Berufsverband bildender Künstler Hamburg - Das Magazin für Kunst ...
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4 o.T. Thema | Ausstellungen Ausstellungen o.T. 5<br />
HAMBURG<br />
Wenn der Parkplatz zur<br />
Partylounge mutiert<br />
SKULPTUREN BEVÖLKERN DIE CITY NORD<br />
Der anspruchsvollste Beitrag zum Thema <strong>Kunst</strong> im öffentlichen Raum findet<br />
dieses Jahr nicht in der Hafencity statt, sondern in der City Nord. Und obwohl<br />
die <strong>Hamburg</strong>er “<strong>Kunst</strong> im öffentlichen Raum” jahrzehntelang auf international<br />
vorbildliche Weise von der Kulturbehörde mit Millionen gefördert wurde,<br />
handelt es sich diesmal um ein komplett privat finanziertes Projekt. Denn<br />
das Ensemble der auftrumpfenden Betonburgen etlicher Konzerne, in den<br />
späten fünfziger Jahren durchaus erfolgreich als Entlastungs-City geplant,<br />
hat nach seiner Hochzeit in den siebziger Jahren doch nun ein wenig Imageprobleme.<br />
Und in so einer Lage keimt bei den dortigen Grundeigentümern<br />
– im weltweiten Vergleich gewiss nicht zum ersten Mal – die Hoffnung, dass<br />
gerade <strong>Kunst</strong> hier helfen könne.<br />
Mirco Reisser | Mauersprengung’, 2006,<br />
dreidimensionales Graffittiobjekt<br />
Jan Koechermann | „Unterführung 2“, 2006, Installation<br />
Bei aller Freude über dieses Engagement ist es inzwischen, als ob die <strong>Kunst</strong><br />
zu einem wohlfeilen Kartenspiel wird, mit dem sich die <strong>Hamburg</strong>er Stadtquartiere<br />
zu übertrumpfen trachten. Nun gut, genießen wir dieses Spiel!<br />
Denn 30 nicht ganz unbekannte <strong>Künstler</strong> vom <strong>Hamburg</strong>er Architektursimulationsexperten<br />
Jan Köchermann über den in Berlin lebenden Cherokee-Indianer<br />
Jimmie Durham bis zum US-amerikanischen Konzept-<strong>Kunst</strong>-Klassiker<br />
Lawrence Weiner intervenieren in den Grünzug, der die Hochhaus-Solitäre<br />
verbindet – oder, je nach Sichtweise, trennt.<br />
Der junge Sammler Rik Reinking fungiert als Kurator. Er hat Einzelskulpturen,<br />
Skulpturengruppen und Installationen ausgewählt, Konzerte und Video-<br />
<strong>Kunst</strong>. Auf verschiedenen Plattformen werden Real-Life-Projekte und Performances<br />
realisiert. Für die etwa 30.000 in der City Nord Beschäftigten wird<br />
es zu überraschenden Eingriffen in die örtlichen Gegebenheiten kommen: So<br />
verschwindet ein Weg und ein Parkplatz wird zur Partylounge. Graffitis mani-<br />
festieren sich als dreidimensionale Skulpturen, Straßenlaternen mutieren zu<br />
kristallinen Kandelabern, Stühle hängen am Himmel, Bäume laden Feen ein<br />
und Hinweisschilder fordern vehement mehr Un-Sinn. | HAJO SCHIFF<br />
<strong>Künstler</strong> übernehmen die Bürostadt – ein Skulpturenprojekt in der City Nord<br />
14. Mai bis zum 24. September 2006. Eröffnung mit Senatorin Karin von Welck:<br />
Sonntag, 14. Mai, 11 Uhr. Organisation: Galerie Peter Borchardt.<br />
Veranstalter: Grundeigentümer-Interessengemeinschaft City Nord GmbH<br />
HAMBURG<br />
Kampf ums Herzgebiet<br />
KUNSTPROJEKT „STILE DER STADT“ IN ALTONA<br />
<strong>Das</strong> schleichende Drama von Niedergang und Stillegung, das Altonas Einkaufszone<br />
Große Bergstraße zusehends ins Abseits sinken lässt, ist Ausgangspunkt<br />
der groß angelegten <strong>Kunst</strong>intervention „Stile der Stadt“.<br />
Schauplätze der in drei Teile aufgegliederten Ausstellung sind die Fußgängerzone<br />
