysteme einen Ausgleich<br />
für das Jahr 2015 durch und zeigt, welche Länder durch<br />
die neuen Regelungen profitieren können. Zudem werden<br />
die Ausgleichskosten für die finanzstarken Länder quantifiziert,<br />
die durch die Abgabe von Finanzmitteln bzw. den Verzicht<br />
auf Einnahmen die finanzschwachen Länder stützen.<br />
Ferner unterliegt die spezifische Rolle des Bundes mit seiner<br />
Einwirkung auf die Ausgleichsvorgänge einer gesonderten<br />
Betrachtung, da er über sogenannte Bundesergänzungszuweisungen<br />
den Finanzausgleich zusätzlich beeinflusst.<br />
2 Regelungen des bisherigen Länderfinanzausgleichs<br />
bis 2019<br />
Der Länderfinanzausgleich stellt ein Instrument des Steuerverbundes<br />
dar, der die Aufteilung der Gemeinschaftssteuern<br />
zwischen den Gebietskörperschaften (vertikaler Steuerverbund),<br />
den Finanzausgleich zwischen den Ländern<br />
(horizontaler Finanzausgleich), den Finanzausgleich zwischen<br />
Bund und Ländern (vertikaler Finanzausgleich) sowie<br />
den Finanzausgleich zwischen den Gemeinden (kommunaler<br />
Finanzausgleich) umfasst. Die Grundlagen für den Steuerverbund<br />
best<strong>im</strong>men sich wiederum aus Art. 106 GG sowie<br />
Art. 107 GG.<br />
Der detaillierte Aufbau des Länderfinanzausgleichs wird insbesondere<br />
durch das MaßstG und das darauf aufbauende<br />
FAG reglementiert. Angesichts des Auslaufens der bisherigen<br />
Ausgleichsregelungen mit dem Jahr 2019 wurde eine Überarbeitung<br />
des Finanzausgleichsgesetzes notwendig. Auf diese<br />
<strong>im</strong> Jahr 2016 beschlossenen Überarbeitungen konzentriert<br />
sich dieser Beitrag. Da sich jedoch die Berechnungsgrundlagen<br />
unmittelbar aus dem vertikalen Steuerverbund ergeben,<br />
erfolgt vor Darlegung des Länderfinanzausgleichs eine kurze<br />
Erläuterung des vertikalen Steuerverbundes.<br />
2.1 Vertikaler Steuerverbund<br />
Der vertikale Steuerverbund regelt die Verteilung der Steuern<br />
zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Hierbei sind<br />
insbesondere die jeweiligen Anteile an den Gemeinschaftssteuern<br />
relevant, die mehreren Ebenen der Gebietskörper-
9<br />
schaften zustehen. Bei diesen Gemeinschaftssteuern handelt<br />
es sich um die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer<br />
sowie die Umsatzsteuer.<br />
Z Einkommensteuer<br />
Die fiskalisch höchste Bedeutung genießt die Einkommensteuer,<br />
die der Fiskus in vier Töpfen verwaltet und an denen<br />
die Gebietskörperschaften in unterschiedlicher Höhe beteiligt<br />
sind:<br />
Lohnsteuer<br />
nicht<br />
veranlagte<br />
Steuer<br />
vom Ertrag<br />
veranlagte<br />
Einkommensteuer<br />
Abgeltungsteuer<br />
Bund 42,5% 42,5% 50% 44%<br />
Länder 42,5% 42,5% 50% 44%<br />
Gemeinden 15% 15% – 12%<br />
Tabelle1: Verteilung der Einkommensteuer auf die drei Gebietskörperschaften<br />
(Quelle: eigene Darstellung)<br />
Z Körperschaftsteuer<br />
An der Körperschaftsteuer sind die Gemeinden nicht beteiligt,<br />
sodass dieses Aufkommen ausschließlich hälftig auf<br />
Bund und Länder verteilt wird.<br />
Z Umsatzsteuer<br />
Die Vorgaben für die Zuteilung des Umsatzsteueraufkommens<br />
sind aufgrund der Vereinbarungen zwischen den drei<br />
Gebietskörperschaften sehr komplex und unterliegen fortwährenden<br />
Anpassungen. Die individuellen Vereinbarungen<br />
können § 1 FAG entnommen werden. Für das Jahr 2015 betrug<br />
der Anteil des Bundes 52,5 Prozent, der Anteil der Länder<br />
45,5 Prozent und der Anteil der Gemeinden 2,0 Prozent.<br />
Z Länder-/Gemeindesteuern<br />
Einen vollkommen eigenen Anspruch besitzen Länder<br />
und Gemeinden auf Steueraufkommen, die keine Gemeinschaftssteuern<br />
darstellen und somit ausschließlich in den jeweiligen<br />
Haushalt der betreffenden Gebietskörperschaft einfließen.<br />
Es sei jedoch auf zwei Besonderheiten verwiesen: So<br />
fließt die Kraftfahrzeugsteuer seit 2009 nunmehr dem Bund<br />
und nicht den Ländern zu. Im Gegenzug erhalten die Länder<br />
einen festen Kompensationsbetrag in Höhe von 9 Milliarden<br />
Euro aus dem Bundeshaushalt (vgl. Gesetz zur Regelung der<br />
finanziellen Kompensation zugunsten der Länder infolge<br />
der Übertragung der Ertragshoheit der Kraftfahrzeugsteuer<br />
auf den Bund. Ferner wird das Aufkommen der Gewerbesteuer<br />
als Gemeindesteuer um die Gewerbesteuerumlage<br />
gekürzt, die wiederum den Haushalten von Bund und Ländern<br />
zugeht.<br />
2.2 Länderfinanzausgleich<br />
Nach der Zuteilung der Gemeinschaftssteuern auf die jeweiligen<br />
Gebietskörperschaften erfolgt ein dreistufiger Länderfinanzausgleich,<br />
der die Finanzkraft zwischen den Ländern<br />
entsprechend nivelliert. Die Grundlage für den Ausgleich<br />
stellt prinzipiell die sogenannte Finanzkraft dar, die auf den<br />
Steuereinnahmen je Einwohner eines Landes basiert und<br />
diese dem Bundesdurchschnitt gegenüberstellt:<br />
Finanzkraft Land :<br />
<br />
<br />
Bundesdurchschnitt: ∑ <br />
<br />
∑<br />
<br />
Stufe 1 – Umsatzsteuervorwegausgleich<br />
Eine wesentliche Komponente bei der Nivellierung der<br />
Finanzkraft stellt der Umsatzsteuervorwegausgleich dar.<br />
§ 2 FAG sieht eine zweistufige Verteilung des Länderanteils<br />
am Umsatzsteueraufkommen vor. Die erste Komponente<br />
verteilt bis zu 25 Prozent dieses Länderanteils an ausschließlich<br />
bedürftige Länder, deren Finanzkraft sich unter dem<br />
Bundesdurchschnitt befindet. Die für die Berechnung der<br />
ersten Komponente maßgebliche Finanzkraft orientiert sich<br />
dabei ausschließlich an den Steuereinnahmen der Länder –<br />
die Steuereinnahmen der Gemeinden werden für die Best<strong>im</strong>mung<br />
der Finanzkraft (noch) nicht integriert. Die Berechnung<br />
des Umsatzsteueranspruchs eines bedürftigen Landes<br />
errechnet sich durch mathematische Gleichungen gemäß<br />
§ 2 Abs. 1 FAG, in der die jeweilige Finanzkraft dem Bundesdurchschnitt<br />
gegenübergestellt wird.<br />
Der danach verbleibende Anteil am Umsatzsteueraufkommen<br />
wird einwohnergerecht gleichermaßen auf alle Länder<br />
verteilt (§ 2 Abs. 2 FAG). Bereits durch die erste Komponente<br />
des Umsatzsteuervorwegausgleichs wird eine hohe Nivellierung<br />
der Finanzkraft zwischen den Ländern erzielt.<br />
Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass Ländern mit überdurchschnittlicher<br />
Finanzkraft schon <strong>im</strong> Umsatzsteuervorwegausgleich<br />
Ausgleichskosten entstehen. Da ein Teil<br />
der Umsatzsteuereinnahmen ausschließlich bedürftigen<br />
Ländern zugewiesen wird, reduziert sich der Anspruch der<br />
finanzstarken Länder auf die verbleibende Umsatzsteuer.<br />
Somit stellen die zum Ausgleich genutzten Umsatzsteuereinnahmen<br />
Kosten für die finanzstarken Länder dar. Da jedoch<br />
diesen Ländern nicht unmittelbar eigene Einnahmen entzogen<br />
werden, ist diese Nivellierungsmaßnahme weniger spürbar<br />
als der nachfolgende Länderfinanzausgleich <strong>im</strong> engeren<br />
Sinn.<br />
Stufe 2 – Länderfinanzausgleich <strong>im</strong> engeren Sinn<br />
Die in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommene Stufe des<br />
Länderfinanzausgleichs umfasst den Länderfinanzausgleich
10<br />
<strong>im</strong> engeren Sinn, für den eine Unterteilung der Länder in<br />
Geber- und Nehmerländer erfolgt. Hierbei gilt folgendes<br />
Grundprinzip gemäß § 5 FAG:<br />
Finanzkraft Land j < Bundesdurchschnitt = Nehmerland<br />
Finanzkraft Land j > Bundesdurchschnitt = Geberland<br />
In die Berechnung der Finanzkraft fließen nunmehr die Steuereinnahmen<br />
der Länder einschließlich der Umsatzsteuereinnahmen<br />
aus der ersten Stufe des Länderfinanzausgleichs<br />
(§ 7 FAG) sowie die Steuereinnahmen der Gemeinden<br />
(§ 8 FAG) ein. Allerdings werden die kommunalen Steuereinnahmen<br />
nur zu 64 Prozent in der jeweiligen Finanzkraft<br />
berücksichtigt. Eine weitere Korrektur erfährt die Finanzkraft<br />
durch das sogenannte Prämienmodell in § 7 Abs. 3 FAG,<br />
durch das ein Teil der Steuereinnahmen eines Landes bei<br />
überdurchschnittlichem Steuerwachstum bei der Ermittlung<br />
der Finanzkraft freigestellt wird. Dies soll die Anreizfreundlichkeit<br />
des Länderfinanzausgleichs stärken, da überdurchschnittliche<br />
Steuermehreinnahmen eines Landes gegenüber<br />
dem Bundesdurchschnitt nicht wiederum durch die Ausgleichsmechanismen<br />
des Finanzausgleichs verloren gehen<br />
(vgl. Mudrack, T., 2010, S. 43-69).<br />
Nach Ermittlung der Finanzkraft und des Status als Nehmerbzw.<br />
Geberland findet durch mathematische Gleichungen<br />
die Berechnung der Ausgleichszuweisungen zwischen den<br />
einzelnen Ländern statt (§ 10 FAG). Grundlage stellen hierbei<br />
jedoch nicht die tatsächlichen Einwohnerzahlen dar.<br />
Vielmehr werden die Einwohnerzahlen der drei Stadtstaaten<br />
Berlin, Bremen und Hamburg sowie der ostdeutschen Flächenländer<br />
Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und<br />
<strong>Sachsen</strong>-Anhalt veredelt, also um einen spezifischen Faktor<br />
vervielfacht. Dies führt zu einer fiktiv höheren Einwohnerzahl<br />
des veredelten Landes und somit zu einer künstlich<br />
verringerten Finanzkraft, die für ein Nehmerland zu einem<br />
erhöhten Ausgleichsanspruch bzw. für ein Geberland zu einer<br />
verringerten Transferverpflichtung führt. Durch diese<br />
Einwohnerveredelung werden den betroffenen Ländern<br />
Mehrbedarfe zugesprochen, die sich in einem überdurchschnittlichen<br />
Ausgabenbedarf begründen und durch höhere<br />
Einnahmen <strong>im</strong> Finanzausgleich kompensiert werden (vgl.<br />
Baretti, C. et al.; Eltges, M. et al.; Mudrack, T., 2012, S. 581-<br />
608; Röper, E., S. 216-219; Seitz, H.; Vesper, D., S. 173-185).<br />
Insbesondere der Länderfinanzausgleich <strong>im</strong> engeren Sinn<br />
steht <strong>im</strong> öffentlichen Fokus und wird kontrovers diskutiert,<br />
da Geberländern unmittelbar eigene Einnahmen entzogen<br />
und Nehmerländern zugesprochen werden. Diese Brisanz<br />
weisen die Ausgleichskosten <strong>im</strong> Umsatzsteuervorwegausgleich<br />
aufgrund der fehlenden Spürbarkeit in den Länderhaushalten<br />
weniger auf.<br />
Stufe 3 – Bundesergänzungszuweisungen BEZ<br />
Der Bund gewährt <strong>im</strong> Rahmen des Länderfinanzausgleichs<br />
§ 11 Abs. 1 FAG weitere vertikale Zuweisungen an leistungsschwache<br />
Länder. Dies umfasst Fehlbetragsbundesergänzungszuweisungen<br />
(FehlBEZ) gemäß § 11 Abs. 2 FAG, um<br />
die Finanzkraft bedürftiger Länder nachhaltig an den Bundesdurchschnitt<br />
heranzuführen. Ferner werden über die<br />
Bundesergänzungszuweisungen die Finanzmittel aus dem<br />
Solidarpakt II des Korb I an die ostdeutschen Bundesländer<br />
sowie Berlin transferiert (§ 11 Abs. 3 FAG). Der Korb I umfasst<br />
nicht zweckgebundene Mittel in einer Gesamthöhe von<br />
105 Milliarden Euro, die seit 2005 mit einer Rate von<br />
10,5 Milliarden Euro bis zum Jahr 2019 mit einer letzten Rate<br />
von 2,1 Milliarden Euro abschmelzen. Für das Jahr 2015<br />
betrug diese Rate 5,1 Milliarden Euro.<br />
Daneben erhalten die ostdeutschen Flächenländer Bundesergänzungszuweisungen<br />
aufgrund von Sonderlasten durch<br />
strukturelle Arbeitslosigkeit mit circa 800 Millionen Euro<br />
(§ 11 Abs. 3a FAG). Überdurchschnittlich hohe Kosten der<br />
politischen Führung kompensiert der Bund mit entsprechenden<br />
Zuweisungen in Höhe von circa 500 Millionen Euro. (§ 11<br />
Abs. 4 FAG). Empfänger sind die ostdeutschen Bundesländer<br />
einschließlich Berlin sowie Bremen, Rheinland-Pfalz, das<br />
Saarland und Schleswig-Holstein.<br />
3. Regelungen des neuen<br />
Länderfinanzausgleichs ab 2020<br />
Die Veränderungen des Länderfinanzausgleichs betreffen<br />
neben dem direkten Ausgleich ebenfalls Anpassungen <strong>im</strong><br />
vertikalen Steuerverbund.<br />
3.1 Vertikaler Steuerverbund<br />
Die Aufteilung der Gemeinschaftssteuern bleibt <strong>im</strong> Kern<br />
erhalten. Lediglich die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens<br />
erfährt eine Neuregelung durch § 1 FAG (Gesetzesentwurf).<br />
So erhält der Bund nunmehr 52,8 Prozent, die<br />
Länder 45,2 Prozent und die Gemeinden 2,0 Prozent. Durch<br />
die prozentuale Beteiligung ist die Höhe der Umsatzsteuereinnahmen<br />
der Gebietskörperschaften direkt an die Entwicklung<br />
des Umsatzsteueraufkommens gekoppelt. Neben diesem<br />
fixierten prozentualen Anteil erhalten Länder und<br />
Gemeinden einen Festbetrag von 4,4 Milliarden Euro (Länder)<br />
bzw. 2,4 Milliarden Euro (Gemeinden), der unabhängig<br />
von der Entwicklung der Umsatzsteuer gewährt wird.<br />
Die Einnahmen des Bundes reduzieren sich um diese Festbeträge.<br />
3.2 Länderfinanzausgleich<br />
Die Kritik am bisherigen Finanzausgleichssystem setzte insbesondere<br />
am Länderfinanzausgleich <strong>im</strong> engeren Sinn an,<br />
der Finanzmittel spürbar zwischen den Ländern umverteilt.
11<br />
Diese Spürbarkeit ergab sich aus der unmittelbaren Differenzierung<br />
zwischen Geberländern mit Transferpflicht und Nehmerländern<br />
mit Transferanspruch. Aus diesem Grund sieht<br />
der Gesetzesentwurf einen Entfall dieser Ausgleichsstufe<br />
vor und baut <strong>im</strong> Gegenzug den Nivellierungsgrad durch die<br />
Umsatzsteuerverteilung aus. Durch diese Maßnahme<br />
besteht der Länderfinanzausgleich nun aus zwei Stufen:<br />
Stufe 1 – Verteilung des Länderanteils am<br />
Umsatzsteueraufkommen<br />
Statt eines mehrstufigen Ausgleichs zwischen Ländern erfolgt<br />
nunmehr ein einstufiger Ausgleich <strong>im</strong> Rahmen der<br />
Umsatzsteuerverteilung. Hierfür wird die Umsatzsteuer gemäß<br />
§ 2 FAG (Gesetzesentwurf) vorerst einwohnergerecht<br />
gleichermaßen auf alle Länder verteilt. Diese Umsatzsteuereinnahmen<br />
werden <strong>im</strong> Anschluss durch Zu- und Abschläge<br />
so korrigiert, dass ein Finanzkraftausgleich zwischen den<br />
Ländern erfolgt. Maßgeblich für die Erhebung von Zu- bzw.<br />
Abschlägen ist wiederum die individuelle Finanzkraft der<br />
Länder gegenüber dem Bundesdurchschnitt.<br />
Finanzkraft Land j < Bundesdurchschnitt = Zuschlag Umsatzsteuer<br />
Finanzkraft Land j > Bundesdurchschnitt = Abschlag Umsatzsteuer<br />
Die Berechnung der Finanzkraft umfasst ebenfalls einige<br />
Änderungen. So fließt die Förderabgabe der Länder gemäß<br />
§ 7 Abs. 2 FAG (Gesetzesentwurf) nur noch zu 33 Prozent in<br />
die Finanzkraft ein. Ferner werden die kommunalen Steuereinnahmen<br />
nach § 8 Abs. 3 FAG (Gesetzesentwurf) nun zu<br />
75 Prozent und nicht mehr mit 64 Prozent in die Finanzkraft<br />
der Länder integriert. Somit n<strong>im</strong>mt die ausgleichsrelevante<br />
Bedeutung der Steuereinnahmen der Gemeinden <strong>im</strong> Länderfinanzausgleich<br />
zu.<br />
Die Ermittlung der Finanzkraft basiert weiterhin auf den veredelten<br />
Einwohnerwerten. Die Faktoren zur Berechnung der<br />
veredelten Einwohner und die hieraus abgeleiteten Mehrbedarfe<br />
bleiben von der Reform unberührt.<br />
Die Höhe des Abschlages bzw. Zuschlages beträgt gemäß<br />
§ 10 FAG (Gesetzesentwurf) 63 Prozent zwischen der länderspezifischen<br />
Finanzkraft und dem Bundesdurchschnitt.<br />
Stufe 2 – Bundesergänzungszuweisungen BEZ<br />
Der Bund gewährt weiterhin vertikale Bundesergänzungszuweisungen<br />
<strong>im</strong> Rahmen des Länderfinanzausgleichs. Die<br />
bisherigen Fehlbetragsbundesergänzungszuweisungen<br />
(FehlBEZ) zum weiteren Ausgleich der Finanzkraft zwischen<br />
den Ländern bleiben weiterhin Bestandteil und werden<br />
gemäß § 11 Abs. 2 FAG (Gesetzesentwurf) nochmals erhöht.<br />
Mit Auslaufen des Solidarpaktes II 2019 entfallen die zusätzlichen<br />
Bundesmittel für die ostdeutschen Bundesländer<br />
einschließlich Berlin. Die Bundesergänzungszuweisungen<br />
aufgrund überdurchschnittlicher Kosten für strukturelle<br />
Arbeitslosigkeit nach § 11 Abs. 3 FAG (Gesetzesentwurf) bleiben<br />
für ostdeutsche Flächenländer in bisheriger Höhe von<br />
circa 800 Millionen Euro bestehen. Marginale Veränderungen<br />
weisen die Bundesergänzungszuweisungen aufgrund<br />
überdurchschnittlicher Kosten der politischen Führung nach<br />
§ 11 Abs. 4 FAG (Gesetzesentwurf) auf. Hiernach wächst der<br />
Anspruch Brandenburgs um weitere 11 Millionen Euro, während<br />
alle anderen Zuweisungen an die beanspruchenden<br />
Länder in bisheriger Höhe bestehen bleiben.<br />
Die Neuregelungen des Länderfinanzausgleichs sehen<br />
ab 2020 zwei weitere Säulen von Bundesergänzungszuweisungen<br />
vor. So erhalten Bundesländer mit besonders<br />
unterdurchschnittlicher Finanzkraft auf Gemeindeebene gemäß<br />
§ 11 Abs. 5 FAG (Gesetzesentwurf) einen zusätzlichen<br />
Ausgleich, der durch den Bund bereitgestellt wird. Da ausschließlich<br />
die ostdeutschen Flächenländer unter dieses Kriterium<br />
fallen, besteht die Vermutung, dass diese neue Säule<br />
der Bundesergänzungszuweisungen als Teilersatz für den ab<br />
2020 entfallenden Solidarpakt II dient. Die zweite neue Säule<br />
gemäß § 11 Abs. 6 FAG (Gesetzesentwurf) unterstützt spezifische<br />
Länder mit einem unterdurchschnittlichen Zufluss<br />
aus Mitteln der Forschungsförderung, der durch die Gemeinsame<br />
<strong>Wissen</strong>schaftskonferenz gewährt wird.<br />
4. S<strong>im</strong>ulationsrechnung für das Jahr 2015<br />
Um die empirischen Auswirkungen der Reform und die<br />
Effekte auf die jeweiligen Länderhaushalte zu bemessen, ist<br />
eine geeignete Gegenüberstellung der bisherigen sowie der<br />
reformierten Regelungen notwendig. Hierfür wird ein Länderfinanzausgleich<br />
in einem eigenen komplexen Modell für<br />
das Jahr 2015 sowohl mit den bisherigen Vorgaben als auch<br />
mit den Neubest<strong>im</strong>mungen s<strong>im</strong>uliert.<br />
4.1. Vorbemerkungen und Modellannahmen<br />
Das eigene S<strong>im</strong>ulationsmodell wird mit aktuellen Steuereinnahmen<br />
aus der vorläufigen Abrechnung des Bundesfinanzministeriums<br />
für das Jahr 2015 befüllt. Im Anschluss erfolgt<br />
die Berechnung der jeweiligen Zuweisungen an die Länder<br />
bzw. zwischen ihnen anhand der gesetzlichen Vorgaben des<br />
bisherigen FAG sowie des neuen FAG (Gesetzesentwurf).<br />
Zur Verbesserung der Transparenz der Ergebnisse bleibt in<br />
den Vergleichss<strong>im</strong>ulationen das Prämienmodell jeweils deaktiviert.<br />
Dies el<strong>im</strong>iniert temporäre Sondereffekte einzelner<br />
Länder, die zwischen 2014 und 2015 eine besonders positive<br />
Entwicklung ihrer Steuereinnahmen aufwiesen. Da sich diese<br />
temporären Sondereffekte einzelner Länder auf die Transferbeträge<br />
aller Länder auswirken, sollten die Prämien für<br />
einen schlüssigen Vergleich beider Finanzausgleichssysteme<br />
unberücksichtigt bleiben.
12<br />
4.2. Finanzkraft vor und nach Länderfinanzausgleich<br />
Vor einer detaillierten Darlegung einzelner Verschiebungen<br />
innerhalb der Finanzkraft durch die Ausgleichsmechanismen<br />
des Länderfinanzausgleichs werden in einem ersten Schritt<br />
die Gesamtwirkungen abgebildet. Die jeweiligen Finanzministerien<br />
der Länder dürfte in erster Linie die Frage interessieren,<br />
mit welchen Einnahmen jeweils nach bisherigen<br />
bzw. neuem Länderfinanzausgleich <strong>im</strong> Finanzhaushalt zu<br />
rechnen ist. Zum besseren Verständnis werden die Einnahmen<br />
nach Länderfinanzausgleich jeweils mit der Finanzkraft<br />
vor Ausgleich verglichen.<br />
Die Best<strong>im</strong>mung der Finanzkraft vor Finanzausgleich eines<br />
Landes umfasst alle Steuereinnahmen des Landes (LST)<br />
sowie dessen Gemeinden (GST), da auch die Gemeindeeinnahmen<br />
in den Länderfinanzausgleich als Ausgleichskomponente<br />
einfließen. Zusätzlich beinhaltet die Finanzkraft vor<br />
Länderfinanzausgleich den Länderanteil am Umsatzsteueraufkommen<br />
(UST), der den Ländern einwohnergerecht<br />
gleichermaßen zugeteilt wird. Irrtümlich wird die Verteilung<br />
des Länderanteils an der Umsatzsteuer oftmalig als Zuweisung<br />
des Bundes bezeichnet. Jedoch ist die Umsatzsteuer<br />
wie auch Einkommen- und Körperschaftsteuer eine Gemeinschaftssteuer,<br />
sodass die Länder Anspruch auf einen spezifischen<br />
Anteil genießen. Im Unterschied zu Einkommen- und<br />
Körperschaftsteuer erfolgt lediglich die Zuteilung der Umsatzsteuer<br />
über einen spezifischen Verteilungsschlüssel. Diese<br />
Verteilung erfolgt <strong>im</strong> Rahmen des Länderfinanzausgleichs<br />
bereits mit einer nivellierenden Komponente, während der<br />
verbleibende Rest pro Kopf gleichermaßen den Ländern<br />
zugeht. Für die Abbildung der Finanzkraft vor Länderfinanzausgleich<br />
bleiben jedoch Nivellierungsmaßnahmen ausgeschlossen,<br />
sodass vor Länderfinanzausgleich eine vollständige<br />
Pro-Kopf-Verteilung des Länderanteils unterstellt wird.<br />
Zur besseren Vergleichbarkeit erfolgt die Best<strong>im</strong>mung der<br />
Finanzkraft einwohnerbereinigt, um Aussagen zu ermöglichen,<br />
was einem Land j je Einwohner zur Verfügung steht:<br />
<br />
<br />
∑<br />
<br />
<br />
<br />
Die Finanzkraft nach Länderfinanzausgleich für die bisherigen<br />
Regelungen beinhaltet neben den Ländersteuern (LST)<br />
und Gemeindesteuern (GST) zusätzlich alle Transferleistungen<br />
(TRANS) – bestehend aus dem Umsatzsteuervorwegausgleich,<br />
dem inneren Länderfinanzausgleich sowie den Bundesergänzungszuweisungen<br />
mit Ausnahme der Finanzmittel<br />
aus dem Solidarpakt II. Diese Finanzmittel sind bis 2019 abschmelzend<br />
gestaltet und besitzen daher lediglich einen<br />
temporären Charakter, sodass sie aus Vergleichsgründen –<br />
ungeachtet der Höhe von 5,1 Milliarden Euro für das Jahr<br />
2015 – zwischen bisherigem und neuem Finanzausgleich<br />
unberücksichtigt bleiben.<br />
<br />
<br />
Die Finanzkraft nach Länderfinanzausgleich für die Neuregelungen<br />
setzt sich analog aus den Ländersteuern (LST),<br />
Gemeindesteuern (GST) und allen Transferleistungen<br />
(TRANS) zusammen. Allerdings bestehen die Transferleistungen<br />
nunmehr aus den mit Zu- bzw. Abschlägen korrigierten<br />
Umsatzsteueranteilen sowie allen Bundesergänzungszuweisungen.<br />
<br />
<br />
Abbildung 1 stellt die einwohnerbereinigte Finanzkraft der<br />
jeweiligen Länder gegenüber. Hierbei wird zur besseren Darstellung<br />
zwischen westdeutschen Flächenländern, Stadtstaaten<br />
sowie ostdeutschen Flächenländern differenziert.<br />
Aus Abbildung 1 geht hervor, dass alle Länder durch den<br />
neuen Finanzausgleich gegenüber den bisherigen Regelungen<br />
über eine höhere Finanzkraft je Einwohner verfügen.<br />
Diese Mehreinnahmen liegen zwischen 87 Euro je Einwohner<br />
(Rheinland-Pfalz) und 162 Euro je Einwohner (Mecklenburg-<br />
Vorpommern). Im Bundesdurchschnitt steigen die Einnahmen<br />
um 106 Euro je Einwohner. Dieser allgemeine Zugewinn<br />
entstammt nicht einer reinen Umverteilung der Steuereinnahmen<br />
zwischen den Ländern, da hierbei sowohl Gewinner<br />
als auch Verlierer existieren müssten. Vielmehr finanziert der<br />
Bund diese Mehreinnahmen über eine Erhöhung der Bundesergänzungszuweisungen<br />
und des Länder- bzw. Gemeindeanteils<br />
am Umsatzsteueraufkommen.<br />
Ferner wird in Abbildung 1 deutlich, dass die finanzstarken<br />
Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen sowie<br />
Hamburg vor Länderfinanzausgleich jeweils eine höhere<br />
Finanzkraft je Einwohner aufweisen. Diese Länder verlieren<br />
aufgrund der Nivellierungsmaßnahmen sowohl durch den<br />
bisherigen als auch den neuen Länderfinanzausgleich. Die<br />
höchsten Einbußen je Einwohner verzeichnet Bayern mit<br />
636 Euro (LFA bisher) bzw. 524 Euro (LFA neu). Hingegen gewinnen<br />
die finanzschwachen Bundesländer hinzu. Hierbei<br />
handelt es sich insbesondere um die ostdeutschen Flächenländer<br />
sowie Berlin. Den höchsten Zugewinn je Einwohner<br />
verzeichnet jedoch Bremen mit 1337 Euro (LFA bisher) bzw.<br />
1456 Euro (LFA neu). Insbesondere bei den Stadtstaaten<br />
treten innerhalb der Ausgleichsmechanismen Sondereffekte<br />
durch die Einwohnerveredelung auf, wodurch die Stadt-
13<br />
staaten künstlich finanzärmer<br />
und somit bedürftiger gerechnet<br />
werden. Das Bundesland <strong>Sachsen</strong><br />
erzielt durch den Finanzausgleich<br />
sowohl in bisheriger (+950<br />
Euro je Einwohner) als auch in<br />
neuer Form (+1085 Euro je Einwohner)<br />
ebenfalls deutliche<br />
Mehreinnahmen.<br />
Ein reiner Vergleich der Finanzkraft<br />
je Einwohner erschwert<br />
jedoch Aussagen über den Nivellierungsgrad<br />
beider Finanzausgleichsysteme.<br />
Zwar gewinnen<br />
alle Länder Einnahmen hinzu,<br />
jedoch sind Aussagen über die<br />
Entwicklung der Einnahmen <strong>im</strong><br />
Verhältnis zum Bundesdurchschnitt<br />
nur unzureichend möglich.<br />
Aus diesem Grund setzt Abbildung 2 die Finanzkraft je<br />
Einwohner ins Verhältnis zum Bundesdurchschnitt je Einwohner.<br />
Eine relative Finanzkraft von unter 100 Prozent<br />
dokumentiert folglich eine unterdurchschnittliche Finanzausstattung,<br />
während eine relative Finanzkraft von über<br />
100 Prozent ein finanzstarkes Land kennzeichnet:<br />
160,0%<br />
140,0%<br />
120,0%<br />
100,0%<br />
80,0%<br />
60,0%<br />
40,0%<br />
20,0%<br />
<br />
0,0%<br />
Euro pro Kopf<br />
7.000<br />
6.000<br />
5.000<br />
4.000<br />
3.000<br />
2.000<br />
1.000<br />
<br />
⋚ 100%<br />
0<br />
BW BY HE NI NW RP SL SH BE HB HH BB MV SN ST TH<br />
Finanzkraft, vor LFA Finanzkraft, LFA bisher Finanzkraft, LFA neu<br />
Abbildung 1: Finanzkraft der Länder vor LFA, nach LFA (bisher) sowie nach LFA<br />
(neu) (Quelle: eigene Berechnungen, Daten: Statistisches Bundesamt)<br />
BW BY HE NI NW RP SL SH BE HB HH BB MV SN ST TH<br />
Finanzkraft, vor LFA<br />
Finanzkraft, LFA neu<br />
Finanzkraft, LFA bisher<br />
Bundesdurchschnitt<br />
Abbildung 2: Relative Finanzkraft der Länder zum Bundesdurchschnitt vor<br />
LFA, nach LFA (bisher) sowie nach LFA (neu) (Quelle: eigene<br />
Berechnungen, Daten: Statistisches Bundesamt)<br />
Aus der relativen Finanzkraft vor Finanzausgleich lassen sich<br />
finanzschwache sowie finanzstarke Länder ableiten. So weisen<br />
Baden-Württemberg (111,9 Prozent), Bayern (119,7 Prozent),<br />
Hessen (114,8 Prozent) und Hamburg (141,2 Prozent)<br />
eine überdurchschnittliche Finanzkraft auf. Dementsprechend<br />
sind alle weiteren Bundesländer finanzschwach. Für<br />
die westdeutschen Flächenländer befinden sich die Werte<br />
zwischen 83,3 Prozent (Saarland) und 97,3 Prozent (Nordrhein-Westfalen).<br />
Die beiden verbleibenden Stadtstaaten<br />
weisen Werte von 94,6 Prozent (Berlin) sowie 95,1 Prozent<br />
(Bremen) auf.<br />
Eine deutlich unterdurchschnittliche<br />
Finanzkraft zwischen 69,0<br />
Prozent (Thüringen) und 79,1<br />
Prozent (Brandenburg) verzeichnen<br />
alle ostdeutschen Flächenländer,<br />
wobei jedoch Brandenburg<br />
durch die spezifische<br />
Berlinnähe profitiert.<br />
Die Finanzkraft nach Länderfinanzausgleich<br />
dokumentiert den<br />
Ausgleichsgrad des Finanzausgleichssystems.<br />
Hierbei bleibt<br />
grundlegend festzustellen, dass<br />
der Ausgleichsgrad durch den<br />
neuen Finanzausgleich unverändert<br />
bleibt. Eher n<strong>im</strong>mt der<br />
Ausgleichsgrad sogar noch weiter<br />
zu, was sich bezüglich der Anreizfreundlichkeit<br />
als fragwürdig<br />
erweist. So gehen länder-
14<br />
eigene Mehreinnahmen, die effektiven wirtschaftsund<br />
finanzpolitischen Entscheidungen zu verdanken<br />
sind, durch die Ausgleichsmechanismen des<br />
Länderfinanzausgleichs wieder verloren. Prinzipiell bleibt<br />
festzuhalten: Je höher der Ausgleichsgrad eines Finanzausgleichs<br />
ist, desto anreizunfreundlicher ist dieser (vgl.<br />
Mudrack, T., 2010, S. 43-69).<br />
Für den bisherigen Länderfinanzausgleich erzielen die<br />
finanzstarken Flächenländer eine relative Finanzkraft zwischen<br />
101,5 Prozent (Baden-Württemberg) und 104,3 Prozent<br />
(Bayern). Nach den ab 2020 geltenden Regelungen<br />
n<strong>im</strong>mt die relative Finanzkraft aufgrund des steigenden<br />
Ausgleichsgrades nochmals ab und liegt zwischen 101,2 Prozent<br />
(Baden-Württemberg) und 104,3 Prozent (Bayern). Die<br />
Stadtstaaten Berlin (122,5 Prozent), Bremen (126,2 Prozent)<br />
und Hamburg (134,2 Prozent) verzeichnen für den bisherigen<br />
Finanzausgleich eine deutlich überdurchschnittliche relative<br />
Finanzkraft. Diese hohen Werte werden durch die Einwohnerveredelung<br />
des Finanzausgleichs erzeugt. Auch <strong>im</strong> neuen<br />
Finanzausgleich wirkt die Einwohnerveredelung ähnlich auf<br />
die relative Finanzkraft, die zwischen 122,9 Prozent (Berlin)<br />
und 133,3 Prozent (Hamburg) liegt.<br />
Die relative Finanzkraft der ostdeutschen Flächenländer<br />
profitiert enorm von den Ausgleichswirkungen des bisherigen<br />
aber auch des neuen Länderfinanzausgleichs. Für den<br />
bisherigen Finanzausgleich steigt die Finanzkraft auf Werte<br />
zwischen 93,0 Prozent (<strong>Sachsen</strong>) und 95,1 Prozent (Brandenburg).<br />
Der höhere Ausgleichsgrad des neuen Finanzausgleichs<br />
bewirkt nochmals einen marginalen Anstieg auf<br />
Werte zwischen 93,8 Prozent (<strong>Sachsen</strong>) und 95,6 Prozent<br />
(Mecklenburg-Vorpommern).<br />
4.3 Verschiebungen <strong>im</strong> Detail<br />
Nach der Erläuterung der Gesamtergebnisse durch die<br />
Reform des Länderfinanzausgleichs werden <strong>im</strong> Folgenden<br />
die Einzelwirkungen näher betrachtet. Schließlich bestand<br />
eine umfangreiche Kritik am bisherigen Länderfinanzausgleich<br />
in den Kosten, die durch den Finanzausgleich <strong>im</strong> engeren<br />
Sinn mit den Zuweisungspflichten zwischen den Ländern<br />
verursacht werden.<br />
Doch resultieren hieraus nun folgende Fragen:<br />
1. Um welche Beträge steigt die Finanzkraft der<br />
jeweiligen Länder durch den neuen Finanzausgleich?<br />
2. Sinken die Ausgleichskosten der Länder wirklich?<br />
3. Was kostet der neue Finanzausgleich den Bund?<br />
Die Fragen können durch eine Gegenüberstellung der einzelnen<br />
Komponenten der Finanzausstattung vor bzw. nach Länderfinanzausgleich<br />
in Tabelle 2 (s. S. 15) beantwortet werden:<br />
Antwort auf Frage 1:<br />
Um welche Beträge steigt die Finanzkraft der jeweiligen<br />
Länder durch den neuen Finanzausgleich?<br />
Bereits in Abbildung 1 ist zu erkennen, dass jedes Bundesland<br />
durch den neuen Länderfinanzausgleich über<br />
Mehreinnahmen je Einwohner verfügt. Spalte 13 (absolut<br />
in Millionen Euro) sowie Spalte 14 (je Einwohner in Euro)<br />
stellen die Mehreinnahmen des neuen Systems gegenüber<br />
den bisherigen Regelungen in Zahlenform dar. So liegen<br />
die absoluten Mehreinnahmen zwischen 0,08 Milliarden<br />
Euro (Bremen) und 1,7 Milliarden Euro (Nordrhein-Westfalen).<br />
Bundesweit betragen die absoluten Mehreinnahmen<br />
8,7 Milliarden Euro, die durch den Bund über eine Erhöhung<br />
des Gemeinde- bzw. Länderanteils am Umsatzsteueraufkommen<br />
sowie über eine Steigerung der Bundesergänzungszuweisungen<br />
aufgebracht werden. Es sei nochmals<br />
explizit darauf verwiesen, dass die Finanzmittel aus dem<br />
Solidarpakt II aufgrund ihres abschmelzenden Charakters<br />
nicht <strong>im</strong> bisherigen Länderfinanzausgleich berücksichtigt<br />
