Cruiser im Mai - Freigeschaltete Version
Egal ob Hetero oder Homo: Im Jahr 2017 scheint es ganz so, als ob es für den Mann schwierig ist, sich als Mann zu behaupten oder zu positionieren. Aber: Muss er das überhaupt?
Egal ob Hetero oder Homo: Im Jahr 2017 scheint es ganz so, als ob es für den Mann schwierig ist, sich als Mann zu behaupten oder zu positionieren. Aber: Muss er das überhaupt?
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cruiser
DAS
mai 2017 CHF 7.50
GRÖSSTE
SCHWEIZER
GAY-MAGAZIN
Der geknechtete Mann
Wenn Männlichkeit zur
Bürde wird
Martin Jascur
Neues Verständnis für Mode
Urs Blaser
Ein Leben fürs Theater
Florian Burkhardt
Das Comeback
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Chlamydien,
Tripper,
Syphilis
Starman sagt:
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3
Editorial
Liebe Leser
Derzeit ist es gerade wieder etwas en Vogue, den «Feminismus» aufleben zu lassen. Wobei es «den
Feminismus» als solches ja gar nicht gibt: Im aktuellen Fall sind es jüngere Frauen, die auf die Strasse
gehen und für mehr Gleichheit demonstrieren. Gleichheit zwischen Mann und Frau, wohlgemerkt. Im
Zuge dieser an sich sinnvollen Entwicklung gibt es aber auch immer mehr Heteromänner, die sich nun
selbst auch diskriminiert fühlen. Dass der Mann an sich oft gar nicht mehr weiss, was er nun noch «darf» und was nicht, sorgt das
für Verwirrung. Und Ratlosigkeit. Vor allem bei den Heteros. Denn die Schwulen mussten sich meist schon in der Pubertät mit der
Thematik «Wo ist denn nun mein Platz in der Gesellschaft» auseinandersetzten. Birgit Kawohl guckt in unserer Titelgeschichte mal
so ganz generell, wie es «dem Mann» so geht und wo der schwule Mann dabei geblieben ist.
Viel Spass mit dem neuen Cruiser!
Haymo Empl, Chefredaktor
inhalt
4 Thema Der geknechtete Mann
10 News Update
11 Reportage Urs Blaser und
seine Kammerspiele
13 Kultur Buchtipp
14 Kolumne Michi Rüegg
15 Comeback Florian Burkhardt
16 Portrait Martin Jascur
19 News Update
20 Kultur Angels in America
21 News Update
22 Serie Ikonen von Damals
23 Reportage Studio 43 in Bern
25 Fingerfertig Nihat kocht
26 Kolumne Mirko
27 Reisen Gay Travel
29 Serie Homosexualität in
Geschichte und Literatur
32 Ratgeber Dr. Gay
33 Kolumne Peter Thommen
34 Flashback Cruiser vor 30 Jahren
impressum
CRUISER MAGAZIN PRINT
ISSN 1420-214x (1986 – 1998) | ISSN 1422-9269 (1998 – 2000) | ISSN 2235-7203 (Ab 2000)
Herausgeber & Verleger Haymo Empl, empl.media
Infos an die Redaktion redaktion@cruisermagazin.ch
Chefredaktor Haymo Empl | Stv. Chefredaktorin Birgit Kawohl
Bildredaktion Haymo Empl, Nicole Senn. Alle Bilder mit Genehmigung der Urheber.
Art Direktion Nicole Senn | www.nicolesenn.ch
Agenturen SDA, DPA, Keystone
Redaktion Print Vinicio Albani, Anne Andresen, Yvonne Beck, Andreas Faessler,
Mirko, Moel Maphy, Michi Rüegg, Alain Sorel, Peter Thommen, Nihat.
Korrektorat | Lektorat Birgit Kawohl
Anzeigen anzeigen@cruisermagazin.ch
Christina Kipshoven | Telefon +41 (0) 31 534 18 30
WEMF beglaubigte Auflage 11 539 Exemplare
Druck Druckerei Konstanz GmbH
Wasserloses Druckverfahren
REDAKTION UND VERLAGSADRESSE
empl.media, Haymo Empl
Winterthurerstrasse 76, 8006 Zürich
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CRUISER MAGAZIN ONLINE
Herausgeber & Verleger Haymo Empl, empl.media
Haftungsausschluss, Gerichtsstand und weiterführende
Angaben auf www.cruisermagazin.ch
Der nächste Cruiser erscheint am 2. Juni 2017
CRUISER mai 2017
4
Thema
Männlichkeit als Bürde?
Der geknechtete
Mann
Männlichkeit wird immer mehr
zur Bürde. Der Mann von heute
wird hin- und hergerissen
zwischen dem Versuch, altes
Rollendenken zu erfüllen,
zugleich aber modern
und innovativ daherzukommen.
Und der
schwule Mann
steht einmal
mehr zwischen
allen
Stühlen.
CRUISER mai 2017
Thema
Männlichkeit als Bürde?
5
Von Birgit Kawohl
M
ännlichkeit, das ist einer der Begriffe,
der einem völlig selbstverständlich
über die Lippen kommt
und wenn man dann sagen soll, was man
eigentlich darunter verstehe, reicht es
meistens nur zu einem «Äh, …». Wikipedia
kann da selbstverständlich einmal
mehr weiterhelfen – solange man sich jedenfalls
für heterosexuelle Männlichkeit
interessiert, was schwule Männlichkeit
angeht, darüber schweigt sich Wikipedia
aus – und so erfährt man, dass Männlichkeit
kulturell dem Mann zugeschriebene
Eigenschaften umfasse. Aha. Da sich Kultur
aber in einem dauernden Wandel
befindet, ist schnell klar, dass sich aus dieser
Begriffsdefinition und der Erfüllung
selbiger einige Reibungspunkte ergeben,
denen in diesem Artikel nachgegangen
werden soll und vor allem deren Auswirkungen
auf den «modernen Mann» untersucht
werden sollen.
Die Biologie verschafft Männern
eindeutig Vorteile
Da ist zunächst einmal die biologischevolutionäre
Komponente des Begriffs, der
die physischen Merkmale eines Mannes im
Unterschied zu einer Frau beschreibt. Dieser
Bereich ist sicher in weiten Teilen am objektivsten
zu beurteilen, denn Männer sind – in
der Regel – stärker als Frauen. Dies liegt, was
allgemein bekannt ist, am männlichen Sexualhormon
Testosteron. Das Hormon, das
massgeblich beteiligt ist am Aufbau von
Muskelgewebe und Muskelmasse, ist bei
Frauen in einem zehn- bis zwanzigfachen
Masse weniger vorhanden als bei Männern.
Zudem unterscheidet sich der Aufbau der
Muskelzellen bei Männern und Frauen insofern,
als dass die männlichen Zellen mehr
Energie als weibliche Muskelzellen produzieren
können. Na gut, haben also Männer
mehr Kraft und mehr Ausdauer. Das ist ja so
schlecht nicht. Schwierig wird es erst dann,
wenn man sieht, was die Gesellschaft heutzutage
daraus macht. Während es in früheren
Kulturen sinnvoll war, dass man wusste,
dass Männer stärker sind, ist diese körperliche
Eigenschaft heute weitgehend nicht
mehr von Belang. Selten müssen Männer
Kraft ist ein angeborenes
Phänomen.
Speere gegen Mammuts schleudern oder einen
Gegner mit eigener Kraft erledigen.
Dazu gibt es mittlerweile viele phantastische
technische Hilfsmittel. Trotzdem meinen
Heteromänner auch heutzutage noch, sie
müssten sich beim weiblichen Geschlecht
über diese althergebrachten physischen ➔
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AMAG Horgen, 8810 Horgen Tel. 044 727 40 40, www.horgen.amag.ch
AMAG Utoquai, 8008 Zürich, Tel. 044 269 51 51, www.utoquai.amag.ch
AMAG Winterthur, 8406 Winterthur, Tel. 052 208 32 00, www.winterthur.amag.ch
CRUISER mai 2017
6
Thema
Männlichkeit als Bürde?
Der Mann im Jahr 2017 weiss irgendwie nicht, wo er hingehört. Egal ob schwul oder hetero.
Eigenschaften definieren, und in den meisten
Fällen meinen sie dies nicht einmal zu
Unrecht, da Frauen immer noch lieber einen
starken Mann als einen «Lauch» (jugendsprachliches
Synonym für einen schmächtigen
Mann) an ihrer Seite haben. Nicht umsonst
zeigen sich gewiefte Erfolgsmenschen
wie Wladimir Putin gerne oben ohne, um
ihren gut sichtbaren Bizeps zu präsentieren,
woraus seine Landsleute schliessen sollen,
dass er sich kraftvoll für sie einsetzt und alle
Menschen ausserhalb Russlands möglichst
vor Angst den Atem anhalten. Viele Männer
sehen sich dazu gezwungen, fortwährend
Muskeln aufzubauen und zu erhalten, auch
wenn dies für ihren Job als Buchhalter vollkommen
unwichtig ist. Dieses Phänomen
lässt sich gut an der stetig wachsenden Zahl
an Fitnessstudios ablesen, die zudem immer
mehr Hardcore-Trainierer haben, also – zumeist
junge bis sehr junge – Männer, die tagtäglich
mehrere Stunden an den Geräten
verbringen. Im Leben dieser Menschen
dreht sich meist alles ums Pumpen: der Tagesablauf,
der Ernährungsplan, die Gedanken.
Ganze Branchen leben vom Fitnesswahn,
der aus dem Wunsch entspringt,
männlich zu sein. Warum sich der schwule
Mann dann ebenfalls diesem Muskeldiktat
unterwirft, ist nicht ganz klar, schliesslich
muss er keine Frau mit seiner Stärke beeindrucken.
CRUISER mai 2017
Bestärkt wird dieses Bild immer wieder
von der Werbebranche, die natürlich gut
gebaute – ein Sixpack ist ein Must-have –
Models zur Vermarktung ihrer Produkte
einsetzt. Dabei ist es unerheblich, ob für das
beworbene Produkt überhaupt ein muskulöser
Körper notwendig ist. Ein speckiges
Model kann nicht einmal Zahnpasta bewerben,
das wirkt angeblich zu negativ und damit
absatzsenkend.
Wenn nun eine Diskrepanz zwischen
Ideal und Realität auftritt, kommt es zu den
üblichen Reaktionen: Der Körper und die
Psyche suchen sich Auswege, mit diesem
Dilemma umzugehen und schaffen sich damit
häufig neue Dilemmata. Wenn es schon
mit den Muskeln nichts wird, will man wenigstens
schlank sein. Dies führt dazu, dass
es mittlerweile immer mehr männliche Patienten
in der bisherigen Frauen-Domäne Anorexie
gibt. Was in den meisten Fällen sogar
einen heftigeren Verlauf hat, da Männer sich
in der Regel und das auch typisch dem
Männlichkeitsideal entsprechend nur sehr
schwer über ihre Probleme äussern.
Männer reden immer noch zu wenig
über ihre Probleme
Womit wir bei der zweiten Kategorie der
Männlichkeit wären: den mentalen Charakteristika,
die man Männern zuschreibt. In
diesem Bereich finden sich immer wieder
schnell Begriffe wie Mut, Gewalt und Führungsbereitschaft.
Diese Kategorie wird bereits
in den frühen Kindheitsjahren geprägt,
denn Jungen bekommen weitaus öfter als
ihre weiblichen Pendants von Erwachsenen
zu hören, dass man doch bitte schön nicht
weine (wenn man sich die Knie aufgeschlagen
hat, wenn man mit dem Velo gestürzt ist,
wenn man vom Schulkollegen eins auf die
Nase bekommen hat), denn schliesslich gilt:
«Ein Indianer kennt keinen Schmerz.» Was
aber ist mit den Jungen, die vielleicht viel lieber
ein Cowboy wären? Ach so, die weinen
selbstverständlich auch nicht, wenn man ihnen
die Frau erschiesst, vielmehr schnappen
sie sich dann selbst ein Gewehr und stellen
sich mutig allen Widernissen. Also ein
Mann weint nicht und wenn doch, dann ist
er etwas ganz Besonderes. Wir erinnern uns
an den Raufbold Horst Schimanski, dargestellt
von Götz George, dessen Handlung in
dem Kinofilm «Faust auf Faust» mit einem
Song von Klaus Lage unterlegt wurde, der
die Zeile enthält «Fang’ doch jetzt bloss nicht
an zu weinen, du spielst doch sonst so’n harten
Mann». Offenbar hat also der super
Macho Schimi geweint, wie später deutlich
wird, hat ihn eine Frau ins Gefühlschaos gestürzt.
Einem Schimanski/George konnte
dieser kleine Fauxpas natürlich nichts anhaben,
im Gegenteil, die Frauenwelt schmolz
einmal mehr vollkommen dahin, denn hier
Thema
Männlichkeit als Bürde?
7
hatte jemand das goldene Los gezogen, ein
echter Mann (Muskeln, Mut, Eigensinn), der
trotzdem Gefühl zeigt, quasi ein Socken strickender
Rambo.
Andere Männer, die nicht von ihrem
positiven Ruf profitieren können, können
sich allerdings solche und andere Schwächen
kaum leisten, denn «Ein Indianer kennt keinen
Schmerz» (s.o.), was übrigens auch für
Schwule gilt, die vielleicht schon als Kind weder
Indianer noch Cowboy sein wollten. Dies
hat weitreichende Auswirkungen: Immer
noch sterben Männer mehrere Jahre früher
als Frauen, lt. dem Bundesamt für Statistik
liegt der Unterschied derzeit bei ca. vier Jahren.
Dies liegt zum einen sicherlich an der
weitaus höheren Risikobereitschaft vor allem
von jungen Männern, bei illegalen Strassenrennen
beträgt die Männerquote nahezu 100
Prozent und auch in Extremsportarten wie
Mountainflying oder Cliff-Diving sind Männer
eindeutig überrepräsentiert. Wer mehr
riskiert, verunfallt schneller und kann im
schlimmsten Fall seinen Verletzungen erliegen.
