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MTD_DDG_2017_04

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20 Das Interview<br />

diabeteszeitung · 2. Jahrgang · Nr. 4 · 26. April <strong>2017</strong><br />

Programmierer, Bastler<br />

und das Projekt „OpenAPS“<br />

„Wir verstehen uns als Early Adopter, die der Industrie zeigen, was geht“<br />

BERLIN. Eine künstliche Bauchspeicheldrüse, die anhand der<br />

aktuellen Glukosewerte selbstständig die Basalrate anpasst<br />

oder über die Abschaltung der Insulinzufuhr entscheidet, ist der<br />

Traum eines jeden Patienten mit Typ-1-Diabetes. Viele von ihnen<br />

wollen nicht länger warten, tüfteln selbst an Verknüpfungen<br />

zwischen CGM-System und Insulinpumpe und tauschen sich<br />

innerhalb einer engagierten Community über ihre Experimente<br />

aus. Ein Interview.<br />

Man findet sie im Netz<br />

auf www.openaps.org<br />

und unter dem Hashtag<br />

#wearenotwaiting. Infos, Diskussionen,<br />

Tipps, Tricks und Hilfe rund<br />

um den künstlichen Pankreas Marke<br />

Eigenbau, der aus einer Insulinpumpe,<br />

einem CGM-System, einem<br />

Steuerungsgerät, einer Batterie für<br />

die Stromversorgung und einem<br />

Schnittstellengerät besteht, das die<br />

CGM-Daten in Befehle übersetzt,<br />

die von der Pumpe gelesen werden<br />

können. Das System übernimmt die<br />

Versorgung mit Basalinsulin; Bolusinsulin<br />

muss nach wie vor manuell<br />

abgegeben werden.<br />

Entwickelt werden solche Systeme<br />

von einer Gemeinschaft ungeduldiger<br />

Patienten mit Typ-1-Diabetes<br />

bzw. deren Angehörigen. Weil sie<br />

nicht länger warten wollen, bis die<br />

Industrie ein getestetes, zertifiziertes<br />

und behördlich zugelassenes „Artificial<br />

Pancreas System“ (APS) auf<br />

den Markt bringt, bauen sie sich ihr<br />

OpenAPS einfach selbst. Einer dieser<br />

Tüftler ist Thorsten Feige (49), Immobilienfachwirt<br />

aus Berlin.<br />

?<br />

Was ist Ihre persönliche Motivation,<br />

sich in der OpenAPS-Gemeinde<br />

zu engagieren?<br />

Feige: Als Typ-1-Diabetiker und<br />

leidenschaftlicher Läufer, der gern<br />

auch lange Distanzen wie Ultramarathons<br />

läuft, fehlte mir die Möglichkeit,<br />

beim Sport meine CGM-<br />

Daten inklusive Alarme über meine<br />

Smartwatch zu empfangen. Außerdem<br />

hatte ich häufige nächtliche Hypos<br />

und schlief deswegen schlecht.<br />

Gleichzeitig fiel mir auf, wie die<br />

Digitalisierung zunehmend unseren<br />

Lebensalltag prägt – nur nicht<br />

einen für mich essenziellen Teil der<br />

Gesundheitsversorgung. Ich möchte<br />

das Potenzial der Komponenten, die<br />

einzeln längst verfügbar sind, endlich<br />

für mich und mein Diabetesmanagement<br />

nutzen.<br />

?<br />

Wie viele Menschen engagieren<br />

sich in der OpenAPS-Gemeinde?<br />

Feige: Aktuell sind in der OpenAPS-<br />

Gemeinde gut 230 Menschen aktiv,<br />

die allesamt ein selbstgebautes APS<br />

nutzen und sich online darüber austauschen.<br />

Darunter sind Erwachsene<br />

mit Typ-1-Diabetes, aber auch Eltern<br />

von Kindern mit Typ-1-Diabetes.<br />

Jeder von uns sucht nach individuellen<br />

und individualisierbaren Lösungen<br />

für sein Datenmanagement.<br />

Ich möchte beim Sport meine Werte<br />

im Blick haben, andere sind sehbehindert<br />

und wünschen sich eine<br />

Sprachausgabe ihrer CGM-Daten.<br />

Am Markt sucht man dergleichen<br />

momentan leider vergeblich.<br />

nachgefragt<br />

?<br />

Welchen Nutzen versprechen sich<br />

die Nutzer vom APS?<br />

Feige: Manche möchten gern ihren<br />

HbA 1c -Wert senken, andere ihre Zeit<br />

im Zielbereich verbessern, wieder<br />

anderen geht es darum, nächtliche<br />

Hypos zu vermeiden. Hypoglykämievermeidung<br />

ist für mich nicht<br />

nur als Sportler, sondern auch als<br />

Selbstständiger mit vielen Dienstreisen<br />

im Auto ein zentrales Thema.<br />

Dank APS sind Hypos für mich<br />

kein Thema mehr. Ich habe dadurch<br />

»Ich möchte das<br />

verfügbare<br />

Potenzial endlich<br />

