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Cruiser im Mai - Freigeschaltete Version

Egal ob Hetero oder Homo: Im Jahr 2017 scheint es ganz so, als ob es für den Mann schwierig ist, sich als Mann zu behaupten oder zu positionieren. Aber: Muss er das überhaupt?

Egal ob Hetero oder Homo: Im Jahr 2017 scheint es ganz so, als ob es für den Mann schwierig ist, sich als Mann zu behaupten oder zu positionieren. Aber: Muss er das überhaupt?

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cruiser<br />

DAS<br />

mai 2017 CHF 7.50<br />

GRÖSSTE<br />

SCHWEIZER<br />

GAY-MAGAZIN<br />

Der geknechtete Mann<br />

Wenn Männlichkeit zur<br />

Bürde wird<br />

Martin Jascur<br />

Neues Verständnis für Mode<br />

Urs Blaser<br />

Ein Leben fürs Theater<br />

Florian Burkhardt<br />

Das Comeback


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3<br />

Editorial<br />

Liebe Leser<br />

Derzeit ist es gerade wieder etwas en Vogue, den «Feminismus» aufleben zu lassen. Wobei es «den<br />

Feminismus» als solches ja gar nicht gibt: Im aktuellen Fall sind es jüngere Frauen, die auf die Strasse<br />

gehen und für mehr Gleichheit demonstrieren. Gleichheit zwischen Mann und Frau, wohlgemerkt. Im<br />

Zuge dieser an sich sinnvollen Entwicklung gibt es aber auch <strong>im</strong>mer mehr Heteromänner, die sich nun<br />

selbst auch diskr<strong>im</strong>iniert fühlen. Dass der Mann an sich oft gar nicht mehr weiss, was er nun noch «darf» und was nicht, sorgt das<br />

für Verwirrung. Und Ratlosigkeit. Vor allem bei den Heteros. Denn die Schwulen mussten sich meist schon in der Pubertät mit der<br />

Thematik «Wo ist denn nun mein Platz in der Gesellschaft» auseinandersetzten. Birgit Kawohl guckt in unserer Titelgeschichte mal<br />

so ganz generell, wie es «dem Mann» so geht und wo der schwule Mann dabei geblieben ist.<br />

Viel Spass mit dem neuen <strong>Cruiser</strong>!<br />

Haymo Empl, Chefredaktor<br />

inhalt<br />

4 Thema Der geknechtete Mann<br />

10 News Update<br />

11 Reportage Urs Blaser und<br />

seine Kammerspiele<br />

13 Kultur Buchtipp<br />

14 Kolumne Michi Rüegg<br />

15 Comeback Florian Burkhardt<br />

16 Portrait Martin Jascur<br />

19 News Update<br />

20 Kultur Angels in America<br />

21 News Update<br />

22 Serie Ikonen von Damals<br />

23 Reportage Studio 43 in Bern<br />

25 Fingerfertig Nihat kocht<br />

26 Kolumne Mirko<br />

27 Reisen Gay Travel<br />

29 Serie Homosexualität in<br />

Geschichte und Literatur<br />

32 Ratgeber Dr. Gay<br />

33 Kolumne Peter Thommen<br />

34 Flashback <strong>Cruiser</strong> vor 30 Jahren<br />

<strong>im</strong>pressum<br />

CRUISER MAGAZIN PRINT<br />

ISSN 1420-214x (1986 – 1998) | ISSN 1422-9269 (1998 – 2000) | ISSN 2235-7203 (Ab 2000)<br />

Herausgeber & Verleger Haymo Empl, empl.media<br />

Infos an die Redaktion redaktion@cruisermagazin.ch<br />

Chefredaktor Haymo Empl | Stv. Chefredaktorin Birgit Kawohl<br />

Bildredaktion Haymo Empl, Nicole Senn. Alle Bilder mit Genehmigung der Urheber.<br />

Art Direktion Nicole Senn | www.nicolesenn.ch<br />

Agenturen SDA, DPA, Keystone<br />

Redaktion Print Vinicio Albani, Anne Andresen, Yvonne Beck, Andreas Faessler,<br />

Mirko, Moel Maphy, Michi Rüegg, Alain Sorel, Peter Thommen, Nihat.<br />

Korrektorat | Lektorat Birgit Kawohl<br />

Anzeigen anzeigen@cruisermagazin.ch<br />

Christina Kipshoven | Telefon +41 (0) 31 534 18 30<br />

WEMF beglaubigte Auflage 11 539 Exemplare<br />

Druck Druckerei Konstanz GmbH<br />

Wasserloses Druckverfahren<br />

REDAKTION UND VERLAGSADRESSE<br />

empl.media, Haymo Empl<br />

Winterthurerstrasse 76, 8006 Zürich<br />

redaktion@cruisermagazin.ch<br />

Telefon 044 586 00 44 (vormittags)<br />

CRUISER MAGAZIN ONLINE<br />

Herausgeber & Verleger Haymo Empl, empl.media<br />

Haftungsausschluss, Gerichtsstand und weiterführende<br />

Angaben auf www.cruisermagazin.ch<br />

Der nächste <strong>Cruiser</strong> erscheint am 2. Juni 2017<br />

CRUISER mai 2017


4<br />

Thema<br />

Männlichkeit als Bürde?<br />

Der geknechtete<br />

Mann<br />

Männlichkeit wird <strong>im</strong>mer mehr<br />

zur Bürde. Der Mann von heute<br />

wird hin- und hergerissen<br />

zwischen dem Versuch, altes<br />

Rollendenken zu erfüllen,<br />

zugleich aber modern<br />

und innovativ daherzukommen.<br />

Und der<br />

schwule Mann<br />

steht einmal<br />

mehr zwischen<br />

allen<br />

Stühlen.<br />

CRUISER mai 2017


Thema<br />

Männlichkeit als Bürde?<br />

5<br />

Von Birgit Kawohl<br />

M<br />

ännlichkeit, das ist einer der Begriffe,<br />

der einem völlig selbstverständlich<br />

über die Lippen kommt<br />

und wenn man dann sagen soll, was man<br />

eigentlich darunter verstehe, reicht es<br />

meistens nur zu einem «Äh, …». Wikipedia<br />

kann da selbstverständlich einmal<br />

mehr weiterhelfen – solange man sich jedenfalls<br />

für heterosexuelle Männlichkeit<br />

interessiert, was schwule Männlichkeit<br />

angeht, darüber schweigt sich Wikipedia<br />

aus – und so erfährt man, dass Männlichkeit<br />

kulturell dem Mann zugeschriebene<br />

Eigenschaften umfasse. Aha. Da sich Kultur<br />

aber in einem dauernden Wandel<br />

befindet, ist schnell klar, dass sich aus dieser<br />

Begriffsdefinition und der Erfüllung<br />

selbiger einige Reibungspunkte ergeben,<br />

denen in diesem Artikel nachgegangen<br />

werden soll und vor allem deren Auswirkungen<br />

auf den «modernen Mann» untersucht<br />

werden sollen.<br />

Die Biologie verschafft Männern<br />

eindeutig Vorteile<br />

Da ist zunächst einmal die biologischevolutionäre<br />

Komponente des Begriffs, der<br />

die physischen Merkmale eines Mannes <strong>im</strong><br />

Unterschied zu einer Frau beschreibt. Dieser<br />

Bereich ist sicher in weiten Teilen am objektivsten<br />

zu beurteilen, denn Männer sind – in<br />

der Regel – stärker als Frauen. Dies liegt, was<br />

allgemein bekannt ist, am männlichen Sexualhormon<br />

Testosteron. Das Hormon, das<br />

massgeblich beteiligt ist am Aufbau von<br />

Muskelgewebe und Muskelmasse, ist bei<br />

Frauen in einem zehn- bis zwanzigfachen<br />

Masse weniger vorhanden als bei Männern.<br />

Zudem unterscheidet sich der Aufbau der<br />

Muskelzellen bei Männern und Frauen insofern,<br />

als dass die männlichen Zellen mehr<br />

Energie als weibliche Muskelzellen produzieren<br />

können. Na gut, haben also Männer<br />

mehr Kraft und mehr Ausdauer. Das ist ja so<br />

schlecht nicht. Schwierig wird es erst dann,<br />

wenn man sieht, was die Gesellschaft heutzutage<br />

daraus macht. Während es in früheren<br />

Kulturen sinnvoll war, dass man wusste,<br />

dass Männer stärker sind, ist diese körperliche<br />

Eigenschaft heute weitgehend nicht<br />

mehr von Belang. Selten müssen Männer<br />

Kraft ist ein angeborenes<br />

Phänomen.<br />

Speere gegen Mammuts schleudern oder einen<br />

Gegner mit eigener Kraft erledigen.<br />

Dazu gibt es mittlerweile viele phantastische<br />

technische Hilfsmittel. Trotzdem meinen<br />

Heteromänner auch heutzutage noch, sie<br />

müssten sich be<strong>im</strong> weiblichen Geschlecht<br />

über diese althergebrachten physischen ➔<br />

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AMAG Utoquai, 8008 Zürich, Tel. 044 269 51 51, www.utoquai.amag.ch<br />

AMAG Winterthur, 8406 Winterthur, Tel. 052 208 32 00, www.winterthur.amag.ch<br />

CRUISER mai 2017


6<br />

Thema<br />

Männlichkeit als Bürde?<br />

Der Mann <strong>im</strong> Jahr 2017 weiss irgendwie nicht, wo er hingehört. Egal ob schwul oder hetero.<br />