Allein beim Basejumping verunglückten
seit 1980 ca. 260 Menschen/Männer. Das
klingt erst einmal nicht so viel, wenn man
sich allerdings überlegt, dass es sich meistens
um Männer in der Blüte ihres Lebens handelt,
kommt man schon ins Nachdenken.
Aber nicht nur die gegenüber Frauen erhöhte
Lieber tot als schwach.
Risikobereitschaft schlägt sich negativ in der
Lebenserwartung der Männer nieder. Schwerer
wiegt, dass Männer Schwächen nicht so
gerne zugeben – es sei denn, es ist ein ganz
gemeiner Schnupfen, der wird selbstverständlich
in aller Ausführlichkeit zelebriert –
und daher häufig viel zu spät oder auch gar
nicht zum Arzt gehen, um ihren Gesundheitszustand
überprüfen zu lassen. Als
Mann zeigt man lieber Stärke und kippt zur
Not auch im Fussballstadion oder bei der
Arbeit mit einem Herzinfarkt oder Schlaganfall
um. Besser tot, als vorher um Hilfe zu
bitten, um es einmal ganz drastisch zu formulieren.
Wenn Männer doch einmal eine
Schwäche zugeben oder eine Krankeitsvermutung
äussern, wird diese dann gar nicht
richtig wahrgenommen, weil es keiner erwartet
und die meisten Menschen damit
auch gar nicht umgehen können. Der Mann
bekommt meist die Antwort, er solle
sich nicht so anstellen, weil man hinter jeglichem
Schlechtfühlen einen Schnupfen-
Hypochonder vermutet. Dies gilt umso
mehr, je älter der Mann ist, denn die früheren
Generationen sind noch viel stärker als
unsere heutige von der Durchhaltementalität
geprägt. Hier scheinen Schwule eine Ausnahme
zu bilden: Zum einen wurden sie
durch AIDS unweigerlich und auf drastische
Weise mit Krankheit und Tod konfrontiert,
sodass man einfach nicht darum herumkommt,
darüber zu reden, sich untersuchen
zu lassen, die Signale des eigenen Körpers
wahrzunehmen. Andererseits scheinen sie
sowieso emotionaler zu sein, was sie auch
eher über Probleme reden lässt. ➔
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8 Thema
Männlichkeit als Bürde?
Wo sich das Schweigen aber besonders
auffällig bemerkbar macht, ist der Bereich
der psychischen Erkrankungen und deren
schlimmste Auswirkung, der Suizid. 2013
stellten Männer etwa drei Viertel der Toten
in dieser Kategorie (wieviele davon schwul
waren, macht die Statistik leider nicht deutlich).
Dies ist bezeichnend, da ein Grossteil
der Gesellschaft ziemlich sicher vermutet,
dass es unter Frauen sehr viel mehr psychisch
Erkrankte gibt., weil Frauen, wenn es
ihnen schlecht geht, zum einen viel schneller
und meist auch offener darüber reden und
sich zudem viel eher Hilfe suchen. Männer
kommt es auch weniger in den Sinn, helfende
Medikamente zu nehmen, lieber nutzt
man das allzeit probate Hilfsmittel Alkohol,
das passt wenigstens zur Männlichkeit, lässt
es einen doch statt depressiv aggressiv und
manchmal auch gewalttätig agieren, eben
typisch männlich. Vor allem Heteromänner
wollen möglichst wenig von gesellschaftlichen
Normen abweichen, dies gelingt Frauen
besser.
Die Arbeitswelt wirkt als Modernisierungsfalle
Wenn ein junges Mädchen sagt, es wolle
nach der Matura Maschinenbau studieren,
bekommt es meistens Lob zu hören, denn
Frauen sollen sich gemäss Emanzipationsauftrag,
da hat sich Alice Schwarzer ganz
schön kräftig in unseren Köpfen festgesetzt,
in allen möglichen Berufen etablieren,
die bis vor Kurzem noch Männern
vorbehalten waren. Sagt nun ein Junge
aber nach der Schule, er habe vor Erzieher
zu werden, um in einer Krippe zu arbeiten,
wird er in den meisten Fällen ein Naserümpfen
ernten. Mental schreibt man
Männern Talente wie Organisationsfähigkeit
und abstraktes Denken zu, während
bei Frauen wiederum die sozialen Fähigkeiten
betont werden.
So lassen sich für die Studienfachwahl
an der Uni Zürich eindeutige genderabhängige
Vorlieben ausmachen: Während
Wirtschaft und Dienstleistungsstudiengänge
von beiden Geschlechtern ungefähr
gleich häufig belegt werden, kommen im
Technik/IT-Bereich auf ca. 100 weibliche
1700 männliche Studenten und umgekehrt
im Bereich Gesundheit ca. 1200 weibliche
auf 120 männliche Studierende.
Im Falle der Berufswahl kommen
mehrere Faktoren zusammen, die es Männern
erschweren, eine wirklich freie Wahl,
eingeschlossen typischer Frauenberufe, zu
treffen. Zum einen sind dies sicherlich die
eben erwähnten Fähigkeiten, die man Männern
zuschreibt, weswegen man ihnen sehr
viel weniger zutraut, weinende Kleinkinder
zu trösten oder laufende Nasen zu wischen.
Hinzu kommen aber auch die Verdienstmöglichkeiten,
die zwischen einzelnen Berufen
stark divergieren. Klar, mag man
denken, bei manchen Berufen braucht man
Mental schreibt man
Männern Talente wie
Organisationsfähigkeit
und abstraktes Denken zu.
ja auch eine höhere Schulbildung oder hat
eine längere Lehrzeit. Das alleine macht die
Unterschiede aber nicht aus. Vergleicht
man verschiedene Berufsgruppen, fällt sehr
schnell auf, dass die sozialen Berufe im Allgemeinen
sehr viel niedriger bezahlt sind
als die technischen. Wenn man nun zusätzlich
bedenkt, dass sich Männer ihren sozialen
Status immer noch zum Grossteil über
Stimmt nachdenklich:
Unter den zehn einkommensstärksten
Berufen
ist kein einziger sozialer
Beruf zu finden.
ihr Einkommen und ihre damit verbundenen
finanziellen Möglichkeiten sichern
müssen, ist es verständlich, warum sich nur
ein minimaler Prozentsatz der Männer für
den Beruf des Erziehers entscheidet, so
wünschenswert dies auch für die Erziehung
kommender männlicher Generationen
wäre. Unter den zehn einkommensstärksten
Berufen ist kein einziger sozialer Beruf
zu finden, stattdessen tauchen dort Anlageberater,
Projektmanager in der IT-Branche,
Wirtschaftsprüfer und -informatiker auf,
alles «typisch männliche» Berufe. Die festgelegte
Berufswahl bestätigt sich in einer
Statistik der Fachstelle für die Gleichstellung
von Mann und Frau der Stadt Zürich
für das Jahr 2011. Darin werden jeweils folgende
fünf Lieblingsberufe ausgewiesen:
Frauen: Kauffrau, Detailhandelsfachfrau,
Fachfrau Betreuung, Fachfrau Gesundheit.
Coiffeurin – Männer: Kaufmann, Informatiker,
Elektroinstallateur, Detailhandelsfachmann,
Polymechaniker. Überrascht?
Wohl kaum.
CRUISER mai 2017
Thema
Männlichkeit als Bürde?
9
Auch wenn man nun einwenden mag,
dass sich in den letzten sechs Jahren vielleicht
einiges geändert habe, ist diese Auflistung
doch sehr bezeichnend. Bei den Frauen
findet sich kein einziger technischer Beruf,
bei den Männern umgekehrt kein einziger
sozialer. Hier wirken die alten Gendervorstellungen
immer noch extrem. Hier können
Schwule als Vorreiter dienen, die ja schon
seit Langem häufig soziale Berufe ergreifen
wie z.B. Kranken- oder Altenpfleger.
Neben der freien Berufswahl ist in vielen
Fällen durch den Verdienstfaktor auch
die Wahl der Lebens- respektive Familienform
vorbestimmt. Ist es doch immer noch
so, dass Männer im Schnitt zwischen zehn
bis zwanzig Prozent mehr verdienen als
Frauen in einer vergleichbaren beruflichen
Stellung. Damit erledigt sich in vielen Familien
schnell die Frage, wer nach der Geburt
von Kindern zunächst einmal zu Hause
bleibt, finanziell ist es oft kaum anders möglich,
als dass dies die Frau ist, während sich
der Mann weiterhin in der Arbeitswelt beweisen
muss. Was für ihn natürlich mit einer
massiven Verantwortung verbunden ist,
sieht er sich als Alleinernährer und damit
jeglicher Möglichkeit beraubt, sich eine Auszeit
zu gönnen oder über eine Stundenreduktion
nachzudenken. Dies wiederum
wirkt sich auf die gesundheitliche Verfassung
aus, womit sich ein Teufelskreis (s. o.)
schliesst. Hier haben es Schwule vermeintlich
einfacher, da es in gleichgeschlechtlichen
Partnerschaften weniger um die Sorge
für gemeinsame Kinder und eine damit verbundene
berufliche Auszeit geht, was ja das
derzeit immer noch geltende Adoptionsrecht
gekonnt verhindert.
Viele der oben genannten Beispiele
gelten sicherlich zunächst einmal für Heteromänner,
die sich viel stärker als Männer
in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften
mit den Erwartungen der Gesellschaft auseinandersetzen
müssen. Männer, die mit
Männern schlafen, haben sich ja mindestens
einmal extrem über eine gängige Gesellschaftsvorstellung
hinweggesetzt. Daher
fällt es ihnen manchmal leichter, weitere
Vorstellungen zu ignorieren, wie zum
Beispiel den Umgang mit Gefühlen. Dies gilt
aber sicherlich nicht für alle Bereiche, da
sich auch homosexuelle Männer nicht
andauernd Anfeindungen gegen ihr (biologisches)
Geschlecht aussetzen wollen und
können. Vielleicht können sie aber mit ihrem
Mut, sich als schwul zu outen, die Möglichkeit
aufzeigen, dass Männlichkeit im
21. Jahrhundert zum Glück mehr Facetten
aufweist als Mut, Kraft und Abstraktionsvermögen.
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ALBUM OUT 16.06.2017
CRUISER mai 2017
10
News
Update
NEWS
Lesbenzeitschrift nun auch digital
Die Schweizer Zeitschrift «Lesbenfront» sowie
ihre Nachfolgeorgane sind voll digitalisiert
und im Internet zugänglich. Die einzelnen
Beiträge können als PDF heruntergeladen
werden. Zur Verfügung steht ebenfalls eine
Stichwort-Suche. Das Angebot wurde von
der ETH-Bibliothek bereitgestellt, die schon
zuvor den «Kreis» digitalisiert hat. Dies ist
dem Newsletter von «Schwulegeschichte.ch»
zu entnehmen.
Die einzige deutschsprachige Lesbenzeitschrift
aus der Schweiz erschien während
30 Jahren in Zürich von 1975 bis 2005. Sie
wurde zuerst von der Homosexuellen Frauengruppe
Zürich und, nach deren Auflösung
1980, von der jeweiligen Redaktionsgruppe
herausgegeben. Die Redaktion war unabhängig
und hatte ihren Sitz im Frauenzentrum
Zürich. Von 1975 bis 1985 wurde die
Zeitschrift über den Frauenbuchvertrieb
Berlin auch in Deutschland und Österreich
verkauft, danach nur über Abonnemente sowie
Direktverkauf in der Schweiz, schreibt
«schwulengeschichte.ch» weiter.
www.e-periodica.ch
Neue Gay Bar in Zürich
Nachdem das Dynasty an der Zähringerstrasse
nun Geschichte ist, wagen die beiden
Newcomer Sandro Rigazzi und Remo Hofer
mit neuem Konzept und neuem Namen einen
Reboot. Man bleibt bei englisch und
nennt das Gay-Lokal «Infinity» – über Ostern
wurde Eröffnung gefeiert. Dieser mutige
Schritt wird die momentan eher maue
Szene im Kreis 1 vielleicht wieder etwas beleben.
Eine Webseite existiert noch nicht,
dafür eine geschichtsträchtige Adresse:
Infinity Bar & Lounge
Zähringerstrasse 11
8001 Zürich
CRUISER mai 2017
Reportage
Cruiser zu Besuch beI …
11
«Angefangen habe ich als
Mainzelmännchen»
Bei den Kammerspielen Seeb gibt es viel mehr als nur Kleintheater.
Denn dank Urs Blaser ist jede Aufführung ein Spektakel.
Von Haymo Empl
U
rs Blaser hatte eine etwas andere
Kindheit: Er ging in Beirut, Libanon,
auf die Deutsche Schule. «Mein Vater
arbeitete damals für die Swissair und es
war üblich, dass jeweils an jeder Destination
auch jemand aus der Schweiz vor Ort war»,
erinnert sich Urs Blaser im Gespräch mit
dem Cruiser. Das Interview findet in seinen
«Kammerspielen Seeb» statt, um 10.00 Uhr
morgens. Früh, für einen Mann, der das
Theater liebt und lebt, denn die Nächte sind
oft lang. «Ich war ungefähr zehn Jahre alt,
als ich in Beirut in der Schule meine erste
Theaterrolle hatte», erinnert sich der Schauspieler,
Regisseur und Theaterleiter in Personalunion.
«Damals war der Libanon noch
das ‹Paris des Nahen Ostens› so frei war das
Land bis in die frühen 1970er Jahre.» Eine
Zeit, die für Urs Blaser prägend war. «Ich
konnte dort im Schultheater erste Erfahrungen
sammeln – ich spielte ein Mainzelmännchen.
So viel weiss ich noch, allerdings
nicht mehr, in welchem Kontext.» Später –
zurück in der Schweiz – dann der Ruf der
Schauspielschule. Die Schule rief allerdings
vielleicht nicht ganz so laut wie von Urs ursprünglich
vielleicht erhofft: «Der Schulleiter
sah mich eher als Theaterpädagoge – das
war aber nicht das, was ich mir vorgestellte
hatte». Und – mutig – gründete er kurzerhand
sein eigenes Theater. «Das ist jetzt weit
über 40 Jahre her – zusammen mit meinem
Bruder und Freunden gingen wir das Wagnis
ein und bauten einen alten Schopf um»,
so der Regisseur weiter. Seit 1980 gelten die
Kammerspiele Seeb als ein professionelles
Theater. Dieses wurde dann aber schnell zu
eng und da eine Überbauung anstand, suchte
man ein neues Domizil. Eine stillgelegte
Handorgelfabrik bot sich an und so wurde
dann vor etwas mehr als zehn Jahren am jetzigen
Standort eröffnet.
