ISBN 978-3-86859-443-0
Zum Umgang mit Bauten der
1960er und 70er Jahre
Frank Eckardt
Hans-Rudolf Meier
Ingrid Scheurmann
Wolfgang Sonne (Hrsg.)
Welche Denkmale welcher Moderne? 6
Frank Eckardt, Hans-Rudolf Meier,
Ingrid Scheurmann, Wolfgang Sonne
Welche Moderne? 13
Welche Moderne? 14
Wolfgang Sonne
Das EFH. Vorläufiges ABC einer gebauten
Sozialontologie der fordistischen
Wachstums jahrzehnte im 20. Jahrhundert 40
Elisabeth Timm
Erinnerte Moderne und
die Stadt der Migranten 54
Frank Eckardt
Denkmal, Erinnerungsort, Location oder was? 62
Ingrid Scheurmann
Destructive Egomania 82
Tino Mager
Sharing Heritage? 91
Hans-Rudolf Meier
Welche Denkmale? 101
Die Qual der (Aus-)Wahl 102
Bianka Trötschel-Daniels
Architekturarchive als parallele
Überlieferungsbildung 114
Regina Wittmann
Moderne im Bewertungsprozess 128
Torben Kiepke
Von Top Monumenten bis Tentativlisten 144
Katja Hasche
Conserving the Canon? 156
Marieke Kuipers
Denkmale der unmittelbaren Vergangenheit 168
Simone Bogner
Eine andere oder die gleiche? 188
Agnieszka Zabłocka-Kos
The Conservation of Post-1945
Architecture in Great Britain 206
Alistair Fair
Großstrukturen der Nachkriegsmoderne 216
Sonja Hnilica
Denkmäler der Moderne und das
Placemaking von Migranten 244
Carsten Müller
Die Sprache der Objekte und das
Sprechen über sie. Ein Ausblick 263
Ingrid Scheurmann / Hans-Rudolf Meier
Erhaltungsformen 273
Biografien 318
Bildnachweis 322
Impressum 323
Welche Denkmale
welcher Moderne?
Frank Eckardt, Hans-Rudolf Meier, Ingrid Scheurmann, Wolfgang Sonne
Zwei miteinander verknüpfte Fragen bestimmen das
Thema dieser Publikation: Welche Moderne kann sich als
denkmalwürdig erweisen? Und: Welche Denkmale können
für diese Moderne stehen?
Schon die Frage „Welche Moderne?“ impliziert, dass die
Moderne nicht als homogenes, bereits fest definiertes Phänomen
existiert. Da ist zunächst die zeitliche Dimension,
die vergleichsweise einfach zu klären ist: Mit welcher Epoche
beschäftigt sich dieses Buch? In unterschiedlichen Zusammenhängen
mag es sinnvoll sein, die Moderne mit der
Renaissance, der Aufklärung, der Französischen Revolution,
der industriellen Revolution oder den Kunstavantgarden
des frühen 20. Jahrhunderts beginnen zu lassen. Unsere
spezifische Fragestellung ergibt sich aus der Problematik
eines jungen Kulturerbes – und so beschäftigt sich dieses
Buch mit dem Zeitraum der 1960er, 70er und 80er Jahre. Er
ist uns zeitlich noch zu nah, um bereits als Geschichte beschrieben
und definiert zu sein; seine baulichen Zeugnisse
stehen uns ebenfalls noch zu nah, um einer konsensuellen
künstlerischen Beurteilung unterliegen zu können. Er liegt
aber auch schon so weit zurück, dass mit dem Abstand einer
Generation sich die historische Einordnung zu festigen
beginnt und dass bauliche Zeugnisse eine bewusste Handhabung
erfordern – nicht zuletzt, da sie fast ausnahmslos
einer Renovierung bedürfen.
Noch ungeklärt ist, ob es sich bei diesem Zeitraum um eine
spezifische Epoche der Moderne handelt. Von den bauli-
1
chen Aufgaben in Europa her betrachtet, handelt es sich
nicht mehr um eine Nachkriegsmoderne im engeren Sinne,
da die unmittelbaren Anforderungen des Wiederaufbaus
infolge des Zweiten Weltkriegs nicht mehr bestehen. Gemessen
am Realisierungsanspruch gesellschaftlicher Utopien
in Verbindung mit einer industriellen Massenproduktion
im Bauen ließen sich die 1960er und 70er Jahre als
Hochmoderne bezeichnen – wenn dieser Begriff nicht zu
sehr biologische Wachstums- und Verfallsprozesse implizieren
würde. Dies trifft auch für den Begriff der Spätmoderne
zu, der seine Begründung vor allem aus der Annahme
einer nachfolgenden Postmoderne erfährt. Doch eine
solche erscheint heute weder gesellschaftlich, politisch, philosophisch
noch kulturell als tatsächlich neue Epoche überzeugend.
Vielmehr erscheinen Spätmoderne und Postmo-
1
Ausstellung „Big Heritage“
des Forschungsverbundes
WDWM im Rathaus Marl,
2016
6
Welche Denkmale welcher Moderne?
2
des Zweiten Weltkriegs. Babyboom und Westbindung, Tarifpartnerschaften
und die Hoffnung auf „Mehr Demokratie“
zeugen in der Bundesrepublik von diesem Vertrauen in
eine gestaltbare und erreichbare bessere Zukunft, an der
große Teile der Bevölkerung teilhaben sollen. Der Einzug
des technischen Fortschritts mit Fernseher und Staubsauger
in die eigenen vier Wände symbolisierte das Versprechen
der Moderne jener Jahre. Ein Versprechen, das international
ausstrahlte und Träume vom kleinen Glück in
einem einfacheren Alltag erreichbar erscheinen ließ. Andere
Geschichten aus jener Zeit hingegen haben in dieser
Rückschau zumeist weniger Platz und wurden bis zu dem
generationellen Wechsel der späten 1960er Jahre kaum
wahrgenommen. Hierzu gehören die Erfahrungen der Ent-
3
derne als gleichzeitige, kontroverse Positionen einer in sich
widersprüchlichen Moderne, deren Debatten sich bis heute
nicht erledigt haben. In diesem Sinne versucht dieses Buch
nicht, den Zeitraum der 1960er bis 80er Jahre als besondere
Epoche zu definieren, sondern als Teil einer länger dauernden
facettenreichen Moderne zu betrachten, ohne sich jedoch
in abstrakten Begriffsklärungen über die Postmoderne
zu verstricken.
Dies gibt der Frage „Welche Moderne?“ eine inhaltliche
Wendung. Keineswegs ist dieser Zeitraum nämlich von einer
einzigen architektonischen und städtebaulichen Richtung
bestimmt, die sich als Epochenstil erkennen und beschreiben
ließe – auch wenn in der heutigen Wahrneh mung
vor allem Großstrukturen und Betonbrutalismus als typische
Vertreter dieser Zeit gesehen werden. Daneben
existier ten auch andere moderne Richtungen, von der
skulp tural-künstlerischen Architektur bis zum funktionalökonomischen
Bauen, von avantgardistischen Manifestationen
bis zu traditionalistisch-kontextuellen Positionen. „Welche
Moderne?“ impliziert in diesem Zusammenhang
keineswegs, eine dieser Richtungen als zeittypisch herauszustellen
– im Gegenteil: Es gilt erst einmal, die bauliche Produktion
dieser Zeit in ihrer Vielfalt zu erkennen und die
Moderne dieser Zeit als eine facettenreiche zu beschreiben.
Die Frage „Welche Moderne?“ verweist auch auf die sozialen
und politischen Spezifika dieses Zeitraums, über die es
keineswegs ein einheitliches Narrativ gibt. Vielmehr hat die
Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Moderne sich in
der Weise durchgesetzt, dass es auch über die verschiedenen
gesellschaftlichen Entwicklungen in jenen Jahrzehnten
ausdifferenzierte und konkurrierende Erzählungen gibt, die
unterschiedliche gesellschaftliche Erfahrungen widerspiegeln:
Da ist – in der „alten“ Bundesrepublik – die Erfolgsgeschichte
des „Wirtschaftswunders“ und des „Wohlstands für
alle“, einer optimistischen Zukunftsorientierung von
Wachstum und der schnellen Überwindung der Traumata
2, 3
Ausstellung „Big Heritage“
des Forschungsverbundes
WDWM im Rathaus Marl,
2016
7
Welche Moderne?
Richtungen der Architektur der
1960er, 70er und 80er Jahre in Deutschland
Wolfgang Sonne
In den landläufigen Diskursen der Zeitschriften und Internetplattformen,
der Hochschullehre und Vortragsveranstaltungen
verfestigt sich momentan ein sehr einseitiges Bild
der Architektur der 1960er bis 80er Jahre: Während die Zeit
bis etwa 1975 von großen Betonkisten – gerne als Brutalismus-Moderne
bezeichnet – geprägt sei, käme danach die
Postmoderne mit ihrer historistischen Zitatarchitektur. Bei
dieser vor allem auf einen periodischen Wechsel zielenden
Darstellung geht jedoch die reale Vielfalt der Architektur
dieser Zeit verloren. Zudem perpetuiert diese Darstellung
zwei historiografische Grundannahmen, die heute nicht
mehr haltbar sind: zum einen die Propagierung einer einzigen
und wahren Moderne, die sich im Laufe der Geschichte
notwendig durchsetzen müsse, und zum anderen – darauf
antithetisch Bezug nehmend – die Propagierung einer
Postmoderne, die in ihrer reflexiven Vielfalt eben diese eine
Moderne infrage stelle und überwinde.
Beide Geschichtskonzepte aber vermögen heute nicht
mehr zu überzeugen. Die Architekturgeschichtsschreibung
hat mittlerweile eindrücklich herausgearbeitet, dass
die moderne Architektur im 20. Jahrhundert von mehreren,
sich teilweise ergänzenden oder auch widersprechenden
Richtungen geprägt war. 1 Dies gilt auch für den hier
untersuchten, gerne vereinfachend und auf Periodisierung
abzielend Hoch- bzw. Spätmoderne genannten Zeitraum:
Wer wollte etwa so grundverschiedene Bauten wie Gottfried
Böhms Kirche in Neviges mit der „Rostlaube“ der
Freien Universität Berlin von Candilis, Josic und Woods
über denselben Kamm scheren? 2 Moderne war vielfältig,
weshalb die Frage „Welche Moderne?“ explizit gestellt und
beantwortet werden muss. 3 Auch die einst revolutionär
postulierte Rolle der Postmoderne wird heute relativiert:
Die wesentlichen Merkmale der Postmoderne – allen voran
die Reflexivität und die Pluralität – sind ebenfalls als
genuine Merkmale der Moderne anzusehen, weshalb heute
die Postmoderne nicht mehr als eine der Epoche der
Moderne nachfolgende Epoche, sondern als eine Richtung
innerhalb des breiten Spielfelds der Moderne, das durch
Kritik und Gegenkritik konstituiert wird, anzusehen ist.
Für eine Periodisierung in unserem Zeitraum würde sich
das Begriffspaar Moderne – Postmoderne ohnehin nicht
eignen: Wesentliche Gedanken der ab Mitte der 1970er
Jahre postmodern genannten Architektur wurden schon
um 1960 formuliert; wesentliche Themen der Moderne
wurden um 1990 etwa unter dem Stichwort einer Zweiten
Moderne diskutiert.
14
Welche Moderne?
Wie ordnen? Außerarchitektonische
Kriterien
Wie lässt sich die Vielfalt der Architektur in unserem Zeitraum
nun angemessen fassen und beschreiben? Eine für
den Historiker naheliegende Lösung ist es, einfach die von
historischen Akteursgruppen selbstgenannten und propagierten
Begriffe zu übernehmen und entsprechende Richtungen
zu konstruieren. So bietet es sich an, etwa auf die
Termini Brutalismus, 4 Strukturalismus, 5 rationale Architektur,
6 Postmoderne, 7 ökologische Architektur, High Tech 8
oder Dekonstruktivismus 9 zurückzugreifen und nach ihnen
die Erzählung vom Architekturgeschehen dieser Jahre zu
strukturieren. Die Anwendung dieser selbstausgerufenen
Richtungen scheint den Vorteil historischer Objektivität zu
bieten, denn immerhin hat es ja tatsächlich Gruppen von
Akteuren gegeben, die sich unter diesen Stichworten zusammengefunden
haben. Mit diesem historistischen Vorgehen,
die historischen Ordnungen unhinterfragt als Ordnungen
der Geschichtsschreibung zu übernehmen, stiehlt
sich der Historiker aber aus seiner Verantwortung, seine
angenommene Ordnung selbst begründen zu müssen. Er
setzt unkritisch die Konzepte und Intentionen historischer
Akteure fort, obwohl deren Konzepte und Intentionen vielleicht
nicht mehr überzeugen. Außerdem läuft er Gefahr,
nur Richtungen zu fassen, die ehemals auch lauthals propagiert
wurden, und dabei Richtungen zu übersehen, die zwar
baulich relevant und verbreitet, aber nicht begrifflich explizit
gefasst waren.
