Globale Risiken managen - UmweltDialog Nr 7 (Mai 2017)
Ob Trump oder Brexit, Terroranschläge oder Klimawandel: Die Welt ist seit geraumer Zeit im permanenten Krisenmodus. Wirtschaftliches Handeln wirkt wie Segeln im Sturm. Das rückt den Aspekt des Risikomanagemnets in deb Blickpunkt. Die aktuelle Ausgabe des UmweltDialog-Magazins „Globale Risiken managen“ widmet sich daher diesem Thema. Themen dieser Ausgabe: Was haben globale Risiken mit CSR zu tun? / Standortrisiko Trump? / Albtraum Rückruf / Transparente Lieferketten / Kein Platz für Kinderarbeit u.v.m.
Ob Trump oder Brexit, Terroranschläge oder Klimawandel: Die Welt ist seit geraumer Zeit im permanenten Krisenmodus. Wirtschaftliches Handeln wirkt wie Segeln im Sturm. Das rückt den Aspekt des Risikomanagemnets in deb Blickpunkt. Die aktuelle Ausgabe des UmweltDialog-Magazins „Globale Risiken managen“ widmet sich daher diesem Thema. Themen dieser Ausgabe:
Was haben globale Risiken mit CSR zu tun? / Standortrisiko Trump? / Albtraum Rückruf / Transparente Lieferketten / Kein Platz für Kinderarbeit u.v.m.
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Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | umweltdialog.de | 9,00 EUR<br />
Das CSR-<br />
Magazin<br />
<strong>Globale</strong><br />
TITEL<br />
<strong>managen</strong><br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
DE / A 9,00 EUR<br />
Foto: alexemanuel / iStockphoto.com
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<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />
Liebe Leserinnen<br />
und Leser,<br />
Immanuel Kant, einer unserer großen Denker<br />
und moralischen Vorbilder, hat einmal gesagt:<br />
„Wir denken selten beim Licht an Finsternis,<br />
beim Glück an Elend; bei der Zufriedenheit an<br />
Schmerz; aber umgekehrt jederzeit.“ Wenn wir<br />
diesen Satz auf Manager-Sprache übertragen,<br />
so kann man sagen: Wenn der Laden läuft, denken<br />
die wenigsten Manager an <strong>Risiken</strong> und Gefahren.<br />
Dabei ist Risikomanagement technisch<br />
betrachtet einfach: Es geht um das vorzeitige<br />
und frühzeitige Erkennen von Einflüssen, z.B.<br />
auf das Unternehmen. Und es geht auch um<br />
Auswirkungen, die das Unternehmen selbst auf<br />
sein Umfeld hat. Diese Faktoren können die<br />
Sünden der Vergangenheit oder die Fehler von<br />
Morgen sein. Früher oder später fallen sie dem<br />
Unternehmen krachend vor die Füße. Wer dann<br />
erst anfängt nachzudenken, der betreibt reines<br />
Krisenmanagement.<br />
Die Frage lautet daher: Wie geht man Risikomanagement<br />
an, bevor das Kind in den Brunnen<br />
fällt? Im Alltag tun sich viele Unternehmenslenker<br />
mit der Antwort schwer, denn sie<br />
verlangt doppelte Abstraktion: Sowohl das Ereignis<br />
als auch der Zeitpunkt sind in einer solchen<br />
Gleichung immer unscharf. Dann lieber<br />
abwarten, argumentieren viele und berechnen<br />
den voraussichtlichen Schaden. Ist der nämlich<br />
eingetreten, hat man zumindest einen ganz<br />
konkreten Ansatzpunkt.<br />
Heutzutage ist die Welt voller <strong>Risiken</strong>: Ob nun<br />
politischer Art – Stichwörter sind Brexit, Trump,<br />
Putin, Erdogan, und die ganze Bagage der Populisten<br />
– oder die wachsenden Auswirkungen des<br />
Klimawandels (Dürre, Flut, Migration) und natürlich<br />
die Klassiker wie Betriebsunterbrechung,<br />
Rückruf, Rechtsstreit und Reputationsrisiken.<br />
Unsere aktuelle Ausgabe gibt Ihnen einen strukturierten<br />
Überblick über einige der wichtigsten<br />
Facetten beim Thema Risikomanagement und<br />
zeigt, welche Rolle CSR dabei spielt.<br />
Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen Ihr<br />
Dr. Elmer Lenzen<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
3
<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />
Inhalt<br />
Das CSR-<br />
Magazin<br />
<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />
6<br />
10<br />
12<br />
14<br />
18<br />
20<br />
Was haben globale <strong>Risiken</strong> mit CSR<br />
zu tun?<br />
Ob Trump oder Brexit, Terroranschläge<br />
oder Klimawandel: Welchen Beitrag<br />
leistet CSR in Risikofragen?<br />
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist<br />
besser<br />
Risikomanagement als Unterrichtsfach<br />
– Interview mit Prof. Dr. Albers<br />
Risikomanagement<br />
Die wichtigsten Handlungsfelder,<br />
Aktionen und Maßnahmen<br />
Standortrisiken<br />
Standortrisiko Trump<br />
Was ist der optimale Standort für<br />
Unternehmen? Der, der Vorteile verschafft.<br />
Und wie steht es dann heute<br />
um Mexiko?<br />
Auf einen Blick: Wichtigste<br />
Unternehmensrisiken in aller Welt<br />
Ein Steuerungsinstrument in<br />
unruhigen Zeiten?<br />
Die einen igeln sich auf ihrer Insel<br />
ein, der andere will Mauern bauen –<br />
die Welt ist unsicherer geworden.<br />
Was nun? Wir haben einen Experten<br />
gefragt.<br />
Rechtliche <strong>Risiken</strong><br />
22<br />
26<br />
Rohstoffrisiken<br />
28<br />
34<br />
38<br />
Perspektivwechsel: Klassisches<br />
Compliance-Verständnis als Risiko<br />
Fehler vermeiden klingt gut, aber wie<br />
organisiert man das im Unternehmen?<br />
Milliardenschäden durch Produktund<br />
Markenpiraterie<br />
Alles fake – nein, es geht nicht um<br />
News, sondern um Waren. Der<br />
Schaden ist immens.<br />
<strong>Globale</strong> Rohstoffumbrüche<br />
erfordern Umdenken<br />
Der globale Rohstoffhunger ist<br />
gigantisch. Lange Zeit fragte keiner,<br />
wo die Rohstoffe herkommen. Das<br />
ändert sich jetzt endlich.<br />
Glimmer-Lieferkette:<br />
Kein Platz für Kinderarbeit<br />
Alle Welt braucht Glimmer. In Indien<br />
schuften dafür Tag für Tag kleine<br />
Kinder. Merck will das ändern.<br />
Klimarisiken<br />
44<br />
Ein „Weiter so“ funktioniert nicht<br />
Der Klimawandel und all seine Folgen<br />
sind hausgemacht. Also kann man<br />
auch selbst etwas dagegen tun, erläutert<br />
NRW-Umweltminister Johannes<br />
Remmel.<br />
Wissenschaftlichen Zielen<br />
verpflichtet<br />
Tetra Pak will seine CO 2-Emissionen<br />
reduzieren und setzt auf wissenschaftliche<br />
Methoden.<br />
4 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />
Produktrisiken<br />
46<br />
50<br />
52<br />
53<br />
56<br />
Albtraum Rückruf<br />
Ein Produkt hat Mängel und muss zurückgerufen<br />
werden – der Super-GAU<br />
für jeden Betrieb!<br />
Lebensmittel – Die Branche mit dem<br />
höchsten Reputationsrisiko<br />
Gegessen wird immer – und gepanscht<br />
auch, möchte man am liebsten sagen,<br />
wenn man sich die ganzen Lebensmittelskandale<br />
betrachtet.<br />
<strong>Risiken</strong> gehören zum Geschäft<br />
Die Foodbranche ist so zugeknöpft wie<br />
kaum eine andere, weiß der Kommunikationsberater<br />
Manfred Godek.<br />
Klagewelle in Amerika gegen<br />
Lebensmittelindustrie<br />
Sammelklagen – ein lukratives Geschäft<br />
für amerikanische Anwälte<br />
Transparente Lieferketten<br />
Lebensmittelbetrug ist fast so lukrativ<br />
wie Drogenhandel. Wie lässt sich das<br />
kontrollieren?<br />
38<br />
6<br />
Reputationsrisiken<br />
58<br />
Wenn Innovationen Marken<br />
schwächen<br />
Viele Produkte sind nicht innovativ<br />
und führen zu Reputationsrisiken.<br />
46<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
5
<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />
Foto: bambi / bambi street artist, all rights reserved<br />
6 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />
Was haben globale<br />
mit CSR zu tun?<br />
Die Furcht macht selbst aus Engeln Teufel, hat William Shakespeare einmal gesagt.<br />
Das gibt einem zu denken in Zeiten, in denen Populisten und Autokraten boomen und<br />
Globalisierung zum Synonym für alles wird, was schief läuft. Das größte Problem daran<br />
ist, dass auf die Art die echten Probleme unserer Zeit aufgeschoben werden.<br />
Von Dr. Elmer Lenzen<br />
Was ist eigentlich ein Risiko? Ein Umstand, dass<br />
etwas gefährliche oder schädliche Folgen haben<br />
kann, informiert uns das Lexikon. Dabei<br />
interessiert uns in dem Kontext nicht so sehr<br />
der Grund dafür, sondern vielmehr die Fragen:<br />
Wie wahrscheinlich ist das Eintreten? Welche<br />
Folgen und Konsequenzen hätte es (Stichwort<br />
Schadensschwere)?<br />
Dieser fast schon versicherungstechnische Ansatz<br />
beschäftigte auch zu Anfang des Jahres die<br />
wichtigsten Wirtschaftslenker beim Weltwirtschaftsforum<br />
in Davos. Alljährlich wirft man<br />
dort in den verschneiten Schweizer Bergen einen<br />
Blick in die nahe und ferne Zukunft.<br />
Und selten waren Prognosen und Stimmung<br />
so düster wie <strong>2017</strong>. „Wir wissen nicht, was der<br />
Plan ist – wenn es so etwas wie einen Plan überhaupt<br />
gibt“, sagte Christine Lagarde, die Chefin<br />
des Internationalen Währungsfonds (IMF), und<br />
sprach vielen dort aus der Seele.<br />
Dabei war es selten so wichtig wie heute, einen<br />
Plan zu haben. Die Zahl der Konflikte auf der<br />
Erde hat sich verdoppelt, die politischen und<br />
wirtschaftlichen <strong>Risiken</strong> wachsen täglich. Hinzu<br />
kommen langfristige Herausforderungen wie<br />
Klimawandel, Wassermangel und Überbevölkerung.<br />
Der französische Kreditversicherer Coface<br />
hat kürzlich einen globalen Gefahrenindex erstellt,<br />
er zeigt eine Welt am Rande des Kollapses:<br />
c Ob nun Trump, der Brexit oder die Autokraten<br />
am östlichen Rand Europas (Putin, Erdogan,<br />
Lukaschenko) – der politische Kompass zeigt<br />
vielerorts längst nicht mehr Richtung Demokratie.<br />
c London, St. Petersburg, Berlin, Paris, Nizza,<br />
Istanbul, Boston, Stockholm – Terroranschläge<br />
machen vor keinem Ort halt. Der Funke<br />
einer kleinen Gruppe von Fanatikern im September<br />
2001 ist zu einem Weltbrand und zu<br />
einem globalen Glaubenskrieg angewachsen.<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
7
<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />
c Der Klimawandel, lange als „Expertenthema“<br />
belächelt, zeigt immer deutlicher Wirkung:<br />
Extremwetterlagen führen zu verheerenden<br />
Überschwemmungen wie derzeit in Peru oder<br />
zu biblischer Dürre wie in Afrika. Millionenfache<br />
Flucht und Migration sind unausweichlich.<br />
c Ein Dauergast beim Thema globale <strong>Risiken</strong><br />
ist die Überbevölkerung. Auch wenn das in<br />
Deutschland angesichts einer vergreisenden<br />
Gesellschaft gern vergessen wird – Millionen<br />
junger Menschen in anderen Ländern drängen<br />
auf den Arbeitsmarkt und wollen auch ihre<br />
Chance im Leben haben. Es kann durchaus<br />