Theatermensch mit Leib und Seele
Im Foyer stehen bei den Kammerspielen
Seeb Tische, es ist weiss gedeckt und auch
die grosse Bar ist nicht zu übersehen. Hier
wird also mehr als nur Theater geboten.
«Wir bieten auch komplette Genuss-Abende
an – Menü, Getränke und natürlich die
Vorstellung an sich. Ebenfalls sehr beliebt
sind die Brunche. Wenn Urs erzählt, klingt
das nach einem enormen Arbeitspensum.
Tatsächlich ist es so, dass seit 2006 25 Eigenproduktionen
insgesamt 1594 Mal vor
total 123 729 Zuschauern aufgeführt wurden.
Ganzjährig werden sechs Mitarbeiter
beschäftigt. Dazu kommen während der
Spielzeit die Schauspieler sowie teilzeitbeschäftigtes
Personal. Da bleibt wenig Zeit
für die eigene Kreativität, oder? «Ich kann
mich natürlich nach wie vor sehr eingeben.
Schauspielern tue ich aber nicht mehr
selbst, das wäre einfach nicht mehr passend
in meiner Funktion. Ich habe gemerkt,
dass schon alleine das ‹Vorspielen›
in vielen Fällen kontraproduktiv ist, denn
dann versuchen die Schauspieler in manchen
Fällen einfach das zu kopieren, was
ich vorgespielt habe.
Hier wird mehr als nur
Theater geboten.
Wie kommt man denn nun auf Stücke,
die geeignet für die Kammerspiele Seeb
sind? «Ich entscheide ja nicht einfach so ins
Blaue und schaue bereits im Vorfeld sehr genau,
was bei uns funktioniert hat und was
eher nicht. Dann analysiere ich das ‹eher ➔
CRUISER mai 2017
12
Reportage
Cruiser zu Besuch bei …
Die Kammerspiele Seeb in Bachenbülach: Tolle Theaterstücke, originelle Bühnenbilder und
schön viel Plüsch.
Urs Blaser ist der geistige Vater der
Kammerspiele Seeb.
©Bilder: Empl/Kawohl
nicht› und entscheide mich dann auf dieser
Basis für neue Stücke. Wir sind ein kommerzielles
Theater, arbeiten hoch professionell
und sind auf ein volles Haus angewiesen. Die
Kreativität kann ich mit meiner Regiearbeit
übrigens immer noch mehr als genug ausleben.
Und überhaupt, das ganze Umfeld ist
ein Kreativ-Haufen, im positiven Sinne», erklärt
Urs Blaser lachend.
Plüsch, Opulenz und Flair
Im Theater an sich fühlt man sich sofort wie
zu Hause. So muss ein Theater aussehen! Das
klassische Rot der Sitze, den direkten, frontalen
Blick auf die Bühne, diese Opulenz –
fantastisch. Und bei der Führung in den
Backstagebereich merkt man erneut, dass
Urs Blaser sein Theater nicht nur liebt, sondern
lebt. Das schlägt auch auf die Mitarbeitenden
über – der Ton untereinander ist
freundlich, kollegial und man spürt, dass
alle an der Vision «Theater auf höchstem
Niveau» werkeln. Entsprechend haben die
Kammerspiele Seeb auch ein breites Einzugsgebiet.
«Wir haben die Zürichseeufer,
die kommen wirklich von beiden Seiten –
aber erstaunlicherweise wenig Stadtzürcher.»
Was eigentlich verwundert, denn die
Kammerspiele Seeb – vielleicht vergleichbar
mit dem Zürcher «Hechtplatz» – bieten
beinahe noch mehr Flair und sind von der
Programmierung ebenbürtig. Das Theater
CRUISER mai 2017
in Bachenbülach wäre also eine gute Ergänzung
zum «Hechtplatz» – auch programmtechnisch.
Apropos Programmierung:
Welche Stücke schaffen es denn nun
auf den Spielplan? «Wir müssen darauf
schauen, dass wir eine nahezu hundertprozentige
Auslastung haben», erklärt Urs Blaser.
«Das erreichen wir, indem wir Stücke
bringen, die zwar neu sind – durchaus auch
überraschen dürfen, aber nicht verstörend
wirken sollen. Meistens gelingt uns das: Die
Verlage bieten uns bereits Stücke an, welche
«das ganze Umfeld ist
ein Kreativ-Haufen, im
positiven Sinne»
zu uns passen. Ich selbst bin natürlich auch
viel auf Reisen und schaue mir an, was im
Ausland funktioniert – wobei das noch lange
kein Garant dafür ist, dass es auch bei uns
funktioniert. Und dann habe ich selbst mit
meinem Team nach all den Jahren auch ein
Händchen für die richtige Auswahl entwickelt.
Flops gab es bisher gottseidank keine,
wobei, kürzlich hatten wir ‹King Kong› Im
Programm. Das hat irgendwie nicht funktioniert.
Nicht wegen des Stückes an sich, dieses
basierte lose auf dem allerersten Film von
1933, King Kong war ja das erste Monster,
welches explizit für einen Film erfunden
wurde und nicht auf einer Romanvorlage
basierte. Darum hätte es funktionieren sollen»,
erklärt Blaser weiter. «Aber vielleicht
konnte man sich auf Zuschauerseite auf unserer
eher kleinen Bühne einen riesigen Affen
einfach nicht so richtig vorstellen. Es
kamen auf jeden Fall weniger Leute als erwartet,
was ich sehr schade fand, denn die
Leistung der Schauspieler und der Bühnentechnik
war grandios. Urs Blaser zeigt einige
Stills aus dem «Buch der Aufführung»,
auch dieses ist extrem liebevoll gestaltet,
und zeigt, wie sehr dem Theatermanager jedes
Stück am Herzen liegt. Dann schaut Urs
Blaser kurz auf die Uhr. Bald steht eine Mitarbeitersitzung
an. «Diese sind bei uns übrigens
ziemlich sicher um einiges lauter, emotionaler
und kreativer als in anderen Betrieben. Theater
halt eben. Auch bei Sitzungen!» Sagt es,
lacht und verabschiedet sich.
INFO
Die Kammerspiele Seeb in Bachenbülach sind
mit dem Auto und dem ÖV gut zu erreichen.
Den aktuellen Spielplan gibt es auf
www.kammerspiele.ch
Kultur
Buchtipp
13
Die Goldenen Zwanziger schwelgen
in Amoral und Mord
Die zwanziger Jahre, Berlin: Sofort fallen einem die Grossstadtromane von
Fallada und Döblin oder auch die homoerotischen Schriften Klaus Manns
ein, die die pralle Welt der Zwischenkriegszeit zeichnen. Kann das auch in
einem Kriminalroman aus dem Jahr 2017 gelingen?
Von Birgit Kawohl
D
ie Geschichte zusammenzufassen ist
gar nicht so einfach, da sich im Laufe
des Romans die Wege einiger Figuren
aus der höheren und nicht ganz so hohen Gesellschaft
kreuzen. Um zumindest die Figuren
für den Leser klar nachvollziehbar zu machen,
findet man zu Beginn des Werkes eine
Personenliste, ohne die – ehrlich gesagt – der
Leser einige Schwierigkeiten hätte, die einzelnen
Gegebenheiten zu verfolgen.
Der Protagonist, der aus dem Adel
stammende Carl von Bäumer, ist ein bekannter
Schauspieler der UFA, ein Frauenschwarm,
aber leider leider schwul, was der
Öffentlichkeit so nicht bekannt ist, immerhin
gilt der Paragraf 175 auch im ansonsten
so aufgeklärten und wilden Berlin. Liiert ist
er, wie passend, mit einem bürgerlichen Kriminalkommissar.
In ihren Familien wird
ihre Beziehung zwar belächelt, aber auch
nicht wirklich in Frage gestellt, es scheint
insgesamt eine ungeheure Toleranz gegenüber
Homosexuellen und ihrer teilweise
recht offen ausgelebten Sexualität (man bezahlt
jugendliche Stricher und verliebt sich
anschliessend in sie) zu herrschen.
In dieser Gesellschaft kommen nun diverse
Personen in sehr kurzer Reihenfolge zu
Tode, wobei immer die Frage, ist es Mord,
Selbstmord oder war es doch nur ein Unfall
im Raum steht. Bald wird deutlich, dass die
aktuellen Geschehnisse mit längst vergangenen
Vorkommnissen zusammenhängen.
Man ist ja von einigen Kriminalautoren
gewagte und zum Teil auch konstruierte
Handlungen gewohnt – kein Leser fragt sich
zum Beispiel bei den in Island spielenden Kri-
mis, warum es hier dauerhaft zu Mord und
Totschlag kommt, wo doch die Kriminalstatistik
Islands eine durchschnittliche
Mordquote von lediglich 0,3% je 100 000 Einwohner
aufweist – aber in diesem Roman ist
die Unglaubwürdigkeit so greifbar, dass sie
störend wird. Dies liegt eben zum einen an
dem so nicht realistisch wirkenden Umgang
mit Sexualität, zum anderen aber auch an den
zu konstruiert verwobenen Handlungsfäden,
die versuchen, längst Vergangenes mit der
Gegenwart zu verbinden.
Ihr Fachwissen präsentiert die Autorin,
sie promovierte über die Literatur der zwanziger
Jahre, in der Handlung, in dem sie reale
Personen und Organisationen – Muskel-
Adolf trieb tatsächlich in der Weimarer Republik
sein Unwesen, die Ringvereine sind
ebenfalls historisch belegt – in die Handlung
einwebt. Das gibt dem Roman zumindest einen
Hauch von historischem Flair, auch wenn
diese Einbindungen eher unnötig scheinen.
Aufgelöst wird der Fall oder eigentlich die
Fälle, da sich die Straftaten nur so häufen, in
einem Finale à la Agathe Christie. Wir alle erinnern
uns an den grossen Hercule Poirot, der
nach einigen Verwicklungen und Dramen die
Gesellschaft zusammenruft und dann, quasi
aus dem Nichts heraus, die Lösung eines unlösbar
scheinenden Falles präsentiert. Was zu Agathe
Christie dazugehört, wirkt hier allerdings
gekünstelt. Der hübsche Schauspieler, der durch
einige Zufälle und eine Wahnsinnskombinatorik
den Fall löst, sodass sein Partner den gesamten
Urlaub den Abwasch machen muss, längst
vergangene Ereignisse, die plötzlich relevant
werden, all das überzeugt nicht wirklich.
Wer sich in die Welt der zwanziger Jahre
fallen lassen will, dem seien weiterhin die
oben genannten Klassiker empfohlen, wem
es um reine Unterhaltung geht, der kommt
hier durchaus auf seine Kosten.
Buchtipp
Joan Weng: Noble Gesellschaft.
Kriminalroman. atb
Preis CHF 14.90
ISBN 9783746632766
CRUISER mai 2017
14
KOLUMNE
MICHI RÜEGG
Luxusprobleme eines
Gelangweilten
Michi Rüegg sinniert
über den Sinn der Sinne.
VON Michi Rüegg
M
anchmal, wenn mir sehr langweilig
ist, stelle ich mir eine dieser
unnützen Fragen: Wenn du einen
deiner Sinne abgeben müsstest, auf welchen
würdest du am ehesten verzichten? Sehen,
Hören, Riechen, Schmecken und Tasten,
das sind die fünf klassischen.
Der Mensch verlässt sich heutzutage
am ehesten auf seine Sehkraft. Sie bestimmt
so ziemlich alles. Im Tinder-Zeitalter entscheidet
das Auge innerhalb einer halben
Sekunde darüber, ob wir – rein theoretisch –
mit jemandem eine Familie gründen wollen
würden oder nicht. Auf die Augen verzichte
ich jedenfalls ungern, zumindest im Frühling,
wenn die Hosen kürzer werden und
die Arme sich ans Licht wagen.
Vor einigen Tagen fuhr ich mit dem
Velo die Strasse entlang, als ein ungepflegter
Mann kurz vor mir den Fussgängerstreifen
überquerte. Es stank bestialisch, und ich
verfluchte nicht nur den Kerl, sondern alle
Menschen, die ihrer Umwelt starke Körpergerüche
zumuten. Dann machte ich fünfzig
Meter vor mir einen Müllwagen als wahre
Geruchsquelle aus und hatte plötzlich ein
schlechtes Gewissen dem erwähnten Herrn
gegenüber. Ich verzichtete jedoch darauf,
mich im Geiste bei ihm zu entschuldigen.
Schliesslich hatte ich zur Genüge müffelnde
Menschen erlebt. Die kennt man, zum Beispiel
Typen, die über Mittag ins Fitness gehen.
Weil sie das jeweils fix planen, verzichten
sie am Morgen davor auf die Dusche. Ist
ja Wasserverschwendung, zweimal am Tag.
Und dann riecht’s wie Gammelfleisch aus
den Achselhöhlen.
CRUISER mai 2017
Also auf die Nase verzichten? Das hätte
den Vorteil, dass ich mir neben eine Kläranlage
ein wunderschönes Haus bauen könnte.
Allerdings müsste ich auf Besuch verzichten.
Trotzdem, nie wieder riechen? Ich denke an
meine Bordeaux-Sammlung im Keller und
verwerfe den Gedanken wieder.
Und dann riecht’s wie
Gammelfleisch aus den
Achselhöhlen.