wurden. Die Mehreinnahmen je Einwohner liegen in einer<br />
Spanne zwischen 87 Euro (Rheinland-Pfalz) und 162 Euro<br />
(Mecklenburg-Vorpommern).<br />
Antwort auf Frage 2:<br />
Sinken die Ausgleichskosten der Länder wirklich?<br />
Die Ausgleichskosten der finanzstarken Länder werden reduziert.<br />
Allerdings bestehen die Kosten des bisherigen Länderfinanzausgleichs<br />
nicht allein in den Zuweisungstransfers<br />
der Geberländer <strong>im</strong> Rahmen des Finanzausgleichs <strong>im</strong> engeren<br />
Sinn (zweite Stufe). Es gehen den finanzstarken Ländern<br />
ebenfalls Einnahmen <strong>im</strong> Umsatzsteuervorwegvergleich verloren<br />
(erste Stufe), da ein Teil nivellierend auf ausschließlich<br />
finanzschwache Länder verteilt wird. Lediglich der verbleibende<br />
Rest wird einwohnergerecht pro Kopf auf alle Länder<br />
verteilt. Daher stellt diese nivellierende Komponente ebenfalls<br />
einen Kostenfaktor für die finanzstarken Bundesländer<br />
dar. Die Ausgleichskosten für den bisherigen Finanzausgleich<br />
setzen sich somit aus Spalte 5 abzüglich Spalte 2 (Umsatzsteuerkosten)<br />
sowie den direkten Zuweisungskosten in Spalte<br />
6 der Tabelle 2 zusammen. Für Baden-Württemberg ergeben<br />
sich hieraus Kosten von 4,1 Milliarden Euro, für Bayern<br />
von 7,5 Milliarden Euro, für Hessen von 2,7 Milliarden Euro,<br />
für Nordrhein-Westfalen von 1,0 Milliarden Euro und für<br />
Hamburg von 0,4 Milliarden Euro. Nordrhein-Westfalen zeigt<br />
indessen die Besonderheit, dass es <strong>im</strong> Umsatzsteuervorwegausgleich<br />
als finanzstarkes Land gilt, <strong>im</strong> Länderfinanzausgleich<br />
<strong>im</strong> engeren Sinn hingegen ein Nehmerland darstellt.<br />
Im neuen Länderfinanzausgleich entfällt zwar der Finanzausgleich<br />
<strong>im</strong> engeren Sinn, jedoch wird dieser Wegfall zum<br />
Teil durch höhere Umsatzsteuerkosten substituiert. So wird<br />
der Länderanteil <strong>im</strong> Umsatzsteueraufkommen einwohnergerecht<br />
pro Kopf auf alle Länder verteilt und <strong>im</strong> Anschluss<br />
durch Zu- bzw. Abschläge korrigiert. Diese Abschläge stellen<br />
für die finanzstarken Bundesländer ebenfalls Kosten<br />
dar und können durch die Differenz zwischen Spalte 10 und
15<br />
Spalte 2 (Tabelle 2) berechnet werden. Für Baden-Württemberg<br />
betragen diese Kosten 3,3 Milliarden Euro, für Bayern<br />
6,4 Milliarden Euro, für Hessen 2,3 Milliarden Euro und für<br />
Hamburg 0,3 Milliarden. Es sei an dieser Stelle angemerkt,<br />
dass diese Kosten zum Teil durch eine höhere Umsatzsteuerbeteiligung<br />
der Gemeinden kompensiert werden. Dies wird<br />
<strong>im</strong> Vergleich zwischen Spalte 9 und Spalte 4 deutlich. Die Unterschiede<br />
zwischen den Länder- und Gemeindesteuern beider<br />
Finanzausgleichssysteme resultieren ausschließlich aus<br />
der höheren Beteiligung der Gemeinden am Umsatzsteueraufkommen.<br />
Eine weitere Besonderheit weist wiederum das Land Nordrhein-Westfalen<br />
auf, das <strong>im</strong> bisherigen Finanzausgleich den<br />
Status als Nehmerland aufweist und Transfers von anderen<br />
Ländern bezieht. Im neuen Länderfinanzausgleich erhält<br />
Nordrhein-Westfalen hingegen einen Abschlag seiner pro<br />
Kopf bezogenen Umsatzsteuereinnahmen. Allerdings ist<br />
zu betonen, dass dies ein reiner Statuseffekt ist und auf die<br />
erzielten Mehreinnahmen <strong>im</strong> neuen Finanzausgleich gegenüber<br />
den bisherigen Regelungen kaum Auswirkungen besitzt<br />
(Spalte 13 bzw. Spalte 14 in Tabelle 2).<br />
Antwort auf Frage 3:<br />
Was kostet der neue Finanzausgleich den Bund?<br />
Die Kosten des Bundes für den neuen Länderfinanzausgleich<br />
bestehen aus drei Komponenten. Die erste Komponente<br />
besteht in einer Erhöhung der kommunalen Beteiligung<br />
am Umsatzsteueraufkommen. So steigen die kommunalen<br />
Umsatzsteuereinnahmen in Summe um 1,9 Milliarden Euro<br />
(Spalte 9 abzüglich Spalte 4) und liegen für die einzelnen<br />
Länder zwischen 20,8 Millionen Euro (Bremen) und 455,3 Millionen<br />
Euro (Nordrhein-Westfalen).<br />
Die zweite Kostenkomponente des Bundes umfasst die Erhöhung<br />
des Länderanteils am Umsatzsteueraufkommen. Diese<br />
Kosten betragen in Summe 3,7 Milliarden Euro (Spalte 10<br />
abzüglich Spalte 5), wovon die Länder aufgrund der Zu- und<br />
Abschläge jeweils unterschiedlich profitieren.<br />
Die dritte Komponente besteht in einer Erhöhung der Bundesergänzungszuweisungen<br />
um 3,1 Milliarden Euro, die sich<br />
insbesondere aus einer Zunahme der Fehlbetragsbundesergänzungszuweisungen<br />
(FehlBEZ) sowie der Einführung der<br />
Bundesergänzungszuweisungen für eine besonders unterdurchschnittliche<br />
kommunale Finanzkraft (KomBEZ) zusammensetzt.<br />
Eine Addition der drei Komponenten ergibt eine Summe<br />
von 8,7 Milliarden Euro, die der Bund <strong>im</strong> Rahmen des neuen<br />
Länderfinanzausgleichs zusätzlich aufbringt.<br />
5. Zusammenfassung<br />
Der <strong>im</strong> Dezember 2016 beschlossene Gesetzesentwurf sieht<br />
unter anderem eine Neugestaltung des Länderfinanzausgleichs<br />
ab 2020 vor. So sollen der Länderfinanzausgleich<br />
und dessen Ausgleichsmechanismen zwischen den Ländern<br />
grundlegend vereinfacht werden. Aus diesem Grund sieht<br />
das Finanzausgleichsgesetz nach dem Gesetzesentwurf statt<br />
drei nur noch zwei Ausgleichsstufen vor. Es entfällt der kontrovers<br />
diskutierte Finanzausgleich <strong>im</strong> engeren Sinn, bei dem<br />
Finanzmittel aus den Geberländern direkt abgezogen und<br />
den Nehmerländern zugewiesen werden. Dieser Vorgang<br />
vor Länderfinanzausgleich<br />
in Mio. Euro<br />
Länder /<br />
Gemeinden<br />
Umsatzsteuer<br />
Länder<br />
Summe<br />
Länder /<br />
Gemeinden<br />
Länderfinanzausgleich bisher<br />
in Mio. Euro<br />
Umsatzsteuer<br />
Länder<br />
innerer<br />
LFA<br />
BEZ<br />
Summe<br />
Länder /<br />
Gemeinden<br />
Länderfinanzausgleich neu<br />
in Mio. Euro<br />
Umsatzsteuer<br />
Länder<br />
BEZ<br />
Summe<br />
Mehreinnahmen<br />
in Mio. Euro<br />
gesamt pro Kopf<br />
(in Euro)<br />
Spalte 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14<br />
BW 37.861 12.640 50.501 37.861 10.880 ‐2.298 0 46.443 38.124 9.344 0 47.468 1.025 95<br />
BY 48.985 14.947 63.932 48.985 12.865 ‐5.445 0 56.405 49.292 8.540 0 57.832 1.427 112<br />
HE 22.221 7.173 29.394 22.221 6.174 ‐1.711 0 26.684 22.388 4.895 0 27.284 599 98<br />
NI 21.102 9.219 30.321 21.102 9.940 426 225 31.693 21.260 10.709 473 32.443 750 95<br />
NW 51.214 20.739 71.953 51.214 18.656 1.039 555 71.464 51.669 21.487 0 73.156 1.691 96<br />
RP 10.969 4.716 15.685 10.969 4.613 354 237 16.172 11.046 5.282 196 16.524 352 87<br />
SL 2.277 1.160 3.437 2.277 1.410 153 137 3.976 2.300 1.542 222 4.064 88 89<br />
SH 7.840 3.332 11.172 7.840 3.183 228 177 11.428 7.889 3.698 143 11.730 301 106<br />
BE 9.687 4.087 13.775 9.687 3.654 3.598 1.189 18.129 9.761 7.391 1.486 18.638 509 146<br />
HB 1.860 778 2.638 1.860 805 627 264 3.555 1.880 1.415 339 3.634 79 119<br />
HH 8.409 2.076 10.485 8.409 1.787 ‐109 0 10.086 8.483 1.787 0 10.269 183 103<br />
BB 5.236 2.890 8.126 5.236 3.804 487 420 9.947 5.276 4.144 758 10.178 232 94<br />
MV 2.763 1.877 4.640 2.763 2.812 472 351 6.397 2.789 3.066 801 6.657 259 162<br />
SN 7.219 4.757 11.976 7.219 7.089 1.010 696 16.014 7.304 7.542 1.711 16.557 544 134<br />
ST 3.829 2.617 6.446 3.829 4.012 593 442 8.876 3.870 4.262 1.050 9.182 306 137<br />
TH 3.661 2.527 6.188 3.661 3.854 577 430 8.522 3.700 4.107 1.037 8.845 323 150<br />
gesamt 245.132 95.537 340.669 245.132 95.537 0 5.122 345.791 247.032 99.212 8.216 354.460 8.669 106<br />
Tabelle 2: Detaillierte Daten für die Wirkungen des LFA bisher sowie des LFA neu <strong>im</strong> Vergleich (Quelle: eigene Berechnungen, Daten: Statistisches Bundesamt)
16<br />
machte die Kosten des Ausgleichs für die einzelnen Länderhaushalte<br />
durchaus spürbar. Allerdings zeigt der Beitrag<br />
auf, dass auch die erste Stufe <strong>im</strong> bisherigen Finanzausgleich<br />
Ausgleichskosten verursacht. So fließt ein Teil des Länderanteils<br />
am Umsatzsteueraufkommen durch die Nivellierung<br />
an finanzschwache Länder und geht hierdurch der einwohnergerechten<br />
Verteilung <strong>im</strong> Umsatzsteuervorwegausgleich<br />
verloren. Allerdings ist diese nivellierende Komponente in<br />
den Länderhaushalten weniger spürbar, da den Länderhaushalten<br />
keine Einnahmen direkt entzogen werden.<br />
Der neue Länderfinanzausgleich sieht nunmehr einen<br />
Ausbau der Nivellierung über die Umsatzsteuer vor – <strong>im</strong><br />
Gegenzug entfällt der Finanzausgleich <strong>im</strong> engeren Sinn. Dies<br />
bedeutet jedoch, dass den finanzstarken Ländern weiterhin<br />
Ausgleichskosten durch geringere Umsatzsteuereinnahmen<br />
entstehen. Durch den Entfall des Finanzausgleichs <strong>im</strong><br />
engeren Sinn steigen die Ausgleichskosten durch die Umsatzsteuerverteilung<br />
für diese Länder sogar noch weiter an.<br />
Mithilfe eines eigenen S<strong>im</strong>ulationsmodells nach bisherigen<br />
sowie neuen Regelungen sind die Ausgleichskosten sowie<br />
die Finanzausstattung der Länder für das Jahr 2015 <strong>im</strong> Detail<br />
quantifiziert worden.<br />
Ferner offenbart das S<strong>im</strong>ulationsmodell für das Jahr 2015,<br />
dass durch die Neuregelungen des Finanzausgleichs alle<br />
Länder nach Ausgleich über Mehreinnahmen verfügen. Diese<br />
Mehreinnahmen betragen in Summe 8,7 Milliarden Euro<br />
und werden durch den Bund finanziert. Dies erfolgt zum<br />
einen über eine Erhöhung sowohl der kommunalen Umsatzsteuerbeteiligung<br />
als auch des Länderanteils an der Umsatzsteuer.<br />
Zum anderen erhöht der Bund die <strong>im</strong> Finanzausgleichsgesetz<br />
verankerten Bundesergänzungszuweisungen<br />
an die beanspruchenden Länder. Die Zust<strong>im</strong>mung der Länder<br />
zum neuen Länderfinanzausgleich dürfte sich in der Synthese<br />
von Mehreinnahmen für alle Länder bei gleichzeitig<br />
hohem Ausgleichsgrad des Finanzausgleichs begründen. Im<br />
Gegenzug bekommt der Bund zusätzliche Kompetenzen von<br />
den Ländern übertragen. Insofern ist der neue Länderfinanzausgleich<br />
nicht unbedingt besser und nicht unbedingt fairer –<br />
aber zumindest ist er einfacher.<br />
LITERATUR<br />
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17<br />
Prof. Dr. Falk Tennert<br />
Jahrgang 1974, Hochschullehrer an der <strong>Berufsakademie</strong> <strong>Sachsen</strong>, Staatliche Studienakademie<br />
Breitenbrunn und Professor für <strong>Markt</strong>- und Werbepsychologie an der SRH Fernhochschule.<br />
Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Qualitative und quantitative Forschungsmethoden, Attributionsforschung,<br />
Reputation und Reputationsmanagement, Kommunikatorforschung und Nachhaltigkeitskommunikation.<br />
KONTAKT: Staatliche Studienakademie Breitenbrunn I f.tennert@ba-breitenbrunn.de<br />
Die Sozialpsychologie der<br />
öffentlichen Meinung<br />
Falk Tennert<br />
The debate about public opinion in a<br />
society is growing and shows an increase<br />
of relevance. Examples are current<br />
political events and upheavals, e.g. media<br />
reporting on the refugee crisis, public<br />
discussion on the US election in 2016 or<br />
the Brexit-discussion. The article explains<br />
from the point of view of communication<br />
science what is understood under<br />
public and public opinion. It shows the<br />
difference of these terms and discloses<br />
their coactions. Furthermore, the article<br />
discusses how the emergence of public<br />
opinion can be explained from the point<br />
of view of social psychology. The use of<br />
these findings leads to the presentation<br />
of the theory of the spiral of silence,<br />
which deals with the effect of mass media<br />
on the public opinion. The theory of the<br />
spiral of silence has a special significance<br />
for political communication. In public<br />
communication, moral or controversial<br />
issues are particularly frequent. The<br />
theory of the spiral of silence could serve<br />
as an approach to explain such defeat as<br />
the wrong prediction of the US election in<br />
2016.
18<br />
Im Zuge der Flüchtlingskrise erlebt die Diskussion<br />
um die öffentliche Meinung eine Renaissance. Im<br />
Rahmen des Diskurses sind u.a. folgende Fragestellungen<br />
relevant: Repräsentiert die öffentliche<br />
Meinung die Mehrheit in der Bevölkerung? Was<br />
ist unter öffentlicher Meinung zu verstehen? Wie<br />
gestaltet sich das Wechselverhältnis zwischen<br />
öffentlicher Meinung und Medienberichterstattung?<br />
Der Beitrag thematisiert diese Fragen unter<br />
einer genuin kommunikationswissenschaftlichen<br />
und sozialpsychologischen Perspektive.<br />
Relevanz und Gegenstandsbereich<br />
„Der Demoskop, der die Schweigespirale durchbrach“. Mit<br />
dieser Schlagzeile berichtete die Tageszeitung DIE WELT<br />
vom 13.11.2016 über ein Umfrageinstitut, das entgegen der<br />
Prognosen vieler Meinungsforschungsinstitute den tatsächlichen<br />
Ausgang der US-Wahl deutlich präziser vorhersagte.<br />
Ermöglicht wurde dies durch ein Vertrauensverhältnis zwischen<br />
den Befragten und Interviewern, das die Scheu der<br />
Trump-Wähler verringerte: „Menschen fürchten sich vor der<br />
Isolation, wenn sie zu Parteien oder Kandidaten neigen, die<br />
von Medien und herrschender Meinung abgelehnt werden.<br />
Das führt dann zwar nicht zur Änderung des Wahlverhaltens,<br />
aber zur Unaufrichtigkeit bei Umfragen.“ (Graw 2016: 1). Die<br />
Bereitschaft von Menschen, ihre Meinung öffentlich zu äußern<br />
und damit mit der eigenen Position für andere sichtbar<br />
zu sein, hängt u.a. von der Einschätzung des vorherrschenden<br />
Meinungskl<strong>im</strong>as ab. Die öffentliche Meinung übt dabei<br />
Druck in Form von sozialer Kontrolle auf den Einzelnen aus.<br />
Den Zusammenhang, die eigene Position in Abhängigkeit<br />
vom eingeschätzten Meinungskl<strong>im</strong>a zu äußern, hat die deutsche<br />
Demoskopin und Kommunikationswissenschaftlerin<br />
Elisabeth Noelle-Neumann (1916-2010) mit der Theorie der<br />
Schweigespirale untersucht.<br />
Die Diskussion um die öffentliche Meinung in einer Gesellschaft<br />
erlebt vor dem Hintergrund aktueller politischer<br />
Ereignisse und Umbrüche eine Renaissance. In vielen alltäglichen<br />
Gesprächen, in Diskussionsforen sozialer Communities<br />
oder Userkommentaren in Tages- und Wochenzeitungen<br />
wird häufig konstatiert, dass sich die Meinung der<br />
Bevölkerung in der Medienberichterstattung nur bedingt<br />
widerspiegelt. Die Berichterstattung über die Flüchtlingskrise,<br />
die Beurteilung von Protestbewegungen wie Pegida, die<br />
Einschätzung der Medien zum Brexit oder zum Wahlkampf<br />
in den USA mögen als aktuelle Beispiele dienen. Der Beitrag<br />
skizziert vor diesem Hintergrund, was aus Sicht der Kommunikationswissenschaft<br />
unter Öffentlichkeit und dem daraus<br />
abgeleiteten Begriff der öffentlichen Meinung verstanden<br />
wird. Er diskutiert fernerhin, wie sich die Entstehung der<br />
öffentlichen Meinung sozialpsychologisch erklären lässt.<br />
Die Anwendung dieser Erkenntnisse mündet in der Darstellung<br />
der Theorie der Schweigespirale, die sich mit der Wirkung<br />
von Massenmedien auf das öffentliche Meinungskl<strong>im</strong>a<br />
beschäftigt. Anwendungsfelder dieser Theorie sind allgemein<br />
gesellschaftlich oder moralisch kontroverse Themen.<br />
Eine besondere Bedeutung erlangt der Ansatz <strong>im</strong> Bereich der<br />
politischen Kommunikation, da hier moralisch aufgeladene<br />
oder kontroverse Themen häufig auftreten.<br />
Öffentliche Meinung – ein schillernder Begriff<br />
Wer von Öffentlichkeit spricht, bezieht sich auf Ereignisse,<br />
Plätze oder Vorkommnisse, Aktionen der Politik, des Staates<br />
oder des Gemeinwesens, die gemeinhin für alle zugänglich<br />
und wahrnehmbar sind (Beck 2007: 99). Dies ist jedoch nicht<br />
der Kern der Bedeutung von öffentlich <strong>im</strong> Sinne der öffentlichen<br />
Meinung. Die öffentliche Meinung bezieht sich auf<br />
ein kollektives Phänomen, das über den Einzelnen hinausgeht<br />
und einen konsensualen Charakter aufweist. Unterschieden<br />
wird dabei zwischen einer manifesten und einer<br />
latenten Funktion der öffentlichen Meinung. Die manifeste<br />
Funktion besteht darin, die Bürger an der politischen Willensbildung<br />
zu beteiligen und die latente Funktion ist in der<br />
sozialen Kontrolle des Einzelnen zu sehen, der um Konsens,<br />
Konformität und gesellschaftliche Integration bemüht ist<br />
(Schulz 2011: 120). Die öffentliche Meinung lässt sich daher<br />
anschaulich mit der lateinischen Formel coram publico – in<br />
aller Öffentlichkeit – umschreiben: Jeder kann die Meinung<br />
des Einzelnen wahrnehmen, jeder kann sie beurteilen. Dies<br />
ist am ehesten in interpersonalen Situationen gewährleistet,<br />
jedoch auch in sozialen Medien (soziale Foren wie Facebook<br />
oder Microblogs wie Twitter).<br />
Eine ausführliche Begriffsgeschichte der öffentlichen Meinung<br />
hat Noelle-Neumann vorgelegt (1989, 1993). So kann<br />
die Verwendung des Begriffs der öffentlichen Meinung sowie<br />
verwandter Konzepte wie dem cl<strong>im</strong>ate of opinion seit<br />
der Antike nachgewiesen werden. Öffentliche Meinung wird<br />
hierbei <strong>im</strong> Sinne einer sozialen Kontrolle verwendet, die alle<br />
Mitglieder einer Gesellschaft einschließt. So formulierte der<br />
englische Sozialphilosoph David Hume 1739: „Regierung ist<br />
allein auf Meinung gegründet; und dies trifft zu für die despotischsten<br />
und militaristischsten Regierungen ebenso wie für<br />
die freiesten und populärsten.“ (zit. nach Noelle-Neumann<br />
1989: 82). Es handelt sich um die Zust<strong>im</strong>mung einer Gesellschaft<br />
zu den Herrschenden und dies jeweils unabhängig<br />
von der jeweiligen Regierungsform. Die öffentliche Meinung<br />
in diesem Sinne ist kein Konstrukt von artikulierenden Eliten<br />
wie beispielsweise von Journalisten, Politikern oder Experten,<br />
sondern ein ganzheitlicher, alle Mitglieder einer Gesellschaft<br />
einschließender Konformitätsdruck und damit ein<br />
Konsensus der Gesellschaft (ebd.). Die öffentliche Meinung<br />
kann dabei nicht nur das Handeln von Regierenden beeinflussen,<br />
sondern auch das Verhalten der einzelnen Bürger.
19<br />
Mit der Aufklärung <strong>im</strong> 18. Jahrhundert setzte eine Begriffserweiterung<br />
ein. Nun rücken Verstand und Rationalität des<br />
Menschen in den Fokus: Öffentliche Meinung wurde zur Meinung<br />
artikulierender, kritischer und urteilsfähiger Bürger.<br />
Die Aufklärung ist auch die Zeit, in der die Kommunikationswissenschaft<br />
<strong>im</strong> Zusammenhang mit der Herausbildung<br />
einer bürgerlichen Öffentlichkeit die Entstehung der öffentlichen<br />
Meinung datiert. Diese Auffassung findet sich bei vielen<br />
Soziologen (und Kommunikationswissenschaftlern) wieder,<br />
u.a. bei Ferdinand Tönnies, Pierre Bourdieu oder Jürgen<br />
Habermas. Insbesondere mit dem Aufkommen der Massenmedien<br />
zu Beginn des 20. Jahrhundert gewinnt die Diskussion<br />
um die öffentliche Meinung eine erneute gesellschaftliche<br />
wie auch politische Relevanz. So ist es nicht erstaunlich, dass<br />
Macht und Manipulierbarkeit <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />
öffentlicher Meinung gesehen werden.<br />
Diese Verknüpfung schlägt sich auch in der wissenschaftlichen<br />
Auseinandersetzung nieder (Beck 2007: 112 f.). So<br />
betont Karl Bücher (1847-1930), einer der Gründer der Zeitungswissenschaft,<br />
das massenpsychologische Moment der<br />
öffentlichen Meinung. Sie repräsentiert seiner Auffassung<br />
nach besonders die Gefühls- und <strong>Wissen</strong>smomente der<br />
Gesellschaft, während die Presse zur zentralen Plattform<br />
der öffentlichen Meinung wird. Gleichzeitig beeinflussen<br />
die Massenmedien – damals Zeitung und Radio – das Urteil<br />
Einzelner oder ganzer Gruppen. Der Soziologe Ferdinand<br />
Tönnies (1855-1936) unterscheidet öffentliche Meinung als<br />
Gesamtheit der öffentlich artikulierten und dabei durchaus<br />
widersprüchlichen Meinungen von der öffentlichen<br />
Meinung als einheitliche wirksame Kraft und Ausdruck der<br />
politischen Willensbest<strong>im</strong>mung. Er verbindet das Konzept<br />
der öffentlichen Meinung mit der Metapher der klassischen<br />
Aggregatzustände: So umfasst die feste öffentliche Meinung<br />
langfristige und stabile Grundüberzeugungen einer Gesellschaft,<br />
während sich die flüssige öffentliche Meinung auf<br />
Gruppen- und Partikularinteressen bezieht und sich durchaus<br />
<strong>im</strong> Widerspruch zur festen öffentlichen Meinung befinden<br />
kann.<br />
Aus den Überlegungen von Tönnies können zwei wichtige<br />
Bedingungen extrahiert werden, die auch in der gegenwärtigen<br />
Diskussion eine bedeutende Rolle spielen: Zum einen<br />
ist die öffentliche Meinung niemals statisch, sondern <strong>im</strong>mer<br />
in Bewegung und Ausdruck unterschiedlicher Interessen.<br />
Zum anderen kann die öffentliche Meinung durchaus<br />
Minderheitsansichten einzelner Gruppen umfassen, die sich in<br />
öffentlichen Arenen besonders stark artikulieren. Bereits<br />
Tönnies erkannte die von der öffentlichen Meinung ausgehende<br />
soziale Macht: „Die öffentliche Meinung tritt <strong>im</strong>mer<br />
mit dem Anspruch auf, maßgebend zu sein, sie heischt<br />
Zust<strong>im</strong>mung und macht wenigstens das Schweigen, das<br />
Unterlassen des Widerspruchs zur Pflicht. Mit mehr oder<br />
weniger Erfolg; je vollkommener der Erfolg, umso mehr<br />
bewährt sie sich als die öffentliche Meinung, trotz des mehr<br />
oder minder zum Schweigen gebrachten Widerspruchs.“<br />
(Tönnies 1922: 138, zit. nach Holtz-Bacha & Kutsch 2002:<br />
427).<br />
Die Ausführungen zum Begriff der öffentlichen Meinung zeigen,<br />
dass unterschiedliche Auffassungen hiervon existieren.<br />
Einerseits gibt es die originäre, seit der Antike existierende<br />
Bedeutung von öffentlicher Meinung in Form des Konsenses<br />
einer Gesellschaft; andererseits die seit der Aufklärung<br />
gern unter öffentlicher Meinung verstandene Auffassung als<br />
Artikulation und Themensetzung von Eliten, Journalisten<br />
und Intellektuellen in den Medien. Mitunter wird daher die<br />
in den Medien präsentierte Meinung als öffentliche Meinung<br />
bezeichnet. Diese Position findet sich bei Karl Bücher, aber<br />
auch häufig in der aktuellen Diskussion. Hierbei handelt es<br />
sich jedoch um die veröffentlichte Meinung einzelner Gruppen.<br />
Aufmerksamkeit in der medialen Arena erhalten prominente<br />
Politiker, Institutionen und Akteure wie Experten<br />
oder Journalisten. Da ihnen Medien eine große Reichweite<br />
verleihen und von vielen in der Gesellschaft zur Kenntnis<br />
genommen werden, sind sie ein einflussreicher Bestandteil<br />
der öffentlichen Meinung (Schulz 2011: 119). Man muss<br />
jedoch deutlich unterscheiden zwischen der veröffentlichten<br />
Meinung, also der Medienberichterstattung, und der öffentlichen<br />
Meinung als Konsens einer Gesellschaft. Beide müssen –<br />
wie noch gezeigt wird – nicht kongruent sein.<br />
Isolationsfurcht – die Macht des sozialen Einflusses<br />
Wie kann die Summe individueller Meinungen zu einer<br />
öffentlichen Meinung und damit zu einer politischen Kraft<br />
werden? Diese Frage greift Noelle-Neumann gut ein halbes<br />
Jahrhundert nach Tönnies mit dem Gedanken der sozialen<br />
Kontrolle auf. Hierbei ist es sinnvoll, die Bildung der öffentlichen<br />
Meinung unter dem Blickwinkel der Sozialpsychologie<br />
zu diskutieren, insbesondere unter der Macht sozialer Einflüsse.<br />
Unter diesem Blickwinkel beschäftigt man sich mit<br />
der individuellen Auffassung von öffentlicher Meinung und<br />
bezieht sich somit auf das statistische Aggregat individueller<br />
Meinungen in der Bevölkerung, wie es beispielsweise durch<br />
repräsentative Befragungen ermittelt wird. Die Meinungsforschung<br />
ist hier ein wichtiges Instrument zur Messung der<br />
öffentlichen Meinung <strong>im</strong> Sinne der Bevölkerungsmeinung.<br />
Aus dieser Perspektive rückt die soziale Natur des Menschen<br />
in das Zentrum des Erkenntnisinteresses und seine mit der<br />
Gesellschaft empfundene Übereinst<strong>im</strong>mung hinsichtlich ihrer<br />
Werte, Ziele und St<strong>im</strong>mungen.<br />
Zentraler Bestandteil ist das Konstrukt der Isolationsfurcht<br />
des Menschen. Isolationsfurcht bezeichnet die Tendenz, wonach<br />
Menschen ungern eine widersprechende Position zur<br />
Mehrheitsmeinung einnehmen. Um sich nicht als Außensei-
20<br />
ter sozial isoliert zu fühlen, beobachten Menschen ihre Umwelt.<br />
Das können die Meinungen der Mitmenschen sein, aber<br />
auch die Positionen, die in den Medien artikuliert werden.<br />
Individuelle Meinungen müssen sich in der Öffentlichkeit<br />
bewähren, werden sanktioniert oder unterstützt. Vor diesem<br />
Öffentlichkeitsdruck versuchen sich Menschen zu schützen<br />
und entwickeln ein „wachsames Bewusstsein für Öffentlichkeit“<br />
(Noelle-Neumann 1989: 86). Die Öffentlichkeit bildet<br />
somit eine Sphäre, „in dem der Einzelne zu beobachten<br />
versucht, mit welchen Einstellungen und Verhalten er sich<br />
‚richtig’ verhält, akzeptiert, gebilligt wird.“ (ebd.). Daraus<br />
erwächst eine Beobachtungsleistung des Einzelnen in der<br />
Gesellschaft. Diese Leistung wird als quasi-statistische Wahrnehmung<br />
bezeichnet und billigt damit auch dem Menschen<br />
<strong>im</strong> Alltag wissenschaftsanaloge Leistungen zu. Dazu zählen<br />
das Abschätzen von Mehrheits- und Minderheitspositionen,<br />
Verallgemeinerungen von Beobachtungen oder das Herstellen<br />
von Bedingungs- und Kausalzusammenhängen (Tennert<br />
<strong>2017</strong> <strong>im</strong> Druck). In funktioneller Hinsicht besitzen solche<br />
Leistungen eine Orientierungs- und Handlungsfunktion<br />
(Hierdeis & Hug 1997: 90), indem sie Ereignisse und Handlungen<br />
erklären, voraussagen, begründen und auch legit<strong>im</strong>ieren.<br />
Sie sind somit Antworten auf den Orientierungs- und<br />
Handlungsdruck in Alltagssituationen.<br />
Das Phänomen der Isolationsfurcht lässt sich nun sozialpsychologisch<br />
einordnen. Danach wird das Verhalten von<br />
Menschen maßgeblich durch ihr soziales Umfeld beeinflusst.<br />
Soziale Normen und Erwartungen spielen hierbei eine entscheidende<br />
Rolle. In allen Gruppenkonstellationen (von<br />
der Kleingruppe bis hin zur Gesellschaft) existieren mehr<br />
oder minder explizit verschiedene Verhaltensstandards.<br />
Es gibt in diesen Gruppenkonstellationen eine Uniformität<br />
hinsichtlich best<strong>im</strong>mter Verhaltensweisen, die alle oder die<br />
meisten Gruppenmitglieder zeigen. Verletzt jemand diese<br />
Norm – zum Beispiel durch das Äußern kritischer oder unerwünschter<br />
politischer Ansichten – lassen sich negative Konsequenzen<br />
(der sogenannte Gruppendruck) gegenüber dem<br />
Abweichler beobachten. Angesichts der Tatsache, dass soziale<br />
Kontakte zu den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen<br />
zählen, verhalten sich Menschen mehr oder minder<br />
konform, um akzeptiert oder gemocht zu werden (normativer<br />
Einfluss) und aus dem Bedürfnis heraus, Recht zu haben<br />
(informationaler Einfluss). Normativ n<strong>im</strong>mt Konformität als<br />
Mehrheitseinfluss vor allem dann zu, wenn man mit Menschen<br />
oder der Mehrheit direkt konfrontiert ist und ist bei<br />
Anonymität oder in Situationen, in denen nur aggregierte<br />
Daten über die Einstellung einer Population vorliegen (z.B.<br />
über Meinungsumfragen), schwächer ausgeprägt (Hewstone<br />
& Martin 2014: 287). Informational n<strong>im</strong>mt Konformität dann<br />
zu, wenn die Informationsquelle glaubwürdig und fachlich<br />
kompetent ist (z.B. durch die Anwesenheit von Experten).<br />
Konformes Verhalten kann sich in verschiedenen Ausprägungen<br />
zeigen. So übernehmen Menschen beispielsweise<br />
die Meinungen anderer, um nicht aufzufallen, wenn sie sich<br />
für die eigene Position nicht rechtfertigen müssen oder keine<br />
Schwierigkeiten haben möchten. Diese Verhaltenstendenz<br />
hat bereits Asch (1951) in seinem berühmten Strecken-<br />
Exper<strong>im</strong>ent zum Einfluss des Gruppendrucks belegt. Jedoch<br />
können auch Minderheiten einen großen Einfluss auf die<br />
Mehrheit ausüben. In vielen politischen Bewegungen waren<br />
es Minderheiten, die sich als gesellschaftliche Innovatoren erweisen.<br />
Minderheitspositionen sind distinkt und können aufgrund<br />
der Unterscheidbarkeit zur Mehrheit Konflikte auslösen<br />
(Stichwort: Protestbewegungen). Da Menschen Konflikte üblicherweise<br />
gern vermeiden, werden sie Minderheitenpositionen<br />
oft diskreditieren und mit Attributen wie verzerrt, provokant<br />
oder postfaktisch versehen. Hewstone & Martin (2014:<br />
289) halten fest, dass politische Strömungen, die sich von einer<br />
Randposition der Politik in Richtung Mainstream bewegt<br />
haben, häufig von der Mehrheit belächelt und abgelehnt wurden,<br />
bevor ihre Auffassungen allgemein akzeptiert waren.<br />
Übertragen auf die politische Kommunikation zeigen sich<br />
Zeichen des Siegerbewusstseins des Meinungslagers, das<br />
sich durchsetzt; andererseits defensive Verhaltensweisen des<br />
Lagers, das in der Auseinandersetzung um die öffentliche Meinung<br />
an Boden verliert und schließlich diejenigen die schweigen,<br />
um sich nicht gesellschaftlich zu isolieren. Von einer<br />
öffentlichen Meinung kann man erst dann sprechen, wenn<br />
sich ein (Meinungs-)Lager so durchgesetzt hat, dass man in<br />
der Öffentlichkeit nicht mehr dagegen sprechen kann, ohne<br />
Gefahr sich zu isolieren und an den Medienpranger gestellt zu<br />
werden (Noelle-Neumann 1989: 92); dies führt auch zu folgender<br />
operationalen Definition von öffentlicher Meinung: Meinungen,<br />
die man bei „flüssigem Aggregatzustand“ (Tönnies)<br />
äußern kann (Hervorhebung F.T.), ohne sich zu isolieren, bei<br />
„festem Aggregatzustand“ äußern muss (Hervorhebung F.T.),<br />
wenn man nicht isoliert werden will (ebd.).<br />
Es ist allerdings nicht so, dass Menschen in jeder Situation<br />
konformes Verhalten zeigen. So haben verschiedene intervenierende<br />
Faktoren Einfluss auf Stärke und Auftreten der<br />
Konformität. Zu nennen sind hier u.a. die Konsonanz in der<br />
Gruppe (mehr Abweichler führen zu einer geringeren Konformität),<br />
die Gruppengröße, die soziale Unterstützung für einen<br />
Abweichler oder auch kulturelle Aspekte. Vor allem der Aspekt<br />
der sozialen Unterstützung ist hier bedeutsam, da sie die<br />
Konformität verringert. Der Wert der sozialen Unterstützung<br />
ist darin zu sehen, dass er eine valide und unabhängige Einschätzung<br />
der Realität liefert („gültige Informationsquelle“<br />
als Meinungsführer in einer Gruppe). In jüngster Zeit wird<br />
zudem auf den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit<br />
und Konformität hingewiesen (Hewstone & Martin 2014: 287;<br />
Kandler & Riemann 2015: 54 ff.).