Eigenschaften definieren, und in den meisten<br />

Fällen meinen sie dies nicht einmal zu<br />

Unrecht, da Frauen <strong>im</strong>mer noch lieber einen<br />

starken Mann als einen «Lauch» (jugendsprachliches<br />

Synonym für einen schmächtigen<br />

Mann) an ihrer Seite haben. Nicht umsonst<br />

zeigen sich gewiefte Erfolgsmenschen<br />

wie Wlad<strong>im</strong>ir Putin gerne oben ohne, um<br />

ihren gut sichtbaren Bizeps zu präsentieren,<br />

woraus seine Landsleute schliessen sollen,<br />

dass er sich kraftvoll für sie einsetzt und alle<br />

Menschen ausserhalb Russlands möglichst<br />

vor Angst den Atem anhalten. Viele Männer<br />

sehen sich dazu gezwungen, fortwährend<br />

Muskeln aufzubauen und zu erhalten, auch<br />

wenn dies für ihren Job als Buchhalter vollkommen<br />

unwichtig ist. Dieses Phänomen<br />

lässt sich gut an der stetig wachsenden Zahl<br />

an Fitnessstudios ablesen, die zudem <strong>im</strong>mer<br />

mehr Hardcore-Trainierer haben, also – zumeist<br />

junge bis sehr junge – Männer, die tagtäglich<br />

mehrere Stunden an den Geräten<br />

verbringen. Im Leben dieser Menschen<br />

dreht sich meist alles ums Pumpen: der Tagesablauf,<br />

der Ernährungsplan, die Gedanken.<br />

Ganze Branchen leben vom Fitnesswahn,<br />

der aus dem Wunsch entspringt,<br />

männlich zu sein. Warum sich der schwule<br />

Mann dann ebenfalls diesem Muskeldiktat<br />

unterwirft, ist nicht ganz klar, schliesslich<br />

muss er keine Frau mit seiner Stärke beeindrucken.<br />

CRUISER mai 2017<br />

Bestärkt wird dieses Bild <strong>im</strong>mer wieder<br />

von der Werbebranche, die natürlich gut<br />

gebaute – ein Sixpack ist ein Must-have –<br />

Models zur Vermarktung ihrer Produkte<br />

einsetzt. Dabei ist es unerheblich, ob für das<br />

beworbene Produkt überhaupt ein muskulöser<br />

Körper notwendig ist. Ein speckiges<br />

Model kann nicht einmal Zahnpasta bewerben,<br />

das wirkt angeblich zu negativ und damit<br />

absatzsenkend.<br />

Wenn nun eine Diskrepanz zwischen<br />

Ideal und Realität auftritt, kommt es zu den<br />

üblichen Reaktionen: Der Körper und die<br />

Psyche suchen sich Auswege, mit diesem<br />

Dilemma umzugehen und schaffen sich damit<br />

häufig neue Dilemmata. Wenn es schon<br />

mit den Muskeln nichts wird, will man wenigstens<br />

schlank sein. Dies führt dazu, dass<br />

es mittlerweile <strong>im</strong>mer mehr männliche Patienten<br />

in der bisherigen Frauen-Domäne Anorexie<br />

gibt. Was in den meisten Fällen sogar<br />

einen heftigeren Verlauf hat, da Männer sich<br />

in der Regel und das auch typisch dem<br />

Männlichkeitsideal entsprechend nur sehr<br />

schwer über ihre Probleme äussern.<br />

Männer reden <strong>im</strong>mer noch zu wenig<br />

über ihre Probleme<br />

Womit wir bei der zweiten Kategorie der<br />

Männlichkeit wären: den mentalen Charakteristika,<br />

die man Männern zuschreibt. In<br />

diesem Bereich finden sich <strong>im</strong>mer wieder<br />

schnell Begriffe wie Mut, Gewalt und Führungsbereitschaft.<br />

Diese Kategorie wird bereits<br />

in den frühen Kindheitsjahren geprägt,<br />

denn Jungen bekommen weitaus öfter als<br />

ihre weiblichen Pendants von Erwachsenen<br />

zu hören, dass man doch bitte schön nicht<br />

weine (wenn man sich die Knie aufgeschlagen<br />

hat, wenn man mit dem Velo gestürzt ist,<br />

wenn man vom Schulkollegen eins auf die<br />

Nase bekommen hat), denn schliesslich gilt:<br />

«Ein Indianer kennt keinen Schmerz.» Was<br />

aber ist mit den Jungen, die vielleicht viel lieber<br />

ein Cowboy wären? Ach so, die weinen<br />

selbstverständlich auch nicht, wenn man ihnen<br />

die Frau erschiesst, vielmehr schnappen<br />

sie sich dann selbst ein Gewehr und stellen<br />

sich mutig allen Widernissen. Also ein<br />

Mann weint nicht und wenn doch, dann ist<br />

er etwas ganz Besonderes. Wir erinnern uns<br />

an den Raufbold Horst Sch<strong>im</strong>anski, dargestellt<br />

von Götz George, dessen Handlung in<br />

dem Kinofilm «Faust auf Faust» mit einem<br />

Song von Klaus Lage unterlegt wurde, der<br />

die Zeile enthält «Fang’ doch jetzt bloss nicht<br />

an zu weinen, du spielst doch sonst so’n harten<br />

Mann». Offenbar hat also der super<br />

Macho Sch<strong>im</strong>i geweint, wie später deutlich<br />

wird, hat ihn eine Frau ins Gefühlschaos gestürzt.<br />

Einem Sch<strong>im</strong>anski/George konnte<br />

dieser kleine Fauxpas natürlich nichts anhaben,<br />

<strong>im</strong> Gegenteil, die Frauenwelt schmolz<br />

einmal mehr vollkommen dahin, denn hier


Thema<br />

Männlichkeit als Bürde?<br />

7<br />

hatte jemand das goldene Los gezogen, ein<br />

echter Mann (Muskeln, Mut, Eigensinn), der<br />

trotzdem Gefühl zeigt, quasi ein Socken strickender<br />

Rambo.<br />

Andere Männer, die nicht von ihrem<br />

positiven Ruf profitieren können, können<br />

sich allerdings solche und andere Schwächen<br />

kaum leisten, denn «Ein Indianer kennt keinen<br />

Schmerz» (s.o.), was übrigens auch für<br />

Schwule gilt, die vielleicht schon als Kind weder<br />

Indianer noch Cowboy sein wollten. Dies<br />

hat weitreichende Auswirkungen: Immer<br />

noch sterben Männer mehrere Jahre früher<br />

als Frauen, lt. dem Bundesamt für Statistik<br />

liegt der Unterschied derzeit bei ca. vier Jahren.<br />

Dies liegt zum einen sicherlich an der<br />

weitaus höheren Risikobereitschaft vor allem<br />

von jungen Männern, bei illegalen Strassenrennen<br />

beträgt die Männerquote nahezu 100<br />

Prozent und auch in Extremsportarten wie<br />

Mountainflying oder Cliff-Diving sind Männer<br />

eindeutig überrepräsentiert. Wer mehr<br />

riskiert, verunfallt schneller und kann <strong>im</strong><br />

schl<strong>im</strong>msten Fall seinen Verletzungen erliegen.<br />

Allein be<strong>im</strong> Basejumping verunglückten<br />

seit 1980 ca. 260 Menschen/Männer. Das<br />

klingt erst einmal nicht so viel, wenn man<br />

sich allerdings überlegt, dass es sich meistens<br />

um Männer in der Blüte ihres Lebens handelt,<br />

kommt man schon ins Nachdenken.<br />

Aber nicht nur die gegenüber Frauen erhöhte<br />

Lieber tot als schwach.<br />

Risikobereitschaft schlägt sich negativ in der<br />

Lebenserwartung der Männer nieder. Schwerer<br />

wiegt, dass Männer Schwächen nicht so<br />

gerne zugeben – es sei denn, es ist ein ganz<br />

gemeiner Schnupfen, der wird selbstverständlich<br />

in aller Ausführlichkeit zelebriert –<br />

und daher häufig viel zu spät oder auch gar<br />

nicht zum Arzt gehen, um ihren Gesundheitszustand<br />

überprüfen zu lassen. Als<br />

Mann zeigt man lieber Stärke und kippt zur<br />

Not auch <strong>im</strong> Fussballstadion oder bei der<br />

Arbeit mit einem Herzinfarkt oder Schlaganfall<br />

um. Besser tot, als vorher um Hilfe zu<br />

bitten, um es einmal ganz drastisch zu formulieren.<br />

Wenn Männer doch einmal eine<br />

Schwäche zugeben oder eine Krankeitsvermutung<br />

äussern, wird diese dann gar nicht<br />

richtig wahrgenommen, weil es keiner erwartet<br />

und die meisten Menschen damit<br />

auch gar nicht umgehen können. Der Mann<br />

bekommt meist die Antwort, er solle<br />

sich nicht so anstellen, weil man hinter jeglichem<br />

Schlechtfühlen einen Schnupfen-<br />

Hypochonder vermutet. Dies gilt umso<br />

mehr, je älter der Mann ist, denn die früheren<br />

Generationen sind noch viel stärker als<br />

unsere heutige von der Durchhaltementalität<br />

geprägt. Hier scheinen Schwule eine Ausnahme<br />

zu bilden: Zum einen wurden sie<br />

durch AIDS unweigerlich und auf drastische<br />

Weise mit Krankheit und Tod konfrontiert,<br />

sodass man einfach nicht darum herumkommt,<br />

darüber zu reden, sich untersuchen<br />

zu lassen, die Signale des eigenen Körpers<br />

wahrzunehmen. Andererseits scheinen sie<br />

sowieso emotionaler zu sein, was sie auch<br />

eher über Probleme reden lässt. ➔<br />

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8 Thema<br />

Männlichkeit als Bürde?<br />

Wo sich das Schweigen aber besonders<br />

auffällig bemerkbar macht, ist der Bereich<br />

der psychischen Erkrankungen und deren<br />

schl<strong>im</strong>mste Auswirkung, der Suizid. 2013<br />

stellten Männer etwa drei Viertel der Toten<br />

in dieser Kategorie (wieviele davon schwul<br />

waren, macht die Statistik leider nicht deutlich).<br />

Dies ist bezeichnend, da ein Grossteil<br />

der Gesellschaft ziemlich sicher vermutet,<br />

dass es unter Frauen sehr viel mehr psychisch<br />

Erkrankte gibt., weil Frauen, wenn es<br />

ihnen schlecht geht, zum einen viel schneller<br />

und meist auch offener darüber reden und<br />

sich zudem viel eher Hilfe suchen. Männer<br />

kommt es auch weniger in den Sinn, helfende<br />

Medikamente zu nehmen, lieber nutzt<br />

man das allzeit probate Hilfsmittel Alkohol,<br />

das passt wenigstens zur Männlichkeit, lässt<br />

es einen doch statt depressiv aggressiv und<br />

manchmal auch gewalttätig agieren, eben<br />

typisch männlich. Vor allem Heteromänner<br />

wollen möglichst wenig von gesellschaftlichen<br />

Normen abweichen, dies gelingt Frauen<br />

besser.<br />

Die Arbeitswelt wirkt als Modernisierungsfalle<br />

Wenn ein junges Mädchen sagt, es wolle<br />

nach der Matura Maschinenbau studieren,<br />

bekommt es meistens Lob zu hören, denn<br />

Frauen sollen sich gemäss Emanzipationsauftrag,<br />

da hat sich Alice Schwarzer ganz<br />

schön kräftig in unseren Köpfen festgesetzt,<br />

in allen möglichen Berufen etablieren,<br />

die bis vor Kurzem noch Männern<br />

vorbehalten waren. Sagt nun ein Junge<br />

aber nach der Schule, er habe vor Erzieher<br />

zu werden, um in einer Krippe zu arbeiten,<br />

wird er in den meisten Fällen ein Naserümpfen<br />

ernten. Mental schreibt man<br />

Männern Talente wie Organisationsfähigkeit<br />

und abstraktes Denken zu, während<br />

bei Frauen wiederum die sozialen Fähigkeiten<br />

betont werden.<br />

So lassen sich für die Studienfachwahl<br />

an der Uni Zürich eindeutige genderabhängige<br />

Vorlieben ausmachen: Während<br />

Wirtschaft und Dienstleistungsstudiengänge<br />

von beiden Geschlechtern ungefähr<br />

gleich häufig belegt werden, kommen <strong>im</strong><br />

Technik/IT-Bereich auf ca. 100 weibliche<br />

1700 männliche Studenten und umgekehrt<br />

<strong>im</strong> Bereich Gesundheit ca. 1200 weibliche<br />

auf 120 männliche Studierende.<br />

Im Falle der Berufswahl kommen<br />

mehrere Faktoren zusammen, die es Männern<br />

erschweren, eine wirklich freie Wahl,<br />

eingeschlossen typischer Frauenberufe, zu<br />

treffen. Zum einen sind dies sicherlich die<br />

eben erwähnten Fähigkeiten, die man Männern<br />

zuschreibt, weswegen man ihnen sehr<br />

viel weniger zutraut, weinende Kleinkinder<br />

zu trösten oder laufende Nasen zu wischen.<br />

Hinzu kommen aber auch die Verdienstmöglichkeiten,<br />

die zwischen einzelnen Berufen<br />

stark divergieren. Klar, mag man<br />

denken, bei manchen Berufen braucht man<br />

Mental schreibt man<br />

Männern Talente wie<br />

Organisationsfähigkeit<br />

und abstraktes Denken zu.<br />

ja auch eine höhere Schulbildung oder hat<br />

eine längere Lehrzeit. Das alleine macht die<br />

Unterschiede aber nicht aus. Vergleicht<br />

man verschiedene Berufsgruppen, fällt sehr<br />

schnell auf, dass die sozialen Berufe <strong>im</strong> Allgemeinen<br />

sehr viel niedriger bezahlt sind<br />

als die technischen. Wenn man nun zusätzlich<br />

bedenkt, dass sich Männer ihren sozialen<br />

Status <strong>im</strong>mer noch zum Grossteil über<br />

St<strong>im</strong>mt nachdenklich:<br />

Unter den zehn einkommensstärksten<br />

Berufen<br />

ist kein einziger sozialer<br />

Beruf zu finden.<br />

ihr Einkommen und ihre damit verbundenen<br />

finanziellen Möglichkeiten sichern<br />

müssen, ist es verständlich, warum sich nur<br />

ein min<strong>im</strong>aler Prozentsatz der Männer für<br />

den Beruf des Erziehers entscheidet, so<br />

wünschenswert dies auch für die Erziehung<br />

kommender männlicher Generationen<br />

wäre. Unter den zehn einkommensstärksten<br />

Berufen ist kein einziger sozialer Beruf<br />

zu finden, stattdessen tauchen dort Anlageberater,<br />

Projektmanager in der IT-Branche,<br />

Wirtschaftsprüfer und -informatiker auf,<br />

alles «typisch männliche» Berufe. Die festgelegte<br />

Berufswahl bestätigt sich in einer<br />

Statistik der Fachstelle für die Gleichstellung<br />

von Mann und Frau der Stadt Zürich<br />

für das Jahr 2011. Darin werden jeweils folgende<br />

fünf Lieblingsberufe ausgewiesen:<br />

Frauen: Kauffrau, Detailhandelsfachfrau,<br />

Fachfrau Betreuung, Fachfrau Gesundheit.<br />

Coiffeurin – Männer: Kaufmann, Informatiker,<br />

Elektroinstallateur, Detailhandelsfachmann,<br />

Polymechaniker. Überrascht?<br />

Wohl kaum.<br />

CRUISER mai 2017


Thema<br />

Männlichkeit als Bürde?<br />

9<br />

Auch wenn man nun einwenden mag,<br />

dass sich in den letzten sechs Jahren vielleicht<br />

einiges geändert habe, ist diese Auflistung<br />

doch sehr bezeichnend. Bei den Frauen<br />

findet sich kein einziger technischer Beruf,<br />

bei den Männern umgekehrt kein einziger<br />

sozialer. Hier wirken die alten Gendervorstellungen<br />

<strong>im</strong>mer noch extrem. Hier können<br />

Schwule als Vorreiter dienen, die ja schon<br />

seit Langem häufig soziale Berufe ergreifen<br />

wie z.B. Kranken- oder Altenpfleger.<br />

Neben der freien Berufswahl ist in vielen<br />

Fällen durch den Verdienstfaktor auch<br />

die Wahl der Lebens- respektive Familienform<br />

vorbest<strong>im</strong>mt. Ist es doch <strong>im</strong>mer noch<br />

so, dass Männer <strong>im</strong> Schnitt zwischen zehn<br />

bis zwanzig Prozent mehr verdienen als<br />

Frauen in einer vergleichbaren beruflichen<br />

Stellung. Damit erledigt sich in vielen Familien<br />

schnell die Frage, wer nach der Geburt<br />

von Kindern zunächst einmal zu Hause<br />

bleibt, finanziell ist es oft kaum anders möglich,<br />

als dass dies die Frau ist, während sich<br />

der Mann weiterhin in der Arbeitswelt beweisen<br />

muss. Was für ihn natürlich mit einer<br />

massiven Verantwortung verbunden ist,<br />

sieht er sich als Alleinernährer und damit<br />

jeglicher Möglichkeit beraubt, sich eine Auszeit<br />

zu gönnen oder über eine Stundenreduktion<br />

nachzudenken. Dies wiederum<br />

wirkt sich auf die gesundheitliche Verfassung<br />

aus, womit sich ein Teufelskreis (s. o.)<br />

schliesst. Hier haben es Schwule vermeintlich<br />

einfacher, da es in gleichgeschlechtlichen<br />

Partnerschaften weniger um die Sorge<br />

für gemeinsame Kinder und eine damit verbundene<br />

berufliche Auszeit geht, was ja das<br />

derzeit <strong>im</strong>mer noch geltende Adoptionsrecht<br />

gekonnt verhindert.<br />

Viele der oben genannten Beispiele<br />

gelten sicherlich zunächst einmal für Heteromänner,<br />

die sich viel stärker als Männer<br />

in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften<br />

mit den Erwartungen der Gesellschaft auseinandersetzen<br />

müssen. Männer, die mit<br />

Männern schlafen, haben sich ja mindestens<br />

einmal extrem über eine gängige Gesellschaftsvorstellung<br />

hinweggesetzt. Daher<br />

fällt es ihnen manchmal leichter, weitere<br />

Vorstellungen zu ignorieren, wie zum<br />

Beispiel den Umgang mit Gefühlen. Dies gilt<br />

aber sicherlich nicht für alle Bereiche, da<br />

sich auch homosexuelle Männer nicht<br />

andauernd Anfeindungen gegen ihr (biologisches)<br />

Geschlecht aussetzen wollen und<br />

können. Vielleicht können sie aber mit ihrem<br />

Mut, sich als schwul zu outen, die Möglichkeit<br />

aufzeigen, dass Männlichkeit <strong>im</strong><br />

21. Jahrhundert zum Glück mehr Facetten<br />

aufweist als Mut, Kraft und Abstraktionsvermögen.<br />

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ALBUM OUT 16.06.2017<br />

CRUISER mai 2017


10<br />

News<br />

Update<br />

NEWS<br />

Lesbenzeitschrift nun auch digital<br />

Die Schweizer Zeitschrift «Lesbenfront» sowie<br />

ihre Nachfolgeorgane sind voll digitalisiert<br />

und <strong>im</strong> Internet zugänglich. Die einzelnen<br />

Beiträge können als PDF heruntergeladen<br />

werden. Zur Verfügung steht ebenfalls eine<br />

Stichwort-Suche. Das Angebot wurde von<br />

der ETH-Bibliothek bereitgestellt, die schon<br />

zuvor den «Kreis» digitalisiert hat. Dies ist<br />

dem Newsletter von «Schwulegeschichte.ch»<br />

zu entnehmen.<br />

Die einzige deutschsprachige Lesbenzeitschrift<br />

aus der Schweiz erschien während<br />

30 Jahren in Zürich von 1975 bis 2005. Sie<br />

wurde zuerst von der Homosexuellen Frauengruppe<br />

Zürich und, nach deren Auflösung<br />

1980, von der jeweiligen Redaktionsgruppe<br />

herausgegeben. Die Redaktion war unabhängig<br />

und hatte ihren Sitz <strong>im</strong> Frauenzentrum<br />

Zürich. Von 1975 bis 1985 wurde die<br />

Zeitschrift über den Frauenbuchvertrieb<br />

Berlin auch in Deutschland und Österreich<br />

verkauft, danach nur über Abonnemente sowie<br />

Direktverkauf in der Schweiz, schreibt<br />

«schwulengeschichte.ch» weiter.<br />

www.e-periodica.ch<br />

Neue Gay Bar in Zürich<br />

Nachdem das Dynasty an der Zähringerstrasse<br />

nun Geschichte ist, wagen die beiden<br />

Newcomer Sandro Rigazzi und Remo Hofer<br />

mit neuem Konzept und neuem Namen einen<br />

Reboot. Man bleibt bei englisch und<br />

nennt das Gay-Lokal «Infinity» – über Ostern<br />

wurde Eröffnung gefeiert. Dieser mutige<br />

Schritt wird die momentan eher maue<br />

Szene <strong>im</strong> Kreis 1 vielleicht wieder etwas beleben.<br />

Eine Webseite existiert noch nicht,<br />

dafür eine geschichtsträchtige Adresse:<br />

Infinity Bar & Lounge<br />

Zähringerstrasse 11<br />

8001 Zürich<br />

CRUISER mai 2017


Reportage<br />

<strong>Cruiser</strong> zu Besuch beI …<br />

11<br />

«Angefangen habe ich als<br />

<strong>Mai</strong>nzelmännchen»<br />

Bei den Kammerspielen Seeb gibt es viel mehr als nur Kleintheater.<br />

Denn dank Urs Blaser ist jede Aufführung ein Spektakel.<br />

Von Haymo Empl<br />

U<br />

rs Blaser hatte eine etwas andere<br />

Kindheit: Er ging in Beirut, Libanon,<br />

auf die Deutsche Schule. «Mein Vater<br />

arbeitete damals für die Swissair und es<br />

war üblich, dass jeweils an jeder Destination<br />

auch jemand aus der Schweiz vor Ort war»,<br />

erinnert sich Urs Blaser <strong>im</strong> Gespräch mit<br />

dem <strong>Cruiser</strong>. Das Interview findet in seinen<br />

«Kammerspielen Seeb» statt, um 10.00 Uhr<br />

morgens. Früh, für einen Mann, der das<br />

Theater liebt und lebt, denn die Nächte sind<br />

oft lang. «Ich war ungefähr zehn Jahre alt,<br />

als ich in Beirut in der Schule meine erste<br />

Theaterrolle hatte», erinnert sich der Schauspieler,<br />

Regisseur und Theaterleiter in Personalunion.<br />

«Damals war der Libanon noch<br />

das ‹Paris des Nahen Ostens› so frei war das<br />

Land bis in die frühen 1970er Jahre.» Eine<br />

Zeit, die für Urs Blaser prägend war. «Ich<br />

konnte dort <strong>im</strong> Schultheater erste Erfahrungen<br />

sammeln – ich spielte ein <strong>Mai</strong>nzelmännchen.<br />

So viel weiss ich noch, allerdings<br />

nicht mehr, in welchem Kontext.» Später –<br />

zurück in der Schweiz – dann der Ruf der<br />

Schauspielschule. Die Schule rief allerdings<br />

vielleicht nicht ganz so laut wie von Urs ursprünglich<br />

vielleicht erhofft: «Der Schulleiter<br />

sah mich eher als Theaterpädagoge – das<br />

war aber nicht das, was ich mir vorgestellte<br />

hatte». Und – mutig – gründete er kurzerhand<br />

sein eigenes Theater. «Das ist jetzt weit<br />

über 40 Jahre her – zusammen mit meinem<br />

Bruder und Freunden gingen wir das Wagnis<br />

ein und bauten einen alten Schopf um»,<br />

so der Regisseur weiter. Seit 1980 gelten die<br />

Kammerspiele Seeb als ein professionelles<br />

Theater. Dieses wurde dann aber schnell zu<br />

eng und da eine Überbauung anstand, suchte<br />

man ein neues Domizil. Eine stillgelegte<br />

Handorgelfabrik bot sich an und so wurde<br />

dann vor etwas mehr als zehn Jahren am jetzigen<br />

Standort eröffnet.<br />

Theatermensch mit Leib und Seele<br />

Im Foyer stehen bei den Kammerspielen<br />

Seeb Tische, es ist weiss gedeckt und auch<br />

die grosse Bar ist nicht zu übersehen. Hier<br />

wird also mehr als nur Theater geboten.<br />

«Wir bieten auch komplette Genuss-Abende<br />

an – Menü, Getränke und natürlich die<br />

Vorstellung an sich. Ebenfalls sehr beliebt<br />

sind die Brunche. Wenn Urs erzählt, klingt<br />

das nach einem enormen Arbeitspensum.<br />

Tatsächlich ist es so, dass seit 2006 25 Eigenproduktionen<br />

insgesamt 1594 Mal vor<br />

total 123 729 Zuschauern aufgeführt wurden.<br />

Ganzjährig werden sechs Mitarbeiter<br />

beschäftigt. Dazu kommen während der<br />

Spielzeit die Schauspieler sowie teilzeitbeschäftigtes<br />

Personal. Da bleibt wenig Zeit<br />

für die eigene Kreativität, oder? «Ich kann<br />

mich natürlich nach wie vor sehr eingeben.<br />

Schauspielern tue ich aber nicht mehr<br />

selbst, das wäre einfach nicht mehr passend<br />

in meiner Funktion. Ich habe gemerkt,<br />

dass schon alleine das ‹Vorspielen›<br />

in vielen Fällen kontraproduktiv ist, denn<br />

dann versuchen die Schauspieler in manchen<br />

Fällen einfach das zu kopieren, was<br />

ich vorgespielt habe.<br />

Hier wird mehr als nur<br />

Theater geboten.<br />

Wie kommt man denn nun auf Stücke,<br />

die geeignet für die Kammerspiele Seeb<br />

sind? «Ich entscheide ja nicht einfach so ins<br />

Blaue und schaue bereits <strong>im</strong> Vorfeld sehr genau,<br />

was bei uns funktioniert hat und was<br />

eher nicht. Dann analysiere ich das ‹eher ➔<br />

CRUISER mai 2017


12<br />

Reportage<br />

<strong>Cruiser</strong> zu Besuch bei …<br />

Die Kammerspiele Seeb in Bachenbülach: Tolle Theaterstücke, originelle Bühnenbilder und<br />