Also das Gehör. Eine ältere Dame, die
früher ab und zu in Theaterstücken von mir
mitspielte, hatte während Jahren trotz ausgewiesenen
Bedarfs kein Hörgerät. Wir
schrien sie jeweils an. Zudem hörte sie auf
der Bühne ihre Einsätze nicht – was sie mit
einem guten Zeitgefühl kompensierte. Ich
sprach sie darauf an, ob sie nicht so ein Ding
im Ohr in Betracht ziehe, doch die Dame
wiegelte ab: «Endlich muss mir ich den ganzen
Mist, den die Leute erzählen, nicht mehr
anhören.» Aufs Gelaber könnte ich dann
und wann auch verzichten, aber Musik mag
ich schon ganz gern. Nicht so krass wie einige
Zeitgenossen, die permanent mit Kopfhörern
rumlatschen. Und Konzerte mag ich eh
nicht. Aber im Kino nur noch Untertitel lesen
hat irgendwie auch keinen Reiz.
Mein Gaumen und ich sind ein seit
Jahren eingespieltes Team. Ich lasse ihm
grosse Freiheiten und versuche ihm, dann
und wann etwas zu bieten. Ja, ich suche
kulinarische Perfektion und Abwechslung.
Ganz im Gegenteil zu einem meiner
Ex-Freunde. Er ass praktisch nur Wiener
Schnitzel mit Pommes, Chicken Nuggets
mit Ketchup und Toast mit Industriekäse.
Alles andere war ihm zuwider. Wäre ich
wie er, ich würde sofort auf den Geschmackssinn
verzichten. Schmeckt ja
eins wies andere. Doch ich bin weder er,
noch wie er, weshalb die Beziehung dann
auch scheiterte.
Bleibt also der Tastsinn. Und bei dem
frage ich mich manchmal, was er im Reigen
der bedeutenden Sinne verloren hat.
Ist es wirklich schlimm, wenn ich die Fliege
nicht mehr spüre, die sich gerade auf
meine Stirn gesetzt hat? Doch der Tastsinn
spielt beim Sex eine gewisse Rolle. Und
obschon Geschlechtsverkehr in meinem
Leben schon einen höheren Stellenwert
hatte – man muss ihn ja nicht noch langweiliger
machen, indem man den Tastsinn
verschenkt. Zudem würde meinen ohnehin
schon angeschlagene Feinmotorik
(wenn ich nüchtern bin, habe ich einen
Hang zum Zittern) ohne Tastsinn noch
mieser werden.
Wie immer, wenn ich mir also die
Frage stelle, welchen Sinn ich hergeben
würde, kann ich mich nicht auf eine Antwort
einigen. Vielleicht würde ich am
ehesten auf den Blödsinn verzichten. Aber
auch das nur ungern. Er ist manchmal der
letzte Strohhalm, an dem ich mich in
dieser grauenvollen Welt festhalte.
Comeback
«Electroboy» Florian Burkhardt
15
Aufstieg Florian Burkhardt
– Reloaded!
An Florian Burkhardt gibt es seit Jahren medial kaum ein Vorbeikommen.
Einst Model, dann Partyveranstalter und dann irgendwie alles, kennt ihn der
heterosexuelle Teil der Bevölkerung spätestens seit dem Dok-Film «Electroboy».
Von Birgit Kawohl & Haymo Empl
F
ür die «Zeit» war es ein «atemberaubender
Dokumentarfilm» und man
fragte «Was ist sein Geheimnis?».
Nun, Florian geht einfach nach dem Trial
and Error-Prinzip vor und probiert alles
aus – manches funktioniert, anderes weniger.
Dabei lässt er stets die Öffentlichkeit
teilhaben, denn das Konzept «Glamourboy
verliert alles, rappelt sich wieder auf, um
dann wieder alles zu verlieren» ect. usw. pp.
ist bewährt und funktioniert bestens. Florian
Burkhardt hat dieses Konzept mittlerweile
– es sind zwei Bücher, mehrere CDs
und besagter Film erschienen – verfeinert
und optimiert … und daher erstaunt es wenig,
dass in diesen Tagen ein neues Buch
mit entsprechendem Brimborium angekündigt
wurde: «Das Kind meiner Mutter».
Hierin wird nun sehr emotional der
Weg hin zum Electroboy geschildert, sprich
seine Kindheit und Jugend bis hin zum Umzug
in die USA. Wie im Nachwort zu lesen
ist, geht es darum, seine Sicht auf seine
Kindheit und sein Fast-Zerbrechen zu schildern.
Wenn man dies zu Beginn liest, ist
man gespannt auf die schlimmen Vorkommnisse,
die nun enthüllt werden – und wird
anschliessend schnell enttäuscht, liest man
doch weitgehend von einer sehr normalen
Kindheit der 70er- und 80er- Jahre, beschrieben
aus der phantastisch-dramatischen Sicht
eines Kindes. Aufgewachsen in einem sehr
katholischen Elternhaus mit der Bürde eines
als Kind verstorbenen älteren Bruders, erlebt
Burkhardt das, was tausende Kinder parallel
erlebt haben: mehr oder weniger langweilige
Ferien, Todesfälle von Haustieren, eine sehr
präsente Mutter. Diese gibt ihm immer das
Gefühl etwas Besonderes zu sein, ein kleiner
König. Sein toter Bruder habe für ihn Platz
in der Familie gemacht, da es klar gewesen
sei, dass man nie mehr als zwei Kinder hätte
haben wollen. Auch typisch für die Zeit
lehnt man Homosexualität in der Gesellschaft,
notabene in der Familie ab, was für
den Jugendlichen den Umgang mit der eigenen
Sexualität erschwert. Erste sexuelle
Handlungen des Jugendlichen erfolgen bei
den Pfadis und später im katholischen Lehrerseminar,
er wohnt dort zunächst im Internat,
selbstverständlich heimlich. Für
Burkhardt selbst ist die ganze Gesellschaft
die Hölle, weil er sich nicht so geben darf
oder kann, wie er will.
Umso erstaunlicher ist aber letztendlich
die Reaktion auf Burkhardts Outing,
bevor er sich in die USA begibt, die Eltern
akzeptieren ihren schwulen Sohn.
So bleibt beim Leser die Frage offen,
was war jetzt das Besondere, das Erzählenswerte,
was schafft der Roman für eine neue
Sicht auf Burkhardt oder auf den Umgang
mit Homosexualität? Burckhardt geht dabei
offensichtlich davon aus, dass seine Person
(die des Ich-Erzählers) spannend genug ist.
Und ob dem so ist, bleibt fraglich.
Buchtipp
Florian Burkhardt:
Das Kind meiner Mutter.
Preis CHF 35.90
ISBN 9783037630792
CRUISER mai 2017
16
Portrait
Martin Jascur
Der «metrosexuelle» Mann kommt
einen Schritt weiter
Mit seinen aktuellen Kreationen will Modedesigner Martin Jascur die
Geschlechterrollen aufheben. Weibliche Reize funktionieren auch beim
Mann, sagt er, ohne dass dieser an Männlichkeit einbüsst. Sein Partner
Flavio Bolla liefert dazu «perfekte» Fantasiewelten.
Von Andreas Faessler
A
uf den Laufstegen dieser Welt hat
man wahrlich alles schon gesehen.
Die Kreativität der Modeschöpfer
versiegt dem Anschein nach nie, was zu einem
wesentlichen Teil auch dem sich ständig
ändernden Geschmack der Gesellschaft zu
verdanken ist. Wann immer man aber trotzdem
den Eindruck hat, jetzt sei bald doch
alles wegdesignt, so tritt irgendwo ein einfallsreicher
Kopf in Erscheinung, der einen
neuen oder zumindest neu interpretierenden
gestalterischen Ansatz findet.
Ich schaue darum bei Martin Jascur
vorbei, von dem ich weiss, dass er seine
Mode nicht einfach nur einem flüchtigen
Trend anpassen will, sondern konzeptuell
vorgeht und nach tiefgründigeren Werten
sucht, welche die Entwicklung seiner Kreationen
massgeblich beeinflussen. Doch dazu
später. Eines der augenfälligsten Markenzeichen
von Martin findet man bereits in der
Person selbst: Formiert sich beim Begriff
«Modedesigner» vor jedermanns innerem
Auge doch gleich eine extravagante, flamboyante
Erscheinung, so hat man mit Martin
einen vollbärtigen Kerl mit Kurzhaarschnitt
und in urigem Karohemd vor sich, den man
sich vielmehr von der Titelseite eines Holzfäller-Fachmagazins
oder einer Zeitschrift
der Bärenszene entgegengrinsen sieht.
Der Beste in Handarbeit
Mitten im pittoresken Dorf Frick lebt der
36-Jährige mit seinem Freund und Partner
Flavio Bolla in einer hübschen Altbauwohnung.
Stilvolle Antiquitäten und Dekor an
Wänden und Plafond zeugen von Sinn für
CRUISER mai 2017
Die Kreationen von Martin Jascur sind eigenwillig, speziell und finden auch international
Beachtung.
Schönheit und Ästhetik. Martins bisherige
berufliche Laufbahn liegt im Detailhandel,
doch wie es so mancher kennt, ist Beruf nicht
immer Berufung. Nicht, dass der gebürtige
Basler seinen Job als Verkäufer bei Franz Carl
Weber nicht gemocht hätte, aber seine Kreativität
und sein Interesse an Mode und Schneiderei
hat er schon seit Langem intensiv nebenberuflich
ausgelebt. «Schon in der Schule
war ich mit Abstand der Beste in Handarbeit»,
sagt er und lacht. «Ich habe sehr früh
gemerkt, dass Nadel und Faden mein Ding
sind, habe bereits damals für meine Freude
fleissig Kostüme geschneidert.»
Vor sieben Jahren gründete Martin sein
eigenes Label, eröffnete in Basel sogar ein kleines
Atelier, welches er allerdings aufgrund ungünstiger
Umstände ein Jahr später wieder
aufgeben musste. Als er 2015 die Stelle bei
Franz Carl Weber verlor, machte er den Master
©Bilder: Marcello Keller
Portrait
Martin Jascur
17
of Arts in Basel – den Bachelor hatte er zu dem
Zeitpunkt bereits in der Tasche. Sein Thema
für die Masterarbeit: Die Inszenierung des
weiblichen Körpers und als Vertiefungsthema
diejenige des männlichen Körpers.
Eine neue Modesprache entwickeln
Unter der Überschrift «Sons of Paddé» sucht
Martin Jascur den Approach an eine Männermode,
die von der gesellschaftlich auferlegten
Geschlechterrolle losgelöst ist. Der
männliche Körper dient ihm dabei als neutrales
Spielfeld, um das Kleidungsdesign mit
«unschuldigem Blick» neu zu interpretieren.
Dieser «unschuldige Blick» fällt einzig auf
die physischen Eigenheiten des Körpers –
ungeachtet, ob Mann oder Frau. «Basierend
auf dem Genderverständnis will ich eine
neue Modesprache entwickeln, mit der die
lange überfällige Geschlechterseparierung
ausgehebelt wird. Die Menschen sollen sich
mit der Wahl ihrer Kleidung nicht mehr irgendwelchen
Vorgaben anpassen müssen.»
Kurzum: Martin Jascur will den «metrosexuellen»
Mann einen Schritt weiterbringen,
seine Kleidung so gestalten, dass er
sich nicht durch sein Outfit als Mann zu ➔
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18
Portrait
Martin Jascur
erkennen gibt, sondern die beiden
Geschlechter sollen sich hinsichtlich ihrer
körperlichen Eigenheiten ergänzen. Ergänzen
also anstatt unterscheiden. Geschlechterspezifische
Körpermerkmale wie beispielsweise
das männliche Glied werden gezielt mit einbezogen
ins Kleidungskonzept. «Das Tragen
von Mode wird so neu interpretiert», führt
Martin aus. «Bereits in der Antike wurden
weibliche Körperformen bewusst betont.
Sinnlich und ästhetisch. Ich setze dies jetzt
auf den Mann um.» Nicht nur ein weiblicher
Rücken, eine weibliche Hüfte oder ein weiblicher
Po entzücken. «Dieselben Reize hat der
Mann genauso», findet der Ästhet. «Die
Schnittentwicklung der Männermode ist
noch immer am selben Ort wie einst. Es ist
schon lange nicht mehr nötig, dass der Mann
so ‹uniformiert› gekleidet herumläuft.»
Ein Kleid für den Pullermann
«Sons of Paddé» zeigt Männerkleidung, die
sich grundsätzlich locker und luftig an den
Körper schmiegt, ihn sanft einhüllt mit nur
wenig Fixierpunkten. «Praktische Elemente
wie Hosentaschen werden bewusst weggelassen.
Diese können mit passenden Accessoires
ersetzt werden», erklärt der Modedesigner,
der im Zuge dessen den so genannten
«Penis-Skirt» erfunden hat, ein Kleidungsstück
eigens für das männliche Glied und
gleichzeitig eine Art Pendant zu Cinderellas
Schuh. Während Frau in der romantischen
Vorstellung mit einem verlorenen Schuh kokettiert
und die Aufmerksamkeit des Mannes
sucht, tut dieser nun dasselbe, indem er
sein Penis-Skirt ablegt. Ein kreatives Gedankenspiel
des einfallsreichen Bartträgers.
«Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft
mehr darauf sensibilisiert wird, dass Modedesign
auch heute noch ein Handwerk im eigentlichen
Sinne ist», sagt Martin. Damit die
Freude an «echter» Mode wieder wachse.
«Wenn ich in einer Boutique ein teures Armani-Teil
kaufe, habe ich zwar ein hochwertiges
Kleidungsstück in der Hand. Aber es ist
industriell gefertigt und ab Stange.» Mit
Handwerk habe das nichts zu tun. «Und
Mode soll auch wieder bunter werden», findet
er, weshalb «Sons of Paddé» auch eine Art
stille Revolution einläuten soll.
Martin Jascur (rechts) kreiert mit seinem Lebenspartner Flavio Bolla faszinierende
Fantasiewelten.