21<br />
Die Theorie der Schweigespirale<br />
Die Theorie der Schweigespirale erklärt nun, wie sich die<br />
öffentliche Meinung verändert. Der theoretische Ansatz verbindet<br />
Aspekte der Individualpsychologie und der Sozialpsychologie<br />
(Isolationsfurcht und Umweltwahrnehmung)<br />
mit Gedanken der politischen Meinungsbildung. Ein Kernbestandteil<br />
der Theorie ist, dass Menschen ihre interpersonale<br />
wie medienvermittelte Umwelt beobachten und einschätzen,<br />
welche Mehrheitsmeinungen vorherrschen. Sehen<br />
sie sich bei gesellschaftlich oder moralisch relevanten Themen<br />
<strong>im</strong> Widerspruch zur öffentlichen Mehrheitsmeinung,<br />
schweigen sie mit ihrer Meinung in der Öffentlichkeit, um<br />
sich sozial nicht zu isolieren (Kepplinger 2016: 173). Dadurch<br />
erscheint ihr Meinungslager schwächer als es tatsächlich ist.<br />
So setzt sich die Schweigespirale in Gang und entscheidet,<br />
welche Meinung sich öffentlich durchsetzt. Noelle-Neumann<br />
verweist darauf, dass in allen Kulturen starke Mechanismen<br />
existieren, die Menschen zum Schweigen bringen. Das kann<br />
durch tabuisierte Themen und Positionen oder in Form der<br />
political correctness geschehen: „Im Raum der politischen<br />
Kommunikation gewinnt man mit der Beobachtung von<br />
politischen Tabus, Themen oder Vorschriften der political<br />
correctness einen wichtigen Anhaltspunkt, wo die ungelösten<br />
Probleme einer Gesellschaft liegen“ (Noelle-Neumann<br />
1989: 87).<br />
In welchen Situationen gibt es eine Verhaltensanpassung <strong>im</strong><br />
Sinne der Konformität? Die öffentliche Meinung setzt sich<br />
nicht durch sachliche Argumente durch, sondern über die<br />
moralische Aufladung eines Themas. Nur über Werte und<br />
Gefühle lässt sich eine wirksame Isolationsbedrohung gegen<br />
das andere Lager mobilisieren und eine Schweigespirale in<br />
Gang setzen. Die Objekte der Politisierbarkeit oder Thematisierbarkeit<br />
können gänzlich unterschiedlich sein; relevant<br />
ist, dass es sich um moralisch beladene und kontroverse<br />
Themen (moralische Werte oder kulturelle Normen) handelt.<br />
Im Verhältnis der veröffentlichten Meinung, also der Medienberichterstattung,<br />
und der öffentlichen Meinung kann es<br />
ganz unterschiedliche Konstellationen geben. Besonders interessant<br />
wird es, wenn der veröffentlichte Medientenor und<br />
die Bevölkerungsmeinung weit auseinanderfallen, so wie<br />
dies seit Sommer 2015 für das Thema Flüchtlingskrise konstatiert<br />
werden kann. Auf der einen Seite gab es eine (weitgehend)<br />
unkritische Berichterstattung etablierter Medien<br />
zur sogenannte „Willkommenskultur“ (Haller 2016), auf der<br />
anderen Seite den Unmut in vielen Teilen der Bevölkerung<br />
über eben diese einseitig-positive Berichterstattung. Hier<br />
liegt eine klassische Konstellation für die Entstehung der<br />
Schweigespirale vor, eine konsonante Berichterstattung in<br />
den reichweitenstarken Medien und eine dissonante Bevölkerungsmeinung.<br />
Unter diesen Strukturbedingungen äußern<br />
sich viele in der Bevölkerung nicht mehr: „Das Ergebnis ist<br />
dann in der Regel eine schweigende Mehrheit (Hervorhebung<br />
F.T.); denn ohne die St<strong>im</strong>mführerschaft der Medien kann<br />
sich die Bevölkerung nicht artikulieren. Aber auf lange Sicht<br />
setzt sich unter solchen Umständen auch der Medientenor<br />
nicht durch.“ (Noelle-Neumann 1989: 83). Die schweigende<br />
Mehrheit verfällt dabei jedoch nicht in völlige Sprachlosigkeit,<br />
sondern die Diskussion über politische Themen vollzieht<br />
sich abseits der etablierten Medien; zu nennen sind hier<br />
soziale Medien, öffentliche Protestforen oder die politische<br />
Diskussion <strong>im</strong> privaten – und damit geschützten – Raum.<br />
Die Medien leisten einen wichtigen Beitrag zum öffentlichen<br />
Meinungskl<strong>im</strong>a. Nach Noelle-Neumann ist die Wirksamkeit<br />
eines Mediums umso stärker, je weniger es den schützenden<br />
Mechanismus der selektiven Wahrnehmung zulässt.<br />
Das trifft maßgeblich auf das Fernsehen als nach wie vor<br />
reichweitenstarkes Medium zur politischen Information der<br />
Bevölkerung zu.<br />
Person A<br />
Person B<br />
Eigene Meinung<br />
zum Thema x<br />
konsonant<br />
dissonant<br />
keine Isolationsfurcht<br />
Isolationsfurcht<br />
hohe Redebereitschaft<br />
geringe Redebereitschaft<br />
Wahrnehmung der<br />
Umweltmeinung<br />
zum Thema x<br />
Wahrnehmung der<br />
Umweltmeinung zum<br />
Thema x<br />
Mehrheitsmeinung<br />
Gegenwärtige<br />
Zukunftseinschätzung<br />
direkte<br />
Umweltwahrnehmung<br />
Massenmedien<br />
Zeitpunkt t1<br />
Zeitpunkt t2<br />
Abbildung 1: Schematische Darstellung der Schweigespirale (Quelle: Haferkamp, N., S. 275)
22<br />
Das starke Wirkungspotenzial der Medienberichterstattung<br />
kann durch drei Faktoren erklärt werden:<br />
Z Kumulation als Wiederholung von politischen Botschaften<br />
(bedingt durch die Periodizität und die Agenda-<br />
Setting-Funktion der Medien).<br />
Z Konsonanz bezieht sich auf die bewertungsmäßige<br />
Ähnlichkeit der publizistischen Aussagen, die sich durch<br />
die selektive Auswahl anhand von Nachrichtenfaktoren<br />
und/oder den politischen Präferenzen/Einstellungen der<br />
Journalisten ableiten.<br />
Z Öffentlichkeitseffekt bezieht sich auf den Umstand, dass<br />
jeder weiß, dass alle eine Botschaft durch die Medien<br />
sehen, hören und erfahren können.<br />
Der sich selbst verstärkende Prozess der Schweigespirale<br />
basiert auf der gegenseitigen Abhängigkeit der Stärke der<br />
wahrgenommenen Mehrheitsmeinung und der vom Individuum<br />
geübten Selbstzensur. Je dominanter die vermeintliche<br />
Mehrheitsmeinung eingeschätzt wird, desto eher<br />
wird Selbstzensur geübt, falls man abweichender Meinung<br />
ist. Durch das Schweigen verstärkt sich für andere der Eindruck,<br />
dass es keine abweichende Meinung gibt, und als<br />
Folge wird die Mehrheitsmeinung stärker eingeschätzt.<br />
Zeitgleich n<strong>im</strong>mt die interpersonale Unterstützung ab, eine<br />
abweichende Meinung zu vertreten. Der Einfluss der Medien<br />
bleibt hingegen konstant und spielt für das Ingangsetzen<br />
des Schweigespiralprozesses eine entscheidende Rolle.<br />
Die Medien können entsprechend der theoretischen Annahme<br />
eine effektive Minderheitenmeinung als Mehrheitsmeinung<br />
darstellen und so zu einem Umschwung der öffentlichen<br />
Meinung führen (Bonfadelli & Friemel 2015: 237).<br />
Die Kernelemente der Theorie der Schweigespirale lassen<br />
sich wie folgt zusammenfassen (Kepplinger 2016: 176 f.):<br />
Z Isolation droht nur bei Meinungen und Verhaltensweisen,<br />
die moralisch und emotional bedeutsame<br />
Werte und Meinungen anderer Menschen infrage stellen<br />
(Meinungskl<strong>im</strong>a).<br />
Z Um Isolation zu vermeiden, beobachten Menschen –<br />
mehr oder minder unbewusst – ihre soziale Umwelt<br />
(quasi-statistische Wahrnehmung der Öffentlichkeit).<br />
Z Bei diesem Beobachtungsprozess stützen sich Menschen<br />
auf zwei Quellen: erstens Beobachtungen von Personen<br />
in der sozialen Umwelt und zweitens Beobachtungen in<br />
den Medien (bspw. Fernsehen, aber auch Tageszeitungen,<br />
Social-Media-Diskurse). Beide können ähnlich oder voneinander<br />
abweichend sein (doppeltes Meinungskl<strong>im</strong>a).<br />
Z Menschen, die <strong>im</strong> Einklang mit dem öffentlichen<br />
Meinungskl<strong>im</strong>a stehen, artikulieren ihre Sichtweisen<br />
häufiger als Personen, die <strong>im</strong> Widerspruch dazu stehen.<br />
Z Als Folge des unterschiedlichen öffentlichen Engagements<br />
erscheint das Lager der tatsächlichen (oder vermeintlichen)<br />
Mehrheitsmeinung (Meinungskl<strong>im</strong>a) größer<br />
als es tatsächlich ist. Daher kann auch eine Minderheitenmeinung<br />
als Mehrheitsmeinung erscheinen.<br />
Z Im Falle eines doppelten Meinungskl<strong>im</strong>as setzt sich der<br />
Medientenor gegen die gegebene Mehrheitsmeinung in<br />
der Bevölkerung durch.<br />
Methodik zur Untersuchung des Meinungskl<strong>im</strong>as und<br />
der Schweigespirale<br />
Die gesellschaftliche und politische Wirkung erreicht die<br />
öffentliche Meinung dadurch, dass sie als soziale Realität<br />
wahrgenommen wird und als Grundlage des individuellen<br />
Handelns dient. Die öffentliche Meinung geht in Form von<br />
Annahmen über die Meinung anderer oder der Mehrheit in<br />
die individuelle Situationsdefinition ein. Diese Annahmen<br />
resultieren <strong>im</strong> Alltagsleben aus der sozialen Interaktion mit<br />
anderen Personen (individuelle Wahrnehmung des Umfeldes).<br />
Wie lässt sich nun die soziale Realität des Meinungskl<strong>im</strong>as<br />
empirisch untersuchen? Die empirische Umsetzung<br />
erfolgt über eine Kombination aus Befragung (Erfassung von<br />
Meinungen der Bevölkerung zu einem politischen Thema)<br />
und Inhaltsanalyse (Untersuchung der Medienberichterstattung<br />
zu ebendiesem Thema).<br />
Die erste Quelle sind Befragungen (Trend- oder Panelbefragungen)<br />
über Meinungsverteilungen in der Bevölkerung.<br />
Damit kann das statistische Aggregat individueller Meinungen<br />
für die Herausbildung einer öffentlichen Meinung abgebildet<br />
werden. Die Bevölkerung wird mit geeigneten Fragen<br />
über das wahrgenommene Meinungskl<strong>im</strong>a zum Sprechen<br />
gebracht. Hierfür kommen verschiedene Instrumente zum<br />
Einsatz, um die individuelle Einschätzung des Meinungskl<strong>im</strong>as,<br />
die eigene Position zu einem kontroversen Thema und<br />
die Redebereitschaft gegenüber anderen zu ermitteln. Eine<br />
besondere Bedeutung hat die Erfassung der öffentlichen Redebereitschaft<br />
(Isolationsfurcht). Durch einen Test wird ermittelt,<br />
ob Personen sich zu einem gesellschaftlich kontroversen<br />
und/oder moralisch aufgeladenen Thema öffentlich äußern<br />
wollen (sogenannter Eisenbahntest). Die Interview-frage hierfür<br />
lautet: Angenommen, Sie unternehmen eine Eisenbahnfahrt<br />
und jemand <strong>im</strong> Abteil beginnt damit, zugunsten eines<br />
best<strong>im</strong>mten politischen Themas zu sprechen. Möchten Sie<br />
mit dieser Person sprechen?) (Schenk 2007: 537 und 562 ff.).<br />
Kernelemente der Befragung zur Überprüfung der Theorie<br />
sind folgende Fragen:<br />
Z eigene Meinung zu einem kontroversen Thema mit<br />
moralischer Aufladung,<br />
Z wahrgenommene Mehrheitsmeinung,<br />
Z Bereitschaft zur öffentlichen Diskussion über ein Thema<br />
sowie<br />
Z Fragen zur moralischen Aufladung eines Themas.
23<br />
Die Erfassung dieser Kernelemente zeigt, ob die notwendigen<br />
Bedingungen für die Anwendung der Theorie der<br />
Schweigespirale gegeben sind. Die zu prüfende Annahme<br />
lautet hierfür: Wer sich in Opposition zur Mehrheitsmeinung<br />
befindet, ist weniger zur öffentlichen wie interpersonalen<br />
Diskussion bereit als diejenigen, die die Mehrheitsmeinung<br />
auf ihrer Seite sehen. Um diese Annahme zu prüfen, wird<br />
die Redebereitschaft respektive Schweigeneigung (s.o.) der<br />
Befragten ermittelt.<br />
Die veröffentlichte Meinung politischer Akteure wie auch die<br />
von den Medien selbst (Kommentare etc.) geäußerten Positionen<br />
(Themensetzung, Framing politischer Ereignisse) sind<br />
wichtige Quellen zur Einschätzung der jeweils herrschenden<br />
Meinung (Schulz 2011: 121). Da Medien ein wichtiger<br />
Bestandteil der Theorie sind, muss zusätzlich als zweite<br />
Quelle die Medienberichterstattung analysiert werden. Dies<br />
erfolgt in Form einer Inhaltsanalyse, um die Themen und<br />
deren Bewertung in der politischen Berichterstattung zu<br />
untersuchen. Erst durch die Kombination beider empirischer<br />
Methoden lässt sich zeigen, ob und in welcher Intensität<br />
die Wahrnehmung der Mehrheitsmeinung auf dem<br />
Medientenor oder der sozialen Umgebung beruht (Kepplinger<br />
2016: 177).<br />
Vermutete Wahlsieger<br />
März Juli September<br />
n=1.052 n=925 n=1.005<br />
CDU/CSU 47% 40% 36%<br />
SPD/FDP 27% 33% 39%<br />
unentschieden/w.n. 26% 27% 25%<br />
Total 100% 100% 100%<br />
Nutzung politischer Fernsehsendungen<br />
häufig<br />
selten<br />
März Juli März Juli<br />
n=175 n=175 n=118 n=118<br />
CDU/CSU 47% 34% 36% 38%<br />
SPD/FDP 32% 42% 24% 25%<br />
unentschieden/w.n. 21% 24% 40% 37%<br />
Total 100% 100% 100% 100%<br />
Bevölkerungsgruppen<br />
Rezipienten<br />
Journalisten<br />
CDU/CSU 40 10<br />
SPD/FDP 33 76<br />
unentschieden/w.n. 27 14<br />
Total 100% (n=1.256) 100% (n=100)<br />
Abbildung 2: Empirische Ergebnisse der Initialuntersuchung zur Theorie der<br />
Schweigespirale (Quelle: Bonfadelli, H. & Friemel, T. N., S. 236)<br />
Empirische Forschung und kritische Würdigung<br />
Eine wichtige Initialzündung zur empirischen Untersuchung<br />
der Theorie der Schweigespirale war der Bundestagswahlkampf<br />
1976. Noelle-Neumann konnte zeigen, dass das Fernsehen<br />
entscheidend zum Sieg der linksliberalen Koalition<br />
beigetragen hat. Danach haben übereinst<strong>im</strong>mende politische<br />
Orientierungen der Fernsehjournalisten zu einer wirklichkeitsverzerrenden,<br />
für die Linkskoalition begünstigenden Berichterstattung<br />
geführt. Dieses medienvermittelte Meinungskl<strong>im</strong>a<br />
habe vor allem bei den Intensivnutzern des Fernsehens<br />
dazu geführt, dass diese ihre politische Haltung nicht mehr<br />
öffentlich geäußert hätten. Die so in Gang gesetzte Schweigespirale<br />
habe letztlich zu einem Umschwung der politischen<br />
Einstellungen geführt (Bonfadelli & Friemel 2015: 237).<br />
Neben den Untersuchungen zur Bundestagswahl 1976 ist<br />
ein anschauliches Beispiel die Analyse über die öffentliche<br />
Meinungsbildung zur Atomenergie. Hier lagen für einen Zeitraum<br />
von über zehn Jahren (1977-1988) sowohl Daten aus<br />
Befragungen als auch aus Inhaltsanalysen vor. Die Inhaltsanalysen<br />
belegten <strong>im</strong> Untersuchungszeitraum eine ansteigende<br />
Publizität des Themas Atomenergie bei gleichzeitig<br />
negativer Bewertung durch die Journalisten. Nach der Interpretation<br />
von Noelle-Neumann bedeutet dies, dass sich ein<br />
Großteil der deutschen Bevölkerung mit seinen Einstellungen<br />
am Meinungskl<strong>im</strong>a der Massenmedien orientierte. Bei<br />
Atomenergie-Gegnern nahm die Redebereitschaft zu, denn<br />
sie hatten das öffentliche Meinungskl<strong>im</strong>a auf ihrer Seite.<br />
Anders verhielt es sich mit den Atomenergie-Befürwortern.<br />
Noelle-Neumann konnte an diesem Beispiel auch zeigen,<br />
dass es einen harten Kern von Personen gibt, die ihre Meinungen<br />
vertreten, obwohl sie <strong>im</strong> Widerspruch zur Mehrheit<br />
stehen (Haferkamp 2008: 276 f.). Die Adaption der Theorie<br />
auf weitere Politikfelder sowie der interkulturelle Vergleich<br />
zeigten, dass diejenigen, die der Meinungsmehrheit angehörten,<br />
auch redebereiter waren als Vertreter der Minoritätenmeinung.<br />
In interkulturellen Tests der Schweigespirale<br />
zeigte sich jedoch auch, dass nicht nur die Isolationsfurcht<br />
für eine verringerte Redebereitschaft verantwortlich ist, sondern<br />
auch ein Streben nach kollektiver Harmonie (ebd.).<br />
Die Theorie der Schweigespirale hatte von Beginn an eine<br />
kontroverse öffentliche Diskussion ausgelöst. Noelle-<br />
Neumann führte be<strong>im</strong> Bundestagswahlkampf 1976 die Meinungsänderung<br />
der Fernsehintensivnutzer auf eine entsprechende<br />
Fernsehberichterstattung zurück, die sie durch die<br />
einseitige politische Ausrichtung der Journalisten erklärte.<br />
Dieser Befund zog eine intensive (teilweise polemische)<br />
Diskussion zur politischen Ausrichtung der öffentlich-rechtlichen<br />
Rundfunkanstalten nach sich. Die wissenschaftlich<br />
orientierte Kritik betraf hingegen die theoretische Annahme<br />
der Isolationsfurcht des Menschen, die Operationalisierung<br />
des Meinungskl<strong>im</strong>as und deren Messung sowie die Rede-
24<br />
bereitschaft in der Öffentlichkeit. Im Verlauf der wissenschaftlichen<br />
Diskussion wurde deutlich, dass einzelne Komponenten<br />
der Theorie erfolgreich geprüft werden konnten. In<br />
ihrer Gesamtheit lässt sich die Theorie aufgrund der hohen<br />
Komplexität allerdings nur schwer empirisch überprüfen<br />
(Schenk 2007: 566 ff.; Haferkamp 2008: 275 ff.; Kepplinger<br />
2016: 180).<br />
Zusammenfassung und Ausblick<br />
Trotz der einzelnen theoretischen wie methodischen Einwände<br />
kommt dem Ansatz bei der Erklärung sozialpsychologischer<br />
Phänomene zur Entstehung der öffentlichen<br />
Meinung eine hohe Bedeutung zu. Eine hohe Aufmerksamkeit<br />
erlangte die Theorie der Schweigespirale auch, weil sie<br />
einen methodischen Weg aufzeigt, das kollektive Phänomen<br />
der öffentlichen Meinung <strong>im</strong> Rahmen der individualistischen<br />
Umfrageforschung zu operationalisieren. Angesichts<br />
der hohen Übereinst<strong>im</strong>mung zwischen Medientenor und<br />
Bevölkerungsmeinung bei vielen politischen Themen ist die<br />
Gleichsetzung von veröffentlichter und öffentlicher Meinung<br />
naheliegend. Für die wissenschaftliche Bearbeitung ist es<br />
jedoch essenziell, die sozialpsychologischen Randbedingungen<br />
der öffentlichen Meinung und damit die Macht sozialer<br />
Einflüsse für das Funktionieren einer Demokratie zu erkennen.<br />
Die Theorie der Schweigespirale kann daher als allgemeine<br />
Theorie sozialer Integrationsmechanismen bzw. als<br />
sozialpsychologische Fundierung normativer Demokratietheorien<br />
betrachtet werden (Kepplinger 2016: 178).<br />
Die zentrale Bedeutung der öffentlichen Meinung für eine<br />
funktionierende Demokratie lässt sich anhand der folgenden<br />
Kriterien veranschaulichen: Erstens lässt sich dies verknüpfen<br />
mit der Frage nach der Chancengleichheit und den<br />
Artikulationsmöglichkeiten verschiedener politischer Lager<br />
in der Öffentlichkeit. Relevant ist zweitens der Einfluss der<br />
politischen Orientierung von Journalisten auf die Berichterstattung<br />
und damit auf die Selektion und Aufbereitung<br />
von Themen und deren Einordnung (Framing). Drittens sind<br />
Diskrepanzen zwischen der öffentlichen Meinung und der<br />
Medienberichterstattung für die Prägung des Meinungskl<strong>im</strong>as,<br />
für das Kommunikationsverhalten <strong>im</strong> öffentlichen<br />
Raum ein grundlegender Bestandteil politischer Diskurskultur<br />
und Teilhabe. Verlagert sich das Reden über konflikthaltige<br />
Themen von der öffentlichen Sphäre und den<br />
sozialen Netzwerken zunehmend in den privaten Raum,<br />
treten öffentliches Schweigen und Konformität stärker in<br />
den Vordergrund.<br />
Jenseits der individual- und sozialpsychologischen Bedingungen<br />
für Redebereitschaft und Konformität tragen auch<br />
Entwicklungen in den Medien zu veränderten Strukturbedingungen<br />
der öffentlichen Meinung bei. Die Darstellung<br />
politischer Themen auf unterschiedlichen Internetplattformen<br />
jenseits der etablierten Massenmedien<br />
führt zu einer hochgradig selektiven Mediennutzung und<br />
Fragmentierung von Öffentlichkeit. In der Folge wird es<br />
zunehmend schwieriger, zwischen Mehrheits- und Minderheitspositionen<br />
zu unterscheiden. Zudem existieren<br />
durch die Vielzahl an Social-Media-Plattformen mehr Teilnahme-<br />
respektive Partizipationsmöglichkeiten der Nutzer,<br />
um ihre individuellen Positionen mitzuteilen. Das<br />
führt zu einem partiellen Meinungspluralismus. Zudem<br />
kann durch die (teilweise) Anonymität <strong>im</strong> Netz die Isolationsfurcht<br />
verringert werden, sodass die Schweigespirale<br />
durch multiple Öffentlichkeiten und Partizipationsmöglichkeiten<br />
in sozialen Medien schwerer in Gang kommt.<br />
Die Weiterentwicklung der Medienlandschaft führt so auch<br />
zu einer Weiterentwicklung der Theorie der Schweigespirale.
25<br />
LITERATUR<br />
Beck, K. (2007): Kommunikationswissenschaft. Konstanz:<br />
UVK.<br />
Bonfadelli, H.; Friemel, T. N. (2015): Medienwirkungsforschung.<br />
Konstanz: UVK.<br />
Graw, A. (2016): Der Demoskop, der die Schweigespirale<br />
durchbrach. In: Die Welt vom 13.11.2016.<br />
Haferkamp, N. (2008): Die Theorie der Schweigespirale. In:<br />
Krämer, N.C.; Schwan, S.; Unz, D.; Suckfüll, M. (Hrsg.): Medienpsychologie:<br />
Schlüsselbegriffe und Konzepte. Stuttgart:<br />
Kohlhammer. S. 274-278.<br />
Haller, M. (2016): Meinungsflut und Flüchtlingsstrom. http://<br />
www.hamburgmediaschool.com/forschung/forschungsbereiche/inhalte-qualitaet-und-nutzer/meinungsflut-undfluechtlingsstrom/,<br />
Zugriff: 28.10.2016).<br />
Hewstone, M.; Martin, R. (2014): Sozialer Einfluss. In: Jonas,<br />
K.; Stroebe, W.; Hewstone, M. (Hrsg.): Sozialpsychologie. Berlin,<br />
Heidelberg: Springer. S. 269-314.<br />
Hierdeis, H.; Hug, T. (1997): Pädagogische Alltagstheorien und<br />
erziehungswissenschaftliche Theorien. Heilbronn.<br />
Holtz-Bacha, C.; Kutsch, A. (Hrsg.) (2002): Schlüsselwerke in<br />
der Kommunikationswissenschaft. Opladen/Wiesbaden:<br />
Westdeutscher Verlag.<br />
Kandler, C.; Riemann, R. (2015): Persönlichkeit und Politik. In:<br />
Feldman, O.; Zmerli, S. (Hrsg.): Politische Psychologie. Handbuch<br />
für Studium und <strong>Wissen</strong>schaft. Baden-Baden: Nomos.<br />
Kepplinger, H. M. (2016): Die Schweigespirale. Öffentliche<br />
Meinung – unsere soziale Haut. In: Potthoff, M. (Hrsg.):<br />
Schlüsselwerke der Medienwirkungsforschung. Wiesbaden:<br />
Springer VS. S. 173-182.<br />
Noelle-Neumann, E. (1966): Öffentliche Meinung und soziale<br />
Kontrolle. Tübingen: Mohr Siebeck.<br />
Noelle-Neumann, E. (1989): Öffentliche Meinung. In: Jarren,<br />
O.; Sarcinelli, U.; Saxer, U. (Hrsg.): Politische Kommunikation<br />
in der demokratischen Gesellschaft. Opladen/Wiesbaden:<br />
Westdeutscher Verlag. S. 81-94.<br />
Noelle-Neumann, E. (1993): The Spiral of Silence. Public Opinion<br />
– our social skin. Chicago Press.<br />
Schenk, M. (2007): Medienwirkungsforschung. Tübingen:<br />
Mohr Siebeck.<br />
Schulz, W. (2011): Politische Kommunikation. Theoretische<br />
Ansätze und Ergebnisse empirischer Forschung. Wiesbaden:<br />
Springer VS.
26<br />
FACHFORUM:<br />
5. Versicherungswirtschaftliche<br />
Tagung<br />
Termin: 28. April <strong>2017</strong><br />
Uhrzeit: 09.30 - 17.00 Uhr<br />
Programm<br />
Die Versicherungswirtschaftliche Tagung findet in diesem Jahr zum 5. Mal statt<br />
und steht unter dem Thema:<br />
Geschäftsmodelle der Versicherung neu denken!<br />
Menschlich-Digital-Transparent-Innovativ!<br />
Der Kunde als Ausgangspunkt allen Denkens und Handelns hat sich aus anderen<br />
Lebensbereichen längst an individuelle und flexible Lösungen gewöhnt. Wie<br />
passt dazu eine konservative Grundhaltung und vorsichtiger, manchmal ängstlich<br />
geprägter Umgang mit Innovationen in der Versicherungswirtschaft? Aus<br />
Kundensicht haben sich Versicherungsprodukte und Vertriebswege in den vergangenen<br />
Jahren nicht entscheidend verändert. Der Zeitgeist unserer – vor allem<br />
jungen – Kunden erfordert ein bereichs- und funktionsübergreifendes Umdenken<br />
in der Versicherungswirtschaft. Es geht darum, unseren Zielgruppen innovative<br />
Produktideen mit einem abgest<strong>im</strong>mten Absatz- und Marketingkonzept zu präsentieren.<br />
Das gelingt nur, wenn wir Geschäftsmodelle neu denken, praktisch,<br />
zeitnah, spannend und mit vielen Ideen gestalten. Denken und daraus lernen<br />
sind unsere Stärken – Staatliche Studienakademie Dresden und Praxispartner<br />
vereint <strong>im</strong> <strong>Wissen</strong>stransfer und das seit nunmehr 25 Jahren.
27<br />
Referenten:<br />
Prof. Dr. Matthias Beenken, Ronald Scholz,<br />
Saskia Rudolph, Mario Gärtner, Prof. Marion Eltzsch<br />
Zielgruppe<br />
Studierende und Dozierende <strong>im</strong> Studiengang Finanzwirtschaft-Versicherungsmanagement,<br />
Praxispartner <strong>im</strong> Studiengang Alumni, Versicherungsunternehmen,<br />
Makler, Versicherungsvertreter<br />
Staatliche Studienakademie Dresden<br />
Hans-Grundig-Straße 25<br />
01307 Dresden<br />
http://www.ba-dresden.de/de/studium/studienangebot/versicherungsmanagement/aktuelles.html
28<br />
KOLLOQUIUM:<br />
Die Zukunft der Arbeit<br />
Termin: 12. Mai <strong>2017</strong><br />
Uhrzeit: 10.00 - 15.00 Uhr<br />
Zielgruppe<br />
Praxispartner, Absolventen, Dozierende, Mitarbeiter, Kooperationspartner<br />
aus Forschung und Entwicklung sowie Hochschulpartner der Staatlichen<br />
Studienakademie Leipzig<br />
Programm<br />
Vorträge mit anschließender Diskussion zu den Themen:<br />
Z Digitalisierung – Was ist technisch möglich?<br />
Z Wie bereitet sich die Arbeitswelt auf die Anforderungen vor?<br />
Z Wo bleibt der Mensch?<br />
Z Digital Leadership
29<br />
Referenten:<br />
Aus Wirtschaft und <strong>Wissen</strong>schaft<br />
Preis für die Teilnahme<br />
50,00 €<br />
(Mitglieder des Fördervereins der Staatlichen Studien-Akademie Leipzig e.V.: 30 €)<br />
Staatliche Studienakademie Leipzig<br />
Schönauer Straße 113a<br />
04207 Leipzig<br />
http://www.ba-leipzig.de
30<br />
SYMPOSIUM:<br />
Nachhaltiges Management<br />
in Theorie und Praxis<br />
Termin: 20. September <strong>2017</strong><br />
Uhrzeit: 16.00 - 21.00 Uhr<br />
Zielgruppe<br />
mittelständische Unternehmen, Studierende, Dozierende und Fachvertreter,<br />
die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen<br />
Programm<br />
Bereits zum 7. Mal veranstaltet der Marketing-Verein e.V. das Symposium<br />
„Marketing und Praxis“. Die diesjährige Veranstaltung findet wieder in<br />
Kooperation mit der Staatlichen Studienakademie Riesa statt und widmet sich<br />
dem Thema „Nachhaltiges Management in Theorie und Praxis“. Die Vorträge aus<br />
<strong>Wissen</strong>schaft und Praxis spannen einen Bogen zwischen der Perspektive der<br />
Konsumenten und beleuchten u. a. das Thema „Augmented Reality am Point<br />
of Sale“ sowie die Perspektive der Unternehmen. Hierbei wird u. a. das Thema<br />
nachhaltiges Tagen adressiert und ein Standard zur Zertifizierung nachhaltiger<br />
Unternehmensführung vorgestellt. Zu Gast ist ebenfalls PRISMA – das Zentrum<br />
für Nachhaltigkeitsbewertung und -politik an der TU Dresden.