schön viel Plüsch.<br />

Urs Blaser ist der geistige Vater der<br />

Kammerspiele Seeb.<br />

©Bilder: Empl/Kawohl<br />

nicht› und entscheide mich dann auf dieser<br />

Basis für neue Stücke. Wir sind ein kommerzielles<br />

Theater, arbeiten hoch professionell<br />

und sind auf ein volles Haus angewiesen. Die<br />

Kreativität kann ich mit meiner Regiearbeit<br />

übrigens <strong>im</strong>mer noch mehr als genug ausleben.<br />

Und überhaupt, das ganze Umfeld ist<br />

ein Kreativ-Haufen, <strong>im</strong> positiven Sinne», erklärt<br />

Urs Blaser lachend.<br />

Plüsch, Opulenz und Flair<br />

Im Theater an sich fühlt man sich sofort wie<br />

zu Hause. So muss ein Theater aussehen! Das<br />

klassische Rot der Sitze, den direkten, frontalen<br />

Blick auf die Bühne, diese Opulenz –<br />

fantastisch. Und bei der Führung in den<br />

Backstagebereich merkt man erneut, dass<br />

Urs Blaser sein Theater nicht nur liebt, sondern<br />

lebt. Das schlägt auch auf die Mitarbeitenden<br />

über – der Ton untereinander ist<br />

freundlich, kollegial und man spürt, dass<br />

alle an der Vision «Theater auf höchstem<br />

Niveau» werkeln. Entsprechend haben die<br />

Kammerspiele Seeb auch ein breites Einzugsgebiet.<br />

«Wir haben die Zürichseeufer,<br />

die kommen wirklich von beiden Seiten –<br />

aber erstaunlicherweise wenig Stadtzürcher.»<br />

Was eigentlich verwundert, denn die<br />

Kammerspiele Seeb – vielleicht vergleichbar<br />

mit dem Zürcher «Hechtplatz» – bieten<br />

beinahe noch mehr Flair und sind von der<br />

Programmierung ebenbürtig. Das Theater<br />

CRUISER mai 2017<br />

in Bachenbülach wäre also eine gute Ergänzung<br />

zum «Hechtplatz» – auch programmtechnisch.<br />

Apropos Programmierung:<br />

Welche Stücke schaffen es denn nun<br />

auf den Spielplan? «Wir müssen darauf<br />

schauen, dass wir eine nahezu hundertprozentige<br />

Auslastung haben», erklärt Urs Blaser.<br />

«Das erreichen wir, indem wir Stücke<br />

bringen, die zwar neu sind – durchaus auch<br />

überraschen dürfen, aber nicht verstörend<br />

wirken sollen. Meistens gelingt uns das: Die<br />

Verlage bieten uns bereits Stücke an, welche<br />

«das ganze Umfeld ist<br />

ein Kreativ-Haufen, <strong>im</strong><br />

positiven Sinne»<br />

zu uns passen. Ich selbst bin natürlich auch<br />

viel auf Reisen und schaue mir an, was <strong>im</strong><br />

Ausland funktioniert – wobei das noch lange<br />

kein Garant dafür ist, dass es auch bei uns<br />

funktioniert. Und dann habe ich selbst mit<br />

meinem Team nach all den Jahren auch ein<br />

Händchen für die richtige Auswahl entwickelt.<br />

Flops gab es bisher gottseidank keine,<br />

wobei, kürzlich hatten wir ‹King Kong› Im<br />

Programm. Das hat irgendwie nicht funktioniert.<br />

Nicht wegen des Stückes an sich, dieses<br />

basierte lose auf dem allerersten Film von<br />

1933, King Kong war ja das erste Monster,<br />

welches explizit für einen Film erfunden<br />

wurde und nicht auf einer Romanvorlage<br />

basierte. Darum hätte es funktionieren sollen»,<br />

erklärt Blaser weiter. «Aber vielleicht<br />

konnte man sich auf Zuschauerseite auf unserer<br />

eher kleinen Bühne einen riesigen Affen<br />

einfach nicht so richtig vorstellen. Es<br />

kamen auf jeden Fall weniger Leute als erwartet,<br />

was ich sehr schade fand, denn die<br />

Leistung der Schauspieler und der Bühnentechnik<br />

war grandios. Urs Blaser zeigt einige<br />

Stills aus dem «Buch der Aufführung»,<br />

auch dieses ist extrem liebevoll gestaltet,<br />

und zeigt, wie sehr dem Theatermanager jedes<br />

Stück am Herzen liegt. Dann schaut Urs<br />

Blaser kurz auf die Uhr. Bald steht eine Mitarbeitersitzung<br />

an. «Diese sind bei uns übrigens<br />

ziemlich sicher um einiges lauter, emotionaler<br />

und kreativer als in anderen Betrieben. Theater<br />

halt eben. Auch bei Sitzungen!» Sagt es,<br />

lacht und verabschiedet sich.<br />

INFO<br />

Die Kammerspiele Seeb in Bachenbülach sind<br />

mit dem Auto und dem ÖV gut zu erreichen.<br />

Den aktuellen Spielplan gibt es auf<br />

www.kammerspiele.ch


Kultur<br />

Buchtipp<br />

13<br />

Die Goldenen Zwanziger schwelgen<br />

in Amoral und Mord<br />

Die zwanziger Jahre, Berlin: Sofort fallen einem die Grossstadtromane von<br />

Fallada und Döblin oder auch die homoerotischen Schriften Klaus Manns<br />

ein, die die pralle Welt der Zwischenkriegszeit zeichnen. Kann das auch in<br />

einem Kr<strong>im</strong>inalroman aus dem Jahr 2017 gelingen?<br />

Von Birgit Kawohl<br />

D<br />

ie Geschichte zusammenzufassen ist<br />

gar nicht so einfach, da sich <strong>im</strong> Laufe<br />

des Romans die Wege einiger Figuren<br />

aus der höheren und nicht ganz so hohen Gesellschaft<br />

kreuzen. Um zumindest die Figuren<br />

für den Leser klar nachvollziehbar zu machen,<br />

findet man zu Beginn des Werkes eine<br />

Personenliste, ohne die – ehrlich gesagt – der<br />

Leser einige Schwierigkeiten hätte, die einzelnen<br />

Gegebenheiten zu verfolgen.<br />

Der Protagonist, der aus dem Adel<br />

stammende Carl von Bäumer, ist ein bekannter<br />

Schauspieler der UFA, ein Frauenschwarm,<br />

aber leider leider schwul, was der<br />

Öffentlichkeit so nicht bekannt ist, <strong>im</strong>merhin<br />

gilt der Paragraf 175 auch <strong>im</strong> ansonsten<br />

so aufgeklärten und wilden Berlin. Liiert ist<br />

er, wie passend, mit einem bürgerlichen Kr<strong>im</strong>inalkommissar.<br />

In ihren Familien wird<br />

ihre Beziehung zwar belächelt, aber auch<br />

nicht wirklich in Frage gestellt, es scheint<br />

insgesamt eine ungeheure Toleranz gegenüber<br />

Homosexuellen und ihrer teilweise<br />

recht offen ausgelebten Sexualität (man bezahlt<br />

jugendliche Stricher und verliebt sich<br />

anschliessend in sie) zu herrschen.<br />

In dieser Gesellschaft kommen nun diverse<br />

Personen in sehr kurzer Reihenfolge zu<br />

Tode, wobei <strong>im</strong>mer die Frage, ist es Mord,<br />

Selbstmord oder war es doch nur ein Unfall<br />

<strong>im</strong> Raum steht. Bald wird deutlich, dass die<br />

aktuellen Geschehnisse mit längst vergangenen<br />

Vorkommnissen zusammenhängen.<br />

Man ist ja von einigen Kr<strong>im</strong>inalautoren<br />

gewagte und zum Teil auch konstruierte<br />

Handlungen gewohnt – kein Leser fragt sich<br />

zum Beispiel bei den in Island spielenden Kri-<br />

mis, warum es hier dauerhaft zu Mord und<br />

Totschlag kommt, wo doch die Kr<strong>im</strong>inalstatistik<br />

Islands eine durchschnittliche<br />

Mordquote von lediglich 0,3% je 100 000 Einwohner<br />

aufweist – aber in diesem Roman ist<br />

die Unglaubwürdigkeit so greifbar, dass sie<br />

störend wird. Dies liegt eben zum einen an<br />

dem so nicht realistisch wirkenden Umgang<br />

mit Sexualität, zum anderen aber auch an den<br />

zu konstruiert verwobenen Handlungsfäden,<br />

die versuchen, längst Vergangenes mit der<br />

Gegenwart zu verbinden.<br />

Ihr Fachwissen präsentiert die Autorin,<br />

sie promovierte über die Literatur der zwanziger<br />

Jahre, in der Handlung, in dem sie reale<br />

Personen und Organisationen – Muskel-<br />

Adolf trieb tatsächlich in der We<strong>im</strong>arer Republik<br />

sein Unwesen, die Ringvereine sind<br />

ebenfalls historisch belegt – in die Handlung<br />

einwebt. Das gibt dem Roman zumindest einen<br />

Hauch von historischem Flair, auch wenn<br />

diese Einbindungen eher unnötig scheinen.<br />

Aufgelöst wird der Fall oder eigentlich die<br />

Fälle, da sich die Straftaten nur so häufen, in<br />

einem Finale à la Agathe Christie. Wir alle erinnern<br />

uns an den grossen Hercule Poirot, der<br />

nach einigen Verwicklungen und Dramen die<br />

Gesellschaft zusammenruft und dann, quasi<br />

aus dem Nichts heraus, die Lösung eines unlösbar<br />

scheinenden Falles präsentiert. Was zu Agathe<br />

Christie dazugehört, wirkt hier allerdings<br />

gekünstelt. Der hübsche Schauspieler, der durch<br />

einige Zufälle und eine Wahnsinnskombinatorik<br />

den Fall löst, sodass sein Partner den gesamten<br />

Urlaub den Abwasch machen muss, längst<br />

vergangene Ereignisse, die plötzlich relevant<br />

werden, all das überzeugt nicht wirklich.<br />

Wer sich in die Welt der zwanziger Jahre<br />

fallen lassen will, dem seien weiterhin die<br />

oben genannten Klassiker empfohlen, wem<br />

es um reine Unterhaltung geht, der kommt<br />

hier durchaus auf seine Kosten.<br />

Buchtipp<br />

Joan Weng: Noble Gesellschaft.<br />

Kr<strong>im</strong>inalroman. atb<br />

Preis CHF 14.90<br />

ISBN 9783746632766<br />

CRUISER mai 2017


14<br />

KOLUMNE<br />

MICHI RÜEGG<br />

Luxusprobleme eines<br />

Gelangweilten<br />

Michi Rüegg sinniert<br />

über den Sinn der Sinne.<br />

VON Michi Rüegg<br />

M<br />

anchmal, wenn mir sehr langweilig<br />

ist, stelle ich mir eine dieser<br />

unnützen Fragen: Wenn du einen<br />

deiner Sinne abgeben müsstest, auf welchen<br />

würdest du am ehesten verzichten? Sehen,<br />

Hören, Riechen, Schmecken und Tasten,<br />

das sind die fünf klassischen.<br />

Der Mensch verlässt sich heutzutage<br />

am ehesten auf seine Sehkraft. Sie best<strong>im</strong>mt<br />

so ziemlich alles. Im Tinder-Zeitalter entscheidet<br />

das Auge innerhalb einer halben<br />

Sekunde darüber, ob wir – rein theoretisch –<br />

mit jemandem eine Familie gründen wollen<br />

würden oder nicht. Auf die Augen verzichte<br />

ich jedenfalls ungern, zumindest <strong>im</strong> Frühling,<br />

wenn die Hosen kürzer werden und<br />

die Arme sich ans Licht wagen.<br />

Vor einigen Tagen fuhr ich mit dem<br />

Velo die Strasse entlang, als ein ungepflegter<br />

Mann kurz vor mir den Fussgängerstreifen<br />

überquerte. Es stank bestialisch, und ich<br />

verfluchte nicht nur den Kerl, sondern alle<br />

Menschen, die ihrer Umwelt starke Körpergerüche<br />

zumuten. Dann machte ich fünfzig<br />

Meter vor mir einen Müllwagen als wahre<br />

Geruchsquelle aus und hatte plötzlich ein<br />

schlechtes Gewissen dem erwähnten Herrn<br />

gegenüber. Ich verzichtete jedoch darauf,<br />

mich <strong>im</strong> Geiste bei ihm zu entschuldigen.<br />

Schliesslich hatte ich zur Genüge müffelnde<br />

Menschen erlebt. Die kennt man, zum Beispiel<br />

Typen, die über Mittag ins Fitness gehen.<br />

Weil sie das jeweils fix planen, verzichten<br />

sie am Morgen davor auf die Dusche. Ist<br />

ja Wasserverschwendung, zwe<strong>im</strong>al am Tag.<br />

Und dann riecht’s wie Gammelfleisch aus<br />

den Achselhöhlen.<br />

CRUISER mai 2017<br />

Also auf die Nase verzichten? Das hätte<br />

den Vorteil, dass ich mir neben eine Kläranlage<br />

ein wunderschönes Haus bauen könnte.<br />

Allerdings müsste ich auf Besuch verzichten.<br />

Trotzdem, nie wieder riechen? Ich denke an<br />

meine Bordeaux-Sammlung <strong>im</strong> Keller und<br />

verwerfe den Gedanken wieder.<br />

Und dann riecht’s wie<br />

Gammelfleisch aus den<br />

Achselhöhlen.<br />

Also das Gehör. Eine ältere Dame, die<br />

früher ab und zu in Theaterstücken von mir<br />

mitspielte, hatte während Jahren trotz ausgewiesenen<br />

Bedarfs kein Hörgerät. Wir<br />

schrien sie jeweils an. Zudem hörte sie auf<br />

der Bühne ihre Einsätze nicht – was sie mit<br />

einem guten Zeitgefühl kompensierte. Ich<br />

sprach sie darauf an, ob sie nicht so ein Ding<br />

<strong>im</strong> Ohr in Betracht ziehe, doch die Dame<br />

wiegelte ab: «Endlich muss mir ich den ganzen<br />

Mist, den die Leute erzählen, nicht mehr<br />

anhören.» Aufs Gelaber könnte ich dann<br />

und wann auch verzichten, aber Musik mag<br />

ich schon ganz gern. Nicht so krass wie einige<br />

Zeitgenossen, die permanent mit Kopfhörern<br />

rumlatschen. Und Konzerte mag ich eh<br />

nicht. Aber <strong>im</strong> Kino nur noch Untertitel lesen<br />

hat irgendwie auch keinen Reiz.<br />

Mein Gaumen und ich sind ein seit<br />

Jahren eingespieltes Team. Ich lasse ihm<br />

grosse Freiheiten und versuche ihm, dann<br />

und wann etwas zu bieten. Ja, ich suche<br />

kulinarische Perfektion und Abwechslung.<br />

Ganz <strong>im</strong> Gegenteil zu einem meiner<br />

Ex-Freunde. Er ass praktisch nur Wiener<br />

Schnitzel mit Pommes, Chicken Nuggets<br />

mit Ketchup und Toast mit Industriekäse.<br />

Alles andere war ihm zuwider. Wäre ich<br />

wie er, ich würde sofort auf den Geschmackssinn<br />

verzichten. Schmeckt ja<br />

eins wies andere. Doch ich bin weder er,<br />

noch wie er, weshalb die Beziehung dann<br />

auch scheiterte.<br />

Bleibt also der Tastsinn. Und bei dem<br />

frage ich mich manchmal, was er <strong>im</strong> Reigen<br />

der bedeutenden Sinne verloren hat.<br />

Ist es wirklich schl<strong>im</strong>m, wenn ich die Fliege<br />

nicht mehr spüre, die sich gerade auf<br />

meine Stirn gesetzt hat? Doch der Tastsinn<br />

spielt be<strong>im</strong> Sex eine gewisse Rolle. Und<br />

obschon Geschlechtsverkehr in meinem<br />

Leben schon einen höheren Stellenwert<br />

hatte – man muss ihn ja nicht noch langweiliger<br />

machen, indem man den Tastsinn<br />

verschenkt. Zudem würde meinen ohnehin<br />

schon angeschlagene Feinmotorik<br />

(wenn ich nüchtern bin, habe ich einen<br />

Hang zum Zittern) ohne Tastsinn noch<br />

mieser werden.<br />

Wie <strong>im</strong>mer, wenn ich mir also die<br />

Frage stelle, welchen Sinn ich hergeben<br />

würde, kann ich mich nicht auf eine Antwort<br />

einigen. Vielleicht würde ich am<br />

ehesten auf den Blödsinn verzichten. Aber<br />

auch das nur ungern. Er ist manchmal der<br />

letzte Strohhalm, an dem ich mich in<br />

dieser grauenvollen Welt festhalte.