Flavios sagenhafte Welten
Dabei steht ihm sein Partner Flavio tatkräftig
zur Seite. Von Beruf her Hypnosetherapeut
ist der 31-Jährige gleichzeitig versierter
Konzeptkünstler und Illustrator, der mit
Martin gerne den rustikalen «Holzfäller»-
Look teilt – man vermutet bei den beiden
gleich das eingespielte Team. Wenn man so
will, ist Flavio für das Bunte in Martins Kleidern
verantwortlich, jedenfalls in dieser revolutionierenden
Kollektion. Flavio kreiert
fantastische Landschaftsszenarien und Architekturen,
es sind Welten voller Schönheit
und Symbolik. Diese visualisiert er hauptsächlich
aus dem Gedächtnis, selbst wenn
dem Resultat ein real existierendes Objekt
«Dieselben Reize hat
der Mann genauso»
zugrunde liegt. Zum Gesamtkonzept gehört
jeweils eine zu den Bildern gehörende Geschichte.
Auch Paddé, ein fiktives Land, ist
aus so einem Konzept hervorgegangen. Paddé
erweckt im Betrachter die Sehnsucht
nach einer besseren, ja gar paradiesischen
Welt, in der Friede, Harmonie und Farbigkeit
herrschen.
Diese sagenhaften Welten von Flavio
werden per Druckverfahren auf Martins
Kleider übertragen und zwar genau so, dass
die Körperformen der Träger das Erscheinungsbild
der Sujets nicht verzerren und
verfälschen – das braucht viel Feingefühl
und ein sehr gutes Auge. «Bildende Kunst
und Modedesign verschmelzen somit. Der
Körper des Trägers wird zu einer 3D-Leinwand»,
sagt Flavio.
An der Fantasy Basel Ende April wurden
Martins «Sons of Paddé»-Kreationen
dem Publikum vorgeführt. Und sein nächstes
Projekt steht auch schon in den Startlöchern.
«Darin werde ich mich mit der
Textilie als wertvollem Rohstoff auseinandersetzen
sowie mit dem Wiederverwerten
von Materialien», verrät er. Und sein Mann
Flavio wird selbstverständlich wieder einen
wesentlichen Teil beisteuern.
Aber jetzt, wo der Basler sein Studium
abgeschlossen und den Master in der Tasche
hat, wird er sich erst mal einen Job suchen.
Ein Anstellungsverhältnis im Mode- oder
Stylingbereich schwebt ihm vor. «Das kann
auch am Empfang sein, da ich den Kontakt
zu Menschen sehr schätze», sagt Martin.
Hauptsache, er ist in seinem Element. Und
dass auch weiterhin das Modedesign einen
festen Platz in seinem Alltag haben wird, ist
für den kreativen Kopf selbstredend.
CRUISER mai 2017
News
Update
19
NEWS
Hepatitis: Es wird immer schlimmer – WHO will handeln
Rund 325 Millionen Menschen sind nach
Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation
WHO mit chronischer Hepatits B oder
Hepatitis C infiziert. «Hepatitis stellt ein bedeutendes
weltweites Gesundheitsproblem
dar», sagte Gottfried Hirnschall, der Leiter
des WHO-Hepatitis-Programms. «Wenn
die Menschen nicht behandelt werden, sind
sie in Lebensgefahr.» Hepatitis ist eine Leberentzündung,
die zu tödlichem Leberkrebs
führen kann. Die WHO hat nun erstmals
Zahlen für Regionen veröffentlicht, um ihre
Fortschritte beim Kampf gegen die Krankheit,
die bis 2030 eliminiert werden soll,
messen zu können.
Die WHO-Region Europa ist bei Hepatitis-C-Infektionen
hinter der Region Östliches
Mittelmeer von Afghanistan bis Jemen
am stärksten betroffen. Das geht aus dem
Hepatitis-Bericht der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) hervor.
Die Organisation konzentriert sich auf
die chronische Hepatitis B (HBV) und Hepatitis
C (HCV), weil diese beiden Infektionen
96 Prozent der Todesfälle ausmachen.
2015 starben 1,3 Millionen Menschen – mehr
als durch HIV-Infektionen oder Malaria.
Derzeit erhalten dem Bericht zufolge
weniger als zehn Prozent der Betroffenen, die
eine diesbezügliche Diagnose haben, Medikamente.
Und oft bleibt die Krankheit jahrelang
unerkannt. Von den chronisch Hepatitis-B-Kranken
wissen demnach nur neun
Prozent überhaupt, dass sie infiziert sind. Bei
Hepatitis C sind es rund 20 Prozent.
Anders als bei Tuberkulose oder HIV
sei bei Hepatitis die Zahl der Todesfälle
gestiegen: von einer Million im Jahr 2011 auf
1,3 Millionen im Jahr 2015. Die WHO hat
aber auch eine gute Nachricht: Die Zahl der
Neuinfektionen sinke. 2015 wurden demnach
85 Prozent der Neugeborenen weltweit
gegen Hepatitis B geimpft. (Red./SDA/DPA)
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UNDER
THE
IN DER
MÄNNERZONE
FR 9. UND
SA 10. JUNI 2017
AB 22 UHR
RAINBOW MAENNERZONE.COM
20
Kultur
Interview
Angels in America:
Live im Kino
Die Arthouse Kinos sind nicht nur Gastgeber für das Pink Apple Filmfestival,
sondern engagieren sich auch sonst immer wieder für die LGBT*- (Sub-) Kultur.
Beispielsweise mit der Live-Übertragung des Theaterstücks Angels in America
direkt aus London.
Von Haymo Empl
D
ie Geschichte zieht eine bitter-ironische
Bilanz der US-Gesellschaft in
den 1980er-Jahren. Hauptthemen
sind dabei die Reagan-Ära und das Aufkommen
von AIDS. Beat Käslin ist seit 2008 Programmleiter
der Arthouse Kinos Zürich.
Wie kommt es dazu, dass der Event in Zürich
übertragen wird?
Seit der Digitalisierung der Kinoprojektion
ist es möglich geworden, Live-Events direkt
auf die Kinoleinwand zu übertragen. Die
Arthouse Kinos bieten seit 2013 unter dem
Label KinOpera regelmässig Live Opern und
Ballette an. Das Angebot durch die Anbieter
von sog. ‹alternativem Content› für Kinos ist
seither stetig gewachsen. Mittlerweile bieten
wir auch hochkarätige Theater-Live-Übertragungen
aus London an, z. B . von Shakespeare-Klassikern.
Dabei behalten wir immer
auch die Verbindung zur Kinowelt im Fokus,
indem etwa ein Filmregisseur die Inszenierung
verantwortet (z. B. Kenneth Branagh)
oder bekannte Film-SchauspielerInnen auftreten,
wie in Angels beispielsweise Andrew
Garfield (Silence, Spider Man).
Das Stück trägt den Untertitel
«A Gay Fantasia on National Themes».
Was ist darunter zu verstehen?
Angels ist eines der ersten Bühnenstücke,
das sich in dieser Intensität und Tiefe und
aus dezidiert schwuler Sicht mit der
AIDS-Krise der 80er-Jahre auseinandergesetzt
hat. Das Stück ist sehr politisch, gleichzeitig
setzt es auch poetische Akzente und
spielt mit Symbolik, Träumen und Visionen.
Es treten Engel und Dämonen auf, das Stück
spielt im Hier und Jetzt, aber auch im Himmel.
Man darf gespannt sein, wie das Stück
CRUISER mai 2017
(Erstaufführung 1991) in die heutige Zeit
transportiert wurde, der politische Zündstoff
(Gewalt gegen Schwule, institutionelle
Homophobie, Heuchelei etc.) ist jedenfalls
nach wie vorgegeben.
Es ist eine Live-Übertragung: Ist das nicht
eine grosse technische Herausforderung?
Wird das vor Ort gefilmt mittels Live-Regie?
Ja, das wird vor Ort gefilmt. Die Logistik
ist genau gleich wie bei einer TV-
Liveübertragung. Da kann immer etwas
schief laufen, es ist live.
Übertragungstechnisch haben wir kaum
Probleme. In den ersten Jahren lief das noch
via Satellit, da spielte manchmal das Wetter einen
Streich. Mittlerweile wird das ins Kino
gestreamt und es läuft reibungslos. Wenn das
Bild einmal ruckelt, können wir auf das Verständnis
des Publikums zählen, es weiss, dass
bei Live-Geschichten etwas Toleranz gefordert
ist. Dafür ist man live dabei, während gleichzeitig
in London oder Paris gespielt wird. Oft
gibt es in den Pausen noch zusätzliche Live-
Einschaltungen mit Interviews.
Geht bei einer solchen Übertragung nicht
etwas vom «mit-dabei-Sein» verloren?
Natürlich ist es nicht dasselbe, wie wenn
man persönlich im Theater oder im Konzertsaal
anwesend ist. Aber dafür sieht man
die Gesichter nah, auch akustisch sind die
Dialoge natürlich besser verständlich als vor
Ort im Theater. Und immerhin spart man
sich eine teure Reise und ist trotzdem dabei,
wenn es passiert.
Wir machen die Theater-Übertragungen
übrigens ganz bewusst in unserem
Arthouse Alba. Das Alba ist ein ehemaliges
Theater, verfügt über ein einmaliges Theaterambiente
und eine exzellente Akustik.
Angels in America
Donnerstag, 20. Juli 2017. ANGELS IN AMERICA
Part 1: Millennium Approaches,
Donnerstag, 27. Juli 2017. ANGELS IN AMERICA
Part 2: Perestroika
Live-Übertragung mit deutschen Untertiteln.
Arthouse Alba, Zähringerstrasse 44
News
Update
21
NEWS
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IKONEN
VON DAMALS
Ikonen von
damals
In unserer Serie stellen wir Ikonen aus vergangenen Dekaden vor, berichten
über gefallene Helden und hoffnungsvolle Skandalsternchen aus längst
vergangenen (Gay-)Tagen. Dieses Mal: Iggy Pop und sein nackter Oberkörper.
Haymo Empl mit Material der DPA
I
ggy Pop ist nun nicht wirklich gerade die
Gay-Ikone. Der Arme wurde ziemlich sicher
bisher weltweilt in keiner einzigen
Homodisco gespielt (bei den Lesben wissen
wir es nicht) – und auf Einladungen zu Pride-
Partys wartet er auch vergeblich. Aber: Als
ultimative Verkörperung von Sex, Drugs
und Rock’n’Roll ist Iggy Pop berühmt geworden
und er stammt aus dem «underground»
– hat also mit der frühen Subkultur
unserer Szene einiges gemein und lernte in
der damaligen «Sub» schliesslich auch David
Bowie kennen. Letzten Monat wurde Iggy
Pop 70 Jahre alt und findet, man könne auch
in diesem Alter noch mit nacktem Oberkörper
herumlaufen. Apropos: Dieser Oberkörper.
Sehnig, vernarbt, gegerbt und fast immer
trägt ihn Iggy Pop stolz nackt zur Schau.
Als den «am besten wiedererkennbaren Körper
der Popkultur» feierte ihn der britische
Künstler Jeremy Deller jüngst und lud für
eine Ausstellung im Brooklyn Museum 53
Kollegen zu einem Aktmalkurs mit Iggy Pop
als Model. Der Oberkörper des «Godfather
of Punk» sei ein «Schlüssel zum Verständnis
von Rockmusik».
Es gebe kein vorgeschriebenes Alter, ab
dem man seinen Oberkörper nicht mehr
nackt in der Öffentlichkeit zeigen dürfe, sagte
der Sänger, der nach Jahrzehnten in New
York inzwischen in Miami lebt. «Und die
Öffentlichkeit kann mich sowieso mal.» Sein
70. Geburtstag sei «aufregend», aber seine
Partys sind es heutzutage nicht mehr.
Drogen, Alkohol, Zigaretten – all dem
hat Iggy Pop nach Jahrzehnten des Exzesses
inzwischen abgeschworen. «Spät im Leben
habe ich eine wunderbare Beziehung zu
meinem Körper entwickelt. Allein der
Gedanke an Marihuana macht mir inzwischen
Angst.»
CRUISER mai 2017
Fast bester Freund von David Bowie
Geboren wurde Iggy Pop 1947 als James
Newell Osterberg in einer ärmliche Wohnwagensiedlung
in Michigan. «Es war wahnsinnig
klein und ich habe erst später realisiert,
was mir das beigebracht hat», sagte er
der New York Times. «Ich habe Harmonie
mit anderen Menschen gelernt und das war
essenziell. Erst als ich in die grosse Welt hinausging,
habe ich realisiert, dass die nicht
so ist.»
Iggy Pop, der den Spitznamen von seiner
Highschool-Band The Iguanas (Die Leguane)
hat, war schon Punk, als es Punk
noch gar nicht gab. Statt Liebe, Frieden und
Gemeinsamkeit besangen er und seine Band
The Stooges Ende der 1960er-Jahre Langeweile
und Frustration seiner Generation. Bei
seinen Bühnenshows demonstrierte er, dass
ihn nur Schmerzen aus der Langeweile befreien
konnten: Er robbte nackt durch Glassplitter,
schmierte sich mit Erdnussbutter
voll, goss heisses Wasser über seine Hose
und taumelte blutend von der Bühne.
Auf Dauer hielt «The Ig» das nicht
durch und immer wieder verschwand er von
der Bildfläche, auch in den Drogenentzug.
Aber immer wieder schob ihn sein bester
Freund David Bowie zurück auf die Bühne.
Gemeinsam produzierten sie mehrere Alben:
«The Idiot» (1977) mit dem gemeinsam
geschriebenen, späteren Bowie-Hit «China
Girl», «Lust for Life» (1977) mit dem Disco-
Dauerbrenner «The Passenger» usw.
Seine 70er geht Iggy Pop bescheiden
an. «Ich erwarte nicht, dass ich bald ein neues
Album machen werde, aber vielleicht
kann ich etwas singen, sprechen oder schreiben.
Ich möchte einfach weiter arbeiten und
auf diese Welt um mich herum reagieren, es
geniessen, Zeuge dieser wunderschönen
Erde zu sein. Ich mag die Natur. Und ich hoffe,
dass ich für die Menschen, die auf mich
angewiesen sind, von Nutzen sein kann.»
Reportage
Cruiser auf Saunabesuch
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Charmant, herzlich
und echt
In Bern längst eine Institution: Das Studio 43. Cruiser wollte herausfinden,
warum man auch ausserhalb von Bern von dieser Sauna schwärmt.
Das Studio 43 in Bern geht in die Kategorie «grösser als gedacht» und bietet alles, was eine Gay-Sauna braucht.
