Judo Magazin 2016
Serie mit Johanna Müller: „Mein Jahr in der Nationalmannschaft“
Serie mit Johanna Müller: „Mein Jahr in der Nationalmannschaft“
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<strong>Magazin</strong><br />
Hintergründe, News & Trainingstipps<br />
JANUAR • 8072 • Euro 3,50 (D) / Euro 3,60 (A) / SFr 5,50<br />
magazin<br />
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- Neue Serie -<br />
Johanna Müller: Eine Athletin nimmt uns mit<br />
„Mein Jahr in der<br />
Nationalmannschaft“<br />
Stars: Martyna Trajdos, Alexander Wieczerzak, Jasmin Külbs •••<br />
Technik: Ist Uchi-mata-gaeshi gerecht? ••• Poster: Ehrentafel 2015
TITEL<br />
Für Aufnahmen zur Serie traf sich unser Fotograf<br />
Micha Neugebauer mit Johanna Müller in Berlin.<br />
Hier beim Training mit der Wurfpuppe<br />
Foto: Micha Neugebauer<br />
Neue Serie: „Mein Jahr in der Nationalmannschaft“<br />
Von Berlin nach Köln<br />
Von Johanna Müller<br />
Eine Athletin nimmt uns mit: Nationalmannschaftskämpferin<br />
Johanna Müller berichtet im <strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> ein Jahr lang über<br />
ihre Wettkämpfe, ihr Training und ihre Erfahrungen im<br />
Nationalteam. Zum Auftakt schildert sie ihren Weg bis heute<br />
sowie Eindrücke aus Asien<br />
Erster großer Erfolg:<br />
Jugend-EM-Bronze 2006<br />
Foto: Erik Gruhn<br />
Z<br />
ur Welt kam ich am 9. Januar<br />
1990 in Berlin/Lichtenberg. Danach<br />
passiert nichts Spannendes.<br />
Ich ging wie jedes Kind in den Kindergarten,<br />
danach zur Grundschule in Berlin/Treptow.<br />
Hier hatte ich meine erste<br />
Begegnung mit dem <strong>Judo</strong>. Der PSV<br />
Olympia Berlin bot Kurse an. Meine<br />
Mutter war früher selbst aktiv im <strong>Judo</strong>,<br />
da lag es nahe, dass meine ältere Schwester<br />
und ich es mal ausprobieren. Was soll<br />
ich sagen: Es hat Spaß gemacht, und ich<br />
bin, wie man in dieser <strong>Magazin</strong>ausgabe<br />
sieht, dem <strong>Judo</strong> seit 1996 treu.<br />
Die ersten Schritte auf der Matte<br />
waren super spannend, jede Woche etwas<br />
Neues und viele neue Freunde. Das<br />
Erlernte konnte ich nach einem Jahr<br />
beim ersten Wettkampf, ausgerichtet<br />
von meinem Verein, unter Beweis stellen.<br />
Hier startete ich in der Altersklasse<br />
U9 bis 22 Kilo. Damit am Ende des<br />
Tages jedes Kind eine Medaille gewann,<br />
traten je vier Kinder gegeneinander an.<br />
Ich belegte den dritten Platz. Was das<br />
heißt, kann sich jeder denken: Ich habe<br />
alle meine Kämpfe verloren. Trotzdem<br />
war ich super stolz auf meine Bronzemedaille.<br />
Jedem, der sie sehen wollte –<br />
und auch denen, die das nicht wollten<br />
– zeigte ich sie stolz. Als es nach dem<br />
Wochenende wieder zur Schule ging,<br />
nahm ich natürlich meine Medaille mit<br />
und, wie könnte es anders sein, ich habe<br />
sie verloren. Dieser kleine „Erfolg“ aber<br />
begeisterte mich letztendlich fürs <strong>Judo</strong>,<br />
sodass ich zweimal die Woche eifrig<br />
zum Training ging.<br />
16<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 01/16
Während der Grundschulzeit kam ich<br />
manchmal an einen Punkt, an dem ich<br />
keine Lust mehr hatte, regelmäßig ins<br />
Training zu gehen. Immer wenn es soweit<br />
war, sagte meine Mama zu mir:<br />
„Dann such‘ dir etwas anderes,<br />
was du nachmittags machen<br />
kannst!“ Sie wollte nicht,<br />
dass ich gelangweilt daheim<br />
rumsitze und nichts<br />
mit mir anzufangen weiß.<br />
Da ich nie etwas anderes<br />
gefunden habe, ging ich weiter<br />
dienstags und donnerstags in<br />
die <strong>Judo</strong>halle und fand auch meinen<br />
Spaß immer wieder.<br />
In der Sportschule<br />
Meine Schwester, die zweieinhalb Jahre<br />
älter ist, ging nach der Grundschule auf<br />
die Werner-Seelenbinder-Sportschule<br />
und nahm mich öfter mit ins Training.<br />
Und wie das so ist mit großen Geschwistern:<br />
Was sie haben, wollen die Kleinen<br />
auch. Genau so war es bei mir. Ich fand<br />
Gefallen und wollte nach Beendigung<br />
der Grundschule ebenfalls auf die Sportschule.<br />
Nachdem ich den Aufnahmetest<br />
bestanden hatte, kam ich 2002 dorthin<br />
und hatte eine aufregende, anstrengende<br />
und interessante Zeit.<br />
Johanna Müller im internationalen<br />
Einsatz. 2015 war sie unter anderem<br />
Dritte beim Grand Prix in Zagreb<br />
<br />
Foto: David Finch<br />
„Ich startete in<br />
der Altersklasse<br />
U9 bis 22 Kilo.“<br />
Meine ersten internationalen Erfolge<br />
konnte ich 2006 einfahren. Nachdem<br />
ich Anfang des Jahres den dritten Platz<br />
bei den Deutschen Meisterschaften belegt<br />
hatte, wurde ich von der damaligen<br />
U17-Bundestrainerin Sandra<br />
Schwalbe zum ersten internationalen<br />
Einsatz für die<br />
Nationalmannschaft eingeladen.<br />
Das Turnier in<br />
Belfort (Frankreich) konnte<br />
ich sogar gewinnen. Es<br />
folgten weitere Medaillen,<br />
und Mitte des Jahres war es soweit:<br />
Ich durfte mit der Jugend-Nationalmannschaft<br />
zur Europameisterschaft<br />
nach Miskolc (Ungarn) fliegen. Vor den<br />
Augen von meiner Mutter und meinen<br />
Trainern gewann ich dort bis 52 Kilo die<br />
Bronzemedaille, auf die ich heute noch<br />
sehr stolz bin!<br />
Es folgten weitere Teilnahmen bei<br />
großen internationalen Turnieren. Bei einigen<br />
war ich sehr erfolgreich, bei anderen<br />
weniger, wie das nun mal im Sport so<br />
ist. Ein weiterer Höhepunkt war der fünfte<br />
Platz bei der Junioren-WM 2009 in Paris.<br />
Auch hier wurde ich von meiner Familie<br />
begleitet. Sie ist ein großer Halt für mich.<br />
Die Familie steht immer hinter mir, egal<br />
ob es gerade gut oder weniger gut läuft.<br />
2010 habe ich mein Abitur gemacht.<br />
Nun war ich fertig mit der Schule und<br />
wusste nicht genau, was ich machen<br />
wollte. Ausbildung oder Studium, Bundeswehr<br />
oder Bundespolizei? Es gibt viele<br />
Möglichkeiten, doch sie müssen mit<br />
dem Sport zu vereinbaren sein. Ich entschied<br />
mich für ein Jahr Pause vom Lernen<br />
und trat der Sportfördergruppe der<br />
Bundeswehr bei. Zudem zog ich nach<br />
Köln, hier wollte ich ein neues Trainingsumfeld<br />
kennenlernen und war dichter am<br />
Sportfördergruppensitz für <strong>Judo</strong>. In Köln<br />
studiere ich seit 2011 Sport, Gesundheit<br />
in Prävention und Therapie an der Deutschen<br />
Sporthochschule. Voraussichtlich<br />
schließe ich mein Studium im Sommer<br />
<strong>2016</strong> ab.<br />
Über den weiteren Werdegang habe<br />
ich mir schon ein paar Gedanken gemacht,<br />
doch diese behalte ich vorerst für<br />
mich. Der <strong>Judo</strong>sport begleitet mich nun<br />
seit 19 Jahren, und ein Ende ist noch<br />
nicht in Sicht. Nächste Doppelseite: Johanna<br />
Müller auf Asientour. <br />
•<br />
Vorwort der Redaktion<br />
Eine besondere Serie<br />
Die Fans der Nationalmannschaft<br />
fiebern mit, sie freuen sich auf internationale<br />
Medaillen, grämen sich ob<br />
Niederlagen. Sie bewundern die<br />
Fertigkeiten der deutschen Topjudokas,<br />
ihre Techniken, ihre Kraft, ihre<br />
Ausdauer. Hier und dort erhalten sie,<br />
auch durch das <strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong>, kleine<br />
Einblicke, wie diese Leistungen<br />
zustande kommen, was genau über<br />
Sieg oder Niederlage entscheidet.<br />
Wir möchten den Fans und<br />
unseren Leserinnen und Lesern in<br />
diesem Jahr noch deutlicher zeigen,<br />
wie die Nationalmannschaft kämpft<br />
und trainiert – wie sie „funktioniert“,<br />
was zum Leben im Hochleistungssport<br />
gehört. Dabei hilft uns eine<br />
Athletin: Johanna Müller, Nummer<br />
34 der Olympiaqualifikationsrangliste<br />
in der Klasse bis 57 Kilo, berichtet<br />
ein Jahr lang jeden Monat exklusiv<br />
im <strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> über ihr Leben als<br />
Spitzensportlerin.<br />
Johanna wird uns an ihren<br />
Eindrücken und Gedanken teilhaben<br />
lassen, sie wird uns Blicke hinter die<br />
Kulissen ermöglichen, aber die<br />
Grenzen sind definiert: Der Sport<br />
steht im Mittelpunkt. Wir schauen<br />
nicht durchs Schlüsselloch – es gibt<br />
Dinge, die innerhalb einer Mannschaft<br />
bleiben und nicht nach<br />
draußen dringen sollen. Auch das<br />
Privatleben bleibt außen vor. Johanna<br />
wird aber Vertrauliches von Uchimata,<br />
Uchi-komi und Kumi-kata<br />
erzählen, sie wird von tollen Ippons<br />
und fragwürdigen Shidos berichten,<br />
von schweren Hanteln und von viel<br />
Schweiß, von ihren Medaillen<br />
genauso wie von Niederlagen oder,<br />
was hoffentlich ausbleibt, von Verletzungen.<br />
Die <strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong>-Redaktion freut<br />
sich sehr, eine Topathletin der Nationalmannschaft<br />
für diese Idee gewonnen<br />
zu haben. Und wir sind selbst<br />
wahnsinnig neugierig, wie Johanna<br />
uns ein Jahr lang mitnehmen wird.<br />
Oliver Kauer-Berk, Chefredakteur<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 01/16 17
TITEL<br />
Johanna Müllers <strong>Judo</strong>weg im Jahr <strong>2016</strong> können<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong>-Leserinnen und -Leser mitverfolgen<br />
Foto: Micha Neugebauer
Serie: Mein Jahr in der Nationalmannschaft<br />
Von Köln nach Qingdao<br />
Von Johanna Müller<br />
Zwei Wochen in China und Südkorea: die Reise vorbereiten,<br />
das Gewicht passend machen, letzte Vorkehrungen treffen –<br />
und dann: „Hajime“. Erlebnisse aus Sicht einer Kämpferin<br />
M<br />
an könnte denken, dass das<br />
Kofferpacken mit den Jahren<br />
schnell über die Bühne<br />
geht, bei mir leider nicht. Ich sitze stundenlang<br />
vor meinem Schrank und weiß<br />
nicht, was ich einpacken soll. Die Fragen<br />
sind immer die gleichen: Wie warm wird<br />
es, wie lange bleibe ich, wie viele Randoris<br />
stehen an, kann man sich mit anderen<br />
absprechen, dass jeder etwas mitbringt?<br />
Massagerolle, Ladekabel oder Waschmittel<br />
muss ja nicht jeder dabeihaben.<br />
Meist sitze ich auf dem Boden meines<br />
Zimmers, meine Mitbewohnerin<br />
hockt auf meinem Bett und zusammen<br />
überlegen wir, was alles gebraucht wird.<br />
In der Tasche sind hauptsächlich Sportsachen,<br />