als Erfolg der Entwicklungspolitik angesehen<br />
werden, dass diese jungen Leute heute auch<br />
gut ausgebildet sind, wobei das für den Frust<br />
des einzelnen sicher noch mal ein Extra-Boost<br />
ist.<br />
c Arbeitslosigkeit bzw. die tradierte Kopplung<br />
von Einkommen und Arbeit ist sowieso ein<br />
Megathema der Zukunft. Immer mehr Branchen<br />
durchlaufen einen Transformationsprozess<br />
von industrieller zu digitaler Ökonomie.<br />
Das verläuft sehr disruptiv und ungemütlich,<br />
und am Ende stehen immer super attraktive<br />
Geschäftsmodelle mit extrem wenig Mitarbeitern.<br />
Die Energiewirtschaft hat das bereits<br />
erfahren, der Bankensektor ist mittendrin<br />
und der Automobilsektor hat es noch vor sich.<br />
Wenn dann noch die Industrie 4.0 kommt und<br />
Kollege Roboter übernimmt, dann wird Arbeit<br />
zum Luxus.<br />
Und welche Möglichkeiten haben viele Staaten<br />
angesichts dieses giftigen Cocktails an Krisen?<br />
Wenn man den Blick in die Staatskassen wirft,<br />
so lautet die Antwort: So gut wie keine. EUweit<br />
liegt die Staatsverschuldung bei mehr als<br />
83 Prozent. Das ist derzeit kaum ein Problem,<br />
weil die Zinsen praktisch bei Null stehen. Wehe,<br />
wenn sich das ändert.<br />
Wir könnten diese Liste beliebig fortführen,<br />
aber jeder weiß im Grunde um die ungemütlichen<br />
Zeiten. „Politische <strong>Risiken</strong> sind von großer<br />
Bedeutung für Volkswirtschaften und Unternehmen.<br />
Sicherheitsrisiken wirken sich direkt<br />
auf die Unternehmensaktivität aus“, erklärt der<br />
Ökonom Mario Jung gegenüber der Welt. Er hat<br />
mit Kollegen für den Kreditversicherer Coface<br />
Daten aus 159 Ländern der Welt in einem Index<br />
zusammengetragen. Gerade für eine Exportnation<br />
wie Deutschland, schreibt die Welt weiter,<br />
seien solche Risikobewertungen essenziell. Wer<br />
Geld investiert, vor allem im Ausland, ist auf Sicherheit<br />
angewiesen.<br />
Spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise<br />
2008 / 2009 steht das Risikomanagement<br />
noch weiter oben auf der Agenda der Unternehmen.<br />
Die Beratungsgesellschaft PwC befragte<br />
vor nicht allzu langer Zeit 500 dieser Unternehmen,<br />
welche Konsequenzen sie daraus für ihre<br />
Risikostrategie ziehen, ob und wo es Verbesserungsbedarf<br />
gibt und an welchen Stellschrauben<br />
sie deshalb gedreht haben. Die Antworten darauf<br />
fallen eindeutig aus: Vier von fünf Befragten sind<br />
der Meinung, dass das Risikomanagement ihres<br />
Unternehmens während der Krise zufriedenstellend<br />
war, berichtet PwC. Ist das gut oder selbstzufrieden?<br />
Auch die PwC-Experten sehen im<br />
Risikomanagement noch viel Luft nach oben –<br />
vor allem durch eine stärkere Verzahnung mit<br />
der Unternehmensstrategie und eine ganzheitliche<br />
und systematische Risiko-Betrachtung<br />
und -Steuerung.<br />
Beim Thema ganzheitliche Sichtweise und Blick<br />
über den Tellerrand sekundiert man aus dem<br />
Bundesumweltministerium. Dort heißt es: „Ein<br />
formales Risikomanagement allein, beispielsweise<br />
nach ISO 31.000, versetzt die Unternehmen<br />
nicht in die Lage, die neuen und veränderten<br />
<strong>Risiken</strong> zu <strong>managen</strong>. So konnten die<br />
bestehenden Risikomanagementsysteme die<br />
globale Finanzkrise weder vorhersehen noch<br />
verhindern.“<br />
8 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />
Foto: behindlens / Fotolia.com<br />
Stimmt. Das liegt in der Logik von gängigen<br />
Risikomanagement-Modellen begründet. Dabei<br />
liegt landläufig der Schwerpunkt darauf, Fehler<br />
aus der Vergangenheit in der Zukunft zu vermeiden.<br />
Aus Schaden wird man klug, lautet ein<br />
bekanntes Sprichwort. Aber das ist noch keine<br />
Lösung für die Herausforderungen, dass sich<br />
das Wettbewerbsumfeld oder Rohstoffpreise<br />
schnell ändern können. Dennoch behalten kluge<br />
Unternehmer natürlich auch diese Aspekte<br />
im Blick. Die gängige Antwort auf wachsende<br />
Komplexität und Wettbewerbsdruck ist es,<br />
Produkte in immer schnelleren Zyklen bis zur<br />
Marktreife voranzutreiben. Brandgefahr bei Akkus<br />
wie jüngst bei Samsung oder gar kriminelle<br />
Energie bei der Abgasmessung wie bei Volkswagen<br />
sind dabei sicher nicht geplant, aber gar<br />
nicht so unerwartet. Die <strong>Risiken</strong> werden bei vielen<br />
Produkten aus der Produktionsphase in die<br />
Produktnutzungsphase verlagert. Man mindert<br />
also das Risiko der Produktionsunterbrechung<br />
und der Ausfallzeiten und riskiert dafür Qualitätsmängel,<br />
Reputationsrisiken und Rückrufaktionen.<br />
Nun gut. Man kann halt nicht alles haben. Aber<br />
man kann versuchen, das große Ganze im Blick<br />
zu behalten. Am Fraunhofer Institut raten die<br />
Wissenschaftler etwa zum „Aufbau eines systematischen<br />
Risikomanagements, das eine aktive<br />
Gestaltung und Steuerung der Produktqualität<br />
und eine ständige Verbesserung der Unternehmensleistung<br />
durch das Erkennen von <strong>Risiken</strong><br />
und Chancen ermöglicht.“ Ein solches Risikomanagement<br />
ist dann kein starres Korsett, sondern<br />
dynamisch und im Alltag anpassungsfähig.<br />
„Damit das Risikomanagement funktioniert,<br />
muss es sich nicht nur an den Zielen des Unternehmens,<br />
sondern auch an dessen Vision,<br />
Strategie und Kultur orientieren. Die Ziele, die<br />
ein Unternehmen mit seiner Risikostrategie<br />
verfolgt, müssen mit den übergeordneten Unternehmenszielen<br />
im Einklang stehen. Andererseits<br />
können wichtige Erkenntnisse aus dem<br />
Risikomanagement auch zu einer Anpassung<br />
der Unternehmensziele und -strategie führen“,<br />
erläutert Christof Menzies, Ansprechpartner bei<br />
Ereignisse, deren Eintreten (sehr)<br />
wahrscheinlich ist<br />
1 Extreme Wetterereignisse (Umweltrisiko)<br />
2 Massenhafte ungewollte Migrationsströme<br />
(gesellschaftliches Risiko)<br />
Ereignisse, deren Eintreten enorme<br />
Auswirkungen hätten<br />
1 Massenvernichtungswaffen<br />
(geopolitisches Risiko)<br />
2 Extreme Wetterereignisse (Umweltrisiko)<br />
3 Große Naturkatastrophen (Umweltrisiko) 3 Wasserkrisen (gesellschaftliches Risiko)<br />
4 Groß angelegte Terroranschläge<br />
(Geopolitisches Risiko)<br />
5 Massiver Vorfall von Datenbetrug/-diebstahl<br />
(Technologierisiko)<br />
4 Große Naturkatastrophen (Umweltrisiko)<br />
5 Versagen bei der Anpassung an<br />
Klimaveränderungen (Umweltrisiko)<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
9
<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />
PwC für das Thema. Er beklagt dabei, dass sich<br />
Unternehmen bislang zu stark auf Einzelrisiken<br />
fokussieren und dabei das Risikoumfeld insgesamt<br />
aus dem Blick verlieren: „Unternehmen<br />
müssen Abhängigkeiten erkennen und im Risikomanagement<br />
berücksichtigen. Nehmen wir<br />
als Beispiel ein Unternehmen, das Technologie<br />
für Raumfahrt und Verteidigung herstellt: Es<br />
muss besondere strategische <strong>Risiken</strong> beispielsweise<br />
bei der Entwicklung von Innovationen,<br />
operative <strong>Risiken</strong>, wie Produkthaftungsrisiken,<br />
finanzielle <strong>Risiken</strong>, wenn die Rohstoffpreise<br />
steigen und Compliance-<strong>Risiken</strong>, Stichwort<br />
Korruption, steuern. Neben diesen klassischen<br />
Risikokategorien gehören auch die sogenannten<br />
Emerging Risks zum Risikoumfeld. Das sind<br />
zukünftige globale <strong>Risiken</strong>, die sich nur schwer<br />
voraussagen lassen: Klimawandel, politische<br />
Instabilität oder auch Naturkatastrophen.“<br />
Und genau an dieser Schnittstelle kommen<br />
Nachhaltigkeit und CSR ins Spiel. Sie liefern<br />
die Themen und Megatrends, auf die Unternehmensziele<br />
und -strategien einzahlen müssen.<br />
Salopp gesagt: Wer keine Antworten auf die<br />
drängenden Fragen von morgen hat, der hat in<br />
dieser Zukunft eigentlich auch nichts verloren.<br />
Dazu schreiben Thomas Loew, Jens Clausen und<br />
Sabine Braun in einer Studie für das BMU: „Auch<br />
mit seiner Funktion als ‚Umfeldradar‘ leistet<br />
CSR einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung<br />
von <strong>Risiken</strong>.<br />
So sind zum Beispiel die von den CSR-Verantwortlichen<br />
initiierten Stakeholderdialoge nicht<br />
allein für das Erkennen und den Umgang mit<br />
Stakeholderanforderungen und -bedürfnissen<br />
wichtig, sondern können auch als Frühwarnsystem<br />
für die Unternehmensstrategie und<br />
einzelne Geschäftsprozesse dienen. Für eine risikobewusste<br />
Unternehmensführung, die (neue)<br />
Prioritäten setzt, ist ein modernes CSR-Management<br />
unverzichtbarer Baustein. Denn<br />
dieses hat grundsätzlich und unabhängig vom<br />
formalen Risikomanagement die Aufgabe, <strong>Risiken</strong><br />
im Kontext von ökologischen und sozialen<br />
Aspekten frühzeitig zu identifizieren, zu analysieren,<br />
zu bewerten, zu beobachten, im Unternehmen<br />
auf sie an geeigneter Stelle aufmerksam<br />
zu machen und Gegenmaßnahmen<br />
vorzuschlagen. Letztendlich geht es dabei um<br />
einen bewussten Umgang und eine Steuerung<br />
dieser <strong>Risiken</strong>.“ f<br />
Vertrauen ist gut,<br />
Kontrolle ist besser<br />
Bald jedem zweiten Unternehmen fehlt<br />
eine Risikomanagement-Strategie. Das<br />
ergab jüngst eine internationale Studie<br />
von DNV GL. Das bedeutet jede Menge<br />
Aufklärungsbedarf. An der Hochschule<br />
Magdeburg-Stendal unterrichtet der<br />
Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Erwin<br />
Jan Gerd Albers deshalb Risikomanagement<br />
als Unterrichtsfach. Wir fragten ihn,<br />
was ein gutes Risikomanagement ausmacht.<br />
Hallo Herr Professor Albers, Sie unterrichten Risikomanagement<br />
an der Hochschule Magdeburg-Stendal.<br />
Das hat ja viel mit Sorgen und Vorsorgen zu tun.<br />
Kann man sagen, Sie bringen Ihren BWL-Studenten<br />
das Fürchten bei?<br />
Prof. Albers: Ganz im Gegenteil. Angst ist eine<br />
natürliche Reaktion des Menschen auf das Umweltgeschehen,<br />
aber viele Menschen schätzen<br />
die <strong>Risiken</strong> falsch ein und reagieren irrational.<br />
Einerseits entsteht Panik, wenn eine relativ<br />
kleine Gefahr z.B. durch Haifische oder ganz aktuell<br />
durch Terroranschläge droht, andererseits<br />
werden die erheblichen Verletzungsgefahren,<br />
z.B. im Straßenverkehr oder auf einer Baustelle,<br />
vielfach ignoriert. Wir wollen den Studierenden<br />
im Masterstudiengang „Risikomanagement –<br />
10 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />
Management von unternehmerischen <strong>Risiken</strong>“<br />
am Standort Stendal der Hochschule Magdeburg-Stendal<br />
vermitteln, die <strong>Risiken</strong> realistisch<br />
einzuschätzen, damit man diese effektiv steuern<br />
kann. Im Übrigen sind <strong>Risiken</strong> nicht nur<br />
Gefahren, sondern genauso Chancen unternehmerisch<br />
erfolgreich zu sein.<br />
Was gehört zum Rüstzeug eines guten Risikomanagers?<br />
Albers: Ein Fundament aus umfassenden betriebswirtschaftlichen<br />
Grundkenntnissen, vom<br />
Rechnungswesen über Kernfächer wie Finanzierung,<br />
Produktion, Personal etc. bis zu interdisziplinären<br />
Fächern wie Wirtschaftsrecht oder<br />
Wirtschaftsinformatik, ist unerlässlich. Letzteres<br />
ist übrigens mein Fachgebiet. Nicht ganz<br />
unwichtig sind Kenntnisse in der Anwendung<br />
mathematisch-statistischer Methoden und die<br />
Fähigkeit, durch Simulation die Auswirkungen<br />
von Entscheidungen zu ergründen.<br />
Gefühlt kommt es einem so vor, als nehmen Risikomanagement<br />
und Compliance-Fragen immer mehr<br />
Raum bei der Unternehmenssteuerung ein. Wird<br />
Globalisierung immer problematischer, oder haben<br />
wir einfach zu komplexe Lieferketten aufgebaut?<br />
Albers: Die Globalisierung und die damit verbundene<br />
zunehmende Arbeitsteilung in komplexen<br />
Lieferketten führen zu einer stärkeren<br />
Anonymisierung der Geschäftsbeziehungen. Je<br />
weniger sich die Geschäftspartner persönlich<br />
kennen und intuitiv vertrauen können, umso<br />
mehr müssen Instrumente eingesetzt werden,<br />
die dieses Vertrauen wieder herstellen. Diese<br />
Instrumente können vertrauensvolle Beziehungen<br />
nicht ersetzen, aber es gilt weiterhin<br />
der Leitspruch: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist<br />
besser.“<br />
Albers: Schäden wird man im Leben und auch im<br />
Unternehmen nie völlig vermeiden können, und<br />
kleine Schäden sollte man oft eher tolerieren,<br />
als einen riesigen Aufwand zu ihrer Vermeidung<br />
zu betreiben. Risikosteuerung bedeutet daher,<br />
Schadenshöhen und Eintrittswahrscheinlichkeiten<br />
richtig einzuschätzen und angemessene<br />
Maßnahmen zu ergreifen. Das kann ein<br />
Risikomanager nie ganz alleine machen, sondern<br />
sie /er ist immer auf eine vertrauensvolle<br />
Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern in den<br />
Fachgebieten angewiesen. Wenn dagegen der<br />
Überbringer einer schlechten Nachricht, d.h.<br />
eines Risikos, für dieses verantwortlich gemacht<br />
wird, dann verwundert nicht, dass die Informationsflüsse<br />
stocken.<br />
<strong>Risiken</strong> muss man unterscheiden zwischen solchen,<br />
deren Auftreten wahrscheinlich ist und solchen, die<br />
selten, dann aber heftig nachwirken. So sind politische<br />
<strong>Risiken</strong> wie die Brexit-Folgen bei vielen klar<br />
auf der Agenda, so langfristige Themen wie der Klimawandel<br />
dagegen eher selten. Wie holt man auch<br />
solche Themen auf der täglichen Agenda weiter nach<br />
oben?<br />
Albers: Bezug nehmend auf meine Antwort auf<br />
die erste Frage lautet meine Antwort: Leider<br />
sind vielen Leuten die immensen <strong>Risiken</strong> des<br />
Klimawandels nicht bewusst und werden darin<br />
noch durch einen Präsidenten bestärkt, der<br />
diesen völlig negiert. Während ein Straftäter<br />
erst dann verurteilt werden darf, wenn letzte<br />
Zweifel an seiner Schuld beseitigt sind (was<br />
viele Kleinbürger nicht verstehen), dürfen wir<br />
bei persönlichen, unternehmerischen oder gesellschaftlichen<br />
<strong>Risiken</strong> nicht warten, bis diese<br />
Realität geworden sind. Aufwendungen für<br />
die Abwehr einer drohenden Gefährdung sind<br />
keine Verschwendung gewesen, auch wenn das<br />
Ereignis nicht eingetreten wäre. Gutes Risikomanagement<br />
ist dadurch gekennzeichnet, dass<br />
nicht nur sichere Auswirkungen, sondern eben<br />
auch mögliche Folgen angemessen berücksichtigt<br />
werden.<br />
Vielen Dank für das Gespräch! f<br />
Beim Umgang mit <strong>Risiken</strong> im Unternehmen gilt<br />
meist das Prinzip: Aus Schaden wird man klug. Haben<br />
Sie Tipps, wie man <strong>Risiken</strong> smarter managt, damit<br />
das Kind nicht erst in den Brunnen fallen muss?<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
11
<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />
Risikomanagement<br />
Risikofelder<br />
Aktion<br />
c Strategische <strong>Risiken</strong><br />
z.B. Beteiligungen (Beteiligungspolitik, Ziele), Produkte<br />
(Auswahl der Produkte, Alter der Produkte), Investitionen<br />
(Kapital-, Sach- und Personalinvestitionen, Fehlentscheidungen),<br />
Standorte (falsche Bewertung, Länderrisiken,<br />
Konflikte)<br />
c Operative <strong>Risiken</strong><br />
z.B. Produkte (Qualität, Substitutionsmöglichkeit), Fertigung<br />
(techn. Entwicklung, Wirtschaftlichkeit, Ausfälle),<br />
Produktivität (Mensch - Maschine, Grad der Automation),<br />
Kapazität (Engpässe, Überkapazitäten), Kunden (Abhängigkeiten<br />
von Großkunden, Kundenstrukturen, Zufriedenheit)<br />
c Finanzielle <strong>Risiken</strong><br />
z.B. Liquidität (Insolvenz), Wechselkurs (Auslandsgeschäfte),<br />
Zinsänderung (Erhöhung der Leitzinsen)<br />
c Risikovermeidung<br />
(keine Geschäftstätigkeit mehr!)<br />
c Risikostreuung<br />
(Kunden- und Produktstruktur)<br />
c Risikobegrenzung<br />
(z. B. Bonitätsprüfung)<br />
c Risikoabwälzung<br />
(verschiedene Versicherungen, Lieferanten<br />
stärker in die Pflicht nehmen)<br />
c Risikoakzeptanz<br />
(mit Risiko leben)<br />
c Regulatorische <strong>Risiken</strong><br />
z.B. Umweltschutz (Nichtbeachtung von Umweltschutzauflagen,<br />
Betriebsstilllegungen, Kosten), Naturschutz (Auflagen,<br />
Verbote, geschützte Flächen), Arbeitsrecht (Änderung<br />
im Tarifrecht, Kündigungsschutz)<br />
c Personalrisiken<br />
z.B. Nachfolgeregelung in Familienunternehmen, Qualifikation<br />
(Kosten für Personalsuche und Einarbeitung,<br />
Fehlentscheidungen bei mangelnden Fachkenntnissen),<br />
Integrität (Diebstahl, Korruption), Fluktuation<br />
c Datenverarbeitung<br />
z.B. Systemstabilität (Zerstörung, Ersatz, Aufrechterhaltung<br />
der wichtigsten Funktionen), Datenschutz, Verfügbarkeit<br />
(Hardware, Software, Daten), Missbrauch (Autorisierung,<br />
Zugriffsberechtigung)<br />
c Politische <strong>Risiken</strong><br />
z.B. Wechsel der Regierung (neue Gesetze, Änderung<br />
von Gesetzen), politischer Stillstand, Verstaatlichung von<br />
Wirtschaftszweigen, mehr Einfluss des Staates auf die<br />
Wirtschaft<br />
Foto: Gajus / Fotolia.com<br />
12 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />
Maßnahmen<br />
Steuerung<br />
c Organisatorische Maßnahmen<br />
Funktionstrennung in sensiblen Bereichen (z. B.<br />
Beschaffen – Bezahlen, keine Einzelbankvollmachten,<br />
Vier-Augen-Prinzip), Sicherheitsmaßnahmen<br />
in der Informationstechnik (z. B. Berechtigungen,<br />
Datensicherung, Datenschutz), klare Arbeitsanweisungen<br />
(Stellenbeschreibungen, Organisationspläne)<br />
c Systematische Kontrollen<br />
Aufbau von Kostenstellen / Kostenträgerrechnung,<br />
Controlling (Plankostenrechnung, Kalkulationen,<br />
laufende Soll-Ist-Vergleiche für Absatz, Umsatz,<br />
Kosten, Ergebnis), Kontenfunktion laut GOBS,<br />
systematische Bestandsvergleiche (unterjährige<br />
Bestandsprüfungen)<br />
c Errichten eines internen Kontrollsystems – IKS<br />
„Vier-Augen-Prinzip“ bei allen wichtigen Prozessen,<br />
Berechtigungen und Entscheidungsbefugnisse<br />
eng und selektiv vergeben, wichtige Abläufe in<br />
Richtlinien festlegen (Beschaffung, Zahlungsverkehr,<br />
Rabatte, Debitorenpflege)<br />
c Aufbau von Frühwarnindikatoren<br />
Festlegung der Beobachtungsbereiche (Ermitteln<br />
von Bereichen zur Erkennung von latenten <strong>Risiken</strong>),<br />
Bestimmung der Frühwarnindikatoren je Bereich,<br />
Festlegung von Sollwerten und Toleranzgrenzen<br />
für einzelne Indikatoren (Wann muss eine Reaktion<br />
erfolgen?)<br />
c Markt als Indikator<br />
(Festlegen von Sollwerten und Toleranzen), z.B. die Marktleistung<br />
des Unternehmens wird durch den Marktanteil<br />
gezeigt (Gradmesser)<br />
c Produkte als Indikator<br />
(Festlegen von Sollwerten und Toleranzen), z.B. kann das<br />
Verharren bei „altbewährten Produkten“ den Verlust von<br />
Marktanteilen an innovative Konkurrenten bedeuten.<br />
c Produktion als Indikator<br />
(Sollwerte und Toleranz festlegen): Mögliche <strong>Risiken</strong> sind<br />
Produktionsfaktoren (Engpässe, Überkapazitäten, Qualität),<br />
Produktionsprozesse (Wirtschaftlichkeit, Reparaturen,<br />
Stand der Technik), Umweltgefährdung (Luft, Wasser,<br />
Lärm, Ressourcen)<br />
c Beschaffung als Indikator<br />
(Festlegen von Sollwerten und Toleranzen), z.B. Lieferkapazität<br />
(Angebots- und Nachfragemarkt), Lieferengpässe,<br />
Preisentwicklung, wirtschaftliche Lage des Lieferanten<br />
(Bonität), Transportrisiken, Lieferung „Just-in-time“ („Was,<br />
wenn es hier Probleme gibt?“)<br />
c Finanzierung als Indikator<br />
(Festlegen von Sollwerten und Toleranzen), z.B. Sicherung<br />
der Zahlungsfähigkeit (Vermeidung von Insolvenz), Minimierung<br />
der Finanzierungskosten, Liquidität<br />
Quelle: IHK Ulm<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
13
Standortrisiken<br />
Foto: bdStudios / iStockphoto.com<br />
Armes Mexiko.<br />
So fern von Gott, so<br />
nah an den USA.<br />
“Porfirio Díaz, ehem. mexikanischer Präsident<br />
14 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Standortrisiken<br />
Trump<br />
Standortrisiko<br />
Was ist der optimale Standort für Unternehmen? Der, der Vorteile verschafft. Über Jahrzehnte<br />
war so ein Standort Mexiko: Günstige Produktionskosten vor Ort und der große<br />
Absatzmarkt USA vor der Tür. Doch dann kam Trump. Seitdem ist in Mexiko nichts mehr<br />
wie früher. Und jetzt? Wir sprachen darüber mit Johannes Hauser, Geschäftsführer der<br />
deutsch-mexikanischen Industrie- und Handelskammer.<br />
„Armes Mexiko. So fern von Gott, so nah an den<br />
USA.“ Der Satz des mexikanischen Präsidenten Porfirio<br />
Díaz ist über 100 Jahre alt. Aber er ist aktueller<br />
denn je. Das Verhältnis zu den USA ist seit dem<br />
Amtsantritt von Trump politisch gestört, aber ist es<br />
auch schon ökonomisch gestört?<br />
Johannes Hauser: Bisher nicht, denn an den<br />
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hat sich<br />
ja nichts geändert. Das nordamerikanische Freihandelsabkommen<br />
NAFTA funktioniert uneingeschränkt.<br />