Von Team Cruiser
C
ruiser düste (freiwillig!) nach Bern
und guckte sich Studio 43 an. Abgesehen
davon, dass die Berner bekanntlicherweise
komisch sprechen, haben
sie auch seltsame Strassennamen. Im Falle
von Studio 43 wäre das dann die Monbijoustrasse
– bei einer Gay-Sauna ist das wiederum
schon ein beinahe rührender Name.
Praktisch: Das Cruisermobil – ein alter, roter,
grosser PT Cruiser – konnte direkt vor
der Sauna parkieren, das gibt’s beispielsweise
in Zürich so nicht. Warum die Berner allerdings
so seltsame Parkiergebühren haben
(2 Franken 20!) hat sich der Redaktion nicht
erschlossen. Item, leicht traumatisiert von
dem Ausflug in die Bundeshauptstadt empfängt
Studio 43-Inhaber Marcel charmant
und herzlich. Er ist die zentrale Figur im
Saunabetrieb. «Es ist schon so, dass ich
natürlich vieles mitbekomme, was abgeht.
Das können persönliche Dramen sein, berufliche
Höhenflüge oder neue Liebschaften»,
erklärt Marcel und macht sich an der
Kaffeemaschine zu schaffen. Denn im Studio
43 findet nicht nur Cruising (und natürlich
das Saunieren per se) statt, sondern man
kommt auch gerne zu Marcel an den Tresen,
um einfach zu plaudern.
Bunter Publikumsmix
Marcel arbeitete früher in der Logistik eines
grossen Betriebes nahe Zürich. Dieser musste
aber Stellten abbauen und bevor es unter
Umständen auch Marcel erwischt hätte, zog
er selbst die Reissleine. «Ich hatte damals
einfach Lust auf Veränderung, also jobbte
ich erst mal als Kellner», erklärt er dem Cruiser-
Team. Dadurch kam er mit verschiedenen
Leuten in Kontakt und erfuhr so auch, dass
der Saunabetrieb zum Verkauf stand. «In
meiner Zukunftsplanung war Saunabesitzer
nicht auf der Liste. Aber ich habe zugesagt,
ohne zu wissen, auf was ich mich da einlasse.»
musste erst einmal umfassend sanieren.
Dann kamen auch die Gäste, zuerst nur wenige,
dann immer mehr. «Wir haben einen
tollen Mix aus einem breiten Einzugsgebiet»,
so Marcel. Manche kämen aus der Romandie,
manche sogar aus Zürich. Dabei seien
auch verheiratete (also mit einer Frau) Ehemänner,
ganz normale Gays, aber auch jüngere,
die auf ältere stehen … Allerdings
ohne finanzielle Interessen», sagt Marcel.
Denn bei diesem Thema verfolgt er eine konsequente
Linie. «Prostitution dulde ich nicht.
Sobald das Portemonnaie gezückt werden
muss, fliegt der Stricher raus.» Das sei bisher
aber erstaunlich wenig vorgekommen und
auch sonst verlaufe es eher gesittet. «Ich habe
auch Gäste, die einfach nur an der Bar plaudern
wollen.»
Alles, was eine Sauna braucht
Die Facilitäten der Sauna entsprechen dem,
was man auch von anderen (grösseren)
Betrieben kennt: die Sauna an sich, ein ➔
CRUISER mai 2017
24
Reportage
Cruiser auf Saunabesuch
Bekanntlicherweise lässt sich in Gay-Saunas nicht nur schwitzen. Das gilt auch für das Studio 43 in Bern.
Dampfbad, ein Cruising-Bereich mit verschiedenen
Kabinen, die unterschiedliche
Ausstattungen haben usw. Also alles da und
gar nicht mal so klein, wie mancher vielleicht
denken könnte. Und natürlich entspricht
alles einem hohen Hygienestandard.
Und mitten drin, als zentraler Dreh- und
Plauderpunkt: Marcel. «Ich selbst bin ja
nicht Original-Berner, wohne aber nun bereits
über 20 Jahren hier und fühle mich
enorm wohl. Mittlerweile fällt mir schon
auch auf, dass es bei uns irgendwie herzlicher
zugeht als beispielsweise in Zürich – da
gibt es klare Mentalitätsunterschiede», stellt
Marcel klar. Zürich ist in seinen Augen –
und da wird das gängige Klischee natürlich
wunderbar erfüllt – einfach viel «schneller»
und hektischer. Marcel fällt das vielleicht
noch mehr auf als anderen Bernern, denn er
wohnt mit seinem Mann in Laupen. Die
Herzlichkeit und diese nicht erzwungene
Gemütlichkeit tun dem Betrieb gut, jeder
fühlt sich sofort wohl.
Cruiser verabschiedet sich, um mit dem
Cruisermobil wieder gemächlich nach Hause
zu rumpeln, Marcel drückt der Redaktion
eine Visitenkarte in die Hand. Und sofort fällt
das Logo von Studio 43 auf: Dieser typische
1970er-Jahre-Macho. «Ich habe mir seinerzeit
lange überlegt, ob ich das Logo ändern soll.
Habe es dann aber sein lassen.» Und das ist
auch gut, so. Denn dieser Mann strahlt eine
Geborgenheit aus, die ganz gut zu Marcel und
seiner Sauna passt.
Studio 43
Monbijoustrasse 123, 3007 Bern
www.studio43.ch
Marcel ist die treibende Kraft und die gute
Seele der Sauna in Bern.
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FETISH GEAR@MÄNNERZONE
CRUISER mai 2017
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Fingerfertig
Nihat kocht
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Unser tägliches Brot gib
uns heute
Meine Lieblingsmahlzeit: der Brunch. Gemütlich am Tisch sitzen, interessante
Gespräche führen und dazwischen immer wieder schlemmen. Dazu passt ein
selbstgemachtes Brot perfekt.
VON Nihat
N
ein, keine Angst, es folgt kein Auszug
aus einer Predigt, selbst wenn
Brot vielerorts heilig ist. Auch die
türkischen Essgewohnheiten kommen nicht
aus ohne Brot. Ein frisches Brot ist ein
Genuss. Am besten eines, das man selber
gemacht hat. Die Grundzutaten sind fast
immer: Mehl, Wasser, Salz und Hefe.
Dann wird es spannend: Ein Brot lässt
sich nach eigenem Geschmack verfeinern.
Mein Lieblingsrezept enthält schwarze Oliven
und eingelegte Tomaten. Käse dazu servieren
– den liebe ich sowieso – und der
Brunch wird zum Gedicht.
Zutaten
500 g Mehl
ca. 3 ½ dl Wasser
1 ½ KL Salz
20 g Hefe, zerbröselt
nach Belieben
70 g schwarze Oliven, entsteint und
geschnitten
50 g eingelegte Tomaten, geschnitten
Zubereitung
Alle Zutaten, ausser dem Wasser, mischen.
Das Wasser hinzugeben und ca. 10 Minuten
gut kneten, bis der Teig weich und geschmeidig
ist.
Den Teig in eine Schüssel geben und diese
mit einem feuchten Tuch zudecken. Den
Teig ca. 1 ½ h aufgehen lassen.
Aus dem Teig zwei Portionen machen und
daraus kompakte Kugeln formen. Diese
zugedeckt für 30 Minuten auf dem
Backblech ruhen lassen.
Den Ofen auf 240 Grad vorheizen. Die
Kugeln mit Wasser bestreichen, kreuzweise
ca. 1 cm tief einschneiden und mit etwas
Mehl bestäuben.
Ein kleines ofenfestes Schälchen mit
heissem Wasser füllen und auf das
Backblech stellen.
Die Brote in der unteren Hälfte des Ofens
10 Minuten backen. Anschliessend
Hitze auf 180 Grad reduzieren und
ca. 25 Minuten fertig backen. Die Brote
auf einem Gitter auskühlen lassen und
geniessen oder für später einfrieren.
Info
Nihat organisiert seit gut vier Jahren Kochkurse
für einen guten Zweck, u.a. für Schulkinder
in der Türkei. Und er ist als Störkoch oder
als Caterer an privaten und geschäftlichen
Anlässen unterwegs. «Daneben» drückt er
als angehender Gymnasiallehrer wieder die
Schulbank.
Die nächsten Kochkurse
– Dienstag, 16. Mai Mezze
– Mittwoch, 24. Mai 30-Minuten-Gerichte
www.fingerfertig.ch
CRUISER mai 2017
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KOLUMNE
Mirko
Händlihebe ist auch virtuell
nicht ohne Risiko
Mirko freut sich auf die Sommerferien, aber
Gewalt gegen Schwule verunsichert ihn.
VON Mirko
H
ändliha mit eme Bro ist nicht mein
Ding. Ich sägs grad. Wär auch
schwierig, ich wohne ja noch bei
Mama und Tata und die ganze Family, ich
weiss nicht, wie gut die mit Schwulen wirklich
umgehen. Nöd sicher. Oder wahrscheinlich
eher: sicher nöd. Aber jeder
macht, was gut ist für ihn. Und so gseh,
war’s schon toll, was die Holländer gmacht
hend, nachdem in ihrem Land zwei Männer
zämeghaue worden sind, weil sie eben
Händligha hend. Aber ebe, ich und Händliha,
nö. Ich nimm lieber öppis anders i d
Hand und am besten ist’s, wenn das, was ich
meine, dann auch fest ist, a firm handshake
eifach andersch. Ha grad noglueget, was
firm genau alles heisst, nicht weich z.B.
Wenn ich einen Harten suche, messi Grindr,
das isch eifach. Also gang i au nöd i die Bars
und Clubs, meistens würd mir die Musik ja
nicht passen und meine Kumpels habe ich ja
anderswo. Und äbe, warum sollte ich? Grindr
sagt mir immer grad, wie viel Meter de
nöchsti isch, wo n i cha bespringe. Warum
soll ich mich in einer Bar langweilen? Mängmol
stimmt das mit dem Abstand jo nöd so
ganz. Ich machte Grindr mal auf und da hätti
es geils Ding 3 Meter vo mir weg sollen
sein. Und glaubt mir, das war nicht möglich,
3 Meter von mir weg sass mein Tata und der
da auf Grindr sah meinem Paps nicht ähnlich.
Mi Vater sieht gut aus, meine Mutter
CRUISER mai 2017
au, von jemandem habe ich ja meine Looks,
aber der auf Grindr sah schon ziemlich anders
aus. Ich find mi scho toll, aber ich wött
ja nöd mit mim Spiegelbild ficken.
In Russland ist so ein Grindr
sicher nicht so safe.
Wo n ich grad uf Skyscanner und so
nach möglichen Feriendestinationen geschaut
habe, isch mir dur de Chopf: Die Länder
sehen cool aus, aber was wenn ein Asshole
Grindr nutzt, um Opfer zu finden? Wär ja
einfach: Grindr liefert so einem den nächsten
Punchbag mit perfekter Meterangabe.
Das Ding isch praktisch es Navi für Schwulenhasser.
Da musst du kein Händli hebe.
Oder für einen vo dene vile Irre, wo grad
momentan a de Macht sind. Paranoia? Njet.
In Russland ist so ein Grindr sicher nicht so
safe. Und z’Ägypte söll schiints der Geheimdienst
mit dem Ding voll Jagd auf Schwule
gemacht haben. Guet, inzwischen sieht man
i dene Länder – und die Liste dieser Länder
wird länger und länger – den Abstand nicht
mehr, man sieht nur noch, wer am nächsten
ist oder so. Aber safe ist’s immer noch nicht.
Strange, he, ich brauche Grindr, weil nicht
alle wissen sollen, dass ich mit Bros rummache,
vor allem dihei, und mis IPhone gibt
mir das Gefühl, alles für sich zu behalten mit
Pincode und so, deshalb weiss es alles über
mich, kennt meine Schwanzlänge und -form
im Detail, schliesslich hat’s die Pics sälber
gmacht und verschickt, und dänn zack, es
braucht nur wenig und genau die, wegen
denen ich nicht geoutet bin, kennen all das,
also mit wem i ficke und wie min Schwanz
usgseht und alles, mit genauem Standort,
meiner Adresse, meinem Job allem. Händliha
oder nöd, chunnt ou nümm draufan.
Shit. Und Assholes gibts in allen Sorten. Wie
war das schon wieder in Rio an der Olympiade?
Da hat doch echt ein Journi damit Geld
verdient. De hät sich uf Grindr aagmeldet
und glueget, welche Sportler da anzutreffen
sind, und die Namen dann an Zeitungen
verkauft.
A propos Ferien, ja klar, ich schau mir
die anderen Länder an, aber am Schluss
wird’s wieder Kroatien und Familie und
Strand und Insle und super Food und geili
Männer und so. Nüd bsondrigs also. LOL.
Kroatie check i, da han i no prob, wenn ich
ein Date will. Aber vielleicht wird’s ja was
anderes. Israel villicht. Krass, alli gehen grad
nach Tel Aviv und ringsume sind alle die
Länder, wo Grindr d Abständ zum nächsten
Date nicht mehr anzeigen darf, weil’s zu
gefährlich ist.
Gay Travelling
Cruiser reist
27
Reisen unter dem
Regenbogen
Längst sind sie vorbei die Zeiten, in denen Schwule vor allem auf Gran
Canaria, Mykonos oder in Sitges anzutreffen waren und sich fast die
gesamte Lesbenwelt auf Lesbos tummelte. Der Gay Travel Market ist
vielseitiger, als man denkt.
Von Yvonne Beck
L
GBT*-Travel ist längst kein Nischen-
Business mehr, sondern hat sich in den
letzten Jahren auf dem Markt stark
etabliert. Die Nachfrage ist grösser denn je
und wächst stetig an. Von Berlin über Wien
bis hin zu Barcelona oder Tel Aviv – weltweit
öffnet man sich der LGBTQ*-Szene, vor allem
in den grossen Metropolen. Viele Reiseveranstalter
nutzen dies inzwischen für sich
und stellen spezielle Angebote für homosexuelle
Urlauber zusammen. Dies zeigte sich
auch im grossen LGBT*-Pavillon auf der ITB
Berlin (der grössten Tourismus Messe Europas).