für mich nutzen«<br />

mehr Lebensqualität und auch mehr<br />

existenzielle Sicherheit gewonnen.<br />

Bei Kindern kann ein APS zum Beispiel<br />

Alarme vom CGM direkt auf<br />

das Smartphone senden. Das nimmt<br />

vielen Erzieherinnen und Lehrkräften<br />

Ängste, die sie im Zusammenhang<br />

mit der Betreuung eines Kindes<br />

mit Diabetes haben.<br />

Ein APS ermöglicht es Typ-1-Diabetikern<br />

also, aus ihrem Schutzraum<br />

hinauszutreten und all das zu tun,<br />

was auch andere Menschen tun.<br />

? Muss man Computerexperte sein,<br />

um ein OpenAPS zu nutzen?<br />

Feige: Unsere Community besteht<br />

nicht nur aus Informatikern und IT-<br />

Spezialisten. Wer sich aus den verfügbaren<br />

Komponenten ein funktionsfähiges<br />

APS bauen will, muss<br />

also kein Nerd mit dickrandiger<br />

Brille sein. Doch er muss neugierig<br />

sein, Zeit investieren, sich intensiv<br />

mit der Materie beschäftigen und<br />

mit seinen Körperfunktionen vertraut<br />

sein. Dann muss er sich die<br />

Einzelkomponenten besorgen, die<br />

erforderliche Software aufspielen<br />

und alles miteinander verknüpfen.<br />

?<br />

Wie geht man dabei konkret vor?<br />

Feige: Es gibt im Netz gut ausgearbeitete<br />

Anleitungen zum Entwicklungsprozess,<br />

außerdem leistet die<br />

weltweite Community über Chatkanäle<br />

oder Facebookgruppen rund<br />

um die Uhr Support. Man muss sich<br />

aber darüber im Klaren sein, dass<br />

man als Nutzer das System auf eigene<br />

Verantwortung anwendet und<br />

niemanden zur Rechenschaft ziehen<br />

kann, wenn einmal etwas schiefläuft.<br />

?<br />

Ist das nicht riskant?<br />

Feige: Seit ich mein OpenAPS gebaut<br />

habe, warte ich irgendwie immer<br />

darauf, dass es mir einmal um<br />

die Ohren fliegt. Doch wir sind hier<br />

nicht auf einem Kamikazeflug un-<br />

KURZBIOGRAFIE<br />

THORSTEN FEIGE<br />

Der 49-jährige Diplom-Ingenieur lebt<br />

und arbeitet in der Hauptstadt und<br />

läuft in seiner Freizeit gerne Langstrecken<br />

bis hin zum Ultramarathon.<br />

Die Diagnose Typ-1-Diabetes erhielt<br />

er 1994 im Alter von 26 Jahren. In<br />

der OpenAPS-Gemeinde engagiert<br />

er sich seit Ende letzten Jahres und<br />

nutzt seitdem erfolgreich ein selbstgebautes<br />

Artificial Pancreas System<br />

(APS).<br />

Foto: privat<br />

Es gilt, die vorhandenen<br />

Einzelkomponenten intelligent<br />

miteinander zu verknüpfen.<br />

Fotos: fotolia/monsitj, fotolia/pico<br />

terwegs. Die Wegbereiter des Open-<br />

APS sind erfahrene Ingenieure und<br />

Produktentwickler. Sie wollen die<br />

Sicherheit von Typ-1-Diabetikern<br />

verbessern, nicht gefährden.<br />

Für die Steuerungssoftware nutzen<br />

sie bewährte Algorithmen, etwa aus<br />

der Pumpen- und Ventilsteuerung<br />

für Kraftwerke, für die es klare Industriestandards<br />

gibt. Diese Algorithmen<br />

sind frei zugänglich, man<br />

kann sie nutzen und für die eigenen<br />

Zwecke weiterentwickeln. Es ist<br />

natürlich auch eine Rückfallebene<br />

eingebaut, die im Fall von Fehlfunktionen<br />

wie einem abgeknickten<br />

Pumpenschlauch oder Problemen<br />

bei der Bluetooth-Verbindung einspringt.<br />

Das größte Sicherheitsr isiko<br />

sind aber Anwender, die das System<br />

nicht gut genug verstehen.<br />

?<br />

Wird die OpenAPS-Gemeinde<br />

nicht kritisch von der Industrie<br />

beäugt?<br />

Feige: Im Gegenteil, wir pflegen mit<br />

der Industrie einen engen Austausch<br />

und können den Unternehmen<br />

wertvolle Impulse in den Feldern<br />

Software-Integration, Algorithmen<br />

und Datenschutz liefern. Wir verstehen<br />

uns als Early Adopter, die der<br />

Industrie zeigen, was auf der Anwenderebene<br />

alles geht. Diese Impulse<br />

werden auch dankbar angenommen.<br />

Die Unternehmen wissen ja, dass wir<br />

unsere OpenAPS nur für den Eigeneinsatz<br />

bauen und nicht etwa eine<br />

Manufakturproduktion aufbauen<br />

wollen. Interview: Antje Thiel

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