Aber natürlich herrscht Unsicherheit, nachdem<br />
Donald Trump NAFTA wiederholt als ein<br />
schlechtes Abkommen bezeichnet hat, das er<br />
neu verhandeln oder gar aufkündigen will. Eine<br />
Neuverhandlung böte den drei beteiligten Ländern<br />
Mexiko, USA und Kanada die Möglichkeit,<br />
aktuelle Entwicklungen etwa im Bereich der<br />
Dienstleistungen in den Vertragstext einzubinden.<br />
Das Abkommen besteht seit 1994, natürlich<br />
hat sich seitdem manches verändert, was<br />
bei Neuverhandlungen thematisiert würde. Das<br />
wäre kein ungewöhnlicher Vorgang. So tagen<br />
derzeit regelmäßig Expertengruppen in Mexiko-Stadt<br />
und Brüssel, um das Abkommen zwischen<br />
Mexiko und der EU zu aktualisieren.<br />
Sollte es keine Einigung geben und die USA<br />
kündigen das Abkommen auf, würden zunächst<br />
einmal die Zollsätze der Welthandelsorganisation<br />
WTO greifen. Die beliefen sich dann von<br />
Mexiko in die USA auf etwa zwei Prozent, wären<br />
also keine grundlegende Einschränkung für den<br />
Handel. Sollte Trump indes die WTO verlassen<br />
und die von ihm angekündigten Strafzölle von<br />
30 Prozent etwa auf die Einfuhr von Autos verhängen,<br />
hätte das verheerende Folgen. Nicht<br />
nur für den Handel zwischen den beiden Ländern,<br />
sondern für die Weltwirtschaft.<br />
Mexiko hat jahrelang von der Idee des „Nearshoring“<br />
profitiert. Dabei siedelten Unternehmen ihre Produktionsstätten<br />
in Grenznähe zu den USA an, um<br />
ihre Güter dann über die Grenze zu schaffen. Wenn<br />
Mexiko diesen Business Case nicht mehr hat, was<br />
bleibt dann?<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
15
Standortrisiken<br />
Hauser: Diese Art der Produktion, die in Mexiko<br />
als Maquila bezeichnet wird, besteht tatsächlich<br />
noch. Fernsehgeräte, Drucker, Monitore,<br />
Smartphones oder Waschmaschinen sind typische<br />
Produkte, die in Mexiko nach dem Prinzip<br />
der verlängerten Werkbank gefertigt werden.<br />
Das Modell schafft zwar Arbeitsplätze, geht aber<br />
nicht in die Tiefe. Mexikos Regierungsvertreter<br />
beklagen immer wieder, dass die Wertschöpfung<br />
bei der Maquila nur zu einem sehr geringen<br />
Teil in Mexiko stattfindet.<br />
Deswegen setzt man strategisch auf Branchen,<br />
in denen die Produktionsprozesse komplexer<br />
sind und in die Tiefe gehen, was etwa in der<br />
Luft- und Raumfahrtindustrie oder dem Automobilbau<br />
der Fall ist. Gerade bei den Automobilzulieferern<br />
hat sich ein hochkomplexer<br />
grenzüberschreitender Produktionsverbund<br />
entwickelt, der weltweit wohl einmalig ist. Hier<br />
liegen jedem von Mexiko exportierten Dollar<br />
US-Vorleistungen in Höhe von 40 Cent zugrunde.<br />
Studien zufolge hängen sechs Millionen Arbeitsplätze<br />
in den USA vom Handel mit Mexiko<br />
ab. Es ist zu hoffen, dass diese Tatsachen in der<br />
US-Regierung rasch für einen Lernprozess und<br />
ein Umdenken sorgen.<br />
In Mexiko hat sich in den vergangenen Monaten<br />
die Einsicht durchgesetzt, dass die Abhängigkeit<br />
von den USA zu groß ist. Immerhin gehen<br />
derzeit mehr als 80 Prozent der mexikanischen<br />
Exporte zum Nachbarn im Norden. Asien, Südamerika<br />
und Europa sind jetzt stärker im Fokus<br />
der Mexikaner. Immerhin unterhält das Land<br />
zwölf Freihandelsabkommen mit 46 Ländern,<br />
die mit mehr Leben gefüllt werden können.<br />
Die deutsch-mexikanischen Handelsbeziehungen<br />
entwickeln sich übrigens dynamisch, Mexiko<br />
ist das wichtigste Zielland deutscher Exporte<br />
nach Lateinamerika. Die mexikanischen Ausfuhren<br />
nach Deutschland legten 2015 um gut 20<br />
Prozent und im vergangenen Jahr um 15 Prozent<br />
zu.<br />
Sollte ein Unternehmen trotz Trump in Mexiko investieren?<br />
Hauser: Das wird jedes Unternehmen für sich<br />
entscheiden. Es ist völlig normal, dass die Firmen,<br />
die in Mexiko produzieren und von hier<br />
aus exportieren wollen, ihre Investitionspläne<br />
jetzt erst einmal kleiner fahren oder zurückstellen,<br />
bis die Politik für eine klare Perspektive<br />
sorgt. Unternehmen hingegen, die den mexikanischen<br />
Binnenmarkt mit über 120 Millionen<br />
Konsumenten im Fokus haben, halten nach unserer<br />
Beobachtung ohne Abstriche an ihren Plänen<br />
fest.<br />
Ein vermeintlich sicherer Standort wie Mexiko kann<br />
durch eine überraschende Wahl urplötzlich zum Risiko<br />
werden. Wie kann man sich aus Ihrer Sicht dagegen<br />
rüsten?<br />
Hauser: Je breiter man aufgestellt ist, desto unabhängiger<br />
ist man natürlich von überraschenden<br />
Entwicklungen auf einem Markt. Deutsche<br />
Unternehmen sind dafür bekannt, nicht alle<br />
Eier in einen Korb zu legen, sondern auf eine<br />
gute Balance zu achten.<br />
Für mexikanische Unternehmen gilt das nicht.<br />
Sie haben sich auf den US-Markt konzentriert,<br />
was nicht verwunderlich ist, wenn man den<br />
größten Einzelmarkt der Welt direkt vor der Tür<br />
hat. Sie müssen jetzt schnell lernen, ihre Aktivitäten<br />
zu diversifizieren. Die deutsch-mexikanische<br />
Industrie- und Handelskammer steht<br />
ihnen dabei beratend zur Seite. Denn viele Mexikaner<br />
wissen gar nicht, dass deutsche Konsumenten<br />
den Produkten aus anderen Ländern<br />
gegenüber sehr aufgeschlossen sind. Zudem<br />
genießt Mexiko ein gutes Image in Deutschland,<br />
das Produzenten etwa von Lebensmitteln<br />
oder Wellnessprodukten nutzen können. Und<br />
schließlich bieten die zahlreichen internationalen<br />
Leitmessen in Deutschland den mexikanischen<br />
Unternehmen eine hervorragende Möglichkeit,<br />
ihre Produkte einem Fachpublikum aus<br />
der ganzen Welt vorzustellen.<br />
Welche Rolle spielt Mexiko als Teil der Lieferkette für<br />
die deutsche Wirtschaft?<br />
Hauser: Motoren, Elektronik und Chemieprodukte<br />
gehören zu den Komponenten, die in nennenswerter<br />
Zahl von Mexiko nach Deutschland<br />
exportiert werden. Aber generell ist Mexikos<br />
Bedeutung für die Lieferketten in Deutschland<br />
eher gering. Hier in Mexiko dagegen werden die<br />
Logistik- und Zulieferketten immer komplexer,<br />
damit ein möglichst großer Teil der Komponenten<br />
lokal gefertigt wird und die Herkunftsregeln<br />
16 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Standortrisiken<br />
Foto: AHK Mexiko<br />
für die verschiedenen Freihandelsabkommen<br />
erfüllt werden. Allein seit 2000 stieg die Zahl<br />
der deutschen Unternehmen in Mexiko um 800<br />
auf heute 1900. Das unterstreicht die große Bedeutung<br />
des Standorts.<br />
Man denkt bei Wirtschaft und Mexiko immer sofort<br />
an Volkswagen und die Automobilindustrie. Über<br />
welche anderen Branchen reden wir?<br />
Hauser: Die Automobilindustrie ist in der Tat der<br />
Motor der deutschen Präsenz. Volkswagen, Audi<br />
und demnächst Mercedes und BMW fertigen im<br />
Land. Zulieferbetriebe wie Bosch, Continental<br />
und ThyssenKrupp gehören zu den größten<br />
Arbeitgebern in Mexiko. Aber auch die Chemieund<br />
Pharmabranche ist vertreten, etwa durch<br />
BASF, Bayer, Boehringer Ingelheim und Altana<br />
Pharma, um nur einige Beispiele zu nennen.<br />
Siemens ist seit weit über 100 Jahren im Land,<br />
viele große deutsche Logistikanbieter sind in<br />
Mexiko aktiv.<br />
Standortrisiken sind nicht nur politischer Natur,<br />
sondern auch Sicherheitsfragen. Hier macht Mexiko<br />
mit den Gewalteskapaden, Morden und Entführungen<br />
durch die Drogenkartelle Schlagzeilen. Wie sehr<br />
schreckt das Investoren ab?<br />
Hauser: Wie überall in Lateinamerika ist die Kriminalität<br />
auch in Mexiko ein Thema. Mir ist aber<br />
kein deutsches Unternehmen bekannt, das wegen<br />
der Kriminalität Mexiko verlassen hat. Wir<br />
befragen in einer jährlichen Konjunkturumfrage<br />
unsere Mitgliedsunternehmen zu dem Thema.<br />
Es gibt von Jahr zu Jahr gewisse Schwankungen,<br />
aber ein sehr relevantes Thema ist es nur für einen<br />
geringen Teil der Mitglieder, bei der jüngsten<br />
Umfrage im Dezember 2016 waren es sechs<br />
Prozent.<br />
Wie wichtig sind CSR-Themen für mexikanische Firmen<br />
selbst? Machen die das aus eigenem Antrieb<br />
oder nur auf Druck der Lieferketten?<br />
Hauser: Die „Hire-and-Fire“-Mentalität entspricht<br />
auch in Mexiko nicht der deutschen Unternehmenskultur.<br />
Das macht die Firmen bei<br />
Arbeitnehmern traditionell beliebt. Soziale Programme<br />
etwa zur Prävention von Krankheiten,<br />
Fortbildungsangebote und die Einbeziehung<br />
der Familienangehörigen von Mitarbeitern sind<br />
weitere Pluspunkte. Dafür braucht es keinen<br />
Druck, solche Initiativen ergreifen die Unternehmen<br />
aus eigenem Antrieb. Natürlich mit<br />
der Absicht, die Mitarbeiter an sich zu binden –<br />
denn was ist besser für eine Firma als erfahrene<br />
Arbeitskräfte?<br />
Vielen Dank für das Gespräch! f<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
17
Standortrisiken<br />
Auf einen Blick:<br />
Wichtigste Unternehmensrisiken<br />
Großbritannien<br />
1 Betriebsunterbrechung<br />
J Reputationsrisiken<br />
J Cyberrisiken<br />
Frankreich<br />
USA<br />
1 Betriebsunterbrechung<br />
J Cyberrisiken<br />
J Fachkräftemangel<br />
1 Betriebsunterbrechung<br />
J Qualitätsmängel, Serienfehler<br />
J Feuer, Explosion<br />
Brasilien<br />
1 Betriebsunterbrechung<br />
J Politische/soziale Unruhen, Krieg<br />
J Cyberrisiken<br />
Amerika<br />
1 Betriebs- und Lieferkettenunterbrechung<br />
J Cyberrisiken<br />
J Fachkräftemangel<br />
Europa, Mittlerer Osten und Afrika<br />
1 Betriebs- und Lieferkettenunterbrechung<br />
J Cyberrisiken<br />
J Politische/soziale Unruhen, Krieg<br />
18 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Standortrisiken<br />
in aller Welt<br />
Russland<br />
1 Feuer, Explosion<br />
J Marktstagnation oder -rückgang<br />
J Politische/soziale Unruhen, Krieg<br />
Deutschland<br />
1 Betriebsunterbrechung<br />
J Cyberrisiken<br />
J Politische/soziale Unruhen, Krieg<br />
China<br />
1 Feuer, Explosion<br />
J Naturkatastrophen<br />
J Marktstagnation oder -rückgang<br />
Australien<br />
1 Betriebsunterbrechung<br />
J Reputationsverlust<br />
J Verschärfter Wettbewerb<br />
Asien-Pazifik<br />
1 Betriebs- und Lieferkettenunterbrechung<br />
J Reputationsrisiken<br />
J Verschärfter Wettbewerb<br />
Quelle: Allianz Global Corporate & Specialty<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
19
Standortrisiken<br />
Ein Steuerungsinstrument in<br />
unruhigen<br />
Foto: MAZARS<br />
Zeiten?<br />
Die einen igeln sich auf ihrer Insel ein, der andere will Mauern bauen, der Dritte droht<br />