denn viel mehr als die <strong>Judo</strong>halle<br />
und das Hotel sehen wir auf unseren<br />
Reisen um die ganze Welt leider nicht.<br />
Falls es aber doch mal dazu kommt, dass<br />
wir auswärts essen gehen oder eine kleine<br />
Party nach einem Jahreshöhepunkt geplant<br />
ist, muss natürlich auch dafür etwas<br />
in die Tasche. Bei Frauen ist das leider<br />
nicht so einfach.<br />
Nachdem ich mit viel Überlegung<br />
und mehrmaligem Ein- und Auspacken<br />
meine Tasche endlich fertig habe, kommt<br />
der große Moment! Ich stelle die Tasche<br />
auf die Waage, in der Hoffnung, dass<br />
sie die 23-Kilo-Marke nicht übersteigt.<br />
So viel nimmt die Fluggesellschaft ohne<br />
Aufpreis mit. Für eine Woche sind 23<br />
Kilo ausreichend, wenn ich aber zwei bis<br />
drei Wochen lang unterwegs bin, muss<br />
ich manchmal bis zu 15 Kilo in den Trolley<br />
fürs Handgepäcks stopfen. Jedenfalls:<br />
Die erste Hürde ist gemeistert!<br />
komplette Tasche durchgegangen bin,<br />
mache ich mich auf den Weg zum Bahnhof.<br />
Dort treffe ich den Rest meiner Reisegruppe,<br />
gemeinsam geht es los Richtung<br />
Frankfurt. Die Bahnfahrt verläuft, nicht<br />
ganz üblich, ohne Verspätung. So können<br />
wir entspannt durch die Abfertigungshalle<br />
schlendern und unseren Schalter suchen.<br />
Nachdem das Gepäck aufgegeben<br />
ist und wir unsere Bordkarten erhalten<br />
haben, gehen wir noch<br />
einen Kaffee trinken. Natürlich<br />
wird auch ein bisschen<br />
im Duty-Free-Shop<br />
gestöbert.<br />
Am Gate treffen wir<br />
zwei weitere Kämpferinnen,<br />
die am Vormittag<br />
mit der Bahn aus Berlin gekommen<br />
sind und die gleiche<br />
Flugverbindung haben wie wir.<br />
Das Flugzeug ist erstaunlich leer, was<br />
uns entgegen kommt, denn so können wir<br />
uns über eine ganze Sitzreihe ausbreiten<br />
und sogar etwas schlafen. Die erste Mahlzeit<br />
wird serviert, das Licht danach gedimmt<br />
und ich lege mich entspannt hin.<br />
Nach zehn Stunden Flug landen wir<br />
in Seoul/Südkorea, ein kurzer Zwischenstopp,<br />
bevor es zum endgültigen Ziel,<br />
Qingdao/China gehen soll. Nach drei<br />
„Der große Moment:<br />
Ich stelle die Tasche<br />
auf die Waage.“<br />
Stunden Aufenthalt in Seoul wird uns<br />
über Lautsprecher mitgeteilt, dass der<br />
Flieger nach China eine Stunde Verspätung<br />
hat. Das ist für uns besonders ärgerlich,<br />
denn wir landen abends in China<br />
und müssen noch laufen, um unser Wettkampfgewicht<br />
zu erreichen.<br />
Nachdem auch der letzte Teil der<br />
Reise geschafft ist, warten wir hoffnungsvoll<br />
auf unser Gepäck, denn im Koffer<br />
sind die dringend benötigten Lauf- und<br />
Schwitzsachen.<br />
Erst um 20 Uhr erreichen wir das<br />
Hotel. Die erste Frage an das Personal:<br />
Wo ist die Waage zu<br />
finden? Eine der wichtigsten<br />
Fragen für <strong>Judo</strong>kas!<br />
Das Gewicht wird<br />
gecheckt, das Zimmer<br />
etwas eingeräumt und<br />
die dicken Laufsachen<br />
werden angezogen, denn<br />
von den Leichtgewichten<br />
muss so ziemlich jede abnehmen.<br />
Also gehen wir um 21 Uhr<br />
bei zehn Grad Außentemperatur joggen,<br />
um das letzte Kilo abzuschwitzen. Nach<br />
45 Minuten Lauf springe ich im Zimmer<br />
schnell unter die Decke, um nachzuschwitzen.<br />
Weitere 30 Minuten später<br />
geht es unter die Dusche und dann nochmals<br />
auf die Waage.<br />
Vielleicht gibt es noch 100 ml zu trinken<br />
und einen Happen zu Essen, wenn<br />
es das Gewicht hergibt. Nach einem lan-<br />
Das letzte Kilo<br />
Am Vortag habe ich gemeinsam mit den<br />
anderen Kölner Mädels einen Zug rausgesucht,<br />
der uns pünktlich zum Flughafen<br />
Frankfurt am Main bringen soll. Nachdem<br />
ich gedanklich noch einmal meine<br />
In China im Supermarkt<br />
Foto: Johanna Müller
TITEL<br />
„Johanna ist zielstrebig und fleißig und dadurch bedingt<br />
konditionsstark. Sie könnte deshalb in Kämpfen noch<br />
bestimmender auftreten und von Anfang an loslegen.<br />
Sie ist in der Lage, die Topathletinnen der Welt zu besiegen<br />
und hat das schon mehrfach bewiesen. Entweder<br />
gelingt ihr das über taktische Maßnahmen, konditionell<br />
– oder sie kann solche Gegnerinnen auch werfen. Sie<br />
war 2013 auf dem Sprung in die Weltspitze, hat sich<br />
dann zweimal schwer verletzt, einmal am Fuß, einmal<br />
am Knie. Wenn sie noch bestimmender auftritt, wird sie<br />
noch erfolgreicher sein.“<br />
Michael Bazynski, Bundestrainer Frauen<br />
gen anstrengenden Reisetag gehe ich um<br />
24 Uhr ins Bett, mit der Hoffnung, dass<br />
der Jetlag einen langen Schlaf gewährt.<br />
Und tatsachlich wachen wir am nächsten<br />
Morgen nach elf Stunden Schlaf auf. Wie<br />
soll es anders sein, der erste Gang ist der<br />
auf die Waage. Das Gewicht muss noch<br />
etwas reduziert werden, das wird auf<br />
den Nachmittag verschoben, zuerst suchen<br />
wir eine Bank zum Geldwechseln.<br />
Mit einigen Yuan in der Tasche gehen<br />
wir zum Supermarkt um die Ecke. Essen<br />
und Getränke für den Wettkampftag<br />
einkaufen und viel Neues<br />
entdecken. Mittlerweile ist<br />
es 14 Uhr und wir machen<br />
uns auf den Rückweg.<br />
In Deutschland<br />
ist es jetzt 7 Uhr morgens<br />
und die ersten sind<br />
wach. Ich kann also mit<br />
daheim kommunizieren. Jedoch<br />
nicht über alle Netzwerke,<br />
denn Soziale Medien und auch<br />
einige E-Mail-Adressen sind in China<br />
nicht zugelassen und können somit auch<br />
nicht abgerufen werden.<br />
Nach einer gemütlichen Stunde im<br />
Bett geht es für mich wieder in die Schwitzsachen,<br />
es müssen noch 500 Gramm bis<br />
zum Abend runter. Dieses Mal muss ich<br />
allein laufen, meine Zimmerkameradin<br />
war disziplinierter und hat schon ihr Wettkampfgewicht<br />
erreicht. Auch dieses Mal<br />
lege ich mich nach dem Lauf ins Bett unter<br />
die Bettdecke und schwitze etwas nach.<br />
Ich bin guter Dinge, dass das Gewicht nun<br />
passt. Die Waage bestätigt mir das wenig<br />
später. Geschafft! Jetzt heißt es warten, um<br />
19 Uhr geht es zur Jackenkontrolle (hier<br />
wird kontrolliert, ob alles regelkonform<br />
„Die ersten drei<br />
Minuten sind um.<br />
Ich fühle mich<br />
sicher.“<br />
Foto: DJB/Mausolf<br />
aufgenäht ist, erst dann gibt es die Werbung<br />
für den Rücken). Nach der Kontrolle<br />
können wir ab 20 Uhr endlich auf die offizielle<br />
Waage, sortiert nach Gewichtsklassen<br />
und Ländern.<br />
Ein Ansatz, ein Gefühl<br />
Nachdem alle Deutschen über die Waage<br />
sind, geht es geschlossen zurück ins Hotel<br />
und sofort ans Buffet, darauf freuen sich<br />
alle, und die Auswahl in China ist groß.<br />
Es gibt Reis, Nudeln, Fleisch, Salat, Kuchen,<br />
Melonen, alles was unser<br />
Sportlerherz begehrt. Doch<br />
auch beim Essen kann<br />
nicht hemmungslos geschlemmt<br />
werden, denn<br />
am nächsten Tag müssen<br />
vier ausgeloste <strong>Judo</strong>kas<br />
pro Gewichtsklasse<br />
zur Nachwaage. Dabei<br />
darf man das Gewichtslimit<br />
nur um fünf Prozent überschreiten.<br />
45 Minuten bevor der<br />
Wettkampf beginnt, wird die Liste mit<br />
den Namen der ausgelosten <strong>Judo</strong>kas ausgehängt.<br />
In China müssen unsere beiden<br />
52er Mädels zu Nachwaage, was jedoch<br />
kein Problem darstellt.<br />
Der Wettkampf kann losgehen. Die<br />
ersten Taktiken werden mit dem Trainer<br />
besprochen und auch gleich in die Erwärmung<br />
eingebracht.<br />
Die Taktik steht, mein Körper ist auf<br />
Hochtouren. Ich bin bereit zu kämpfen,<br />
darf aber erst im siebten Kampf auf die<br />
Matte. Als die ersten Kämpfe vorbei sind,<br />
werde ich aufgerufen, mich im Vorraum<br />
einzufinden, um erneut den <strong>Judo</strong>gi auf<br />
gültigen Sitz überprüfen zu lassen. Alles<br />
passt, also geht es zusammen mit dem<br />
Bundestrainer in den Vorbereitungsbereich.<br />
Ein kleiner Junge kommt mit einem<br />
Körbchen, in das ich meine Sachen,<br />
Flasche, Schuhe, Socken und Pulli legen<br />
kann. Der Vorraum ist zugig, also lasse<br />
ich die Socken und den Pullover lieber<br />
noch ein bisschen an.<br />
Nach weiteren zwei Kämpfen auf<br />
meiner Matte geht es endlich auch für<br />
mich los. Ich fühle mich gut, habe fleißig<br />
trainiert und meine Gegnerin ist schlagbar.<br />
Die ersten drei Minuten des Kampfs<br />
sind um. Ich fühle mich sicher, komme<br />
jedoch nicht wirklich zu einem guten<br />
Wurfansatz. Eine Minute vor Schluss<br />
mache ich einen O-uchi-gari Ansatz, ein<br />
komisches Gefühl im Knie lässt mich<br />
kurz im Boden verharren. Da ich vor<br />
zwei Jahren eine größere Verletzung an<br />
genau diesem Knie hatte, bin ich immer<br />
etwas vorsichtig, wenn sich etwas anders<br />
anfühlt. Ich stehe auf, alles stabil, doch<br />
so richtig finde ich nicht zurück in den<br />
Kampf, muss kurz vor Schluss eine Bestrafung<br />
hinnehmen. Verloren... Das war<br />
unnötig, das weiß ich selbst und das sehe<br />
ich auch in den Augen meines Trainers,<br />
als ich die Matte verlasse. Ich muss raus<br />
aus der Halle, um mich zu sammeln und<br />
zu verstehen, was da passiert ist. Mein<br />
Knie schmerzt bei ruckartigen Bewegungen,<br />
das werde ich später vom Physiotherapeuten<br />
untersuchen lassen. In der nächsten<br />
Ausgabe: Mit der Nationalmannschaft<br />
auf Asientour, Teil 2. <br />
•<br />
Das Knie ist versorgt. Mit Kollegin Iljana<br />
Marzok<br />
Foto: Johanna Müller<br />
20<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 01/16
w w w. j o h a n n a - m u e l l e r - j u d o . d e
Zu Hause beim<br />
Krafttraining<br />
Foto: Micha Neugebauer<br />
Serie: Mein Jahr in der Nationalmannschaft<br />
„Es beginnt gut“<br />
Von Johanna Müller<br />
Nach China folgt Südkorea. Wie Johanna Müller<br />
den Grand Prix von Jeju erlebt hat<br />
N<br />
achdem ich den ersten Frust<br />
des vergeigten Wettkampfs in<br />
China überwunden habe, gehe<br />
ich zu unserem Physiotherapeuten. Der<br />
schaut sich mein Knie an, macht einige<br />
Bewegungstests und prüft, wie schmerzempfindlich<br />
es ist. Natürlich kann er<br />
keine genaue Aussage treffen, nur eine<br />
Vermutung äußern: Das Innenband ist<br />
angeschlagen, jedoch nicht so schlimm,<br />
dass ich mir großartig Sorgen machen<br />