Eine andere Möglichkeit, die Architekturgeschichte zu ordnen,
liegt in der Orientierung an außerarchitektonischen
Kriterien wie der Politik, der Wirtschaft, der Gesellschaft
oder der Kultur. Besonders beliebt bei Architekturhistorikern
ist dabei die Ausrichtung an der politischen Geschichte,
vor allem wenn es um Periodisierungen geht. 1918,
1933, 1945, 1990 lauten dabei die Stichdaten der politi-
schen Geschichte in Deutschland; dementsprechend wird
in die Architektur des Kaiserreichs, die Architektur der
Weimarer Republik, die Architektur des „Dritten Reichs“,
die Architektur der Bundesrepublik Deutschland und die
Architektur der DDR sowie die Architektur des wiedervereinigten
Deutschlands gegliedert. Meist unhinterfragt
bleibt dabei, ob diese politische Periodisierung tatsächlich
auch einer architektonischen Periodisierung entspricht –
und inwieweit tatsächlich die architektonische Produktion
von politischen Faktoren abhängig ist. Die Grenzen einer
solchen politischen Ordnung der Architekturgeschichte
zeigen sich für unseren Zeitraum ganz deutlich, wenn man
die Ähnlichkeit von Großsiedlungen der 1960er Jahre in
Ost und West besieht – bei gleichzeitiger Unterschiedlichkeit
der politischen Systeme. Oder man denke an den
Wechsel hin zu einer kritischen Stadtrekonstruktion in Berlin
in den 1980er Jahren, der gleichzeitig in Ost und West
trotz unterschiedlicher Politik vollzogen wurde. Oder man
denke an die Kontinuität eines Städtebaus der kritischen
Rekonstruktion in Berlin in den 1980er und 1990er Jahren
über die politische Zäsur von 1990 hinweg. Architekturgeschichte
nur politisch ordnen zu wollen, wäre ein sachfernes
Unterfangen.
Ein weiteres außerarchitektonisches Kriterium bietet die
Wirtschaft. Ohne florierende Wirtschaft keine Investitionen
in Gebäude – insofern ist ein grundlegender Zusammenhang
evident. So spricht man von der Architektur der
Gründerzeit oder erklärt das Florieren der utopischen Architekturzeichnung
nach dem Ersten Weltkrieg mit der
zeitgenössischen Wirtschaftsschwäche. Für unseren Zeitraum
läge es nahe, in die marktwirtschaftliche Produktion
der Bundesrepublik und die planwirtschaftliche Produktion
der DDR zu unterscheiden. Auch wenn dies wesentliche
Punkte trifft, so sind doch die Gemeinsamkeiten der jeweiligen
Architekturrichtungen in beiden Wirtschaftszonen
weitaus größer als die Unterschiede. Dies trifft selbst auf so
WELCHE MODERNE? 15
Bezügen folgten. Von Alvar Aalto selbst stammte der Entwurf
des Opernhauses in Essen (1959), das 1976–88 von
Harald Deilmann realisiert wurde und somit paradigmatisch
für die mögliche Gestaltungskontinuität im hier besprochenen
Zeitraum steht.
Strikt aussagefrei mussten auch die Bauten einer konstruktivistischen
Moderne keineswegs sein. So folgen etwa manche
Bauten von Hermann Henselmann durchaus der konstruktiven
Logik eines Mies, bilden aber zugleich populäre
Merkzeichen durch ihre assoziationsfähige Großform: Der
zylinderförmige Zeissturm in Jena (1968–72) wurde als
Fernrohr gedeutet, das Hochhaus der Universität Leipzig
(1968–74) wurde mit seinen eingeschwungenen Seiten als
aufgeschlagenes Buch interpretiert (Abb. 18). Ähnlich ließ
sich im Westen Karl Schwanzers BMW-Hochhaus in München
(1970–72) als Vierzylindermotor verstehen: die Ma-
16
onal vergleichbar waren die skulpturalen Betonkirchen von
Walter Förderer in der Schweiz. Formale Ähnlichkeit mit
dem Informel des Expressionismus wies die Aalto-Rezeption
in Deutschland auf, deren Bauten aber weitaus weniger
emotional aufgeladen waren, sondern eher landschaftlichen
17
18
16
Expressionistische
Moderne: Hans Scharoun,
Staatsbibliothek in Berlin,
1964–78
17
Expressionistische
Moderne: Gottfried Böhm,
Wallfahrtskirche in
Neviges, 1964–68
18
Expressionistische
Moderne: Hermann
Henselmann, Hochhaus
der Universität Leipzig,
1968–74
34
Welche Moderne?
19
schinenmetapher des Konstruktivismus zeigte hier ihre expressive
Seite.
Eine Konjunktur erlebte der semantische Aspekt der Architektur
in der Postmoderne. Gegen die Vernachlässigung der
architektonischen Erzählung durch die konstruktivistische
und funktionalistische Moderne setzten die Vertreter/innen
der Postmoderne eine Rhetorik der architektonischen Elemente,
die nicht nur die Architektur entgegen einem Bauwirtschaftsfunktionalismus
wieder als Kunst etablieren,
sondern auch die Sprachlosigkeit einer elitären Avantgarde
gegenüber der populären Masse überwinden sollte. International
waren es vor allem der Architekt Robert Venturi und
der Architekturkritiker Charles Jencks, die die Zeichenfunk-
tion von Architektur betonten, sekundiert vom Semiotiker
Umberto Eco. Im Unterschied zum Expressionismus, der
auf die Körper- und Gefühlswirkung architektonischer Formen
setzte, propagierte die semiotische Postmoderne einzelne
architektonische Elemente als Zeichen, die mit ihrer
arbiträren Bedeutung durch ironische Verwendung einem
intellektuellen Spiel dienen konnten.
Nicht zufällig fasste diese Richtung in der künstlerischen
Bauaufgabe des Museumsbaus Fuß in Deutschland. Bei
Hans Hollein und seinem Museum Abteiberg in Mönchengladbach
(1972–81) überwog das künstlerische Spielvergnügen
mit allen erdenklichen Architekturformen noch das
Mitteilungsbedürfnis. Die Neue Staatsgalerie in Stuttgart
19
Expressionistische
Moderne, Postmoderne:
James Stirling,
Neue Staatsgalerie in
Stuttgart, 1977–84
WELCHE MODERNE? 35
Erinnerte Moderne und
die Stadt der Migranten
Frank Eckardt
Nichts Besonderes verweist darauf, dass die Nachkriegsmoderne
ein Werk ist, das zu einem guten Teil durch Migrant/
innen gebaut wurde. Dabei ist es eine Tatsache, dass die sogenannten
Gastarbeiter außer in der Landwirtschaft und
dem Bergbau maßgeblich in der Bauindustrie tätig waren.
Wie auch heute vielen Gebäuden nicht anzusehen ist, dass
sie von ausländischen Händen errichtet werden, so ist die
Migrationsgeschichte spurlos an den ikonischen und den
weniger auffälligen Produkten der 1950er und 60er Jahre
vorbeigegangen. Es würde der mühsamen Rekonstruktion
aus Bauakten und Firmenverzeichnissen bedürfen, um diese
Geschichte sichtbar zu machen. So verbleibt die Aufgabe,
diese Unsichtbarkeit der Migration in den Großstrukturen
in den Kontext einer sozialgeschichtlichen Reflexion zu
stellen, die das Entstehen der heute diskutierten Werthaftigkeit
der Nachkriegsarchitektur als nicht zufällig erscheinen
lässt, sondern im Gegenteil auf die besondere Bedeutung
der unsichtbaren Produktion einer Architektur der
Gastarbeiter verweisen kann.
Im Folgenden wird zunächst versucht, diese Unsichtbarkeit
der Gastarbeiter dadurch aufzuheben, dass deren Räume in
der Stadt ansatzweise nachempfunden werden können.
Diese Darstellung führt unweigerlich zu der Argumentation,
dass eine Wiederentdeckung der Spuren der Gastarbeit
eine notwendige und ansatzweise bereits bearbeitete Aufgabe
ist, die insbesondere für die Kinder und Enkel/innen der
Gastarbeiter eine identitätsstiftende Rolle haben kann. Das
Erbe der Gastarbeiter und ihre Räume zu thematisieren, so
soll abschließend argumentiert werden, ist eine Möglichkeit,
das Selbstverständnis der Gesellschaft durch die Aufnahme
der Erinnerungen der Gastarbeiter neu zu definieren
und die beharrliche Weigerung Deutschlands, sich als
Einwanderungsland zu verstehen, irritiert.
Räume der „Gastarbeit“
Der Begriff der „Gastarbeiter“ suggeriert nicht nur, wie oft
angemerkt wird, dass die Einwanderer lediglich als Gäste –
und nicht etwa als Bürger/innen oder Menschen – gesehen
wurden, er ist als Neologismus zugleich eine Aufforderung,
die bisherige Einwanderung zu vergessen. Das hat damit zu
tun, dass die Gesellschaft insgesamt einer Aufarbeitung der
NS-Vergangenheit noch aus dem Wege gegangen war und
dementsprechend die Kontinuität der Gastarbeit als Nach-
54
Erinnerte Moderne und die Stadt der Migranten
folge der Zwangsarbeit in der NS-Zeit nicht anerkennen
wollte. Erst in den 1990er Jahren wurde diese aufgearbeitet.
Infolge dieser Verdrängung konnte auch nicht erkannt werden,
dass Gastarbeiter teilweise auch räumlich dieselben
Positionen einnahmen. Mit anderen Worten, Zwangs- und
Gastarbeiter sollten weder gesellschaftlich noch räumlich
integriert werden. Teilweise lassen sich Unterkünfte nachweisen,
die erst Zwangsarbeiter, dann Vertriebene und
schließlich die ersten Gastarbeiter aufnahmen. 1
Natürlich muss erwähnt werden, dass die Aufnahme von
Gastarbeitern sich aber wesentlich anders gestaltete und
von Zwang zur Einreise keine Rede sein kann. Die Initiative
ging jedoch von den Auswanderungsländern aus, weil Arbeitslosigkeit
und Armut dort zu einer großen Belastung
wurden. Organisiert wurde die Ausreise von Bundesbehörden
in Abstimmung mit den aufnehmenden Firmen. Zur
Geografie der Gastarbeit gehört deshalb zunächst das Auswahlbüro
etwa in Istanbul oder die „Mühle Verona“, wo die
Migranten sich einer oftmals als erniedrigend erfahrenen
Gesundheitsuntersuchung unterziehen mussten. Es schließt
sich die Landkarte der Eisenbahnen (Gleis 11 des Münchener
Hauptbahnhofs) und Busverbindungen an, die die Einreise
de facto erst ermöglichten und die in der Erinnerung
vieler Gastarbeiter eine zentrale Rolle spielen. Ankommen
in Deutschland, erste Eindrücke. Das sind Elemente einer
übergreifenden Erzählung von der Gastarbeit, die das Leben
in ein Vorher und Nachher einteilen und zentrale Orientierung
in der Biografie bieten.
Die Firmen waren dazu verpflichtet, eine angemessene Unterkunft
zur Verfügung zu stellen. In der Regel bedeutete
dies ein langes Verbleiben in einer Gemeinschaftsunterkunft.
In den 1960er Jahren veränderte sich diese Situation
zumeist, da einerseits die allgemeine Wohnungsnot abnahm
und andererseits eine bestimmte Anerkennung der
Notwendigkeit der Verstetigung der Gastarbeit einsetzte.
Das bedeutete allerdings keinesfalls, dass politisch oder gesellschaftlich
besondere Maßnahmen ergriffen wurden, um
über das Notwendigste hinaus den Bedürfnissen der Gastarbeiter
zu entsprechen. Noch im Jahr 1962 wohnen zwei
Drittel in Gemeinschaftsunterkünften. Eine besondere soziale
Infrastruktur wird nicht angeboten. Nach wie vor wird
davon ausgegangen, dass Gastarbeiter eine „Reservearmee“
darstellen, die man selbstverständlich bei schlechter Konjunktur
wieder zurückschicken könne. Im Prinzip folgte die
Ansiedlung von Gastarbeitern, wie die Historiker/innen
Ulrich Herbert und Karin Hunn schrieben, der „Fiktion
der Voraussetzungslosigkeit der Ausländerbeschäftigung“. 2
Die Räume der Gastarbeiter waren im Ergebnis deshalb
deutlich von denen ihrer deutschen Kolleg/innen getrennt.