mit Grenzöffnung – die Welt ist unsicherer geworden. Das bekommen auch Unternehmen<br />
zu spüren. Kann hier Nachhaltigkeit ein Mittel sein, besser mit <strong>Risiken</strong> umzugehen<br />
zu lernen? Wir sprachen darüber mit Kai Michael Beckmann, der bei Roever<br />
Broenner Susat Mazars den CSR-Bereich leitet.<br />
Eines der wichtigsten Themen für Unternehmen<br />
heutzutage lautet Risikomanagement. Das zeigt sich<br />
an aktuellen Beispielen wie dem Brexit, der Wahl von<br />
Trump und den Ereignissen um Erdogan. Wie kann<br />
man sich als Firma auf solche Entwicklungen einstellen?<br />
Kai Michael Beckmann: Unternehmen können<br />
sich heute nicht mehr – und in Zukunft noch viel<br />
weniger – auf vieles verlassen, wie zum Beispiel<br />
den Bestand bestehender globaler Lieferketten.<br />
Nehmen wir ein Land wie die Türkei: Lange Zeit<br />
ein sicherer Hafen bietet es heute eine ungewisse<br />
Perspektive. Als Unternehmen hat man sich<br />
also ein globales Beschaffungs- und Vertriebssystem<br />
aufgebaut, das immer gut lief, plötzlich<br />
aber durch soziale, politische, klimatische<br />
Aspekte oder ähnliche Einflüsse – alle aus dem<br />
Umfeld Nachhaltigkeit – torpediert wird oder<br />
zum Teil kurzfristig auszufallen droht. Viele Unternehmen<br />
müssen feststellen, dass sie diesen<br />
Entwicklungen relativ ohnmächtig gegenüberstehen,<br />
bestand klassische Risikobewertung<br />
in der Vergangenheit häufig darin, allgemeine<br />
Reputations- oder Klimarisiken oder sonstige<br />
<strong>Risiken</strong> aufzulisten und pauschal zu bewerten.<br />
Eine dezidierte Risikobewertung, was diese Themen<br />
für die Lieferketten oder Vertriebssysteme<br />
bedeuten, hat in der Vergangenheit relativ wenig<br />
stattgefunden. Das war in vielen Risikomanagementansätzen<br />
einfach nicht vorgesehen.<br />
Nun wird das aber akut: Lieferkettentransparenz,<br />
Kooperationsfähigkeit.<br />
Wo hilft hier Nachhaltigkeit?<br />
Beckmann: Planbarkeit und Steuerung sind die<br />
Stichworte, das sind die erforderlichen Kernkompetenzen.<br />
In der Folge heißt das, dass das<br />
Steuerungsinstrumentarium erweitert werden<br />
muss. Nehmen wir als Beispiel die zunehmende<br />
Bedeutung des „Soft-Law“. Regulation wird<br />
global immer stärker durch Selbstverpflichtungen<br />
und Standards erweitert. Nur wenige Unternehmen<br />
erfassen und bewerten diese systematisch,<br />
etwa aus dem Compliance-Management<br />
heraus. Dabei werden dadurch wichtige Rahmenbedingungen<br />
definiert.<br />
Steuerungsfähigkeit ist ein gutes Stichwort: Da denkt<br />
man gleich an Stellschrauben, die gedreht werden.<br />
Viele ingenieurgeprägte mittelständische deutsche<br />
Unternehmen können wahrscheinlich mit so einem<br />
Bild sehr gut etwas anfangen. Aber: Gehen wir die<br />
Themen nicht zu mechanisch an? Gerade Nachhaltigkeit<br />
funktioniert meist nicht auf Knopfdruck ...<br />
Beckmann: Tatsächlich sind viele Unternehmen<br />
die Probleme recht formal angegangen und haben<br />
den eigenen Verantwortungsbereich sehr<br />
eng abgesteckt. Das CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz,<br />
das die Auswirkung der unterneh-<br />
20 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Standortrisiken<br />
merischen Tätigkeit auf die Lieferkette in den<br />
Blickpunkt stellt, setzt hier neue Akzente. Doch<br />
die Grenzen der eigenen Einflussmöglichkeiten<br />
werden den Unternehmern schnell bewusst.<br />
Wenn ich etwa die Verantwortung für Lieferkettenvorstufen<br />
habe, die ich nicht einmal direkt<br />
beeinflussen kann, bedeutet das, dass ich vielleicht<br />
eine andere Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit<br />
sowie neue Partnerschaften<br />
brauche. Dazu ist allerdings – gerade international<br />
– neben Kompetenz insbesondere der Aufbau<br />
von Vertrauen und Glaubwürdigkeit erforderlich.<br />
Kai Michael<br />
Beckmann<br />
ist Director<br />
Governance,<br />
Risk und<br />
Compliance<br />
(GRC) bei<br />
Roever<br />
Broenner<br />
Susat<br />
Mazars<br />
Foto: Marion Lenzen<br />
Wie sieht so ein Kooperationsmodell praktisch aus?<br />
Beckmann: Das Thema Lieferkette wird die große<br />
Herausforderung der nächsten Jahre, wenn<br />
nicht Jahrzehnte, sein. Viele Unternehmen haben<br />
nicht die Möglichkeit, hier Transparenz<br />
herzustellen. Rechtlich gibt es sowieso zumeist<br />
nur den Durchgriff beim direkten Vertragspartner.<br />
Letztendlich werden wir zu Kooperationsmodellen<br />
kommen, wie wir sie in bestimmten<br />
Branchen bereits haben. Nehmen wir Industrieinitiativen,<br />
wie die „Together for Sustainability<br />
Initiative“ in der Chemiebranche, die bestimmte<br />
Standards für eine große Lieferantengruppe<br />
entwickelt und kontrolliert. Hier gibt es noch<br />
viel Arbeit für die Unternehmen, für die Politik,<br />
Verbände und auch für die internationalen<br />
Netzwerke, denn der Anspruch und die bestehenden<br />
Möglichkeiten der Unternehmen liegen<br />
noch weit auseinander. Das ist hoch komplex,<br />
dabei stehen wir erst am Anfang.<br />
Wenn einmal in Gang gekommen – was wird sich<br />
Ihrer Einschätzung nach durchsetzen können?<br />
Beckmann: Für viele Unternehmen wird das<br />
Stakeholdermanagement zum Schlüssel für<br />
erfolgreiche Kooperationsmodelle werden. Gefragt<br />
ist ein zielgerichtetes, internationales<br />
Stakeholdermanagement, um etwa an Informationen<br />
über Zustände in unübersichtlichen<br />
Regionen zu gelangen oder frühzeitig mit einem<br />
Partner typischen <strong>Risiken</strong> – etwa in der Produktion<br />
– entgegenzuwirken. So ist es leichter,<br />
eine realistischere Einschätzung darüber zu gewinnen,<br />
ob in einer entfernten Region akuter<br />
Handlungsbedarf besteht oder auch, ob in ausgewählten<br />
Lieferkettenabschnitten perspektivisch<br />
neue relevante Anforderungen entstehen.<br />
Diese international ausgerichtete Risikobewertung<br />
wird immer wichtiger, denn Lieferketten<br />
sind heute fast immer international.<br />
Nachhaltigkeit wird von der Politik heute im Zusammenhang<br />
mit den UN-Entwicklungszielen (SDGs)<br />
diskutiert. Diese fordern eine viel stärkere gesellschaftliche<br />
Ausrichtung ein. Wie drückt sich das im<br />
Unternehmen aus?<br />
Beckmann: Die SDGs entwickeln sich zunehmend<br />
zum übergeordneten Orientierungsrahmen<br />
mit vergleichbaren Ausprägungen für<br />
Branchen und Regionen. Wenn ein Unternehmen<br />
global aktiv ist – ob über globale Lieferketten<br />
oder die Internationalität des Unternehmens<br />
– reicht eine SDG-Analyse für die deutsche<br />
Zentrale nicht mehr aus. Bisher war die Frage<br />
in Unternehmen, welche Auswirkungen haben<br />
Klima oder soziale und ökologische Aspekte<br />
auf mein Unternehmen? Jetzt lautet die Frage:<br />
Welche Auswirkungen hat mein unternehmerisches<br />
Tun auf diese Themen? Diese Verantwortungsumkehr<br />
fragt direkt nach Lieferkettentransparenz.<br />
Die SDG-Analyse verbindet dann<br />
z.B. die aus Afrika stammenden Rohstoffe mit<br />
konkreten Herausforderungen. Mit diesen wird<br />
sich das Unternehmen auseinandersetzen müssen,<br />
zunächst unabhängig seiner Einflussmöglichkeiten.<br />
Auf jeden Fall ist diese Transparenz<br />
zunächst einmal Grundlage für unternehmerische<br />
Entscheidungen. Denn erst jetzt kann eine<br />
angemessene Risiko-und Chancenanalyse erfolgen<br />
und das Unternehmen sukzessive seine<br />
Steuerungsfähigkeit erweitern.<br />
Vielen Dank für das Gespräch! f<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
21
Rechtliche <strong>Risiken</strong><br />
Perspektivwechsel:<br />
Klassisches Compliance-<br />
Verständnis als Risiko<br />
Eine Fokussierung auf ‚Brand awareness‘, also die Bekanntheit einer Marke und das<br />
Bewusstsein über ihren Wert, bedeutet heutzutage mehr als nur ein Interesse daran<br />
zu haben, wie eine Marke wahrgenommen wird. Für Konsumenten, Mitarbeiter,<br />
Stakeholder und Unternehmen umfasst dieses Bewusstsein immer mehr auch die<br />
ethisch-ökologische Gesinnung, die eine Marke verkörpert.<br />
Von Harald Nikutta und Matthew Kinch<br />
Neue Herausforderungen für Unternehmen<br />
Unternehmen haben dieses neue Bewusstsein<br />
und die damit steigende Messlatte zu den Anforderungen<br />
an ihr Tun wahrgenommen. Sie<br />
verstehen, dass das ‚Wie‘ ihrer Tätigkeiten genauso<br />
wichtig geworden ist wie das ‚Was‘. Es<br />
sind Antworten zu anderen Fragen gefordert:<br />
c „Wie transparent und regelkonform agieren<br />
unsere Geschäftspartner?“<br />
c „Wie fair behandeln wir unsere Mitarbeiter?<br />
c „Wie nachhaltig sind die Quellen unserer<br />
Rohstoffe, und zwar sowohl in Bezug auf die<br />
Verlässlichkeit als auch mit Blick auf ökologische<br />
Anforderungen?“<br />
Dieses Nachhaltigkeitsbewusstsein wächst global<br />
je nach aktueller Situation mit unterschiedlicher<br />
Geschwindigkeit und unterschiedlichem<br />
Fokus.<br />
Auf weltweit agierende Unternehmen hat dies<br />
einen signifikanten Einfluss – insbesondere<br />
auf die Bedeutung und die Aktivitäten rund um<br />
Compliance. Ausgehend vom reinen Schutz des<br />
Unternehmens gegen den (un)absichtlichen<br />
Verstoß gegen Gesetze und Vorschriften erweitert<br />
sich ihr Mandat hin zur aktiven Unterstützung<br />
des Erreichens von Geschäftszielen.<br />
Die meisten Unternehmen haben inzwischen<br />
verstanden, dass Transparenz bei den Themen<br />
Verantwortung und Compliance Wettbewerbsvorteile<br />
schafft und im Extremfall sogar ihre<br />
Existenz sichern kann. Entsprechend rücken<br />
einige Themen nach und nach in den Fokus –<br />
selbst bei den nur bedingt regulierten, international<br />
agierenden Mittelständlern.<br />
Eines dieser Themen lautet Business Partner<br />
Screening – ein weit über die Lieferkette hinausgehendes<br />
Thema. Spätestens bei dem Versuch,<br />
einen systematischen Ansatz für den<br />
Umgang mit Geschäftspartnern zu entwickeln,<br />
werden den meisten Unternehmen Ausmaß und<br />
strukturelle Komplexität ihrer wirtschaftlichen<br />
Verflechtung bewusst. Dies hat zwei erkennbare<br />
Konsequenzen:<br />
Zum ersten die Beurteilung der potenziellen<br />
<strong>Risiken</strong>, die von Geschäftspartnern ausgehen<br />
können, sowie den entsprechenden Umgang mit<br />
ihnen: Je nach Einschätzung des Risikos können<br />
Geschäftspartner in unterschiedlicher Tiefe<br />
überprüft werden, und zwar über das „Onboarding“<br />
hinaus. Dies erlaubt es, Zeit und finanzielle<br />
Ressourcen auf diejenigen Geschäftspartner<br />