Comeback<br />

«Electroboy» Florian Burkhardt<br />

15<br />

Aufstieg Florian Burkhardt<br />

– Reloaded!<br />

An Florian Burkhardt gibt es seit Jahren medial kaum ein Vorbeikommen.<br />

Einst Model, dann Partyveranstalter und dann irgendwie alles, kennt ihn der<br />

heterosexuelle Teil der Bevölkerung spätestens seit dem Dok-Film «Electroboy».<br />

Von Birgit Kawohl & Haymo Empl<br />

F<br />

ür die «Zeit» war es ein «atemberaubender<br />

Dokumentarfilm» und man<br />

fragte «Was ist sein Gehe<strong>im</strong>nis?».<br />

Nun, Florian geht einfach nach dem Trial<br />

and Error-Prinzip vor und probiert alles<br />

aus – manches funktioniert, anderes weniger.<br />

Dabei lässt er stets die Öffentlichkeit<br />

teilhaben, denn das Konzept «Glamourboy<br />

verliert alles, rappelt sich wieder auf, um<br />

dann wieder alles zu verlieren» ect. usw. pp.<br />

ist bewährt und funktioniert bestens. Florian<br />

Burkhardt hat dieses Konzept mittlerweile<br />

– es sind zwei Bücher, mehrere CDs<br />

und besagter Film erschienen – verfeinert<br />

und opt<strong>im</strong>iert … und daher erstaunt es wenig,<br />

dass in diesen Tagen ein neues Buch<br />

mit entsprechendem Br<strong>im</strong>borium angekündigt<br />

wurde: «Das Kind meiner Mutter».<br />

Hierin wird nun sehr emotional der<br />

Weg hin zum Electroboy geschildert, sprich<br />

seine Kindheit und Jugend bis hin zum Umzug<br />

in die USA. Wie <strong>im</strong> Nachwort zu lesen<br />

ist, geht es darum, seine Sicht auf seine<br />

Kindheit und sein Fast-Zerbrechen zu schildern.<br />

Wenn man dies zu Beginn liest, ist<br />

man gespannt auf die schl<strong>im</strong>men Vorkommnisse,<br />

die nun enthüllt werden – und wird<br />

anschliessend schnell enttäuscht, liest man<br />

doch weitgehend von einer sehr normalen<br />

Kindheit der 70er- und 80er- Jahre, beschrieben<br />

aus der phantastisch-dramatischen Sicht<br />

eines Kindes. Aufgewachsen in einem sehr<br />

katholischen Elternhaus mit der Bürde eines<br />

als Kind verstorbenen älteren Bruders, erlebt<br />

Burkhardt das, was tausende Kinder parallel<br />

erlebt haben: mehr oder weniger langweilige<br />

Ferien, Todesfälle von Haustieren, eine sehr<br />

präsente Mutter. Diese gibt ihm <strong>im</strong>mer das<br />

Gefühl etwas Besonderes zu sein, ein kleiner<br />

König. Sein toter Bruder habe für ihn Platz<br />

in der Familie gemacht, da es klar gewesen<br />

sei, dass man nie mehr als zwei Kinder hätte<br />

haben wollen. Auch typisch für die Zeit<br />

lehnt man Homosexualität in der Gesellschaft,<br />

notabene in der Familie ab, was für<br />

den Jugendlichen den Umgang mit der eigenen<br />

Sexualität erschwert. Erste sexuelle<br />

Handlungen des Jugendlichen erfolgen bei<br />

den Pfadis und später <strong>im</strong> katholischen Lehrerseminar,<br />

er wohnt dort zunächst <strong>im</strong> Internat,<br />

selbstverständlich he<strong>im</strong>lich. Für<br />

Burkhardt selbst ist die ganze Gesellschaft<br />

die Hölle, weil er sich nicht so geben darf<br />

oder kann, wie er will.<br />

Umso erstaunlicher ist aber letztendlich<br />

die Reaktion auf Burkhardts Outing,<br />

bevor er sich in die USA begibt, die Eltern<br />

akzeptieren ihren schwulen Sohn.<br />

So bleibt be<strong>im</strong> Leser die Frage offen,<br />

was war jetzt das Besondere, das Erzählenswerte,<br />

was schafft der Roman für eine neue<br />

Sicht auf Burkhardt oder auf den Umgang<br />

mit Homosexualität? Burckhardt geht dabei<br />

offensichtlich davon aus, dass seine Person<br />

(die des Ich-Erzählers) spannend genug ist.<br />

Und ob dem so ist, bleibt fraglich.<br />

Buchtipp<br />

Florian Burkhardt:<br />

Das Kind meiner Mutter.<br />

Preis CHF 35.90<br />

ISBN 9783037630792<br />

CRUISER mai 2017


16<br />

Portrait<br />

Martin Jascur<br />

Der «metrosexuelle» Mann kommt<br />

einen Schritt weiter<br />

Mit seinen aktuellen Kreationen will Modedesigner Martin Jascur die<br />

Geschlechterrollen aufheben. Weibliche Reize funktionieren auch be<strong>im</strong><br />

Mann, sagt er, ohne dass dieser an Männlichkeit einbüsst. Sein Partner<br />

Flavio Bolla liefert dazu «perfekte» Fantasiewelten.<br />

Von Andreas Faessler<br />

A<br />

uf den Laufstegen dieser Welt hat<br />

man wahrlich alles schon gesehen.<br />

Die Kreativität der Modeschöpfer<br />

versiegt dem Anschein nach nie, was zu einem<br />

wesentlichen Teil auch dem sich ständig<br />

ändernden Geschmack der Gesellschaft zu<br />

verdanken ist. Wann <strong>im</strong>mer man aber trotzdem<br />

den Eindruck hat, jetzt sei bald doch<br />

alles wegdesignt, so tritt irgendwo ein einfallsreicher<br />

Kopf in Erscheinung, der einen<br />

neuen oder zumindest neu interpretierenden<br />

gestalterischen Ansatz findet.<br />

Ich schaue darum bei Martin Jascur<br />

vorbei, von dem ich weiss, dass er seine<br />

Mode nicht einfach nur einem flüchtigen<br />

Trend anpassen will, sondern konzeptuell<br />

vorgeht und nach tiefgründigeren Werten<br />

sucht, welche die Entwicklung seiner Kreationen<br />

massgeblich beeinflussen. Doch dazu<br />

später. Eines der augenfälligsten Markenzeichen<br />

von Martin findet man bereits in der<br />

Person selbst: Formiert sich be<strong>im</strong> Begriff<br />

«Modedesigner» vor jedermanns innerem<br />

Auge doch gleich eine extravagante, flamboyante<br />

Erscheinung, so hat man mit Martin<br />

einen vollbärtigen Kerl mit Kurzhaarschnitt<br />

und in urigem Karohemd vor sich, den man<br />

sich vielmehr von der Titelseite eines Holzfäller-Fachmagazins<br />

oder einer Zeitschrift<br />

der Bärenszene entgegengrinsen sieht.<br />

Der Beste in Handarbeit<br />

Mitten <strong>im</strong> pittoresken Dorf Frick lebt der<br />

36-Jährige mit seinem Freund und Partner<br />

Flavio Bolla in einer hübschen Altbauwohnung.<br />

Stilvolle Antiquitäten und Dekor an<br />

Wänden und Plafond zeugen von Sinn für<br />

CRUISER mai 2017<br />

Die Kreationen von Martin Jascur sind eigenwillig, speziell und finden auch international<br />

Beachtung.<br />

Schönheit und Ästhetik. Martins bisherige<br />

berufliche Laufbahn liegt <strong>im</strong> Detailhandel,<br />

doch wie es so mancher kennt, ist Beruf nicht<br />

<strong>im</strong>mer Berufung. Nicht, dass der gebürtige<br />

Basler seinen Job als Verkäufer bei Franz Carl<br />

Weber nicht gemocht hätte, aber seine Kreativität<br />

und sein Interesse an Mode und Schneiderei<br />

hat er schon seit Langem intensiv nebenberuflich<br />

ausgelebt. «Schon in der Schule<br />

war ich mit Abstand der Beste in Handarbeit»,<br />

sagt er und lacht. «Ich habe sehr früh<br />

gemerkt, dass Nadel und Faden mein Ding<br />

sind, habe bereits damals für meine Freude<br />

fleissig Kostüme geschneidert.»<br />

Vor sieben Jahren gründete Martin sein<br />

eigenes Label, eröffnete in Basel sogar ein kleines<br />

Atelier, welches er allerdings aufgrund ungünstiger<br />

Umstände ein Jahr später wieder<br />

aufgeben musste. Als er 2015 die Stelle bei<br />

Franz Carl Weber verlor, machte er den Master<br />

©Bilder: Marcello Keller


Portrait<br />

Martin Jascur<br />

17<br />

of Arts in Basel – den Bachelor hatte er zu dem<br />

Zeitpunkt bereits in der Tasche. Sein Thema<br />

für die Masterarbeit: Die Inszenierung des<br />

weiblichen Körpers und als Vertiefungsthema<br />

diejenige des männlichen Körpers.<br />

Eine neue Modesprache entwickeln<br />

Unter der Überschrift «Sons of Paddé» sucht<br />

Martin Jascur den Approach an eine Männermode,<br />

die von der gesellschaftlich auferlegten<br />

Geschlechterrolle losgelöst ist. Der<br />

männliche Körper dient ihm dabei als neutrales<br />

Spielfeld, um das Kleidungsdesign mit<br />

«unschuldigem Blick» neu zu interpretieren.<br />

Dieser «unschuldige Blick» fällt einzig auf<br />

die physischen Eigenheiten des Körpers –<br />

ungeachtet, ob Mann oder Frau. «Basierend<br />

auf dem Genderverständnis will ich eine<br />

neue Modesprache entwickeln, mit der die<br />

lange überfällige Geschlechterseparierung<br />

ausgehebelt wird. Die Menschen sollen sich<br />

mit der Wahl ihrer Kleidung nicht mehr irgendwelchen<br />

Vorgaben anpassen müssen.»<br />

Kurzum: Martin Jascur will den «metrosexuellen»<br />

Mann einen Schritt weiterbringen,<br />

seine Kleidung so gestalten, dass er<br />

sich nicht durch sein Outfit als Mann zu ➔<br />

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18<br />

Portrait<br />

Martin Jascur<br />

erkennen gibt, sondern die beiden<br />

Geschlechter sollen sich hinsichtlich ihrer<br />

körperlichen Eigenheiten ergänzen. Ergänzen<br />

also anstatt unterscheiden. Geschlechterspezifische<br />

Körpermerkmale wie beispielsweise<br />

das männliche Glied werden gezielt mit einbezogen<br />

ins Kleidungskonzept. «Das Tragen<br />

von Mode wird so neu interpretiert», führt<br />

Martin aus. «Bereits in der Antike wurden<br />

weibliche Körperformen bewusst betont.<br />

Sinnlich und ästhetisch. Ich setze dies jetzt<br />

auf den Mann um.» Nicht nur ein weiblicher<br />

Rücken, eine weibliche Hüfte oder ein weiblicher<br />

Po entzücken. «Dieselben Reize hat der<br />

Mann genauso», findet der Ästhet. «Die<br />

Schnittentwicklung der Männermode ist<br />

noch <strong>im</strong>mer am selben Ort wie einst. Es ist<br />

schon lange nicht mehr nötig, dass der Mann<br />

so ‹uniformiert› gekleidet herumläuft.»<br />

Ein Kleid für den Pullermann<br />

«Sons of Paddé» zeigt Männerkleidung, die<br />

sich grundsätzlich locker und luftig an den<br />

Körper schmiegt, ihn sanft einhüllt mit nur<br />

wenig Fixierpunkten. «Praktische Elemente<br />

wie Hosentaschen werden bewusst weggelassen.<br />

Diese können mit passenden Accessoires<br />

ersetzt werden», erklärt der Modedesigner,<br />

der <strong>im</strong> Zuge dessen den so genannten<br />

«Penis-Skirt» erfunden hat, ein Kleidungsstück<br />

eigens für das männliche Glied und<br />

gleichzeitig eine Art Pendant zu Cinderellas<br />

Schuh. Während Frau in der romantischen<br />

Vorstellung mit einem verlorenen Schuh kokettiert<br />

und die Aufmerksamkeit des Mannes<br />

sucht, tut dieser nun dasselbe, indem er<br />

sein Penis-Skirt ablegt. Ein kreatives Gedankenspiel<br />

des einfallsreichen Bartträgers.<br />

«Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft<br />

mehr darauf sensibilisiert wird, dass Modedesign<br />

auch heute noch ein Handwerk <strong>im</strong> eigentlichen<br />

Sinne ist», sagt Martin. Damit die<br />

Freude an «echter» Mode wieder wachse.<br />

«Wenn ich in einer Boutique ein teures Armani-Teil<br />

kaufe, habe ich zwar ein hochwertiges<br />

Kleidungsstück in der Hand. Aber es ist<br />

industriell gefertigt und ab Stange.» Mit<br />

Handwerk habe das nichts zu tun. «Und<br />

Mode soll auch wieder bunter werden», findet<br />

er, weshalb «Sons of Paddé» auch eine Art<br />

stille Revolution einläuten soll.<br />

Martin Jascur (rechts) kreiert mit seinem Lebenspartner Flavio Bolla faszinierende<br />

Fantasiewelten.<br />

Flavios sagenhafte Welten<br />

Dabei steht ihm sein Partner Flavio tatkräftig<br />

zur Seite. Von Beruf her Hypnosetherapeut<br />

ist der 31-Jährige gleichzeitig versierter<br />

Konzeptkünstler und Illustrator, der mit<br />

Martin gerne den rustikalen «Holzfäller»-<br />

Look teilt – man vermutet bei den beiden<br />

gleich das eingespielte Team. Wenn man so<br />

will, ist Flavio für das Bunte in Martins Kleidern<br />

verantwortlich, jedenfalls in dieser revolutionierenden<br />

Kollektion. Flavio kreiert<br />

fantastische Landschaftsszenarien und Architekturen,<br />

es sind Welten voller Schönheit<br />

und Symbolik. Diese visualisiert er hauptsächlich<br />

aus dem Gedächtnis, selbst wenn<br />

dem Resultat ein real existierendes Objekt<br />

«Dieselben Reize hat<br />

der Mann genauso»<br />

zugrunde liegt. Zum Gesamtkonzept gehört<br />

jeweils eine zu den Bildern gehörende Geschichte.<br />

Auch Paddé, ein fiktives Land, ist<br />

aus so einem Konzept hervorgegangen. Paddé<br />

erweckt <strong>im</strong> Betrachter die Sehnsucht<br />

nach einer besseren, ja gar paradiesischen<br />

Welt, in der Friede, Harmonie und Farbigkeit<br />

herrschen.<br />

Diese sagenhaften Welten von Flavio<br />

werden per Druckverfahren auf Martins<br />

Kleider übertragen und zwar genau so, dass<br />

die Körperformen der Träger das Erscheinungsbild<br />

der Sujets nicht verzerren und<br />

verfälschen – das braucht viel Feingefühl<br />

und ein sehr gutes Auge. «Bildende Kunst<br />

und Modedesign verschmelzen somit. Der<br />

Körper des Trägers wird zu einer 3D-Leinwand»,<br />

sagt Flavio.<br />

An der Fantasy Basel Ende April wurden<br />

Martins «Sons of Paddé»-Kreationen<br />

dem Publikum vorgeführt. Und sein nächstes<br />

Projekt steht auch schon in den Startlöchern.<br />

«Darin werde ich mich mit der<br />

Textilie als wertvollem Rohstoff auseinandersetzen<br />

sowie mit dem Wiederverwerten<br />

von Materialien», verrät er. Und sein Mann<br />

Flavio wird selbstverständlich wieder einen<br />

wesentlichen Teil beisteuern.<br />

Aber jetzt, wo der Basler sein Studium<br />

abgeschlossen und den Master in der Tasche<br />

hat, wird er sich erst mal einen Job suchen.<br />

Ein Anstellungsverhältnis <strong>im</strong> Mode- oder<br />

Stylingbereich schwebt ihm vor. «Das kann<br />

auch am Empfang sein, da ich den Kontakt<br />

zu Menschen sehr schätze», sagt Martin.<br />

Hauptsache, er ist in seinem Element. Und<br />

dass auch weiterhin das Modedesign einen<br />

festen Platz in seinem Alltag haben wird, ist<br />

für den kreativen Kopf selbstredend.<br />

CRUISER mai 2017


News<br />

Update<br />

19<br />

NEWS<br />

Hepatitis: Es wird <strong>im</strong>mer schl<strong>im</strong>mer – WHO will handeln<br />