Eine der wenigen empirischen Studien über die türkischen
Gastarbeiter bei Ford in Köln verdeutlicht dies eindringlich.
Wie Herbert Bretz 1978 in seiner Befragung von über
1000 Ford-Arbeiter/innen herausfand, waren die türkischen
Mitarbeiter/innen sowohl in ihrer Arbeits- als auch
in ihrer Wohn- und sonstigen Lebenswelt von den deutschen
und anderen ausländischen Kolleg/innen separiert. 3
Wie auch sonst verrichteten die türkischen Gastarbeiter
überdurchschnittlich viel schlechter eingestufte, gefährlichere
und dreckigere Arbeit. Das bedeutete, dass sie in
manchen Produktionshallen überdurchschnittlich und in
anderen zum Teil gar nicht aufzufinden waren. Jede/r Dritte
wohnte in einer Entfernung von bis zu fünf Kilometern
vom Arbeitsort entfernt. 90 Prozent pendelten bis zu zehn
Kilometer zur Arbeit. Bei den Deutschen wohnten bereits
37,4 Prozent in einer suburbanen Vorstadt, die mehr als
zehn Kilometer von den Ford-Werken entfernt lag und entsprechend
bessere und teurere Wohnungen bot. Selbst
wenn deutsche Arbeiter ebenfalls in der Nähe zu den Arbeitsstätten
wohnten, dann nicht unbedingt in den gleichen
Stadtteilen wie Türk/innen. Das fällt insbesondere für die
Altstadt auf, in der sechsmal mehr türkische als deutsche
Ford-Arbeiter/innen wohnten.
WELCHE MODERNE? 55
auch den Massenwohnungsbau darin eingeschlossen sehen
will, 64 plädiert Bernd Kohlenbach im gleichen Zusammenhang
für nicht näher spezifizierte Prioritätensetzungen, exemplarische
Inventarisationen und die Sammlung von „Belegstücken“.
65 Auch das von Ulrike Wendland gewählte Bild
einer zu befüllenden „Arche Noah“ zielt in diese Richtung. 66
Die zugrunde gelegten Selektionskriterien bleiben hier wie
da unklar. Welche Denkmale welcher Geschichte sollen eine
solche Denkmal-Arche bevölkern? Wie begründet sich die
unterstellte Musterhaftigkeit von Bauten? 67 Und was bleibt
aus welchem Grund dem kollektiven Vergessen, möglichem
Abriss oder entstellender Umnutzung vorbehalten? Der
Führer zur Berliner Nachkriegsmoderne von 2013 verweist
anstelle einer Darlegung seiner Kriterien auf die Fachkompetenz
des beteiligten Autor/innenteams und den – scheinbar
nicht zu hinterfragenden — Denkmalstatus der Mehrzahl
der besprochenen Bauwerke. 68 Undiskutiert bleibt so
die Frage nach den zugrunde gelegten Bildern von Geschichte
bzw. danach, welche Geschichte qua Denkmalpflege
als bewahrenswürdig gilt.
Welcher Gesellschaft
welche Erinnerung?
Im Rückblick auf die Fachgeschichte des 20. Jahrhunderts
sowie in Antizipation von deren zukünftiger Entwicklung
hat Adrian von Buttlar 1999 kritisch angemerkt, dass die
Denkmalpflege durch ihre Selektionspolitik „stillschweigend
Minderheiten“ bediene. 69 Im gleichen Zusammenhang
ergänzte Norbert Huse, dass sie für ihre bildungsbürgerliche
Klientel „Idealdenkmale“ produziere, die sich – kleinstädtisch,
ansehnlich, farbenfroh und sonnenbeschienen –
oftmals kaum von Webebroschüren unterschieden. 70 Gegen
diese Ausrichtung auf eine ästhetisierte Geschichte hat Roland
Günter um 1970 eine sozialhistorische Positionierung
der Denkmalpflege gefordert, Norbert Huse 1989 die Be-
rücksichtigung unbequemer Erinnerungen und Hans-Rudolf
Meier 2000 die Akzeptanz von Alterität. 71
Das Mantra des historischen Zeugniswerts sagt folglich –
das zeigen bereits diese wenigen Hinweise – noch nichts
aus über historische Inhalte. Ohne zusätzliche Qualifizierungen,
(unausgesprochene) Geschichtsbilder oder leitende
Interessen sind Denkmalwerte im Sinne Reinhart
Kosellecks „bedeutungsblind“ 72 und versagen auch als Selektionsinstrumente.
Insofern stellt sich aktuell erneut die
Frage nach der gesellschaftspolitischen Begründung eines
öffentlichen Erhaltungsinteresses und damit nach der
Gültigkeit zentraler denkmalpflegerischer Setzungen, für
die Riegl bekanntlich gefordert hat, dass sie in einer Massengesellschaft
„für Alle ohne Ausnahme“ gültig sein sollten.
73 Sah er allgemeine Wertgrundlagen angesichts von
Beschleunigung und Massenproduktion vor allem durch
die Erfahrung von Alter und Echtheit definiert, so sind es
gut 100 Jahre später ökologische und Erinnerungsbelange,
die die Grundlage bilden für Erhaltungs- und Konservierungsbestrebungen.
Bereits 1975 suchte Willibald Sauerländer
die Denkmalpflege in diesem Sinne zu aktualisieren
und sie in den Dienst urbaner und sozialer
„Erinnerungsfähigkeit“ zu stellen. 74 Angesichts der zunehmenden
Anonymisierung der Städte erblickt er in einer
solchen Positionierung das veritable Interesse einer
erneuten, den klassischen Kunstdenkmalbegriff notwendigerweise
tradierenden Disziplin. In den 1990er Jahren
reagierte Wilfried Lipp mit dem Konzept Reparatur auf
das steigende gesellschaftliche Bewusstsein für Belange
von Umwelt und Ökologie. 75 Fragen materieller Echtheit
verloren demgegenüber im gleichen Zeitraum immer
mehr an Bedeutung – das zeigen nicht nur die oben zitierte
Bilddenkmalpflege, sondern auch der anhaltende
Rekonstruktionshype und das Vertrauen in digitale Retortenprodukte,
wie sie jüngst als Antworten auf die Zerstörung
von Welterbestätten in Syrien offeriert wurden. 76
74
Denkmal, Erinnerungsort, Location oder was?
10
„Reproduzierbarkeit jagt uns“, wie Willibald Sauerländer
bereits 1975 diagnostiziert hat, offenkundig „keinen
Schauder mehr ein“. 77 Insofern korrespondieren den aktuellen
erinnerungskulturellen und identitätspolitischen
Maximen der internationalen Denkmalpflege auch andere
und weiter gefasste Wertvorstellungen, als sie seit den
1970er Jahren in den Denkmalschutzgesetzen der deutschen
Länder fixiert worden sind. Aktualisierungen sind
deshalb geboten – auch im Interesse der schwierigen Erhaltung
von Bauten der Nachkriegsmoderne.
Das betrifft im Wesentlichen auch die Referenzgrundlage
von Denkmalwerterhebungen, bewegt sich das Fach doch
auch bei jungen Denkmalkandidaten in einem weitgehend
geschlossenen Architekturdiskurs: So werden fast aus-
schließlich solche Objekte bearbeitet, die bereits in einschlägigen
Zeitschriften besprochen, in Ausstellungen präsentiert
oder durch Preise ausgezeichnet worden sind. 78
Namhafte Architekt/innen finden da eher Berücksichtigung
als unbekannte Individualist/innen, vielfach publizierte
und im Bildgedächtnis verhaftete Bauten eher Anerkennung
als ihre neu zu entdeckenden Pendants. Bauten
hingegen, die jenseits des Architektonischen Bedeutung angelagert
haben, bleiben zumeist unberücksichtigt. Vollzieht
die Denkmalpflege mit dieser Selektionsstrategie lediglich
den architekturhistorischen Diskurs und damit fachimmanente
Argumentationsmuster nach? 79 Sucht sie ihre auch
von aktuellen kunsthistorischen Diskursen teilweise abgekoppelte
Praxis auf diese Weise selbst zu beglaubigen?
10
Hamburg, Clubhaus
St. Pauli mit Medienarchitektur
(Architektur:
akyol kamps : bbp architekten
bda GmbH und
Urbanscreen GmbH &
Co KG)
WELCHE MODERNE? 75
Die Qual der (Aus-)Wahl
Zu den Auswahlkriterien in Archiv,
Museum und in der Archäologie
Bianka Trötschel-Daniels
Die Frage nach Kriterien, die einer Auswahl von Objekten
aus einer Masse zugrunde liegen, stellt sich in jeder Sammlungs-
und Dokumentationssituation. Zur Bereicherung der
baudenkmalpflegerischen Debatte untersucht der vorliegende
Artikel vergleichend die in der Archivwissenschaft, Museologie
und Archäologie angewandten Kriterien.
Gemeinsam ist den drei Disziplinen und der Denkmalpflege,
dass sie Gedächtniseinrichtungen sind, deren Aufgabe
es ist, bewahrenswerte Objekte zu erhalten. Dabei haben
die sachverständigen Vertreter/innen der Disziplinen die
Qual der Wahl.
In jeder dieser drei Disziplinen gibt es Herausforderungen,
die denen des Umgangs mit den Bauten aus der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Baudenkmalpflege
ähneln: Archivar/innen bewerten neben Papierfluten heute
auch noch Digitales, Museolog/innen müssen mit der
Musealisierung der Gegenwart im Allgemeinen umgehen 1
und in der Archäologie hat sich mit der sogenannten zeithistorischen
Archäologie 2 eine Perspektive eröffnet, die
die bereits bestehende Fülle an Objekten 3 nochmals erweitert.
Die Diskussionen um die Auswahlkriterien und um
die Zuweisung archivarischer, musealer und archäologi-
scher Werte werden daher ebenso in diesen Wissenschaftszweigen
geführt.
Auswahlprozessen liegen Kriterien zugrunde. Oft sind diese
nicht ausdrücklich formuliert oder gar normiert. 4 Dabei
wird bereits durch ihre Festlegung eine Auswahl getroffen.
Auswahl- und Bewertungsprozess verschmelzen folglich.
Daher finden sich oft Diskussionen um Werte, wo es eigentlich
um Auswahlkriterien geht. Darüber hinaus wird
mit der Zuschreibung von Werten an Objekte gearbeitet.
Wo keine Kriterien ausdrücklich formuliert sind, lassen
sich aus den diskutierten Werten zwar Kriterien rückschließen;
im Sinne der Nachvollziehbarkeit wäre es jedoch wünschenswert,
sie in Form von Matrizen oder Katalogen zu
formulieren. Vereinzelte Ansätze solcher Kriterienkataloge
werden im Folgenden vorgestellt.
Archivgut ist, was bleibenden Wert
besitzt
Die Art des Archivs bedingt thematische Auswahlentscheidungen.
Für das Bundesarchiv regelt beispielsweise
das Bundesarchivgesetz, welche Unterlagen aufbewahrt
102
Die Qual der (Aus-)Wahl
werden sollen. Es heißt dort in § 3: „Das Bundesarchiv
entscheidet im Benehmen mit der anbietenden Stelle, ob
den Unterlagen bleibender Wert [...] zukommt.“ 5 Im Archivwesen
gilt es also, den „bleibenden Wert“ zu definieren.
Diese Bewertungsentscheidung trifft das Bundesarchiv
„im Rahmen seiner fachlichen Zuständigkeit“ und
stützt sich „auf die Erfahrungen der abgebenden Stellen“. 6
Es findet folglich ein Abstimmungsprozess zwischen dem
Archivar und der Stelle statt, bei der die Akten entstehen.
Die Bewertungsentscheidung des Bundesarchivs ist laut
Becker/Oldenhage eine gerichtlich nicht nachprüfbare
Wertungsfrage. 7 In der Denkmalpflege sind Wertungsfragen
hingegen sehr wohl gerichtlich überprüfbar. Dieser
Unterschied ist mit den in der Denkmalpflege virulenten
Eigentümerinteressen zu begründen, die von der „Wertungsfrage“
betroffen sind.