muss. In sechs Tagen möchte ich schließlich<br />
in Südkorea noch einmal auf die<br />
Grand-Prix-Matte. Das Jahr mit einem<br />
verlorenen Kampf zu beenden ist nie<br />
schön, und das möchte ich auch dieses<br />
Jahr nicht so stehen lassen.<br />
Ich werde die nächsten Tage also mein<br />
Knie pflegen, kühlen, Tabletten nehmen,<br />
Physiotherapie machen und mit meinem<br />
Trainer Übungen zur Stabilisation durchführen.<br />
Die beiden weiteren Wettkampftage<br />
in China feuere ich meine Mannschaftskameradinnen<br />
und -kameraden an,<br />
achte aber darauf, nicht so viel herumzulaufen<br />
und mein Bein immer mal wieder<br />
hoch zu legen, denn die Schmerzen sind<br />
leider doch stärker als gedacht.<br />
Am Tag nach den Wettkämpfen geht<br />
es schon viel besser, die Therapie und die<br />
Tabletten wirken und ich kann immer<br />
besser laufen. Auch die Schmerzen werden<br />
weniger. Wir ziehen in eine andere<br />
Unterkunft um, dort wird am Abend ein<br />
gemeinsames Randori angeboten. Der<br />
Rest des Teams trainiert mit den Chinesen<br />
auf der Matte, ich mache mit dem<br />
Bundestrainer ein separates Programm,<br />
zugeschnitten auf die Bewegungseinschränkung<br />
meines Knies trainiere ich<br />
am Gummiseil.<br />
Immer der gleiche Ablauf<br />
Nach den sechs Tagen in China geht es<br />
weiter nach Südkorea. Also wieder Koffer<br />
packen und ab zum Flughafen. Auch<br />
wenn Jeju nicht so weit weg ist, sind wir<br />
sieben Stunden unterwegs. In Seoul landen<br />
wir zwischen und müssen den Flughafen<br />
wechseln, um unseren Anschlussflug<br />
zu erwischen. Dieses Mal verläuft<br />
alles ohne Probleme und Verspätungen.<br />
Wir landen abends in Korea und können<br />
uns in dem neuen, zugegebenermaßen su-<br />
28<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 02/16
SPORTGESCHEHEN<br />
Das linke Knie braucht einen<br />
Tapeverband<br />
Foto: Johanna Müller<br />
per schicken Hotel einrichten. Schnell geht<br />
es zur Kontrolle auf die Waage, wir haben<br />
alle auf unser Gewicht geachtet, damit<br />
der Kreislauf nicht wieder von vorne anfängt.<br />
Nachdem im Hotel alles erledigt ist,<br />
marschieren wir entspannt zum nächsten<br />
großen Supermarkt und kaufen Getränke,<br />
Lebensmittel und das eine oder andere<br />
Souvenir. Mit dem vollgeladenen Rucksack<br />
geht es zurück und gleich ins Bett.<br />
Der nächste Tag vergeht relativ zügig.<br />
Nach dem Frühstück werden die Anzüge<br />
zum Benähen gebracht, dann fahren<br />
wir zum Training in die Halle, um natürlich<br />
auch die letzten Kilos loszuwerden.<br />
Der Ablauf am Wettkampf-Vorabend<br />
ist immer der gleiche. Zuerst werden die<br />
Johanna Müller geht auf die Matte<br />
Anzüge kontrolliert, dann geht es auf<br />
die Waage, danach wird gegessen. Dieses<br />
Mal suchen wir uns ein Restaurant<br />
in der Nähe, es geht ins Curryhaus. Anschließend<br />
folgt eine Teambesprechung<br />
im Trainerzimmer. Hier geht es zunächst<br />
um Organisatorisches zum ersten Wettkampftag:<br />
Wann beginnt der Wettkampf,<br />
wie sind die Transferzeiten, wann geht<br />
es zum Frühstück, wie ist die Mattenverteilung,<br />
wer ist in welchem Kampf dran,<br />
wer muss noch getapt werden usw. Um<br />
bestmöglich vorbereitet zu sein, analysieren<br />
wir noch Videos der Gegnerinnen<br />
und feilen an unseren Strategien.<br />
Foto: David Finch<br />
Das Jahr von Johanna Müller<br />
Die Serie<br />
Eine besondere Serie im <strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong>:<br />
Nationalmannschaftskämpferin<br />
Johanna Müller berichtet ein ganzes<br />
Jahr lang in jeder Ausgabe von ihren<br />
Wettkämpfen, ihrem Training und ihren<br />
Erfahrungen im Nationalteam.<br />
Die 57-Kilo-Athletin vom PSV Olympia<br />
Berlin, im Januar Nummer 36 der<br />
Olympiaqualifikationsrangliste, lässt<br />
die Leserinnen und Leser an ihren<br />
Eindrücken und Gedanken teilhaben<br />
und ermöglicht Blicke hinter die Kulissen<br />
des <strong>Judo</strong>-Spitzensports. •<br />
Scheinangriff…<br />
Am nächsten Tag fahren wir um 8 Uhr<br />
in die Halle, sie ist zum Glück nicht weit<br />
vom Hotel entfernt. Die Aufwärmhalle<br />
stempeln wir für uns als unzumutbar ab:<br />
Es ist kalt, zugig und sehr eng, die einzige<br />
Wärme kommt von drei aufgestellten<br />
Heizpilzen und den Athleten selbst. Wir<br />
entscheiden, die Taschen auf die Tribüne<br />
zu stellen und die Wettkampfmatte zu<br />
nutzen, die zum Glück bis 15 Minuten<br />
vor Wettkampfbeginn offen ist. Bevor es<br />
für mich losgeht, lasse ich mein Knie tapen,<br />
damit ich mich sicherer fühle. Dann<br />
beginne auch ich mein Aufwärmprogramm:<br />
Laufen, Athletik- und spezifische<br />
Übungen. Hier und da zwickt es noch,<br />
doch nach und nach wird die Muskulatur<br />
warm. Ich merke: Mein Knie läuft rund.<br />
Meinen ersten Kampf habe ich gegen<br />
eine Indonesierin. Solche Begegnungen<br />
sind immer schwer einzuschätzen,<br />
wir haben lediglich ein Video von ihr<br />
zur Auswertung gefunden. Ich glaube es<br />
ist eine machbare Aufgabe. Der Kampf<br />
verläuft allerdings relativ zäh, ich komme<br />
nicht zum Wurf, da meine Gegnerin<br />
recht kräftig ist. Somit muss ich taktisch<br />
kämpfen, nutze ihren Shido-Rückstand<br />
und bringe diesen über die Zeit. Der erste<br />
Kampf ist gewonnen, die Anspannung<br />
legt sich etwas. Mein Knie fühlt sich gut<br />
an und ich habe Sicherheit gewonnen.<br />
Im zweiten Kampf wartet die starke<br />
Britin Nekoda Davis. Ich habe schon drei<br />
Mal gegen sie gekämpft, die ersten beiden<br />
Begegnungen konnte ich für mich entscheiden,<br />
im letzten Aufeinandertreffen hatte<br />
ich das Nachsehen. Es waren immer knappe<br />
Entscheidungen, darauf stelle ich mich<br />
auch heute ein. Der Kampf beginnt gut, sie<br />
gerät gleich am Anfang mit einem Shido in<br />
Rückstand. Diese kleine Führung gebe ich<br />
30 Sekunden vor Schluss ab, ich bekomme<br />
eine Bestrafung für einen Scheinangriff,<br />
so etwas darf nicht passieren, shit. Der<br />
Kampf geht also in den Golden Score, und<br />
ich merke, dass meine Kraft nachlässt. Die<br />
Britin nutzt diese Überlegenheit und ich<br />
erhalte den nächsten Shido für Passivität.<br />
Der Kampf ist verloren, und ich beende<br />
meine Einzelsaison 2015 mit einem nicht<br />
zufriedenstellenden Ergebnis.<br />
Nekoda Davis wird bei diesem Grand<br />
Prix Zweite. Für mich war also wesentlich<br />
mehr drin, als das Ergebnis, das auf<br />
dem Papier steht. Das wird mit meinem<br />
Trainer noch auszuwerten sein. •<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 02/16 29
Eine kleine Blessur wie die Platzwunde<br />
auf der Wange ist nicht der Rede wert<br />
Foto: Micha Neugebauer<br />
Serie: Mein Jahr in der Nationalmannschaft<br />
Verletzt<br />
Von Johanna Müller<br />
Unsere Nationalmannschaftsautorin im Pech: erst leichte Probleme<br />
am Knie, dann beim Pariser Grand Slam eine Bänderverletzung<br />
am Schultereckgelenk. Bedeutet einen Monat Pause.<br />
Mit Verletzungen kennt sich Johanna Müller leider aus<br />
J<br />
eder ambitionierte <strong>Judo</strong>ka war<br />
schon einmal verletzt. Ob es nun<br />
eine kleinere Verletzung war, etwa<br />
eine Platzwunde oder Verstauchung, oder<br />
doch etwas Größeres, ein Knochenbruch<br />
oder Bänderriss. Jeder weiß, wie schmerzhaft<br />
Verletzungen sein können. Doch für<br />
uns Spitzensportler kommt noch mehr<br />
hinzu. Die Auszeit vom Sport bedeutet<br />
auch eine Auszeit vom normalen Alltag.<br />
Klar, Verletzungen gehören zum<br />
Sportlerdasein dazu, trotzdem ist es ein<br />
großer Knall, wenn der Arzt vor dir sitzt,<br />
sich die Röntgen- oder MRT-Bilder mit<br />
skeptischem Blick anschaut und<br />
dir dann sagt: Der Fuß ist gebrochen<br />
und muss operiert<br />
„Am meisten<br />
leidet die<br />
Psyche.“<br />
werden. Oder: Das Kreuzband<br />
ist gerissen!<br />
An das Erste, was mir<br />
bei diesen Diagnosen durch<br />
den Kopf gegangen ist, kann<br />
ich mich nicht mehr erinnern.<br />
Diese Momente sind verschwommen.<br />
Vielleicht eine Art Schutz.<br />
Ja, ich weiß, dass es viel größere und<br />
schwerwiegendere Probleme im Leben<br />
gibt, doch in meinem jetzigen <strong>Judo</strong>leben,<br />
im Leistungssport, sind Verletzungen etwas<br />
sehr Prägendes, das ich niemandem<br />
wünsche.<br />
Ich kann natürlich nur aus meiner<br />
Erfahrung berichten, doch um<br />
mich herum gibt es viele Athletinnen<br />
und Athleten, die<br />
sich ebenfalls schon einmal<br />
schwer verletzt haben<br />
und mir von ähnlichen<br />
Erfahrungen erzählt<br />
haben. Eine Verletzung kostet<br />
den Körper, die Psyche und<br />
das soziale Umfeld eine Menge<br />
26<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 03/16
SPORTGESCHEHEN<br />
Kraft. Der Körper ist dabei das kleinste<br />
Problem. Am meisten leidet die Psyche,<br />
und das familiäre und freundschaftliche<br />
Umfeld muss viel ertragen.<br />
OP – Reha – OP<br />
Ich hatte in meiner Karriere schon einige<br />
Verletzungen. Mit 15 brach ich mir im<br />
Training die Nase, ich musste das erste<br />
Mal in einen OP, um sie richten zu lassen.<br />
Mit 16 brach ich mir die Hand, mit<br />
17 bekam ich immer wieder starke Rückenschmerzen,<br />
die ich bis heute habe.<br />
Mit 20 kugelte ich mir den Daumen aus<br />
und riss mir dabei das Seitenband, wieder<br />
musste ich operiert werden. 2013<br />
kam mein schwierigstes Jahr. Im Mai<br />
brach ich mir beim Wettkampf den Fuß,<br />
es folgte die nächste OP. Danach gab es<br />
Komplikationen, die Narbe eiterte und<br />
musste geöffnet werden. Auch nach der<br />
zweiten OP wurde es nicht besser. Erst<br />
im Nachhinein stellten die Ärzte fest,<br />
dass ich die eingesetzte Art der Fäden<br />
nicht vertrug. Fleißig arbeitete ich an<br />
Kraft und Beweglichkeit, mit Physiotherapeuten<br />
und allein, Stunde um Stunde,<br />
sieben Tage die Woche. Ehrgeizig, wie<br />
Sportler zum Leid der Ärzte nun mal<br />
sind, flog ich im Juli mit ins Trainingslager<br />
nach Spanien. Dort nahm ich das<br />
<strong>Judo</strong>training wieder auf, der Fuß<br />
spielte gut mit, die einsetzte<br />
Platte war fest verschraubt,<br />
nur die Narbe wurde nicht<br />
besser, musste täglich gereinigt<br />