Hier waren in diesem Jahr mehr Aussteller
mit Fokus auf Gay Travel zu finden als
je zuvor. Sie alle setzen auf den wachsenden
LGBT-Markt und sehen die Zukunft des Tourismus
in der zunehmenden Spezialisierung
der Reiseindustrie und der Erschliessung von
Nischenmärkten.
Einer, der schon seit über 17 Jahren in
diesem Segment tätig ist, ist Ray Fuhrer –
Geschäftsführer von Pink Cloud Travel
Service. Der Cruiser sprach mit ihm über
die neusten Trenddestinationen der Schweizer
Gay Community, «Tabuländern», seine
eigenen Lieblingsziele und dem Phänomen
der Gay-Cruises.
Cruiser: Reisen Schwule und Lesben mehr
als Heteros und geben sie mehr Geld aus?
Raymond Fuhrer: Nein, das glaube ich nicht.
Ich weiss, dass dies immer behauptet wird,
aber ich halte es für ein Klischee. Diese krasse
Trennung von «so sind die Schwulen, so sind
die Lesben und so sind die Heteros» finde ich
bedenklich – immerhin befinden wir uns inzwischen
im Jahr 2017. Es wäre schön, wenn
wir endlich alle etwas näher zusammenrücken
würden. Vor allem, was die Ferien anbelangt.
Wir haben jegliche Art von Kunden:
budgetbewusste Kunden, Kunden, für die das
Geld keine Rolle spielt, Kunden, die nur das
Beste vom Besten wollen, aber auch junge
Kunden, die einfach mal schnell nach Ibiza
und Mykonos möchten. Alles ist möglich und
durch das neue deutsche Mutterhaus sind wir
preislich nun viel besser aufgestellt als in den
letzten Jahren. (Anm. d. R.: Pink Cloud gehört
zu Kuoni und die Reisesparte Kuonis
wurde 2016 von dem deutschen Reiseveranstalter
DERTOUR gekauft.) Davon profitieren
unsere Kunden enorm. Preislich waren
wir noch nie so stark. Die Kunden in der
Schweiz haben nun immer noch uns als Berater,
haben weiterhin die gleiche Top-Qualität,
aber zu viel besseren Preisen.
Pink Cloud gibt es seit nunmehr 17 Jahren.
Hat sich das Reiseverhalten von Schwulen
und Lesben in dieser Zeit verändert?
Durch das Internet hat sich sehr vieles verändert.
Heute muss eigentlich niemand mehr
ins Reisebüro gehen, weil er einen Flug buchen
möchte oder einen kurzen Städtetrip
macht. Doch viele Kunden nehmen diesen
Service weiterhin wahr. Sie sind bereit, etwas
mehr für ein Ticket auszugeben, aber dafür
auch immer einen Ansprechpartner bei Problemen
zu haben. Wir verzeichnen in letzter
Zeit zudem extrem viele junge Kunden. Sie
suchen bei uns nach Inspirationen und persönlichen
Expertentipps. Bei uns sind sie sich
sicher, dass wir fast alle Hotels und Destinationen
persönlich kennen. Sprich, wenn ich ➔
CRUISER mai 2017
28
Gay Travelling
Cruiser reist
ein Hotel empfehle, dann war ich auch dort.
Viele Kunden vertrauen nicht mehr auf
Tripadvisor und ähnliche Bewertungsplattformen.
Sie wissen, dass es eine Menge Fake-
Bewertungen gibt. Wenn mir jedoch der Kunde
seine Bedürfnisse mitteilt, werde ich für ihn
zu fast 100% das passende Resort auswählen.
Welche Reiseziele boomen momentan?
Das kommt ganz auf die Art der Ferien an.
Auf den Kurzstreckenbereichen ist es im
Winter immer noch ganz klar Gran Canaria
und auch im Sommer zieht es viele dorthin.
Auch wenn es nicht zu meinen Favoriten gehört,
durch die Dünen hat diese Insel irgendetwas
sehr Magisches. Sie spricht das
Bedürfnis vieler Schwuler an. Sitges und
Mykonos liegen immer noch stark im Trend.
Weiterhin sehr beliebt, obwohl es keine eigentliche
Gay-Destination ist, ist Kroatien.
Die Insel Hvar ist ein zweites Mykonos –
einfach wunderschön und idyllisch. Viele
unsere Kunden interessieren sich für Skandinavien
und Kunden mit viel Geld zieht es
häufig nach Sardinien. Doch es kommt immer
auf die eigenen Bedürfnisse an. Manche
Kunden möchten 100% schwule Ferien machen
und ihre Zeit an Orten verbringen an
denen die Bar, das Hotel und die anderen
Gäste schwul sind. Andere suchen einfach
nach schönen Ferien mit gutem Essen in
einer tollen Atmosphäre. Im Langstreckenbereich
ist eine der absoluten Trenddestinationen
sicherlich Kuba. Obwohl diese momentan
völlig überrannt wird. Ganz gross
ist zudem Südafrika und der Ferne Osten
mit Laos, Kambodscha, Myanmar etc …
Ein weiterer, schon länger andauernder
Trend sind Kreuzfahrten. Was ist der Reiz an
einer Gay-Kreuzfahrt?
Fast jeder, der einmal auf einer Gay-Kreuzfahrt
war ist Repeater. Ich habe noch nie einen
Kunden gehabt, dem es nicht gefallen
hat. Eine Gay-Kreuzfahrt kann man sich wie
einen schwimmenden Club auf einem extrem
hohen Niveau vorstellen. Die Schiffe
haben einen hervorragenden Service, top Essen
und grosszügige Kabinen. Zudem gibt es
viele verschiedene Mottoparties. Auf den
Schiffen können sich schwule Männer und
lesbische Frauen einfach so geben, wie sie
sind. Händchenhalten und Zärtlichkeiten
austauschen auch ausserhalb der eigenen
vier Wände ist hier kein Problem, denn man
ist ja unter sich. Für viele ist dies die einzige
Form von Urlaub, bei der sie endlich sie
selbst sein dürfen.
Welche Art von Reisen ist momentan sonst
noch besonders angesagt? Städtetrips,
Fern- oder Kulturreisen?
CRUISER mai 2017
Das kann man so nicht beantworten. Aber
im Gegensatz zu früher stellen wir heute fast
nur noch massgeschneiderte Individualreisen
zusammen. Zudem laufen unsere Kleingruppen
sehr gut. Damit holen wir Menschen
ab, die alleine sind oder sich selbst
nicht zutrauen, solche Reisen alleine zu machen.
Die letzte Kleingruppenreise nach Namibia
war ein Riesenerfolg. Die Teilnehmer
treffen sich heute noch regelmässig. Auch
unsere Gruppenreisen nach Lappland kommen
sehr gut an. Bei Hundeschlittenfahrten
und Eislochsauna finden viele Gays ein ganz
besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl.
Von welchen Ländern würden Sie momentan
abraten?
Oh, von vielen – aber auch das ist sehr individuell.
Ich persönlich war in bereits sehr
vielen muslimischen Ländern unterwegs
und habe dort wunderbare Begegnungen
gehabt. Aber es ist sicher nicht jedermanns
Sache, denn man muss gewillt sein, sich der
Kultur und den speziellen Gepflogenheiten
anzupassen.
Ich persönlich würde momentan jedoch
nicht nach Saudi-Arabien und Uganda
reisen. Ich möchte meine Kunden jedoch
nicht bevormunden, denn schlussendlich
muss jeder selber wissen, was er in seinen
Ferien sucht. Wir können nur Empfehlungen
geben.
Und welche Destination gilt als besonders
«gayfriendly»?
Leider ist «gayfriendly» ein inzwischen sehr
abgedroschenes Wort. Jeder will davon profitieren,
aber viele lassen sich gar nicht wirklich
darauf ein. Jeder will auf den gayfriendly-
Zug aufspringen und eine kaufkräftige
Kundschaft einfangen. Aber das funktioniert
nicht so einfach. Ich habe wöchentlich
Anrufe von Gesellschaften oder Hotels, die
mich als Sprungbrett betrachten. Aber man
kann sich nicht einfach eine Plakette aufkleben
und dann läuft es schon. Da steckt schon
ein bisschen mehr dahinter.
Aber was macht Ihrer Meinung nach
beispielsweise ein «gayfriendly»-Hotel aus?
Das fängt bei ganz kleinen Sachen an. Wenn
ich mit meinem Mann ein gayfriendly-Hotel
buche, erwarte ich im Bad zwei Herrenbademäntel
und zwei Herrenslipper und nicht
einen Damenbademantel und ein viel zu
kleines Paar Hausschuhe. Das Hotel sollte
daran denken, auch eine Gay-Map auszulegen
und bei Fragen sollte man auch schwule
Empfehlungen geben können.
Ihr persönlicher Gay-Hotspot in Europa?
Zum Partymachen auf jeden Fall Berlin.
Ray Fuhrer ist Pionier in Sachen Gay-Travel.
Sein Reisebüro «Pink Cloud» ist längst eine
Institution.
Und welches Fernziel liegt hier im Trend?
Das ist Geschmackssache. Thailand, USA
oder Brasilien – je nachdem welche Männer
man mag. Meine persönlichen Lieblingsstädte
sind Kapstadt und Sydney. In Südafrika
ist man schwulen Männern gegenüber
offener und toleranter als gegenüber lesbischen
Frauen.
Was mach eine Destination zu einer
Gay-Destination?
Wenn man zurückschaut, dann sind es einfach
immer die schönsten Plätze auf der
Welt. Mykonos ist einfach die schönste der
griechischen Inseln. Künstler haben sich an
bestimmten Orten niedergelassen und früher
oder später kam die Gay Community
dazu. Das war in Sitges oder auch in Cap
Cod in den USA so. Darüber hinaus ist es
auch wichtig, wo man seine Sexualität offen
leben kann und was die Destination alles
bietet. Wien ist ein absoluter Vorreiter für
die Szene.
Wo gehen Ihre nächsten Ferien hin?
Nach Bad Griesbach zum Golf spielen. Ich
bin aber auch gerade erst aus Südafrika zurückgekommen.
Welches Land möchten Sie persönlich noch
unbedingt bereisen?
Die Antarktis!
Und welches ist Ihr schönstes Reiseerlebnis?
Myanmar – In dieses Land habe ich mich
einfach verliebt. Und das Grossartigste, was
ich bisher erlebt habe, war ein Trekking zu
den Orang-Utans im Dschungel von Borneo.
Diese Reise wird mir für immer im Gedächtnis
bleiben. Das war einfach ein unvergessliches
Erlebnis.
Serie
Homosexualität in Geschichte und Literatur
29
Lieber einen Heerführer als
eine Königin
Heinrich war König von Frankreich, wollte von Frauen nichts wissen,
schwärmte aber für einen Heerführer. Ein anderer Fall: Der französische
Sonnenkönig Ludwig XIV. hielt seinen Bruder auf Distanz, der schwul war.
Schliesslich: Ein aktueller Präsidentschaftsbewerber Frankreichs weiss
entsprechende Gerüchte zu parieren.
VON ALAIN SOREL
A
uch im Zeitalter grundsätzlicher sexueller
Toleranz gibt es in der westlichen
Kultur Versuche, Homosexualität
als Druckmittel einzusetzen, um
den Ruf von Menschen zu ruinieren, ihre
Karriere zu vereiteln oder sie erpressbar zu
machen. Das war auch vor den aktuellen
französischen Präsidentschaftswahlen der
Fall, deren Stichwahl am 7. Mai stattfindet.
So wurde dem aussichtsreichen sozialliberalen
Bewerber Emmanuel Macron
(40), der verheiratet ist, ein Liebesverhältnis
mit dem Chef der staatlichen Radiosender
nachgesagt.
Ein schwules Hologramm auf
Abwegen?
Macron sah sich als Opfer russischer Cyber-
Attacken und russischer Staatsmedien. Er
begegnete den Vorwürfen souverän und
schlagfertig. Bei dem Macron, der da angesprochen
sei, könne es sich nur um sein Hologramm
handeln, das ihm entflohen sei,
sagte er und hatte die Lacher auf seiner Seite.
Gewiss ist, dass Moskau gerne einen Sieg der
rechtspopulistischen Marine Le Pen sähe,
die ihr Land nach einem Wahltriumph wohl
aus der EU und der Nato führen würde.
Die Verdächtigungen gegen Macron
zielten ganz offensichtlich ins Leere. Aber
eheliche Untreue, eine heimliche Geliebte,
wechselnde Partnerinnen, Neigungen zum
eigenen Geschlecht haben an Frankreichs
Höfen und Palästen Tradition. Diskretion
war dabei nie selbstverständlich.
Auf Verschwiegenheit setzte wahrscheinlich
Heinrich III., auf dem französischen
Thron von 1574 bis zu seinem Tod ➔
Der französische Sonnenkönig Ludwig XIV
liebte grandiose Inszenierungen seiner selbst.
Diese hier würde ihm sicher auch gefallen.
CRUISER mai 2017
30
Serie
Homosexualität in Geschichte und Literatur
©Bild: Getty Images
Direkte oder indirekte Weggefährten unseres Protagonisten (von links): Elisabeth Nicols, Henri selbst, Philippe I. von Bourbon und Frankreichs
Emmanuel Macron. Bei Macron dürfen wir keine weitere Spekulationen über seine Sexualität hinschreiben, da er äusserst klagefreundlich ist.
1589. Ob die nötig war, ist eine andere Frage,
denn seine Homosexualität galt weitherum
als ausgemacht. In seiner Jugend wurde er
anzüglich «Prinz von Sodom» genannt, worunter
zu seiner Zeit sexuelle Praktiken verstanden
wurden, die nicht der Fortpflanzung
dienten, während heute mit Sodomie
entsprechende Handlungen mit Tieren bezeichnet
werden.