Ähnlich den Denkmalschutzgesetzen formuliert das
BArchG Kategorien, zu welchen Zwecken Akten im Bundesarchiv
aufbewahrt werden sollen. 8 Kommt den angebotenen
Unterlagen ein bleibender Wert für 1. „die Erforschung
der deutschen Geschichte“, 2. „das Verständnis
der deutschen Geschichte“, 3. „die Sicherung berechtigter
Belange der Bürger“ oder 4. „die Bereitstellung von Informationen
für Gesetzgebung, Rechtsprechung oder Verwaltung“
zu, können die Unterlagen als Archivgut übernommen
werden. Rangverhältnisse innerhalb der
Entscheidung über den Archivwert gibt es nicht. Das Gesetz
formuliert keine Kriterien für die Bestimmung eines
bleibenden Wertes.
Der „bleibende Wert“ ist gleich dem Denkmalwert ein „äußerst
unpräziser Maßstab“. 9 Was ihn ausmacht und wie er
bestimmt werden soll, war und ist seit vielen Jahrzehnten
Gegenstand reger Diskussion in der Archivwissenschaft. 10
Diskussionen zur Überlieferungsbildung
im Archiv
Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden Akten vorrangig aus
Gründen der Rechtssicherheit aufbewahrt. 11 Eine Auswahlentscheidung
wurde bei der Kassation, also bei der Frage
der Aussonderung, getroffen. 12 Kassiert wurden Unterlagen,
bei denen die Wahrscheinlichkeit am geringsten war,
bei einer juristischen Auseinandersetzung ausschlaggebend
zu sein, mithin solche, die bis dahin am längsten verwahrt
worden waren. 13 Hierbei spielte die Intuition der (meist juristisch)
geschulten Archivar/innen eine entscheidende
Rolle. Dass das „Fingerspitzengefühl des Archivars“ den
Ausschlag gab, wurde jedoch zunehmend kritisiert. 14
Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es immer
wieder Diskussionen über Kriterien und Modelle zur Bewertung
von Unterlagen. Chronologisch lassen sich vier
Höhepunkte der Bewertungsdiskussionen ausmachen: bei
den Versammlungen der Archivar/innen auf dem 35. Deutschen
Archivtag 1957 in Koblenz und dem 47. Deutschen
Archivtag 1971 in Dortmund bestimmten die Tagungsthemen
„Modernes Schriftgut/Kassationsprobleme“ bzw. „Im
Spannungsfeld zwischen Wert und Masse – Grundsätze
und Methoden der Schriftguterfassung“ die Diskussionen.
Der 50. Südwestdeutsche Archivtag in Biberach 1990 griff
die Thematik erneut unter dem Motto „Bewertung von Archivgut“
auf. 15 Schließlich institutionalisierte und verstetigte
die Gründung des Arbeitskreises „Archivische Bewertung“
im Jahr 2001 die Debatten. 16
Diskutiert wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts Bewertungsmodelle
mit formalen wie auch materiellen Kriterien.
Auf dem Archivtag 1990 in Biberach plädierte Bodo Uhl
dafür, die formalen Kriterien zu verfeinern. Sie waren seit
den 1930er Jahren über die Versuche, eine positive Archivwerttheorie
zu entwickeln, in den Hintergrund geraten. Eine
schlüssige Archivwerttheorie sei in einer pluralistischen
WELCHE DENKMALE? 103
9
lungen inzwischen mit sehr guten Beständeübersichten im
Internet vertreten sind.“ 8 Wird diese Feststellung auf das
gesamte Überlieferungsfeld erweitert, so stellt sich die Situation
noch dramatischer dar. Das Wissen um diese Magrößte
Problem auch in Zukunft darin bestehen, dass bislang
keine Findmittel existieren, die über die verschiedenen
Archive hinweg Auskunft über zusammenhängende
Themen geben können, wenngleich die meisten Samm-
10
9
W. Seidensticker,
W. Spantzel, H. Budde,
W. Gutsmann, H. Jung:
Haus der Erwachsenenbildung,
Essen 1969–75;
Foto 1971
120
Architekturarchive als parallele Überlieferungsbildung
10
Mechthild Gastreich-
Moritz und Ulrich
Gastreich: Kath. Kirche
St. Franziskus, Dortmund-
Scharnhorst 1972-73;
Skizze um 1972
sen eingeworben. Hier werden Archive eigenständig und
gemäß ihres Sammlungsauftrags tätig, wobei sich ihr
Sammlungsauftrag unterscheidet. Erst nachdem eine Bewertung
erfolgt ist, wird jenes Material, das für archivwürdig
befunden wurde, als Archivgut dauerhaft aufbewahrt.
Architektur im Archiv
Architekturbezogene Bestände finden sich in zahlreichen
Archiven – neben staatlichen auch in Kirchen-, Hochschul-,
Wirtschafts- oder weiteren Archiven. 10 Hier bilden
Einrichtungen, die die nichtbehördliche Überlieferung von
Planer/innen (Nachlässe) sowie Bestände der Bauindustrie
und des Baugewerbes verwahren, wichtige Schaffenszuteriallage
ist wesentlich für erfolgversprechende Rechercheansätze.
Diese Dokumente werden in ihrer Vielfalt als baukulturelle
Überlieferung jenseits der realen Bauten zum Sammlungsgegenstand
in Archiven, den Peter K. Weber in seiner Gesamtheit
als Überlieferungsfeld „Stadt und Raum“ bezeichnet
9 und der sowohl repräsentative als auch herausragende
Objekte, das Besondere und das Gewöhnliche umfasst.
Während die Ergebnisse behördlicher Tätigkeit gemäß Archivgesetz
den zuständigen öffentlichen Archiven angeboten
werden müssen, so gilt dies nicht oder nur eingeschränkt
für die weitere Überlieferung. Und so wird nur ein
Teil der vielfältigen im Tagesgeschäft anfallenden Dokumente
später Archiven angeboten beziehungsweise von die-
11
11
Hanns Hoffmann: Gemeindezentrum/Kirche,
Herten-Disteln 1969-71;
Foto ca. 1971
WELCHE DENKMALE? 121
Moderne im Bewertungsprozess
Begriffe und Formen
Torben Kiepke
Wenn wir heute in Europa über die Architektur der späten
Moderne und ihre denkmalpflegerische Einschätzung
sprechen, so lässt sich zunächst ausmachen, dass es in vielen
Fällen zu Verständnisproblemen kommt, weil kein
einheitlicher Begriff für den Baubestand der 1960er und
1970er Jahre existiert. In den Befragungen im Zuge des
Forschungsprojektes „Welche Denkmale welcher Moderne?“
(WDWM) 2014 zum vergleichenden Stand der Erfassungen
in Europa wurde die neutrale Bezeichnung „Architektur
der 1960er und 70er Jahre“, die sich im Umgang
als etwas sperrig erwies, häufig durch Begriffe ersetzt, die
in den jeweiligen Ländern gängiger sind. Auf diese Weise
entstand eine Kartierung der Begriffe für die Moderne
dieser Jahre, die große Differenzen innerhalb Europas
zeigt (Abb. 1). In Westeuropa ist der Begriff der „post-war
architecture“ beziehungsweise „Nachkriegsmoderne“ in
vielen Ländern gängig, teilweise wird die Nachkriegsmoderne
auch in zwei Phasen unterteilt. 1 In manchen osteuropäischen
Ländern ist der Begriff dagegen missverständlich,
weil er sich auf das Ende des Zweiten Weltkriegs
bezieht und andere Konflikte wie in den Nachfolgestaaten
Ex-Jugoslawiens unbeachtet lässt. Darüber hinaus gibt es
in Deutschland auch noch andere Begriffe, die den modernen
Baubestand der 1960er und 70er Jahre durch eine
geografisch-historische Präzisierung zu fassen versuchen,
wie die Begriffe „Ostmoderne“ für den Bereich der ehemaligen
DDR oder die „Ruhr-Moderne“ für Nordrhein-
Westfalen. 2 Der in vielen Ländern des ehemaligen Ostblocks
verwendete Begriff des „Soviet Modernism“ oder
der „Soz Moderne“, die in Deutschland wenig verwendet
werden, ist wiederum auf die übrigen westlichen Länder
Europas nicht zu übertragen. 3 Hinzu kommen Begriffe,
die lediglich in wenigen Staaten zur Charakterisierung der
Architektur genutzt werden, wie „built welfare“ in Finnland,
die sogenannte Architektur der Wohlfahrt, eine Bezeichnung,
die auch in anderen Ländern Skandinaviens
geläufig ist und den Fokus auf den sozialen Aspekt der Architektur
der Jahre des Wohlstands ihrer Erbauungszeit
richtet. 4 Neben diesen Bezeichnungen, mit denen auf eine
inhaltliche Deutung oder Beurteilung dieser Jahre abgezielt
wird, kursieren auch rein zeitlich bestimmte Begriffe,
wie „architettura del secondo novecento“ in Italien, der allerdings
gleich auch die gesamte zweite Hälfte des 20.
Jahrhunderts zusammenfasst. 5 Eine derartige Öffnung
128
Moderne im Bewertungsprozess
post-war
20th century
Nachkriegsmoderne
Ostmoderne
2nd half 20th century
b u i l t w e
modern movement
yugoslavia
modernism
l f a r e
sozmodernism
Soviet Modernism
after World War two
1
dieser Jahre betont und zunächst als Erklärung dafür dient,
dass die baulichen Ergebnisse der im öffentlichen Bewusstsein
häufig verschrieenen Plattenbausiedlungen und Großstrukturen
des aus Moskau gesteuerten Bauwesens sich in
den heute souveränen Staaten so stark ähneln. Diese verallgemeinernde
Sichtweise wird in vielen ehemals unter sowjetischem
Einfluss stehenden Ländern heute jedoch durch
eine sehr viel differenziertere revidiert, die klar benennt,
dass es regional spezifische Bauwerke und Sonderformen in
dieser Zeit gegeben hat. Der vielleicht auf den ersten Blick
das System der Kollektivierung und Typisierung von Bauder
zeitlichen Eingrenzung wird dagegen in anderen Ländern,
in denen um 1990 die politisch-gesellschaftliche
Wende auch zu eklatanten Veränderungen in der Bauproduktion
geführt hat, vermieden.
Bezüglich der Moderne-Bezeichnung lässt sich innerhalb
Europas eine deutliche Polarität zwischen den Ländern des
ehemaligen Ostblocks und den übrigen Staaten feststellen.
Auf östlicher Seite wird der hier betrachtete Zeitraum der
1960er und 70er Jahre oft als abgeschlossene historische
Epoche eines „Soviet Modernism“ wahrgenommen, der als
Begriff vor allem die politische Dimension der Architektur
1
Nachkriegsmoderne, Moderne
des 20. Jahrhunderts
und Sowjet-Moderne:
Begriffe für die Architektur
der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts in Europa
WELCHE DENKMALE? 129
Der drohende Verlust von Bauten der 1960er und 70er Jahre,
egal wie er auch begründet sein mag, stellt einen der wesentlichen
Motoren dar, warum sich derzeit europaweit
bürgerschaftliche Initiativen wie auch öffentlich geförderte
Forschungsgruppen zusammenfinden, um diesen Zerstörungen
mit Argumenten und Aktionen entgegenzuwirken.
Diesem Engagement ist es zu verdanken, dass in fast allen
Staaten eine öffentliche Debatte um den Erhalt der Bauten
dieser Jahre in Gang kommt und während zunächst nur besonders
markante und herausragende Bauten in den Medien
erschienen, sind es nun auch weniger bekannte Bauten,
7
auch die institutionelle Denkmalpflege diesem politisch geprägten
baulichen Erbe kritisch gegenüber. 24 Mit diesen
um deren Fortbestand gestritten wird (Abb. 8, 9).
Vorbehalten geht häufig der Wunsch nach einer Gestaltveränderung,
meist der vermeintlichen Wiederherstellung historischer
Stadtzusammenhänge, einher, der die ursprüngliche
politisch-ideologische Aussage grundlegend verändert.