werden. Beim folgenden<br />
Wettkampf in<br />
Moskau fanden wir das letzte<br />
Stück Faden. Jetzt ging die<br />
Wundheilung schnell voran. Ich<br />
war froh, diese Verletzung gut überstanden<br />
zu haben.<br />
Langsam arbeitete ich mich zurück,<br />
da kam der nächste Schlag: In einem<br />
Übungskampf beim Trainingslager der<br />
Nationalmannschaft in Kienbaum verletzte<br />
ich mich schwer am Knie. Ein unachtsam<br />
aufgestelltes Bein meinerseits<br />
und eine Wurfaktion meiner Gegnerin<br />
passten nicht zusammen, ich verdrehte<br />
mir das Knie. Ich wusste gleich: Da ist<br />
etwas kaputt gegangen. Die Physiotherapeuten<br />
untersuchten mich sofort auf der<br />
Matte. Nach einigen Tests sah es nicht<br />
ganz so schlimm aus – oder sie wollten<br />
„Meine Gefühle<br />
fuhren<br />
Achterbahn.“<br />
mir keine Angst machen, das weiß ich<br />
bei diesen Schlitzohren manchmal nicht<br />
genau… Jedenfalls stand fest: schnellstmöglich<br />
ins MRT.<br />
Und hier kommt einer der „größten<br />
Vorteile“ von Spitzensportlern: In fast jeder<br />
großen Stadt hat der DJB einen kooperierenden<br />
Arzt mit guten Kontakten.<br />
So hatte auch ich schon einen Tag später<br />
einen Termin in der Röhre. Leider bestätigte<br />
der Arzt in Berlin direkt danach<br />
meinen Verdacht. Diagnose Kreuzbandriss.<br />
Jeder Sportler weiß: Das bedeutet<br />
OP und sehr lange nicht das ausüben,<br />
was man sonst tagtäglich macht. Und ja,<br />
ich muss gestehen, als der Arzt mir ins<br />
Gesicht schaute und sagte: „Das wird<br />
jetzt länger dauern, bis du zurück auf die<br />
Matte darfst!“, da konnte ich meine Tränen<br />
nicht mehr zurückhalten.<br />
Es dauerte einige Tage, bis ich wirklich<br />
begriff, was auf mich zukommen sollte.<br />
In dieser schweren Zeit waren Freunde,<br />
Familie und Trainer für mich da.<br />
Unsicherheit und Rückhalt<br />
Eine der wichtigsten Entscheidungen<br />
ist, wo man sich der OP unterzieht. Jeder<br />
hat da einen Tipp, an wen man sich<br />
wenden soll, welche OP-Technik die<br />
beste zu sein scheint, wie es danach weiter<br />
gehen soll und vieles mehr.<br />
Klar sind Tipps von Kameradinnen<br />
wichtig, auch ich<br />
habe einige zu ihren Erfahrungen<br />
befragt, aber<br />
am Ende muss man selbst<br />
die Entscheidung treffen,<br />
zu welchem Operateur man<br />
geht und wie die Nachbehandlung<br />
auszusehen hat.<br />
Jede Operation birgt Risiken, und leider<br />
musste ich einige selbst erfahren. Die<br />
Knieoperation im Oktober verlief ohne<br />
Komplikationen, nach drei Tagen im<br />
Krankenhaus wurde ich nach Hause entlassen.<br />
Die ersten Nächte schlief ich gut,<br />
doch dann ging es mir von Tag zu Tag<br />
schlechter. Zehn Tage nach der OP ging<br />
ich mit geschwollenem Knie zum Arzt.<br />
Er punktierte. Die richtige Entscheidung.<br />
Ich hatte eine Entzündung und musste<br />
schnellstmöglich wieder ins Krankenhaus.<br />
Das Knie wurde erneut geöffnet,<br />
um zu spülen. Nach sechs Tagen und<br />
drei Spülungen durfte ich wieder nach<br />
Das Jahr von Johanna Müller<br />
Die Serie<br />
Eine besondere Serie im <strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong>:<br />
Nationalmannschaftskämpferin<br />
Johanna Müller berichtet ein ganzes<br />
Jahr lang in jeder Ausgabe von<br />
ihren Wettkämpfen, ihrem Training<br />
und ihren Erfahrungen im Nationalteam.<br />
Die 57-Kilo-Athletin vom PSV<br />
Olympia Berlin lässt die Leserinnen<br />
und Leser an ihren Eindrücken und<br />
Gedanken teilhaben und ermöglicht<br />
so Blicke hinter die Kulissen des Spitzensports.<br />
<br />
•<br />
Hause. Sechs Wochen lang nahm ich<br />
Antibiotika. Nach dieser unangenehmen<br />
Verzögerung konnte ich mein Reha-Programm<br />
fortführen. Die ersten Wochen<br />
sind die wichtigsten. Leider hatte ich sie<br />
verpasst und eine etwas langsamere Genesung<br />
vor mir.<br />
Während dieser Zeit fuhren meine<br />
Gefühle Achterbahn. Mal war ich zufrieden<br />
mit den Fortschritten, dann ging<br />
es mir nicht schnell genug. In der Reha-<br />
Phase war ich teilweise ziemlich deprimiert.<br />
Ich konnte die Kolleginnen nicht<br />
verstehen: Sie kamen heim von großen<br />
Reisen und meckerten – das Essen war<br />
schlecht, das Hotel lag außerhalb, das<br />
Training machte keinen Spaß. All das<br />
konnte ich nicht verstehen, denn all das<br />
wollte ich mehr als alles andere. Teilweise<br />
mied ich die Halle, um den anderen<br />
nicht beim <strong>Judo</strong>training zuschauen<br />
zu müssen. Selbst ein Jahr nach der Verletzung,<br />
als ich wieder voll im <strong>Judo</strong>geschehen<br />
war, mied ich am Jahrestag des<br />
Kreuzbandrisses die Matte. Ein alberner<br />
Aberglaube, doch das war wichtig<br />
für mich.<br />
Eine Verletzung bringt eine schwierige<br />
Zeit mit sich, und jeder geht anders<br />
damit um. Das Wichtigste sind dabei<br />
der Rückhalt in der Familie, die offenen<br />
Arme und Ohren deiner Freunde und<br />
dass die Trainer weiter an dich glauben.<br />
Alle standen hinter mir und haben mich<br />
auf meinem Weg begleitet. Es war ein<br />
langer Weg, er dauert noch an. Ich bin<br />
noch nicht dahin zurückkehrt, wo ich<br />
vorher stand... <br />
•<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 03/16 27
w w w. j o h a n n a - m u e l l e r - j u d o . d e
SPORTGESCHEHEN<br />
Serie: Mein Jahr in der Nationalmannschaft<br />
Im Trainingslager<br />
Das Jahr von Johanna Müller<br />
Die Serie<br />
Johanna Müller im Randori<br />
Foto: Micha Neugebauer<br />
Von Johanna Müller<br />
Eine besondere Serie im <strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong>:<br />
Nationalmannschaftskämpferin<br />
Johanna Müller berichtet ein ganzes<br />
Jahr lang in jeder Ausgabe von<br />
ihren Wettkämpfen, ihrem Training<br />
und ihren Erfahrungen im Nationalteam.<br />
Die 57-Kilo-Athletin vom PSV<br />
Olympia Berlin lässt die Leserinnen<br />
und Leser an ihren Eindrücken und<br />
Gedanken teilhaben und ermöglicht<br />
so Blicke hinter die Kulissen des Spitzensports.<br />
<br />
•<br />
Ihrer Schulter geht es besser. Johanna Müller konnte<br />
schon wieder an einem internationalen Trainingslager teilnehmen.<br />
Monatliche Routine für Kaderathletinnen<br />
E<br />
in fester Bestandteil unseres<br />
Sports sind Trainingslager auf<br />
der ganzen Welt. Hier trainieren<br />
wir mit Athletinnen vieler verschiedener<br />
Nationen. Hauptsächlich stehen<br />
dabei Randoris auf dem Programm.<br />
<strong>Judo</strong>kas aus anderen Ländern, besonders<br />
von anderen Kontinenten, haben<br />
einen anderen Kampfstil. Daran wollen<br />
wir uns gewöhnen und Taktiken ausarbeiten,<br />
wie es sich am besten gegen andere<br />
Stile kämpft. Und es ist wichtig,<br />
mit Trainingspartnerinnen zu arbeiten,<br />
die mir im Wettkampf gegenüberstehen<br />
könnten. Es ist ein Privileg, aus diesem<br />
Grund so viele Gebiete der Erde zu besuchen.<br />
Manche Ecken sind wirklich<br />
schön und beeindruckend. Etwa Brasilen,<br />
Japan oder Kanada. Doch es gibt<br />
auch Länder, in die würde ich lieber<br />
nicht ein zweites Mal reisen.<br />
Die Trainingslager sind jedes Jahr<br />
ähnlich terminiert. Zu Jahresbeginn<br />
geht es ins verschneite Österreich, danach<br />
folgen Trainingslager im Anschluss<br />
an Grands Prix oder Grand<br />
Slams wie in Düsseldorf oder Paris. In<br />
der ersten Jahreshälfte bleiben wir meist<br />
in Europa.<br />
Es gibt Tage…<br />
Natürlich absolvieren wir nicht nur<br />
internationale Trainingslager. Öfters<br />
finden Techniklehrgänge in Köln am<br />
Bundesstützpunkt statt. Einmal im<br />
Jahr, meist in der Mitte, gibt es<br />
ein Höhentrainingslager. Es<br />
steht entweder in St. Moritz<br />
in der Schweiz an,<br />
auf dem Herzogenhorn<br />
im Schwarzwald oder<br />
in der Höhenkammer in<br />
Frankfurt an der Oder. Die<br />
wichtigsten nationalen Trainingslager<br />
sind die „UWV“, die<br />
unmittelbaren Wettkampfvorbereitungen<br />
vor den Jahreshöhepunkten. In diesem<br />
Jahr sind das die EM im russischen<br />
Kasan und die Olympischen Spiele in<br />
Rio de Janeiro.<br />
„Ein Privileg,<br />
viele Gebiete<br />
der Erde zu<br />
besuchen.“<br />
Zum Jahresende begibt sich die Nationalmannschaft<br />
meist auf große Asien-<br />
Tour, für mich seit Langem ein Highlight.<br />
Hier geht es von Wettkampf zu<br />
Wettkampf und von Trainingslager zu<br />
Trainingslager. Ich habe zu Beginn dieser<br />
Serie ja schon von den Erlebnissen<br />
Ende des vergangenen Jahres in China<br />
und Südkorea berichtet. Die Wochen in<br />
Asien sind wirklich hart, aber man entwickelt<br />
sich dabei weiter. Sitzt man im<br />
Flieger nach Hause, hat man das gute<br />
Gefühl, sich die Weihnachtsferien mehr<br />
als verdient zu haben!<br />
Trainingslager sind für mich<br />
eine Mischung aus harten<br />
Trainingseinheiten, mal gutem,<br />
mal schlechtem Essen,<br />
Höhen und Tiefen beim<br />
Randori. Es gibt Tage, an<br />
denen läuft wirklich nichts<br />
zusammen. Du bist nur am<br />
fallen und wieder aufstehen.<br />
Aber es gibt genauso Tage, an denen<br />
viel gut läuft und man nach der Einheit<br />
zufrieden ins Zimmer geht. Nicht zu<br />
vergessen ist bei den Camps der Spaß im<br />
Team. Dort wachsen wir zu einer Mannschaft<br />
zusammen. <br />
•<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 04/16 37
Schweißtreibende Angelegenheit:<br />
Johanna Müller im Trainingslager<br />
Foto: Micha Neugebauer<br />
Serie: Mein Jahr in der Nationalmannschaft<br />
U-W-V und T-W-K<br />
Von Johanna Müller<br />
Nationalmannschaftskämpferin Johanna Müller gibt uns diesmal<br />
einen Einblick in die sagenumwobene „UWV“ – die Unmittelbare<br />
Wettkampfvorbereitung auf Saisonhöhepunkte. Sie war im Spezial-<br />
Trainingslager für das EM-Team eine der Partnerinnen bei den TWK<br />
– noch so eine legendäre Abkürzung<br />
D<br />
er Anfang einer Unmittelbaren<br />
Wettkampfvorbereitung<br />
(UWV) ist vergleichsweise<br />
unspektakulär. Diesmal traf sich unser<br />
Team zur Einstimmung auf die Europameisterschaften<br />
in Kasan vom 8. bis 12.<br />
April in Köln zunächst am Freitag zu einer<br />
kurzen allgemeinen Besprechung, dabei<br />
wurde der Ablaufplan bekannt gegeben.<br />