Am 19. September 1551 in Fontainebleau
geboren, sollte er zum tatkräftigen
Herrscher erzogen werden, den Stammhalter
und Nachfolger zeugen und die Armee
führen können. Seine dominierende Mutter
CRUISER mai 2017
Katharina von Medici und dynastische
Zwänge prägten Heinrich. Ausserdem lebte
er in einem Zeitalter religiöser Wirren, die
auch Frankreich heimgesucht hatten. Seine
Haltung zwischen Katholiken und Protestanten
war schwankend. Ein starkes Interesse
entwickelte er für Kleider, Schmuck,
Kunst, Literatur und Tanz.
«Wahre Freundschaft nur unter
Männern»
Krampfhaft wurde versucht, den attraktiven
jungen Mann zu verehelichen, unter anderem
mit der etwa doppelt so alten Elisabeth I.
von England, der Königin, die als starke
Persönlichkeit ein Zeitalter begründete. Vergeblich.
Seiner späteren Ehe mit einer Frau
aus dem lothringischen Herzogshaus entsprangen
keine Kinder.
Eine besondere Zuneigung empfand
er allerdings gegenüber einem Mann: dem
Heerführer aus der Gascogne, Robert Du
Guast. Der Schriftsteller Axel Gora übermittelt
in seinem historischen Roman
«Der Luftspringer» eine Szene zwischen
Katharina von Medici und Heinrich, ihrem
Lieblingssohn. «Frau Mutter, sagt,
dass es nicht schlimm ist, wenn ich das
Serie
Homosexualität in Geschichte und Literatur
31
weibliche Geschlecht nicht begehre. Ihr
wisst, dass es wahre Freundschaft nur unter
Männern gibt. Darum ist mir Robert
der beste Gefährte.»
Kann sein, dass Heinrich lieber Schriftsteller,
Modedesigner oder Tänzer als König
geworden wäre. Seine Wahl zum polnischen
König – supranationale Lösungen einer
Thronfolge waren damals möglich – geriet
zum Desaster; seine Leistung als französischer
Heerführer und Monarch wird widersprüchlich
bewertet. In Machtkämpfen behauptete
er sich zwar mit geschickter,
umsichtiger Taktik und plötzlicher, kühner
Entschlossenheit, doch an seinen Händen
klebte dann auch Blut.
Ironie des Schicksals, dass er auf einem
Feldzug am 1. August 1589 vom jungen
Dominikanermönch Jacques Clément
mit einem vergifteten Dolch niedergestochen
wurde und dem Attentat tags darauf
erlag. Die politischen und konfessionellen
Leidenschaften seiner Zeit hatten Heinrich
III. eingeholt.
Schwuler Bruder im Schatten des
Sonnenkönigs
Die waren rund 100 Jahre später nicht minder
brisant – im Zeitalter des Sonnenkönigs Ludwig
XIV., mit dessen Namen Schloss Versailles
untrennbar verbunden ist. Von 1643 bis 1715
regierte er, Spross aus der Dynastie der Bourbonen,
und machte Frankreich auch durch
Waffengewalt zu einer erstrangigen Macht in
Europa. Gegenüber seinem 1640 geborenen
Bruder Philippe I. von Bourbon, Herzog von
Orléans, verhielt sich der zwei Jahre ältere Sonnenkönig
allerdings nicht so sonnenhaft. Er tat
alles, um Philippe auf Distanz zu halten, ihn
von Regierungsgeschäften und aktiver Politik
auszuschliessen. Philippe, von Günstlingen
und Liebhabern umgeben, schien in seinen homosexuellen
Beziehungen, die am Hof ein offenes
Geheimnis waren, ganz aufzugehen und
an nichts anderes mehr zu denken.
Es überraschte deshalb, dass er sich
unvermittelt zu den Waffen meldete und
ein äusserst fähiger Feldherr wurde, der
Siege errang und Gegner zur Kapitulation
zwang. Der 1701 verstorbene Herzog wurde
durch Missgunst des Bruders und
wegen seiner sexuellen Ausrichtung zurückgebunden
– heute würde wohl mit
Hackerangriffen versucht, seine Karriere
zu vernichten.
Homosexualität in Geschichte
und Literatur
Mehr oder weniger versteckt findet sich das
Thema Männerliebe in der Weltgeschichte, der
Politik, in antiken Sagen und traditionellen
Märchen – aber auch in Wissenschaft, Technik,
Computerwelt. Cruiser greift in dieser losen
Serie einzelne Beispiele heraus, würzt sie
mit etwas Fantasie, stellt sie in zeitgenössische
Zusammenhänge und wünscht bei der
Lektüre viel Spass – und hie und da auch neue
oder zumindest aufgefrischte Erkenntnisse. In
dieser Folge, aus aktuellem Anlass: Männer
im Dunstkreis von Frankreichs Staatsspitze.
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CRUISER mai 2017
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RATGEBER
Dr. Gay
Dr. Gay
Bin ich sexsüchtig?
DR. GAY
Dr. Gay ist eine Dienstleistung der Aids-Hilfe
Schweiz. Die Fragen werden online auf
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«cruiser» abgedruckt werden.
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40 Jahre, April 1977 – 2017
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CRUISER mai 2017
VON Vinicio Albani
Grippesymptome –
muss ich mir Sorgen
um HIV machen?
Vor einigen Tagen hatte ich in
einer Gaysauna Oralsex mit
mehreren fremden Männern. Einer
hat mich so stark geblasen, dass
mein Schwanz danach ziemlich
wund war. Nun fühle ich mich
krank wie bei einer Grippe. Ich
habe zwar kein Fieber, aber
starke Glieder- und Kopfschmerzen.
Muss ich mir Sorgen um HIV
machen und zum Test?
Tim (51)
Hallo Tim
Grippesymptome können ein Indiz für eine
HIV-Infektion sein, du kannst dich darauf
aber nicht verlassen. Die gute Nachricht:
Blasen ohne Sperma im Mund birgt kein
HIV-Risiko. Daran ändert auch ein wunder
Schwanz nichts. Solange keine offene, blutende
Wunde vorhanden war, musst du dir
keine Sorgen machen. Wenn du trotzdem
unsicher bist: Ein HIV-Test ist die sicherste
Methode, dich zu beruhigen. Denke daran,
dass andere sexuell übertragbare Infektionen
(STI) wie Chlamydien, Tripper oder Syphilis
einfacher übertragbar sind als HIV.
Sie sind aber zum Glück gut behandelbar,
wenn sie frühzeitig erkannt werden. Im Mai
bieten ausgewählte Teststellen die eigentlich
teuren Tests gratis an. Mehr Informationen
findest du auf drgay.ch.
Alles Gute, Dr. Gay
Obwohl ich schon seit zwölf
Jahren einen Freund habe, wichse
ich mindestens zwei Mal pro Tag
und treffe mich heimlich mehrmals
pro Woche mit anderen
Sexpartnern. Danach fühle ich
mich schlecht und bereue es.
Ich mache mir dann trotz Safer
Sex Sorgen, mich mit HIV angesteckt
zu haben. Ausserdem
denke ich, dass ich sexsüchtig
bin. Was meinst du dazu?
Henry (42)
Hallo Henry
Ein grosses Interesse an Sex und ein aktives
Sexleben bedeuten nicht unbedingt, dass
man sexsüchtig ist. Indizien für eine Sucht
sind unter anderem, wenn du unter Zwang
handelst, wenn deine Gesundheit darunter
leidet und Freunde, Partner oder Interessen
vernachlässigt werden. Was dich eher zu
plagen scheint, ist dein schlechtes Gewissen.
Du spürst nach dem Sex Reue und hast
trotz Safer Sex Angst, dich mit HIV angesteckt
zu haben (sozusagen als Strafe). Der
Grund dafür könnte sein, dass du deinen
Partner hintergehst und belügst. Vielleicht
hilft es dir, wenn du dich mit ihm aussprichst
und ihm von deinen Bedürfnissen
erzählst. Dabei muss er nicht unbedingt
alle Details erfahren. Aber es wäre fair, ihm
deine Wünsche und Gefühle mitzuteilen.
Wer weiss, vielleicht geht es ihm ähnlich.
So könnt ihr einen Weg finden, der für euch
beide passt. Offenheit und Ehrlichkeit sind
wichtige Standpfeiler einer Beziehung. Viele
Paare treffen Abmachungen und gehen
Kompromisse ein, um das Gleichgewicht in
der Beziehung zu halten. Sei dir aber auch
bewusst, was die Konsequenzen eines solchen
Gesprächs sein könnten. Es könnte
auch sein, dass es Zeit für euch ist, getrennte
Wege zu gehen.
Alles Gute, Dr. Gay
KOLUMNE
Thommen meint
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Der Zeitgeist ist pubertär
aufgeladen
Er weht immer wieder um unsere Nase und ist schwierig, in Worte
zu fassen. Besonders seine Beziehung zur männlichen Homosexualität.
Es lohnt sich aber, es immer wieder zu versuchen.
VON PETER THOMMEN
E
dmund White hat ihn als 29-Jähriger
in den USA sehr schön einfangen
können: Der schwule Philosoph 1) .
Ich habe 1989 einen angeregten Essay geschrieben
mit dem Titel «Lieber einen
Mann beim Schwanz packen, als vor einem
Führer in die Knie gehen.»
Dem Zeitgeist habe ich mich 2011 erstmals
gestellt im Wiesbadener Szene-Blatt
«Lust» 2) . Mir waren da immer wieder Ausdrucksweisen
und vor allem die Mode aufgefallen.
Ich kann mich erinnern, dass Jeanshosen
verkehrt getragen wurden. Nach den
«ge-stone-ten» Hosen kamen die zerrissenen
und nach denen wurden Jeans so tief getragen,
dass die farbigen Undies und die Gesässspalte
allgemein sichtbar wurden. «Wer
daran nicht die Aufforderung zur Penetration
erkennen kann, ist nun wahrlich heterosexuell
erblindet.»
Der homosexuelle Akt sucht sich schon
lange seinen Weg unter den heterosexuellen
Männern, denn ohne dieselben wäre es langweilig
im Sex, in der Pornografie und letztlich
in der Gesellschaft. «Auch die ganzen faschistisch
motivierten Fetische in der Schwulenszene
sind das Symbol des inneren Kampfes mit
diesem Stier.» An der gegenwärtigen Fussballkultur
sind Männerprobleme deutlich erkennbar.
Wer nicht heterosexuell erblindet ist, kann
erkennen, wie die Fans zu Dschihadisten geworden
sind, die den Kampf selber überneh-
Es fällt nun jedem auf,
wie Dschihadisten-Bärte
überall gewachsen sind.
men wollen. Die Spieler im Stadion genügen
ihnen nicht mehr. Ausserdem greifen sie sich
da öffentlich an die Beine, küssen und umarmen
sich völlig unmännlich. (Das Fernsehen
SRF hat einmal eine Zusammenstellung von
sexuellen Übergriffen in Fussballreportagen
gemacht.) Die Frage für mich als Schwuler
stellt sich nun wie folgt: Bestrafen sich Heteros
nun vor oder nach dem Match für all das, was
ihnen im Stadion geboten wird?
Es fällt nun jedem auf, wie Dschihadisten-Bärte
überall gewachsen sind. Auch die
schwarzen Klamotten erinnern an Religion.
Die frei sichtbaren nackten Fussknöchel hatten
wir auch schon als Blickfang bei den
Frauen in der viktorianischen Zeit. Die trugen
ihre Röcke bis fast auf die Füsse hinunter.
Wer nun glaubt, die Männer würden sich
«feminisieren», der verkennt die verdeckten
Ordnungslinien in der Gesellschaft und den
Subkulturen. «Rasiert» heisst es häufig in
den Profilen und dies weist auf kindliche
Sehnsüchte nach Unschuld hin. Frauen müssen
ja auch möglichst kindlich-haarlos am
Körper sein, damit es den Heteros nicht zu
schwul rüberkommt beim Sex!
Die Fussbekleidung ist bereits wieder
mit Farbe versehen worden und dies erinnert
mich an die farbigen «Hanky-Codes» (s.
Wikipedia) in der Gayszene aus einer Zeit, in
welcher Männer nicht miteinander geredet,
aber vor allem Sex gehabt haben.
Wer sich in der Darstellung und im
Auftreten in Formen passiver Symbole begibt,
muss sich auf entsprechende Gefahren gefasst
machen. Als ich mich vor Jahren für eine
HABS-Party als Frau zurechtmachen liess,
hatte ich bei meinem Erscheinen schnell einen
Klaps auf dem Gesäss und das auch noch
in der Gaybar. Gemäss diesen kulturellen Linien
entlang erklären bisexuelle Männer uns
Schwulen auch überzeugt, wir sollten weder
ein Coming-out machen (denn sie bleiben
schwul im Schrank) und uns auch nicht unmöglich
benehmen, dann gebe es keine
Schwierigkeiten. Das sollten sie auch mal ihren
Freundinnen und Frauen erklären!
(Weitere «Zeitgeister» in den nächsten Kolumnen.)
1)
Edmund White: Die brennende Bibliothek, 1994/96,
Seiten 33–52 (1969)
2)
www. arcados.ch. Im Suchfeld das Stichwort
«Zeitgeist» eingeben
CRUISER mai 2017
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Flashback
Cruiser vor 30 Jahren
Flashback
Cruiser feiert sein 30-jähriges Bestehen. Daher blicken wir während
des ganzen Jahres an dieser Stelle auf die alten Ausgaben zurück.
Von Team Cruiser
1 Ein schönes Stück Konsum-Kulturgeschichte.
Nirgends lässt sich das
Markenbewusstsein der Gays von
1987 besser demonstrieren als in
diesem Inserat vom «Macho».
2 Das Inserat der Aidshilfe: ein Geniestreich:
«Einige von uns glauben immer noch,
dass Safer Sex sie nichts angehe.
Schade, denn je länger es dauert, bis
sich jeder an die neuen Sex-Regeln
hält, desto länger müssen wir darüber
schreiben. Und je länger wir darüber
schreiben müssen, desto schneller
wächst der Längsbalken dieses Kreuzes
und um so bedrohlicher wird die
AIDS-Gefahr.»
1 2
3 Der Schlossball: Eines der Highlights
im Jahr 1987. Fummeltechnisch war
man damals offensichtlich um einiges
mutiger als heute.
3
CRUISER mai 2017
XXX
XXX
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CRUISER mai 2017
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