In Potsdam beschloss die Stadtverordnetenversammlung
im Januar 2016, die durch den 1969 errichteten DDR-Bau
des ehemaligen Interhotels stark dominierte Stadtsilhouette
zu korrigieren und das weitgehend intakte Hochhausgebäude
abzureißen, um eine „Wiese des Volkes“ anzulegen. 25
Obwohl der Beschluss von der Mehrheit der im Parlament
vertretenen Parteien getragen wurde, regte sich bald politischer
Widerstand und es bildeten sich Initiativen, die den
Abriss durch ein Volksbegehren verhindern wollten. 26
Ein besonderes Kuriosum stellt die Gefährdung von Bauten
der 1960er und 70er Jahre durch die Denkmalpflege selbst
dar. Diese Fälle sind zwar selten, zeigen aber eindrücklich
auch innerhalb der institutionellen Denkmalpflege existierende
Vorbehalte gegen die Baustrukturen der Moderne. So
empfahl Francesco Bandarin, der ehemalige Leiter des
UNESCO World Heritage Centre 2006 den Abriss des 1968–
78 geplanten Hochhauses des Ministeriums für Landwirtschaft
im lettischen Riga, weil es seiner Meinung nach zu
sehr die Ansicht der Altstadt beeinträchtige (Abb. 7). 27 8
7
Landwirtschaftsministerium
in Riga, Lettland;
Ansicht 2016
138
Moderne im Bewertungsprozess
9
8/9
Abriss und Überformung
als Auslöser für Wertedebatten
zur Architektur
der 1960er und 1970er
Jahre: Der Brühl in Leipzig
in einer historischen Aufnahme
vermutlich aus den
1970er Jahren, abgerissen
2007, und Fassadensanierung
an den Wohnhochhäusern
der als „Manhattan“
bezeichneten Anlage
in Breslau/Wrocław,
Polen 2015
WELCHE DENKMALE? 139
1
ries to the Council for Culture in March 2013. The introductory
session on these “monuments of the fresh welfare
state” took place in the Evoluon at Eindhoven, a futuristic
exhibition building designed by Louis Kalff and Leo de
Bever (fig. 2). This time, the related publication contained
extensive documentation on the selected items of the second
stage of the Reconstruction period (1959–1965). 17
In this selection the presence of applied works of art had often
been an important factor in the decision making. The
abundance of the integrated art in the post-war architecture
had been noticed earlier and separately documented in various
studies, including the ICN/RCE project “Help to Investigate
the Monumental Art”. 18 If Rotterdam, where (inter)
nationally reputed architects had worked on its revival at an
early stage, could be called the number one city of Reconstruction,
then The Hague South West district could serve
as the open air museum of post-war public art. The two
cases of the Lijnbaan ensemble and the Escamp Collection
are exemplary, but they also reveal how much collaboration
is needed for their survival.
The Lijnbaan Ensemble in Rotterdam
The post-war reconstruction of the devastated heart of Rotterdam
was strongly influenced by the modernist ideas of
the Functional City. The L-shaped Lijnbaan ensemble of
shops and tower blocks was built in several stages (Ia:
1949–53, Ib: 1953–55, Ic: 1954–58 and II: 1962–66, respectively).
Main designers were Jo van den Broek and Jaap
Bakema, who, as prominent members of CIAM and Team
X, embraced new construction technologies and typological
experiments. They introduced the first traffic-free shopping
centre in Europe by separating the pedestrian routes
from the traffic service routes between the low-rise shop
units and the high-rise slabs of apartments which were arranged
around two semi-public green squares. The sixdecision
on the designation—personally, not just by someone
else on his behalf as it had usually been done before.
Site inspections took place in the last stage of the selection
procedure, which implied a direct contact with the occupants.
They displayed a range of reactions—from positive
to negative—and some only gave permission to photograph
the exterior.
In order to make the designation more well known to the
public than before, a concise publication on the first examples
of the top selected “Monuments of Resurrected Netherlands”
was produced, illustrated with the newly taken
photographs. The launch and distribution of the colourful
booklet was part of a festive event in one of the designated
monuments, the former Constantinianum School at
Amersfoort, in mid-October 2007 (fig. 1). It was here that
the owners—together with local authorities and national
media—were collectively informed about the consequences
of the legal protection and were received by Minister Plasterk
in person. 16 The organisation of successive “protection
parties” became instrumental in garnering large media attention
and raising awareness on the values of early postwar
heritage and building.
The successive minister, Jet Bussemaker, did the same when
she publicly presented the request for advice on the next se-
1
The public document on
the first series of selected
‘top monuments’ of ‘resurrected
Netherlands’ with
the concrete relief by
Harry Op de Laak for
the former technical
school Patrimonium by
Ben Ingwersen at Amsterdam
(1956) on the cover.
160
Conserving the Canon?
2
available, were accessed by external galleries and provided
with balconies at the sunny sides.
The Lijnbaan ensemble was a great success for the new
phenomenon of “fun shopping” and middle-class, urban
high-rise living. It became an internationally renowned
masterpiece of post-war modernist architecture and a symbol
of Rotterdam’s resilience in the process of post-war reconstruction.
Despite the intentional flexibility of the concept,
there were partly unforeseen transformations in
society, commerce, and use of public space (e. g., rise of
chain stores, and, after shopping hours, vandalism and
crime) that had a negative impact on the appearance of the
architectural details. These transformations were accompanied
by the replacement of the awnings (in 1997) and the
addition of a new, partly subterranean shopping street
Beurstraverse (nicknamed Koopgoot or “Shopping gully”,
1991–97). For the local authorities it was a hard job to convince
the dozens of shopkeepers to accept voluntary agreements
about permanent shop advertisements and other issues
of aesthetics in the public area.
Even more problematic were the radical interventions that
were planned by the institutional owners of the blocks of
flats who sought new returns after the first investments
were written off after fifty years. The intention was to have
the two blocks parallel to the long wing of the shopping
promenade replaced by seventy-metre-high towers for
higher income groups. Whereas the local authorities saw
these initiatives as fitting in the policy of further densification
in the open inner city, the residents and others opposed
the development and advocated for conservation. No
less than three reports were delivered on the cultural historic
values and indications for possible interventions. 19 It
was only through the proposal to award the oldest parts of
the Lijnbaan ensemble national heritage status as an “evident
though endangered” monument of post-war modernism
filed by the Dutch chapter of Docomomo that a provity-five
shopkeepers involved could choose either a variant
of the normal type with basement and two upper levels or a
variant of the split-level type with entresol. Each made use
of pre-fab elements of vibrated concrete based on a
1.10-metre module. Typical were the free hanging awnings
that linked the shop fronts and were crowned by the name
‘Lijnbaan’ in neon at the two main entrances.
Both the short Lijnbaan wing and the tower blocks were
aligned in such a way that they still allowed views of the
scarce surviving pre-war buildings, particularly the Town
Hall and the tower of the Laurens Church, significant anchors
in the tabula rasa of the historic heart. The slabs, arranged
in U-shapes, differed in height to allow a maximum
of sunlight in the pedestrian promenade and inner courts.
The 850 rented apartments, of which several types were
2
The report on the selected
‘monuments of the fresh
welfare state’ with the
Evoluon (1964–66) at
Eindhoven on the cover,
where the public designation
of the second series of
selected post-war monuments
took place in 2013.
WELCHE DENKMALE? 161
Poloniae coetus (28.06.1972), die das 27 Jahre dauernde
„Provisorium“ in der Verwaltung der ehemaligen deutschen
Diözesen beendete. Dennoch, wie bereits erwähnt,
erfolgte eine echte Stabilisierung erst nach der Vereinigung
beider deutschen Staaten und nach der endgültigen Bestätigung
der deutsch-polnischen Grenze. Die Bulle des Papstes
Johannes Pauls II. Totus Tuus Poloniae populus (25.01.1992)
führte die endgültige Verwaltungsgliederung der katholischen
Kirche in Polen ein und schloss damit definitiv ihre
Nachkriegsgeschichte in den West- und Nordgebieten ab. 28
Die unabänderliche Stabilisierung wurde durch den Beitritt
Polens in die Europäische Union 2004 und durch den Verzicht
auf die Eigentumsforderungen der Deutschen besiegelt.
Nur in diesem Zusammenhang sollte die Nachkriegs-
architektur dieser Gebiete analysiert werden.
Die zwischenstaatlichen Verträge aus den Jahren 1970 und
1972 sowie die Normalisierung der Lage der Kirche in den
West- und Nordgebieten bildeten zweifellos die stabilsten
Elemente der Polonisierung dieser Länder. Die katholische
Kirche verband von den ersten Monaten der Besiedelung
der „Wiedergewonnenen Gebiete“ an die desintegrierte Bevölkerung
miteinander. Die sehr späte Anerkennung der
Rechte der polnischen katholischen Kirche an diesen Territorien
durch den Vatikan fiel mit der Einführung eines
neuen Modells des sakralen Innenraums in der Kirche nach
dem Zweiten Vatikanischen Konzil zusammen. Dadurch
verbanden die hier errichteten Kirchen zwei Elemente miteinander:
Sie waren, wie überall in Polen, Ausdruck eines
6
6
Kirche St. Maria-Königin
des Friedens, Wrocław,
errichtet 1982–94
nach dem Entwurf von
Wacław Hryniewicz und
Wojciech Jarząbek innerhalb
der Wohnsiedlung
Popowice, entworfen von
Jerzy Molicki, realisiert
1971–79 (1997)
198
Eine andere oder die gleiche?
erschien von etwa 1972 an eine außergewöhnliche Fülle
an architektonischen, stilistischen und funktionalen Lösungen.
Die neue sakrale Architektur wurde denjenigen
Kirchen gegenübergestellt, die hier bis 1945 gebaut wurden.
Die Formen der katholischen Kirchen, besonders
derjenigen aus dem Mittelalter und der Neuzeit, wurden
leicht akzeptiert. Die Innenräume der protestantischen
Kirchen hatte man dagegen intensiv „katholisiert“, indem
man vor allem die dort zahlreichen Kanzelaltäre und Emporen
entfernt hatte. Die Figuren Luthers und Melanchthons
ersetzte man durch die Darstellungen polnischer
Heiliger. Die Ausstattung wurde außerdem durch Bilder
bereichert, die die sogenannten Repatriierten aus dem Osten
mitgebracht hatten. In der „Aneignung des fremden
Raums“ spielten die neuen Kirchen eine außerordentlich
wichtige Rolle für diese defragmentierte Gesellschaft, die
aus allen Ecken des Vorkriegspolens kam und in keine
Gruppen integriert war, die so charakteristisch für die alteingesessenen
Gemeinschaften sind, die jahrzehntelang
an einem Ort bleiben.
Diese Bauten stellten somit ein Sinnbild der polnischen
Identität und der kollektiven Identifikation in einer fremden
Kulturlandschaft dar (Abb. 6). Sie wurden häufig inmitten
von Plattenbausiedlungen errichtet und bildeten
dadurch die einzige Architekturerscheinung, die einen individuellen
künstlerischen Ausdruck ausstrahlte. Sie stellten
architektonisch und urbanistisch das dominierende
Element in den neuen Wohngebieten dar. Die Kirchenbauten
wurden so konzipiert, dass sie noch zusätzliche Säle
enthielten: für den Religionsunterricht, für Zusammenkünfte
der Pfarrmitglieder und sogar für katholische
Schulen. Sie bildeten also das echte „Herz“ der neuen
Wohnsiedlungen, indem sie die lokale Gemeinschaft integrierten
und auch die Aufgabe erfüllten, die in den sozialistischen
Ländern den sogenannten Kulturhäusern (im
Sinne von Gemeindezentren) zugeschrieben war. Die Mitneuen
künstlerischen Schaffens im Bereich des Sakralbaus,
wodurch die sakrale Architektur das Element der Modernität
erhielt, aber gerade in den West- und Nordgebieten waren
sie auch Träger des Gebots zur Polonisierung. Deshalb
diente nicht nur die moderne Architektur der Nachkriegsmoderne,
die vom sozialistischen Staat umgesetzt wurde,
sondern auch die moderne sakrale Architektur dem damaligen
Hauptziel, sich das fremde Land zu eigen zu machen.
Da die Bauinitiativen der katholischen Kirche in den „Wiedergewonnenen
Gebieten“ lange Zeit aufgehalten wurden,
trat erst in den 1970er Jahren ein deutlicher Bauaufschwung
ein. Die Verbesserung der Beziehungen zwischen
dem Staat und der Kirche zur Zeit Edward Giereks, des
Ersten Sekretärs der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei,
stand natürlich eng in Zusammenhang mit diesem Aufschwung.
Für die ehemaligen deutschen Gebiete war
jedoch vor allem die Normalisierung der politischen Beziehungen
zwischen Polen und der BRD und zwischen Polen
und dem Vatikan ausschlaggebend.