Rund 325 Millionen Menschen sind nach<br />

Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation<br />

WHO mit chronischer Hepatits B oder<br />

Hepatitis C infiziert. «Hepatitis stellt ein bedeutendes<br />

weltweites Gesundheitsproblem<br />

dar», sagte Gottfried Hirnschall, der Leiter<br />

des WHO-Hepatitis-Programms. «Wenn<br />

die Menschen nicht behandelt werden, sind<br />

sie in Lebensgefahr.» Hepatitis ist eine Leberentzündung,<br />

die zu tödlichem Leberkrebs<br />

führen kann. Die WHO hat nun erstmals<br />

Zahlen für Regionen veröffentlicht, um ihre<br />

Fortschritte be<strong>im</strong> Kampf gegen die Krankheit,<br />

die bis 2030 el<strong>im</strong>iniert werden soll,<br />

messen zu können.<br />

Die WHO-Region Europa ist bei Hepatitis-C-Infektionen<br />

hinter der Region Östliches<br />

Mittelmeer von Afghanistan bis Jemen<br />

am stärksten betroffen. Das geht aus dem<br />

Hepatitis-Bericht der Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) hervor.<br />

Die Organisation konzentriert sich auf<br />

die chronische Hepatitis B (HBV) und Hepatitis<br />

C (HCV), weil diese beiden Infektionen<br />

96 Prozent der Todesfälle ausmachen.<br />

2015 starben 1,3 Millionen Menschen – mehr<br />

als durch HIV-Infektionen oder Malaria.<br />

Derzeit erhalten dem Bericht zufolge<br />

weniger als zehn Prozent der Betroffenen, die<br />

eine diesbezügliche Diagnose haben, Medikamente.<br />

Und oft bleibt die Krankheit jahrelang<br />

unerkannt. Von den chronisch Hepatitis-B-Kranken<br />

wissen demnach nur neun<br />

Prozent überhaupt, dass sie infiziert sind. Bei<br />

Hepatitis C sind es rund 20 Prozent.<br />

Anders als bei Tuberkulose oder HIV<br />

sei bei Hepatitis die Zahl der Todesfälle<br />

gestiegen: von einer Million <strong>im</strong> Jahr 2011 auf<br />

1,3 Millionen <strong>im</strong> Jahr 2015. Die WHO hat<br />

aber auch eine gute Nachricht: Die Zahl der<br />

Neuinfektionen sinke. 2015 wurden demnach<br />

85 Prozent der Neugeborenen weltweit<br />

gegen Hepatitis B ge<strong>im</strong>pft. (Red./SDA/DPA)<br />

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20<br />

Kultur<br />

Interview<br />

Angels in America:<br />

Live <strong>im</strong> Kino<br />

Die Arthouse Kinos sind nicht nur Gastgeber für das Pink Apple Filmfestival,<br />

sondern engagieren sich auch sonst <strong>im</strong>mer wieder für die LGBT*- (Sub-) Kultur.<br />

Beispielsweise mit der Live-Übertragung des Theaterstücks Angels in America<br />

direkt aus London.<br />

Von Haymo Empl<br />

D<br />

ie Geschichte zieht eine bitter-ironische<br />

Bilanz der US-Gesellschaft in<br />

den 1980er-Jahren. Hauptthemen<br />

sind dabei die Reagan-Ära und das Aufkommen<br />

von AIDS. Beat Käslin ist seit 2008 Programmleiter<br />

der Arthouse Kinos Zürich.<br />

Wie kommt es dazu, dass der Event in Zürich<br />

übertragen wird?<br />

Seit der Digitalisierung der Kinoprojektion<br />

ist es möglich geworden, Live-Events direkt<br />

auf die Kinoleinwand zu übertragen. Die<br />

Arthouse Kinos bieten seit 2013 unter dem<br />

Label KinOpera regelmässig Live Opern und<br />

Ballette an. Das Angebot durch die Anbieter<br />

von sog. ‹alternativem Content› für Kinos ist<br />

seither stetig gewachsen. Mittlerweile bieten<br />

wir auch hochkarätige Theater-Live-Übertragungen<br />

aus London an, z. B . von Shakespeare-Klassikern.<br />

Dabei behalten wir <strong>im</strong>mer<br />

auch die Verbindung zur Kinowelt <strong>im</strong> Fokus,<br />

indem etwa ein Filmregisseur die Inszenierung<br />

verantwortet (z. B. Kenneth Branagh)<br />

oder bekannte Film-SchauspielerInnen auftreten,<br />

wie in Angels beispielsweise Andrew<br />

Garfield (Silence, Spider Man).<br />

Das Stück trägt den Untertitel<br />

«A Gay Fantasia on National Themes».<br />

Was ist darunter zu verstehen?<br />

Angels ist eines der ersten Bühnenstücke,<br />

das sich in dieser Intensität und Tiefe und<br />

aus dezidiert schwuler Sicht mit der<br />

AIDS-Krise der 80er-Jahre auseinandergesetzt<br />

hat. Das Stück ist sehr politisch, gleichzeitig<br />

setzt es auch poetische Akzente und<br />

spielt mit Symbolik, Träumen und Visionen.<br />

Es treten Engel und Dämonen auf, das Stück<br />

spielt <strong>im</strong> Hier und Jetzt, aber auch <strong>im</strong> H<strong>im</strong>mel.<br />

Man darf gespannt sein, wie das Stück<br />

CRUISER mai 2017<br />

(Erstaufführung 1991) in die heutige Zeit<br />

transportiert wurde, der politische Zündstoff<br />

(Gewalt gegen Schwule, institutionelle<br />

Homophobie, Heuchelei etc.) ist jedenfalls<br />

nach wie vorgegeben.<br />

Es ist eine Live-Übertragung: Ist das nicht<br />

eine grosse technische Herausforderung?<br />

Wird das vor Ort gefilmt mittels Live-Regie?<br />

Ja, das wird vor Ort gefilmt. Die Logistik<br />

ist genau gleich wie bei einer TV-<br />

Liveübertragung. Da kann <strong>im</strong>mer etwas<br />

schief laufen, es ist live.<br />

Übertragungstechnisch haben wir kaum<br />

Probleme. In den ersten Jahren lief das noch<br />

via Satellit, da spielte manchmal das Wetter einen<br />

Streich. Mittlerweile wird das ins Kino<br />

gestreamt und es läuft reibungslos. Wenn das<br />

Bild einmal ruckelt, können wir auf das Verständnis<br />

des Publikums zählen, es weiss, dass<br />

bei Live-Geschichten etwas Toleranz gefordert<br />

ist. Dafür ist man live dabei, während gleichzeitig<br />

in London oder Paris gespielt wird. Oft<br />

gibt es in den Pausen noch zusätzliche Live-<br />

Einschaltungen mit Interviews.<br />

Geht bei einer solchen Übertragung nicht<br />

etwas vom «mit-dabei-Sein» verloren?<br />

Natürlich ist es nicht dasselbe, wie wenn<br />

man persönlich <strong>im</strong> Theater oder <strong>im</strong> Konzertsaal<br />

anwesend ist. Aber dafür sieht man<br />

die Gesichter nah, auch akustisch sind die<br />

Dialoge natürlich besser verständlich als vor<br />

Ort <strong>im</strong> Theater. Und <strong>im</strong>merhin spart man<br />

sich eine teure Reise und ist trotzdem dabei,<br />

wenn es passiert.<br />

Wir machen die Theater-Übertragungen<br />

übrigens ganz bewusst in unserem<br />

Arthouse Alba. Das Alba ist ein ehemaliges<br />

Theater, verfügt über ein einmaliges Theaterambiente<br />

und eine exzellente Akustik.<br />

Angels in America<br />

Donnerstag, 20. Juli 2017. ANGELS IN AMERICA<br />

Part 1: Millennium Approaches,<br />

Donnerstag, 27. Juli 2017. ANGELS IN AMERICA<br />

Part 2: Perestroika<br />

Live-Übertragung mit deutschen Untertiteln.<br />

Arthouse Alba, Zähringerstrasse 44


News<br />

Update<br />

21<br />

NEWS<br />

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CRUISER mai 2017


22<br />

IKONEN<br />

VON DAMALS<br />

Ikonen von<br />

damals<br />

In unserer Serie stellen wir Ikonen aus vergangenen Dekaden vor, berichten<br />

über gefallene Helden und hoffnungsvolle Skandalsternchen aus längst<br />

vergangenen (Gay-)Tagen. Dieses Mal: Iggy Pop und sein nackter Oberkörper.<br />

Haymo Empl mit Material der DPA<br />

I<br />

ggy Pop ist nun nicht wirklich gerade die<br />

Gay-Ikone. Der Arme wurde ziemlich sicher<br />

bisher weltweilt in keiner einzigen<br />

Homodisco gespielt (bei den Lesben wissen<br />

wir es nicht) – und auf Einladungen zu Pride-<br />

Partys wartet er auch vergeblich. Aber: Als<br />

ult<strong>im</strong>ative Verkörperung von Sex, Drugs<br />

und Rock’n’Roll ist Iggy Pop berühmt geworden<br />

und er stammt aus dem «underground»<br />

– hat also mit der frühen Subkultur<br />

unserer Szene einiges gemein und lernte in<br />

der damaligen «Sub» schliesslich auch David<br />

Bowie kennen. Letzten Monat wurde Iggy<br />

Pop 70 Jahre alt und findet, man könne auch<br />

in diesem Alter noch mit nacktem Oberkörper<br />

herumlaufen. Apropos: Dieser Oberkörper.<br />

Sehnig, vernarbt, gegerbt und fast <strong>im</strong>mer<br />

trägt ihn Iggy Pop stolz nackt zur Schau.<br />

Als den «am besten wiedererkennbaren Körper<br />

der Popkultur» feierte ihn der britische<br />

Künstler Jeremy Deller jüngst und lud für<br />

eine Ausstellung <strong>im</strong> Brooklyn Museum 53<br />

Kollegen zu einem Aktmalkurs mit Iggy Pop<br />

als Model. Der Oberkörper des «Godfather<br />

of Punk» sei ein «Schlüssel zum Verständnis<br />

von Rockmusik».<br />

Es gebe kein vorgeschriebenes Alter, ab<br />

dem man seinen Oberkörper nicht mehr<br />

nackt in der Öffentlichkeit zeigen dürfe, sagte<br />

der Sänger, der nach Jahrzehnten in New<br />

York inzwischen in Miami lebt. «Und die<br />

Öffentlichkeit kann mich sowieso mal.» Sein<br />

70. Geburtstag sei «aufregend», aber seine<br />

Partys sind es heutzutage nicht mehr.<br />

Drogen, Alkohol, Zigaretten – all dem<br />

hat Iggy Pop nach Jahrzehnten des Exzesses<br />

inzwischen abgeschworen. «Spät <strong>im</strong> Leben<br />

habe ich eine wunderbare Beziehung zu<br />

meinem Körper entwickelt. Allein der<br />

Gedanke an Marihuana macht mir inzwischen<br />

Angst.»<br />

CRUISER mai 2017<br />

Fast bester Freund von David Bowie<br />

Geboren wurde Iggy Pop 1947 als James<br />

Newell Osterberg in einer ärmliche Wohnwagensiedlung<br />

in Michigan. «Es war wahnsinnig<br />

klein und ich habe erst später realisiert,<br />

was mir das beigebracht hat», sagte er<br />

der New York T<strong>im</strong>es. «Ich habe Harmonie<br />

mit anderen Menschen gelernt und das war<br />

essenziell. Erst als ich in die grosse Welt hinausging,<br />

habe ich realisiert, dass die nicht<br />

so ist.»<br />

Iggy Pop, der den Spitznamen von seiner<br />

Highschool-Band The Iguanas (Die Leguane)<br />

hat, war schon Punk, als es Punk<br />

noch gar nicht gab. Statt Liebe, Frieden und<br />

Gemeinsamkeit besangen er und seine Band<br />

The Stooges Ende der 1960er-Jahre Langeweile<br />

und Frustration seiner Generation. Bei<br />

seinen Bühnenshows demonstrierte er, dass<br />

ihn nur Schmerzen aus der Langeweile befreien<br />

konnten: Er robbte nackt durch Glassplitter,<br />

schmierte sich mit Erdnussbutter<br />

voll, goss heisses Wasser über seine Hose<br />

und taumelte blutend von der Bühne.<br />

Auf Dauer hielt «The Ig» das nicht<br />

durch und <strong>im</strong>mer wieder verschwand er von<br />

der Bildfläche, auch in den Drogenentzug.<br />

Aber <strong>im</strong>mer wieder schob ihn sein bester<br />

Freund David Bowie zurück auf die Bühne.<br />

Gemeinsam produzierten sie mehrere Alben:<br />

«The Idiot» (1977) mit dem gemeinsam<br />

geschriebenen, späteren Bowie-Hit «China<br />

Girl», «Lust for Life» (1977) mit dem Disco-<br />

Dauerbrenner «The Passenger» usw.<br />

Seine 70er geht Iggy Pop bescheiden<br />

an. «Ich erwarte nicht, dass ich bald ein neues<br />

Album machen werde, aber vielleicht<br />

kann ich etwas singen, sprechen oder schreiben.<br />

Ich möchte einfach weiter arbeiten und<br />

auf diese Welt um mich herum reagieren, es<br />

geniessen, Zeuge dieser wunderschönen<br />

Erde zu sein. Ich mag die Natur. Und ich hoffe,<br />

dass ich für die Menschen, die auf mich<br />

angewiesen sind, von Nutzen sein kann.»


Reportage<br />

<strong>Cruiser</strong> auf Saunabesuch<br />

23<br />

Charmant, herzlich<br />

und echt<br />

In Bern längst eine Institution: Das Studio 43. <strong>Cruiser</strong> wollte herausfinden,<br />

warum man auch ausserhalb von Bern von dieser Sauna schwärmt.<br />

Das Studio 43 in Bern geht in die Kategorie «grösser als gedacht» und bietet alles, was eine Gay-Sauna braucht.<br />

Von Team <strong>Cruiser</strong><br />

C<br />

ruiser düste (freiwillig!) nach Bern<br />

und guckte sich Studio 43 an. Abgesehen<br />

davon, dass die Berner bekanntlicherweise<br />

komisch sprechen, haben<br />

sie auch seltsame Strassennamen. Im Falle<br />

von Studio 43 wäre das dann die Monbijoustrasse<br />

– bei einer Gay-Sauna ist das wiederum<br />

schon ein beinahe rührender Name.<br />

Praktisch: Das <strong>Cruiser</strong>mobil – ein alter, roter,<br />

grosser PT <strong>Cruiser</strong> – konnte direkt vor<br />

der Sauna parkieren, das gibt’s beispielsweise<br />

in Zürich so nicht. Warum die Berner allerdings<br />

so seltsame Parkiergebühren haben<br />

(2 Franken 20!) hat sich der Redaktion nicht<br />

erschlossen. Item, leicht traumatisiert von<br />

dem Ausflug in die Bundeshauptstadt empfängt<br />

Studio 43-Inhaber Marcel charmant<br />

und herzlich. Er ist die zentrale Figur <strong>im</strong><br />

Saunabetrieb. «Es ist schon so, dass ich<br />

natürlich vieles mitbekomme, was abgeht.<br />

Das können persönliche Dramen sein, berufliche<br />

Höhenflüge oder neue Liebschaften»,<br />

erklärt Marcel und macht sich an der<br />

Kaffeemaschine zu schaffen. Denn <strong>im</strong> Studio<br />

43 findet nicht nur Cruising (und natürlich<br />

das Saunieren per se) statt, sondern man<br />

kommt auch gerne zu Marcel an den Tresen,<br />

um einfach zu plaudern.<br />

Bunter Publikumsmix<br />

Marcel arbeitete früher in der Logistik eines<br />

grossen Betriebes nahe Zürich. Dieser musste<br />

aber Stellten abbauen und bevor es unter<br />

Umständen auch Marcel erwischt hätte, zog<br />

er selbst die Reissleine. «Ich hatte damals<br />

einfach Lust auf Veränderung, also jobbte<br />

ich erst mal als Kellner», erklärt er dem <strong>Cruiser</strong>-<br />

Team. Dadurch kam er mit verschiedenen<br />

Leuten in Kontakt und erfuhr so auch, dass<br />

der Saunabetrieb zum Verkauf stand. «In<br />

meiner Zukunftsplanung war Saunabesitzer<br />

nicht auf der Liste. Aber ich habe zugesagt,<br />

ohne zu wissen, auf was ich mich da einlasse.»<br />

musste erst einmal umfassend sanieren.<br />

Dann kamen auch die Gäste, zuerst nur wenige,<br />

dann <strong>im</strong>mer mehr. «Wir haben einen<br />

tollen Mix aus einem breiten Einzugsgebiet»,<br />

so Marcel. Manche kämen aus der Romandie,<br />

manche sogar aus Zürich. Dabei seien<br />

auch verheiratete (also mit einer Frau) Ehemänner,<br />

ganz normale Gays, aber auch jüngere,<br />

die auf ältere stehen … Allerdings<br />

ohne finanzielle Interessen», sagt Marcel.<br />

Denn bei diesem Thema verfolgt er eine konsequente<br />

Linie. «Prostitution dulde ich nicht.<br />

Sobald das Portemonnaie gezückt werden<br />

muss, fliegt der Stricher raus.» Das sei bisher<br />

aber erstaunlich wenig vorgekommen und<br />

auch sonst verlaufe es eher gesittet. «Ich habe<br />

auch Gäste, die einfach nur an der Bar plaudern<br />

wollen.»<br />

Alles, was eine Sauna braucht<br />

Die Facilitäten der Sauna entsprechen dem,<br />

was man auch von anderen (grösseren)<br />

Betrieben kennt: die Sauna an sich, ein ➔<br />

CRUISER mai 2017


24<br />

Reportage<br />

<strong>Cruiser</strong> auf Saunabesuch<br />

Bekanntlicherweise lässt sich in Gay-Saunas nicht nur schwitzen. Das gilt auch für das Studio 43 in Bern.<br />

