Vom Umgang mit einer veränderlichen Natur - Stiftung Natur und ...
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3. Tatsachenfeststellung, Prognose <strong>und</strong> wissenschaftliche<br />
Erkenntnis | An die Auslegung der Norm<br />
schließt sich die Tatsachenfeststellung in einem laufenden<br />
Verwaltungs- <strong>und</strong> daran anschließenden verwaltungsgerichtlichen<br />
Verfahren an. Hier stellen sich schwierige Probleme.<br />
Auf der ersten Stufe geht es um die Er<strong>mit</strong>tlung des<br />
Ist-Zustands: Wie ist der Zustand des von <strong>einer</strong> behördlichen<br />
Entscheidung, etwa über den Bau eines Verkehrsweges,<br />
betroffenen Lebensraums <strong>und</strong> der in ihr vorgef<strong>und</strong>enen<br />
Exemplare von geschützten Arten gegenwärtig,<br />
d.h. vor dem Eingriff? Dazu gehört auch die Frage, welche<br />
Entwicklungstendenzen <strong>und</strong> natürlichen Schwankungen<br />
zu beobachten sind. Auf der zweiten Stufe stellt sich die<br />
Frage, wie sich der Eingriff auf den Lebensraum <strong>und</strong> die<br />
Arten auswirken wird. Welche Veränderungen sind da<strong>mit</strong><br />
verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> wie werden diese die Qualität des Lebensraums<br />
<strong>und</strong> der in ihm lebenden Arten beeinflussen? Dies<br />
setzt eine Prognose voraus, die hinsichtlich der Vollständigkeit<br />
<strong>und</strong> Validität der zugr<strong>und</strong>e gelegten Tatsachen <strong>und</strong><br />
der Methodik ihrer Würdigung im Hinblick auf die relevante<br />
Fragestellung, d.h. der aus ihnen gezogenen Folgerungen<br />
<strong>und</strong> von ihnen abgeleiteten Vorhersagen, <strong>mit</strong> mancherlei<br />
Unsicherheiten behaftet ist.<br />
Es gehört keineswegs zu den Ausnahmesituationen,<br />
dass Verwaltungsbehörden <strong>und</strong> Verwaltungsgerichte, die<br />
zu <strong>einer</strong> Entscheidung aufgerufen sind, selbst keine ausreichende<br />
Sachkenntnis zur Beurteilung des maßgebli -<br />
chen Sachverhalts besitzen. In dieser Situation greift man<br />
im Allgemeinen auf Sachverständige zurück (, die bei<br />
behördlichen Entscheidungen auch aus <strong>einer</strong> technischwissenschaftlichen<br />
Fachbehörde kommen können). Das<br />
Verwaltungsverfahrensgesetz |§ 26|sieht hinsichtlich des<br />
behördlichen Verfahrens <strong>und</strong> die Verwaltungsgerichtsordnung<br />
|§ 98|in Bezug auf das Verwaltungsstreitverfahren<br />
daher ausdrücklich die Möglichkeit eines Sachverstän -<br />
digenbeweises vor. 17 Im Bereich des Umweltschutzes<br />
ergibt sich vielfach die Notwendigkeit, auf Sachverstän -<br />
digengutachten zurückzugreifen. Dies betrifft sowohl die<br />
Feststellung des Ist-Zustands als auch die Prognose s<strong>einer</strong><br />
Veränderung aufgr<strong>und</strong> des geplanten Eingriffs. Die<br />
Hinzuziehung von Sachverständigen durch den Vorhabenträger,<br />
die zuständige Behörde <strong>und</strong> die Gegner des Vorhabens<br />
entspricht denn auch in Fällen, in denen ein öffent -<br />
liches Investitions- oder Planungsvorhaben FFH-Gebiete<br />
oder den Artenschutz berührt oder sonst wie in <strong>Natur</strong> <strong>und</strong><br />
Landschaft eingreift, der üblichen Praxis. Das Verwal-<br />
tungsgericht kann einen eigenen Sachverständigen be -<br />
stellen, sich aber auch der für die Behörde erstellten Gutachten<br />
bedienen. 18 Parteigutachten gelten primär als Vortrag<br />
der jeweiligen Partei; sie können – müssen aber nicht<br />
– ebenfalls als Beweis<strong>mit</strong>tel verwertet werden. Die Heranziehung<br />
von Sachverständigen löst die Entscheidungs -<br />
probleme im naturschutzrechtlichen Verfahren jedoch<br />
nicht in vollem Umfang.<br />
Zum einen widerspräche es der richterlichen Verantwortung,<br />
wenn der Richter sich unbesehen auf Sachverständigengutachten<br />
verlassen würde, selbst wenn es sich<br />
nicht um Parteigutachten, sondern um dem Anspruch<br />
nach objektivere Gutachten handelt, die das Gericht oder<br />
die Behörde selbst in Auftrag gegeben hat. Er hat vielmehr<br />
eine Pflicht zu eigenverantwortlicher Überprüfung. 19 Im<br />
Vorfeld des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, nämlich<br />
bei der behördlichen Amtser<strong>mit</strong>tlung im Verwaltungsverfahren,<br />
gilt eine entsprechende Prüfpflicht für die zuständige<br />
Verwaltungsbehörde, wenn diese nicht auf internen<br />
Sachverstand zurückgreifen kann. 20 Zum anderen steht der<br />
Richter oft vor der Aufgabe, sich zwischen divergierenden<br />
Sachverständigengutachten (einschließlich Parteigutachten,<br />
selbst wenn sie nur als Parteivortrag gelten) entscheiden<br />
zu müssen. Nicht zu Unrecht hat man – in Bezug auf<br />
Verwaltungsstreitverfahren – deshalb davon gesprochen,<br />
dass Umweltprozesse zu allererst Sachverständigenprozesse<br />
sind. 21<br />
Die da<strong>mit</strong> der Verwaltungsbehörde <strong>und</strong> dem Richter<br />
zugesprochene Rolle als letzte Instanz klingt paradox,<br />
wenn man von der Prämisse fehlenden wissenschaftlichen<br />
Sachverstands der Entscheidungsträger ausgeht. Der<br />
Richter ist kein Ökologe <strong>und</strong> kann daher ökologische<br />
Streitfragen nicht entscheiden. Wie kann er sich dann<br />
die Rolle eines Obergutachters anmaßen? Indessen geht<br />
es nicht darum, an die Stelle eines angezweifelten oder<br />
mehrerer divergierender Gutachten ein neues zu setzen.<br />
Vielmehr ist es Aufgabe der Verwaltungsbehörde <strong>und</strong><br />
letztlich des Richters, das Gutachten <strong>einer</strong> rechtlichen<br />
Bewertung daraufhin zu unterziehen, ob <strong>mit</strong> seinen Aus -<br />
sagen die relevanten Beweise geführt sind. Die maßgeblichen<br />
Rechtsfragen sind von der Behörde <strong>und</strong> letztlich<br />
vom Richter zu entscheiden. Dabei kann – muss aber<br />
nicht – der Behörde ggf. ein fachlicher Beurteilungsspielraum<br />
eingeräumt werden.<br />
Die richterliche Verantwortung gilt zunächst für die<br />
Frage, ob der Sachverständige den Sachverhalt hinsicht-<br />
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