Die sakrale Architektur war im sozialistischen Polen der
einzige Bereich, in dem die Architekten keinerlei Einschränkungen
bezüglich der Normen unterlagen. Sie konnten
relativ unabhängig und kreativ ihre künstlerischen Ideen
verwirklichen. In den Jahren 1945–89 wurden etwa
2500 Kirchen errichtet – wahrscheinlich die höchste Anzahl
der neuen Kirchen in den Ostblockstaaten. Die sakrale
Architektur, die in den 1970er Jahren für den Bedarf des
katholischen Kultus konzipiert und nicht selten über Jahrzehnte
realisiert wurde, verlieh den Bauten in den Westund
Nordgebieten eine vollständig neue Qualität 29 . Während
die Wohnhäuser mit voller Intensität meistens als
banale Plattenbauten 30 errichtet wurden, durfte in der sakralen
Architektur nach Möglichkeiten des individuellen
Ausdrucks gesucht werden.
Da der Bedarf an Kultbauten in den diesbezüglich unterinvestierten
„Wiedergewonnenen Gebieten“ riesig war,
WELCHE DENKMALE? 199
Current Issues, II: Conserving the
eighties and nineties
British architecture after 1979 is increasingly the subject of
research and conservation. The rolling nature of the thirty-year
rule means that buildings from the mid-eighties are
now eligible for listing. In addition, ‘spot listing’ at the urging
of the C20 Society and others has been used to good effect
to save several notable buildings of the eighties and
nineties where a specific threat had been identified. For example,
the former headquarters of Ready Mix Concrete
(RMC) in Egham, Surrey, were listed at Grade II* in July
2014. The RMC campus, completed in 1990, was the work
of the architect Edward Cullinan, who skilfully stitched together
several older houses with a contemporary single-storey
office building. 23 Cullinan sought to minimise the visual
impact of his additions by landscaping the roof of the new
building, while its interiors were richly conceived with a
strong sense of ‘place’. In addition, low-energy techniques
were used to minimise the offices’ energy demands. RMC
won numerous awards on completion, and came to be regarded
as one of the architect’s key works. 24 At the end of
2013, however, the site’s owners submitted an application
for permission to demolish the 1990 buildings. 25 A vigorous
and successful campaign for listing at Grade II* (necessary
because Cullinan’s work was only twenty-three years old)
was launched by the C20 Society.
A similar story played out in the case of the former headquarters
in Plymouth of Western Morning News, a newspaper
serving the south-west of England. Once again, an organised
campaign was critical in securing the listing of this
acclaimed building, completed in 1993 by the prominent
High Tech architect Nicholas Grimshaw. 26 Grimshaw’s design
closely responded to the newspaper’s functional requirements,
housing its offices and printworks in a building
whose plan and curved elevations seemed somewhat nauti-
4
cal, an image that brought to mind Plymouth’s naval heritage.
Indeed, the building acquired the nickname ‘The Ship’.
Throughout, the building demonstrated a close attention to
detail; the design was well-resolved and showcased cutting-edge
technology. However, after Western Morning
News vacated the site, in early 2015 proposals for demolition
were made. The C20 Society submitted a spot-listing
application, with considerable support from prominent architects
and critics. There was, in addition, a vocal local
campaign, including a protest in favour of listing outside
the building. In April 2015, Historic England recommended
listing at Grade II*, and this advice was accepted by government
the following month.
However, these positive stories are offset by less welcome
developments. For example, the ‘Homebase’ store at Kensington,
west London (Ian Pollard, 1990), was a classic work
of Postmodernism that playfully fused ancient Egyptian
4
Hayward Gallery, South
Bank, London (GLC
Architects’ Department,
1968), proposed for listing
on several occasions (2013)
212
The Conservation of Post-1945 Architecture in Great Britain
motifs with references to James Stirling and Michael Wilford’s
Neue Staatsgalerie at Stuttgart. It was demolished in
2014, while the same architect’s Marcopolo House (1989),
also in London, has similarly now gone. A pioneering
low-energy supermarket at Greenwich, south-east London,
constructed in 1999 to the designs of Chetwood Associates,
was closed and demolished in 2015 after a bid to secure
listing failed. In Hemel Hempstead, the high-quality,
High Tech Royal Mail building by Aldington Craig and
Collinge (1985) was demolished in 2012, while a spot-listing
application to secure the Civic Centre at Chester-le-
Street (Faulkner Browns, 1982) failed in 2014 when the
building was deemed by English Heritage not to be sufficiently
significant. 27
Once again, there have been several prominent cases in
which government has set aside its expert advisors’ recom-
mendation to list. Examples include two sets of offices in
the City of London. The first is No. 1 Poultry, designed by
James Stirling and Michael Wilford (1997), a major work
of British Postmodernism which in 2015 was threatened
with small but nonetheless significant alterations (fig. 5). It
was eventually listed, unlike 4 and 6 Broadgate (Arup Associates,
1985). These buildings formed part of a larger
commercial development by an enlightened client who valued
quality, exemplified not only in the Broadgate buildings
themselves but also the public spaces between them. 28
The C20 Society in 2011 dubbed the complex ‘the most
significant and successful commercial development in
London of the post-war period,’ and English Heritage recommended
listing at Grade II*. 29 A campaign against listing
was led by a newspaper, City A.M., and the government
was reportedly lobbied by UBS, the occupier of the affected
buildings. 30 One wonders if conservation is tolerated in
places like Plymouth, where ‘The Ship’ has a suburban location
and land values are lower, but plays second fiddle to
finance in more valuable settings such as London, or where
redevelopment is perceived to have benefits in terms of regeneration,
as in South Wales.
Conclusions
5
As this essay has highlighted, the three decades since 1986
have seen the heritage protection system in mainland Britain
extended to post-1945 architecture. A network of individuals
and organisations sustains the system, including academic
researchers (in universities and beyond),
conservation professionals (in official bodies such as HE,
and in practice), architects, and the interested public. This
interplay of individuals and groups is essential if progress is
to be maintained. Examples such as RMC and ‘The Ship’
demonstrate the potential of well-organised campaigns. Yet
spot-listing in response to a threat will only go so far. A
5
No. 1 Poultry, London
(James Stirling and
Michael Wilford, 1997)
(2016)
WELCHE DENKMALE? 213
Bausysteme
Eine grundlegend andere Herangehensweise als die Großform
liegt dem Bausystem zugrunde. Es ist naheliegend, bei
„Bausystem“ zunächst an Fertigteile und Rasterbauweise zu
denken. Industrielle Fertigungsweisen gestalterisch adäquat
auszudrücken ist ein Grundmotiv der Architekturdebatte
seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Zentrale Prinzipien zur
Typisierung wurden bereits im Werkbund formuliert.
Helmut Spieker entwickelte als Student ein Bausystem für
Universitäten. Seine Idee konnte er in Marburg zur Baureife
bringen. Hier plante er ab 1961 im für diese Zwecke gegründeten
Universität-Neubauamt (unter Leitung von Kurt
Schneider) eine großräumige Erweiterung der altehrwürdi-
gen Universität. Industrielles Bauen erfordere, so die Entwurfsverfasser,
von der Schublade bis zum Städtebau „totale
Rasterung“. 47 (Abb. 10) Dem Systemgedanken sollte sich
alles unterordnen: „Jeder Einrichtungs- und Gebäudeteil
darf nur in seiner Beziehung zum ganzen System gesehen
werden.“ 48 Tischförmige Konstruktionseinheiten wurden
addiert und mit Wandelementen ausgefacht. Dadurch sollte
der Baukomplex vollkommen flexibel sein – allseitig horizontal
und vertikal erweiterbar, jedes Element jederzeit
austauschbar. Dafür wurde ein hoher Planungs- und Konstruktionsaufwand
in Kauf genommen. 49 Die Architekten betrachteten
sich als Gestalter des Systems; die konkreten
Bauten, in denen sich das System manifestierte, wurden als
zweitrangig angesehen.
10
10
Marburger Bausystem von
Helmut Spieker u. a. ab
1961.
228
Großstrukturen der Nachkriegsmoderne
11
11
Neuer Campus der Universität
Marburg, Universitäts-Neubauamt,
1963.
Die amorphe Form scheint
der strengen Rationalität
des Bausystems zu widersprechen.
WELCHE DENKMALE? 229
15
Als „the mightiest megastructure“ aller Zeiten wurde nun
das Klinikum Aachen bezeichnet, explizit voraussetzend,
dass in absehbarer Zeit keine weiteren Experimente dieser
Größenordnung mehr folgen würden. 66 Auch in Aachen ist
allerdings eine Trennung zwischen Gerüst und veränderbaren
eingehängten Teilen nicht eindeutig gestalterisch ablesbar,
so sehr die Idee die Architekten auch geleitet haben
mag. Die zeitgleich in Kanada geplante McMaster-Universitätsklinik
in Ontario (Eberhard Zeidler, 1969–74), die einem
ganz ähnlichen Anspruch folgt, macht das Skelett der
Megastruktur in hochaufragenden Treppentürmen nach
außen deutlicher sichtbar. 67
Verglichen mit der großen Zahl an utopischen Projekten
sind insgesamt nur sehr wenige Megastrukturen tatsächlich
errichtet worden. Der Nakagin Capsule Tower in Tokio
(Kisho Kurokawa, 1972) kombiniert zwar in Reinform eine
tragende Struktur und austauschbare Plug-In-Kapseln, er
ist jedoch zu klein, um als Megastruktur zu gelten. Das
Bauwerk steht wie ein Stadthaus auf einer typischen Tokioter
Parzelle. Und Megastrukturen müssen ja per definitionem
städtebaulichen Maßstab haben. Kenzo Tanges Yama-
16
15
Geisteswissenschaftliche
Fakultäten der Freien Universität
Berlin von Georges
Candilis, Shadrach
Woods und Alexis Josic,
1963–80, Wettbewerbsmodell
1963. Das Wettbewerbsmodell
verdeutlicht
die Entwurfsidee: Ein
nichthierarchisches Erschließungssystem
ordnet
ein teppichartig ausgebreitetes
Bauwerk.
16
Yamamashi-Kommunikationszentrum
in Kofu von
Kenzo Tange, 1966–67,
Foto 1967. „Miniature
Megastructure“: Zwischen
runden Serviceschächten
sind weitgespannte Ebenen
eingehängt, deren Anordnung
veränderbar ist.
234
Großstrukturen der Nachkriegsmoderne
Fremdkörper wirkten. Das Klinikum Aachen wurde in einem
Atemzug als „gigantesque fortresse ou comme une
non moins énorme base spatiale“ empfunden. 71 Auch das
Nordwestzentrum und die Universität Bielefeld wurden als
burgartig beschrieben. 72 Diese Abschottung nach außen ist
aus heutiger Sicht ein großes Problem. 73
Bereits in den 1980er Jahren begann für viele Großstrukturen
eine Zeit des Niedergangs. Die Wahrnehmung der Größe
hatte sich ins Negative gekehrt. Die Dimensionen wurden als
menschenverachtend wahrgenommen. Exemplarisch sei hier
der Kritiker Peter M. Bode zitiert, der 1976 schrieb: „Wohnen
in Klumpen hier, dort der Zentrumskoloss, da die Kultur-
und Kongressfestung, woanders ein Universitätsriese
[…] und weit draußen die Gesamtschulfabrik für 2000 Kinder.
Alles inhuman.“ 74 Rastergrundrisse und Materialien
(vor allem der Sichtbeton) riefen heftige Abwehrreaktionen
hervor. Auch Fehlbewirtschaftung und mangelnde Pflege haben
vielen Bauten zugesetzt. Die Cumbernauld Central
Area, zur Erbauungszeit preisgekrönt, wurde um die Jahrtausendwende
zweimal zum hässlichsten Stadtzentrum
Großbritanniens gewählt. 75
Von den hier geschilderten Beispielen hat die Metastadt
Wulfen die bitterste Geschichte. Der Komplex blieb Torso,
nur etwa ein Viertel wurde errichtet. Und diesem Torso war
nur ein sehr kurzes Leben beschieden, er wurde bereits
nach zwölf Jahren wieder abgerissen. Gravierende bauphysikalische
Probleme hätten eine aufwändige Sanierung nötig
gemacht, die sich mangels Nachfrage an Wohnraum
nicht rentierte. Das Projekt wurde heftig kritisiert und geriet
zum Symbol der Fehlentwicklungen des Systembaus. 76
Dennoch ist es zu kurz gegriffen, Großstrukturen pauschal
zu einer Sackgasse der Geschichte zu erklären und zum Abbruch
freizugeben. Gerade unter den vielerorts so verrufenen
Großwohnkomplexen des sozialen Wohnungsbaus
sind jüngst einige erfolgreiche Aufwertungskampagnen zu
verzeichnen. Eine Unterschutzstellung kann hierfür durchmashi-Kommunikationszentrum
in Kofu (1966–67) misst
im Grundriss nur rund 50 mal 50 Meter. Zwischen 16 weitaufragenden
runden Serviceschächten sind weitgespannte
Ebenen eingehängt, die eine Fernsehstation, einen Radiosender
und einen Zeitungsverlag beherbergen (Abb. 16).