Dampfbad, ein Cruising-Bereich mit verschiedenen<br />

Kabinen, die unterschiedliche<br />

Ausstattungen haben usw. Also alles da und<br />

gar nicht mal so klein, wie mancher vielleicht<br />

denken könnte. Und natürlich entspricht<br />

alles einem hohen Hygienestandard.<br />

Und mitten drin, als zentraler Dreh- und<br />

Plauderpunkt: Marcel. «Ich selbst bin ja<br />

nicht Original-Berner, wohne aber nun bereits<br />

über 20 Jahren hier und fühle mich<br />

enorm wohl. Mittlerweile fällt mir schon<br />

auch auf, dass es bei uns irgendwie herzlicher<br />

zugeht als beispielsweise in Zürich – da<br />

gibt es klare Mentalitätsunterschiede», stellt<br />

Marcel klar. Zürich ist in seinen Augen –<br />

und da wird das gängige Klischee natürlich<br />

wunderbar erfüllt – einfach viel «schneller»<br />

und hektischer. Marcel fällt das vielleicht<br />

noch mehr auf als anderen Bernern, denn er<br />

wohnt mit seinem Mann in Laupen. Die<br />

Herzlichkeit und diese nicht erzwungene<br />

Gemütlichkeit tun dem Betrieb gut, jeder<br />

fühlt sich sofort wohl.<br />

<strong>Cruiser</strong> verabschiedet sich, um mit dem<br />

<strong>Cruiser</strong>mobil wieder gemächlich nach Hause<br />

zu rumpeln, Marcel drückt der Redaktion<br />

eine Visitenkarte in die Hand. Und sofort fällt<br />

das Logo von Studio 43 auf: Dieser typische<br />

1970er-Jahre-Macho. «Ich habe mir seinerzeit<br />

lange überlegt, ob ich das Logo ändern soll.<br />

Habe es dann aber sein lassen.» Und das ist<br />

auch gut, so. Denn dieser Mann strahlt eine<br />

Geborgenheit aus, die ganz gut zu Marcel und<br />

seiner Sauna passt.<br />

Studio 43<br />

Monbijoustrasse 123, 3007 Bern<br />

www.studio43.ch<br />

Marcel ist die treibende Kraft und die gute<br />

Seele der Sauna in Bern.<br />

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Fingerfertig<br />

Nihat kocht<br />

25<br />

Unser tägliches Brot gib<br />

uns heute<br />

Meine Lieblingsmahlzeit: der Brunch. Gemütlich am Tisch sitzen, interessante<br />

Gespräche führen und dazwischen <strong>im</strong>mer wieder schlemmen. Dazu passt ein<br />

selbstgemachtes Brot perfekt.<br />

VON Nihat<br />

N<br />

ein, keine Angst, es folgt kein Auszug<br />

aus einer Predigt, selbst wenn<br />

Brot vielerorts heilig ist. Auch die<br />

türkischen Essgewohnheiten kommen nicht<br />

aus ohne Brot. Ein frisches Brot ist ein<br />

Genuss. Am besten eines, das man selber<br />

gemacht hat. Die Grundzutaten sind fast<br />

<strong>im</strong>mer: Mehl, Wasser, Salz und Hefe.<br />

Dann wird es spannend: Ein Brot lässt<br />

sich nach eigenem Geschmack verfeinern.<br />

Mein Lieblingsrezept enthält schwarze Oliven<br />

und eingelegte Tomaten. Käse dazu servieren<br />

– den liebe ich sowieso – und der<br />

Brunch wird zum Gedicht.<br />

Zutaten<br />

500 g Mehl<br />

ca. 3 ½ dl Wasser<br />

1 ½ KL Salz<br />

20 g Hefe, zerbröselt<br />

nach Belieben<br />

70 g schwarze Oliven, entsteint und<br />

geschnitten<br />

50 g eingelegte Tomaten, geschnitten<br />

Zubereitung<br />

Alle Zutaten, ausser dem Wasser, mischen.<br />

Das Wasser hinzugeben und ca. 10 Minuten<br />

gut kneten, bis der Teig weich und geschmeidig<br />

ist.<br />

Den Teig in eine Schüssel geben und diese<br />

mit einem feuchten Tuch zudecken. Den<br />

Teig ca. 1 ½ h aufgehen lassen.<br />

Aus dem Teig zwei Portionen machen und<br />

daraus kompakte Kugeln formen. Diese<br />

zugedeckt für 30 Minuten auf dem<br />

Backblech ruhen lassen.<br />

Den Ofen auf 240 Grad vorheizen. Die<br />

Kugeln mit Wasser bestreichen, kreuzweise<br />

ca. 1 cm tief einschneiden und mit etwas<br />

Mehl bestäuben.<br />

Ein kleines ofenfestes Schälchen mit<br />

heissem Wasser füllen und auf das<br />

Backblech stellen.<br />

Die Brote in der unteren Hälfte des Ofens<br />

10 Minuten backen. Anschliessend<br />

Hitze auf 180 Grad reduzieren und<br />

ca. 25 Minuten fertig backen. Die Brote<br />

auf einem Gitter auskühlen lassen und<br />

geniessen oder für später einfrieren.<br />

Info<br />

Nihat organisiert seit gut vier Jahren Kochkurse<br />

für einen guten Zweck, u.a. für Schulkinder<br />

in der Türkei. Und er ist als Störkoch oder<br />

als Caterer an privaten und geschäftlichen<br />

Anlässen unterwegs. «Daneben» drückt er<br />

als angehender Gymnasiallehrer wieder die<br />

Schulbank.<br />

Die nächsten Kochkurse<br />

– Dienstag, 16. <strong>Mai</strong> Mezze<br />

– Mittwoch, 24. <strong>Mai</strong> 30-Minuten-Gerichte<br />

www.fingerfertig.ch<br />

CRUISER mai 2017


26<br />

KOLUMNE<br />

Mirko<br />

Händlihebe ist auch virtuell<br />

nicht ohne Risiko<br />

Mirko freut sich auf die Sommerferien, aber<br />

Gewalt gegen Schwule verunsichert ihn.<br />

VON Mirko<br />

H<br />

ändliha mit eme Bro ist nicht mein<br />

Ding. Ich sägs grad. Wär auch<br />

schwierig, ich wohne ja noch bei<br />

Mama und Tata und die ganze Family, ich<br />

weiss nicht, wie gut die mit Schwulen wirklich<br />

umgehen. Nöd sicher. Oder wahrscheinlich<br />

eher: sicher nöd. Aber jeder<br />

macht, was gut ist für ihn. Und so gseh,<br />

war’s schon toll, was die Holländer gmacht<br />

hend, nachdem in ihrem Land zwei Männer<br />

zämeghaue worden sind, weil sie eben<br />

Händligha hend. Aber ebe, ich und Händliha,<br />

nö. Ich n<strong>im</strong>m lieber öppis anders i d<br />

Hand und am besten ist’s, wenn das, was ich<br />

meine, dann auch fest ist, a firm handshake<br />

eifach andersch. Ha grad noglueget, was<br />

firm genau alles heisst, nicht weich z.B.<br />

Wenn ich einen Harten suche, messi Grindr,<br />

das isch eifach. Also gang i au nöd i die Bars<br />

und Clubs, meistens würd mir die Musik ja<br />

nicht passen und meine Kumpels habe ich ja<br />

anderswo. Und äbe, warum sollte ich? Grindr<br />

sagt mir <strong>im</strong>mer grad, wie viel Meter de<br />

nöchsti isch, wo n i cha bespringe. Warum<br />

soll ich mich in einer Bar langweilen? Mängmol<br />

st<strong>im</strong>mt das mit dem Abstand jo nöd so<br />

ganz. Ich machte Grindr mal auf und da hätti<br />

es geils Ding 3 Meter vo mir weg sollen<br />

sein. Und glaubt mir, das war nicht möglich,<br />

3 Meter von mir weg sass mein Tata und der<br />

da auf Grindr sah meinem Paps nicht ähnlich.<br />

Mi Vater sieht gut aus, meine Mutter<br />

CRUISER mai 2017<br />

au, von jemandem habe ich ja meine Looks,<br />

aber der auf Grindr sah schon ziemlich anders<br />

aus. Ich find mi scho toll, aber ich wött<br />

ja nöd mit m<strong>im</strong> Spiegelbild ficken.<br />

In Russland ist so ein Grindr<br />

sicher nicht so safe.<br />

Wo n ich grad uf Skyscanner und so<br />

nach möglichen Feriendestinationen geschaut<br />

habe, isch mir dur de Chopf: Die Länder<br />

sehen cool aus, aber was wenn ein Asshole<br />

Grindr nutzt, um Opfer zu finden? Wär ja<br />

einfach: Grindr liefert so einem den nächsten<br />

Punchbag mit perfekter Meterangabe.<br />

Das Ding isch praktisch es Navi für Schwulenhasser.<br />

Da musst du kein Händli hebe.<br />

Oder für einen vo dene vile Irre, wo grad<br />

momentan a de Macht sind. Paranoia? Njet.<br />

In Russland ist so ein Grindr sicher nicht so<br />

safe. Und z’Ägypte söll schiints der Gehe<strong>im</strong>dienst<br />

mit dem Ding voll Jagd auf Schwule<br />

gemacht haben. Guet, inzwischen sieht man<br />

i dene Länder – und die Liste dieser Länder<br />

wird länger und länger – den Abstand nicht<br />

mehr, man sieht nur noch, wer am nächsten<br />

ist oder so. Aber safe ist’s <strong>im</strong>mer noch nicht.<br />

Strange, he, ich brauche Grindr, weil nicht<br />

alle wissen sollen, dass ich mit Bros rummache,<br />

vor allem dihei, und mis IPhone gibt<br />

mir das Gefühl, alles für sich zu behalten mit<br />

Pincode und so, deshalb weiss es alles über<br />

mich, kennt meine Schwanzlänge und -form<br />

<strong>im</strong> Detail, schliesslich hat’s die Pics sälber<br />

gmacht und verschickt, und dänn zack, es<br />

braucht nur wenig und genau die, wegen<br />

denen ich nicht geoutet bin, kennen all das,<br />

also mit wem i ficke und wie min Schwanz<br />

usgseht und alles, mit genauem Standort,<br />

meiner Adresse, meinem Job allem. Händliha<br />

oder nöd, chunnt ou nümm draufan.<br />

Shit. Und Assholes gibts in allen Sorten. Wie<br />

war das schon wieder in Rio an der Olympiade?<br />

Da hat doch echt ein Journi damit Geld<br />

verdient. De hät sich uf Grindr aagmeldet<br />

und glueget, welche Sportler da anzutreffen<br />

sind, und die Namen dann an Zeitungen<br />

verkauft.<br />

A propos Ferien, ja klar, ich schau mir<br />

die anderen Länder an, aber am Schluss<br />

wird’s wieder Kroatien und Familie und<br />

Strand und Insle und super Food und geili<br />

Männer und so. Nüd bsondrigs also. LOL.<br />

Kroatie check i, da han i no prob, wenn ich<br />

ein Date will. Aber vielleicht wird’s ja was<br />

anderes. Israel villicht. Krass, alli gehen grad<br />

nach Tel Aviv und ringsume sind alle die<br />

Länder, wo Grindr d Abständ zum nächsten<br />

Date nicht mehr anzeigen darf, weil’s zu<br />

gefährlich ist.


Gay Travelling<br />

<strong>Cruiser</strong> reist<br />

27<br />

Reisen unter dem<br />

Regenbogen<br />

Längst sind sie vorbei die Zeiten, in denen Schwule vor allem auf Gran<br />

Canaria, Mykonos oder in Sitges anzutreffen waren und sich fast die<br />

gesamte Lesbenwelt auf Lesbos tummelte. Der Gay Travel Market ist<br />

vielseitiger, als man denkt.<br />

Von Yvonne Beck<br />

L<br />

GBT*-Travel ist längst kein Nischen-<br />

Business mehr, sondern hat sich in den<br />

letzten Jahren auf dem Markt stark<br />

etabliert. Die Nachfrage ist grösser denn je<br />

und wächst stetig an. Von Berlin über Wien<br />

bis hin zu Barcelona oder Tel Aviv – weltweit<br />

öffnet man sich der LGBTQ*-Szene, vor allem<br />

in den grossen Metropolen. Viele Reiseveranstalter<br />

nutzen dies inzwischen für sich<br />

und stellen spezielle Angebote für homosexuelle<br />

Urlauber zusammen. Dies zeigte sich<br />

auch <strong>im</strong> grossen LGBT*-Pavillon auf der ITB<br />

Berlin (der grössten Tourismus Messe Europas).<br />

Hier waren in diesem Jahr mehr Aussteller<br />

mit Fokus auf Gay Travel zu finden als<br />

je zuvor. Sie alle setzen auf den wachsenden<br />

LGBT-Markt und sehen die Zukunft des Tourismus<br />

in der zunehmenden Spezialisierung<br />

der Reiseindustrie und der Erschliessung von<br />

Nischenmärkten.<br />

Einer, der schon seit über 17 Jahren in<br />

diesem Segment tätig ist, ist Ray Fuhrer –<br />

Geschäftsführer von Pink Cloud Travel<br />

Service. Der <strong>Cruiser</strong> sprach mit ihm über<br />

die neusten Trenddestinationen der Schweizer<br />

Gay Community, «Tabuländern», seine<br />

eigenen Lieblingsziele und dem Phänomen<br />

der Gay-Cruises.<br />

<strong>Cruiser</strong>: Reisen Schwule und Lesben mehr<br />

als Heteros und geben sie mehr Geld aus?<br />

Raymond Fuhrer: Nein, das glaube ich nicht.<br />

Ich weiss, dass dies <strong>im</strong>mer behauptet wird,<br />

aber ich halte es für ein Klischee. Diese krasse<br />

Trennung von «so sind die Schwulen, so sind<br />

die Lesben und so sind die Heteros» finde ich<br />

bedenklich – <strong>im</strong>merhin befinden wir uns inzwischen<br />

<strong>im</strong> Jahr 2017. Es wäre schön, wenn<br />

wir endlich alle etwas näher zusammenrücken<br />

würden. Vor allem, was die Ferien anbelangt.<br />

Wir haben jegliche Art von Kunden:<br />

budgetbewusste Kunden, Kunden, für die das<br />

Geld keine Rolle spielt, Kunden, die nur das<br />

Beste vom Besten wollen, aber auch junge<br />

Kunden, die einfach mal schnell nach Ibiza<br />

und Mykonos möchten. Alles ist möglich und<br />

durch das neue deutsche Mutterhaus sind wir<br />

preislich nun viel besser aufgestellt als in den<br />

letzten Jahren. (Anm. d. R.: Pink Cloud gehört<br />

zu Kuoni und die Reisesparte Kuonis<br />

wurde 2016 von dem deutschen Reiseveranstalter<br />

DERTOUR gekauft.) Davon profitieren<br />

unsere Kunden enorm. Preislich waren<br />

wir noch nie so stark. Die Kunden in der<br />

Schweiz haben nun <strong>im</strong>mer noch uns als Berater,<br />

haben weiterhin die gleiche Top-Qualität,<br />

aber zu viel besseren Preisen.<br />

Pink Cloud gibt es seit nunmehr 17 Jahren.<br />

Hat sich das Reiseverhalten von Schwulen<br />

und Lesben in dieser Zeit verändert?<br />

Durch das Internet hat sich sehr vieles verändert.<br />

Heute muss eigentlich niemand mehr<br />

ins Reisebüro gehen, weil er einen Flug buchen<br />

möchte oder einen kurzen Städtetrip<br />

macht. Doch viele Kunden nehmen diesen<br />

Service weiterhin wahr. Sie sind bereit, etwas<br />

mehr für ein Ticket auszugeben, aber dafür<br />

auch <strong>im</strong>mer einen Ansprechpartner bei Problemen<br />

zu haben. Wir verzeichnen in letzter<br />

Zeit zudem extrem viele junge Kunden. Sie<br />

suchen bei uns nach Inspirationen und persönlichen<br />

Expertentipps. Bei uns sind sie sich<br />

sicher, dass wir fast alle Hotels und Destinationen<br />

persönlich kennen. Sprich, wenn ich ➔<br />

CRUISER mai 2017


28<br />

Gay Travelling<br />

<strong>Cruiser</strong> reist<br />

ein Hotel empfehle, dann war ich auch dort.<br />

Viele Kunden vertrauen nicht mehr auf<br />

Tripadvisor und ähnliche Bewertungsplattformen.<br />

Sie wissen, dass es eine Menge Fake-<br />

Bewertungen gibt. Wenn mir jedoch der Kunde<br />

seine Bedürfnisse mitteilt, werde ich für ihn<br />

zu fast 100% das passende Resort auswählen.<br />

Welche Reiseziele boomen momentan?<br />

Das kommt ganz auf die Art der Ferien an.<br />

Auf den Kurzstreckenbereichen ist es <strong>im</strong><br />

Winter <strong>im</strong>mer noch ganz klar Gran Canaria<br />

und auch <strong>im</strong> Sommer zieht es viele dorthin.<br />

Auch wenn es nicht zu meinen Favoriten gehört,<br />

durch die Dünen hat diese Insel irgendetwas<br />

sehr Magisches. Sie spricht das<br />

Bedürfnis vieler Schwuler an. Sitges und<br />

Mykonos liegen <strong>im</strong>mer noch stark <strong>im</strong> Trend.<br />