In der ersten Einheit standen dann<br />
einige Bewegungs-Randoris und ein wenig<br />
Techniktraining auf dem Plan, um<br />
die für einige Sportlerinnen lange Anreise<br />
aus den Knochen zu bekommen.<br />
Dann aber: Der erste Hochbelastungstag<br />
begann mit lockerem Frühsport,<br />
um wach in den Tag zu starten. Nach<br />
dem Frühstück ging es vormittags auf<br />
die <strong>Judo</strong>matte: viele Randoris und für<br />
die EM-Starterinnen japanische Runden<br />
– also sechs Minuten Randori am Stück<br />
und dabei alle 90 Sekunden eine neue<br />
ausgeruhte Partnerin.<br />
Nach dem Mittagessen hatten wir<br />
nur eine kurze Pause von rund zwei Stunden,<br />
bis am Nachmittag die „TWK“, die<br />
Trainingswettkämpfe, folgen. Sie sollen<br />
einem Wettkampf möglichst nahe kommen,<br />
den Druck, die Anspannung und<br />
die Kämpfe simulieren. Hierfür wird eine<br />
30<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 05/16
SPORTGESCHEHEN<br />
Liste ausgehängt, auf der die Paarungen<br />
notiert sind. Jeder weiß also, wer als<br />
nächstes wartet. Die mitgereisten Trainer<br />
werden als Kampfrichter „missbraucht“.<br />
Mitarbeiter vom Institut für Angewandte<br />
Trainingswissenschaft filmen jeden<br />
Kampf, um ihn später aufzuarbeiten<br />
und mit Sportlerin und Trainer auszuwerten.<br />
Zusätzlich wird nach jeder<br />
Runde eine Belastung für die<br />
Starterin durchgeführt, diese<br />
variiert immer etwas: Sitzball,<br />
„Wurfrandori“ und<br />
andere tolle Überraschungen<br />
lässt sich unser gewitzter<br />
Trainer da einfallen. Zudem<br />
wird vor und nach jeder<br />
Belastung der Laktatwert am Ohr<br />
gemessen, die individuelle Belastung<br />
wird überprüft und dokumentiert.<br />
Sportlicher Ehrgeiz<br />
Inzwischen kenne ich beide Seiten von<br />
Trainingswettkämpfen: die als Partnerin<br />
und die als Starterin. Für mich persönlich<br />
bedeutet das immer wieder eine<br />
große Anspannung: Als Starterin möchte<br />
man natürlich zeigen, dass man es<br />
verdient hat, für den Saisonhöhepunkt<br />
nominiert worden zu sein. Man möchte<br />
sich nicht „blamieren“, deshalb werden<br />
die von außen genau beäugten TWKs<br />
stets sehr ernst genommen. Man ärgert<br />
„Immer wieder<br />
eine große<br />
Anspannung“<br />
sich dabei, wenn etwas nicht klappt, wie<br />
man es sich vorstellt. Man stellt sich<br />
selbst in Frage, wenn die Runden nicht<br />
befriedigend waren; das ist mir leider<br />
auch schon öfter passiert. Wichtig ist es<br />
dann, sich selbst wieder aus diesen kleinen<br />
Tiefs heraus zu kämpfen, denn auch<br />
beim Wettkampf läuft nicht immer alles<br />
glatt. Auch bei einer EM oder WM<br />
muss man Tiefen überbrücken<br />
und vorher eben genau das<br />
trainieren.<br />
Genauso steht man<br />
als Trainingspartnerin in<br />
einem TWK unter Anspannung.<br />
An erster Stelle<br />
möchte man natürlich den<br />
Starterinnen das Leben schwer<br />
machen, sie auch mal „ärgern“, um<br />
sie bestmöglich vorzubereiten. Und mal<br />
ehrlich: Man will es sich in den TWKs<br />
auch selbst und den Trainern beweisen.<br />
Oft geht es bei der Nominierung für einen<br />
Höhepunkt eng zu, unter Umständen<br />
hätten es weitere Athletinnen verdient,<br />
teilzunehmen. Sie wollen dann<br />
natürlich zeigen, dass sie gut in Form<br />
sind, der Trainer eventuell auch sie bei<br />
der Nominierung hätte berücksichtigen<br />
können. Das hat nichts mit Eifersucht<br />
zu tun, sondern einfach mit dem sportlichen<br />
Ehrgeiz, die oder der Beste sein zu<br />
wollen!<br />
Das Jahr von Johanna Müller<br />
Die Serie<br />
Eine besondere Serie im <strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong>:<br />
Nationalmannschaftskämpferin<br />
Johanna Müller berichtet ein ganzes<br />
Jahr lang in jeder Ausgabe von ihren<br />
Wettkämpfen, ihrem Training und ihren<br />
Erfahrungen im Nationalteam.<br />
Die 57-Kilo-Athletin vom PSV Olympia<br />
Berlin, im Januar Nummer 36 der<br />
Olympiaqualifikationsrangliste, lässt<br />
die Leserinnen und Leser an ihren<br />
Eindrücken und Gedanken teilhaben<br />
und ermöglicht Blicke hinter die Kulissen<br />
des <strong>Judo</strong>-Spitzensports. •<br />
Dieses Jahr war die Vorbereitung vergleichsweise<br />
kurz und gab es nur zwei<br />
Hochbelastungstage. Zwischen ihnen<br />
war ein Tag lang „entspanntes“ Training<br />
angesagt. Das Wetter meinte es an jenem<br />
Sonntag gut mit uns und wir konnten nebenbei<br />
ein paar Sonnenstrahlen genießen.<br />
Am Dienstag war die letzte Einheit<br />
des UWV-Trainingslagers geschafft, das<br />
EM-Team traf sich noch einmal kurz im<br />
Büro von Bundestrainer Michael Bazynski.<br />
Bei dieser letzten Zusammenkunft<br />
werden seit einigen Jahren traditionell<br />
die individuell bestickten T-Shirts ausgeteilt,<br />
die DJB-Ausrüster Adidas extra für<br />
die Höhepunkte bedruckt.<br />
<strong>Judo</strong> ist Partnersport, auch bei den von Bundestrainer Michael Bazynski verordneten<br />
Zugübungen<br />
Foto: Micha Neugebauer<br />
An die Grenzen gehen<br />
Ich habe nun schon einige UWVs mitmachen<br />
dürfen. Es ist jedes Mal wirklich<br />
hart, du musst an deine Grenzen gehen.<br />
Doch genau das ist der Sinn, um sich optimal<br />
auf den Jahreshöhepunkt vorzubereiten.<br />
Zur EM-UWV waren diesmal auch<br />
die Juniorinnen eingeladen. U21-Bundestrainer<br />
Claudiu Pusa hat da ein starkes<br />
Team beisammen. Wir haben uns<br />
gegenseitig gut unterstützt und vorbereitet.<br />
Die Juniorinnen starteten nur wenige<br />
Tag nachher bei ihrem European Cup<br />
in St. Petersburg, wo sie sehr erfolgreich<br />
abschnitten: sechs der zehn Starterinnen<br />
erreichten eine Platzierung. Und ich<br />
war zuversichtlich, dass meinen Mannschaftskolleginnen<br />
in Kasan ein ähnlich<br />
gutes Abschneiden gelingt. •<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 05/16 31
SPORTGESCHEHEN<br />
Serie: Mein Jahr in der Nationalmannschaft<br />
Ist ja die Höhe!<br />
Von Johanna Müller<br />
Oben! Und zur Belohnung nach einer Stunde Bergauf-Radeln am Julierpass in 2284 Meter<br />
Höhe ein Eis. Von links Johanna Müller, Nadja Bazynski, Szaundra Diedrich, Luise Malzahn<br />
und Laura Vargas Koch<br />
Foto: Johanna Müller<br />
Diesmal berichtet Johanna Müller aus dem Höhentrainingslager<br />
in der Schweiz<br />
„Laufen,<br />
Wandern,<br />
Radfahren oder<br />
Krafttraining.“<br />
E<br />
inmal im Jahr absolvieren wir<br />
für die allgemeine Ausdauer ein<br />
Höhentrainingslager. Sankt Moritz,<br />
in der Schweiz und 1870 Meter über<br />
dem Meeresspiegel gelegen, war so für<br />
zwei Wochen im Mai unser Zuhause.<br />
Auf dem Trainingsplan stand viel allgemeines<br />
Training, wenig <strong>Judo</strong>. Für mich<br />
ist es eines der besten Trainingslager im<br />
Jahr. Wir machen sehr viel draußen und<br />
gewinnen Abstand vom hektischen<br />
Stadtleben.<br />
Die Anreise war zunächst<br />
allerdings alles<br />
andere als entspannt.<br />
Aus Berlin kam ein kleiner<br />
Bus, bereitgestellt<br />
von der Bundespolizei.<br />
In Köln wurden die Autos<br />
morgens um 8 Uhr noch<br />
fleißig mit Laborzubehör für den<br />
Leistungsdiagnostiker und allen möglichen<br />
„Spielsachen“ beladen, darunter<br />
sieben Fahrräder, „Bulgarian Training-<br />
Bags“, Zugseile und vieles mehr. Ob Sie es<br />
glauben oder nicht: In ein Auto passen mit<br />
viel Präzision sieben Fahrräder, zwei Taschen,<br />
Gewichte, die schweren Trainings-<br />
Säcke und noch zwei <strong>Judo</strong>kas. Nachdem<br />
wir eine Stunde lang die vier Autos ein-,<br />
wieder aus- und nochmal neu eingeräumt<br />
hatten, konnte es endlich losgehen.<br />
Das Outdoor-Programm<br />
Am ersten Tag schauten wir uns nur etwas<br />
die Umgebung an, um die lange<br />
Fahrt aus den Knochen zu<br />
bekommen. Die nächsten<br />
Tage liefen so ziemlich nach<br />
dem gleichen Rhythmus ab:<br />
Morgens Blutabnahme bei<br />
Leistungsdiagnostiker Oliver<br />
Heine, um Kreatinkinase-,<br />
Hämoglobin- und Glukosewert<br />
zu messen. Danach Frühstück und<br />
eine kleine Verdauungspause, bevor das<br />
erste Training folgt: Laufen, Wandern,<br />
Radfahren oder Krafttraining. Einen festen<br />
Plan gibt es meist nicht, denn in den<br />
Bergen ist das Wetter ziemlich wechselhaft.<br />
Einen Tag hatten wir 15 Grad und<br />
Sonnenschein, und am nächsten Morgen<br />
schaute man aus dem Fenster und es<br />
schneite. Es ist also immer eine Überraschung,<br />
was als nächstes ansteht. Nach<br />
der ersten Einheit geht es zum Mittagessen,<br />
danach folgt eine längere Pause, bis<br />
wir in die zweite Einheit starten. Auch<br />
diese ist ans Wetter gekoppelt. Anschließend<br />
Abendbrot und Freizeit. Da es hier<br />
nicht wirklich viel zu erleben gibt, sitzen<br />
wir meist im Flur zusammen. Dort warten<br />
eine große Couch, der Fernseher und<br />
– am wichtigsten – WLAN. Oft spielen<br />
wir auch etwas gemeinsam.<br />
Die ersten Tage waren recht entspannt.<br />
Wir sollten uns an die Höhe und<br />
das Wetter gewöhnen, somit war oft freigestellt,<br />
wer mit auf eine Radtour kommt<br />
oder lieber läuft. In der zweiten Woche<br />
schneite und regnete es viel, sodass wir unser<br />
Outdoor-Programm verschieben und<br />
uns mit den Gegebenheiten vor Ort arrangieren<br />
mussten. Auch das Schwimmbad<br />
und seine Rutsche kamen dabei zum Einsatz.<br />
Alles in allem ist bei einem Höhentrainingslager<br />
für jeden etwas dabei – eine<br />
gute Abwechslung in unserem sonst doch<br />
sehr judohallen-intensiven Alltag. •<br />
Das Jahr von Johanna Müller<br />
Die Serie<br />
Nationalmannschaftskämpferin Johanna<br />
Müller berichtet ein Jahr lang<br />
in jeder Ausgabe von ihren Wettkämpfen,<br />
ihrem Training und ihren Erfahrungen<br />
im Nationalteam. Die 57-Kilo-Athletin<br />
vom PSV Olympia Berlin<br />
lässt uns an ihren Eindrücken und<br />
Gedanken teilhaben und ermöglicht<br />
Blicke hinter die Kulissen des Spitzensports.<br />
.<br />
•<br />
24<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 06/16
w w w. j o h a n n a - m u e l l e r - j u d o . d e
SPORTGESCHEHEN<br />
Serie: Mein Jahr in der Nationalmannschaft<br />
Der Traum<br />
Von Johanna Müller<br />