Große Bergstraße, die halböffentliche Glaspassage des Forums Altona<br />
und die Fassade des nebenan liegenden ehemaligen Karstadthauses.<br />
<strong>Das</strong> aufwendige Projekt, an dem 34 hiesige und auswärtige <strong>Künstler</strong>innen<br />
und <strong>Künstler</strong> teilnehmen, wurde von den <strong>Hamburg</strong>er Kuratoren Filomeno<br />
Fusco und Dirck Möllmann in Zusammenarbeit mit Ludwig Seyfarth (Kurator<br />
und Autor, Berlin) konzipiert. Einige der zentralen Fragen der Veranstalter<br />
lauten: Sind die Einkaufsstraßen, die in den 1970er-Jahre in deutschen<br />
Städten eingerichtet wurden, heute noch funktionsfähig? Und was muss<br />
unternommen werden, damit die Innenstadtquartiere wieder an Lebendigkeit<br />
gewinnen? Denn mit der künstlerischen Bespielung soll nicht nur der<br />
Ort thematisiert werden. Es geht, so Fusco, auch darum, mit Hilfe der <strong>Kunst</strong><br />
„Konzepte zu entwickeln“, wie aus dem urbanen Brachgelände wieder ein<br />
städtisches „Herzgebiet“ gemacht werden kann.<br />
Christoph Rütimann | Still aus „Handlauf Plovdiv (Fragment)“<br />
Rund die Hälfte der Arbeiten ist eigens <strong>für</strong> „Stile der Stadt“ entstanden.<br />
Alle <strong>Künstler</strong>beiträge beschäftigen sich indes mit den Wechselbeziehungen<br />
zwischen Konsument und Konsumgut, Shoppingeinrichtungen<br />
und ihren Nutzern, Angebot und Nachfrage im Spannungsfeld<br />
akuter Abbruch- und erst wieder zu mobilisierender Aufbruchstimmung.<br />
FOTOS: 1. MIRCO REISSER, JAN KOECHERMANN, CHRISTOPH RÜTIMANN<br />
FOTOS: SOMON BOUDVIN/GALERIE HÄNGEVOSS-DÜRKOP, 2. STAATLICHES MUSEUM SCHWERIN<br />
Zugleich findet im Rahmen der Schau die erste Verleihung eines neu initiierten<br />
Videokunstpreises statt, der fortan jährlich vergeben werden soll (18.5.,<br />
21 Uhr). Die Auswahl wird aus den 16 gezeigten Videoarbeiten getroffen,<br />
darunter die Mehrfachspiegelung der <strong>Hamburg</strong>er <strong>Künstler</strong>in Anja Steidinger:<br />
In einem leeren Schaufenster erblickt man von außen Bilder einer belebten<br />
Einkaufszone. Die Passanten im Film wiederum konterkarieren die Leere der<br />
Großen Bergstraße, während die realen Betrachter beim Blick in die Fülle des<br />
virtuellen Geschehens ihrerseits gefilmt werden. | BELINDA GRACE GARDNER<br />
Einkaufszone Große Bergstraße, <strong>Hamburg</strong>-Altona, Eröffnung 11. Mai, 19 Uhr. Bis-26.5.2006,<br />
Koordinationsbüro “Stile der Stadt“: Große Bergstraße 152, www.stile-der-stadt.de<br />
HAMBURG<br />
Masse und Form<br />
SIMON BOUDVIN IN DER GALERIE HENGEVOSS-DÜRKOP<br />
Simon Boudvin | „Kyeongju“, 2004, Koreanische Königsgräber<br />
Einen Namen machte sich Simon Boudvin mit Fotografien, denen er architektonische<br />
Ready-Made-Qualitäten zusprach. In ihnen waren Häuser, Straßenführungen<br />
oder ganze Stadtlandschaften zu sehen, die dem ersten Blick<br />
zwar ungewöhnlich, keineswegs aber unmöglich vorkamen. Zwei ineinander<br />
verkeilte Häuser etwa, oder ein in sich geschlossener Autobahnring, der neben<br />
den vertrauten Zu- und Abfahrten von Schnellstrassen eine Art stoisches<br />
Eigenleben führte. Erst der zweite Blick entpuppte die Bilder als geschickt<br />
inszenierte sowie digital bearbeitete architektonische Fiktionen.<br />
Mit seinen neuen Arbeiten verläßt Boudvin das Reich der Fiktion und architektonischen<br />
Raffinesse. Zwar bleiben Fotografie und Architektur als Form<br />
sowie Inhalt seiner Bilder weiter dominant. Doch wendet sich Boudvin in<br />