zu konzentrieren, die das höchste Compliance-<br />
Risiko darstellen. Abgesehen von Konstellationen,<br />
in denen Unabhängigkeit gefordert ist,<br />
sind es genau diese Fälle, die den Einbezug spezialisierter<br />
Berater notwendig machen können.<br />
22 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Rechtliche <strong>Risiken</strong><br />
Foto: iStockphoto.com<br />
Zum zweiten ein Überdenken der historisch<br />
gewachsenen Struktur eigener wirtschaftlicher<br />
Verflechtungen: So kann eine klare Fokussierung<br />
auf Verfügbarkeit und Qualität,<br />
oder auch auf Verlässlichkeit und Wirksamkeit<br />
zu einer deutlichen Reduzierung der Anzahl an<br />
Geschäftspartnern führen. Dies wirkt sich auf<br />
die Intensität aus, mit der mögliche <strong>Risiken</strong><br />
analysiert und schließlich mitigiert werden<br />
können.<br />
Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit können<br />
Hand in Hand gehen<br />
Ein Beispiel: Ein Unternehmen reduziert in<br />
wenigen Jahren die Anzahl seiner Zulieferer<br />
und anderer Geschäftspartner von ursprünglich<br />
3.000 auf einen Bruchteil. Durch die vereinfachte<br />
Struktur und die geringere Anzahl<br />
von Geschäftspartnern gestaltet sich die<br />
Durchführung von Third Party Due Diligences<br />
als wesentlich einfacher und ressourcenschonender.<br />
Third Party Due Diligences helfen Unternehmen<br />
dabei, herauszufinden, wie seriös<br />
ihre (potenziellen) Geschäftspartner sind.<br />
Aufgrund der besseren Transparenz beginnt<br />
das Unternehmen aktiv, seinen Anforderungskatalog<br />
an die Geschäftspartner zu gestalten<br />
und so sein Tun und seine Marke aktiv zu entwickeln.<br />
Aus einem rein risikoorientierten Ansatz<br />
hat sich ein markenbildender und schließlich<br />
wertschöpfender Vorgang entwickelt.<br />
Speziell unter Zulieferern entwickelt sich nach<br />
und nach ein Bewusstsein für die Notwendigkeit,<br />
bestimmte Compliance-Strukturen<br />
einzuführen. Insbesondere gehört hierzu das<br />
Wissen, welche Compliance-Verpflichtungen<br />
bereits wirksam und verbindlich eingegangen<br />
worden sind, zum Beispiel in Rahmenverträgen<br />
mit Kunden.<br />
Dieser Trend ist vor allen Dingen durch Schadensfälle<br />
motiviert. Unternehmen lernen aus<br />
eigenen Erfahrungen und den Erfahrungen<br />
Dritter. Sie haben generell ein hohes Interesse<br />
daran, erkannte Schadenspotenziale durch<br />
Prävention abzuwenden. Denn je näher der<br />
Einschlag kommt, desto intensiver ist die eigene<br />
Betroffenheit und die dadurch ausgelöste<br />
Bereitschaft zu agieren. Ein besonders<br />
wirksames Beispiel ist der Verlust von Kunden<br />
durch einen Mangel an Compliance-Strukturen,<br />
oder noch unmittelbarer der Verlust von<br />
Geld, beispielsweise durch sogenannte ‚Fake<br />
CEO‘-Angriffe, die gerade in den letzten Jahren<br />
vermehrt auftraten. Beim „Fake CEO“-Trick<br />
geben sich Betrüger als Mitglied der Chefetage<br />
aus und weisen Mitarbeiter zum Beispiel an,<br />
große Summen auf bestimmte Konten zu überweisen.<br />
Aufgrund unserer forensischen Praxis<br />
konnten wir Unternehmen auch in diesen Fällen<br />
erfolgreich unterstützen und Maßnahmen<br />
einleiten, um Angriffe dieser Art zukünftig zu<br />
vermeiden.<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
23
Rechtliche <strong>Risiken</strong><br />
Dieser Mangel an Strukturen stellt mittelgroße<br />
Unternehmen natürlich vor eine enorme Herausforderung,<br />
denn es fällt ihnen schwer, mit<br />
ihren beschränkten Mitteln eine angemessene<br />
und wirksame Compliance-Struktur aufzubauen<br />
und langfristig zu betreiben – vor allen<br />
Dingen bei internationalisierten Aktivitäten.<br />
Diese Unternehmen übersehen allerdings häufig,<br />
dass das ‚klassische‘ Modell, basierend auf<br />
Richtlinien und Regeln, in vielen Fällen deutlich<br />
überzogen ist. Nach unserer Erfahrung besteht<br />
der Schlüssel zu einem effektiven Compliance-<br />
System weniger im Umfang detaillierter Richtlinien<br />
und Prozesse, sondern vielmehr darin,<br />
wie verständliche Regelungen wirksam und<br />
nachhaltig umgesetzt werden. Statt der „klassischen“,<br />
rechtlichen Sicht vertreten wir daher<br />
eine funktionale Herangehensweise, da wir bei<br />
der Analyse von Compliance-Vorfällen immer<br />
wieder feststellen, dass Unternehmen gewaltige<br />
Mengen an Geld, Zeit und Ressourcen in<br />
den Aufbau von Prozessen, Richtlinien und umfassenden<br />
Risiko-Registern investieren, dabei<br />
aber den Blick auf ihre interne Arbeitskultur<br />
vernachlässigen. Doch es ist gerade der unzureichend<br />
berücksichtigte ‚Faktor Mensch‘, der<br />
dann zur Aushebelung dieser Compliance-Systeme<br />
führt.<br />
Diese etwas ernüchternde Erkenntnis lässt sich<br />
aber auch positiv betrachten: Eine wachsende<br />
Zahl von Unternehmen hat verstanden, dass<br />
das sichtbare ethische Verhalten ihrer Mitarbeiter<br />
– insbesondere ihrer Führungskräfte und<br />
Mittel-Manager – zu einer stark verankerten<br />
‚Compliance-Kultur‘ führen kann, die das Unternehmen<br />
organisch durchdringt und prägt.<br />
Das hat zur Folge, dass Betrug, Bestechung oder<br />
korruptes Verhalten in einem geringeren Maß<br />
in Erscheinung treten oder schneller aufgedeckt<br />
werden. In der Konsequenz bedeutet dies, dass<br />
Firmen, die ihre Mitarbeiter und Führungskräfte<br />
kontinuierlich schulen und ausbilden, weniger<br />
Vorschriften und geregelte Prozesse benötigen,<br />
um den gewünschten Compliance-Schutz<br />
zu erlangen.<br />
Der Compliance-Ansatz muss zum Unternehmen<br />
und zur gelebten Kultur passen<br />
Ein Beispiel: Betrachten wir ein in Deutschland<br />
tätiges internationales Unternehmen aus dem<br />
Bereich der Gewerbeimmobilien. Sein Compliance-System<br />
ist durch eine geringe Anzahl von<br />
verständlich geschriebenen Richtlinien und<br />
ausführliche Schulungen für Mitarbeiter geprägt.<br />
Der Schwerpunkt wird auf das Erkennen<br />
und Melden von potenziellen oder tatsächlichen<br />
Compliance-Verstößen gelegt. In regelmäßig<br />
stattfindenden Schulungen werden realitätsnahe<br />
Fallbeispiele besprochen, um die wesentlichen<br />
Compliance-Bereiche vorzustellen und zu<br />
diskutieren. Oft sind die Diskussionen in diesen<br />
von uns durchgeführten Workshops lebhaft und<br />
sogar hitzig, aber gerade dies ist ihr Wert: Mitarbeitern<br />
bleiben konkrete Beispiele länger im<br />
Gedächtnis als Richtlinien. Zudem wissen sie<br />
genau, wo und von wem sie sich Rat und Unterstützung<br />
einholen können.<br />
Ähnliche Beispiele findet man in Deutschland<br />
etliche. Dennoch ist dieser Ansatz für Unternehmen<br />
deutscher Prägung und Herkunft noch<br />
immer vergleichsweise neu – um nicht zu sagen<br />
‚fremd‘. Woran liegt das? Möglicherweise kann<br />
man die Ursache darin sehen, dass Unternehmen<br />
deutscher Prägung besonders auf klar definierte<br />
Prozesse und Regeln achten – und weniger<br />
auf menschliche Dynamik.<br />
Ein Mitdenken in Verbindung mit der Möglichkeit,<br />
Bedenken ohne Konsequenzen äußern<br />
zu können – zum Beispiel gegenüber internen<br />
Ansprechpartnern oder über anonyme Hinweisgebersysteme<br />
– beispielsweise Whistleblowing-Hotlines<br />
– ist ein wirksamer Weg, unethische,<br />
betrügerische und korrupte Handlungen<br />
in Unternehmen oder bei ihren Geschäftspartnern<br />
zu identifizieren – im Idealfall natürlich,<br />
bevor sie zu einer Krise führen. Unternehmen,<br />
die diesen Weg einschlagen, bauen erfahrungsgemäß<br />
nachhaltige Compliance-Systeme auf<br />
und können Geschäftspartnern, Konsumenten<br />
und der Gesellschaft allgemein so zeigen, dass<br />
sie ein vertrauenswürdiges Unternehmen sind.<br />
Welche Entwicklungen die Compliance in international<br />
agierenden Unternehmen prägen und<br />
welche Trends sich daraus ergeben, finden sich<br />
in unserem aktuellen Compliance Survey <strong>2017</strong>.<br />
Die zentralen Ergebnisse des Surveys sind:<br />
c Die Compliance-Funktionen großer Unternehmen<br />
sind chronisch unterbesetzt: Ein<br />
Viertel der großen Unternehmen investiert<br />
24 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Rechtliche <strong>Risiken</strong><br />
weniger als $25 pro Mitarbeiter jährlich für<br />
Compliance; die Compliance-Teams von 28 %<br />
der großen Unternehmen bestehen aus fünf<br />
oder weniger Personen.<br />
c Compliance ist erst sehr bedingt im Bewusstsein<br />
der oberen Führungsetage angekommen:<br />
Nur 27 % der für Compliance zuständigen<br />
Führungskräfte nehmen an allen Vorstandssitzungen<br />
teil.<br />
Whistleblowing, anstatt aktiv die Initiative zu<br />
ergreifen und gezielt Prüfungen zur Aufdeckung<br />
von Korruptions- und Fraud-Fällen zu<br />
initiieren.<br />
c Compliance-Maßgaben weltweit tätiger Unternehmen<br />
sind ausgesprochen heterogen. f<br />
c Compliance-Beauftragte nutzen sehr eingeschränkt<br />
technologische Möglichkeiten, um<br />
effektiver arbeiten zu können.<br />
c Compliance-Beauftragte sind noch immer<br />
eher reaktiv: Zwei Drittel verlassen sich auf<br />
Über die Autoren:<br />
Harald Nikutta ist Senior Partner und Matthew<br />
Kinch Associate Director und Compliance Experte bei<br />
Control Risks.<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
25
Rechtliche <strong>Risiken</strong><br />
Milliardenschäden durch<br />
Produkt- und Markenpiraterie<br />
Deutsche Unternehmen erleiden jährlich einen wirtschaftlichen Schaden in Höhe von<br />
56 Milliarden Euro durch Marken- und Produktpiraterie. Dabei sind sich die Käufer von<br />
Fälschungen über die negativen Folgen durchaus bewusst. Zu diesen Ergebnissen<br />
kommt die Studie „Intellectual Property Protection“ aus 2015 von EY.<br />
Von Sonja Scheferling<br />
400 gefälschte Smartphones, über 24.000 Liter<br />
nachgeahmter Tequila und über 22.000 Lego-Nachbildungen:<br />
Das sind nur drei Beispiele<br />
von Produktfälschungen, die der deutsche Zoll<br />
im vierten Quartal 2015 sichergestellt hat. „Die<br />
Marken- und Produktpiraterie ist ein Hemmschuh<br />
für fairen Wettbewerb und neue Arbeitsplätze.<br />
Dies gilt insbesondere für ein Land wie<br />
Deutschland, in dem hochwertige Produkte hergestellt<br />
werden“, heißt es dazu vom Zoll.<br />
Wie hoch der wirtschaftliche Schaden durch<br />
Produkt- oder Markenpiraterie ist, wird exemplarisch<br />
an Zahlen deutlich, die der Verband<br />
Deutscher Maschinen- und Anlagenbau 2014<br />
veröffentlicht hat: Demnach gehe der Branche,<br />