Weiterhin sehr beliebt, obwohl es keine eigentliche<br />

Gay-Destination ist, ist Kroatien.<br />

Die Insel Hvar ist ein zweites Mykonos –<br />

einfach wunderschön und idyllisch. Viele<br />

unsere Kunden interessieren sich für Skandinavien<br />

und Kunden mit viel Geld zieht es<br />

häufig nach Sardinien. Doch es kommt <strong>im</strong>mer<br />

auf die eigenen Bedürfnisse an. Manche<br />

Kunden möchten 100% schwule Ferien machen<br />

und ihre Zeit an Orten verbringen an<br />

denen die Bar, das Hotel und die anderen<br />

Gäste schwul sind. Andere suchen einfach<br />

nach schönen Ferien mit gutem Essen in<br />

einer tollen Atmosphäre. Im Langstreckenbereich<br />

ist eine der absoluten Trenddestinationen<br />

sicherlich Kuba. Obwohl diese momentan<br />

völlig überrannt wird. Ganz gross<br />

ist zudem Südafrika und der Ferne Osten<br />

mit Laos, Kambodscha, Myanmar etc …<br />

Ein weiterer, schon länger andauernder<br />

Trend sind Kreuzfahrten. Was ist der Reiz an<br />

einer Gay-Kreuzfahrt?<br />

Fast jeder, der einmal auf einer Gay-Kreuzfahrt<br />

war ist Repeater. Ich habe noch nie einen<br />

Kunden gehabt, dem es nicht gefallen<br />

hat. Eine Gay-Kreuzfahrt kann man sich wie<br />

einen schw<strong>im</strong>menden Club auf einem extrem<br />

hohen Niveau vorstellen. Die Schiffe<br />

haben einen hervorragenden Service, top Essen<br />

und grosszügige Kabinen. Zudem gibt es<br />

viele verschiedene Mottoparties. Auf den<br />

Schiffen können sich schwule Männer und<br />

lesbische Frauen einfach so geben, wie sie<br />

sind. Händchenhalten und Zärtlichkeiten<br />

austauschen auch ausserhalb der eigenen<br />

vier Wände ist hier kein Problem, denn man<br />

ist ja unter sich. Für viele ist dies die einzige<br />

Form von Urlaub, bei der sie endlich sie<br />

selbst sein dürfen.<br />

Welche Art von Reisen ist momentan sonst<br />

noch besonders angesagt? Städtetrips,<br />

Fern- oder Kulturreisen?<br />

CRUISER mai 2017<br />

Das kann man so nicht beantworten. Aber<br />

<strong>im</strong> Gegensatz zu früher stellen wir heute fast<br />

nur noch massgeschneiderte Individualreisen<br />

zusammen. Zudem laufen unsere Kleingruppen<br />

sehr gut. Damit holen wir Menschen<br />

ab, die alleine sind oder sich selbst<br />

nicht zutrauen, solche Reisen alleine zu machen.<br />

Die letzte Kleingruppenreise nach Namibia<br />

war ein Riesenerfolg. Die Teilnehmer<br />

treffen sich heute noch regelmässig. Auch<br />

unsere Gruppenreisen nach Lappland kommen<br />

sehr gut an. Bei Hundeschlittenfahrten<br />

und Eislochsauna finden viele Gays ein ganz<br />

besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl.<br />

Von welchen Ländern würden Sie momentan<br />

abraten?<br />

Oh, von vielen – aber auch das ist sehr individuell.<br />

Ich persönlich war in bereits sehr<br />

vielen musl<strong>im</strong>ischen Ländern unterwegs<br />

und habe dort wunderbare Begegnungen<br />

gehabt. Aber es ist sicher nicht jedermanns<br />

Sache, denn man muss gewillt sein, sich der<br />

Kultur und den speziellen Gepflogenheiten<br />

anzupassen.<br />

Ich persönlich würde momentan jedoch<br />

nicht nach Saudi-Arabien und Uganda<br />

reisen. Ich möchte meine Kunden jedoch<br />

nicht bevormunden, denn schlussendlich<br />

muss jeder selber wissen, was er in seinen<br />

Ferien sucht. Wir können nur Empfehlungen<br />

geben.<br />

Und welche Destination gilt als besonders<br />

«gayfriendly»?<br />

Leider ist «gayfriendly» ein inzwischen sehr<br />

abgedroschenes Wort. Jeder will davon profitieren,<br />

aber viele lassen sich gar nicht wirklich<br />

darauf ein. Jeder will auf den gayfriendly-<br />

Zug aufspringen und eine kaufkräftige<br />

Kundschaft einfangen. Aber das funktioniert<br />

nicht so einfach. Ich habe wöchentlich<br />

Anrufe von Gesellschaften oder Hotels, die<br />

mich als Sprungbrett betrachten. Aber man<br />

kann sich nicht einfach eine Plakette aufkleben<br />

und dann läuft es schon. Da steckt schon<br />

ein bisschen mehr dahinter.<br />

Aber was macht Ihrer Meinung nach<br />

beispielsweise ein «gayfriendly»-Hotel aus?<br />

Das fängt bei ganz kleinen Sachen an. Wenn<br />

ich mit meinem Mann ein gayfriendly-Hotel<br />

buche, erwarte ich <strong>im</strong> Bad zwei Herrenbademäntel<br />

und zwei Herrenslipper und nicht<br />

einen Damenbademantel und ein viel zu<br />

kleines Paar Hausschuhe. Das Hotel sollte<br />

daran denken, auch eine Gay-Map auszulegen<br />

und bei Fragen sollte man auch schwule<br />

Empfehlungen geben können.<br />

Ihr persönlicher Gay-Hotspot in Europa?<br />

Zum Partymachen auf jeden Fall Berlin.<br />

Ray Fuhrer ist Pionier in Sachen Gay-Travel.<br />

Sein Reisebüro «Pink Cloud» ist längst eine<br />

Institution.<br />

Und welches Fernziel liegt hier <strong>im</strong> Trend?<br />

Das ist Geschmackssache. Thailand, USA<br />

oder Brasilien – je nachdem welche Männer<br />

man mag. Meine persönlichen Lieblingsstädte<br />

sind Kapstadt und Sydney. In Südafrika<br />

ist man schwulen Männern gegenüber<br />

offener und toleranter als gegenüber lesbischen<br />

Frauen.<br />

Was mach eine Destination zu einer<br />

Gay-Destination?<br />

Wenn man zurückschaut, dann sind es einfach<br />

<strong>im</strong>mer die schönsten Plätze auf der<br />

Welt. Mykonos ist einfach die schönste der<br />

griechischen Inseln. Künstler haben sich an<br />

best<strong>im</strong>mten Orten niedergelassen und früher<br />

oder später kam die Gay Community<br />

dazu. Das war in Sitges oder auch in Cap<br />

Cod in den USA so. Darüber hinaus ist es<br />

auch wichtig, wo man seine Sexualität offen<br />

leben kann und was die Destination alles<br />

bietet. Wien ist ein absoluter Vorreiter für<br />

die Szene.<br />

Wo gehen Ihre nächsten Ferien hin?<br />

Nach Bad Griesbach zum Golf spielen. Ich<br />

bin aber auch gerade erst aus Südafrika zurückgekommen.<br />

Welches Land möchten Sie persönlich noch<br />

unbedingt bereisen?<br />

Die Antarktis!<br />

Und welches ist Ihr schönstes Reiseerlebnis?<br />

Myanmar – In dieses Land habe ich mich<br />

einfach verliebt. Und das Grossartigste, was<br />

ich bisher erlebt habe, war ein Trekking zu<br />

den Orang-Utans <strong>im</strong> Dschungel von Borneo.<br />

Diese Reise wird mir für <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Gedächtnis<br />

bleiben. Das war einfach ein unvergessliches<br />

Erlebnis.


Serie<br />

Homosexualität in Geschichte und Literatur<br />

29<br />

Lieber einen Heerführer als<br />

eine Königin<br />

Heinrich war König von Frankreich, wollte von Frauen nichts wissen,<br />

schwärmte aber für einen Heerführer. Ein anderer Fall: Der französische<br />

Sonnenkönig Ludwig XIV. hielt seinen Bruder auf Distanz, der schwul war.<br />

Schliesslich: Ein aktueller Präsidentschaftsbewerber Frankreichs weiss<br />

entsprechende Gerüchte zu parieren.<br />

VON ALAIN SOREL<br />

A<br />

uch <strong>im</strong> Zeitalter grundsätzlicher sexueller<br />

Toleranz gibt es in der westlichen<br />

Kultur Versuche, Homosexualität<br />

als Druckmittel einzusetzen, um<br />

den Ruf von Menschen zu ruinieren, ihre<br />

Karriere zu vereiteln oder sie erpressbar zu<br />

machen. Das war auch vor den aktuellen<br />

französischen Präsidentschaftswahlen der<br />

Fall, deren Stichwahl am 7. <strong>Mai</strong> stattfindet.<br />

So wurde dem aussichtsreichen sozialliberalen<br />

Bewerber Emmanuel Macron<br />

(40), der verheiratet ist, ein Liebesverhältnis<br />

mit dem Chef der staatlichen Radiosender<br />

nachgesagt.<br />

Ein schwules Hologramm auf<br />

Abwegen?<br />

Macron sah sich als Opfer russischer Cyber-<br />

Attacken und russischer Staatsmedien. Er<br />

begegnete den Vorwürfen souverän und<br />

schlagfertig. Bei dem Macron, der da angesprochen<br />

sei, könne es sich nur um sein Hologramm<br />

handeln, das ihm entflohen sei,<br />

sagte er und hatte die Lacher auf seiner Seite.<br />

Gewiss ist, dass Moskau gerne einen Sieg der<br />

rechtspopulistischen Marine Le Pen sähe,<br />

die ihr Land nach einem Wahltriumph wohl<br />

aus der EU und der Nato führen würde.<br />

Die Verdächtigungen gegen Macron<br />

zielten ganz offensichtlich ins Leere. Aber<br />

eheliche Untreue, eine he<strong>im</strong>liche Geliebte,<br />

wechselnde Partnerinnen, Neigungen zum<br />

eigenen Geschlecht haben an Frankreichs<br />

Höfen und Palästen Tradition. Diskretion<br />

war dabei nie selbstverständlich.<br />

Auf Verschwiegenheit setzte wahrscheinlich<br />

Heinrich III., auf dem französischen<br />

Thron von 1574 bis zu seinem Tod ➔<br />

Der französische Sonnenkönig Ludwig XIV<br />

liebte grandiose Inszenierungen seiner selbst.<br />

Diese hier würde ihm sicher auch gefallen.<br />

CRUISER mai 2017


30<br />

Serie<br />

Homosexualität in Geschichte und Literatur<br />

©Bild: Getty Images<br />

Direkte oder indirekte Weggefährten unseres Protagonisten (von links): Elisabeth Nicols, Henri selbst, Philippe I. von Bourbon und Frankreichs<br />

Emmanuel Macron. Bei Macron dürfen wir keine weitere Spekulationen über seine Sexualität hinschreiben, da er äusserst klagefreundlich ist.<br />