31<br />
Referenten:<br />
Aus Wirtschaft und <strong>Wissen</strong>schaft<br />
Preis für die Teilnahme<br />
39,90 €<br />
(für Studierende der BA <strong>Sachsen</strong> ist die Teilnahme kostenfrei möglich)<br />
Staatliche Studienakademie Riesa<br />
Am Kutzschenstein 6<br />
01591 Riesa<br />
http://www.ba-riesa.de/service/veranstaltungen/veranstaltungen-details/id-20-september-<br />
<strong>2017</strong>-7-symposium-marketing-und-praxis-nachhaltiges-management-in-theorie-und-praxis.html
32<br />
FACHTAGUNG:<br />
Physician Assistant <strong>2017</strong><br />
Termin: 30. November <strong>2017</strong><br />
Uhrzeit: 11.00 - 21.00 Uhr<br />
Zielgruppe<br />
Öffentliche und private medizinische Einrichtungen (Geschäftsführung,<br />
ärztliche Leitung) als Praxispartner und Arbeitgeber für Physician Assistants,<br />
Interessierte und Involvierte aus Gesundheits- und Regionalpolitik sowie Gremien,<br />
Leistungsträger des Gesundheits- und Sozialwesens, Vertreter der Gesundheits-<br />
fachberufe, Vertreter von Hochschulen mit PA-Studiengängen<br />
Programm<br />
Z Physician Assistant in Deutschland - Stand <strong>2017</strong><br />
Z Gemeinsame Empfehlung der Bundesärztekammer und der<br />
Kassenärztlichen Vereinigung zu PA-Studiengängen in Deutschland<br />
Z Vorstellung des Gutachtens zur Bewertung und Entwicklung des<br />
Berufsbilds Physician Assistant<br />
(gefördert durch das Sächsische Staatsministerium für <strong>Wissen</strong>schaft und Kunst)<br />
Z PAs <strong>im</strong> medizinischen Alltag<br />
Z PAs in der Gesundheitsökonomie<br />
Z Workshops<br />
Z Präsentation der Workshop-Ergebnisse, Diskussion<br />
Z Get-together
33<br />
Referenten:<br />
Aus Wirtschaft und <strong>Wissen</strong>schaft<br />
Preis für die Teilnahme<br />
Eintritt frei<br />
M&S Umweltprojekt GmbH<br />
Pfortenstraße 7<br />
08527 Plauen<br />
http://www.ba-plauen.de/physician-assistant
34
35<br />
Prof. Dr.-Ing. habil. Andreas Hänsel<br />
studierte Verarbeitungs- und Verfahrenstechnik an der TU Dresden. Er promovierte 1987 zu einem Thema<br />
der Holzwerkstoffentwicklung, 1991 folgte die Habilitation. Seit 2003 ist er Honorarprofessor an der<br />
Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Nach langjähriger Tätigkeit in der Wirtschaft<br />
in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Produktionsleitung sowie als Geschäftsführer ist er seit<br />
2007 an der Studienakademie Dresden (seit 2012 als Direktor) beschäftigt. Zu den Schwerpunkten seiner<br />
wissenschaftlichen Tätigkeit gehört u.a. der Bereich der Qualitätssicherung.<br />
Dr. Wolfgang Schultz<br />
KONTAKT: Staatliche Studienakademie Dresden I andreas.haensel@ba-dresden.de<br />
studierte Maschinenbau an der Universität der Bundeswehr in Hamburg, wo er auf dem Fachgebiet<br />
Strömungsmechanik zum Dr.-Ing. promovierte. Er verfügt über die Qualifikationen Qualitätsfachingenieur<br />
und -manager, Instruktor, Auditor und EFQM-Assessor der Deutschen Gesellschaft für Qualität<br />
(DGQ). Dr. Schultz war über lange Jahre als Offizier <strong>im</strong> Bereich der Technischen Truppe Instandsetzung<br />
eingesetzt. Nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr nahm er 10 Jahre lang Führungsaufgaben<br />
<strong>im</strong> Qualitätsmanagement wahr. Seit 2008 ist er Geschäftsführer der TEQ Training & Consulting GmbH.<br />
KONTAKT: TEQ Training & Consulting GmbH I wolfgang.schultz@q-das.de<br />
Statistische Prozessregelung (SPC)<br />
für kleine Losgrößen –<br />
Ansätze und Erfahrungen<br />
Andreas Hänsel und Wolfgang Schultz<br />
Die Voraussetzungen für die<br />
Anwendung der statistischen<br />
Prozessregelung sind für kleine<br />
Losgrößen nicht gegeben. Es<br />
werden neue Herangehensweisen<br />
für dieses Problem vorgestellt.<br />
Die Methoden werden auf die<br />
Fertigung von Möbelbauteilen<br />
angewandt und die Anwendbarkeit<br />
nachgewiesen.<br />
The assumptions made by<br />
statistical process control are<br />
not met in small batch sizes. We<br />
will introduce new approaches to<br />
solve this problem. In a second<br />
step, we will apply the methods<br />
to manufacturing furniture<br />
components and show their<br />
applicability.
36<br />
Das Problem, geeignete Methoden für eine SPC<br />
bei kleinen Stückzahlen zu finden, ist von zunehmender<br />
Bedeutung. Aufgrund der Komplexität erfolgte<br />
die Bearbeitung in einer interdisziplinären<br />
Arbeitsgruppe. Die Anwendbarkeit der Ergebnisse<br />
wurde für verschiedene Aufgaben und Industriezweige<br />
nachgewiesen. Nachstehenden Ausführungen<br />
beziehen sich auf die Möbelindustrie. Die<br />
Datenerhebungen wurden <strong>im</strong> Rahmen studentischer<br />
Arbeiten mit Praxispartnern durchgeführt.<br />
1 Einleitung<br />
Die Analyse des Streuverhaltens und die Ermittlung zugehöriger<br />
Fähigkeitskenngrößen sind für Prozesse der Serienfertigung<br />
in vielen Branchen unabdingbar. Dabei werden<br />
typischerweise Stichprobengrößen von 50 für die Ermittlung<br />
der Maschinenfähigkeit und 125 für die Ermittlung der Prozessfähigkeit<br />
genutzt. In einigen Firmenrichtlinien sind weiterhin<br />
Ansätze beschrieben, wie und unter welchen Bedingungen<br />
diese Werte unterschritten werden können. In vielen<br />
Fällen der Kleinserien- bis hin zur Einzelfertigung sind jedoch<br />
auch diese Modelle nicht einsetzbar. Benötigt werden daher<br />
geeignete Methoden, um auch Prozesse zur Fertigung kleiner<br />
und kleinster Stückzahlen auf statistischer Grundlage zu<br />
analysieren, zu überwachen und gegebenenfalls zu lenken.<br />
Nachstehend werden Herangehensweisen zur Lösung dieser<br />
Problemstellung vorgestellt und beispielhaft auf den Bereich<br />
der industriellen Möbelproduktion angewandt.<br />
2 Lösungsansätze<br />
a) Toleranzausnutzung<br />
Bei diesem Lösungsansatz wird auf Basis des Prozesswissens<br />
aus ähnlichen Produkten bzw. Prozessen eine<br />
Annahme oder Forderung für Cp (Prozessfähigkeit) vorgegeben<br />
und deren Nicht-Verletzung oder eine Abweichung davon<br />
mit einer speziell angepassten Qualitätsregelkarte (QRK)<br />
dokumentiert. Diese wird aus den Vorgaben berechnet und<br />
damit der Prozess überwacht – allerdings zu Beginn noch als<br />
100-Prozent-Prüfung.<br />
Abb. 1: Der Ansatz der Toleranzausnutzung (Quelle: Hänsel, A.; Schultz, W. (2016))<br />
Dazu ist es sinnvoll, zusätzliche Eingriffskriterien anzuwenden,<br />
die <strong>im</strong> Normalfall zu häufigen Fehlalarmen führen würden.<br />
Als geeignet erweisen sich die Kriterien nach Wheeler,<br />
die in Tabelle 1 dargestellt sind (Wheeler, D. J.). Mithilfe<br />
dieser werden verschiedene Abweichungen der Wertehäufigkeit<br />
vom jeweiligen Erwartungswert innerhalb verschiedener<br />
Quantile bewertet. In Verbindung mit einer sogenannten<br />
dynamischen Range haben sich diese Kriterien bei den<br />
bisher untersuchten Anwendungen als sehr wirksam erwiesen.<br />
Dieser Ansatz ist von sehr kleinen bis hin zu kleinen<br />
Losgrößen anwendbar. Unter best<strong>im</strong>mten Voraussetzungen<br />
(wiederholte Fertigung kleiner Lose) kann von diesem Ausgangspunkt<br />
auf die normale Führung von QRK übergegangen<br />
werden. Der Übergang ist fließend. In jedem Falle sollten<br />
die hier vorgeschlagenen zusätzlichen Eingriffskriterien etwa<br />
ab dem 20. Messwert nicht mehr angewandt werden, da die<br />
Wahrscheinlichkeit eines Fehlalarms dann auf über 30 Prozent<br />
steigt.<br />
Kriterium<br />
Beschreibung<br />
1 1 Wert befindet sich außerhalb der 3σ Grenzen<br />
2<br />
3<br />
4<br />
2 von 3 aufeinanderfolgenden Werten oberhalb von<br />
+2σ oder unterhalb von -2σ<br />
4 von 5 aufeinanderfolgenden Werten oberhalb von<br />
+1σ oder unterhalb von -1σ<br />
8 aufeinanderfolgende Werte auf einer Seite der<br />
Mittellinie<br />
Tabelle 1: Kriterien nach Wheeler (Quelle: Wheeler, D. J., 1991)<br />
b) Gruppierung von Merkmalen bei Einzelfertigung<br />
Ein noch weitergehender Ansatz bezieht sich auf die Einzelfertigung.<br />
In best<strong>im</strong>mten Fällen können unterschiedliche<br />
Merkmale (Zielwerte und Toleranzen) gruppiert werden.<br />
Durch die Abkehr vom Messwert und die Hinwendung zur<br />
Abweichung des Messwertes vom Sollwert sowie geeignete<br />
Normierung können die Messwerte der unterschiedlichen<br />
Merkmale in ein und dieselbe Regelkarte eingetragen und<br />
somit der Prozess überwacht werden. Der Fokus verschiebt<br />
sich dabei vom einzelnen Merkmal auf den zugehörigen Prozess.<br />
Hierzu wurde unter Berücksichtigung eines ISO Normentwurfs<br />
ein Konzept erarbeitet, das derzeit in der Praxis<br />
erprobt und weiterentwickelt wird (Hänsel, A., Schultz, W.).<br />
Im Normentwurf wird als Faktor für die Normierung der<br />
Erwartungswert für den sogenannten moving range aus n=2<br />
(oder auch 3) vorgeschlagen. Da der Vertrauensbereich (die<br />
Unsicherheit) für die Standardabweichung in diesem Fall<br />
noch sehr groß ist, wird <strong>im</strong> vorgestellten Ansatz die Toleranz<br />
selbst als Normierungsfaktor genutzt. Damit liegen die normierten<br />
Toleranzgrenzen grundsätzlich bei ± 0,5, was <strong>im</strong> Sin-
37<br />
Abb. 2: Messwerte an einer Rotorwelle <strong>im</strong> Bereich von 1100 bis 1800 mm und<br />
unterschiedlichen Toleranzen; oberes Bild – absolute Werte; unteres Bild –<br />
normierte Abweichung vom Sollwert. (Quelle: Hänsel, A.; Schultz, W. (2016))<br />
ne einer Normierung eine allgemeingültige und eindeutige<br />
Variante darstellt. Für die Berechnung der Eingriffsgrenzen<br />
wird – alternativ zum Entwurf – das vorstehend vorgestellte<br />
Modell der Toleranzausnutzung herangezogen. Für den<br />
gewählten Cpk-Wert ist die zugehörige Standardabweichung<br />
zu verwenden, also für Cpk=1,67 gilt s=T/10.<br />
3 Anwendungsbeispiele<br />
3.1 Kaschieren von Möbelfolien<br />
Die Beschichtung der Breitfläche von Möbelbauteilen auf<br />
Folienkaschieranlagen erfolgt in der Regel beidseitig. Der<br />
Prozess setzt sich dabei aus mehreren Schritten zusammen,<br />
die auf verschiedenen Maschinen in folgender Reihenfolge<br />
durchgeführt werden:<br />
da sich die eigentliche Auftragsmenge über eine Einlaufkurve<br />
einstellt. Die Datenerfassung erfolgte über einen längeren<br />
Zeitraum, wobei auf die in der Qualitätssicherung vorliegenden<br />
Werte zurückgegriffen wurde (Adam, C.).<br />
Die Untersuchungen ergaben zunächst, dass die vorgegebenen<br />
Sollwerte der Le<strong>im</strong>auftragsmenge zu hoch angesetzt<br />
waren, was einen Einsparungseffekt nach sich zieht. Die<br />
Auswertung der erfassten Daten in einer Qualitätsregelkarte<br />
(QRK) ist in Bild 4 dargestellt. Zur Berechnung wurde die<br />
Differenz von Soll- und Istwert auf die Toleranz normiert<br />
sowie die Spezifikations- und Eingriffsgrenzen berechnet.<br />
Die Normierung wäre <strong>im</strong> Anwendungsfall nicht erforderlich<br />
gewesen, da alle Teile mit der gleichen Toleranz gefertigt<br />
wurden. Für die Berechnung der Eingriffsgrenzen erfolgte<br />
eine Multiplikation des Abmaßes mit dem Wert der 75-Prozent-Toleranzausnutzung<br />
(s. Abb. 1). Damit wurden die absoluten<br />
Abweichungen so aufbereitet, dass sie für unterschiedliche<br />
Maße und Fertigungszeitpunkte vergleichbar wurden.<br />
Die Streuungsspur der Regelkarte enthält den Range über<br />
die kumulierten Werte des fiktiven Loses, der aus der Differenz<br />
der bis dahin gemessenen normierten max<strong>im</strong>alen und<br />
min<strong>im</strong>alen Messwerte berechnet wird.<br />
Schleifen → Reinigung → Vorheizen →<br />
Le<strong>im</strong>auftrag → Kaschieren → Glätten<br />
Nachfolgend wird der Prozessschritt „Le<strong>im</strong>auftrag“ näher<br />
untersucht. Abweichungen von der opt<strong>im</strong>alen Le<strong>im</strong>auftragsmenge<br />
können hier in erheblichen Umfang Ausschuss<br />
und Nacharbeit nach sich ziehen. Die Funktionsweise<br />
einer Le<strong>im</strong>auftragsmaschine ist in Bild 3 dargestellt. Die auf<br />
das Bauteil transferierte Le<strong>im</strong>menge ist von verschiedenen<br />
stofflichen Parametern (z.B. Saugverhalten des Substrats/<br />
Bauteils) und technisch-technologischen Parametern (z.B.<br />
Vorschubgeschwindigkeit, Anpressdrücke der Walzen) abhängig.<br />
Die Messung der Le<strong>im</strong>auftragsmenge erfolgt über ein<br />
Wiegeverfahren, das zeitlich aufwendig und fehleranfällig ist,<br />
pd<br />
VD<br />
Abb. 3: Wirkungsweise und Einflussgrößen an einer Le<strong>im</strong>auftragsmaschine<br />
(Quelle: Adam, C., S. 33)<br />
VA<br />
VA<br />
pA<br />
VD<br />
pd<br />
VA<br />
Bild 4: Regelkarte für den Le<strong>im</strong>auftrag an einer Kaschieranlage (Quelle: Originaldaten)<br />
Zunächst wird daraus ersichtlich, dass keine Unterteilung<br />
der QRK in Bereiche (Blöcken) erforderlich ist. Gut erkennbar<br />
ist jedoch auch, dass die Prozessstreuung zu hoch ist<br />
(Bild 4 unten) und das angewandte Messverfahren über<br />
eine zu geringe Auflösung verfügt. Letzteres wird durch das<br />
Unternehmen durch Einführung eines geeigneten Inline-<br />
Messsystems gelöst werden, das die Le<strong>im</strong>verteilung auch in<br />
Produktionsrichtung und senkrecht dazu erfasst. Ziel ist eine<br />
100-Prozent-Prüfung. Unabhängig davon ist es notwendig,<br />
die Prozessstreuung durch Aufbau tieferer Prozesskenntnis<br />
(z.B. mittels Prozessanalyse unter Nutzung der Methoden<br />
der statistischen Versuchsplanung DoE) zu reduzieren, um<br />
eine ausreichende Prozessfähigkeit zu erreichen.
38<br />
3.2 Beschichtung von Schmalflächen mittels Laser-Verfahren<br />
→ 3.2.1 Technologische Grundlagen<br />
Die Untersuchungen wurden <strong>im</strong> Bereich der Frontenfertigung<br />
eines kommissionsweise fertigenden Möbelherstellers<br />
durchgeführt. Diese Fertigungsart verlangt zumindest<br />
in best<strong>im</strong>mten Prozessabschnitten die Produktion<br />
sehr kleiner Losgrößen (< 25 Bauteile). Dabei werden <strong>im</strong><br />
interessierenden Bereich die einzelnen Bauteile zunächst<br />
auf einer Plattensäge vorkonfektioniert. Im Anschluss erfolgt<br />
<strong>im</strong> Durchlaufverfahren die Bearbeitung auf ein konstruktiv<br />
vorgegebenes Soll-Maß sowie in einem weiteren<br />
Arbeitsschritt die Beschichtung mit Schmalflächenband.<br />
Die für die Untersuchung herangezogene Durchlaufmaschine<br />
Nov<strong>im</strong>at /I/R75/490/R3 der Fa. IMA Klessmann<br />
kann Ungenauigkeiten der vorgelagerten Plattensäge<br />
ausgleichen, sodass die Maßhaltigkeit und Rechtwinkligkeit<br />
nach diesem Bearbeitungsschritt gemessen wurden.<br />
Weiterhin erlaubt die Maschine sowohl ein Fügen unter<br />
Verwendung von PUR-Schmelzklebstoffen oder der sogenannten<br />
Lasertechnologie. Die Grundlage des letztgenannten<br />
Verfahrens besteht in der Verarbeitung koextrudierter<br />
Schmalflächenbänder, die einen Verbund zwischen einer<br />
chemisch hinsichtlich der Haftung auf Holzwerkstoffen<br />
opt<strong>im</strong>ierten polymeren Funktionsschicht und dem<br />
eigentlichen Dekor darstellen. Infolge von Adhäsionskräften<br />
entstehen an der Grenzfläche zum Trägerwerkstoff<br />
feste Verbindungen. Durch die für den Schmalflächenbeschichtungsprozess<br />
typischen Andruckrollen erfolgt weiterhin<br />
das Ausfüllen zwischenpartikulärer Hohlräume des<br />
Trägerwerkstoffs, wodurch eine hohe Beständigkeit gegenüber<br />
der Einwirkung von Wasserdampf (DIN 68930-2009)<br />
erreicht wird. Die auf dem <strong>Markt</strong> befindlichen Lasersysteme<br />
verwenden zum Reaktivieren der Klebstoffschicht Diodenlaser.<br />
Bei der für die Untersuchungen genutzten Maschine<br />
wird mithilfe einer festen Spiegeloptik ein etwa balkenförmiger<br />
Brennfleck erzeugt, der das Schmalflächenmaterial<br />
an der Wirkstelle über die Breite aufschmilzt.<br />
Die Untersuchungen zur Anwendbarkeit der vorgestellten<br />
Konzepte der SPC für kleine Losgrößen konzentrierten sich<br />
auf die Maßhaltigkeit und Rechtwinkligkeit der Bauteile<br />
(Toleranzausnutzung) sowie die Rollschälfestigkeit (systematische<br />
Gruppierung von Prozessen).<br />
→ 3.2.2 Ergebnisse aus der mechanischen Bearbeitung von<br />
Möbelteilen<br />
Datenerfassung<br />
Die Daten wurden an verschiedenen Tagen erfasst, indem<br />
Bauteile <strong>im</strong> Abstand von 30 Minuten der Fertigung entnommen<br />
und in der Folge vermessen wurden. Die Sollwerte der<br />
Längen- bzw. Breitenmaße bewegten sich dabei in einem<br />
Bereich von 115 Mill<strong>im</strong>eter bis 896 Mill<strong>im</strong>eter.<br />
Ergebnisse<br />
Die Voraussetzungen für die Anwendung des Verfahrens<br />
„Toleranzausnutzung“ sind erfüllt, da die unterschiedlichen<br />
Merkmale auf einer Bearbeitungsmaschine erzeugt werden<br />
und insofern die dafür postulierte „Ähnlichkeit“ vorliegt.<br />
Eine Auswertung aller gemessenen Werte zeigte, dass eine<br />
Normalverteilung angenommen werden kann. Weiterhin<br />
wurden <strong>im</strong> Beobachtungszeitraum die vorgegebenen Toleranzen<br />
eingehalten, wobei eine Verschiebung zum unteren<br />
Toleranzbereich auffällig war. Zur Überprüfung der praktischen<br />
Anwendbarkeit des Verfahrens wurde der Metadatensatz<br />
in mehrere Untergruppen aufgeteilt. Ein typisches<br />
Ergebnis für die geometrischen Maße Länge bzw. Breite zeigt<br />
Abbildung 5.<br />
Es ist gut zu erkennen, dass für die real unterschiedlichen<br />
Bauteile die Prozessgüte abbildbar ist. Bei Messwert 14 werden<br />
durch die nichtzentrierte Prozesslage die oben genannten<br />
Kriterien 1 und 2 nach Wheeler wirksam.<br />
Eine Untersuchung der Abweichung von der Rechtwinkligkeit<br />
der gefertigten Bauteile erbrachte analoge Ergebnisse.<br />
Abb. 5: Regelkarte für die Länge bzw. Breite von <strong>im</strong> Durchlaufverfahren gefertigten<br />
Bauteilen (Quelle: Originaldaten)<br />
3.3 Ergebnisse des Fügeprozesses<br />
Die Best<strong>im</strong>mung der Rollschälfestigkeit ist ein zerstörendes<br />
Prüfverfahren. Infolge dessen war es notwendig, die benötigten<br />
Daten über einen längeren Zeitraum zu erfassen. Dieses<br />
Verfahren zur Gewinnung einer ausreichenden Anzahl<br />
an Messwerten beschreiben Wiederhold et al. (S. 30-34) wie<br />
folgt: „Wenn…ähnliche Qualitätsmerkmale … vom selben<br />
Prozess geschaffen werden, lassen sie sich zu Prozessgruppen<br />
zusammenfassen. So erhält man eine große Anzahl an<br />
Messdaten.“ Diese Bedingung wird für den untersuchten Bereich<br />
erfüllt. Die Kenntnis zu den Ursache-Wirkungsmechanismen<br />
des Prozesses beruhte zu Beginn der Untersuchungen<br />
<strong>im</strong> Wesentlichen auf den Erfahrungen der Maschinenführer<br />
sowie Hinweisen der Lieferanten von Maschine und Schmalflächenbändern.<br />
Mittels eines Ishikawa-Diagrammes und<br />
der Quantifizierung durch eine Intensitäts-Beziehungsmatrix<br />
(Klein, B.) erfolgte darauf aufbauend die Vorauswahl<br />
signifikanter Prozessmerkmale. Die Auswahl konnte durch
39<br />
Vorversuche bestätigt werden (s. Tabelle 2). Die Einführung<br />
einer Qualitätsregelkarte kann nur dann erfolgen, wenn keine<br />
signifikanten Einflüsse auf das Prozessergebnis nachgewiesen<br />
bzw. diese prozessseitig oder anderweitig kompensiert<br />
werden können.<br />
0,600<br />
0,400<br />
0,200<br />
0,000<br />
‐0,200<br />
‐0,400<br />
‐0,600<br />
(x i ‐x M )/T<br />
1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 39 41 43 45 47 49<br />
(xi‐xM)/T<br />
USGnorm<br />
OSGnorm<br />
UEGnorm<br />
OEGnorm<br />
Testanordnung<br />
alle Prüfkörper<br />
MDF vs. Spanplatte<br />
alle Prüfkörper<br />
MDF weiß vs. schwarz<br />
Alle Prüfkörper<br />
Spanplatte weiß vs. schwarz<br />
10,4 -3,34<br />
4,71 -3,50<br />
8,27 -3,79<br />
Folgende Einflüsse wurden untersucht:<br />
Z Art des Trägerwerkstoffs<br />
Z Farbe des Schmalflächenmaterials<br />
Z Laserleistung<br />
Z Vorschubgeschwindigkeit<br />
Z Anpressdruck.<br />
kritischer<br />
Wert σ=0,1%<br />
Testergebnis<br />
Prüfgröße<br />
Erwartungswerte<br />
unterscheiden<br />
sich<br />
Tabelle 2: Ergebnisse des einseitigen t-Tests zum Einfluss von Trägermaterial und<br />
Schmalflächenband (Quelle: Originaldaten)<br />
0,600<br />
0,400<br />
0,200<br />
0,000<br />
‐0,200<br />
‐0,400<br />
‐0,600<br />
0,600<br />
0,400<br />
0,200<br />
0,000<br />
‐0,200<br />
‐0,400<br />
‐0,600<br />
(x i ‐x M )/T<br />
1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 39 41 43 45 47 49<br />
(x i ‐x M )/T<br />
1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27 29 31 33 35 37 39 41 43 45 47 49<br />
(xi‐xM)/T<br />
USGnorm<br />
OSGnorm<br />
UEGnorm<br />
OEGnorm<br />
(xi‐xM)/T<br />
USGnorm<br />
OSGnorm<br />
UEGnorm<br />
OEGnorm<br />
Abb. 6: oben: Messwerte der Daten der Voruntersuchungen; Mitte: Daten der<br />
Hauptversuche für das Trägermaterial MDF/Schmalflächenband weiß;<br />
unten: Daten der Hauptversuche für das Trägermaterial Spanplatte/<br />
Schmalflächenmaterial weiß (Quelle: Originaldaten)<br />
Da eine maschineninterne Regelung den Einfluss von<br />
Laserleistung und Vorschubgeschwindigkeit kompensiert,<br />
wurde diese von den weiteren Untersuchungen ausgeschlossen.<br />
Abbildung 6 stellt die nach den Kriterien Trägermaterial<br />
und Farbe des Schmalflächenbandes in Cluster unterteilten<br />
Prozessergebnisse dar. Deutlich ist zu erkennen, dass die<br />
Erfassung aller Prozessdaten in einer QRK zu falschen<br />
Schlussfolgerungen führen würde. Die Aufteilung in verschiedene<br />
Träger- und Beschichtungsmaterialien erlaubt<br />
hingegen den Prozess reproduzierbar abzubilden. Die in<br />
Tabelle 1 zusammengefassten Ergebnisse bestätigen sich in<br />
den größeren Datenreihen. Offensichtlich verfügen Bauteile<br />
mit dem Trägermaterial Spanplatte über geringere Schälfestigkeiten.<br />
In künftigen Untersuchungen ist der Einfluss der<br />
Werkstoffstruktur (vereinfacht des Herstellers) auf das Prozessergebnis<br />
ebenfalls zu berücksichtigen. Insgesamt wird<br />
jedoch deutlich, dass es in der beschriebenen Weise möglich<br />
ist, die Datenmengen zu akkumulieren, die für das Führen<br />
von Qualitätsregelkarten erforderlich sind.<br />
4 Schlussfolgerungen<br />
Unterschiedliche Verfahren erlauben grundsätzlich eine SPC<br />
auch für kleine Losgrößen erfolgreich durchzuführen, sofern<br />
die Voraussetzungen dafür erfüllt sind.<br />
Die Homogenisierung der Daten von Prozessen mit engem<br />
technologischen Fenster oder komplex wirkenden Einflussgrößen<br />
durch das Vorschalten einer Prozessanalyse ermöglicht<br />
den Aufbau größerer Datenbestände, die zum Führen<br />
einer QRK erforderlich sind.<br />
LITERATUR<br />
Adam, C. (2016): Evaluierung eines Messsystems zur PVAC-<br />
Le<strong>im</strong>auftragsmengenbest<strong>im</strong>mung an einer Kaschieranlage,<br />
unveröffent. Bachelor-Thesis, Staatl. Studienakademie Dresden.<br />
Hänsel, A.; Schultz, W. (2016) SPC für kleine Losgrößen, Vortrag,<br />
2. Interdisziplinäres Kfz-Kolloquium, Dresden<br />
Klein, B. (2014): Versuchsplanung- DOE, 4. Aufl., De Gruyter<br />
Oldenburg, München.<br />
Wheeler, Donald J. (1991): Short Run SPC, SPC Press, Knoxville,<br />
Tennessee.<br />
Wiederhold, M. et al. (2016): Gemeinsam sind sie stark – SPC<br />
bei kleinen Stückzahlen, Qualität und Zuverlässigkeit, München,<br />
S. 30- 34.<br />
Schneider, S. (2016): Einführung einer SPC für kleine Losgrößen<br />
durch Klassifizierung unter Nutzung des %Toleranz-Verfahrens,<br />
STAD, Projektarbeit. (unveröffentlicht)
40<br />
Today zoological gardens are meeting<br />
places for humans and an<strong>im</strong>als.<br />
Very often there are also aquaria for<br />
marine an<strong>im</strong>als. Water treatment<br />
represents one of the most <strong>im</strong>portant<br />
connections between keeping an<strong>im</strong>als<br />
and their quality of life. The great number<br />
of possibilities for water treatment raises<br />
demand for a system allowing both an<br />
efficient and economic use as well as<br />
the increasing requirements concerning<br />
water quality. It is the purpose of this<br />
study to get information about an<br />
opt<strong>im</strong>al system for the water treatment<br />
of a South American sea lion complex by<br />
means of a comparator check.<br />
Three system variants are presented<br />
and compared in the study. In terms<br />
of physical structure special attention<br />
was directed to the required space, the<br />
selection of materials and the operation<br />
of the facilities, whereas from an<br />
ecological point of view the interrelation<br />
between the components and the<br />
influence on water balance were in the<br />
foreground of the investigations. By the<br />
use of final economic considerations with<br />
the help of a cost comparison method<br />
and a value benefit analysis the most<br />
advantageous system will be determined.
41<br />
Dipl.-Ing. (BA) Laura Bryks<br />
begann 2013 direkt nach dem Abitur ein Studium <strong>im</strong> Bereich Energie- und Umwelttechnik an der<br />
Staatlichen Studienakademie Riesa sowie <strong>im</strong> Ingenieurbüro J. Döhler in Leipzig. Für ihre Diplomarbeit<br />
erhielt sie <strong>im</strong> Jahr <strong>2017</strong> den 3. Preis des Vereins zur Förderung der Ingenieurausbildung der Gebäude-<br />
und Energietechnik Dresden e.V. Aktuell arbeitet sie <strong>im</strong> Ingenieurbüro D&O GmbH als Planungsingenieurin<br />
für Heizungs-, Lüftungs- und Sanitärtechnik an verschiedenen Bauprojekten in ganz<br />
Deutschland.<br />
Prof. Dr.-Ing. Marko Stephan<br />
KONTAKT: Ingenieurbüro D&O GmbH I l.bryks@ing-do.de<br />
studierte Energieanlagentechnik an der Technischen Universität Dresden, wo er auf dem Fachgebiet<br />
der Sicherheitstechnik von Energieanlagen 1988 zum Dr.-Ing. promovierte. Seit 2007 ist er Dozent für<br />
Versorgungs- und Energietechnik an der Studienakademie Riesa und leitet seit 2014 den Studiengang<br />
Energie- und Umwelttechnik. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Zukunftstechnologien<br />
für Energie und Umwelt.<br />
KONTAKT: Staatliche Studienakademie Riesa I marko.stephan@ba-riesa.de<br />
Untersuchungen zu einer Wasseraufbereitungsanlage<br />
für die Quarantänestation<br />
einer Mähnenrobbenanlage<br />
Laura Bryks und Marko Stephan<br />
Zoologische Gärten stellen heutzutage<br />
eine Begegnungsstätte für Mensch<br />
und Tier dar. Oft lassen sich dort auch<br />
Aquarien für Meerestiere finden. Die<br />
Wasseraufbereitung stellt in diesem<br />
Zusammenhang eine der wichtigsten<br />
Schnittstellen zwischen Tierhaltung<br />
und Lebensqualität dar. Die Vielzahl an<br />
Möglichkeiten für die Wasseraufbereitung<br />
wirft jedoch häufig die Frage nach einem<br />
System auf, dass sowohl eine effektive<br />
und wirtschaftliche Nutzung ermöglicht<br />
als auch die steigenden Anforderungen<br />
an die Wasserqualität erfüllt. Ziel dieser<br />
Arbeit ist es, durch einen Vergleich<br />
Aufschluss über das opt<strong>im</strong>ale System<br />
für die Wasseraufbereitung einer<br />
Robbenanlage zu erhalten.<br />
In der Arbeit werden drei<br />
Systemvarianten vorgestellt und<br />
verglichen. Baulich lag das Augenmerk<br />
auf Platzbedarf, Materialauswahl und<br />
Betrieb der Anlagen, während aus<br />
ökologischer Sicht das Zusammenwirken<br />
der Komponenten und die Beeinflussung<br />
des Wasserhaushalts <strong>im</strong> Vordergrund<br />
standen. Durch die abschließenden<br />
wirtschaftlichen Betrachtungen anhand<br />
einer Kostenvergleichsrechnung und<br />
einer Nutzwertanalyse konnte das<br />
vorteilhafteste System ermittelt werden.