die neben der Automobilindustrie am meisten<br />
von Verletzungen geistiger Eigentumsrechte<br />
betroffen ist, ein Umsatz von knapp acht Milliarden<br />
Euro jährlich verloren; und damit 38.000<br />
Arbeitsplätze.<br />
Fälscher handeln schnell<br />
„Plagiate minderer Qualität können dem Wirtschaftsstandort<br />
Deutschland nachhaltig schaden.<br />
Weil sich Unternehmensgewinne aufgrund<br />
von Fälschungen reduzieren, werden<br />
Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen<br />
verringert oder aufgeschoben“, informiert EY<br />
in der Studie „Intellectual Property Protection“.<br />
Viele Unternehmen investierten nicht, weil sie<br />
kurzfristig Nachahmungen ihrer neuen Produkte<br />
erwarten. Von insgesamt 550 befragten<br />
Unternehmen gaben knapp 60 Prozent an, innerhalb<br />
des ersten Jahres nach Einführung eines<br />
neuen Produktes mit Plagiaten konfrontiert<br />
zu werden. Fast jedes zehnte Unternehmen ist<br />
bereits innerhalb des ersten Monats davon betroffen.<br />
Marken- und Produktpiraterie hat darüber hinaus<br />
negative Auswirkungen auf die Unternehmensreputation<br />
und das Image einzelner<br />
Produkte. Insbesondere bei häufig gefälschten<br />
Marken könne EY zufolge die Kundennachfrage<br />
abnehmen, wenn ein Produkt dauerhaft mit<br />
Plagiaten assoziiert wird: „Da der Erfolg vieler<br />
deutscher Unternehmen auf der Qualität ihrer<br />
Produkte basiert, fürchten sie einen Markenwertverlust<br />
durch ähnliche, aber weniger<br />
hochwertige Plagiate“, heißt es in der Studie.<br />
Insgesamt messen die befragten Unternehmen<br />
so dem Imageschaden eine größere Bedeutung<br />
bei als dem direkten finanziellen Schaden durch<br />
Umsatzeinbuße.<br />
Wo kommen die Plagiate her?<br />
Produkte werden dann gefälscht, wenn ein Absatzmarkt<br />
vorhanden ist und die Plagiate günstiger<br />
als das Original hergestellt und angeboten<br />
werden können. Dabei übersteigen die Gewinnmargen<br />
der Fälscher teilweise die der Originalhersteller,<br />
obwohl die Preise der Plagiate<br />
deutlich unter denen der Originale liegen. Der<br />
größere Gewinn entsteht, weil die Fälscher keine<br />
Kosten durch die Produktentwicklung oder Werbung<br />
haben. Darüber hinaus haben sie niedrigere<br />
Lohnnebenkosten, sparen an Material oder<br />
verwenden minderwertige Komponenten.<br />
Als Hauptproduktionsstandorte von Fälschungen<br />
sehen die Unternehmen in erster Linie Chi-<br />
26 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Rechtliche <strong>Risiken</strong><br />
Foto: Marion Lenzen<br />
na (72 Prozent), Südostasien (39 Prozent) und<br />
Osteuropa (36 Prozent) an: „In diesen Ländern<br />
gelten in der Regel weniger strikte arbeits- und<br />
umweltrechtliche Auflagen. Auch die behördliche<br />
Verfolgung von Fälschern ist in solchen<br />
Ländern und Regionen oft unzureichend.“ Dadurch<br />
könnten die Fälschungen unter anderen<br />
Bedingungen produziert werden als beispielsweise<br />
in Westeuropa oder den USA.<br />
Verbraucher wissen, was sie tun<br />
32 Prozent der 1.000 Verbraucher, die in der Studie<br />
befragt wurden, haben in der Vergangenheit<br />
ein Plagiat gekauft – mehrheitlich in vollem Bewusstsein.<br />
Dabei haben sie die Käufe vor allem<br />
auf sogenannten fliegenden Märkten getätigt.<br />
Über den Einzelhandel wurden 35 Prozent der<br />
Fälschungen bezogen. Das Internet spielt beim<br />
Kauf von Plagiaten nur eine untergeordnete<br />
Rolle: Lediglich elf Prozent der Käufer, die in<br />
den letzten zwei Jahren bewusst eine Fälschung<br />
erworben haben, taten dies online.<br />
Verbraucher sind in der Regel über die negativen<br />
Auswirkungen von Produkt- und Markenpiraterie<br />
für die betroffenen Unternehmen aufgeklärt,<br />
unabhängig davon, ob sie selbst Plagiate gekauft<br />
haben oder nicht. So schätzen 86 Prozent der<br />
Befragten eine potenzielle Gefährdung von Arbeitsplätzen<br />
sowie Umsatzeinbußen durch Fälschungen<br />
als mittelgroß bis groß ein. Auswirkungen<br />
auf die eigene Sicherheit und Gesundheit<br />
schrecken aber die meisten Verbraucher vom<br />
Kauf der Fälschungen ab. Dementsprechend ist<br />
die gezielte Aufklärung der Konsumenten über<br />
Unfall- und Gesundheitsrisiken ein wirksames<br />
Mittel, um sie von möglichen Plagiats-Käufen<br />
abzuhalten.<br />
Schutzmaßnahmen<br />
„Unternehmen steht heute eine breite Palette<br />
an Instrumenten und Möglichkeiten zur Verfügung,<br />
um gegen Fälscher ihrer Marken und Produkte<br />
vorzugehen“, erklärt Götz. Dazu gehören<br />
etwa rechtliche Maßnahmen wie Eintragung von<br />
Schutzrechten, die Rechtsdurchsetzung bei Verstößen<br />
sowie interne Maßnahmen wie IP-Richtlinien<br />
für Mitarbeiter. Allerdings würden Unternehmen<br />
insgesamt zu wenig finanzielle<br />
Mittel aufwenden, um ihr geistiges Eigentum zu<br />
schützen. Darüber hinaus zeigt die Studie von<br />
EY, dass die Unternehmen ihre Mitarbeiter nur<br />
unzureichend für den IP-Schutz sensibilisieren.<br />
„Ein wirksamer Schutz geistigen Eigentums kann<br />
nur durch ein Zusammenspiel von Maßnahmen<br />
und eine abgestimmte Zusammenarbeit mit externen<br />
Interessensgruppen wie Verbänden, Verbraucherschutz,<br />
Behörden und Politik funktionieren“,<br />
erklärt Götz. „Erst wenn ein stärkeres<br />
Bewusstsein in Unternehmen und Gesellschaft<br />
für die zunehmenden <strong>Risiken</strong> und Schäden von<br />
Produkt- und Markenpiraterie geschaffen ist,<br />
kann effektiver IP-Schutz funktionieren.“ f<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
27
Rohstoffrisiken<br />
<strong>Globale</strong><br />
Rohstoffumbrüche<br />
erfordern<br />
Umdenken<br />
Rohstoffverarbeitende Unternehmen finden in internationalen Märkten nicht nur Chancen,<br />
sondern sehen sich auch mit einer Vielzahl von Herausforderungen und teilweise<br />
sehr kurzfristigen Handlungszwängen konfrontiert. Dazu gehören etwa Veränderungen<br />
auf den Kapitalmärkten, der verschärften Konkurrenz aus dem In- und Ausland oder<br />
sich ändernde politische und rechtliche Rahmenbedingungen wie etwa im Bereich des<br />
Umweltrechtes oder gesetzlich geforderter Produktdeklarationen. Neben all diesen Dynamiken<br />
im Unternehmensumfeld kommt in den vergangenen Jahren ein mittlerweile<br />
hochaktuelles Thema hinzu: Die Beschaffung von Metallen und Mineralien.<br />
Foto: Tomas Sereda / iStockphoto.com<br />
28 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Rohstoffrisiken<br />
Von Dr. Simon Meißner<br />
Um den wachsenden Anforderungen angesichts<br />
eines zunehmenden Komplexitätsgrades und<br />
der hohen Dynamik innerhalb des Unternehmensumfeldes<br />
gerecht zu werden, kommt der<br />
Transparenz und der Kommunikation entlang<br />
der Lieferkette eine immer größere Bedeutung<br />
zu – nicht zuletzt, um trotz kurzer Reaktionszeiten<br />
sichere unternehmerische Entscheidungen<br />
treffen zu können.<br />
Insbesondere auf den Rohstoffmärkten hat<br />
sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren eine<br />
Trendwende ergeben, die eine erhöhte Aufmerksamkeit<br />
seitens der Wirtschaft und der Politik<br />
mit Blick auf drohende Versorgungsrisiken<br />
erfordert. Maßgeblich verantwortlich hierfür ist<br />
die langanhaltende Wirtschaftsdynamik Asiens<br />
sowie vieler Schwellenländer, die gravierende<br />
Auswirkungen auf das Angebot und die Nachfrage<br />
nach Rohstoffen und Energie zur Folge<br />
haben. Hiervon betroffen sind vor allem strategisch-metallische<br />
Rohstoffe wie Stahl, Kupfer,<br />
Zink und Edelmetalle oder Spezialrohstoffe wie<br />
Indium, Gallium oder Seltene Erden, also meist<br />
hightech-relevante Rohstoffe mit einem breiten<br />
Anwendungsportfolio und einem weltweit<br />
überdurchschnittlich hohen Wachstumspotenzial.<br />
Die Folgen sind teilweise unvorhersehbare<br />
Preisentwicklungen, die zusätzlich durch intensive<br />
Spekulationstätigkeiten auf den Finanzmärkten<br />
angetrieben werden.<br />
Begleitet wurde dieser Umstand von einem<br />
Trend zur Monopolisierung der Rohstoffmärkte<br />
mit wenigen Akteuren auf Angebotsseite und<br />
damit steigenden Abhängigkeiten und Konkurrenzdruck<br />
auf Nachfrageseite. Zu diesen marktund<br />
betriebswirtschaftlichen Unsicherheiten<br />
häuften sich in den letzten Jahren Schlagzeilen<br />
in Bezug auf massive ökologische und soziale<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
29
Rohstoffrisiken<br />
Missstände bei der Bereitstellung und der Veredelung<br />
dieser Rohstoffe, die hierzulande in vielen<br />
Produkten zum Einsatz kommen und teilweise<br />
in „grüne“ Umwelttechnologien „Made in<br />
Germany“ münden – mit erheblichem Reputationsrisiko<br />
für die betroffenen Unternehmen<br />
bzw. Branchen. In der Summe ergeben sich somit<br />
zahlreiche Entwicklungen mit erheblicher<br />
Brisanz für viele hiesige Unternehmen.<br />
Empfehlungen bei Rohstoffrisiken<br />
Mittlerweile gibt es zahlreiche Studien und<br />
auch Handlungsempfehlungen über strategisch<br />
wichtige Rohstoffe, und welche Konsequenzen<br />
sich im Falle einer Versorgungsknappheit für die<br />
deutsche Wirtschaft oder einzelner Branchen<br />
ergeben könnten. Hierbei spielen aus der Perspektive<br />
der Unternehmen eine bessere Kenntnis<br />
über die für das Endprodukt relevanten Hilfs-,<br />
Betriebs- und Rohstoffe sowie die Strukturen<br />
der vorgelagerten Lieferketten eine wichtige<br />
Rolle, um drohende „Bottle necks“ entlang<br />
der Transport- und Prozessketten rechtzeitig<br />
identifizieren und bei Bedarf gegensteuern zu<br />
können.<br />
Eine Umsetzung dieser Handlungsempfehlungen<br />
auf unternehmerischer Ebene erfolgte bisher<br />
jedoch nur zögerlich – trotz des gestiegenen<br />
Bewusstseins, dass mögliche <strong>Risiken</strong> durch eine<br />
zunehmende Rohstoffabhängigkeit ein aktives<br />
Handeln erfordern. Häufig genannte Gründe<br />
hierfür sind die erheblichen Investitions-,<br />
Zeit- und Personalkosten zur Bereitstellung,<br />
Sammlung und regelmäßigen Aktualisierung<br />
der produktspezifischen Daten, dessen Aufwand-Nutzen-Verhältnis<br />
für die Unternehmen<br />
angesichts der oftmals überaus hohen Komplexität<br />
und Dynamik der betroffenen Lieferketten<br />
schwer einzuschätzen sind. Aber auch die<br />
Sorge vor möglichen Datenschutzrisiken oder<br />
patentrechtlichen Hürden sowie die fehlende<br />
Kenntnis über die genaue stoffliche Zusammensetzung<br />
der eigenen Produkte als Resultat<br />
des zunehmend hohen Anteils an verwendeten<br />
Zukaufhalbwaren, oder schlicht die immer noch<br />