Der Bau wurde von der zeitgenössischen Kritik als „Miniature
Megastructure“ tituliert. 68 Er sei nicht als unabänderliche
Form im Sinne Albertis komponiert, sondern als eine
der Veränderung offenstehende dreidimensionale Struktur.
(Tatsächlich sind diese Nachverdichtungsmöglichkeiten
später in der vorgesehenen Weise ausgeschöpft worden.)
Tange selbst erhob den Anspruch, mit diesem Bauwerk die
Grenze zwischen Städtebau und Architektur überschritten
zu haben. 69
Das Konzept der Megastruktur ist schillernd, soviel bleibt
festzuhalten. Bizarrerweise geriet ausgerechnet der Aspekt
der Versöhnung zwischen partizipativem Bauen und Architektenentwurf,
der Megastrukturen für Architekt/innen so
reizvoll gemacht hatte, schnell wieder in Vergessenheit. Zur
Megastruktur wurde bald alles erklärt, was groß und irgendwie
technisch war. So titulierte etwa ICOMOS
Deutschland jüngst ausgerechnet die Großform des ICC als
Megastruktur. 70 Die unscharfe Verwendung des Begriffs ist
wohl auch auf Reyner Banhams bekanntes Buch Megastructures
von 1976 zurückzuführen. Banham blendete die Systemtheorie
weitgehend aus.
Bewertung, Konservierung und Weiterentwicklung
Bislang nur angedeutet wurde die zumeist recht große Diskrepanz
zwischen der Theorie und der gebauten Wirklichkeit
der Großstrukturen. Dabei muss man sagen, dass
Großstrukturen sich ganz grundsätzlich nicht so entwickelt
haben wie von den Erbauer/innen erwartet. Schnell stellte
sich heraus, dass die Großkomplexe in ihrer Umgebung als
WELCHE DENKMALE? 235
3
4
5
Bereits während der Bauphase wurde das prognostizierte
Bevölkerungswachstum für Marl infrage gestellt und auch
die ökonomische Situation änderte sich – mit der Schließung
der Zeche Brassert traf die Kohlekrise auch Marl. Es
wurden deshalb abweichend vom originalen Entwurf nur
zwei der vier vorgesehenen Rathaustürme realisiert. Die
Idee der Architekten van Broek und Bakema, die ihr Rathaus
als eine Stadtkrone im Sinne Bruno Tauts im Zentrum
Marls sahen, wurde durch das City-Konzept von 1964 ausgehebelt.
Die Wohnhochhäuser versperrten den Blick auf
die Stadtkrone und erschwerten zusätzlich die städtischräumliche
Orientierung. Der größte der Hochhausriegel,
der Goliath, wurde inzwischen abgerissen.
Architektonisch und städtebaulich ist Marl ein sehr widersprüchlicher
Ort. Der parkähnlich angelegte Stadtraum,
der sich bandartig über das Zentrum erstreckt, von hoch-
3
Das Rathausmodell aus
dem Architekturwettbewerb
(Urheber unbekannt)
4
Die Architekten Johannes
Hendrik van den Broek
und Jacob Berend Bakema
im neu errichteten Rathaus,
von links
5
Rathaus mit City, noch
ohne City-See, im Hintergrund
Einkaufszentrum
Marler Stern mit Luftkissendach,
ca. 1975
248
Denkmäler der Moderne und das Placemaking von Migranten
6
7
wertigen Skulpturen gesäumt ist und eine fußläufige Erschließung
der City ermöglicht, verleiht Marl eine enorme
Qualität mit Alleinstellungscharakter. Ebenso sind Gebäude
wie das Rathaus, die Scharounschule, die Hügelhäuser,
die Insel (Volkshochschule/Grimme-Institut), die Rundsporthalle
oder das Hallenbad, welches unlängst abgerissen
wurde – um nur einige zu nennen – architektonische Besonderheiten
und herausragende Vertreter der Nachkriegsmoderne.
Dennoch ist es in Marl nicht gelungen, all die
städtebaulichen und architektonischen Qualitäten zu einem
homogenen und funktionierenden Stadtkörper zu verschmelzen.
6
Eine der architektonischen
Besonderheiten Marls: die
Hügelhäuser
7
Wohnriegel als Bestandteil
des City-Ensembles
WELCHE DENKMALE? 249
Vorbildliche Sanierungsstudie
Le Lignon, Vernier, Schweiz
1963–71, Georges Addor, Dominique Juillard
Die städtebaulich eindrucksvolle Siedlung Le Lignon umfasst
das längste Wohnhaus der Schweiz sowie eine eigene
Infrastruktur mit Kirchen, Schulkomplex und Einkaufszentrum.
Seit 2009 ist die Siedlung mit einem „plan de site“
geschützt. Dieses städtebauliche Schutzinstrument soll die
architektonische Einheit der Gebäude sowie die stadtplanerischen
und landschaftlichen Qualitäten bewahren.
Um trotz dem den Energieverbrauch gemäß Schweizer
2000-Watt-Gesellschaft zu senken, hat das Institut für
Technik und Erhaltung der Modernen Architektur (TSAM)
an der École Politechnique in Lausanne eine beispielgebende
Studie erstellt. Nach sorgfältiger Analyse wurden vier
Handlungsszenarien entwickelt, die von Instandsetzung
über Sanierung und Modernisierung hin zu einer neuen
Fassade reichten. Die beiden moderatesten Sanierungsszenarien
wurden in Form von Prototypen an jeweils einer Beispielwohnung
sowie einem Treppenhaus eingesetzt, die als
Muster für anstehende Erneuerungen dienen. Beide Lösungen
sehen substanzschonende Sanierungsmaßnahmen vor,
die äußere Fassadenhülle bleibt unangetastet.
KH
Foto 2014. Abknickender
Wohnblock und Grünflächen
(Foto: Katja Hasche)
274
Erhaltungsformen 275
Initiative für den Erhalt
Robin Hood Gardens, London, Großbritannien
1969–72, Alison und Peter Smithson
Die Siedlung Robin Hood Gardens umfasst zwei parallele,
geknickte Wohnzeilen, die einen dazwischen liegenden, topografisch
gestalteten Park umfassen. Von den renommierten
Architekten Alison und Peter Smithson erstellt, bildet
die Siedlung ein herausragendes Beispiel für den Brutalismus
der späten 1960er Jahre. Der Zustand der Gebäude ist
stark vernachlässigt, jedoch weitgehend original erhalten.
Trotz ihrer offensichtlichen Qualitäten soll die Siedlung im
Rahmen der städtebaulichen Entwicklung um den Blackwall
Tunnel abgerissen werden. Im November 2007 schlug
die 20th Century Society, die sich in England stark für die
Erhaltung von Gebäuden aus dem 20. Jahrhundert einsetzt,
die Siedlung für eine Unterschutzstellung vor. Nachdem
sich die nationale Denkmalbehörde Historic England gegen
eine Unterschutzstellung entschied, regte die 20th Century
Society mit einer breit angelegten Kampagne die öffentliche
Diskussion an. Sie forderte bekannte Architekten wie Richard
Rogers und Zaha Hadid dazu auf, öffentliche Stellungnahmen
zu der Siedlung zu verfassen. Trotz dieser ambitionierten
Initiative konnten bisher weder die Gebäude
noch die Außenräume geschützt werden. Der geplante Abriss
der Siedlung scheint unabwendbar.
KH
Foto 2014. Wohnzeile und
Grünfläche
(Foto: Katja Hasche)
280
Erhaltungsformen 281
Erhalt durch Umnutzung
Evoluon, Eindhoven, Niederlande
1966, Louis Christiaan Kalff, Leo de Bever
Das Evoluon entstand anlässlich des 75. Firmenjubiläums
von Philips und beherbergte ursprünglich eine futuristische
Technologieausstellung. Die hohen Kosten des Museumsbetriebs
und dessen zunehmende Konkurrenz führten 1989
zur Schließung für den Publikumsverkehr. Die Nutzung als
Veranstaltungs- und Eventzentrum seit 1996 gewährleistete
den Erhalt des einzigartigen Bauwerks. 2013 wurde das
Evoluon schließlich in das Beschermingsprogramma Wederopbouw
aufgenommen, eine Liste von 90 Bauwerken aus
der späteren Wiederaufbauzeit, die zum Reichsmonument
erklärt werden sollen. Im selben Jahr spielte die Band
Kraftwerk, deren erste Platten auf dem Philips-Label erschienen
waren, vier Konzerte im ausverkauften Evoluon.
TM
Interieur des Evoluon im
Jahr 2016
(Foto: Cmglee, CC BY-SA
4.0, https://en.wikipedia.
org/wiki/File:Cmglee_
Evoluon_interior_panorama.jpg)
288
Evoluon mit Wasserbecken,
2015. (Foto:
Zairon, CC BY- SA 4.0,
https://upload.wikimedia.
org/wikipedia/
commons/5/5f/
Eindhoven_Evoluon_
04.jpg)
Erhaltungsformen 289
Doppelter Schutz
Alexandra Road, London, Großbritannien
1972–78, Neave Brown
Die Siedlung Alexandra Road ist eines der ambitioniertesten
Beispiele des innovativen sozialen Wohnungsbaus der
1970er Jahre in England. Ihre städtebauliche und architektonische
Bedeutung wurde bereits nach der Fertigstellung
sowohl national als auch international gewürdigt. Diese
Tatsache begünstigte vermutlich auch die frühe Unterschutzstellung
der Siedlung im Jahr 1993. Als Großform erstreckt
sich die Siedlung über eine Länge von 500 Metern
entlang der benachbarten, leicht gebogenen Bahntrasse.
Zwei parallele Gebäudestränge treppen sich zur zentralen
Fußgängergasse terrassenförmig ab, von hier aus werden
die Wohnungen erschlossen. Auf der Rückseite liegt der gemeinschaftliche
Park, dessen Sanierung 2015 abgeschlossen
wurde. Der Erhalt der Siedlung ist nicht nur durch den offiziellen
Denkmalschutz gesichert, sondern zusätzlich durch
das kommunale Schutzinstrument der Conservation Area.
KH
304
Foto 2014. Blick in die
Fußgängergasse
(Foto: Katja Hasche)
Erhaltungsformen 305
Biografien
Simone Bogner
Simone Bogner ist Kunst- und Architekturhistorikerin. Seit
2016 ist sie Geschäftsführerin und Koordinatorin des von
der Technischen Universität Berlin und der Bauhaus-Universität
Weimar getragenen DFG-Graduiertenkollegs 2227
„Identität und Erbe“. Nach ihrem Magister an der Freien
Universität Berlin und der Universität Wien absolvierte sie
einen Master in Denkmalpflege an der Technischen Universität
Berlin. Sie forscht über denkmalpflegerische Praktiken
und Kulturerbetheorien in ehemals sozialistisch regierten
Ländern, insbesondere in der DDR. Als Fotografin
arbeitet sie derzeit in Kooperation mit dem britischen
Künstler Adam Knight an einem Buch über die Spuren von
Denkmalen der DDR-Geschichte, das bei mbooks erscheinen
wird. In ihrer laufenden Dissertation beschäftigt sie
sich mit Modellen der Inwertsetzung von Geschichte in der
modernistischen Nachkriegsstadtplanung am Beispiel der
Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CIAM).
Frank Eckardt
Frank Eckardt ist promovierter Politikwissenschaftler und
seit 2009 Professor für sozialwissenschaftliche Stadtforschung
an der Bauhaus-Universität Weimar. Zum Thema
Stadt und Migration hat er in unterschiedlichen Forschungs-
und Arbeitskontexten gearbeitet und umfangreich
publiziert. Zuletzt: Urban Minorities, Würzburg 2016 (hg.
mit René Seyfarth).
Alistair Fair
Dr. Alistair Fair ist Chancellor’s Fellow und Lecturer in Architekturgeschichte
an der University of Edinburgh. Sein
Forschungsschwerpunkt ist die Architekturgeschichte
Großbritanniens seit 1940, insbesondere der Theater-, Universitäts-
und Krankenhausbau. Fair arbeitet derzeit an einer
Buchpublikation zur britischen Theaterarchitektur zwischen
den 1950er und 80er Jahren (erscheint 2018 bei
Oxford University Press) sowie über den Krankenhausbau
der 1960er und 70er Jahre und zum Städtebau der 1980er
Jahre.