42<br />
Die Motivation für die Arbeit ergab sich<br />
aus aktuellen Projekten des Praxispartners<br />
Ingenieurbüro J. Döhler. Bearbeitet wurde<br />
das Thema in Kooperation mit dem Praxispartner<br />
<strong>im</strong> Rahmen einer Diplomarbeit.<br />
1. Motivation<br />
Zoologische Gärten und Tierparks stellen heutzutage eine<br />
Begegnungsstätte zwischen Mensch und Tier dar und unterscheiden<br />
sich dabei wesentlich von den Zuständen früherer<br />
Einrichtungen dieser Art. Moderne Anlagen sollen so<br />
naturgetreu, groß und dennoch so ungefährlich wie möglich<br />
gestaltet werden, um den Tieren eine Lebensqualität, angelehnt<br />
an ihre natürliche Umgebung, zu gewährleisten. Oft<br />
lassen sich dort auch Aquarien und Wasserbecken für Meerestiere<br />
finden. Aufgrund des großen Spektrums an Wasserqualitäten<br />
in den Meeren der Welt ist die Technik der Wasseraufbereitung<br />
dabei eine wichtige Schnittstelle zwischen<br />
Tierhaltung und Lebensqualität. Besonders in Verbindung<br />
mit Quarantänebereichen werden hohe Anforderungen an<br />
die technischen Systeme gestellt.<br />
Die Vielzahl an Möglichkeiten für die Wasseraufbereitung<br />
wirft jedoch häufig die Frage nach einem System auf, dass<br />
sowohl eine effektive und wirtschaftliche Nutzung ermöglicht<br />
als auch die steigenden Anforderungen an die Wasserqualität<br />
erfüllt. Dabei ist <strong>im</strong> Falle eines Quarantänebeckens<br />
auch auf das breite Spektrum von möglichen Krankheitserregern<br />
und Ke<strong>im</strong>en zu achten, die sich durch die Isolation<br />
von erkrankten oder umgesiedelten Tieren <strong>im</strong> Wasser befinden<br />
können.<br />
Ein weit verbreitetes und seit Jahrzehnten erprobtes Verfahren<br />
zur Beckenwasseraufbereitung stellt das Prinzip der<br />
Flotation mittels eines Abschäumers in Verbindung mit der<br />
Desinfektion des Wassers durch Ozon dar (Sander, M.). Im<br />
Gegensatz dazu wird seit etwas mehr als einem Jahr ein getauchtes<br />
Membransystem für eine drucklose Ultrafiltration<br />
am <strong>Markt</strong> angeboten (Zoch, R.).<br />
In dieser Arbeit werden für ein Quarantänebecken einer<br />
Mähnenrobbenanlage in einem Tierpark mögliche Anlagenvarianten<br />
für die Wasseraufbereitung untersucht und<br />
verglichen mit dem Ziel, die opt<strong>im</strong>ale Variante für die<br />
Wasseraufbereitung zu finden. Dabei sind bautechnische,<br />
ökologische und wirtschaftliche Aspekte zu berücksichtigen.<br />
Während baulich ein Augenmerk auf den Platzbedarf, die<br />
Materialauswahl und den Betrieb der Anlagen gelegt wird,<br />
sollen ökologisch das Zusammenwirken der einzelnen Komponenten<br />
und die Beeinflussung des Wasserhaushaltes <strong>im</strong><br />
Vordergrund stehen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei<br />
auf den Veränderungen der Wasserinhaltsstoffe und<br />
ihren Auswirkungen auf die Robben. Die abschließenden<br />
Betrachtungen zur Wirtschaftlichkeit in Form einer Kostenvergleichsrechnung,<br />
verbunden mit einer Nutzwertanalyse<br />
sollen Aufschluss über kosten- und betriebsbedingte Vorteile<br />
der Anlagen geben und bilden einen weiteren Aspekt, um<br />
eine Gesamtbewertung kritisch darzulegen. Dadurch kann<br />
sowohl die Einsatzmöglichkeit für das betrachtete Objekt<br />
geprüft als auch ein allgemeiner Vergleich der Systeme dargestellt<br />
werden.<br />
2. Die Robbenanlage <strong>im</strong> Bestand<br />
Das Quarantänebecken der Robbenanlage ist für ungefähr<br />
zehn Mähnenrobben ausgelegt und wird <strong>im</strong> Moment als<br />
Quarantäneeinheit und für die normale Tierhaltung genutzt.<br />
Die Fütterung erfolgt sowohl <strong>im</strong> Becken als auch in den Boxen.<br />
Dabei benötigt eine Mähnenrobbe bis zu 15 Kilogramm<br />
Nahrung pro Tag, die vorrangig aus kleinen Fischen besteht.<br />
Zusammen mit Kot und Urin, die <strong>im</strong> Becken verbleiben, entsteht<br />
dadurch eine Belastung des Beckenwassers mit Abfällen<br />
und Ausscheidungen.<br />
Aktuell ist jedoch keine Anlage für die Wasseraufbereitung<br />
installiert. Ein Sand-Kies-Filter mit vorgeschalteter Pumpe<br />
funktioniert nicht so wie geplant, sodass zurzeit das verschmutzte<br />
Wasser zwe<strong>im</strong>al alle sechs Wochen abgelassen<br />
werden muss, um das Becken zu reinigen und sauberes<br />
Wasser für die Tiere zur Verfügung zu stellen. Dies hat nicht<br />
nur einen enormen Anfall an Abwasser zur Folge, sondern<br />
bedeutet auch einen großen Personalaufwand. Trotzdem<br />
hält die erzielte Reinheit <strong>im</strong> Becken meist nur wenige Stunden<br />
an.<br />
Im Rahmen von Umbauarbeiten soll nun die komplette Anlage<br />
saniert und an die moderne und zeitgemäße Tierhaltung<br />
angepasst werden. Ziel dieser Sanierungsmaßnahmen ist<br />
neben der Verbesserung der Wasser- und Lebensqualität für<br />
die Mähnenrobben die deutliche Verringerung des Arbeitsund<br />
Personalaufwandes zur Reinigung der Anlage.<br />
3. Untersuchung und Vergleich der Systeme<br />
Für die neue Wasseraufbereitung werden<br />
drei Varianten untersucht:<br />
Z Abschäumer mit Ozoninjektion<br />
Z Drucklose Ultrafiltration ohne zusätzliche<br />
biologische Reinigung<br />
Z Drucklose Ultrafiltration mit vorgeschaltetem<br />
Festbettreaktor zur biologischen Reinigung
43<br />
Variante 1: Abschäumer mit Ozoninjektion<br />
Abschäumer arbeiten nach dem Prinzip der Flotation. Dabei<br />
wird Luft in Form von Gasblasen in das zu behandelnde<br />
Wasser eingeströmt. Die Schmutzpartikel heften sich an<br />
die Gasblasen und bilden eine Schaumphase, die aus dem<br />
System ausgetragen wird (AquaCare GmbH & Co. KG, 2013).<br />
Die Haftung der Partikel wird dabei von sehr vielen Faktoren<br />
beeinflusst, wie z.B. vom Strömungsbild um die Blase, von<br />
der Blasensteiggeschwindigkeit sowie von hydrophilen und<br />
hydrophoben Partikeln. Mit dem letzteren Prinzip können<br />
vor allem Eiweißverbindungen, aber auch Schmutzpartikel,<br />
Bakterien, Pilze oder Metalle aus dem Wasser entfernt werden<br />
(Sander, M.).<br />
Durch die Injektion von dreiatomigem Ozon, das durch die<br />
hochenergetische Bestrahlung von Luft oder reinem Sauerstoff<br />
erzeugt wird, kann der Flotationsprozess unterstützt<br />
werden. Das instabile Ozonmolekül zerfällt sehr schnell und<br />
lässt reaktionsfreudigen, einatomigen Sauerstoff frei. Durch<br />
diesen werden organische und anorganische Bestandteile<br />
oxidiert. Der Vorgang blockiert somit die Stoffwechselvorgänge<br />
lebender Zellen und macht Viren und Bakterien<br />
unschädlich. Am Ende des Desinfektionskreislaufes dürfen<br />
sich keine Ozonmoleküle mehr <strong>im</strong> Wasser befinden, um den<br />
Tieren durch die aggressive Wirkungsweise nicht zu schaden.<br />
Die Gefahr durch den Umgang mit Ozon sowie die zusätzlich<br />
notwendigen Vorkehrungen bilden die Nachteile dieses<br />
Systems.<br />
Variante 2: Drucklose Ultrafiltration ohne zusätzliche<br />
biologische Reinigung<br />
Die Ultrafiltration gehört zu den Membranverfahren und<br />
basiert auf physikalischen Trennvorgängen. Somit kommt<br />
es <strong>im</strong> Gegensatz zu Variante 1 nicht zu einer biologischen,<br />
chemischen oder thermischen Veränderung des Wassers.<br />
Mit einer max<strong>im</strong>alen Porenweite von 0,1 bis 0,01 μm können<br />
Bakterien, Viren und Kolloide sicher zurückgehalten werden<br />
(Wolf, R.).<br />
Die drucklose Ultrafiltration stellt einen Sonderfall dar, bei<br />
dem die Membranmodule direkt in das Rohwasser getaucht<br />
werden. Durch einen kontrollierten Unterdruck auf der Permeatseite<br />
in der Größenordnung von 5 – 20 kPa wird das<br />
Rohwasser durch die Membran befördert. Aufgrund der<br />
saugseitigen Anordnung der Module bezeichnet man diese<br />
Art der Ultrafiltration als drucklos.<br />
Hauptkomponente der Variante 2 ist das getauchte Membransystem<br />
für drucklose Ultrafiltration der Firma WTA Vogtland<br />
GmbH. Entsprechend DIN 19643-4 kann der umlaufende<br />
Volumenstrom für die Ultrafiltrationsanlage <strong>im</strong> Vergleich<br />
zu Variante 1 um 50 Prozent reduziert werden. Ziel dieses<br />
Systems ist eine opt<strong>im</strong>ale Wasseraufbereitung unter Verzicht<br />
auf Chemikalien. Die einzige Ausnahme bildet dabei die<br />
Zugabe von Flockungsmitteln, um den Siebeffekt des Vorgangs<br />
und die Bindung von Huminstoffen zu verbessern.<br />
Diese chemischen Mittel haben jedoch in Verbindung mit<br />
Wasser keine gefährdenden Auswirkungen.<br />
Variante 3: Ultrafiltration mit Biologie<br />
Die dritte Variante basiert auf einem Membranbelebungsverfahren.<br />
Dem getauchten Membransystem zur drucklosen<br />
Ultrafiltration der Variante 2 wird dabei zusätzlich ein Festbettreaktor<br />
zur biologischen Abwasserreinigung durch aerobe<br />
Mikroorganismen vorgeschaltet.<br />
Die mikrobiellen Vorgänge laufen <strong>im</strong> Biofilm auf dem Aufwuchsträger<br />
aus Polypropylen ab. Je mehr Schmutzstoffe<br />
sich <strong>im</strong> Wasser befinden, desto aktiver arbeiten die Mikroorganismen.<br />
Bei einem zu geringen Gehalt von Schmutzpartikeln<br />
<strong>im</strong> Rohwasser wird der Biofilm jedoch zerstört. Ebenso<br />
hemmen besonders toxische Stoffe, wie z.B. Medikamente<br />
zur Behandlung kranker Tiere, den Stoffwechsel der Mikroorganismen<br />
(Liebmann, H.).<br />
Auch hier kann die Wirkung des Aufbereitungsverfahrens<br />
durch Flockungsmittel unterstützt werden. Neben der eigenständigen<br />
Bildung von Flocken wird ebenfalls die Flockenbildung<br />
<strong>im</strong> Festbettreaktor unterstützt. Ein Nachteil ist jedoch<br />
der große Platzbedarf des Festbettreaktors <strong>im</strong> Technikraum.<br />
3.1. Bautechnische Untersuchungen<br />
Der vorgesehene Technikraum besitzt mit einer geplanten<br />
Fläche von 19,30 Quadratmetern und einer Raumhöhe von<br />
lediglich 2 Metern ein sehr begrenztes Platzangebot für die<br />
technischen Komponenten. Die Integration aller Bauteile in<br />
diesen Technikraum stellt allerdings eine Grundvoraussetzung<br />
dar, um die Anlage in praxi bautechnisch realisieren<br />
zu können. Jede der drei untersuchten Varianten besitzt<br />
Systemkomponenten<br />
Variante 1<br />
[m²]<br />
Variante 2<br />
[m²]<br />
Variante 3<br />
[m²]<br />
Pumpen incl. Armaturen 3 x 0,1 2 x 0,1 3 x 0,1<br />
Schwallwasserbehälter 1,8 1,8 1,8<br />
Seewasseransetztank 1,0 1,0 1,0<br />
Abschäumer 0,4 – –<br />
Ozonerzeugung 0,3 – –<br />
Dosierstationen 0,3 0,6 0,6<br />
Verdichter 0,3 0,1 0,1<br />
Permeatbehälter – 1,7 1,7<br />
UV-Anlage 0,2 0,2 0,2<br />
Behälter Biologie – – 2,3<br />
Haar- und Faserfänger 2 x 0,1 0,2 0,2<br />
Gesamtplatzbedarf 4,8 5,8 8,2<br />
Tabelle 1: Platzbedarf der einzelnen Komponenten (Quelle: Bryks, L.)
44<br />
diverse Bauteile und Apparate, die aufgrund der unterschiedlichen<br />
Volumenströme auch in ihren Abmessungen variieren.<br />
Tabelle 1 enthält eine Zusammenstellung des Platzbedarfs<br />
der einzelnen Komponenten aller untersuchten Varianten.<br />
Die Bauteile der Systemvarianten 1 und 2 lassen sich problemlos<br />
in den Technikraum integrieren. Keine Komponente<br />
ist dabei höher als zwei Meter und es bleibt ausreichend<br />
Platz für notwendige Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten<br />
an den technischen Apparaten.<br />
Für die Armaturen in Variante 3 ist das Platzangebot jedoch<br />
nicht ausreichend. Der Kreislauf zwischen Biologiebehälter<br />
und Schwallwassertank kann nicht zustande kommen,<br />
da der Bereich für die Kreislaufpumpe inklusive der notwendigen<br />
Armaturen nicht groß genug ist. Eine Umsetzung<br />
des Festbettreaktors ist jedoch auch nicht möglich, da das<br />
Flockungsmittel für eine ausreichende Reaktionszeit <strong>im</strong><br />
Wasser eine Rohrlänge von mindestens 2 Metern zwischen<br />
Schmutzfängern und Biologiebehälter erforderlich macht.<br />
Des Weiteren ist durch die Anordnung des Schwallwasserbehälters<br />
der Platz für die Umgehungsleitung und die<br />
UV-Anlage sehr beengt.<br />
3.2. Wirtschaftliche Betrachtungen<br />
Neben den technischen Betrachtungen der drei Anlagenvarianten<br />
ist es ebenso wichtig und aufschlussreich die<br />
wirtschaftlichen Aspekte zu untersuchen. Hierzu wird die<br />
Kostenvergleichsrechnung als statisches Verfahren der Investitionsrechnung<br />
angewendet. Die Ergebnisse dieser Kostenvergleichsrechnung<br />
sind in Tabelle 2 zusammengefasst.<br />
Variante 1 Variante 2 Variante 3<br />
Anschaffungskosten 69.998,36 € 66.723,39 € 80.119,25 €<br />
Nutzungsdauer<br />
Zinsfuß<br />
12 Jahre<br />
3,00 % p.a.<br />
Kalkulatorische Abschreibungen 5.833,20 € 5.560,28 € 6.676,60 €<br />
Kalkulatorische Zinsen 1.049,98 € 1.000,85 € 1.201,79 €<br />
Fixe Kosten pro Periode 6.883,17 € 6.561,13 € 7.878,39 €<br />
pH-Wert-Korrekturmittel 1.622,40 € 2.293,20 € 2.293,20 €<br />
Flockungsmittel - € 78,00 € 78,00 €<br />
Instandhaltung (1,5 %) 1.049,98 € 1.000,85 € 1.201,79 €<br />
Personalaufwand 7.020,00 € 2.070,00 € 3.150,00 €<br />
Abwasserkosten 280,80 € 280,80 € 280,80 €<br />
Wasserkosten - € - € - €<br />
Stromkosten 11.018,50 € 4.438,50 € 4.982,30 €<br />
Variable Kosten pro Periode 20.991,68 € 10.161,35 € 11.986,09 €<br />
Gesamtplatzbedarf 27.874,85 € 16.722,48 € 19.864,49 €<br />
Tabelle 2: Zusammenstellung der Gesamtkosten pro Periode (Kalenderjahr)<br />
(Quelle: Bryks, L.)<br />
3.3. Nutzwertanalyse<br />
Mithilfe einer Nutzwertanalyse lassen sich mehrere Alternativinvestitionen<br />
hinsichtlich unterschiedlicher Prioritäten<br />
für eine Entscheidung bewerten. Durch die eigenständige<br />
Festlegung der Kriterien und Prioritäten entsteht zwar ein<br />
subjektives Entscheidungsbild; dies macht aber Sinn, da das<br />
Ergebnis der Analyse auf eine qualitativ hochwertige Wasseraufbereitung<br />
für die Mähnenrobben abzielt und nicht unbedingt<br />
auf die preiswerteste Anlagenvariante.<br />
1<br />
Verbesserung der<br />
Wasserqualität<br />
1.1<br />
Vermeidung von<br />
Algenbildung<br />
1.2<br />
Entfernung der<br />
Wassertrübung<br />
1.3<br />
Abhalten von Bakterien,<br />
Viren und Parasiten<br />
2<br />
Personalaufwand<br />
Effektivste &<br />
wirtschaftlichste<br />
Anlage<br />
3<br />
Betrieb in der<br />
Praxis<br />
Abbildung 1 - Hierarchie der Entscheidungskriterien<br />
3.1<br />
Platzbedarf<br />
(K.o.-Kriterium)<br />
3.2<br />
Strombedarf<br />
3.3<br />
Spülung und Reinigung<br />
3.4<br />
Störungspotential &<br />
Gefährdung<br />
3.5<br />
Bedienung<br />
4<br />
Wirtschaftlichkeit<br />
Jedes Kriterium erhält entsprechend seiner Priorität eine<br />
prozentuale Wichtung und wird mit einer Bewertung von<br />
1 (sehr gut) bis 6 (ungenügend) versehen. Aus dieser Bewertung<br />
lassen sich die Nutzwerte der betrachteten Varianten<br />
berechnen und vergleichen. Die Kriterien für die Nutzwertanalyse<br />
sind in Abbildung 1 hierarchisch aufgelistet. Vorab<br />
sind K.-o.-Kriterien, die bei Nichterfüllung direkt zum Ausschluss<br />
der betroffenen Variante führen, zu prüfen. Für die<br />
Robbenanlage ist das Attribut „Platzbedarf“ ein solches<br />
Kriterium. Wenn die Systemkomponenten nicht komplett in<br />
dem dafür vorgesehenen Technikraum verstaut werden können,<br />
dann kann die Anlage nicht eingesetzt werden. Aus diesem<br />
Grund scheidet das Ultrafiltrationssystem mit Festbettreaktor<br />
(Variante 3) aus der Nutzwertanalyse aus und kommt<br />
dementsprechend auch nicht als Lösung infrage.<br />
Die Ergebnisse der Nutzwertanalyse für die verbleibenden<br />
Varianten 1 und 2 sind in Tabelle 3 zusammengefasst.<br />
Es wird ersichtlich, dass die altbewährte Variante 1, bestehend<br />
aus Abschäumer und Ozoninjektion mit einem<br />
Nutzwert von 2,6 eine solide technische Lösung darstellt.<br />
Variante 2, die neue und noch relativ unbekannte drucklose<br />
Ultrafiltration ohne zusätzliche biologische Reinigung ist mit<br />
einem Nutzwert von 1,4 jedoch die deutlich bessere Alternative.
45<br />
4. Fazit und Ausblick<br />
Nach den ökologischen, bautechnischen und wirtschaftlichen<br />
Betrachtungen der drei Systemvarianten der Wasseraufbereitung<br />
sowie aufgrund des Vergleiches durch die<br />
Nutzwertanalyse ergibt sich die drucklose Ultrafiltration<br />
ohne zusätzliche biologische Reinigung (Variante 2) als beste<br />
Lösung für das untersuchte Robbenbecken. Dies liegt besonders<br />
an der sehr hohen Funktionssicherheit, dem geringen<br />
Platzbedarf, der chemikalienfreien Wasserdesinfektion und<br />
dem damit verbundenen geringen Gefährdungspotenzial.<br />
Vorteilhaft sind weiterhin die geringeren Investitions- und<br />
Betriebskosten <strong>im</strong> Vergleich zu einer Wasseraufbereitung mit<br />
Abschäumer und Ozoninjektion.<br />
Für große Aufbereitungsmengen und bei ausreichendem<br />
Platzangebot empfiehlt es sich, das System durch die Kombination<br />
mit einem vorgeschalteten Festbettreaktor, wie<br />
in Variante 3 beschrieben, zu erweitern, um dadurch einen<br />
noch effektiveren Betrieb zu ermöglichen.<br />
Kriterium<br />
Wichtung<br />
Variante<br />
Variante 1 Variante 2<br />
2<br />
1.1. Vermeidung Algenbildung 25% 2 0,5 2 0,5<br />
1.2. Entfernung Wassertrübung 35% 1 0,35 1 0,35<br />
1.3.<br />
1.<br />
Abhalten von Bakterien,<br />
Viren, Parasiten<br />
Verbesserung der<br />
Wasserqualität<br />
40% 1 0,4 1 0,4<br />
40% 1,25 0,5 1,25 0,5<br />
2. Personalaufwand 25% 4 1 2 0,5<br />
3.1. Platzbedarf (K.-o.-Kriterium) 10% 4 0,4 1 0,1<br />
3.2. Energiebedarf 20% 3 0,6 1 0,2<br />
3.3. Spülung/Reinigung 30% 2 0,6 1 0,3<br />
3.4.<br />
Wertung<br />
Nutzwert<br />
Wertung<br />
Nutzwert<br />
Störungspotenzial/Gefährdung<br />
20% 4 0,8 2 0,4<br />
3.5. Handhabung/Bedienung 20% 3 0,6 1 0,2<br />
3. Betrieb in der Praxis 20% 3 0,6 1,2 0,24<br />
4. Kosten 15% 3 0,45 1 0,15<br />
Summe Nutzwert 100% 2,6 1,4<br />
Tabelle 3: Ergebnisse der Nutzwertanalyse (Quelle: Bryks, L.)<br />
LITERATUR<br />
AquaCare GmbH & Co. KG: AquaCareFlotor – the new generation.<br />
Hochleistungsabschäumtechnik, http://aquacare.de/<br />
download/prospekt/p-acf_2DE.pdf, (Zugriff: 05.08.2016).<br />
Bryks, L. (2016): Vergleich einer Wasseraufbereitungsanlage<br />
mit Abschäumer und Ozonbeaufschlagung gegenüber einem<br />
getauchten Membransystem für drucklose Ultrafiltration,<br />
Diplomarbeit Staatliche Studienakademie Riesa.<br />
Liebmann, H. (1968): Münchner Beiträge zur Abwasser-,<br />
Fischerei- und Flußbiologie. Band 5, Tropfkörper und Belebungsbecken.<br />
Verlag R. Oldenbourg München und Wien , 2.<br />
Auflage.<br />
Sander, M. (1998): Aquarientechnik <strong>im</strong> Süß- und Seewasser.<br />
Ulmer-Verlag Stuttgart (Hohenhe<strong>im</strong>), 1. Auflage.<br />
Wolf, R. (2014): Praxis der Aufbereitung von Betriebs- und<br />
Prozesswasser. Deutscher Industrieverlag München, 1. Auflage.<br />
Zoch, R.: Ultrafiltration drucklos. Innovative Membran-Systeme<br />
für Wasseraufbereitung in öffentlichen Bädern. In: AB<br />
Archiv des Badewesens, Jg. 14 (2016), Nr. 3, S. 159 - 164.
46<br />
Call for Papers für die<br />
wissenschaftliche Zeitung<br />
an der <strong>Berufsakademie</strong> <strong>Sachsen</strong><br />
2018<br />
Sehr geehrte Damen und Herren,<br />
mit der vorliegenden Ausgabe „<strong>Wissen</strong> <strong>im</strong><br />
<strong>Markt</strong>“ beginnt die <strong>Berufsakademie</strong> <strong>Sachsen</strong><br />
ein standortübergreifendes Medium<br />
zu schaffen, um Erkenntnisse aus der angewandten<br />
Forschung, dem Technologietransfer<br />
und dem <strong>Wissen</strong>stransfer zu publizieren.<br />
Damit wird eine Plattform zum wissenschaftlichen<br />
Austausch unter Kollegen,<br />
anderen Hochschulen geschaffen, um<br />
den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung<br />
sowie der Hochschullandschaft zu stärken.<br />
Gemeinsam mit Ihnen wird eine wissenschaftliche<br />
Schriftenreihe erarbeitet, die<br />
jährlich mit ISSN- Nummer erscheint.<br />
Die Veröffentlichungen werden als Druckund<br />
Onlineformat zur Verfügung stehen und<br />
über die Leipziger Medien Service GmbH gedruckt.<br />
Zielgruppe der Publikation sind Praxispartner<br />
und Studierende.<br />
Beiträge dürfen haupt- und nebenberufliche<br />
Dozenten, Kollegen, Alumni sowie<br />
Praxispartner, die mindestens den ersten<br />
akademischen Grad erreicht haben, einreichen.<br />
Der Autor verpflichtet sich mit der Einsendung<br />
des Manuskripts unwiderruflich, dieses<br />
bis zur Entscheidung über die Annahme<br />
nicht zu veröffentlichen oder anderweitig<br />
zur Veröffentlichung in deutschsprachigen<br />
Medien anzubieten. Es ist nicht möglich für<br />
die Veröffentlichung ein Honorar zu zahlen.
47<br />
AUFRUF:<br />
Vom 10.04. - 31.12.<strong>2017</strong> können Sie Ihre wissenschaftlichen Beiträge<br />
mit praktischer Relevanz zu aktuellen Fragen der Wirtschaft sowie<br />
Technik und Soziales unter publikation@ba-sachsen.de einreichen.<br />
Hinweise zur<br />
Veröffentlichungsreihe:<br />
Die wissenschaftlichen Beiträge<br />
sollen in deutscher Sprache<br />
eingereicht werden und ein<br />
Summary in Englisch enthalten.<br />
Folgende Kriterien<br />
sind zu erfüllen:<br />
• bieten innovative Perspektiven,<br />
Argumente, Problemanalysen<br />
in Ihrem Studiengang/Ihrer<br />
Kernkompetenz<br />
• fokussiert wesentliche Aspekte<br />
in Ihrer Kernkompetenz<br />
• ist theoretisch fundiert, d. h.<br />
bietet eine deutliche Anbindung<br />
an den derzeitigen<br />
wissenschaftlichen Diskurs<br />
• macht die Methodik des<br />
Erkenntnisgewinns transparent<br />
• folgt konsistent den Regeln<br />
der wissenschaftlichen Arbeit<br />
• Das Manuskript umfasst 3-10<br />
Seiten, wobei die reine Textseite<br />
max<strong>im</strong>al 3.200 Zeichen<br />
inkl. Leerzeichen umfassen<br />
darf. Im Falle Sie nutzen<br />
Abbildungen verringert sich<br />
die Zeichenanzahl.<br />
• Der Abstract sollte nicht<br />
mehr als 150 Wörter umfassen.<br />
• Vorstellung des Autors mit<br />
Kurzbiografie und schwarzweiß<br />
Lichtbild<br />
• es gilt die deutsche<br />
Rechtschreibung<br />
• Am Schluss des Manuskriptes<br />
ist eine Literaturliste<br />
anzufügen. Alle verwendeten<br />
Titel sind alphabetisch nach<br />
Autorennamen und Erscheinungsjahr<br />
zu ordnen.<br />
Datenübermittlung<br />
und Angaben zum Autor<br />
Der Autor wird anhand seines<br />
Lichtbildes sowie einer Kurzbiografie<br />
unter Angaben der<br />
Kontaktdaten veröffentlicht.<br />
Diese Angaben sind in gesonderten<br />
Dateien mit folgenden<br />
Anforderungen zu senden:<br />
Bildanforderung:<br />
• 2 MB Bildgröße,<br />
52 mm Breite x 55 mm Höhe<br />
Kontaktmöglichkeit<br />
des Autors:<br />
• Vor- und Zuname<br />
• Institution/Firma<br />
• Studiengang/Abteilung<br />
• E-Mail-Adresse<br />
Grafiken/Abbildungen:<br />
• sind in separaten, zusätzlichen<br />
Dateien und druckfähiger<br />
Auflösung zu liefern<br />
Der angenommene, druckreife<br />
Beitrag (Textmanuskript,<br />
Abstract, Tabellen, Abbildungen)<br />
ist elektronisch, bestenfalls<br />
in Original Excel- Dateien<br />
bzw. Word-Dateien zu übersenden.
48<br />
Daycare is often underest<strong>im</strong>ated in its<br />
<strong>im</strong>portance for inclusion. The common<br />
view of daycare is that this institution is<br />
only used by people who are elderly and<br />
who mainly cannot stay at home alone.<br />
This view l<strong>im</strong>its the opportunities which<br />
daycare is able to offer a varied group of<br />
people who need assistance and support<br />
in daily life. This essay has the purpose to<br />
change this l<strong>im</strong>ited view on daycare. The<br />
opening of daycare requires further and<br />
interdisciplinary qualifications for care<br />
staff. In the future daycare can become<br />
a place for elderly people, toddlers,<br />
for people with handicaps or mental<br />
disability at the same t<strong>im</strong>e. It has the<br />
potential to bring different individuals<br />
together so that they can profit from each<br />
other. This would lead to a successful<br />
inclusion which will be illustrated by<br />
example of an intergenerational daycare.
49<br />
Prof. Stefan Müller-Teusler<br />
geboren 1964, studierte Sozialpädagogik an der Hochschule (heute: Universität) Lüneburg und absolvierte<br />
dort ein Masterstudium (M.B.A.). Beruflich war er in der Leitung einer stationären Einrichtung für<br />
Menschen mit Störungen aus dem autistischen Spektrum tätig sowie Dozent <strong>im</strong> Studiengang Soziale<br />
Arbeit an der BA Breitenbrunn und Studiengangleiter. Hinzu kamen Lehraufträge an Hochschulen in<br />
Deutschland, Österreich und der Schweiz. Heute ist er Geschäftsführer be<strong>im</strong> Paritätischen Wohlfahrtsverband<br />
in Uelzen und Praxispartner der BA Breitenbrunn. Er lehrt an der Leuphana Universität Lüneburg<br />
sowie an der BA Breitenbrunn und ist Vorsitzender der Studienkommission Sozialwesen.<br />
Stefanie Sychla<br />
KONTAKT: Paritätischer Uelzen/BA Breitenbrunn I uelzen@paritaetischer.de<br />
geboren 1986, absolvierte zunächst eine Ausbildung zur Bankkauffrau (IHK) sowie eine Weiterbildung<br />
zur Sparkassenfachwirtin an der Sparkassenakademie Niedersachsen. Im Anschluss studierte sie Sozialwissenschaften<br />
(B.A.) an der Leibniz Universität Hannover. Beruflich war sie u.a. als Privatkundenberaterin,<br />
Arbeitsvermittlerin und <strong>im</strong> Bereich der Aus- und Weiterbildung in der freien Wirtschaft tätig.<br />
Heute ist sie Projektkoordinatorin <strong>im</strong> Projekt „VeLa-Versorgung auf dem Land“ be<strong>im</strong> Paritätischen<br />
Wohlfahrtsverband Niedersachsen e. V., Kreisverband Uelzen und Lehrbeauftragte an der Leuphana<br />
Universität Lüneburg.<br />
KONTAKT: Paritätischer Uelzen/BA Breitenbrunn I uelzen@paritaetischer.de<br />
Tagespflege (für Senioren) – ein<br />
missverständliches Inklusionsprojekt<br />
Stefanie Sychla und Stefan Müller-Teusler<br />
Tagespflege ist in der Lage, <strong>im</strong> Sinne<br />
von Inklusion mehr zu leisten als ihr<br />
bisher zugetraut wird. Die heutige<br />
Sicht auf Tagespflege als ein alleiniges<br />
Betreuungsangebot für pflegebedürftige<br />
Senioren ist überholt und muss sich<br />
wandeln. Hierzu ist es auch erforderlich,<br />
die Anforderungen an Mitarbeitende in<br />
diesem interdisziplinären Tätigkeitsfeld<br />
anders zu denken. Ein Zukunftsentwurf<br />
für ein „inklusives Zuhause für<br />
tagsüber“ dient als Beispiel für<br />
generationenübergreifende Betreuung.