ihnen primitiven, elementaren Architektur-Konzepten zu. Er betitelt sie mit<br />
„Exometries“ - <strong>für</strong> den <strong>Künstler</strong> und ausgebildeten Architekten so viel wie<br />
das negative Pendant zur Gleichmass und organisches Wachstum meinenden<br />
Isometrie. Seine Fotografien zeigen umhüllte Gebäude, ausgehöhlte<br />
Steinbrüche oder monumentale Königsgräber aus Korea. Nichts in ihnen ist<br />
manipuliert. Hinzu kommt eine monumentale Kletterwand, die Boudvin in<br />
der Mitte der Galerieräume errichtet.<br />
Architektur reduziert Boudvin auf das Abtragen oder Ausgraben einer Masse,<br />
um durch diesen Primär-Akt architektonische Form zu erzeugen. Entweder<br />
erweist sich das Ausgehöhlte selbst als Gebäude, wie im Falle der Steinbrüche,<br />
oder die aufgehäufte Masse wird zur architektonischen Manifestation<br />
– so die koreanischen, an Hünengräber erinnernden Königsgräber. In der<br />
Spannung von Form und Antiform, von Aushöhlung und Anhäufung, von monolithischer<br />
Präsenz und amorpher Masse, findet Boudvin die Koordinaten<br />
seines architektonischen Interesses. Für den Franzosen eine Art historische<br />
Ausgangssituation, der Null-Punkt der „construction architecturale“.<br />
| WOLF JAHN<br />
Bis 8. Juni, Galerie Hengevoss-Dürkop,<br />
Klosterwall 13, 20095 <strong>Hamburg</strong>, T. 30 39 33 82, www.hengevossduerkop.de<br />
SCHWERIN<br />
Die Russen kommen<br />
OST-AVANTGARDE IM STAATLICHEN MUSEUM<br />
1. Iwan Kljun, Futuristische Lokomotive, 1914, Öl auf Leinwand | 2. Wassily Kandinsky, Schwarze<br />
Spannung, 1925, Aquarell und Tusche | 3. Antoine Pevsner Le lis noir, 1944, Bronze<br />
Kasimir Malewitschs Suprematismus reiner geometrischer Formen, die Relief-<br />
konstruktionen Wladimir Tatlins und die raumbezogenen Arbeiten Alexander<br />
Rodtschenkos sind auch <strong>für</strong> die westeuropäische <strong>Kunst</strong> bleibende Impulse,<br />
nicht nur <strong>für</strong> das Bauhaus und die zwanziger und dreißiger Jahre des 20.<br />
Jahrhunderts. Doch da kaum ein deutsches Museum eine größere Sammlung<br />
dieser <strong>Kunst</strong> hat, bieten Sonderausstellungen einen willkommenen Anlass<br />
zur Begegnung mit dieser osteuropäischen Avantgarde. <strong>Das</strong> Staatliche Museum<br />
Schwerin kann jetzt 65 Bilder, Skulpturen, Collagen und Grafiken von<br />
russischen <strong>Künstler</strong>n wie Wassily Kandinsky, Kasimir Malewitsch, Alexander<br />
Rodtschenko, Ljubow Popowa und Wladimir Tatlin aus einer Privatsammlung<br />
zeigen, Werke der Ungarn Lajos Kassák und Lászlo Moholy-Nagy sowie<br />
deutscher <strong>Künstler</strong>, unter ihnen Walter Dexel und Otto Freundlich, in deren<br />
Kompositionen die utopischen Ideale der Russen nachklingen.<br />
Die Sammlung zeigt das gesamte Spektrum des konstruktivistischen Formenvokabulars<br />
von seinen Anfängen der Ablösung vom Naturvorbild, der<br />
Rezeption futuristischer und kubistischer Elemente bis hin zu rein experimentellen<br />
Versuchen. Außerdem wird mit 56 Originalmanifesten, <strong>Künstler</strong>büchern,<br />
frühen Katalogen und Gedichtbänden auch das Buch als Medium<br />
der konstruktivistischen Avantgarde vorgestellt. | HAJO SCHIFF<br />
„Von Kandinsky bis Tatlin – Konstruktivismus in Europa“, Staatliches Museum Schwerin,<br />
Alter Garten 3, 19055 Schwerin; T. 0385-59580, www.museum-schwerin.de;<br />
Eröffnung 12. Mai, 19 Uhr; bis 13. August.