Sportleralltag: Verletzungen und nicht konstante Leistungen verbauen den Weg<br />
<br />
Foto: Micha Neugebauer<br />
Auch Johanna Müller<br />
hatte Olympia in Rio als Ziel.<br />
Es hat nicht sollen sein<br />
N<br />
un ist es bald so weit, die Olympischen<br />
Spiele in Rio de Janeiro<br />
stehen an. Jeder Sportler hat<br />
den Traum, einmal bei Olympia teilnehmen<br />
zu dürfen. Es ist vor allem für Athletinnen<br />
und Athleten in Randsportarten<br />
der Höhepunkt der Karriere.<br />
Auch ich habe davon geträumt,<br />
<strong>2016</strong> in Rio auf der Matte zu<br />
stehen und Deutschland zu<br />
„Ich musste<br />
den Traum nach<br />
und nach<br />
begraben.“<br />
vertreten. Es hat leider<br />
nicht gereicht, das hat<br />
sich nicht erst kurzfristig<br />
entschieden, sondern<br />
ich musste nach und nach<br />
den Traum begraben.<br />
2012 durfte ich als Trainingspartnerin<br />
mit nach London<br />
reisen, ein riesen Erlebnis für mich. Ich<br />
konnte das Feeling der Spiele spüren,<br />
durfte ins Olympische Dorf, ins Deutsche<br />
Haus, und sogar die olympische<br />
Matte konnte ich berühren. Nach diesem<br />
Erlebnis war der Traum noch fester verankert,<br />
<strong>2016</strong> wollte ich das alles selbst als<br />
Sportlerin erleben. Die nacholympischen<br />
Turniere liefen gut, ich habe viele internationale<br />
Medaillen erkämpft, war in der<br />
Weltrangliste weit nach vorn gekommen.<br />
Doch mehrere Verletzungen 2013 warfen<br />
mich zurück und verlangten mir viel<br />
ab. Ein Jahr musste ich pausieren, bevor<br />
ich Ende 2014 endlich wieder angreifen<br />
konnte. Die ersten Turniere liefen<br />
vielversprechend, allerdings<br />
konnte ich keine Konstanz in<br />
meine Leistung bringen. Immer<br />
wieder schied ich vorzeitig<br />
aus Turnieren aus. Das<br />
war sehr frustrierend, aber ich<br />
hatte diesen einen Traum im<br />
Kopf: Olympia <strong>2016</strong>.<br />
Als Uke bereit<br />
Das Ziel hatte ich immer vor Augen, vielleicht<br />
dadurch auch eine kleine Blockade<br />
im Kopf. Auf jeden Fall konnte ich meine<br />
Leistungen nicht konstant halten. Zudem<br />
kam natürlich noch die starke nationale<br />
Konkurrenz. Miryam Roper, unsere<br />
Olympiastarterin 2012 und auch <strong>2016</strong>,<br />
sowie Viola Wächter, die Anfang 2015<br />
nach einer langen Verletzungspause sehr<br />
stark zurückkam.<br />
Spätestens Anfang <strong>2016</strong> war mir<br />
klar, dass sich mein Traum nicht erfüllen<br />
wird. Klar ist man enttäuscht, gern wäre<br />
ich nach Rio gereist, mit meiner Familie<br />
im Rücken. Es soll nicht sein, trotzdem<br />
ist die Reise nach Rio gebucht, um dort<br />
meinen Freund zu unterstützen, so wie<br />
ich es mir andersherum auch gewünscht<br />
hätte. Zudem besuche ich in Rio ein paar<br />
Freunde, und natürlich lassen sich diese<br />
zwei Wochen sehr gut mit einem Urlaub<br />
verbinden. Denn auch wenn man nicht<br />
selbst auf der olympischen Matte stehen<br />
wird, ist die Vorbereitung sehr anstrengend<br />
für uns alle in der Nationalmannschaft.<br />
Zur optimalen Vorbereitung sind<br />
Trainingspartner sehr wichtig. Also stehe<br />
ich bereit für jeden, der mich als Partnerin<br />
benötigt, um noch an Kleinigkeiten<br />
zu arbeiten. Und nach dieser Vorbereitung<br />
habe ich mir den Urlaub unter der<br />
Sonne verdient!<br />
•<br />
Das Jahr von Johanna Müller<br />
Die Serie<br />
Nationalmannschaftskämpferin Johanna<br />
Müller berichtet ein Jahr lang<br />
in jeder Ausgabe von ihren Wettkämpfen,<br />
ihrem Training und ihren Erfahrungen<br />
im Nationalteam. Die 57-Kilo-Athletin<br />
vom PSV Olympia Berlin<br />
lässt uns an ihren Eindrücken und<br />
Gedanken teilhaben und ermöglicht<br />
Blicke hinter die Kulissen des Spitzensports.<br />
<br />
•<br />
42<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 07/16
SPORTGESCHEHEN<br />
Serie: Mein Jahr in der Nationalmannschaft<br />
Kraft muss sein<br />
Von Johanna Müller<br />
Krafttraining ist fester Bestandteil im Wochenplan der Top-<strong>Judo</strong>kas.<br />
Unsere Nationalmannschaftsautorin berichtet<br />
K<br />
rafttraining ist für uns in der Nationalmannschaft<br />
ein großes und<br />
sehr wichtiges Thema. Zum einen<br />
natürlich, um der Gegnerin möglichst<br />
körperlich überlegen zu sein und<br />
sie somit dominieren zu können. Zum<br />
anderen aber auch, um Verletzungen tunlichst<br />
vorzubeugen.<br />
Es gibt viele Arten von Krafttraining.<br />
Beispielsweise auch das eintönige<br />
„Pumpen“ im Kraftraum,<br />
also viele statische Übungen<br />
mit viel oder wenig<br />
Gewicht mit hohen oder<br />
niedrigen Anzahlen. Ich<br />
persönlich muss mich zu<br />
dieser Art des Krafttrainings<br />
immer extrem motivieren,<br />
weil mir das einfach keinen<br />
Spaß macht. Aber es gehört auch dazu<br />
und muss gemacht werden.<br />
Dann gibt es aber noch Training, bei<br />
dem Kraft- mit Koordinationsübungen<br />
verbunden werden. So kann ein breites<br />
„Anfällige<br />
Regionen<br />
besonders<br />
schulen.“<br />
„Bodybuilding“ für <strong>Judo</strong>kas<br />
Foto: Micha Neugebauer<br />
Bewegungsfeld entstehen, das meist als<br />
Zirkel auf der <strong>Judo</strong>matte absolviert wird.<br />
Diese Art von Krafttraining macht mir<br />
mehr Spaß. Die Übungen sind näher am<br />
<strong>Judo</strong> dran, und ich kann sie dynamisch<br />
ausführen.<br />
Und dann gibt es für uns noch das<br />
Stabilisations-Training, auch Reha-Training<br />
genannt. Hierbei geht es nicht vordergründig<br />
um die Kraft, sondern<br />
um die Koordination und Konzentration.<br />
Dieses Training<br />
ist nicht nur nach Verletzungen,<br />
sondern auch zur<br />
Prävention wichtig. Speziell<br />
bei einem Kontaktsport<br />
wie <strong>Judo</strong>, wo die Kraft von<br />
zwei Personen auf den Körper<br />
einwirkt. Bestimmte, sehr anfällige<br />
Regionen, etwa Rücken, Knie und Schultern,<br />
müssen bei uns <strong>Judo</strong>kas besonders<br />
geschult werden. Oft gibt es hierfür einen<br />
speziell ausgebildeten Trainer, der<br />
ein eigenes Programm aufstellt, damit<br />
jeder individuell an seinen „Schwächen“<br />
arbeiten kann (Anm. d. Red.: Siehe hierzu<br />
auch Start der neuen Serie „Die Fitness-Übungen<br />
der Nationalmannschaft“<br />
und Interview mit DJB-Physiotherapeut<br />
Marco Welz in dieser Ausgabe).<br />
Jährliche Überprüfung<br />
Bei uns in der Nationalmannschaft ist das<br />
Krafttraining ein Grundbestandteil des<br />
täglichen Trainings. Sowohl am Heimatstützpunkt<br />
als auch in Trainingslagern<br />
geht es immer wieder in den Kraftraum,<br />
um unsere Kraftwerte zu steigern. Einmal<br />
im Jahr kommt es zur Leistungsüberprüfung<br />
der Werte. Hier wird dann anhand<br />
einer Tabelle geschaut, in welchen Bereichen<br />
Nachholbedarf besteht. Dies sind<br />
aber immer nur Richtlinien. Wichtig ist,<br />
wie man mit der eigenen Kraft im Wettkampf<br />
die Gegnerin dominieren kann.<br />
Krafttraining macht sicher nicht jedem<br />
Spaß, man kann es aber variieren<br />
und somit für sich die richtige Mischung<br />
finden. Es ist wichtig für den Erfolg im<br />
<strong>Judo</strong>sport und gesund für den ganzen<br />
Körper, solange es in Maßen betrieben<br />
wird. <br />
•<br />
Das Jahr von Johanna Müller<br />
Die Serie<br />
Eine besondere Serie im <strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong>:<br />
Nationalmannschaftskämpferin<br />
Johanna Müller berichtet ein ganzes<br />
Jahr lang in jeder Ausgabe von<br />
ihren Wettkämpfen, ihrem Training<br />
und ihren Erfahrungen im Nationalteam.<br />
Die 57-Kilo-Athletin vom PSV<br />
Olympia Berlin lässt die Leserinnen<br />
und Leser an ihren Eindrücken und<br />
Gedanken teilhaben und ermöglicht<br />
so Blicke hinter die Kulissen des Spitzensports.<br />
<br />
•<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 08/16 21
In JM App/eMag:<br />
NADA-Videos zum Ablauf<br />
von Dopingkontrollen!<br />
Eine Dopingprobe kann von Johanna Müller<br />
und allen anderen <strong>Judo</strong>kas der Nationalmannschaft<br />
jederzeit eingefordert werden<br />
Foto: Micha Neugebauer<br />
Serie: Mein Jahr in der Nationalmannschaft<br />
Wenn es klingelt …<br />
Von Johanna Müller<br />
Dopingkontrollen. Alle wissen, worum es geht. Die wenigsten<br />
wissen allerdings, was das für eine Athletin alles mit sich bringt<br />
M<br />
an muss zwei Arten von<br />
Kontrollen unterscheiden:<br />
Kontrollen nach einem Wettkampf<br />
und Kontrollen zu Hause oder<br />
beim Trainingslager. Kontrollen nach einem<br />
Wettkampf sind für uns recht häufig<br />
und daher ziemlich normal. Nach einem<br />
erfolgreichen Turnier werden aus<br />
den Medaillengewinnern zwei bis drei<br />
ausgelost, die nach der Siegerehrung zur<br />
Dopingprobe auf die Toilette müssen.<br />
Das kann recht flott gehen oder ziemlich<br />
lange dauern – je nachdem, wie viel Gewicht<br />
man vorher gemacht hat oder wie<br />
viel man während des Wettkampfs getrunken<br />
oder auch nicht getrunken hat,<br />
kann man direkt auf Toilette oder halt<br />
lange Zeit nicht...<br />
Meist begleiten einen die Trainer mit<br />
in den Warteraum, damit man nicht zu<br />
lang alleine rumsitzt. In guten Fällen<br />
bekommt man ein Bier, damit man seine<br />
Medaille gleich etwas mehr genießen<br />
kann! Die Kontrollen können 15 Minuten<br />
dauern – oder bis zu fünf, sechs Stunden.<br />
Siehe oben. Hat man es endlich geschafft,<br />
die 90 Milliliter voll zu machen, hat das<br />
Warten noch kein Ende. Es kann nämlich<br />
auch sein, dass der Urin zu „dünn“ ist.<br />
Dann muss man eine neue Probe abgeben,<br />
gegebenenfalls auch eine dritte.<br />
Nachdem das alles überprüft wurde,<br />
geht es ans Formulare ausfüllen und Abfüllen<br />
in kleine Fläschchen (Probe A und<br />
B). Bei den Formularen werden persönliche<br />
Daten aufgenommen und einge-<br />
24<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 09/16
SPORTGESCHEHEN<br />
nommene Medikamente abgeklärt, um<br />
späteren Missverständnissen vorzubeugen.<br />
Zum Schluss werden auf allen Verpackungen,<br />
Fläschchen und Formularen<br />
die Nummern verglichen, damit es nicht<br />
zu Unstimmigkeiten oder Verwechslungen<br />
kommt. Dann wird alles sicher verpackt<br />
und die Kontrolle ist beendet.<br />