50<br />
Aus dem Betrieb einer eigenen Tagespflege ergab<br />
sich die Beobachtung, dass landläufige Vorurteile<br />
dringend korrigiert werden müssen und<br />
Tagespflege ein großes Potenzial beinhaltet,<br />
was häufig nicht beachtet wird. Insbesondere<br />
<strong>im</strong> Kontext von Teilhabe und Inklusion ist Teilhabe<br />
ein wichtiges Praxisfeld. Diese Ausführungen<br />
sind bisher einzigartig und sollen fachliche Diskussionen<br />
anstoßen.<br />
1. Einleitung<br />
Tagespflege für Senioren ist ein teilstationäres Angebot,<br />
das – je nach Pflegegrad des Tagesgastes – aus Mitteln der<br />
Pflegeversicherung finanziert wird. Es besteht die landläufige<br />
Meinung, Tagespflege sei so etwas wie ein „Kindergarten<br />
für Senioren“ und bekomme damit auch den Charakter eines<br />
Betreuungsangebotes für Menschen, die eben nicht (mehr)<br />
für sich selber sorgen können. Tatsächlich, und das soll hier<br />
aufgezeigt werden, ist Tagespflege ein höchst anspruchsvoller<br />
Ort von Begegnung, Förderung, Kommunikation und vor<br />
allen Dingen Inklusion, der in seiner professionellen Ausrichtung<br />
einer interdisziplinären Tätigkeit von verschiedenen<br />
Mitarbeitern bedarf.<br />
2. Tagespflege (für Senioren)<br />
Tagespflege ist folgendermaßen definiert: „Die Tagespflege<br />
wird in der Regel von Pflegebedürftigen in Anspruch genommen,<br />
deren Angehörige tagsüber berufstätig sind. Die<br />
Pflegebedürftigen werden meist morgens abgeholt und<br />
nachmittags nach Hause zurückgebracht. Die Tagespflege<br />
findet in Pflegehe<strong>im</strong>en oder in einer Tagesstätte statt. Pflegebedürftige<br />
erhalten dort ihre Mahlzeiten, befinden sich in<br />
Gesellschaft und werden körperlich und geistig aktiviert.“<br />
(Die Bundesregierung in einer offiziellen Verlautbarung vom<br />
10.05.2016, http://www.bmg.bund.de/glossarbegriffe/t-u/<br />
tages-und-nachtpflege.html; Abruf am 20.10.2016) Üblicherweise<br />
kommen in einer Tagespflege sehr unterschiedliche<br />
Menschen <strong>im</strong> überwiegend höheren Lebensalter zusammen.<br />
Der Anlass für die Aufnahme in die Tagespflege erfolgt aus<br />
ganz unterschiedlichen Gründen:<br />
Z Bedürfnis nach Geselligkeit, Verhinderung von Einsamkeit<br />
Z Entlastung der pflegenden Angehörigen (aus beruflichen<br />
und/oder persönlichen Gründen)<br />
Z Ergänzung zur ambulanten Pflege<br />
Z Erhalt von lebenspraktischen Kompetenzen<br />
Z Betreuung und Beaufsichtigung aufgrund von lebensphasentypischen<br />
Erkrankungen (z.B. Demenz) mit<br />
eventuellen Komplementärfolgen<br />
Z Kompensation von (alterstypischen) Beeinträchtigungen<br />
Z Ausfall/Wegfall von Betreuungsmöglichkeiten<br />
Die Aufnahme von Menschen in die Tagespflege ist erst einmal<br />
eine hohe Integrationsleistung. Es geht um das Abholen<br />
der Menschen in ihrer individuellen Lebenssituation und<br />
-phase, es geht um ihre Erlebnisse, es geht um reichhaltige<br />
Biografien mit diversen Erfahrungen (positiv wie negativ)<br />
und es geht um den Respekt vor der jeweiligen Lebensleistung<br />
ohne jegliche moralische Wertung. Tagespflege ist eine<br />
Begegnung auf Zeit und gleichwohl ein intensiver Prozess<br />
von Sozialisation mit Prägung von biografischen Momenten<br />
– bei Tagesgästen gleichermaßen wie bei Mitarbeitern und<br />
Praktikanten. Tagespflege lässt sich mit dem Motto: „Lassen<br />
Sie uns Gast sein in Ihrem Leben“ (vgl. Müller-Teusler, 2010,<br />
2013) gut umschreiben. Damit ist die Institution lebendig<br />
geworden, hat inhaltliche Konturen erfahren. Und Lebendigkeit<br />
sowie Begegnung best<strong>im</strong>men das Bild. Es geht um ein<br />
Stück gelebte Gemeinschaft, die sie außerhalb der Tagespflege<br />
(häufig) nicht mehr haben.<br />
Tatsächlich findet in der Tagespflege relativ wenig Pflege<br />
statt, sondern es ist eher ein Begleiten in hygienischen Kontexten<br />
und Unterstützung in lebenspraktischen Zusammenhängen<br />
(z.B. Essen und Trinken). Der Begriff Tagespflege ist<br />
damit irreführend, suggeriert dieser doch eher das Bild von<br />
vielfach eingeschränkten Menschen, ist anscheinend auf best<strong>im</strong>mte<br />
Klienten beschränkt, die einer (komplexen) Versorgung<br />
bedürfen. Tatsächlich können alle Menschen, die einen<br />
Pflegegrad aufweisen, in die Tagespflege gehen, soweit sie<br />
nicht schon anderweitig außerhalb ihrer Häuslichkeit betreut<br />
werden. So gibt es auch untypische Tagesgäste, wie sie<br />
z.B. be<strong>im</strong> Praxispartner Paritätischer Uelzen <strong>im</strong> Laufe von<br />
nun drei Jahren betreut wurden bzw. werden, darunter Menschen<br />
mit einer Chorea-Huntington-Erkrankung, mit einer<br />
Zerebralparese, mit frühkindlichem Autismus, mit Bul<strong>im</strong>ie<br />
und anderen Formen von Störungen bzw. Beeinträchtigungen.<br />
Außerdem hat sich ergeben, dass ein Praktikum in der<br />
Tagespflege für manche Menschen eine Chance zur beruflichen<br />
Orientierung ist und häufig parallel mit einer (Neu-)<br />
Ordnung des eigenen Lebens verbunden ist. Tagespflege – so<br />
vielleicht ein erstes Zwischenfazit – ist damit (unmerklich)<br />
zu einem Schon- und Entlastungsraum geworden – sowohl<br />
für Tagesgäste der eher typischen Altersgruppe <strong>im</strong> höheren<br />
Lebensalter als auch für Menschen mit unterschiedlichen<br />
Barrieren wie auch für diverse Praktikanten. Tagespflege<br />
erweist sich vor diesem Hintergrund als inklusiv.<br />
In diesem Raum von Begegnung ist erst einmal keine Anforderung,<br />
sondern ein Ankommen und Sich-Miteinander-Finden.<br />
Weil es ein Raum ohne Anforderung ist, gibt es für jeden<br />
Einzelnen die Möglichkeit zur individuellen Orientierung und<br />
Ausrichtung nach seinen Neigungen. Da sind die Senioren<br />
neugierig auf den Menschen mit frühkindlichem Autismus.<br />
Da geht nach ein paar Tagen des neugierigen Beobachtens<br />
der Mensch mit Autismus unvermittelt auf eine Seniorin zu
51<br />
und legt ihr seine Hand auf den Kopf. Da achten die Senioren<br />
darauf, dass der Tagesgast mit Zerebralparese nicht stürzt<br />
und ihm in seinen Bewegungen geholfen wird. Da werden<br />
Tagesgäste zu Unterstützern und verstehen sich quasi als<br />
Praktikanten. Tagespflege wird vom Raum der Begegnung<br />
zum Forum der Interaktion von Tagesgästen. Das Miteinander<br />
wird selbstverständlich als Grundsatz und Grundhaltung:<br />
gelebte Inklusion.<br />
3. Fachliche Anforderungen<br />
Tagespflege erfordert eine höchst differenzierte Professionalität.<br />
Sie ist sowohl aufgrund der unterschiedlichen Personen<br />
als auch der diversen Fragestellungen multi- und interdisziplinär<br />
ausgelegt. Es werden Kenntnisse von sozialer<br />
Gerontologie (in einem jüngeren sozialwissenschaftlichen<br />
Verständnis) wie auch Geriatrie verlangt; Pflegewissenschaft<br />
und Gesundheitswissenschaft komplementieren diese. Hinzu<br />
kommen Elemente aus Physiotherapie, Ergotherapie,<br />
ggf. Logopädie etc. Das betrifft überwiegend die physiologische<br />
Konstitution des Menschen. Besonders notwendig<br />
sind zudem die psychischen Aspekte, die in der Dynamik der<br />
jeweiligen Lebensphase und der damit verbundenen Befindlichkeit<br />
eine erhebliche Rolle spielen. Psychologie in ihren<br />
unterschiedlichen Aspekten wie Traumabewältigung, methodische<br />
Zugänge zum Menschen, Umgang mit St<strong>im</strong>mungsschwankungen<br />
und ambivalenten Emotionen wie auch spezifische<br />
Kenntnisse der Entwicklung der Lebensphasen ist<br />
hier vordringlich zu nennen.<br />
Da Tagespflege ein Geschehen in Gruppen mit sehr unterschiedlichen<br />
Menschen ist, sind Kenntnisse von Gruppenpädagogik<br />
und -dynamik unerlässlich. Die Gruppe der<br />
Tagesgäste ist über die Woche betrachtet nicht homogen,<br />
sondern abhängig von Pflegegraden und individuellen<br />
Bedürfnissen. Die Zusammensetzung kann täglich variieren,<br />
sodass es nicht um einen konstanten Prozess<br />
von Gruppenbildung geht, sondern dieser variabel ist<br />
und dementsprechend eine hohe Flexibilität der Mitarbeitenden<br />
erfordert.<br />
Tagespflege ist auch eine Form von Bildung: „die wache,<br />
kenntnisreiche und kritische Aneignung von Kultur. Es ist<br />
dieser Prozess der Aneignung, in dem sich jemand seine<br />
kulturelle Identität schafft“ (Bieri, 2014, S. 62). Menschen<br />
<strong>im</strong> höheren Lebensalter benötigen hier eine besondere Unterstützung,<br />
sind doch viele Entwicklungen (Kulturen) um<br />
sie herum nicht (mehr) verständlich, gleichwohl leben sie in<br />
dieser Zeit mit ihren Strömungen und Tendenzen. Teilhabe<br />
heißt nicht nur Zugänge zu schaffen, sondern auch Verständnisse<br />
zu ermöglichen, damit gelingende Interaktionen (z.B.<br />
zwischen Kulturen, Generationen) stattfinden können.<br />
Es ist schon fast banal darauf hinzuweisen, dass Tagespflege<br />
auch ein Teil von Lebensweltorientierung ist und die soziale<br />
Arbeit längst in diesen Lebensphasen tätig ist (vgl. Böhnisch,<br />
2012) wie umgekehrt die Lebensweltorientierung zunehmend<br />
in pflegerischen Kontexten rezipiert wird. „Lebensweltorientierung<br />
steht so für Normalisierung und Pluralisierung, in<br />
interventiver Hinsicht für eine kasuistische Orientierung mit<br />
starkem Bezug auf relevante – individuelle und strukturell –<br />
Umweltfaktoren. In lebensweltlicher Perspektive kann<br />
so auf Unterschiedlichkeiten zwischen den Generationen<br />
angemessen reagiert werden – ohne auf der einen Seite<br />
auf eine Segregation zu zielen noch auf der anderen Seite<br />
Altersgruppenunterschiede einzuebnen“ (Otto/Bauer, 2004).<br />
Tagespflege bietet hierfür den (Schon-)Raum, insbesondere<br />
<strong>im</strong> Zusammenhang mit untypischen Klienten, diese Brücken<br />
zu bauen und Bildung als Prozess (s.o.) zu verstetigen. Die<br />
Handlungsmax<strong>im</strong>en der Lebensweltorientierung (Prävention,<br />
Alltagsnähe, Integration, Partizipation, Dezentralisierung/Regionalisierung/Vernetzung<br />
sowie Einmischung (vgl.<br />
Grundwald/ Thiersch, 2004, S. 26.ff.)) gelten für Tagespflege<br />
gleichermaßen.<br />
4. Anforderungen an Mitarbeitende<br />
Tagespflege ist zuvorderst eine Begegnung zwischen Personen<br />
– sowohl Tagesgäste untereinander als auch Mitarbeitenden<br />
mit den Tagesgästen. Diese Begegnung zwischen<br />
Mitarbeitenden und Tagesgästen ist einerseits ein <strong>im</strong>pulsives<br />
Interagieren miteinander und andererseits ein professioneller,<br />
gekonnter Akt, der in gelingendes Handeln mündet. „Das<br />
methodische Handeln in der Sozialarbeit/Sozialpädagogik<br />
ist kein technischer Vorgang; vielmehr basiert es auf einer<br />
theoriegeleiteten Qualifikation, aber auch auf der persönlichen<br />
Einsatzbereitschaft und Haltung sowie auf dem Charisma<br />
des Erziehenden.“ (Colla, 2011, S. 897). Der Erziehende<br />
hat hier mehr die Rolle des Begleiters, was an dem Grundsatz<br />
des methodischen Handelns nichts ändert. Es bedarf der<br />
Verabredung zu einem gemeinsamen Bildungsprozess (s.o.)<br />
zweier miteinander agierender Akteure, wobei der Mitarbeitende<br />
(Erziehende) die Rolle des leitenden Akteurs <strong>im</strong> Sinne<br />
des methodischen Handelns innehat, weil es hier die Umkehrung<br />
des Generationenverhältnisses ist, was für die Mitarbeitenden<br />
bedeutet, Balancieren zu lernen (vgl. Meyer, 2013).<br />
Dieses methodische Handeln erfordert also eine professionelle<br />
Haltung, die in einen Habitus mündet. Dieses<br />
Kon-strukt ist die eigene biografische und soziale Vergangenheit<br />
in Kombination mit einem fachspezifischen<br />
Habitus (Friebertshäuser, 2000; vgl. Meyer, 2013, S. 239).<br />
Dazu gehört unabdingbar die Klärung eigener Lebensfragen<br />
als ein Moment moderner, sozialwissenschaftlich<br />
fundierter Allgemeinbildung bzw. als das Erkennen von<br />
Schwierigkeiten sowie als Potenzial des sozialen Lebens<br />
und Lernens (Thiersch, 2000; vgl. dazu Meyer, 2013, S. 241).<br />
Dieses Charismatische, das Wirken als Person und der weit-
52<br />
gehend vorbehaltlose Zugang zu (älteren) Menschen stellt<br />
die unsichtbare Qualifikation dar (Müller-Teusler, 2013),<br />
die eine persönliche Voraussetzung für die fachliche Qualifizierung<br />
und damit letztendlich für gelingendes professionelles<br />
Handeln bildet. Diese unsichtbare Qualifikation ist an<br />
die jeweilige Person gebunden, sie ist ein konstitutiver Bestandteil<br />
der Erzieherpersönlichkeit und bleibt dynamisch<br />
<strong>im</strong> Kontext der personalen Entwicklung.<br />
Das Handeln der Mitarbeitenden bedarf nicht nur spezifischer<br />
Kenntnisse der oben genannten Disziplinen, sondern muss –<br />
theoriegeleitet – die Kombination von professionellem Handeln<br />
und ethischer Fundierung schaffen (vgl. z.B. Schwerdt,<br />
1998; Conradi, 2001) als Ausdruck des berufsspezifischen<br />
Habitus. Die Tätigkeit in der Tagespflege bedeutet also ein<br />
Balancieren lernen (Meyer, 2013) als professionelles Handeln<br />
zwischen aktivem Tun, aber auch aktivem Aushalten. Liebe<br />
und Verantwortung (Colla, 2011) stellen hier den pädagogischen<br />
Bezug dar, was ohne ethische Fundierung unmöglich<br />
ist.Hinzu kommen die soft skills, wobei hier die sozialen Kompetenzen<br />
eine Schlüsselfunktion einnehmen.<br />
Es geht um Kompetenzen:<br />
Z <strong>im</strong> Umgang mit sich selber<br />
Z <strong>im</strong> Umgang mit anderen<br />
Z in Bezug auf Zusammenarbeit<br />
Z in Bezug auf Führung(-squalitäten)<br />
Z <strong>im</strong> Allgemeinen (vgl. Maus/Nodes/Röh, 2008).<br />
Tagespflege als anspruchsvolles Tätigkeitsfeld bedarf professioneller<br />
Mitarbeiter/innen, die die Kombination zwischen<br />
fachlichen Grundlagen und persönlichen Merkmalen kompetent<br />
schaffen. Die Kunst der Profession besteht darin, „dass<br />
Fachkräfte ihr Können, <strong>Wissen</strong> und ihre beruflichen Haltungen<br />
<strong>im</strong> Hinblick auf die verschiedenen <strong>Wissen</strong>sbestände und<br />
auf ihre Erfahrungen sowie die institutionellen Bedingungen<br />
und Vorgaben fall- und kontextbezogen einsetzen. Die<br />
Fachkräfte sollen ihre persönlichkeitsbedingten Fähigkeiten<br />
wahrnehmen, reflektieren und fachlich qualifizieren. Als<br />
Ausweis von Fachlichkeit gilt, dass sie die Art und Weise des<br />
Einsatzes ihrer Person fachlich begründen und berufsethisch<br />
rechtfertigen können.“ (v. Spiegel, 2004, S. 84). Zu diskutieren<br />
wäre noch, ob auf dem Hintergrund der geplanten generalistischen<br />
Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger<br />
(m/w) ein neues Berufsbild für die Tagespflege geschaffen<br />
werden muss.<br />
5. Zukunftsentwurf eines<br />
„inklusiven Zuhauses für tagsüber“<br />
Wie kann es gelingen, dass die Tagespflege von heute ein<br />
„inklusives Zuhause für tagsüber“ für viele betreuungsbedürftige<br />
Menschen aller Altersgruppen wird? Sicherlich<br />
wird dies nicht von heute auf morgen geschehen, aber ein<br />
Wandel in der Wahrnehmung der Menschen von Tagespflege<br />
kann zumindest in kleinen Schritten vollzogen werden. Erste<br />
Ansätze von generationenübergreifender Betreuung gibt es<br />
bereits. Diese gilt es weiterzuentwickeln und in der Praxis<br />
weiterzuerproben.<br />
Aufgrund der demografischen Entwicklung, die sich weiter<br />
fortsetzt und dazu führt, dass insbesondere ländliche<br />
und dörflich geprägte Regionen verwaisen, gibt es <strong>im</strong>mer<br />
mehr Gebäude, die leer stehen und ungenutzt bleiben. Früher<br />
befand sich in dem Gebäude vielleicht eine Dorfschule<br />
oder ein Lebensmittelgeschäft, die nun aufgrund mangelnder<br />
Schülerzahlen oder infolge fehlender Kaufkraft schließen<br />
mussten. Viele junge Menschen ziehen in die Städte, in<br />
der Hoffnung dort gut bezahlte Arbeitsplätze zu finden, die<br />
es auf dem Dorf nun nicht mehr gibt, und ein attraktives<br />
Lebensumfeld <strong>im</strong> urbanen Kontext. Gleichzeitig gibt es einen<br />
(bescheidenen) Zuzug von jungen Familien, die sich die städtischen<br />
Immobilienpreise nicht leisten können und bewusst<br />
für ein Aufwachsen ihrer Kinder <strong>im</strong> ländlichen Kontext entscheiden.<br />
Wer kümmert sich nun zum einen um die verbleibenden<br />
Senioren und Pflegebedürftigen und zum anderen<br />
um die kleinen Kinder? Warum ließe sich die Betreuung von<br />
beiden nicht miteinander verbinden?<br />
Ein Projekt, das diesen Ansatz zumindest in Teilen schon<br />
aufgreift, ist z.B. die Einrichtung „Poggen & Pöggskes“ in<br />
Warendorf-Freckenhorst (Münsterland). Dort wird die Tagesbetreuung<br />
für Senioren mit einer Tagesbetreuung für<br />
unter Dreijährige verbunden. Es finden <strong>im</strong> Rahmen der Betreuung<br />
regelmäßige generationenübergreifende Begegnungen<br />
in dafür vorgesehenen gemeinsamen Freizeit- und<br />
Begegnungsräumen statt. Das Pflegepersonal, welches dort<br />
überwiegend aus weiblichen Personen mit noch nicht abgeschlossener<br />
Kinderplanung besteht, hat somit auch selbst<br />
die Möglichkeit den eigenen Bedarf an Kinderbetreuung mit<br />
einer beruflichen Tätigkeit zu verbinden – für alle ein Mehrfachnutzen<br />
(vgl. Brocker, 2014). Diesem Beispiel sind inzwischen<br />
einige wenige neue Einrichtungen gefolgt.<br />
Dieser Ansatz könnte nun dahingehend weiterentwickelt<br />
werden, dass Kinder mit einem Pflegebedarf aufgrund geistiger<br />
und/oder körperlicher Behinderung mit nicht beeinträchtigten<br />
Kindern zusammen betreut werden und erwachsene<br />
Personen, unabhängig von ihrem Alter, sowie Jugendliche<br />
mit einem Betreuungsbedarf in einer gemeinsamen Begegnungsstätte<br />
betreut werden. Auf diese Weise könnte ein<br />
inklusives Zuhause für tagsüber entstehen.<br />
Das nachfolgende Beispiel soll nur grob eine Idee umreißen.<br />
Bei einer Umsetzung in die Praxis muss noch ein detailliertes<br />
Konzept erarbeitet werden. Hierbei geht es nur um den<br />
Denkansatz, mehrere Dinge zu kombinieren und auf diese<br />
Weise vielfältigen Problemstellungen zumindest in den
53<br />
Ansätzen zu begegnen.<br />
Konkret könnte dies so aussehen, dass entsprechende<br />
Räumlichkeiten <strong>im</strong> ländlichen Raum gesucht werden, die bereits<br />
leer und nicht <strong>im</strong> Fokus von Investoren stehen. Durch<br />
eine gezielte Bedarfsanalyse sind die Bedürfnisse der Menschen,<br />
mit Fokus auf die Regionalität, zielgerichtet zu ermitteln.<br />
Die Räumlichkeiten müssen flexibel nutzbar sein. Ist<br />
ein passendes Objekt gefunden, kann es nach den jeweiligen<br />
Bedarfen ausgestaltet und umgebaut werden. Neben<br />
Rückzugsräumen für die älteren Menschen sollten mehrere<br />
zentrale Räume entstehen, die der gegenseitigen Begegnung<br />
dienen. Gleichzeitig müssen die Räumlichkeiten spezifische<br />
Nischen für unterschiedliche Altersgruppen bzw. Interessen<br />
beinhalten.<br />
Junge Familien mit Kindern hätten den Vorteil, dass sie ihre<br />
Kinder gut betreut wüssten und Angehörige von pflegebedürftigen<br />
oder alten Menschen ebenso. Die Generationen kämen<br />
wieder zusammen und könnten somit voneinander profitieren.<br />
Der Generationenvertrag würde in der Regionalität<br />
durch die Praxis und zum gegenseitigen Nutzen neu belebt.<br />
Bei einer entsprechenden Größe wäre es zudem denkbar,<br />
auch weitere Angebote mit in das Gebäude zu integrieren.<br />
Ein in das Gebäude integrierter Dorfladen, mit beispielsweise<br />
einem Dorfcafé, würde zur Verbesserung der Daseinsversorgung<br />
vor Ort beitragen und zu einer Belebung der Umgebung<br />
führen. Eine Mitarbeit von geistig- und/oder körperlich<br />
beeinträchtigten Menschen in einem Dorfladen oder <strong>im</strong> Dorfcafé<br />
wäre ein zusätzlicher inklusiver Baustein. Die fehlende<br />
Nahversorgung auf dem Land (vgl. Eberhardt, Pollermann, &<br />
Küpper, 2014) könnte dann wieder sichergestellt werden. Ein<br />
weiterer positiver Effekt wäre, dass auch das Erscheinungsbild<br />
des Dorfes optisch aufgewertet wird, da ein ehemals<br />
leerstehendes, verfallendes Gebäude saniert wird und wieder<br />
ein Treffpunkt zum Austausch entsteht. Das Dorf selbst<br />
könnte letztendlich an Attraktivität gewinnen und somit als<br />
Wohnort wieder für weitere Personen interessant werden.<br />
Einer Verödung der ländlichen Region könnte somit entgegengewirkt<br />
werden.<br />
Ein inklusives Zuhause für tagsüber könnte also einen großen<br />
Beitrag zum einen für die Daseinsversorgung und ländliche<br />
Entwicklung leisten und zum anderen Inklusion mehrfach<br />
umsetzen. Jedes kleine oder auch große Projekt, das<br />
umgesetzt wird, kann dazu beitragen, dass Inklusion in der<br />
Gesellschaft <strong>im</strong>mer selbstverständlicher wird. Die heutige<br />
Sicht auf die Tagespflege ist bereits jetzt überholt und muss<br />
sich wandeln.<br />
6. Konklusion<br />
Tagespflege ist ein höchst anspruchsvolles, interdisziplinäres<br />
Feld, das zur gelingenden Umsetzung und einer professionellen<br />
Tätigkeit besonderer fachlicher Qualifikationen<br />
jenseits der derzeit geltenden Personalverordnungen<br />
(Altenpflege) bedarf. Auch ist die Bezeichnung Tagespflege<br />
unglücklich, denn es ist vielmehr ein pädagogisch-psychologisch-soziales<br />
Feld als Pflege für Senioren.<br />
Die Zielgruppe der Senioren als Reaktion auf den demografischen<br />
Wandel ist richtig und sinnvoll, sollte<br />
aber keineswegs darauf beschränkt bleiben.<br />
Tagespflege ist – wie andere soziale Institutionen auch –<br />
der Inklusion verpflichtet und ein natürlicher Raum<br />
dafür. Sie bietet vielfältige Optionen und Chancen.<br />
Die BA Breitenbrunn hat früh auf den sich abzeichnenden<br />
demografischen Wandel reagiert und <strong>im</strong> Bachelor-Studiengang<br />
Soziale Arbeit die Studienrichtung Soziale Gerontologie<br />
eingerichtet. Diese gilt es <strong>im</strong> Hinblick auf die gesellschaftlichen<br />
Bedarfe konsequent weiterzuentwickeln, aber auch <strong>im</strong><br />
Sinne der Professionalisierung und der Notwendigkeit der<br />
vielfältigen Anforderungen (fach-)öffentlich für einen Wandel<br />
und für eine Öffnung der Tagespflege zu sorgen.<br />
Tagespflege wird damit zu einem wichtigen gesellschaftlichen<br />
Baustein zur Umsetzung von Inklusion. Tagespflege<br />
kann in Kombination mit Kindertagespflege zur (Neu-)Belebung<br />
des Generationenverhältnisses und des gesellschaftlichen<br />
Zusammenhalts beitragen. Tagespflege wird somit<br />
zu einem Koproduzenten und Mitgestalter der individuellen<br />
Lebenskultur: als Gast <strong>im</strong> Leben des Tagesgastes. Tagespflege<br />
lohnt sich – weil jedes Bemühen für jeden einzelnen<br />
Menschen lohnenswert ist und zu einem gelingenden Dasein<br />
erheblich beitragen kann.
54<br />
LITERATUR<br />
Bieri, P. (2014): Wie wollen wir leben? München, 5. Auflage.<br />
Böhnisch, L. (2012): Sozialpädagogik der Lebensalter; Weinhe<strong>im</strong>,<br />
6. Auflage.<br />
Brocker, J. (2016): Generationsübergreifende Tagespflege<br />
„Ein richtig gutes Projekt“ in Westfälische Nachrichten,<br />
2014; http://www.wn.de/Muensterland/Kreis-Warendorf/<br />
Warendorf/2014/03/1468522-Generationsuebergreifende-<br />
Tagespflege-Ein-richtig-gutes-Projekt, Datum des Zugriffs<br />
11.11.2016.<br />
Colla, H. E. (2011): Liebe und Verantwortung. In: Otto, Hans-<br />
Uwe; Thiersch, Hans (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit. München,<br />
4. Auflage.<br />
Conradi, E. (2001): Take Care; Frankfurt/M.<br />
Eberhardt, W., Pollermann, D., & Küpper, D. (2014): Sicherung<br />
der Nahversorgung in ländlichen Räumen – Impulse für die<br />
Praxis. (Bundesministerium für Umwelt, Hrsg.) Berlin: Bundesamt<br />
für Bauwesen und Raumordnung, Bonn.<br />
Friebertshäuser, B. (2000): Sozialpädagogisches Studium <strong>im</strong><br />
Spannungsfeld von akademischer Fachkultur und Berufskultur;<br />
in: Homfeldt, H.G./ Schulze-Krüdener, J. (Hrsg.): <strong>Wissen</strong><br />
und Nichtwissen. Herausforderungen für Soziale Arbeit in<br />
der <strong>Wissen</strong>sgesellschaft; Weinhe<strong>im</strong>.<br />
Hildebrandt, J. (2012): Lebensweltorientierte Soziale (Alten-)<br />
Arbeit; in: Kleiner, G. (Hrsg.): Alter(n) bewegt; Wiesbaden.<br />
Meyer, C. (2013): Die Bedeutung der Person in der Sozialen<br />
Altenarbeit – <strong>im</strong> umgekehrten Generationenverhältnis neugierig<br />
werden und Balancieren lernen : in: Blaha, K.; Meyer,<br />
C.; Colla, H.; Müller-Teusler, S. (Hrsg.): Die Person als Organon<br />
in der Sozialen Arbeit. Erzieherpersönlichkeit und qualifiziertes<br />
Handeln; Wiesbaden.<br />
Müller-Teusler, S. (2010): Die unsichtbare Qualifikation in Sozialer<br />
Arbeit und Sozialmanagement. Eine Untersuchung <strong>im</strong><br />
theoretischen Horizont der Anerkennungstheorie nach Honneth.<br />
Veröffentlicht am 20.10.2010 in socialnet Materialien<br />
unter http://www.socialnet.de/materialien/attach/77.pdf,<br />
Datum des Zugriffs 01.12.2010.<br />
Müller-Teusler, S. (2013): Die unsichtbare Qualifikation: in:<br />
Blaha, K.; Meyer, C.; Colla, H.; Müller-Teusler, S. (Hrsg.): Die<br />
Person als Organon in der Sozialen Arbeit. Erzieherpersönlichkeit<br />
und qualifiziertes Handeln; Wiesbaden.<br />
Otto, U.; Bauer, P. (2004): Lebensweltorientierte Soziale Arbeit<br />
mit älteren Menschen; in: Thiersch, H.; Grundwald, K.<br />
(Hrsg.): Praxis Lebensweltorientierter Sozialer Arbeit; Weinhe<strong>im</strong><br />
und München.<br />
Schwerdt, R. (1998): Eine Ethik für die Altenpflege; Bern u.a.<br />
Spiegel, H.v. (2004): Methodisches Handeln in der Sozialen<br />
Arbeit; München, Basel.<br />
Thiersch, H. (2000): Zur Vermittlung von <strong>Wissen</strong>schaft, Ausbildung<br />
und Praxis – bleibende Fragen und Impulse: in:<br />
Homfeldt, H.G./ Schulze-Krüdener, J. (Hrsg.): <strong>Wissen</strong> und<br />
Nichtwissen. Herausforderungen für Soziale Arbeit in der<br />
<strong>Wissen</strong>sgesellschaft; Weinhe<strong>im</strong>.
55<br />
Dr. phil. Armin Schachameier<br />
Jahrgang 1976, Dipl. Päd. (Univ.), Leiter der Bachelorstudienrichtung Soziale Dienste an der Staatlichen<br />
Studienakademie Breitenbrunn, Vorstandsvorsitzender des Fördervereins Irgendwie Anders<br />
e.V., Gestalttherapeut, Heilpraktiker für Psychotherapie (HPG)<br />
KONTAKT: Staatliche Studienakademie Breitenbrunn I a.schachameier@ba-breitenbrunn.de<br />
Beziehungsarbeit und<br />
Persönlichkeitsentwicklung<br />
Armin Schachameier<br />
Die psychotherapeutische<br />
Wirkungsforschung hat die Bedeutung<br />
der therapeutischen Beziehung für<br />
eine erfolgreiche Behandlung durch<br />
zahlreiche Studien belegt. Die wichtigsten<br />
Ergebnisse und Erkenntnisse werden <strong>im</strong><br />
ersten Teil des Artikels zusammengefasst.<br />
Es wird die Frage gestellt, inwieweit sich<br />
die Erkenntnisse auf die Praxisfelder<br />
der Sozialen Arbeit übertragen lassen.<br />
In diesem Zusammenhang werden<br />
notwendige persönliche und soziale<br />
Kompetenzen des Beraters, Therapeuten<br />
oder Sozialarbeiters erörtert, welche<br />
den Aufbau einer tragfähigen, guten<br />
Beziehung ermöglichen.<br />
Als theoretischer Bezugsrahmen und<br />
als Instrument für eine entsprechende<br />
persönliche Entwicklung werden die<br />
Grundannahmen der humanistischen<br />
prozess-erfahrungsorientierten Verfahren<br />
beschrieben.<br />
The therapeutic relationship is very<br />
<strong>im</strong>portant for any effective therapeutic<br />
intervention. After giving an overview<br />
on the great variety of studies on the<br />
psychotherapeutic relevance of this<br />
relationship, the focus shifts towards the<br />
practical applications of those findings.<br />
What does it mean for the realities of<br />
social work? And what does it mean for<br />
the personal and social competencies of<br />
counselors, therapists, or social workers,<br />
if a stable and good relationship is the<br />
necessary foundation for success? The<br />
theoretical framework and starting<br />
point here is the humanistic processexperiential<br />
approach to personal growth.
56<br />
Im Rahmen eines Workshops der BA Breitenbrunn<br />
auf dem Kongress der Sozialen Arbeit<br />
in Leipzig 2016 wurde herausgearbeitet, dass<br />
der Erfolg einer sozialpädagogischen Beratung<br />
von einer gelungenen Beziehung abhängt. Die<br />
Gestaltung dieser setzt Kompetenzen voraus,<br />
die <strong>im</strong> Studium der Sozialen Arbeit entwickelt<br />
werden. Der Artikel thematisiert Grundlagen<br />
der Persönlichkeitsentwicklung und geht auf<br />
Wirkfaktoren der therapeutischen Allianz ein.<br />
Einleitung<br />
Die <strong>Berufsakademie</strong>n in <strong>Sachsen</strong> bieten ein duales Studium,<br />
welches die Verzahnung von Theorie und Praxis in besonderer<br />
Weise ermöglicht.<br />
In der Studienrichtung Soziale Dienste geht es um die Ausbildung<br />
und Entwicklung von Beratungskompetenzen. Die<br />
unterschiedlichen Praxisfelder der Studierenden umfassen<br />
die Bereiche des Allgemeinen Sozialen Dienstes der Jugendämter<br />
und Justizvollzugsanstalten, Beratungsstellen verschiedener<br />
Art, insbesondere Suchtberatungsstellen, sowie<br />
stationäre und ambulante Einrichtungen für psychisch kranke<br />
Menschen.<br />
Einen besonderen Stellenwert haben die videogestützten<br />
Fallreflexionen. Dialogische Berater-Klient-Sequenzen der<br />
Praxisphasen werden in einem Gedächtnisprotokoll post<br />
hoc niedergeschrieben. In Kleingruppen spielen die Studierenden<br />
die erlebte Situation nach und nehmen diese auf<br />
Video auf. Zusammen mit dem Studienrichtungsleiter werden<br />
die gemachten Erfahrungen reflektiert.<br />
Als prozessstrukturierende Komponenten werden insbesondere<br />
Aufträge und Ziele, die Berater-Klient-Beziehung<br />
und die Interventionen mit den verwendeten Gesprächsführungstechniken<br />
betrachtet.<br />
Es zeigte sich, dass vor allem die Beziehungsgestaltung sowie<br />
die Vereinbarung von gemeinsamen Zielen von großer<br />
Bedeutung sind. Der Einsatz systemischer, verhaltenstherapeutischer<br />
oder humanistischer Techniken spielt in vielen<br />
Fällen nur eine untergeordnete Rolle.<br />
Entscheidender ist vielmehr die Haltung des Beraters, seine<br />
persönlichen und sozialen Kompetenzen; diese können als<br />
ein Schlüssel für eine gelingende Beziehungsgestaltung verstanden<br />
werden. Die Fachkraft „muss sich ihrer eigenen Person<br />
bewusst zuwenden, ihre Stärken und Schwächen kennen<br />
und deren Auswirkungen <strong>im</strong> Handlungsvollzug beobachten“<br />
(Heiner 2010, 63).<br />
Für die Studierenden ist die Entwicklung hin zu einer bewussten<br />
Persönlichkeit eine wichtige Grundlage, um die unterschiedlichen<br />
Anforderungen, Aufgaben und Herausforderungen<br />
einer angemessen Beziehungsgestaltung bewältigen<br />
zu können.<br />
Ich möchte <strong>im</strong> ersten Teil dieses Artikels die praktischen<br />
Erfahrungen aus den Fallreflexionen wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />
gegenüberstellen und herausarbeiten, inwieweit<br />
sich das oben beschriebene Vorgehen mit den Erkenntnissen<br />
der Wirkungsforschung verbinden lässt.<br />
Im zweiten Teil gehe ich auf die in diesem Zusammenhang<br />
notwendige Entwicklung der Persönlichkeit ein. Es soll gezeigt<br />
werden, dass insbesondere humanistisch-prozesserfahrungsorientierte<br />
Verfahren geeignete Instrumentarien<br />
sind, um persönliche und soziale Kompetenzen zu entwickeln.<br />
Der Stellenwert der „Beziehung“<br />
in der Sozialen Arbeit<br />
In diesem Abschnitt möchte ich den Stellenwert der Beziehung<br />
<strong>im</strong> Klientenkontakt erläutern. Wie so oft müssen wir<br />
auf die Forschungsergebnisse der Psychotherapie zurückgreifen.<br />
Inwieweit diese Ergebnisse auf die unterschiedlichen<br />
Handlungsfelder der Sozialen Arbeit übertragbar<br />
sind, bleibt letztlich offen. Für Beratungskontexte, die einem<br />
psychotherapeutischen Setting sehr ähneln, ist die Übertragbarkeit<br />
sicherlich valider.<br />
Ausgehend von Grawes (2005) allgemeinen Wirkfaktoren der<br />
Psychotherapie wird neben der Ressourcenaktivierung, Problemaktualisierung,<br />
motivationaler Klärung und Problembewältigung<br />
die therapeutische Beziehung explizit genannt.<br />
Allerdings gibt es keine einheitlichen Definitionen der therapeutischen<br />
Beziehung. In den zahlreichen Forschungsuntersuchungen<br />
werden unterschiedliche Messinstrumente<br />
verwendet, die jedoch wesentliche Gemeinsamkeiten aufzeigen.<br />
Zunächst möchte ich kurz vier standardisierte Fragebögen<br />
vorstellen:<br />
Z Ältere humanistische Erhebungsinstrumente messen die<br />
klassischen Basisvariablen wie Empathie, Wertschätzung<br />
und Echtheit aus Sicht des Klienten, z.B. mit den Scales<br />
for the Therapist (Truax & Carkhuff 1967).<br />
Z In psychodynamischen Settings sind die unterschiedlichen<br />
Ausarbeitungen der Penn Helping Alliance Scales<br />
(HA) (Luborsky 1976 oder Barber & Crits-Christoph 1996)<br />
zur Anwendung gekommen.<br />
Es wird ermittelt, wie warm, unterstützend und akzeptierend<br />
die Klient-Therapeut-Beziehung erlebt wird,<br />
aber auch die Zusammenarbeit, die Teilnahme und<br />
das Teilen der therapeutischen Verantwortlichkeit<br />
durch den Klienten werden festgehalten (vgl. ebd.).<br />
Z Die eher eklektisch orientierten Vanderblit Psychotherapie-Skalen<br />
(Suh, Strupp & O`Malley 1986) verwenden<br />
spezielle Beziehungsskalen (VTAS; Hartly & Strupp, 1983).<br />
Diese fragen nach dem Beitrag des Therapeuten und des<br />
Patienten zu einer tragfähigen Allianz sowie nach den
57<br />
Therapeut-Klient-Interaktionen. Sowohl der Therapeut<br />
als auch der Klient sowie ein unabhängiger Beobachter<br />
geben jeweils eine Bewertung ab.<br />
Z Das Working Alliance Inventory (WAI, Horvath & Greenberg<br />
1986) misst die Zusammenarbeit mit dem Therapeuten<br />
in Hinsicht auf die Zielsetzung,<br />
die Zust<strong>im</strong>mung zu und Wertschätzung von Therapieaufgaben<br />
sowie das Gefühl der persönlichen Bindung<br />
zum Therapeuten. Auch hier wurde neben einer Selbstbeurteilung<br />
für den Klienten und Therapeuten ein<br />
„Beobachter- WAI“ entwickelt.<br />
Es wird deutlich, dass über die klassischen Basisvariablen<br />
der humanistischen Ansätze hinaus offensichtlich auch die<br />
Vereinbarung und die gemeinsame Arbeit an Zielen für die<br />
Beziehung von Klient und Therapeut von Bedeutung sind.<br />
Deswegen wird diesbezüglich häufig der Terminus „Therapeutische<br />
Allianz“ verwendet (Horvath et. al. 2008, 279).<br />
Ferner konnte faktorenanalytisch, über die verschiedenen<br />
Erhebungsinstrumente hinweg, ermittelt werden, dass die<br />
persönliche Bindung, damit ist eine positive, affektive Bindung<br />
mit gegenseitigem Vertrauen, Zuneigung, Respekt<br />
und Fürsorge gemeint, die tatkräftige Beteiligung an der Behandlung<br />
(Gemeinschaftsarbeit), die Zusammenarbeit bzw.<br />
Übereinst<strong>im</strong>mung in Hinsicht auf die Richtung (das Ziel) und<br />
das Wesen der Behandlung sowie das Vorhandensein einer<br />
Arbeitsdefinition entscheidend für den Aufbau einer guten<br />
therapeutischen Beziehung sind und mit den Outcome-Variablen,<br />
z.B. einem Symptomrückgang, positiv korrelieren<br />
(vgl. ebd.).<br />
Jedoch haben noch weitere Variablen einen Einfluss auf<br />
die therapeutische Beziehung, diese werden von Norcorss<br />
(Norcorss 2002; Norcross & Lambert 2010) zusammengefasst:<br />
Z Arbeitsbündnis<br />
Z Empathie<br />
Z Zielübereinst<strong>im</strong>mung und Kooperation<br />
Z Anpassung der therapeutischen Beziehung an den<br />
Widerstand des Patienten<br />
Z Anpassung der therapeutischen Beziehung an<br />
funktionelle Behinderung und Bewältigungsstil<br />
Z Wertschätzung<br />
Z Kongruenz<br />
Z Feedback<br />
Z Wiederherstellung von Beziehungsabbrüchen<br />
Z Selbstöffnung<br />
Z Handhabung der Gegenübertragung<br />
Z Anpassung an das Stadium der Veränderung<br />
Z Anpassung an bevorzugten Entwicklungsstil<br />
(soziotrop vs. introjektiv)<br />
Z Anpassung der therapeutischen Beziehung an<br />
Erwartungen und Präferenzen des Patienten<br />
Z Anpassung an den Bindungsstil<br />
Z Anpassung an Religiosität und Spiritualität<br />
Z Anpassung an die kulturelle und demografische<br />
Spezifität des Patienten<br />
Man könnte insgesamt also auch von Passung oder Kompatibilität<br />
sprechen: Je höher der Grad an Übereinst<strong>im</strong>mung<br />
zwischen Therapeut und Klient, insbesondere <strong>im</strong> Hinblick<br />
auf die individuellen Besonderheiten der Person ist, desto<br />
besser gestaltet sich vermutlich die therapeutische Beziehung.<br />
In einer Untersuchung von Lambert u.a. (2008) werden<br />
grundlegende Wirkungskomponenten relational betrachtet.<br />
Zusammenfassend stellte er fest, dass die Messungen der<br />
therapeutischen Beziehungsvariable konsistent höher mit<br />
den Effekten bei Klienten korrelieren als spezifische Therapietechniken<br />
(ebd. 128). Auf das Behandlungsergebnis haben<br />
neben dem unspezifischen Faktor „Placebo, Hoffnung,<br />
Erwartung“ mit 15 Prozent die Methoden und Techniken der<br />
verschiedenen Psychotherapieschulen einen Einfluss von<br />
15 Prozent während die therapeutische Beziehung mit<br />
30 Prozent einwirkt.<br />
40%<br />
Extratherapeutische<br />
Veränderungen<br />
15%<br />
Methoden<br />
30%<br />
Therapeutische<br />
Beziehung<br />
15%<br />
Erwartungs-<br />
(Placebo-)<br />
Effekt<br />
Abb. 1: Hier kommt eine sprechende Bildunterschrift zur Tabelle.<br />
<br />
(Quelle: Lambert, M. J.)<br />
Vor allem sind die Einschätzungen der Klienten durch die<br />
verschiedenen Erhebungsinstrumente von größter Bedeutung.<br />
„Die Verbindung zwischen der therapeutischen Beziehung<br />
und den Effekten bei Klienten sind dann am stärksten,<br />
wenn beide Konzepte durch den Klienten eingeschätzt<br />
werden“ (ebd. 128).<br />
Des Weiteren sind manche Therapeuten besser als andere.<br />
„Klienten charakterisieren solche Therapeuten als verständnisvoller<br />
und akzeptierender, empathisch, warm und unterstützend.<br />
Diese Therapeuten zeigen seltener negative Verhaltensweisen<br />
wie Tadeln, Ignorieren, Zurückweisen“ (ebd. 128).