Katja Hasche
Katja Hasche studierte Architektur in Karlsruhe, London
und Braunschweig und spezialisierte sich mit einem Masterstudium
an der ETH Zürich im Bereich Denkmalpflege.
Nach der Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros in
Deutschland und der Schweiz begann sie ihre selbständige
Tätigkeit im Bereich Denkmalpflege und Architekturjournalismus
mit dem Schwerpunkt 20. Jahrhundert und Nachkriegsarchitektur.
Seit 2014 arbeitet sie im BMBF-Forschungsverbund
„Welche Denkmale welcher Moderne?“ an
der Bauhaus-Universität Weimar zur Erfassung von Bauten,
insbesondere Siedlungen nach 1945 im internationalen
Vergleich und promoviert über dieses Thema.
318
Biografien
Sonja Hnilica
Sonja Hnilica, Dipl.-Ing. Dr., ist Architekturtheoretikerin
und -historikerin. Sie studierte Architektur an der Technischen
Universität Wien, wo sie 2006 zu Stadtmetaphern bei
Camillo Sitte promovierte. 2002–06 wissenschaftliche Mitarbeit
an der Technischen Universität Wien, seit 2006 am
Lehrstuhl Geschichte und Theorie der Architektur der
Technischen Universität Dortmund. Im Rahmen des
BMBF-Forschungsverbunds „Welche Denkmale welcher
Moderne?“ Arbeit an einer Habilitation über Großstrukturen
der Nachkriegsmoderne. Publikationen unter anderem:
Metaphern für die Stadt. Zur Bedeutung von Denkmodellen
in der Architekturtheorie, Bielefeld 2012 (ausgezeichnet mit
der Daniel Gössler Belobigung des BDA Berlin 2013); Auf
den Zweiten Blick. Architektur der Nachkriegszeit in Nordrhein-Westfalen,
Bielefeld 2010 (hg. mit Markus Jager und
Wolfgang Sonne); Disziplinierte Körper. Die Schulbank als
Erziehungsapparat, Wien 2003.
Torben Kiepke
Torben Kiepke studierte Architektur an der Universität der
Künste Berlin. Masterstudium Denkmalpflege an der Technischen
Universität Berlin. 2005–12 wissenschaftlicher Mitarbeiter
am Lehrstuhl Denkmalpflege und Entwerfen der
Technischen Universität Dresden. Promotion zum Thema
des modernen Fassadenumbaus im Berlin der 1920er Jahre
an den Technischen Universitäten Berlin und Dresden. Seit
2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur Denkmalpflege
und Baugeschichte an der Bauhaus-Universität
Weimar. Freie gutachterliche Tätigkeit als Denkmalpfleger
und Planer in Berlin, unter anderem auch zu Bauten der
Nachkriegsmoderne.
Marieke Kuipers
Marieke Kuipers ist Professorin für Kulturerbe an der Fakultät
Architektur der Technischen Universität Delft und
Senior Specialist für jüngere Baudenkmale bei der niederländischen
Kulturerbeverwaltung. Sie war u. a. beteiligt an
der Auswahl der niederländischen „Top-Denkmale“ der
Jahre 1940 bis 1965. Ihre Publikationen umfassen die Themen
Wiederherstellung, Auswahl, Bewertung und Erhaltung
des baulichen Erbes des 20. Jahrhunderts. Prof. Dr.
Kuipers ist Mitglied internationaler Expert/innengruppen,
darunter DOCOMOMO, Icomos und der 20c Framework
Workgroup des Getty Conservation Institute.
Tino Mager
Tino Mager studierte Medientechnik in Leipzig sowie
Kunstgeschichte und Kommunikationswissenschaft in Berlin,
Barcelona und Tokio; 2004 Diplom, 2009 Magister Artium.
2015 Promotion am Institut für Kunstwissenschaft
und Historische Urbanistik der Technischen Universität
Berlin mit einer Arbeit zum Begriff der Authentizität im architektonischen
Erbe (Elsa-Neumann-Stipendiat, Träger
des Tiburtius-Preises). Forschungsaufenthalte in Japan und
an der University of California, Los Angeles; Lehrbeauftragter
an der Technischen Universität Berlin und der
Technischen Universität Istanbul. Seit 2015 wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Lehrstuhl für Geschichte und Theorie
der Architektur an der Technischen Universität Dortmund.
Post-Doc Fellow der Leibniz Gemeinschaft.
Anhang 319
Hans-Rudolf Meier
Hans-Rudolf Meier ist Professor für Denkmalpflege und
Baugeschichte an der Bauhaus-Universität Weimar. Studium
der Kunstwissenschaft, Geschichte und Mittelalter-Archäologie;
Promotion und Habilitation an der Universität
Basel; dort sowie an der Universität Fribourg und an der
ETH Zürich wissenschaftlicher Mitarbeiter. 2003 Berufung
auf die Professur für Denkmalkunde und angewandte Bauforschung
der Technischen Universität Dresden, 2008 Ruf
an die Bauhaus-Universität Weimar, dort 2011/12 Vizepräsident
und Prorektor für Forschung. Forschungen und Publikationen
zur Theorie und Geschichte der Denkmalpflege
und zur Architektur des Mittelalters und der Moderne. Aktuelle
Forschungsprojekte unter anderem zur Baugeschichte
des Basler Münsters, zu Spolien in der neueren Architektur
und zur Architektur und Denkmalpflege der DDR.
Carsten Müller
Carsten Müller, Dipl.-Ing. Nach einer Ausbildung zum
Stuckateur folgte ein Diplom-Studium der Raumplanung
an der Technischen Universität Dortmund. Schwerpunkte
während des Studiums waren vor allem Denkmalpflege,
Baugeschichte und Baurecht. Ein großes Forschungsinteresse
galt sehr früh der Bauepoche der Nachkriegsmoderne,
insbesondere den Großwohnsiedlungen. 2014–17 wissenschaftlicher
Mitarbeiter an der Bauhaus-Universität, Lehrstuhl
für sozialwissenschaftliche Stadtforschung, im Rahmen
des BMBF-Forschungsverbunds „Welche Denkmale
welcher Moderne?“. Gründungsmitglied der Initiative
Ruhrmoderne.
Ingrid Scheurmann
Ingrid Scheurmann, Prof. Dr. phil. Historikerin, Leiterin
der Denkmalkunde bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz
und Honorarprofessorin für Denkmalpflege an der
Technischen Universität Dortmund. 2001–08 Leiterin der
Dehio-Geschäftsstelle, 2005 Kuratorin der Ausstellung
„Zeitschichten“. 2008–12 Vertretungsprofessorin für Denkmalkunde
und angewandte Bauforschung an der Technischen
Universität Dresden. 2009–12 Leiterin des Teilprojekts
„Zwischen Historie und Historisierung“ innerhalb des
BMBF-Forschungsprojekts „Denkmal – Werte – Dialog,“
2014–17 Leiterin des Teilprojekts „Noch eine Erweiterung
des Denkmalbegriffs?“ im BMBF-Forschungsverbund
„Welche Denkmale welcher Moderne?“. Mitglied im Vorstand
des Arbeitskreises Theorie und Lehre der Denkmalpflege,
im Vorstand des Vereins für die Geschichte Berlins,
des Archeological Heritage Network des Auswärtigen Amtes,
des Arbeitskreises Bodendenkmäler der Fritz Thyssen
Stiftung, des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz
und von Icomos.
Wolfgang Sonne
Wolfgang Sonne ist Professor für Geschichte und Theorie
der Architektur an der Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen
der Technischen Universität Dortmund, Leiter
des Archivs für Architektur und Ingenieurbaukunst
NRW sowie stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts
für Stadtbaukunst. Er studierte Kunstgeschichte und
Klassische Archäologie an der LMU in München, der Sorbonne
in Paris und der FU Berlin und promovierte an der
ETH Zürich. Er lehrte unter anderem an der ETH Zürich
und der University of Strathclyde in Glasgow. Publikationen
u. a. Representing the State. Capital City Planning in the
Early Twentieth Century, München/London/New York
2003; Die Medien der Architektur, Berlin/München 2011
(hg.); Werte. Begründungen der Denkmalpflege in Geschichte
und Gegenwart, Berlin 2013 (hg. mit Hans-Rudolf Meier/
Ingrid Scheurmann); Urbanität und Dichte im Städtebau
des 20. Jahrhunderts, Berlin 2014.
320
Biografien
Elisabeth Timm
Elisabeth Timm ist Universitätsprofessorin für Kulturanthropologie
an der Universität Münster. Sie forscht und lehrt
zu den Themenfeldern Familie und Verwandtschaft und
gibt gemeinsam mit Karin Harrasser die Zeitschrift für Kulturwissenschaften
heraus. Seit 2015 leitet sie den BMBF-
Forschungsverbund „Der Lauf der Dinge oder Privatbesitz?
Ein Haus und seine Objekte zwischen Familienleben, Ressourcenwirtschaft
und Museum“, in dem das Leben und
Wohnen in neu gebauten und in gebraucht erworbenen
Einfamilienhäusern kulturanalytisch und materialwissenschaftlich
untersucht wird (http://www.hausfragen.net).
Bianka Trötschel-Daniels
Bianka Trötschel-Daniels studierte Jura und Geschichte an
der Universität Osnabrück. Sie war nach dem ersten juristischen
Staatsexamen wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem
juristischen Lehrstuhl an der Universität Osnabrück.
Im Anschluss daran arbeitete sie im BMBF-Forschungsprojekt
„Welche Denkmale welcher Moderne?“ an der TU
Dortmund. Momentan ist sie Kollegiatin im DFG-Graduiertenkolleg
„Identität und Erbe“ an der Bauhaus-Universität
Weimar. Ihr Dissertationsprojekt beschäftigt sich mit
dem Denkmalpflegegesetz der DDR von 1975.
Regina Wittmann
Regina Wittmann studierte Architektur an der Technischen
Universität Berlin und der Technischen Universität Delft;
1999 Diplom an der Technischen Universität Berlin, 2000–
04 angestellte Architektin in den Niederlanden, 2003–14
wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität
Dortmund, Fakultät Bauwesen/Architektur und Bauingenieurwesen,
2003–05 am Lehrstuhl Denkmalpflege
und Bauforschung, 2003–07 Dekanatsreferentin, seit 2005
am Lehrstuhl Geschichte und Theorie der Architektur, seit
2014 Leitung des Archivs für Architektur und Ingenieurbaukunst
NRW, Entwicklung von Lehrangeboten mit Archivbezug.
Promotionsvorhaben „Thyssen-Stadt Hamborn.
Unternehmerisch motivierter Städtebau eines Montankonzerns“
(Betreuung Prof. Dr. Wolfgang Sonne), 2012–14 Koordination
des DFG-Forschungsprojekts „Städtebau der
Normalität. Der Wiederaufbau urbaner Stadtquartiere im
Ruhrgebiet“, 2013–15 Mitarbeit im Forschungsprojekt
„Planvoll“ (Förderung im Rahmen der Initiative „Samm-
Lehr“ der Mercator-Stiftung).
Agnieszka Zabłocka-Kos
Agnieszka Zabłocka-Kos ist Architektin und Kunsthistorikerin.
Seit 1991 tätig am Institut für Kunstgeschichte an der
Universität Wrocław, dort seit 2010 Professorin. 2011–12
Senior Fellow am FRIAS Freiburg. Ihre Forschungsschwerpunkte
sind Architektur und Städtebau im 19. und 20. Jahrhundert
in Mitteleuropa mit besonderer Berücksichtigung
der nationalen und politischen Problematik, Wiederaufbau
der polnischen und deutschen Städte, Nachkriegsmoderne
in Mitteleuropa sowie die Revitalisierung der postindustriellen
Architektur. Publikationen unter anderem: Sztuka, wiara,
uczucie. Alexis Langer (1825–1904) – twórca śląskiego
neogotyku (= Kunst, Glaube, Gefühl. Alexis Langer – ein
schlesischer Neugotiker), Wroclaw 1996; Zrozumieć miasto.
Centrum Wrocławia na drodze ku nowoczesnemu city 1807–
1858 (= Die Stadt verstehen. Das Stadtzentrum von Breslau
auf dem Weg zur modernen City 1807–1858), Wrocław
2006.
Anhang 321