1589. Ob die nötig war, ist eine andere Frage,<br />

denn seine Homosexualität galt weitherum<br />

als ausgemacht. In seiner Jugend wurde er<br />

anzüglich «Prinz von Sodom» genannt, worunter<br />

zu seiner Zeit sexuelle Praktiken verstanden<br />

wurden, die nicht der Fortpflanzung<br />

dienten, während heute mit Sodomie<br />

entsprechende Handlungen mit Tieren bezeichnet<br />

werden.<br />

Am 19. September 1551 in Fontainebleau<br />

geboren, sollte er zum tatkräftigen<br />

Herrscher erzogen werden, den Stammhalter<br />

und Nachfolger zeugen und die Armee<br />

führen können. Seine dominierende Mutter<br />

CRUISER mai 2017<br />

Katharina von Medici und dynastische<br />

Zwänge prägten Heinrich. Ausserdem lebte<br />

er in einem Zeitalter religiöser Wirren, die<br />

auch Frankreich he<strong>im</strong>gesucht hatten. Seine<br />

Haltung zwischen Katholiken und Protestanten<br />

war schwankend. Ein starkes Interesse<br />

entwickelte er für Kleider, Schmuck,<br />

Kunst, Literatur und Tanz.<br />

«Wahre Freundschaft nur unter<br />

Männern»<br />

Krampfhaft wurde versucht, den attraktiven<br />

jungen Mann zu verehelichen, unter anderem<br />

mit der etwa doppelt so alten Elisabeth I.<br />

von England, der Königin, die als starke<br />

Persönlichkeit ein Zeitalter begründete. Vergeblich.<br />

Seiner späteren Ehe mit einer Frau<br />

aus dem lothringischen Herzogshaus entsprangen<br />

keine Kinder.<br />

Eine besondere Zuneigung empfand<br />

er allerdings gegenüber einem Mann: dem<br />

Heerführer aus der Gascogne, Robert Du<br />

Guast. Der Schriftsteller Axel Gora übermittelt<br />

in seinem historischen Roman<br />

«Der Luftspringer» eine Szene zwischen<br />

Katharina von Medici und Heinrich, ihrem<br />

Lieblingssohn. «Frau Mutter, sagt,<br />

dass es nicht schl<strong>im</strong>m ist, wenn ich das


Serie<br />

Homosexualität in Geschichte und Literatur<br />

31<br />

weibliche Geschlecht nicht begehre. Ihr<br />

wisst, dass es wahre Freundschaft nur unter<br />

Männern gibt. Darum ist mir Robert<br />

der beste Gefährte.»<br />

Kann sein, dass Heinrich lieber Schriftsteller,<br />

Modedesigner oder Tänzer als König<br />

geworden wäre. Seine Wahl zum polnischen<br />

König – supranationale Lösungen einer<br />

Thronfolge waren damals möglich – geriet<br />

zum Desaster; seine Leistung als französischer<br />

Heerführer und Monarch wird widersprüchlich<br />

bewertet. In Machtkämpfen behauptete<br />

er sich zwar mit geschickter,<br />

umsichtiger Taktik und plötzlicher, kühner<br />

Entschlossenheit, doch an seinen Händen<br />

klebte dann auch Blut.<br />

Ironie des Schicksals, dass er auf einem<br />

Feldzug am 1. August 1589 vom jungen<br />

Dominikanermönch Jacques Clément<br />

mit einem vergifteten Dolch niedergestochen<br />

wurde und dem Attentat tags darauf<br />

erlag. Die politischen und konfessionellen<br />

Leidenschaften seiner Zeit hatten Heinrich<br />

III. eingeholt.<br />

Schwuler Bruder <strong>im</strong> Schatten des<br />

Sonnenkönigs<br />

Die waren rund 100 Jahre später nicht minder<br />

brisant – <strong>im</strong> Zeitalter des Sonnenkönigs Ludwig<br />

XIV., mit dessen Namen Schloss Versailles<br />

untrennbar verbunden ist. Von 1643 bis 1715<br />

regierte er, Spross aus der Dynastie der Bourbonen,<br />

und machte Frankreich auch durch<br />

Waffengewalt zu einer erstrangigen Macht in<br />

Europa. Gegenüber seinem 1640 geborenen<br />

Bruder Philippe I. von Bourbon, Herzog von<br />

Orléans, verhielt sich der zwei Jahre ältere Sonnenkönig<br />

allerdings nicht so sonnenhaft. Er tat<br />

alles, um Philippe auf Distanz zu halten, ihn<br />

von Regierungsgeschäften und aktiver Politik<br />

auszuschliessen. Philippe, von Günstlingen<br />

und Liebhabern umgeben, schien in seinen homosexuellen<br />

Beziehungen, die am Hof ein offenes<br />

Gehe<strong>im</strong>nis waren, ganz aufzugehen und<br />

an nichts anderes mehr zu denken.<br />

Es überraschte deshalb, dass er sich<br />

unvermittelt zu den Waffen meldete und<br />

ein äusserst fähiger Feldherr wurde, der<br />

Siege errang und Gegner zur Kapitulation<br />

zwang. Der 1701 verstorbene Herzog wurde<br />

durch Missgunst des Bruders und<br />

wegen seiner sexuellen Ausrichtung zurückgebunden<br />

– heute würde wohl mit<br />

Hackerangriffen versucht, seine Karriere<br />

zu vernichten.<br />

Homosexualität in Geschichte<br />

und Literatur<br />

Mehr oder weniger versteckt findet sich das<br />

Thema Männerliebe in der Weltgeschichte, der<br />

Politik, in antiken Sagen und traditionellen<br />

Märchen – aber auch in Wissenschaft, Technik,<br />

Computerwelt. <strong>Cruiser</strong> greift in dieser losen<br />

Serie einzelne Beispiele heraus, würzt sie<br />

mit etwas Fantasie, stellt sie in zeitgenössische<br />

Zusammenhänge und wünscht bei der<br />

Lektüre viel Spass – und hie und da auch neue<br />

oder zumindest aufgefrischte Erkenntnisse. In<br />

dieser Folge, aus aktuellem Anlass: Männer<br />

<strong>im</strong> Dunstkreis von Frankreichs Staatsspitze.<br />

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CRUISER mai 2017


32<br />

RATGEBER<br />

Dr. Gay<br />

Dr. Gay<br />

Bin ich sexsüchtig?<br />

DR. GAY<br />

Dr. Gay ist eine Dienstleistung der Aids-Hilfe<br />

Schweiz. Die Fragen werden online auf<br />

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CRUISER mai 2017<br />

VON Vinicio Albani<br />

Grippesymptome –<br />

muss ich mir Sorgen<br />

um HIV machen?<br />

Vor einigen Tagen hatte ich in<br />

einer Gaysauna Oralsex mit<br />

mehreren fremden Männern. Einer<br />

hat mich so stark geblasen, dass<br />

mein Schwanz danach ziemlich<br />

wund war. Nun fühle ich mich<br />

krank wie bei einer Grippe. Ich<br />

habe zwar kein Fieber, aber<br />

starke Glieder- und Kopfschmerzen.<br />

Muss ich mir Sorgen um HIV<br />

machen und zum Test?<br />

T<strong>im</strong> (51)<br />

Hallo T<strong>im</strong><br />

Grippesymptome können ein Indiz für eine<br />

HIV-Infektion sein, du kannst dich darauf<br />

aber nicht verlassen. Die gute Nachricht:<br />

Blasen ohne Sperma <strong>im</strong> Mund birgt kein<br />

HIV-Risiko. Daran ändert auch ein wunder<br />

Schwanz nichts. Solange keine offene, blutende<br />

Wunde vorhanden war, musst du dir<br />

keine Sorgen machen. Wenn du trotzdem<br />

unsicher bist: Ein HIV-Test ist die sicherste<br />

Methode, dich zu beruhigen. Denke daran,<br />

dass andere sexuell übertragbare Infektionen<br />

(STI) wie Chlamydien, Tripper oder Syphilis<br />

einfacher übertragbar sind als HIV.<br />

Sie sind aber zum Glück gut behandelbar,<br />

wenn sie frühzeitig erkannt werden. Im <strong>Mai</strong><br />

bieten ausgewählte Teststellen die eigentlich<br />

teuren Tests gratis an. Mehr Informationen<br />

findest du auf drgay.ch.<br />

Alles Gute, Dr. Gay<br />

Obwohl ich schon seit zwölf<br />

Jahren einen Freund habe, wichse<br />

ich mindestens zwei Mal pro Tag<br />

und treffe mich he<strong>im</strong>lich mehrmals<br />

pro Woche mit anderen<br />

Sexpartnern. Danach fühle ich<br />

mich schlecht und bereue es.<br />

Ich mache mir dann trotz Safer<br />

Sex Sorgen, mich mit HIV angesteckt<br />

zu haben. Ausserdem<br />

denke ich, dass ich sexsüchtig<br />

bin. Was meinst du dazu?<br />

Henry (42)<br />

Hallo Henry<br />

Ein grosses Interesse an Sex und ein aktives<br />

Sexleben bedeuten nicht unbedingt, dass<br />

man sexsüchtig ist. Indizien für eine Sucht<br />

sind unter anderem, wenn du unter Zwang<br />

handelst, wenn deine Gesundheit darunter<br />

leidet und Freunde, Partner oder Interessen<br />

vernachlässigt werden. Was dich eher zu<br />

plagen scheint, ist dein schlechtes Gewissen.<br />

Du spürst nach dem Sex Reue und hast<br />

trotz Safer Sex Angst, dich mit HIV angesteckt<br />

zu haben (sozusagen als Strafe). Der<br />

Grund dafür könnte sein, dass du deinen<br />

Partner hintergehst und belügst. Vielleicht<br />

hilft es dir, wenn du dich mit ihm aussprichst<br />

und ihm von deinen Bedürfnissen<br />

erzählst. Dabei muss er nicht unbedingt<br />

alle Details erfahren. Aber es wäre fair, ihm<br />

deine Wünsche und Gefühle mitzuteilen.<br />

Wer weiss, vielleicht geht es ihm ähnlich.<br />

So könnt ihr einen Weg finden, der für euch<br />

beide passt. Offenheit und Ehrlichkeit sind<br />

wichtige Standpfeiler einer Beziehung. Viele<br />

Paare treffen Abmachungen und gehen<br />

Kompromisse ein, um das Gleichgewicht in<br />

der Beziehung zu halten. Sei dir aber auch<br />

bewusst, was die Konsequenzen eines solchen<br />

Gesprächs sein könnten. Es könnte<br />

auch sein, dass es Zeit für euch ist, getrennte<br />

Wege zu gehen.<br />

Alles Gute, Dr. Gay


KOLUMNE<br />

Thommen meint<br />

33<br />

Der Zeitgeist ist pubertär<br />

aufgeladen<br />

Er weht <strong>im</strong>mer wieder um unsere Nase und ist schwierig, in Worte<br />

zu fassen. Besonders seine Beziehung zur männlichen Homosexualität.<br />

Es lohnt sich aber, es <strong>im</strong>mer wieder zu versuchen.<br />

VON PETER THOMMEN<br />

E<br />

dmund White hat ihn als 29-Jähriger<br />

in den USA sehr schön einfangen<br />

können: Der schwule Philosoph 1) .<br />

Ich habe 1989 einen angeregten Essay geschrieben<br />

mit dem Titel «Lieber einen<br />

Mann be<strong>im</strong> Schwanz packen, als vor einem<br />

Führer in die Knie gehen.»<br />

Dem Zeitgeist habe ich mich 2011 erstmals<br />

gestellt <strong>im</strong> Wiesbadener Szene-Blatt<br />

«Lust» 2) . Mir waren da <strong>im</strong>mer wieder Ausdrucksweisen<br />

und vor allem die Mode aufgefallen.<br />

Ich kann mich erinnern, dass Jeanshosen<br />

verkehrt getragen wurden. Nach den<br />

«ge-stone-ten» Hosen kamen die zerrissenen<br />

und nach denen wurden Jeans so tief getragen,<br />

dass die farbigen Undies und die Gesässspalte<br />

allgemein sichtbar wurden. «Wer<br />

daran nicht die Aufforderung zur Penetration<br />

erkennen kann, ist nun wahrlich heterosexuell<br />

erblindet.»<br />

Der homosexuelle Akt sucht sich schon<br />

lange seinen Weg unter den heterosexuellen<br />

Männern, denn ohne dieselben wäre es langweilig<br />

<strong>im</strong> Sex, in der Pornografie und letztlich<br />

in der Gesellschaft. «Auch die ganzen faschistisch<br />

motivierten Fetische in der Schwulenszene<br />

sind das Symbol des inneren Kampfes mit<br />

diesem Stier.» An der gegenwärtigen Fussballkultur<br />

sind Männerprobleme deutlich erkennbar.<br />

Wer nicht heterosexuell erblindet ist, kann<br />

erkennen, wie die Fans zu Dschihadisten geworden<br />

sind, die den Kampf selber überneh-<br />

Es fällt nun jedem auf,<br />

wie Dschihadisten-Bärte<br />

überall gewachsen sind.<br />

men wollen. Die Spieler <strong>im</strong> Stadion genügen<br />

ihnen nicht mehr. Ausserdem greifen sie sich<br />

da öffentlich an die Beine, küssen und umarmen<br />

sich völlig unmännlich. (Das Fernsehen<br />

SRF hat einmal eine Zusammenstellung von<br />

sexuellen Übergriffen in Fussballreportagen<br />

gemacht.) Die Frage für mich als Schwuler<br />

stellt sich nun wie folgt: Bestrafen sich Heteros<br />

nun vor oder nach dem Match für all das, was<br />

ihnen <strong>im</strong> Stadion geboten wird?<br />

Es fällt nun jedem auf, wie Dschihadisten-Bärte<br />

überall gewachsen sind. Auch die<br />

schwarzen Klamotten erinnern an Religion.<br />

Die frei sichtbaren nackten Fussknöchel hatten<br />

wir auch schon als Blickfang bei den<br />

Frauen in der viktorianischen Zeit. Die trugen<br />

ihre Röcke bis fast auf die Füsse hinunter.<br />

Wer nun glaubt, die Männer würden sich<br />

«feminisieren», der verkennt die verdeckten<br />

Ordnungslinien in der Gesellschaft und den<br />

Subkulturen. «Rasiert» heisst es häufig in<br />

den Profilen und dies weist auf kindliche<br />

Sehnsüchte nach Unschuld hin. Frauen müssen<br />

ja auch möglichst kindlich-haarlos am<br />

Körper sein, damit es den Heteros nicht zu<br />

schwul rüberkommt be<strong>im</strong> Sex!<br />

Die Fussbekleidung ist bereits wieder<br />

mit Farbe versehen worden und dies erinnert<br />

mich an die farbigen «Hanky-Codes» (s.<br />

Wikipedia) in der Gayszene aus einer Zeit, in<br />

welcher Männer nicht miteinander geredet,<br />

aber vor allem Sex gehabt haben.<br />

Wer sich in der Darstellung und <strong>im</strong><br />

Auftreten in Formen passiver Symbole begibt,<br />

muss sich auf entsprechende Gefahren gefasst<br />

machen. Als ich mich vor Jahren für eine<br />

HABS-Party als Frau zurechtmachen liess,<br />

hatte ich bei meinem Erscheinen schnell einen<br />

Klaps auf dem Gesäss und das auch noch<br />

in der Gaybar. Gemäss diesen kulturellen Linien<br />

entlang erklären bisexuelle Männer uns<br />

Schwulen auch überzeugt, wir sollten weder<br />

ein Coming-out machen (denn sie bleiben<br />

schwul <strong>im</strong> Schrank) und uns auch nicht unmöglich<br />

benehmen, dann gebe es keine<br />

Schwierigkeiten. Das sollten sie auch mal ihren<br />

Freundinnen und Frauen erklären!<br />

(Weitere «Zeitgeister» in den nächsten Kolumnen.)<br />

1)<br />

Edmund White: Die brennende Bibliothek, 1994/96,<br />

Seiten 33–52 (1969)<br />

2)<br />

www. arcados.ch. Im Suchfeld das Stichwort<br />

«Zeitgeist» eingeben<br />

CRUISER mai 2017


34<br />

Flashback<br />

<strong>Cruiser</strong> vor 30 Jahren<br />

Flashback<br />

<strong>Cruiser</strong> feiert sein 30-jähriges Bestehen. Daher blicken wir während<br />

des ganzen Jahres an dieser Stelle auf die alten Ausgaben zurück.<br />

Von Team <strong>Cruiser</strong><br />

1 Ein schönes Stück Konsum-Kulturgeschichte.<br />

Nirgends lässt sich das<br />

Markenbewusstsein der Gays von<br />

1987 besser demonstrieren als in<br />

diesem Inserat vom «Macho».<br />

2 Das Inserat der Aidshilfe: ein Geniestreich:<br />

«Einige von uns glauben <strong>im</strong>mer noch,<br />

dass Safer Sex sie nichts angehe.<br />

Schade, denn je länger es dauert, bis<br />

sich jeder an die neuen Sex-Regeln<br />

hält, desto länger müssen wir darüber<br />

schreiben. Und je länger wir darüber<br />

schreiben müssen, desto schneller<br />

wächst der Längsbalken dieses Kreuzes<br />

und um so bedrohlicher wird die<br />

AIDS-Gefahr.»<br />

1 2<br />

3 Der Schlossball: Eines der Highlights<br />

<strong>im</strong> Jahr 1987. Fummeltechnisch war<br />

man damals offensichtlich um einiges<br />

mutiger als heute.<br />

3<br />

CRUISER mai 2017


XXX<br />

XXX<br />

35<br />

FÜR MEHR VERGNÜGEN<br />

Dank Gun Oil können Sie den Sex<br />

besonders leidenschaftlich und<br />

ausdauernd geniessen. Denn wertvolle<br />

natürliche Wirkstoffe wie Aloe Vera,<br />

Ginseng oder Guarana sowie die<br />

patentierte 3-Molekül-Formel sorgen<br />

für anhaltende Befeuchtung und<br />

schützen zuverlässig vor Reizungen und<br />

Irritationen. Informieren Sie sich auf<br />

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gunoil.ch<br />

EP Trading Services AG, CH-6300 Zug<br />

CRUISER mai 2017


36 xxx<br />

xxx<br />

gaycity.ch<br />

Where to go in the little big city<br />

2<br />

1<br />

3<br />

MOUSTACHE<br />

Die Sauna für Männer<br />

Engelstrasse 4<br />

www.moustache.ch<br />

(Nachtsauna jeden Fr / Sa)<br />

HUUSMAA<br />

Kafi – Reschti – Bar<br />

Badenerstrasse 138<br />

044 241 11 18<br />

www.huusmaa.ch<br />

Sa & So Brunch 10:00 – 15:00<br />

LES GARÇONS<br />

Bar/Tanzbar<br />

Kernstrasse 60<br />

www.garcons.ch<br />

Täglich geöffnet ab 18.30 Uhr<br />

6<br />

7<br />

8<br />

BEAUTY LOUNGE<br />

FOR MEN<br />

Haarentfernung, Kosmetik,<br />

Anti-Aging und Bodyforming<br />

Kalkbreitestrasse 42<br />

www.marciomf.ch<br />

079 533 41 01<br />

CHECKPOINT<br />

Gesundheitszentrum<br />

Konradstrasse 1<br />

www.checkpoint-zh.ch<br />

044 455 59 10<br />

DANIEL H.<br />

Bar-Restaurant<br />

Müllerstrasse 51<br />

8004 Zürich<br />

044 241 41 78<br />

www.danielh.ch<br />

10<br />

11<br />

12<br />

LEONHARDS-<br />

APOTHEKE<br />

Stampfenbachstr. 7<br />

www.leonhards.apotheke.ch<br />

044 252 44 20<br />

MACHO<br />

City Shop<br />

Häringstrasse 16<br />

www.macho.ch<br />

PARAGONYA<br />

Wellness Club<br />

Mühlegasse 11<br />

www.paragonya.ch<br />

15<br />

16<br />

CRANBERRY<br />

Bar<br />

Metzgergasse 3<br />

www.cranberry.ch<br />

INFINITY<br />

Bar + Lounge auf zwei Etagen<br />

Zähringerstrasse 11<br />

8001 Zürich<br />

www.infinity-bar.ch<br />

Täglich geöffnet ab 17 Uhr<br />

4<br />

MÄNNERZONE<br />

Shop & Bar<br />

Kernstrasse 57<br />

www.maennerzone.ch<br />

MAENNERZONE.CH<br />

9<br />

PARACELSUS<br />

Apotheke & Drogerie<br />

Langstrasse 122<br />

paracelsus@bluewin.ch<br />

044 240 24 05<br />

13<br />

PREDIGERHOF<br />

bistro – bar<br />

Mühlegasse 15<br />

www.predigerhof.ch<br />

5<br />

MED. DENT.<br />

KLAAS FRIEDEL<br />

Heinrichstrasse 239<br />

Mit Tram ab 4/13/17 bis Escher-Wyss-Platz<br />

www.swissdentalcenter.ch<br />

043 444 74 00<br />

14<br />

TIP TOP BAR<br />

Die Schlager Bar<br />

Seilergraben 13<br />

www.tip-top-bar.ch<br />

Dienstag – Samstag ab<br />

18.30 Uhr<br />

Interesse in diesem<br />

Inserat aufgeführt zu sein?<br />

Anfragen an:<br />

info@zbiro.ch

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