58<br />
Jedoch muss noch ein weiterer Aspekt beachtet werden.<br />
Auf die Outcomevariablen haben mit 40 Prozent auch noch<br />
sogenannte extratherapeutische Faktoren einen hohen Einfluss.<br />
„Damit sind Charakteristika des Patienten gemeint, seine<br />
Lebenssituation, Merkmale seines sozialen Netzes, außertherapeutische<br />
Unterstützung und Widerstände, Geschehnisse<br />
außerhalb des Therapieraumes und Zufälle…“ (Asay/Lambert<br />
2001 zit. n. Hermer/Röhrle 2008, 39).<br />
Dieser Faktor ist vor allem in der Sozialen Arbeit sehr wichtig.<br />
Denn der Kontext der Therapeut-Klient-Beziehung prägt die<br />
Art der Austauschprozesse, „der Wahrnehmung des jeweils<br />
anderen und der Beziehung als solcher. Zu diesen Kontexten<br />
gehören übergeordnete gesellschaftliche Strukturen und Prozesse,<br />
kulturelle Rahmenbedingungen, sozial-politische und<br />
rechtliche Vorgaben, institutionelle Einflussfaktoren, aber<br />
auch soziale Netzwerke.“ (Hermer/Röhrle 2008, 39). Die Autoren<br />
verweisen in diesem Zusammenhang auf das ökologische<br />
Modell von Bronfenbrenner (1979).<br />
Nach Hermer und Röhrle (2008, 88) ist Psychotherapie <strong>im</strong>mer<br />
in ein buntes Leben der Patientinnen eingebettet ist. Sowohl<br />
Therapeut/innen als auch Patient/innen sind des Weiteren<br />
den „Grundlagen und Widersprüchen ihrer Gesellschaft ausgeliefert<br />
und müssen sie aushalten oder sich daran abarbeiten.<br />
Jeder Versuch, das Individuum dabei von seiner Welt zu isolieren,<br />
es konstruktivistisch aus ihr zu entfernen oder vermeintliche<br />
autonome Lösungen zu finden, die seine soziale Natur<br />
und Abhängigkeit ausblenden, muss scheitern oder zu neuen<br />
Pathologien führen.“ (Hermer & Röhrle 2008, 88). Eine Therapie<br />
oder ein Beratungsgespräch findet also <strong>im</strong>mer <strong>im</strong><br />
Kontext der Lebenswelt der Beteiligten statt.<br />
Im Hinblick auf die Soziale Arbeit sind sich verschiedene Autoren<br />
einig, dass die Soziale Arbeit an der Schnittstelle von<br />
Individuum und Gesellschaft ansetzt (vgl. Heiner 2007, 10ff.,<br />
Staub-Bernasconi 2007, 180 zit. n. Sommerfeld 2011, 14).<br />
Sommerfeld u.a. haben das Modell der zirkulären Kausalität<br />
nach Schiepeck (2003) erweitert, sodass in den Interaktionen<br />
sowohl die individuellen Kognitions-Emotions-Verhaltensmuster<br />
als auch die Rückkoppelung auf die Gesellschaft mit<br />
der Untergliederung in die Handlungsfelder Familie, Schule/<br />
Ausbildung, Wirtschaft/Arbeit, Kultur/Freizeit, Privates Sozialsystem<br />
und Schattenwelten erfasst werden können.<br />
Zwischenfazit:<br />
Die in den studentischen Fallreflexionen verwendeten<br />
Komponenten, Auftrag und Ziele und Beziehung sowie die<br />
Erfahrung, dass die Intervention oftmals eine vergleichsweise<br />
geringere Rolle spielt, entsprechen den Ergebnissen<br />
der Untersuchung von Lambert u.a. (2008). Die Therapeutische<br />
Beziehung hat offensichtlich eine größere Bedeutung<br />
als die Verwendung spezifischer Interventionstechniken. Des<br />
Weiteren wurde deutlich, dass zum Aufbau einer tragfähigen<br />
therapeutischen Beziehung sowohl die Basisvariablen der<br />
humanistischen Ansätze als auch ein definiertes Arbeitsbündnis<br />
mit Zielvereinbarungen notwendig sind – <strong>im</strong> Sinne<br />
einer therapeutischen Allianz.<br />
Soziale Ordnungsstruktur in konkreten Handlungssystemen<br />
Familie<br />
Schule /<br />
Ausbildung<br />
Wirtschaft /<br />
Arbeit<br />
Kultur /<br />
Freizeit<br />
Privates<br />
Sozialsystem<br />
Schattenwelten<br />
Hilfesystem (stellvertretende Inklusion)<br />
Integration in<br />
das System<br />
Zirkuläre<br />
Kausalität<br />
Integration des<br />
Systems<br />
Individuelle Kognitions-Emotions-Verhaltensmuster<br />
relative Makroebene<br />
Makroskopische Muster<br />
Ordnungsparameter / kollektive Variable(n)<br />
relative Mikroebene<br />
Kontrollparameter<br />
St<strong>im</strong>ulation / Input<br />
Konsensualisierung<br />
Synchronisation<br />
systeminterne<br />
Aktivierung<br />
Bottom-up-<br />
Top-down-<br />
Kreiskausalität<br />
materialisierte<br />
Systemgeschichte<br />
Emergenz<br />
wirksame<br />
Constraints<br />
systeminterne<br />
und externe<br />
Randbedingungen<br />
Abb. 2: Das erweiterte Integrationsmodell (Sommerfeld 2011, 278)
59<br />
Ferner gibt es noch weitere Variablen, die einen Einfluss auf<br />
die Beziehungsgestaltung haben (vgl. Norcoss 2002). Diese<br />
machen deutlich, dass die Gestaltung einer tragfähigen<br />
therapeutischen Beziehung unmittelbar mit der Person<br />
des Therapeuten, mit der Art und Weise, auf die er interagiert,<br />
zusammenhängt. Je höher das Bewusstsein für die<br />
eigenen Selbstkonzepte, persönlichen Eigenarten, Stärken<br />
und Schwächen ist, desto zielgerichteter und flexibler kann<br />
er auf den Klienten eingehen und die Beziehung gestalten.<br />
Das erfordert eine Ausbildung, welche in besonderem Maße<br />
die Entwicklung der Persönlichkeit <strong>im</strong> Blick hat. Als theoretischer<br />
und praktischer Bezugsrahmen eignen sich diesbezüglich<br />
die humanistischen psychotherapeutischen Verfahren,<br />
da sie der Beziehung zwischen Therapeut und Klient einen<br />
hohen Stellenwert einräumen und gleichzeitig ein persönliches<br />
Wachstum anstreben.<br />
Im nun folgenden zweiten Teil des Artikels möchte ich<br />
zeigen, dass vor allem die humanistisch-prozess-erfahrungsorientierten<br />
Ansätze ein hervorragendes Instrument zur<br />
Entwicklung der angesprochenen Kernkompetenzen sind.<br />
Prozess-erfahrungsorientierte Ansätze und<br />
Persönlichkeitsentwicklung<br />
Zu den humanistischen prozess-erfahrungsorientierten<br />
Ansätzen zählt neben der emotionsfokussierten Therapie<br />
nach Greenberg (2002) vor allem die Gestalttherapie. Diese<br />
bezieht sich in ihren theoretischen Grundannahmen gerne<br />
auf den Philosophen Martin Buber, welcher die Bedeutung<br />
der Beziehung in zwischenmenschlichen Begegnungen beschrieben<br />
hat. Er postuliert, dass „die Krankheiten der Seele<br />
(…) Krankheiten der Beziehung“ sind (Buber, 1965, 155). „Damit<br />
bekommt die Beziehung zwischen Klient und Therapeut<br />
einen absolut vorrangigen Stellenwert gegenüber jeder anderen<br />
D<strong>im</strong>ension der therapeutischen Situation“ (Staemmler<br />
1993, 27), deren Beschaffenheit für die Qualität der Therapie<br />
entscheidend ist (vgl. ebd.).<br />
Im Unterschied zu einer diagnostischen, eher distanzierten<br />
Betrachtung des Klienten durch einen Sachverständigen,<br />
versucht die Gestalttherapie, einen persönlichen Kontakt<br />
zum Klienten aufzubauen. Die Therapie „besteht in dem, was<br />
zwischen den Beteiligten vorgeht und innerhalb ihrer Beziehung“<br />
(ebd. 48).<br />
Der Therapeut oder Berater ist also mit seiner ganzen Person<br />
in den Prozess involviert. Dies macht noch einmal deutlich,<br />
dass für die Gestaltung der Beziehung eine angemessene<br />
persönliche Entwicklung des Beraters unabdingbar ist.<br />
Das Verständnis der humanistischen Ansätze von Wachstum<br />
und Integration ist dabei grundlegend:<br />
Die menschliche Entwicklung kann als ein lebenslanger<br />
Wachstumsprozess verstanden werden, „ein differenziertes<br />
Reifen, ein Prozess der Verwandlung, der das ganze Leben<br />
begleitet und der eine Reihe von Phasen mit mehr oder weniger<br />
prägnanten Erscheinungsweisen der Identität aufweist“<br />
(Hartmann-Kottek 2004, 135).<br />
Durch Integrations- und Anpassungsleistungen an neue<br />
Situationen ist es möglich „in sich st<strong>im</strong>miger, d.h. selbstähnlicher<br />
zu werden“(ebd.).<br />
Nach Hartmann-Kottek (2004) steht in einem gestalttherapeutischen<br />
Verständnis ein gesunder Mensch „in gutem<br />
inneren und äußeren Kontakt und hat gleichzeitig die Fähigkeit,<br />
sich situations- und entwicklungsadäquat innerlich und<br />
äußerlich abzugrenzen“ (Hartmann-Kottek 2004, 190). Krankheit<br />
steht dementsprechend in Zusammenhang mit einem<br />
„unfreiwilligen Integrationsmangel <strong>im</strong> Innen- und/oder Außenfeld“<br />
(ebd.).<br />
Ein von Rogers geprägter Begriff ist in diesem Zusammenhang<br />
die sogenannte Inkongruenz (vgl. Rogers 1959). Damit<br />
ist eine Diskrepanz des Selbsterlebens gemeint, ein Idealselbst<br />
kommt in Konflikt mit dem erlebten Realselbst. Diese<br />
erfahrbare Differenz macht Menschen anfälliger für psychische<br />
Erkrankungen (vgl. Rogers 1959).<br />
Perls formuliert dies so: „Viele Leute opfern ihr Leben, um ein<br />
Bild dessen, wie sie sein sollten, zu verwirklichen, anstatt sich<br />
selbst zu verwirklichen. Dieser Unterschied zwischen Selbstverwirklichung<br />
und Verwirklichung des Selbstbildes ist sehr<br />
wichtig“ (Perls 2002, 28).<br />
Dementsprechend versuchen die humanistischen Ansätze,<br />
„dem Klienten zu helfen, seine Identität, seine Grenzen und seine<br />
Souveränität in seinen sozialen Bindungen zu erspüren und<br />
zu definieren, zu schützen und auszuweiten, um einen erfüllten,<br />
sinnorientierten Lebensweg zu gestalten“ (AHGPT 2012, 26).<br />
Dieser Prozess kann dem Leben der Betroffenen „Zentriertheit,<br />
Klarheit, Richtung und Erdung geben“ (ebd., S. 26).<br />
Die humanistischen Verfahren fördern die Selbstaktualisierung,<br />
dadurch werden Kreativität und Vitalität angeregt und<br />
damit die Fähigkeit zur Gestaltung, Strukturierung und Abgrenzung<br />
aus dysregulativen Zuständen gestärkt (vgl. AGHPT<br />
2012, 26).<br />
Die existenzialistische Begründung der humanistischen<br />
Verfahren spiegelt sich in dem Ziel wider, das Erfassen und<br />
Wahrnehmen zu fördern, um dadurch die Wahlmöglichkeiten<br />
des Patienten und das Bewusstsein der daraus resultierenden<br />
Verantwortlichkeit für sich, für andere Menschen und<br />
die Umwelt zu steigern (vgl. ebd. 26).<br />
„Der gesunde Mensch hat wenig Charakter“, heißt es <strong>im</strong><br />
Titel des Diagnostikbuches von Dreitzel (Dreitzel 2004).<br />
Ein Mensch muss sich inneren oder äußeren Gegebenheiten<br />
anpassen können. Nur, wenn er über eine notwendige<br />
Flexibilität verfügt, kann es ihm gelingen, neue Situationen<br />
zu meistern. Ein starrer Charakter kann dabei hinderlich sein<br />
und sogar in eine Krise führen.<br />
So ist das Persönlichkeits- oder Selbstmodell in der
60<br />
st<strong>im</strong>mig<br />
sowohl<br />
als auch<br />
authentisch<br />
wesensgemäß<br />
situationsgerecht<br />
« daneben »<br />
selbstverleugnende<br />
Überangepasstheit<br />
weder<br />
noch<br />
« verquer »<br />
Abb. 3: Wertequadrat mit Integrationsqualität (oben) und zweifacher Mangelqualität (unten). (Quelle: Schulz v. Thun 2012, 68)<br />
Gestalttherapie ein flexibles, „das Selbst ist die Kontaktgrenze<br />
in Bewegung“ (Dreitzel 2004, 40, 41), denn wir erfahren<br />
uns <strong>im</strong>mer „<strong>im</strong> Kontakt mit etwas“ (ebd.). Ein Selbst existiert<br />
<strong>im</strong>mer in einem Feld, in einer Umwelt oder Umgebung. Die<br />
Kontaktgrenze befindet sich <strong>im</strong> Organismus-Umwelt-Feld,<br />
sie begrenzt den Organismus, schützt ihn und berührt aber<br />
auch die Umwelt, <strong>im</strong> Hinblick auf Funktionen wie Sehen,<br />
Fühlen, Erkennen (vgl. Dreitzel 2004, 40 ff., Hartmann-Kottek<br />
2004). Das Selbst kann auch verstanden werden als der<br />
Figur/Grund-Prozess in Kontaktsituationen (vgl. ebd.).<br />
Perls sieht die grundlegende Lehre der Gestalttherapie in der<br />
Wesensdifferenzierung und Integration (vgl. Perls 1980). „Die<br />
Differenzierung als solche führt zu Polaritäten. Als Dualitäten<br />
werden diese Polaritäten leicht in Streit kommen und sich gegenseitig<br />
paralysieren. Indem wir gegensätzliche Züge integrieren,<br />
machen wir die Menschen wieder ganz und heil. Zum<br />
Beispiel Schwäche und tyrannisches Verhalten integrieren sich<br />
als ruhige Festigkeit“ (Perls 1980, 155).<br />
Nach Zinker (2005) ist sich ein Mensch mit einem gesunden<br />
Selbstkonzept vieler opponierender Kräfte in sich gewahr. Er<br />
ist bereit, sich auf viele widersprüchliche Weisen zu sehen. Er<br />
erlebt Beziehungen zwischen verschiedenen inneren Anteilen<br />
und kann diese wahlweise in den Kontakt bringen (vgl.<br />
Zinker 2005, 194). Damit kann ein ganzes Konglomerat aus<br />
unterschiedlichen Polaritäten gemeint sein, wie z.B. Empfindsamkeit<br />
versus Gefühllosigkeit oder Kontrolle versus<br />
Impulsivität. Beispielsweise hat ein Mensch in sich „das Merkmal<br />
der Härte und dessen Polarität, die Weichheit“ (Zinker<br />
2005, 192).<br />
Bei einem pathologischen Selbstkonzept sieht sich der<br />
Mensch „auf einseitige, stereotype Art. Er ist <strong>im</strong>mer dies und<br />
niemals das. Sein Gewahrsein von vielen inneren Kräften und<br />
Gefühlen ist sehr begrenzt“ (Zinker 2005, 195). Er hat einen<br />
großen blinden Fleck und kann viele Teile seiner selbst nicht<br />
akzeptieren oder wahrnehmen (vgl. ebd. 196).<br />
Um einen inneren Konflikt oder eine äußere Situation bewältigen<br />
zu können, müssen hinderliche, unangemessene, starre<br />
Selbstkonzepte aufgeweicht und neue Verhaltensweisen<br />
integriert werden. Diesen Entwicklungsprozess veranschaulicht<br />
Schulz von Thun mithilfe von Persönlichkeitswertequadraten<br />
oder dem inneren Team (vgl. Schulz v Thun 2006a,<br />
2006b, 2012).<br />
Neben einem eher unterentwickelten Anteil gibt es meistens<br />
einen zu stark gelebten Pol, was entweder zu einem nicht<br />
authentischen oder zu situationsunangemessenem Verhalten<br />
und Erleben führen kann. Ziel ist es, wieder flexibler zu<br />
werden und je nach Situation entsprechende Ressourcen <strong>im</strong><br />
Sinne der beiden positiven Alternativen (in der Grafik unten<br />
die Kästchen „authentisch, wesensgemäß“ oder „situationsgerecht“)<br />
zur Verfügung zu haben (vgl. ebd.).<br />
In der folgenden Tabelle sind nach den vier Platzhaltern<br />
des Wertequadrats grundlegende Polaritäten nach Schulz
61<br />
v. Thun zusammengefasst. Entsprechende Verortungen und<br />
Entwicklungsrichtungen können daraus entnommen werden.<br />
Im nächsten Abschnitt werde ich beispielhaft auf die<br />
Polaritäten von Empathie und Abgrenzung eingehen, um die<br />
Bedeutung der Persönlichkeitsentwicklung für die Fachkräfte<br />
der Sozialen Arbeit zu verdeutlichen.<br />
Die experientiellen Ansätze ermöglichen die Erfahrung eines<br />
ganzheitlichen Integrationsprozesses <strong>im</strong> Unterschied<br />
zu einem kognitiv-behavioralen Lernvorgang. Der Zugewinn<br />
an neuen Erlebens- und Verhaltensweisen erfolgt durch Bewusstheit,<br />
durch die Konfrontation mit Gefühlen und den begleitenden<br />
Körper<strong>im</strong>pulsen.<br />
Darüber hinaus wurde die therapeutische Wirkung der humanistischen<br />
Ansätze in den letzten Jahren zunehmend bestätigt.<br />
Elliot u.a. (2013) untersuchten in einer Metaanalyse<br />
200 Studien mit insgesamt 14 206 Klienten. Enthalten<br />
sind Studien aus den Bereichen der personenzentrierten<br />
Gesprächstherapie, der emotionsfokussierten Therapie,<br />
der Gestalttherapie, des Psychodramas und den „focusing<br />
orientierten“ Ansätze. Die Prä-Post-Effektstärken liegen bei<br />
.93 (Konfidenzintervall von 0,86 bis 1.00), die kontrollierten<br />
Effektstärken bei .93 (KI von 0,64 bis 0,88). Im Vergleich mit<br />
kognitiv-behavioralen Ansätzen wurde eine komparative<br />
Effektstärke von .01 (KI von -0,05 bis 0,07) ermittelt. Die<br />
Wirkung der humanistisch-experientiellen Ansätze kann<br />
somit als äquivalent zu anderen Therapieformen betrachtet<br />
werden.<br />
Im Vergleich von humanistischen mit kognitiv-behavioralen<br />
Ansätzen scheinen die emotionsfokussierte Therapie und<br />
die Gestalttherapie wirksamer zu sein, die komparativen<br />
Effektstärken liegen bei .53 (KI von 0,13 bis 0,93) (vgl. Elliot<br />
u. a. 2013).<br />
Fazit<br />
Ausgehend von der Bedeutung der therapeutischen Beziehung<br />
für den Behandlungserfolg wurde gezeigt, dass insbesondere<br />
die Entwicklung persönlicher und sozialer Kompetenzen<br />
des Beraters von besonderer Bedeutung sind.<br />
Inwieweit diese grundlegenden Erkenntnisse auf die Interventionen<br />
und Interaktionen in den unterschiedlichen<br />
Praxisfeldern der Sozialen Arbeit übertragen werden<br />
können, müsste noch genauer untersucht werden.<br />
In einem dualen Studium können humanistische prozesserfahrungsorientierte<br />
Verfahren die Grundlage für Wachstum<br />
und Integration <strong>im</strong> Sinne einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung<br />
bilden.<br />
„verquer“: „daneben“<br />
oder selbstverleugnende<br />
Überangepasstheit<br />
„sowohl als auch“:<br />
Situationsgerecht oder authentisch,<br />
wesensgemäß<br />
„verquer“: selbstverleugnende<br />
Überangepasstheit<br />
oder „daneben“<br />
Starkes Mitleiden,<br />
Hineingezogen sein<br />
Anteilnahme, Mitleid<br />
Abgrenzung<br />
Abgestumpfte<br />
Gleichgültigkeit<br />
Rücksichtslose<br />
Ellenbogenmentalität<br />
Selbstbehauptung<br />
Rücksicht,<br />
Bescheidenheit<br />
Verschüchterte<br />
Selbstverleugnung<br />
Herabsetzung „rüder Ton“ Direktheit Takt<br />
Diplomatische Schnörkelhaftigkeit<br />
ohne „Klartext“<br />
Verleugnung eigener<br />
Bedürftigkeit<br />
Autonomie und<br />
Verantwortung<br />
Bewusstsein von<br />
Bedürftigkeit und Schwäche<br />
Verleugnung eigener<br />
Selbsthilfekräfte<br />
Über-Behütung<br />
(„Erdrücken“)<br />
Schutz, Fürsorge<br />
(„Festhalten“)<br />
Herausforderung<br />
(„Loslassen)<br />
Überforderung<br />
(„Allein lassen“)<br />
Starre Reglementierung<br />
des Ablaufs<br />
Struktur und Planung<br />
(„machen“)<br />
Flexibilität <strong>im</strong> Prozess<br />
(„zulassen“)<br />
Konzeptloses<br />
Laufenlassen<br />
Distanzlosigkeit<br />
Unbefangene<br />
Kontaktbereitschaft<br />
Reservierte<br />
Zurückhaltung<br />
Kontaktscheu<br />
Berührungsangst<br />
(vgl. Schulz v. Thun 2006b)
62<br />
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Hermer, M., Röhrle, B. (2008): Therapeutische Beziehung: Geschichte,<br />
Entwicklung und Befunde. In: Hermer, M., Röhrle,<br />
B. (Hrsg.): Handbuch der therapeutischen Beziehung. Tübingen:<br />
dgvt-Verlag.<br />
Horvath, A.O., Greenberg, L.S. (1986): The development of the<br />
Working Alliance Inventory. In Greenberg, L.S., Pinshof, W.M.<br />
(Hrsg.): The psychotherapeutic process: A research handbook<br />
(285-324). New York: Guildford Press.<br />
Horvath, A. O., Robinder, P. B. (2008): Die therapeutische Allianz.<br />
In: Hermer, M., Röhrle, B. (Hrsg.): Handbuch der therapeutischen<br />
Beziehung. Tübingen: dgvt-Verlag.<br />
Lambert, M. J., Barley, D. E. (2008): Die therapeutische Beziehung<br />
und der Psychotherapieeffekt – eine Übersicht empirischer<br />
Forschungsergebnisse. In: Hermer, M., Röhrle, B.<br />
(Hrsg.): Handbuch der therapeutischen Beziehung. Tübingen:<br />
dgvt-Verlag.<br />
Luborsky, L. (1976): Helping alliance in psychotherapy. In:<br />
Cleghorn, J. L. (Hrsg.): Successful psychotherapy (92-116).<br />
New York: Brunner/Mazel.<br />
Norcross, J. C. (2002): Psychotherapy relationships that work.<br />
New York: Oxford University Press.
63<br />
Norcross, J. C., Lambert, M. J. (2010): Evidence-Based Therapy<br />
Relationships. Unter: www.nrepp.samsha.grov/pdfs/norcross_evidence-based_therapy_relationship.pdf;<br />
oder als<br />
Buch: „Psychotherapy Relationships That Work: Evidence-<br />
Based Responsiveness“ (2011) oder Heft 1 Psychotherapy.<br />
Perls, L. (2005): Begriffe und Fehlbegriffe der Gestalt-Therapie.<br />
In: Sreckovic, M. (Hrsg.) (2005): Leben an der Grenze. Essays<br />
und Anmerkungen zur Gestalt-Therapie. Bergisch Gladbach:<br />
EHP.<br />
Perls, L., Sreckovic, M. (2005): Leben an der Grenze : Essays<br />
und Anmerkungen zur Gestalt-Therapie. Köln: Ed. Humanist.<br />
Psychologie.<br />
Perls, F. S. (1980): Gestalt – Wachstum – Integration. Aufsätze,<br />
Vorträge, Therapiesitzungen. In Petzold, H. (Hrsg.): Integrative<br />
Therapie. Paderborn: Junfermann.<br />
Perls, F. S. (1981): Gestalt-Wahrnehmung. Verlorenes und<br />
Wiedergefundenes aus meiner Mülltonne. Frankfurt a. M.:<br />
Verlag für Humanistische Psychologie.<br />
Perls, F. S. (2002): Gestalt-Therapie in Aktion. Stuttgart: Klett-<br />
Cotta.<br />
Perls, F. S. (2008): Gestalt-Therapie in Aktion. Stuttgart: Klett-<br />
Cotta.<br />
Perls, F. S., Hefferline, R. F. , Goodman, P. (1951/1979): Gestalttherapie.<br />
Wiederbelebung des Selbst (Bd.1) und: Lebensfreude<br />
und Persönlichkeitsentfaltung. (Bd.2). Stuttgart: Klett-<br />
Cotta.<br />
Rogers, C. R. (1959): A theory of therapy, personality and interpersonal<br />
realtionships as developed in the client-centered<br />
framework. In Koch, S. (Hrsg.): Psychology: A study of science.<br />
Vo. III, Formulation of the person and the social context<br />
(pp. 184-256). New York: McGraw-Hill.<br />
Schiepek, G. (2003): Neurobiologie der Psychotherapie. Stuttgart:<br />
Schattauer.<br />
Schulz v. Thun, F. (2006a). Miteinander reden: 2. Stile, Werte<br />
und Persönlichkeitsentwicklung. Differentielle Psychologie<br />
der Kommunikation. Hamburg: Rowohlt.<br />
Schulz v. Thun, F. (2006b). Miteinander reden: 3. Das „Innere<br />
Team“ und situationsgerechte Kommunikation. Kommunikation,<br />
Person, Situation. Hamburg: Rowohlt.<br />
Schulz v. Thun, F. (2012): Miteinander reden: Fragen und Antworten.<br />
Hamburg: Rowohlt.<br />
Staub-Bernasconi, S. (2007): Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft.<br />
Systemtheoretische Grundlagen und professionelle<br />
Praxis – Ein Lehrbuch. Bern: Haupt UTB.<br />
Staemmler, F.-M. (1993): Therapeutische Beziehung und Diagnose.<br />
Gestalttherapeutische Antworten. München: Verlag J.<br />
Pfeiffer.<br />
Sommerfeld, P., Hollenstein, L., Calzaferri, R. (2011): Integration<br />
und Lebensführung. Ein forschungsgestützter Beitrag zur<br />
Sozialen Arbeit. Wiesbaden: VS Verlag Springer.<br />
Suh, C.S., Strupp, H. H., O`Malley, S.S. (1986): The Vanderbilt<br />
process measures. In Greenberg, L.S. & Pinshof, W.M. (Hrsg.):<br />
The psychotherapeutic process: A research handbook (285-<br />
324). New York: Guildford Press.<br />
Zinker, J. (2005): Gestalttherapie als kreativer Prozeß. Paderborn:<br />
Junfermann Verlag.
64<br />
To motivate students and to gain their<br />
attention is an <strong>im</strong>portant prerequisite<br />
for successful teaching. An<strong>im</strong>al assisted<br />
pedagogy is a promising instrument to<br />
make a difference in teaching and <strong>im</strong>part<br />
knowledge. The present paper describes<br />
the pilot project of an<strong>im</strong>al assisted<br />
pedagogy in teaching at a university of<br />
cooperative education. First, the history<br />
of an<strong>im</strong>al assisted therapy and pedagogy<br />
is summarized briefly. Second, the<br />
paper retrieves guidelines for integrating<br />
an<strong>im</strong>als in classes from literature.<br />
And third, the pilot project within the<br />
bachelor program event- and sports<br />
management is presented.
65<br />
Alexandra Kroczewski-Gubsch (Dipl.-Soz.; MBA)<br />
geb. 1978 in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), ist seit 2015 freie Dozentin an der Staatlichen Studienakademie<br />
Riesa. Sie studierte <strong>im</strong> Erststudiengang Soziologie, Betriebswirtschaftslehre sowie Psychologie an der<br />
TU Dresden und schuf damit einen Ausgleich zum sportlichen Hintergrund (Leistungssport Eisschnelllauf).<br />
Darauf folgte ihre Karriere <strong>im</strong> Fitness- und Gesundheitsbereich und ab dem Jahr 2012 das Zweitstudium<br />
Sportmanagement an der FH Schmalkalden als konsequente Weiterführung vieler Lizenzen<br />
(Fitnesstrainerin, Mentaltrainerin, Ernährungstrainerin etc.). Seit Abschluss des Masterstudiums kombiniert<br />
sie ihre <strong>im</strong> Jahr 1999 begonnene freiberufliche Tätigkeit mit der tiergestützten Pädagogik.<br />
Dr. Katja Soyez<br />
KONTAKT: Staatliche Studienakademie Riesa I alexandra-kroczewski.gubsch@ba-riesa.de<br />
Dr. Katja Soyez studierte an der TU Dresden sowie der Mid Sweden University in Sundsvall. Nach der<br />
Promotion an der TU Dresden erhielt sie 2014 einen Ruf an die <strong>Berufsakademie</strong> <strong>Sachsen</strong> am Standort<br />
Riesa. Dr. Soyez leitet seit 2015 den Studiengang Dienstleistungserbringerstaat und die Studienrichtung<br />
Event- und Sportmanagement und ist ständige Vertreterin der Direktorin. 2014 durchlief<br />
Dr. Soyez erfolgreich das Zertifikatsprogramm des Hochschuldidaktischen Zentrums <strong>Sachsen</strong>. Ihre<br />
Forschungsschwerpunkte sind interkulturelles Konsumentenverhalten, Marketing und Innovativität.<br />
Ihre Forschungsarbeiten erschienen <strong>im</strong> Journal of Business Research, International Marketing Review<br />
und Technological Forecasting and Social Change.<br />
KONTAKT: Staatliche Studienakademie Riesa I katja.soyez@ba-riesa.de<br />
Innovatives Lernen mit dem<br />
Lehr-Lern-Konzept der hundegestützten<br />
Pädagogik an der<br />
<strong>Berufsakademie</strong> <strong>Sachsen</strong> –<br />
Staatliche Studienakademie Riesa<br />
Alexandra Kroczewski-Gubsch und Katja Soyez<br />
Die Aufmerksamkeit der Studierenden<br />
zu gewinnen und sie für Lehrveranstaltungen<br />
und Themen zu<br />
begeistern ist eine wichtige Voraussetzung<br />
für erfolgreiches Lehren und<br />
Lernen. Die tiergestützte Pädagogik<br />
ist ein vielversprechendes Instrument<br />
um den „Unterschied“ zu machen und<br />
<strong>Wissen</strong> erfolgreich weiterzugeben. Der<br />
vorliegende Beitrag beschreibt das<br />
Pilotprojekt der tiergestützten Pädagogik<br />
an der Staatlichen Studienakademie<br />
Riesa. Zunächst wird ein kurzer Abriss<br />
über die Geschichte gegeben, um <strong>im</strong><br />
zweiten Teil Richtlinien für den Einsatz<br />
von Pädagogikhunden zusammen zu<br />
fassen und <strong>im</strong> dritten Teil den Einsatz<br />
der Pädagogik-Hündin in der Studienrichtung<br />
Event- und Sportmanagement<br />
zu beschreiben.