Um 6 Uhr morgens<br />
Bei den Heimkontrollen ist<br />
der Ablauf der Gleiche, allerdings<br />
das Drumherum<br />
nicht. Es gibt ein Onlinesystem,<br />
bei dem man lange<br />
im Voraus für jeden Tag angeben<br />
muss, wo man sich befinden<br />
wird, also beim Training,<br />
im Trainingslager, beim Wettkampf, im<br />
Urlaub, bei der Freizeitgestaltung am Wochenende...<br />
Man kann immer und überall<br />
und zu jeder Zeit kontrolliert werden.<br />
Oft wird man morgens um 6 Uhr<br />
aus dem Bett geklingelt. Doch auch vor<br />
dem Wettkampf können Kontrollen ungelegen<br />
kommen. Speziell als Vertreterin<br />
einer Sportart, in der man aufs Gewicht<br />
achten muss, ist ein paar Tage vor dem<br />
Wettkampf bisweilen „nicht mehr viel zu<br />
holen“. Gewicht wird in den letzten Tagen<br />
vor dem Wettkampf meist über Minimierung<br />
von Trinken gemacht.<br />
„Immer und<br />
überall und zu<br />
jeder Zeit.“<br />
Johanna Müller bei einem Wettkampf. Danach können<br />
Dopingkontrollen lange dauern<br />
Foto: David Finch<br />
Nun sitzt man also morgens um 6 Uhr<br />
mit der Kontrolleurin im Wohnzimmer<br />
und wartet darauf, dass man es<br />
schnell hinter sich bringen kann. Morgens<br />
klappt das meist ganz gut, doch<br />
mittags oder am Nachmittag passiert es<br />
öfter, dass man gerade von der Toilette<br />
kommt, wenn es klingelt. Und dann<br />
kann das Ganze wieder ein paar<br />
Stündchen dauern. Ebenfalls<br />
speziell ist, dass die Kontrolleurin<br />
immer bei einem<br />
sein muss, vom Wäschewaschen,<br />
über Einkaufen<br />
bis zu sonstigen Terminen.<br />
Sie begleitet einem zum<br />
Training, in die Uni, überall<br />
hin. Zudem muss man immer<br />
über das Handy erreichbar sein, falls<br />
die Kontrolleurin an der Haustür klingelt,<br />
man aber gerade nicht da ist. Dann<br />
wird man angerufen und muss sich innerhalb<br />
einer Stunde mit der Kontrolleurin<br />
treffen – sonst bekommt man einen<br />
sogenannten „Missed Test“. Drei<br />
davon, und es droht eine Sperre von drei<br />
Monaten bis zu zwei Jahren.<br />
Kontrolle statt Freizeitspaß<br />
Ich hatte nun schon die eine oder andere<br />
Kontrolle, die meisten verliefen ohne<br />
Probleme, ich war früh zu Hause anzutreffen<br />
und konnte<br />
das Ganze schnell<br />
über die Bühne bringen.<br />
An eine Kontrolle<br />
erinnere ich mich<br />
allerdings bis heute.<br />
Es war kurz vor<br />
Weihnachten, die<br />
Kölner Trainingsgruppe<br />
hatte sich<br />
verabredet, abends<br />
zusammen auf den<br />
Weihnachtsmarkt zu<br />
gehen. Es wäre in jenem<br />
Jahr mein erstes<br />
Mal gewesen, weil<br />
ich bis dahin zu dieser<br />
Zeit stets in Japan<br />
im Trainingslager war<br />
und es dort so etwas<br />
nicht gibt. Ich habe<br />
mich also schon sehr<br />
gefreut, bin losgefahren<br />
und erinnere mich<br />
Das Jahr von Johanna Müller<br />
Die Serie<br />
Eine besondere Serie im <strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong>:<br />
Nationalmannschaftskämpferin Johanna<br />
Müller berichtet ein ganzes<br />
Jahr lang in jeder Ausgabe von ihren<br />
Wettkämpfen, ihrem Training<br />
und ihren Erfahrungen im Nationalteam.<br />
Die 57-Kilo-Athletin vom PSV<br />
Olympia Berlin lässt die Leserinnen<br />
und Leser an ihren Eindrücken und<br />
Gedanken teilhaben und ermöglicht<br />
Blicke hinter die Kulissen des <strong>Judo</strong>-<br />
Spitzensports. <br />
•<br />
noch, dass es ziemlich lange gedauert<br />
hat, weil die Bahnen ausgefallen waren.<br />
Nachdem ich es endlich geschafft hatte<br />
und am Heumarkt ausstieg, um mich<br />
dort mit den anderen zu treffen, klingelte<br />
mein Handy, unbekannte Nummer.<br />
Ich ahnte es schon, denn mit unterdrückter<br />
Nummer ruft immer die<br />
Nationale Anti Doping Agentur, die<br />
NADA, an. Ich nahm das Gespräch<br />
an – und wie sollte es anders sein, die<br />
gute Frau der Dopingkontrolle meldete<br />
sich sehr freundlich. Wir telefonierten<br />
kurz, sie fragte, wo ich mich derzeit befinden<br />
würde. Nachdem wir beide festgestellt<br />
hatten, dass eine Kontrolle auf<br />
einem überfüllten Weihnachtsmarkt<br />
wohl schwer durchzuführen sein würde,<br />
stieg ich in die nächste Bahn nach<br />
Hause. Dort angekommen, wartete die<br />
Frau bereits vor meiner Haustür. Wir<br />
gingen in meine Wohnung, und die<br />
Kontrolle dauerte zwei Stunden. Endlich<br />
fertig, war meine Trainingsgruppe<br />
schon wieder auf dem Rückweg vom<br />
Weihnachtsmarkt. Für mich war der<br />
Abend gelaufen.<br />
Ohne Zweifel ist es wichtig, Sportlerinnen<br />
und Sportler regelmäßig zu<br />
überprüfen, und meist ist es auch recht<br />
unkompliziert. Allerdings sind das ständige<br />
Eintragen des genauen Standorts<br />
(was man schnell mal vergessen kann,<br />
wenn sich kurzfristig die Pläne ändern)<br />
und die ständige Abrufbereitschaft natürlich<br />
lästig. Für einen sauberen Sport<br />
nehme ich das allerdings selbstverständlich<br />
in Kauf. <br />
•<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 09/16 25
w w w. j o h a n n a - m u e l l e r - j u d o . d e
Serie: Mein Jahr in der Nationalmannschaft<br />
Weiter geht’s!<br />
Johanna Müller trainiert wieder und kennt ihre Ziele:<br />
„Auch wenn es mit Rio nicht geklappt hat, gebe ich nicht auf und<br />
habe Olympia immer noch im Blick, dieses Mal in Tokio“<br />
Foto: Micha Neugebauer<br />
Von Johanna Müller<br />
Wie heißt es so schön: Nach<br />
den Spielen ist vor den Spielen!<br />
Die Olympischen Spiele in Rio de<br />
Janeiro sind gerade erst zu Ende<br />
gegangen, und trotzdem trainieren<br />
alle weiter. Warum?<br />
Natürlich heißt es für die<br />
Olympioniken, erst einmal<br />
pausieren, Urlaub machen,<br />
Verletzungen<br />
auskurieren<br />
und die Seele baumeln<br />
lassen. Das haben<br />
sie sich mehr als verdient!<br />
Doch leider darf ja nicht jeder<br />
bei den Spielen dabei sein.<br />
Was macht der Rest der Nationalmannschaft<br />
also so kurz danach? Genau.<br />
Nachdem wir uns wieder von den Olympia-Bildschirmen<br />
wegbewegen können,<br />
geht es nahtlos weiter. Jeder weiß, wo<br />
seine Defizite liegen oder hat eine neue<br />
Technik bei den Spielen entdeckt, die er<br />
übernehmen möchte. Also heißt es von<br />
Neuem: ans Werk!<br />
Zuvor habe aber auch ich mir zwei<br />
Wochen Urlaub gegönnt. Jeder, ob Olympionike<br />
oder auf Olympia Hoffender,<br />
„Jeder hat seinen<br />
Fahrplan.“<br />
hat in den vergangenen Wochen, Monaten<br />
und Jahren alles gegeben und auch<br />
oft zurückgesteckt. Da war der Urlaub<br />
mehr als verdient. Doch mehr als ein,<br />
zwei Wochen waren auch dieses Mal<br />
nicht drin. Im <strong>Judo</strong> geht es direkt weiter:<br />
World Cups, Grand Prix und Grand<br />
Slams stehen bis Ende des Jahres auf dem<br />
Plan. Wir <strong>Judo</strong>kas haben keine echte Saison;<br />
wir haben von Januar bis Dezember<br />
Wettkämpfe und Trainingslager in<br />
der ganzen Welt. Und die beste<br />
Zeit, um Weltranglistenpunkte<br />
zu sammeln, ist die<br />
nach den Spielen, wenn die<br />
Topjudokas pausieren oder<br />
gar aufhören. Natürlich<br />
muss man auch dann gegen<br />
Topathletinnen und -athleten<br />
gewinnen. Doch die Ausgangslage<br />
auf einem Setzplatz ist etwas angenehmer.<br />
Selbst wenn die nächste Olympiaqualifikation<br />
erst in zwei Jahren beginnt,<br />
ist der Platz, den man sich bis dahin erkämpft<br />
hat, nicht zu unterschätzen.<br />
Sein nächstes Ziel anvisieren<br />
Aber natürlich ist nicht alles auf Turniere<br />
ausgelegt. Die Planung, wie das Jahr weitergehen<br />
soll, liegt ganz beim Bundestrainer.<br />
Er besetzt die Turniere und erkennt<br />
auch, bei wem und wann es Zeit ist, eine<br />
Wettkampfpause einzulegen und an anderen<br />
Dingen zu arbeiten. Denn nicht<br />
nur zum Punktesammeln ist die Zeit nach<br />
den Spielen geeignet, auch zum Kraftaufbau,<br />
zum Feilen an neuen und alten<br />
Techniken sowie um konditionelle Fähigkeiten<br />
zu verbessern.<br />
Jeder in der Nationalmannschaft hat<br />
also seinen „Fahrplan“, der vom Bundestrainer<br />
und den Landestrainern mit den<br />
Sportlern zu besprechen ist. Das ist natürlich<br />
zeitintensiv, doch ohne diese Besprechung<br />
geht es nicht. Danach hat der eine<br />
den Fahrplan, Punkte zu sammeln, um in<br />
der Weltrangliste aufzusteigen. Ein anderer,<br />
vielleicht schon recht weit vorne im<br />
Ranking platziert, bekommt ein spezielles<br />
Programm, um Defizite zu minimieren<br />
oder neue Techniken ins Profil zu übernehmen.<br />
So können die Trainingspläne recht<br />
unterschiedlich gestaltet sein, aber jeder<br />
weiß, woran er arbeiten muss und was seine<br />
nächsten Ziele sind. Und je nachdem,<br />
wie die Olympioniken sich entscheiden,<br />
also ob sie dabeibleiben oder ihre Karriere<br />
in der Nationalmannschaft beenden, sind<br />
sie auch bald wieder dabei. Es gibt da einige,<br />
die schon kurze Zeit nach Olympia<br />
vom <strong>Judo</strong> wieder nicht genug bekommen<br />
können und schnell auf der Matte stehen,<br />
um ihr nächstes Ziel anzuvisieren. •<br />
Das Jahr von Johanna Müller<br />
Die Serie<br />
Eine besondere Serie im <strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong>:<br />
Nationalmannschaftskämpferin<br />
Johanna Müller berichtet ein ganzes<br />
Jahr lang in jeder Ausgabe von<br />
ihren Wettkämpfen, ihrem Training<br />
und ihren Erfahrungen im Nationalteam.<br />
Die 57-Kilo-Athletin vom PSV<br />
Olympia Berlin lässt die Leserinnen<br />
und Leser an ihren Eindrücken und<br />
Gedanken teilhaben und ermöglicht<br />
so Blicke hinter die Kulissen des Spitzensports.<br />
<br />
•<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 10/16 31
SPORTGESCHEHEN<br />
Serie: Mein Jahr in der Nationalmannschaft<br />
Mein Weg<br />
Gerader Blick voraus. Johanna Müller vor der Skulptur<br />
„Molecule Man“ in der Spree in Berlin-Treptow<br />
Foto: Micha Neugebauer<br />
Von Johanna Müller<br />
Duale Karriere, also die Vereinbarkeit von Sportlaufbahn und beruflicher Ausbildung, ist aktuell ein<br />
großes Thema. Auch für unsere Nationalmannschaftsautorin<br />
Neben all den schönen Seiten im<br />
Sport, für die man gern seine<br />