66<br />
In der deutschen Hochschuldidaktik ist das<br />
Thema tiergestützte Pädagogik ein noch wenig<br />
erforschtes Feld. In Vorbereitung der Lehrveranstaltungen<br />
<strong>im</strong> Sportmanagement entstanden<br />
Ideen, wie die Vorlesungen durch den „Co-<br />
Pädagogen Hund“ bereichert und ergänzt werden<br />
können. Der vorliegende Beitrag bildet den<br />
Ausgangspunkt für weitere Arbeiten zur tiergestützten<br />
Pädagogik an der <strong>Berufsakademie</strong><br />
<strong>Sachsen</strong>.<br />
1. Einleitung<br />
Dass nicht alle Reize, die den Menschen dargeboten werden,<br />
auch in das Bewusstsein vordringen, ist Kognitionspsychologen<br />
seit Langem bekannt (vgl. Anderson, J. R., S. 54ff.).<br />
Unsere Aufmerksamkeit hat eine Filterfunktion und nur diejenigen<br />
Reize, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken,<br />
werden auch bewusst verarbeitet (vgl. Hoffmann, S./Akbar,<br />
P., S. 72f.). Überträgt man diese aus der Werbewirkungsforschung<br />
bekannte Information auf Studierende, wird deutlich:<br />
Auch in diesem Kontext ist Aufmerksamkeit entscheidend.<br />
Studierende müssen innerhalb kürzester Zeit viele<br />
Informationen rezipieren und verknüpfen. Dies gelingt nur,<br />
wenn Studierende aufmerksam sind. Dozierende stehen<br />
demnach vor der Herausforderung, die Aufmerksamkeit der<br />
Studierenden zu gewinnen.<br />
2011 zeigte eine Studie von Kerres/Schmidt (2011), dass<br />
48,4 Prozent aller Lehrveranstaltungen durch Vorlesungen<br />
gestaltet werden und dieses Format <strong>im</strong> Vergleich zu Vorjahreserhebungen<br />
sogar häufiger eingesetzt wird. Kann es<br />
in diesem klassischen Lehr-Lern-Format gelingen, die Aufmerksamkeit<br />
der Studierenden zu gewinnen? In der Vorlesung<br />
konzentriert sich die Aufmerksamkeit des Studierenden<br />
auf den Dozenten. Diese über einen längeren Zeitraum<br />
hinweg aufrechtzuerhalten, erfordert die Verbindung<br />
mit und Einbettung von alternativen Lehrmethoden (bspw.<br />
Unternehmenss<strong>im</strong>ulationen, Fallstudien, Classroom-Exper<strong>im</strong>enten).<br />
Lernerfolg hängt jedoch nicht nur von Aufmerksamkeit<br />
ab, sondern auch vom Kontext des Lernens<br />
(z.B. wer vermittelt, wann und wo und welchen Inhalt; Roth,<br />
G., S. 505).<br />
Eine Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu erzeugen und den Kontext<br />
positiv zu gestalten, um damit Studierende für ein Fach<br />
und einen Dozenten zu begeistern, ist An<strong>im</strong>al-Assisted Pedagogy<br />
(AAP), auch tiergestützte Pädagogik genannt, welche<br />
<strong>im</strong> vorliegenden Beitrag näher vorgestellt wird. Unter diesen<br />
Begriff fallen Interventionen, bei denen spezifisch ausgebildete<br />
Tiere (Hunde, Katzen, Ratten, Wellensittiche, aber auch<br />
Pferde oder Delfine) eingesetzt werden, „um vorhandene<br />
Ressourcen […] zu stärken, weniger gut ausgebildete Fähigkeiten,<br />
insbesondere <strong>im</strong> emotionalen und sozialen Bereich zu<br />
fördern [...] sowie die Kompetenzen […] insgesamt zu verbessern“<br />
(Vernooij, M./Schneider, S., S. 49).<br />
2. Tiergestützte Pädagogik<br />
2.1 Historie der tiergestützten Pädagogik<br />
Die tiergestützte Pädagogik ist eine Weiterentwicklung der<br />
tiergestützten Therapie, die eher zufällig durch den Kinderpsychiater<br />
Boris Levinson 1961 entdeckt wurde. Levinson<br />
hatte seinen Hund Jingles noch in den Praxisräumen zum<br />
Schlafen gelegt, als der nächste Patient, ein verhaltensgestörter<br />
Junge, etwas zu früh zum Termin erschien und auf<br />
den Retriever traf. Der Junge, der sonst keine Interaktion zu<br />
seiner Umwelt zeigte, kam direkt in Kontakt mit dem Tier<br />
und sprach mit ihm. Dieser Vorfall zeigte dem Psychiater,<br />
dass der Junge sehr wohl in der Lage war, mit seiner Umwelt<br />
Kontakt aufzunehmen. Levinson erkannte die Möglichkeit,<br />
mit seinem Hund Patienten zu erreichen, zu denen er sonst<br />
keinen Zugang fand. Einige Zeit später setze Levinson Jingles<br />
gezielt zu therapeutischen Zwecken ein und veröffentlichte<br />
1962 sein vielzitiertes Papier „The dog as a co-therapist“<br />
(Levinson 1962).<br />
Der Einsatz von Tieren bei psychischen Erkrankungen hat<br />
eine lange Geschichte. Quäker gründeten 1792 das York Retreat,<br />
eine Einrichtung für Geisteskranke mit einer Außenanlage,<br />
welche Patienten die Möglichkeit bot, in Kontakt mit<br />
verschiedenen Kleintieren zu kommen. Florence Nightingale<br />
entdeckte <strong>im</strong> 19. Jahrhundert, dass sich Heilungsprozesse<br />
durch die Anwesenheit von Tieren beschleunigen ließen.<br />
Und schließlich bewarb das U.S. Militär den Einsatz von Hunden<br />
<strong>im</strong> Jahr 1919 <strong>im</strong> St. Elizabeth’s Hospital in Washington,<br />
DC (vgl. Röger-Lakenbrink, I., S. 13).<br />
In den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts etablierten<br />
sich erste Organisationen zur Förderung der neuen Disziplin.<br />
So wurde 1977 in den USA die „Delta-Society” in Portland/Oregon<br />
gegründet und mit dem „Pet Partner Program”<br />
die tiergestützte Therapie flächendeckend in den Vereinigten<br />
Staaten von Amerika ins Leben gerufen. Während sich wenige<br />
Jahre später (1983) in England die Wohlfahrtsorganisation<br />
„Pet as Therapy“ gründete und die ersten „Pet Visiting Programs“<br />
organisierte, entstanden in Deutschland die Vereine<br />
„Tiere helfen Menschen e.V.“ (Würzburg 1987) und „Leben<br />
mit Tieren e.V.“ (Berlin 1988). Die ersten Kurse für Therapiehundeteams<br />
fanden <strong>im</strong> Jahr 1993 in der Schweiz statt. Im<br />
Jahr 1990 wurde der erste Internationale Dachverband – die<br />
IAHAIO (International Association of Human An<strong>im</strong>al Interaction<br />
Organisation) – gegründet, welcher das Ziel verfolgt,<br />
die Mensch-Tier-Beziehung zu erforschen (vgl. Röger-Lakenbrink,<br />
I., S. 15). Im Jahr 2005 gründete sich schließlich<br />
der europäische Dachverband ESAAT (European Society<br />
für An<strong>im</strong>al Assisted Therapy) und ein Jahr später die ISAAT<br />
(International Association for An<strong>im</strong>al Assisted Therapy).
67<br />
Beide verfolgen das Ziel, Qualitätsstandards zu vereinheitlichen,<br />
gemeinsame Mindestanforderungen an Ausbildung<br />
und Kompetenz zu definieren und die tiergestützte Arbeit in<br />
einen anerkannten Berufsstand zu bringen.<br />
Die erste Forschungsgruppe, die sich mit der wissenschaftlichen<br />
Erforschung zur Integration von Tieren in der Pädagogik<br />
befasste, war die Studentengruppe um Dr. Fitting-<br />
Dahlmann an der heilpädagogischen Universität von Köln.<br />
Aus ihr ging <strong>im</strong> Jahr 2005 TiPi (Tiere in Pädagogik integrieren)<br />
hervor. Aktuell sind mehr als 500 Einrichtungen registriert,<br />
welche tiergestützte Pädagogik einsetzen. Bei rund<br />
33 500 allgemeinbildenden Schulen in Deutschland (vgl.<br />
Statistisches Bundesamt 2016) ist das allerdings noch eine<br />
verschwindend geringe Zahl. 160 Lehrkräfte an 147 Einrichtungen<br />
sind aktuell über eine Selbstverpflichtung des Fachverbandes<br />
Schulhunde vernetzt, die die Einhaltung von Hygiene-,<br />
Ausbildungs- und Einsatzstandards für Schulhunde<br />
zum Ziel hat.<br />
Der Co-Pädagoge (Hund) kann jedoch nicht nur systematisch<br />
in der Schule, sondern auch <strong>im</strong> Hochschulbereich zur<br />
Erreichung von pädagogischen Zielen eingesetzt werden.<br />
Warum sich vor allem Hunde eignen und wie ein solcher<br />
Einsatz aussehen kann, beschreibt das Anwendungsszenario<br />
am Beispiel der Staatlichen Studienakademie Riesa in<br />
Kapitel 3.<br />
2.2 Methodik der hundegestützten Pädagogik<br />
Da hauptsächlich Hunde in der tiergestützten Pädagogik<br />
zum Einsatz kommen, hat sich der Begriff der hundegestützten<br />
Pädagogik entwickelt und umfasst den systematischen<br />
Einsatz „von ausgebildeten Hunden in der Schule zur Verbesserung<br />
der Lernatmosphäre und individuellen Leistungsfähigkeit<br />
sowie des Sozialverhaltens“ (Heyer, M./Kloke, N.,<br />
S. 16).<br />
Die zahlreichen Einsätze von Hunden hängen vor allem mit<br />
ihrer positiven Wirkung auf die Umwelt zusammen. Sie fungieren<br />
als Eisbrecher, Türöffner oder Brückenbauer. Durch<br />
den Körperkontakt (z.B. das Streicheln eines Hundes), wird<br />
das Wohlfühl- und Bindungshormon Oxytocin <strong>im</strong> Körper<br />
des Menschen ausgeschüttet. Oxytocin sorgt für Nähe und<br />
ist als Gegenspieler von Stresshormonen wie Kortisol bekannt.<br />
Die Oxytocin-Ausschüttung senkt die Herzschlagrate<br />
und den Blutdruck und schützt so das Herz-Kreislaufsystem<br />
(vgl. Richter, C.). Gleichzeitig senkt der Kontakt zu Hunden<br />
den Kortisolspiegel, was wiederum zu einer Stressreduktion<br />
führt (vgl. Barker, S. B. et al.; Viau, R. et al.). Zusätzlich wird<br />
durch das weiche Fell ein Wohlgefühl verursacht (vgl. Müller,<br />
C./Lehari, G., S.28; Heyer, M./Kloke, N., S. 20f.). Schließlich ermöglicht<br />
die direkte und ehrliche Reaktion von Hunden eine<br />
„besondere Form des sozialen Lernens“ (Olbrich, E., S. 6). In<br />
der hundegestützten Pädagogik wird dazu zwischen dem<br />
Schulhund (Präsenzhund) und dem (Schul-)Besuchshund<br />
differenziert.<br />
1. Präsenzhunde (Schulhunde) verbringen regelmäßig eine<br />
gewisse Zeit <strong>im</strong> Klassenraum und <strong>im</strong> Unterricht. Sie werden<br />
von einer für den pädagogischen Hundeeinsatz ausgebildeten<br />
Lehrperson eigenverantwortlich geführt. Die Tiere sind<br />
speziell auf ihre Eignung getestet, entsprechend ausgebildet<br />
und werden regelmäßig am Einsatzort Schule überprüft. Zu<br />
den wichtigsten pädagogischen Zielsetzungen des Einsatzes<br />
von Präsenzhunden zählt ihr Beitrag zur Verbesserung des<br />
sozialen Gefüges in der Klasse, der Schüler-Lehrer-Relation,<br />
des Klassenkl<strong>im</strong>as und der individuellen sozialen Kompetenz<br />
der Schüler.<br />
2. (Schul-)Besuchshunde besuchen Schulklassen einmal<br />
oder mehrmals stundenweise. Sie werden von einer für<br />
den pädagogischen Hundeeinsatz ausgebildeten, externen<br />
Begleitperson geführt. Die Tiere sind ebenfalls speziell auf<br />
ihre Eignung getestet, entsprechend ausgebildet und werden<br />
regelmäßig überprüft. Zu den Zielsetzungen gehören<br />
die altersgerechte <strong>Wissen</strong>svermittlung zum Thema Hund<br />
(adäquate Haltung, Pflege, Kosten und Ausbildung, insbesondere<br />
die Ausdrucksformen wie Körpersprache, Lautäußerungen)<br />
sowie zu Tierschutzanliegen (z.B. tiergerechte<br />
Erziehung). Besuchshunde erweisen sich als erzieherisch<br />
wirkungsvolle Alternative zum Einsatz von Präsenzhunden<br />
(BMBF, S. 9f.).<br />
Müller/Lehari (S. 13) unterscheiden weiterhin zwei Grundformen.<br />
Erstens, der Hund ist lediglich anwesend. Die Präsenz<br />
des Hundes reicht aus, um Wirkungen zu erzielen. Bei der<br />
zweiten Möglichkeit ist der Hund Teil des pädagogischen<br />
Konzepts (Müller/Lehari sprechen von einem therapeutischen<br />
Konzept). Das bedeutet, dass der Hund best<strong>im</strong>mte<br />
Aufgaben hat und Funktionen erfüllt. Grundsätzlich müssen<br />
sich Hundeführer und Pädagogen nicht für eine der beiden<br />
Einsatzformen entscheiden, sondern können sie auch kombinieren.<br />
2.3 Voraussetzungen/Richtlinien für den Einsatz:<br />
Um die hundegestützte Pädagogik durchführen zu können,<br />
sind einige Grundvoraussetzungen zu erfüllen. Dazu gehören<br />
unter anderem:<br />
Z Die erwünschten positiven Auswirkungen sollten für alle<br />
erlebbar sein.<br />
Z Durch den Einsatz des Hundes darf der Bildungsauftrag<br />
des Lehrers/der Lehrerin nicht beeinträchtigt werden,<br />
sondern muss unterstützt werden.<br />
Z Eingesetzt werden dürfen nur Hunde, die eine entsprechende<br />
Eignung aufweisen und gemeinsam mit der hundeführenden<br />
Lehrperson eine Ausbildung absolviert haben,<br />
die spezifische Elemente des Schuleinsatzes beinhaltet.<br />
Eine Begleithundeausbildung allein reicht nicht aus.
68<br />
Außerdem sollten die Einverständniserklärungen von der<br />
Schulleitung und den Unterrichtsteilnehmern eingeholt<br />
werden. Eine Information des Kollegiums hat ebenfalls zu<br />
erfolgen. Dies kann durch persönliche Gespräche, pädagogische<br />
Konferenzen, schriftliche Beschreibung und Aushänge<br />
der Projektidee, (Literatur-)Hinweise auf Ergebnisse wissenschaftlicher<br />
Untersuchungen sowie den Verweis auf die Ausbildungen<br />
der Lehrperson und des Hundes geschehen (vgl.<br />
BMBF, S. 10). Müller/Lehari (S. 15) führen zudem an, dass<br />
bei der tiergestützten/hundegestützten Pädagogik ein pädagogischer<br />
Abschluss des Hundeführers vorausgesetzt wird,<br />
damit die effektive Arbeit <strong>im</strong> Unterricht gewährleistet wird.<br />
Der Leitfaden des BMBF formuliert: „Um pädagogische<br />
Qualität und Sicherheit für Mensch und Tier <strong>im</strong> schulischen<br />
Bereich zu gewährleisten, dürfen nur speziell ausgebildete<br />
Mensch-Hunde-Teams für den Einsatz <strong>im</strong> Unterricht zugelassen<br />
werden. Die (hundeführende) Lehrperson übern<strong>im</strong>mt<br />
die Verantwortung für den pädagogisch nutzbringenden und<br />
sicheren Einsatz des Hundes. Eine adäquate Ausbildung der<br />
hundeführenden Lehrperson sowie des Hundes gewährleisten<br />
spezialisierte (Hunde-)Ausbildungsinstitutionen. […]<br />
Die Projekt- bzw. Unterrichtsplanung, eine kontinuierliche<br />
Dokumentation des Verlaufs, das Ausbildungs- und Prüfungsprotokoll<br />
des ausbildenden Vereins/der ausbildenden<br />
Institution sowie der Nachweis über eine entsprechende<br />
Haftpflichtversicherung mit erhöhter Deckungssumme und<br />
Gültigkeit <strong>im</strong> Schulbereich sind zur Vorlage bereitzuhalten.“<br />
(BMBF, S. 11).<br />
Doch nicht nur durch die Lehrperson sind best<strong>im</strong>mte Ansprüche<br />
zu erfüllen, auch der Hund selbst sollte folgende<br />
Voraussetzungen erfüllen. Da es in Deutschland keine gesetzlichen<br />
Richt- bzw. Leitlinien gibt (vgl. Müller, C./Lehari,<br />
G. , S. 14), bietet die österreichische Initiative „Hunde in der<br />
Schule“ mit ihren Leitlinien eine Orientierung.<br />
Hinsichtlich gesundheitlicher Eigenschaften sind folgende<br />
Punkte zu beachten:<br />
Z jährlicher Gesundheitscheck be<strong>im</strong> Tierarzt<br />
(+ Impfung, Entwurmung)<br />
Z Vorliegen von weitgehender physischer und psychischer<br />
Beschwerdefreiheit<br />
Z Identifizierung und Registrierung des Hundes<br />
(generelle Chippflicht)<br />
Z kein Einsatz, wenn die Hündin läufig, (schein-)trächtig<br />
oder säugend ist (BMBF, S. 14)<br />
Der Hund selbst muss keiner speziellen Rasse oder Mischlingsform<br />
angehören, sollte jedoch einige Anlagen mitbringen,<br />
um sich gut sozialisieren zu lassen (vgl. Röger-Lakenbrink,<br />
I., S. 22 f.).<br />
Dazu gehören nach BMBF (S. 15) und Müller, C./Lehari, G. (S.<br />
25 ff.):<br />
Z ein freundliches, menschenbezogenes, sicheres, sozial<br />
kompetentes, gelassenes Wesen<br />
Z eine hohe Reizschwelle, hohe Stresstoleranz<br />
Z stabile Bindung und Vertrauensverhältnis zu dem/der<br />
menschlichen Bezugspartner/in aufweisen<br />
Z gute Sozialisierung auf unterschiedliche Personen<br />
(z.B. Größe, Alter, Geschlecht)<br />
Z ungewöhnliche Fortbewegungsarten kennen<br />
(z.B. Skateboard, Fahrrad, Gehhilfen, Rollstuhl)<br />
Z notwendiges Mindestmaß an Grundgehorsam<br />
(u.a. Abrufbarkeit, verlässliches „Sitz“, „Platz“, „Bleib“)<br />
Stufe 3<br />
Stufe 2<br />
Stufe 1<br />
Weiterbildung<br />
Spezialisierung<br />
Grundausbildung<br />
Charaktereigenschaften<br />
Abb. 1: Drei-Stufen-Modell (Quelle: Heyer, M./Kloke, N., S. 26)<br />
Materialentwicklung<br />
Konzeptentwicklung<br />
Erziehung<br />
Vertrauensaufbau<br />
3. Anwendungsszenario an der<br />
Staatlichen Studienakademie Riesa<br />
3.1 Überblick<br />
Vor dem in Kapitel 2 beschriebenen Hintergrund hat die<br />
Staatliche Studienakademie Riesa <strong>im</strong> September 2015<br />
das Projekt hundegestützte Pädagogik mit der Dozentin<br />
Alexandra Kroczewski-Gubsch und der Golden Retriever-<br />
Hündin Dina begonnen. Das Projekt folgte in abgewandelter<br />
Form dem Drei-Stufen-Modell von Heyer/Kloke (S. 26), welches<br />
die kontinuierliche Entwicklung des Hundes für den<br />
Einsatz <strong>im</strong> pädagogischen Bereich beschreibt (vgl. Abb. 1).<br />
In Stufe 1 durchläuft der Hund die Grundausbildung, spezialisiert<br />
sich in Stufe 2 und wird in Stufe 3 schließlich weitergebildet.<br />
Dieser Ansatz kann auf das vorliegende Szenario übertragen<br />
werden. In Tabelle 1 dargestellt ist je Stufe der Anwendungsfall<br />
für die betreffende Studienrichtung Event- und Sportmanagement,<br />
die Pädagogik-Hündin sowie die Dozentin. Zu<br />
den vorbereitenden Maßnahmen zählte ein Gespräch mit der<br />
Studiengangsleitung, welche wiederum die Direktion des<br />
Hauses in Kenntnis setzte. Zunächst wurde folgende Vereinbarung<br />
getroffen: Sofern keine Einwände von Studierenden<br />
vorliegen (z.B. aufgrund einer Angststörung, einer Allergie
69<br />
o.ä.), wurde zunächst der punktuelle Einsatz der Pädagogik-<br />
Hündin an jeweils drei Terminen pro Modul gestattet. Die<br />
Studierenden wurden durch die Leiterin des Studiengangs<br />
vorinformiert mit der Möglichkeit, eventuelle Einwände auch<br />
<strong>im</strong> persönlichen Gespräch zu äußern. Einwände der betroffenen<br />
Studierenden gab es nicht. Nach Stufe 3 wurde der<br />
Einsatz von Dina in den von Alexandra Kroczewski-Gubsch<br />
betreuten Modulen uneingeschränkt gestattet, insofern keine<br />
begründeten Einsprüche der Studierenden vorliegen.<br />
Der Probedurchlauf (Stufe 1) wurde mit den Studierenden<br />
des 5. Semesters <strong>im</strong> Matrikel 2013 in der Studienrichtung<br />
Event- und Sportmanagement durchgeführt. Damals war<br />
Dina sechs Monate alt und als Präsenzhund zunächst stundenweise<br />
anwesend. Alexandra Kroczewski-Gubsch nahm<br />
<strong>im</strong> Herbst 2015 mit den Vorlesungen „Planung, Finanzierung<br />
und Controlling von Events und Sportveranstaltungen“<br />
ihre Tätigkeit als freiberufliche Dozentin an der Staatlichen<br />
Studienakademie Riesa auf. Zu diesem Zeitpunkt stand die<br />
Reakkreditierung des Studiengangs für 2016 an und es bot<br />
sich die Gelegenheit, sowohl inhaltlich als auch didaktisch<br />
neue Wege zu gehen. Dina wurde beispielsweise bei der Einteilung<br />
von Gruppen genutzt oder kam zum Einsatz, wenn<br />
die Studierenden nach Pausen wieder auf die inhaltlichen<br />
Themen fokussiert werden sollten. Zusätzlich wurde das<br />
Thema Verantwortung mit ihr praktisch aufgezeigt.<br />
Nach dem erfolgreichen Probelauf kam Dina <strong>im</strong> 4. Semester<br />
des 2014er-Matrikels <strong>im</strong> Modul „Sportwissenschaften“ zum<br />
zweiten Mal zum Einsatz (Stufe 2). Inzwischen war Dina in<br />
den Begleithundestunden und in der Therapiehundeausbildung<br />
aktiv. Alexandra Kroczewski-Gubsch begann in dieser<br />
Zeit eine pädagogische Weiterbildung am Hochschuldidaktischen<br />
Zentrum <strong>Sachsen</strong>. Gemeinsam mit Dina wurden den<br />
Studierenden die Themen motorische Grundfähigkeiten,<br />
Ernährung und Training erklärt.<br />
Mittlerweile hat Dina ihren dritten Einsatz und begleitet zu<br />
den bisher gehaltenen Vorlesungen das 2016er-Matrikel,<br />
welches sich fachspezifisch aus Sportmanagementstudenten<br />
zusammensetzt <strong>im</strong> Modul „Grundlagen des Sportmanagement“.<br />
Dina hat inzwischen ihre Begleithundeprüfung<br />
und Therapiehundeausbildung erfolgreich abgeschlossen<br />
und ist damit offiziell befähigt, an der Staatlichen Studienakademie<br />
als „Co-Pädagoge“ eingesetzt zu werden. Durch<br />
die regelmäßige Integration von Dina in die Vorlesungen ist<br />
es möglich, kurze und abwechslungsreiche Lernpausen zu<br />
gestalten, um anschließend die Konzentration und den Fokus<br />
auf den Lernstoff zurückzuholen. Ein spannender Aspekt<br />
ist die Vermittlung von Führungsqualitäten. Diese werden <strong>im</strong><br />
Umgang mit der Hündin sukzessive aufgebaut. Lernen die<br />
Studierenden den Hund zunächst kennen, werden <strong>im</strong> weiteren<br />
Verlauf vertrauensbildende Maßnahmen, richtige Kommunikation<br />
und das Handling des Hundes (mit und ohne<br />
Leine) erlernt. Das schafft Selbstvertrauen und Respekt <strong>im</strong><br />
Umgang mit anderen.<br />
Der Studiengang wurde <strong>im</strong> September 2016 erfolgreich<br />
re-akkreditiert, sodass die Grundlagen für eine weitere Zusammenarbeit<br />
insbesondere in der Vertiefung Sportmanagement<br />
gelegt wurden. Wie Tabelle 1 zeigt, haben sich<br />
zeitgleich mit der Weiterqualifizierung der Hündin auch<br />
Stufe<br />
(zeitliche Einordnung<br />
am Standort Riesa)<br />
Studienrichtung<br />
(Event- und<br />
Sportmanagement)<br />
Therapiehündin<br />
(Dina)<br />
Dozentin<br />
(Frau Kroczewski-Gubsch)<br />
1 (Herbst 2015) Modul „Planung, Finanzierung<br />
und Controlling von Events<br />
und Sportveranstaltungen“<br />
(Matrikel 2013)<br />
■ Ist gerade 6 Monate alt und hat<br />
bereits den Welpenkurs und<br />
den ersten Junghundekurs<br />
absolviert<br />
■ Ist als Präsenzhund anwesend<br />
Orientierung in der<br />
Bildungseinrichtung<br />
und Aufnahme der<br />
Vorlesungstätigkeit<br />
2 (Frühjahr 2016) Modul „Sportwissenschaften“<br />
(Matrikel 2014)<br />
Dina ist ein Jahr und wird<br />
aktiv in den Vorlesungen<br />
eingesetzt<br />
Die Dozentin befindet sich<br />
<strong>im</strong> ersten Drittel des HDS<br />
Zertifikates.<br />
3 (ab Herbst 2016) Modul „Planung, Finanzierung<br />
und Controlling von Events<br />
und Sportveranstaltungen“<br />
(Matrikel 2014)<br />
Modul „Grundlagen des<br />
Sportmanagement“<br />
(Matrikel 2016)<br />
Dina ist 1,5 Jahre. Sie hat<br />
den Begleithundekurs und die<br />
Therapiehundeausbildung<br />
abgeschlossen.<br />
Die Dozentin befindet sich<br />
<strong>im</strong> zweiten Drittel des HDS<br />
Zertifikates und bereitet für<br />
das dritte Modul ein<br />
pädagogisches Konzept<br />
zum Thema hundegestützte<br />
Pädagogik vor.<br />
Tabelle 1: Drei-Stufen-Modell am Beispiel der Staatlichen Studienakademie Riesa (Quelle: Heyer, M./Kloke, N., S. 26) Legende: HDS = Hochschuldidaktisches Zentrum <strong>Sachsen</strong>
70<br />
Dozentin und Studiengang in einem iterativen Prozess weiterentwickelt.<br />
Diese Konstellation kann als einmalig an der<br />
<strong>Berufsakademie</strong> <strong>Sachsen</strong> bezeichnet werden. Erstmalig<br />
kommt die hundegestützte Pädagogik <strong>im</strong> Rahmen des dualen<br />
Studiums in <strong>Sachsen</strong> zum Einsatz.<br />
3.2 Nutzen<br />
Doch welchen Nutzen bringt nun der Einsatz von tiergestützter<br />
Pädagogik in der Hochschuldidaktik am Beispiel<br />
der Staatlichen Studienakademie Riesa? Im Zusammenhang<br />
mit der Lehr-Lern-Situation an der <strong>Berufsakademie</strong> <strong>Sachsen</strong><br />
ist festzustellen, dass es sich um ein kompr<strong>im</strong>iertes und zeitintensives<br />
Lernen während der <strong>im</strong> Durchschnitt zwölfwöchigen<br />
Theoriephasen handelt. Das bedeutet, dass <strong>Wissen</strong><br />
in seiner Komplexität umfassend innerhalb der Lehrgebiete<br />
und Vorlesungstage vermittelt werden muss. Zudem sind<br />
die Seminargruppen mit einer Größe bis zu 40 Studierenden<br />
überschaubar. Das Zusammenspiel von herausfordernder<br />
Lehre in kleinen Gruppen macht den Einsatz von tierischen<br />
Co-Pädagogen möglich, wenn nicht gar erforderlich.<br />
Da sich Hunde ausschließlich an der Authentizität und der<br />
sozialen Kompetenz eines Menschen orientieren, sind Noten,<br />
Herkunft, Aussehen und Behinderung bedeutungslos.<br />
In diesem Zusammenhang steigen die soziale Akzeptanz<br />
und der Zusammenhalt innerhalb der Studiengruppe (vgl.<br />
BMBF, S.8).<br />
Für Lehrende birgt der Einsatz der hundegestützten Pädagogik<br />
den Vorteil, dass der Hund stressreduzierend wirkt und<br />
der Lärmpegel deutlich gesenkt wird. Das soziale Kl<strong>im</strong>a in<br />
den Seminargruppen verbessert sich. Zusätzlich beobachteten<br />
Kotrschal/Ortbauer (2003) die Senkung des Aggressionsverhaltens.<br />
Krautwig (2003) stellte fest, dass durch den<br />
Einsatz eines Hundes die Lehrperson in einem anderen<br />
sozialen Zusammenhang wahrgenommen wird. Der Lehrende<br />
wird assoziativ eng an den Hund gekoppelt. Statt beurteilend<br />
und oftmals auch kontrollierend wird die Bezugsperson<br />
zugewandt, fürsorgliche, aber auch konsequent<br />
wahrgenommen.<br />
Für die Staatliche Studienakademie Riesa ergeben sich folgende<br />
Vorteile. Zum einen verbessert sich die Zufriedenheit<br />
bei Studierenden und involvierten Dozierenden. Ablesen<br />
lässt sich dies bspw. an den vorliegenden Modulevaluierungen<br />
für die Dozentin. Studierende bewerteten die Methodik<br />
und Didaktik mit Werten zwischen 1,23 (1. Semester, Matrikel<br />
2015) und 1,88 (5. Semester, Matrikel 2013) auf einer Gesamtskala<br />
von 1 (positiv) bis 6 (negativ). Für Dozierende gestaltet<br />
sich die Staatliche Studienakademie Riesa zudem als ein<br />
interessanter Auftraggeber, welcher offen für neue Konzepte<br />
und Ideen ist.<br />
4. Ausblick<br />
Abschließend ist festzustellen, dass das Projekt der hundegestützten<br />
Pädagogik an der Staatlichen Studienakademie<br />
Riesa erfolgreich eingeführt wurde. Für die kommenden Jahre<br />
ist eine intensivere Zusammenarbeit mit Dina geplant. Die<br />
Dozentin Alexandra Kroczewski-Gubsch wird das Hochschuldidaktische<br />
Zertifikatsprogramm <strong>2017</strong> abschließen und in<br />
enger Zusammenarbeit mit der Studiengangsleitung <strong>im</strong> Studiengang<br />
BWL-Dienstleistungsmanagement den Einsatz der<br />
hundegestützen Pädagogik an der Staatlichen Studienakademie<br />
Riesa weiterentwickeln. Die Studienakademie unterstreicht<br />
mit dem systematischen Einsatz der Co-Pädagogin<br />
Dina das innovative und zukunftsorientierte Arbeiten der <strong>Berufsakademie</strong>n<br />
<strong>Sachsen</strong> und kann sich einmal mehr abgrenzen<br />
von anderen Anbietern auf dem Bildungsmarkt.<br />
Fasst man die Vorteile für Lernende, Dozierende sowie die<br />
Bildungseinrichtung zusammen, so zeigt sich ein überzeugendes<br />
Bild. Vorteile für die Lernenden sind:<br />
Z erhöhte Aufmerksamkeit, dies führt wiederum zu einer<br />
verbesserten Aufnahme der Inhalte (BMBF, S. 7)<br />
Z damit verbunden eine Steigerung des Lernerfolgs<br />
Z eine Verbesserung der Lernatmosphäre<br />
(mehr Spaß am Unterricht) und<br />
Z somit höhere Zufriedenheit und Motivation der<br />
Studierenden
71<br />
LITERATUR<br />
Anderson, J. R. (2013): Kognitive Psychologie, 7. Aufl., Wiesbaden:<br />
Springer VS.<br />
Barker, S. B.; Knisely, J. S.; McCain, N. L.; Best, A. M. (2005):<br />
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following interaction with a therapy dog: a pilot<br />
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BMBF (Österreichisches Bundesministerium für Bildung und<br />
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Heyer, M., Kloke, N. ( 2011): Der Schulhund. Eine Praxisanleitung<br />
zur hundegestützten Pädagogik <strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer,<br />
2. Aufl. Nerdlen/Daun. Kynos Verlag.<br />
Hoffmann, S.; Akbar, P. (2016): Konsumentenverhalten, Wiesbaden,<br />
SpringerGabler.<br />
Kerres, M.; Schmidt, A. (2011): Zur Anatomie von Bologna-<br />
Studiengängen: Eine empirische Analyse von Modulhandbüchern,<br />
in: Pasternack, P. (Hrsg.) (2011): Die Hochschule.<br />
Journal für <strong>Wissen</strong>schaft und Bildung, Wittenberg. S. 173-<br />
191.<br />
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Grundlagen und Praxis der tiergestützten Pädagogik und<br />
Therapie, Stuttgart, Kosmos Verlag, S. 267-272.<br />
Krautwig, C. (2003): Tiergestützte Pädagogik <strong>im</strong> Unterricht<br />
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Bundesministerium für Bildung und Frauen) (Hrsg.)<br />
(2014): Hunde in der Schule. Allgemeine Hinweise zu Tieren<br />
in der Schule, 2. Aufl. Wien, S. 8.<br />
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Müller, C.; Lehari, G. (2015): Der Therapiehund. Vor, während<br />
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Verlags-GmbH + Co. KG.<br />
Olbrich, E. (2008): Lernen mit Tieren, in: lernen konkret.<br />
Unterricht bei geistiger Behinderung. Tiere <strong>im</strong> Leben und<br />
Lernen von Kindern und Jugendlichen, Braunschweig, Bildungsverlag<br />
EINS 1/2008.<br />
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http://www.planet-wissen.de/natur/tier_und_mensch/<br />
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(Zugriff: 28.11.2016).<br />
Röger-Lakenbrink, I. (2006): Das Therapiehunde-Team. Ein<br />
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Roth, G. (2004): Warum sind Lehren und Lernen so schwierig?,<br />
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Statistisches Bundesamt (2016): Anzahl der allgemeinbildenden<br />
Schulen in Deutschland <strong>im</strong> Schuljahr 2015/2016 nach<br />
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(Zugriff: 28.11.2016).<br />
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www.psyneuen-journal.com/article/S0306-4530(10)00048-<br />
X/pdf (Zugriff: 28.11.2016).
72<br />
Dual studieren in <strong>Sachsen</strong> –<br />
in 3 Jahren zum<br />
Bachelor-Abschluss.<br />
Die BA <strong>Sachsen</strong> bietet an den sieben Staatlichen Studienakademien in Bautzen,<br />
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1. Jahrgang, April <strong>2017</strong>, ISSN-Nr. 2512-4366<br />
Herausgeber:<br />
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