Freizeit hintenanstellt, ist es natürlich<br />
wichtig, die Zukunft im Auge zu<br />
behalten. Schließlich ist nicht jede Sportart<br />
mit viel Geld, medialer Aufmerksamkeit<br />
und Absicherung für später gesegnet.<br />
Im <strong>Judo</strong> kann man hier und da etwas<br />
Geld verdienen, aber niemals so viel, dass<br />
die Zukunft nach dem Sport gesichert ist.<br />
So muss man sich nach der Schulzeit klar<br />
werden, wie es weitergehen soll. Einige<br />
entscheiden sich gegen den Sport und für<br />
ein zeitaufwändiges Studium, andere versuchen,<br />
es so zu planen, dass Sport und<br />
Zukunft auf einem Weg liegen. Bei uns<br />
gibt es hauptsächlich drei Wege, um neben<br />
dem Spitzensport <strong>Judo</strong> seine berufliche<br />
Zukunft nicht zu vernachlässigen.<br />
Der erste Weg führt zur Bundespolizei.<br />
Hier gibt es ein extra Sportlerprogramm<br />
für Bundespolizisten.<br />
Dieses ist so angelegt,<br />
„Das Wichtigste ist,<br />
dass man weiß,<br />
was man will.“<br />
dass sich Sportler aus allen<br />
olympischen Sportarten bewerben<br />
können, zusätzlich<br />
muss der Bundestrainer<br />
zustimmen. Nach erfolgreicher<br />
Bewerbung (mit Sportuntersuchung,<br />
schriftlichem und<br />
mündlichem Test) wird eine Klasse aus<br />
etwa acht bis zwölf Sportlern zusammengestellt.<br />
Diese Ausbildung sieht natürlich<br />
etwas anders aus als die typische Polizeiausbildung.<br />
Die Sommersportler kommen<br />
Ende des Jahres für vier Monate in<br />
Kienbaum bei Berlin zusammen,<br />
außer im letzten Ausbildungsabschnitt,<br />
da dauert die Ausbildung<br />
sechs Monate. Die<br />
Wintersportler werden im<br />
Sommer und in Bayern,<br />
ausgebildet. Die restlichen<br />
acht Monate sind sie für den<br />
Sport freigestellt. Die Ausbildung<br />
dauert vier Jahre. Ähnliche<br />
Konzepte gibt es mittlerweile auch bei<br />
einigen Landespolizeieinrichtungen.<br />
24<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 11/16
Die zweite Möglichkeit ist die Bundeswehr.<br />
Dafür habe ich mich entschieden.<br />
Die Bundeswehr stellt ebenfalls einen guten<br />
Arbeitgeber dar. Auch hier gibt es ein<br />
spezielles Sportlerprogramm. Nach der<br />
Schule durchläuft man, wie bei der Polizei,<br />
ein Einstellungsprogramm (sportlich,<br />
schriftlich, ärztlich und mündlich), zusätzlich<br />
benötigt man ein Schreiben vom<br />
Bundestrainer, denn die Plätze sind rar<br />
und begehrt.<br />
Bundeswehr plus Studium<br />
Der Bundestrainer prüft die sportliche Perspektive.<br />
Ist alles geschafft, geht es wie bei<br />
allen Soldaten in die allgemeine Grundausbildung.<br />
Für Sportler wird sie allerdings<br />
etwas kürzer (sechs Wochen) gestaltet,<br />
da der Trainingsrückstand nicht zu<br />
groß werden soll. Nach der Grundausbildung<br />
geht es an den Sportfördergruppensitz,<br />
der für die <strong>Judo</strong>kas liegt in Köln. Hier<br />
treffen sich die Sportlerinnen und Sportler<br />
einmal im Monat, um einen militärischen<br />
Dienst abzuleisten. Er beinhaltet unter<br />
anderem Waffen- und ABC-Ausbildung,<br />
Formaldienst und Organisatorisches. Zirka<br />
alle zwei Jahre stehen Lehrgänge an,<br />
um beispielsweise im Dienstgrad aufzusteigen<br />
und um weiter in der Ausbildung<br />
der Bundeswehr zu bleiben. Wer nun<br />
denkt, dass das nichts mit Zukunftsplanung<br />
zu tun hat, der irrt. Denn es ist heute<br />
ebenfalls möglich, parallel ein Studium zu<br />
Viel Training kostet viel Zeit, das geht<br />
zulasten der beruflichen Ausbildung<br />
<br />
Fotos: Micha Neugebauer<br />
beginnen; das tut ein Großteil der Bundeswehrsportler<br />
auch. Die Bundeswehr geht<br />
in allen Belangen vor, aber ich finde, man<br />
kann Sport, Studium und Bundeswehr gut<br />
unter einen Hut bringen. Ich beispielsweise<br />
studiere seit 2011 Sport und Gesundheit<br />
in Prävention und Therapie an der Deutschen<br />
Sporthochschule in Köln, bin zurzeit<br />
Hauptgefreiter und werde ab Ende<br />
Oktober einen achtwöchigen Lehrgang in<br />
Hannover absolvieren, um im Dienstgrad<br />
aufzusteigen. Nach Beendigung werde ich<br />
dann Unteroffizier sein.<br />
Die dritte Möglichkeit ist natürlich das<br />
alleinige Studium. Es ist der finanziell<br />
und organisatorisch am schwierigsten<br />
zu meisternde Weg. Sponsorenunterstützung,<br />
Sporthilfeförderung,<br />
Stipendien, Hilfe aus der Familie und<br />
eventuelle Preisgelder sind für den Lebensunterhalt<br />
nötig. Auch Vereine,<br />
Bundesligateams und Olympiastützpunkte<br />
helfen, so gut es geht, damit jeder<br />
Sportler seinen Weg findet, um sich<br />
erfolgreich um seinen Sport, aber auch<br />
um die berufliche Zukunft danach zu<br />
kümmern.<br />
Entscheidung nach Abitur<br />
Nach dem Abitur stand für mich diese<br />
Entscheidung an, hierbei hat mich<br />
meine Familie sehr unterstützt, denn<br />
sie sind mit mir die einzelnen Optionen<br />
durchgegangen und haben ihre Unterstützung<br />
zugesagt. Natürlich will man<br />
seinen Eltern nicht zu sehr und zu lange<br />
auf der Tasche liegen, deshalb habe<br />
ich mich für die Bundeswehr entschieden.<br />
Ich finde: Das Wichtigste für die<br />
persönliche Planung ist, dass man weiß,<br />
was man will, voll hinter dem steht, für<br />
das man sich letztendlich entschieden<br />
hat und dass man sein Ziel nicht aus<br />
den Augen lässt. Dann kann man seinen<br />
Sport ausführen, ohne Angst haben<br />
zu müssen, am Ende ohne etwas dazustehen.<br />
<br />
•<br />
Das Jahr von Johanna Müller<br />
Die Serie<br />
Viele Wochen im Jahr ist die Nationalmannschaft im Ausland im Trainingslager<br />
Nationalmannschaftskämpferin Johanna<br />
Müller berichtet ein Jahr lang<br />
in jeder Ausgabe von ihren Wettkämpfen,<br />
ihrem Training und ihren<br />
Erfahrungen im Nationalteam. Die<br />
57-Kilo-Athletin vom PSV Olympia<br />
Berlin lässt uns<br />
an ihren Eindrücken<br />
und<br />
Gedanken teilhaben<br />
und ermöglicht<br />
Blicke<br />
hinter die<br />
Kulissen des<br />
Spitzensports.<br />
•<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 11/16 25
w w w. j o h a n n a - m u e l l e r - j u d o . d e
SPORTGESCHEHEN<br />
Serie: Mein Jahr in der Nationalmannschaft<br />
Turbulentes Ende<br />
Von Johanna Müller<br />
<strong>2016</strong> ist fast rum, damit endet<br />
die Serie unserer Nationalmannschaftsautorin.<br />
Zum<br />
Schluss blickt sie auf ihr<br />
<strong>Judo</strong>jahr zurück und schaut<br />
nach vorn<br />
Zum Jahresende wurde es turbulent.<br />
Die Verträge der Bundestrainer<br />
wurden nicht verlängert, was bei<br />
uns im Frauenbereich überraschte. Viele<br />
Fragen kamen auf: Wie geht es weiter,<br />
wer übernimmt diese Position? Was passiert<br />
mit Michael Bazynski? Welche Veränderungen<br />
stehen an? Am schnellsten<br />
wurde die Nachfolge-Frage beantwortet.<br />
Claudiu Pusa, der vormalige und sehr erfolgreiche<br />
U21-Bundestrainer, wird neuer<br />
Frauen-Bundestrainer. Ich selbst habe ihn<br />
schon ein Jahr als Trainer erleben dürfen,<br />
als er 2009 die Juniorinnen übernahm.<br />
Weitere Veränderungen werden folgen.<br />
Etwa in punkto Kaderplätze, wie zu<br />
hören ist. Es soll weniger geben, somit haben<br />
die neuen Bundestrainer gleich die unangenehme<br />
Aufgabe, zum Teil sehr erfolgreichen<br />
<strong>Judo</strong>kas sagen zu müssen, dass sie<br />
nicht mehr dabei sind. Für Tokio 2020 soll<br />
es ein Top-Team mit 14 Männern und 14<br />
Frauen geben, zudem B- und C-Kader.<br />
Am Jahresende „ruft“ natürlich ein<br />
Rückblick: Für mich begann <strong>2016</strong><br />
mit Platz zwei bei den Deutschen<br />
Meisterschaften. Es<br />
folgten Erfolge bei kleineren<br />
Turnieren, allerdings hatte<br />
ich auch oft das Nachsehen.<br />
Irgendwie kam ich<br />
nicht richtig in Tritt, hatte nie<br />
die Mittel, ganz nach vorne zu<br />
kommen. Doch ich arbeitete weiter<br />
an mir, und zum Ende des Jahres habe ich<br />
endlich wieder richtig Spaß auf der Matte.<br />
So konnte ich in Abu Dhabi meine erste<br />
Grand-Slam-Medaille erkämpfen. Wenige<br />
Zeit nach Olympia war dieser Wettkampf<br />
„Meine erste<br />
Grand-Slam-<br />
Medaille.“<br />
Aufstehen und für 2017 richten. Die JM-Redaktion drückt Johanna Müller<br />
fürs kommende Jahr die Daumen und dankt herzlich für die Zusammenarbeit!<br />
nicht so gut besetzt wie üblich, doch es<br />
ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ich<br />
werde weiter an mir arbeiten, damit ich<br />
nächstes Jahr oft vorne mitmischen kann.<br />
Jahresabschluss in Grosny<br />
Derzeit absolviere ich als Sportsoldatin<br />
einen Feldwebelanwärter-Lehrgang in<br />
Hannover. Hier werden wir in die militärische<br />
Ausbildung eingewiesen, um<br />
andere Soldaten ausbilden zu können.<br />
Dieser Bundeswehrlehrgang dauert acht<br />
Wochen, und ich habe einen komplett<br />
anderen Alltag: Antreten ist immer um<br />
7 Uhr. Morgens wie gewohnt trainieren,<br />
das geht nicht. Nur<br />
nach Dienstschluss um<br />
16.30 Uhr bleibt dafür Zeit.<br />
Mein Kampfjahr <strong>2016</strong><br />
werde ich mit dem Bundesligateam<br />
des JSV Speyer<br />
abschließen, beim Golden-<br />
League-Turnier am 17. Dezember<br />
in Grosny, der Hauptstadt<br />
der russischen Teilrepublik Tschetschenien.<br />
Im vergangenen Jahr haben wir bei<br />
der Golden League Bronze gewonnen.<br />
Danach heißt es, Kraft und Energie sammeln,<br />
um 2017 anzugehen! Ich freu mich<br />
Foto: Klaus Müller<br />
drauf und bin gespannt, was die Veränderungen<br />
im DJB mit sich bringen. Ich<br />
wünsche allen ein frohes Fest und hoffe,<br />
das Lesen dieser Serie und der kleine<br />
Einblick in das Innenleben der Nationalmannschaft<br />
hat Spaß bereitet! •<br />
Das Jahr von Johanna Müller<br />
Die Serie<br />
Nationalmannschaftskämpferin Johanna<br />
Müller berichtete ab Januar<br />
<strong>2016</strong> ein Jahr lang in jeder Ausgabe<br />
von ihren Wettkämpfen, ihrem<br />
Training und ihren Erfahrungen im<br />
Nationalteam. Die 57-Kilo-Athletin<br />
vom PSV Olympia Berlin ließ uns<br />
an ihren Eindrücken<br />
und<br />
Gedanken<br />
teilhaben und<br />
ermöglichte<br />
so Blicke hinter<br />
die Kulissen<br />
des Spitzensports.<br />
•<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> 12/16 35