vorhandene Unwissenheit über die Brisanz des<br />
Themas spielen hierbei eine große Rolle. Insbesondere<br />
die stetige Auslagerung von Fertigungsprozessen,<br />
die Reduktion der Lagervorhaltung<br />
und vermehrte Just-in-Time-Lieferungen erhöhten<br />
die Abhängigkeiten rohstoffverarbeitender<br />
Betriebe und somit deren Anfälligkeiten<br />
für Rohstoffrisiken.<br />
Abteilungsübergreifend agieren<br />
Bei einer ausschließlich betriebswirtschaftlichen<br />
Sichtweise werden rohstoffspezifische<br />
Fragestellungen zumeist über den zentralen<br />
Einkauf berücksichtigt oder im Rahmen des<br />
klassischen Risikomanagements auf unternehmensstrategischer<br />
Ebene angesiedelt. Im Gegensatz<br />
dazu werden im Falle einer ganzheitlichen<br />
Unternehmensphilosophie mit bereits<br />
etabliertem Umwelt- oder Nachhaltigkeitsmanagement<br />
derartige Fragen abteilungsübergreifend<br />
behandelt, sofern die entsprechenden<br />
Personalkapazitäten zur Verfügung gestellt<br />
werden können. Dies hat u.a. den Vorteil, diejenigen<br />
Prozessbereiche des Betriebsstandortes,<br />
die in unterschiedlichem Maße Einfluss auf<br />
die Rohstoffnutzung und die damit relevanten<br />
Lieferketten besitzen, wie z.B. die Produktentwicklung<br />
und das Design, die Produktion und<br />
Fertigung, das Marketing, der Einkauf und der<br />
Vertrieb, zusammenhängend betrachtet und<br />
im Falle drohender Versorgungsrisiken optimal<br />
aufeinander abgestimmt gesteuert werden<br />
können.<br />
Klassische Maßnahmen des Ressourcenmanagements<br />
sind vor allem unternehmensintern<br />
im Bereich der Effizienzsteigerung in der<br />
Produktion angesiedelt, aber auch die Entwicklung<br />
von Substitutionsalternativen bis hin<br />
zur Anpassung von Lieferverträgen im Bereich<br />
der langfristigen Zusicherung von Rohstofflieferungen<br />
spielen eine wichtige Rolle. Ebenso<br />
gewinnt das Thema der Einhaltung von Umwelt-<br />
und Sozialstandards (z.B. durch eine Implementierung<br />
im Code of Conduct) mit einer<br />
schrittweisen Offenlegung der Lieferstrukturen<br />
eine zunehmende Bedeutung.<br />
Gerade im letzteren Falle bedarf es des Aufbaus<br />
eines geeigneten Informationsmanagementsystems<br />
zur Erfassung und Bewertung rohstoffspezifischer<br />
Daten, die sowohl innerbetriebliche als<br />
auch lieferkettenbezogene Strukturen betreffen.<br />
Dies betrifft im weiterführenden Sinne den<br />
Aufbau von unternehmensspezifischen Ressourcenkompetenzen,<br />
wie sie bislang aufgrund<br />
weitgehend stabiler Rohstoffmärkte in diesem<br />
Umfang und in dieser Intensität nicht relevant<br />
30 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Rohstoffrisiken<br />
waren. Standen hierbei anfänglich eher Fragen<br />
der Versorgungssicherheit im Vordergrund, so<br />
wurde diese vorwiegend betriebswirtschaftlich<br />
orientierte Sichtweise sukzessive um das Thema<br />
Konfliktmineralien und soziale Missstände<br />
bei der Rohstoffbeschaffung sowie des Umweltschutzes<br />
bei der Ressourcengewinnung erweitert,<br />
so dass heute vermehrt eine nachhaltige<br />
Rohstoffbeschaffung angestrebt wird.<br />
Hierbei ist jedoch anzumerken, dass im Rahmen<br />
dessen die umweltverantwortliche Dimension<br />
unternehmerischen Handelns bislang weit ausgeprägter<br />
und häufiger anzutreffen ist, als Themen<br />
der Sozialverträglichkeit. Davon zeugen<br />
vor allem die bereits im Einsatz befindlichen<br />
betrieblichen Umweltmanagementsysteme und<br />
zahlreichen Instrumente des produktbezogenen<br />
Life-Cycle-Assessments, deren Ergebnisse<br />
Einzug in eine entsprechende Berichterstattung<br />
finden. Die sozial-verantwortliche Dimension,<br />
insb. in der Ausgestaltung von Lieferketten, die<br />
zudem weit über die üblichen CSR-Aktivitäten<br />
eines Unternehmens hinausgeht, gewinnt jedoch<br />
in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung.<br />
Prinzips des „Name and Shame“, d.h. es bestehen<br />
für Unternehmen im Falle des Bekanntwerdens<br />
der Verwendung von Konfliktrohstoffen<br />
erhebliche Reputationsrisiken. Von der Regelung<br />
sind nicht nur US-amerikanische, börsennotierte<br />
Unternehmen betroffen, sondern auch<br />
diejenigen, die sich entlang der Lieferkette befinden<br />
– sei es als direkter Zulieferer oder als<br />
Zwischenlieferant.<br />
Da US-Präsident Donald Trump angekündigt<br />
hat, den Dodd-Frank Act seines Amtsvorgängers<br />
zu überarbeiten, steht der Konfliktmineralien-Artikel<br />
1502 erneut auf dem Prüfstand. Ein<br />
Entwurf eines aktuellen Präsidialdekrets sieht<br />
bereits eine Aussetzung des Artikels für zunächst<br />
zwei Jahre vor. In diesem Zeitraum sollen<br />
die Außen- und Finanzministerien der USA<br />
Zunehmende Bedeutung sozialer Standards<br />
Spätestens seit 2010 stellt das Thema Transparenz<br />
in Lieferketten, welches von Unternehmen<br />
bis dato meist im Rahmen des Qualitätsmanagements<br />
eigenverantwortlich angegangen wurde,<br />
viele Unternehmen vor große Herausforderungen.<br />
Denn im Rahmen der Neuregulierung der<br />
Finanzmärkte wurde im Juli 2010 in den USA der<br />
so genannte Dodd-Frank Act (Dodd-Frank Wall<br />
Street Reform and Consumer Protection Act)<br />
rechtsverbindlich eingeführt. Dieser schreibt<br />
die jährliche Auskunftspflicht für US-börsennotierte<br />
Unternehmen bezüglich der Verwendung<br />
der Rohstoffe Zinn, Tantal, Gold und Wolfram<br />
innerhalb ihrer Produkte vor. Stammen die Ressourcen<br />
dabei aus der Demokratischen Republik<br />
Kongo oder deren Nachbarländern, müssen<br />
die Unternehmen der US-Börsenaufsicht einen<br />
auditierten Bericht mit umfassenden Informationen<br />
zu Herkunft und Verwendung der Konfliktmineralien<br />
vorlegen.<br />
Der Artikel 1502 des Dodd-Frank Act untersagt<br />
zwar die Verwendung von Konfliktmineralien<br />
nicht ausdrücklich, bedient sich jedoch des<br />
Foto: Africanway / iStockphoto.com<br />
„dem Präsidenten einen Plan zum Umgang mit<br />
Menschenrechtsverletzungen und der Finanzierung<br />
bewaffneter Gruppen im Kongo oder in<br />
deren Nachbarländern vorschlagen“, so hieß es<br />
darin. Überlegt wird zudem, die Verantwortung<br />
stärker auf einzelne Unternehmen auszurichten,<br />
die in illegale Rohstoffaktivitäten verwi-<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
31
Rohstoffrisiken<br />
ckelt seien. Sollte der Artikel 1502 tatsächlich<br />
ausgesetzt oder gar rückgängig gemacht werden,<br />
so existiert zumindest auf Ebene der OECD<br />
ein ähnliches Instrumentarium, wenngleich mit<br />
geringer verbindlicher Natur und eher auf freiwilliger<br />
Basis für teilnehmende Unternehmen.<br />
Die ebenfalls in 2010 eingeführten OECD-Richtlinien<br />
zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht in der<br />
Lieferkette von Konfliktmineralien (OECD Due<br />
Diligence Guidelines for Responsible Supply<br />
Chains of Minerals from Conflict-Affected and<br />
High-Risk Areas), verfolgen gleichermaßen das<br />
Ziel, der Verletzung von Menschrechten entgegenzutreten<br />
und die Einhaltung sozialer und<br />
ethischer Grundsätze entlang der gesamten Liefer-<br />
und Verarbeitungskette von Rohstoffen zu<br />
gewährleisten.<br />
Berichtspflicht steigt<br />
Der Aufbau und die Verwaltung eines entsprechenden<br />
Informationsmanagementsystems erfordert<br />
bislang einen hohen personellen und<br />
zeitlichen Aufwand, könnte jedoch im Laufe<br />
einer voranschreitenden Industrie 4.0 und der<br />
damit zunehmend digitalen Vernetzung sowohl<br />
innerhalb eines Unternehmens (= vertikale Vernetzung)<br />
als auch zwischen den Unternehmen<br />
entlang der Lieferkette (= horizontale Vernetzung)<br />
langfristig eine – zumindest technische –<br />
Umsetzbarkeit erfahren, um produktionstechnische<br />
und rohstoffspezifische Informationen<br />
in kurzen Zeitabständen aktualisieren, auswerten<br />
und bereit stellen zu können.<br />
Die Forderung nach mehr Transparenz und<br />
Kommunikation im Rohstoffsektor ist angesichts<br />
aktueller europäischer Bestrebungen,<br />
ebenfalls nach dem Vorbild des Dodd-Frank Act<br />
als auch der OECD, eine entsprechende Regulierung<br />
einzuführen, von großer Bedeutung für<br />
die deutsche Wirtschaft. So befindet sich auf<br />
EU-Ebene derzeit die „EU Conflict Mineral Regulation“<br />
in der letzten Phase der Abstimmung<br />
und soll noch in diesem Jahr ratifiziert werden.<br />
Mit Inkrafttreten dieser Richtlinie für den Europäischen<br />
Wirtschaftsraum sollen nach Vorschlag<br />
der Kommission und des Europäischen<br />
Rates zunächst nur freiwillige Kontrollen eingeführt<br />
werden.<br />
Kleine Unternehmen und insbesondere das Geschäftsfeld<br />
von Sekundärrohstoffen sowie bestehende<br />
Rohstoffbestände innerhalb der EU<br />
bleiben zudem vorerst von dieser Verordnung<br />
grundsätzlich ausgeschlossen. Langfristig sollte<br />
jedoch nach Ansicht der EU-Kommission<br />
darauf hingewirkt werden, dass insbesondere<br />
für EU-Importeure von Rohstoffen wie Zinn,<br />
Wolfram, Tantal und Gold sowie ihrer Erze aus<br />
Konflikt- bzw. politisch gefährdeten Regionen<br />
zumindest die OECD-Richtlinien verbindlich<br />
werden. Die zuständigen Behörden der EU-Mitgliedstaaten<br />
würden in diesem Falle für die Einhaltung<br />
dieser Richtlinien sowie im Bedarfsfall<br />
für die Einleitung von Sanktionsverfahren bei<br />
deren Nichteinhaltung zuständig sein.<br />
Droht eine Überregulierung?<br />
Nun stellt sich angesichts des für die Wirtschaft<br />
damit verbundenen Aufwandes einer zunehmend<br />
verpflichtenden Offenlegung teils hochkomplexer<br />
und dynamischer Lieferketten die<br />
Frage nach dem Aufwand-Nutzen-Verhältnis.<br />
Gleichsam mehren sich die Stimmen, ob es sich<br />
hierbei letztlich nicht um eine Überregulierung<br />
eines zweifellos wichtigen ethischen Themas<br />
zur Förderung eines „Responsible Business“<br />
handelt. Und, welche Alternativen bestehen für<br />
betroffene Unternehmen? Gegenüber dem auf<br />
politisch höchster Ebene eingeführten Ansatz,<br />
Lieferketten vom Endproduzenten aus rückwirkend<br />
transparent zu gestalten („Top-Down-<br />
Ansatz“) stehen zunehmend Bemühungen der<br />
rohstoffextrahierenden Wirtschaft, um bereits<br />
am Ursprung der Lieferketten, d.h. im Bergbau<br />
und der Verhüttung, nachhaltige und transparente<br />
Standards einzuführen („Bottom-Up-Ansatz“).<br />
Exemplarisch hierfür steht die „Initiative for<br />
Responsible Mining Assurance (IRMA)“ zur Gewährleistung<br />
eines sozial- und umweltverträglichen<br />
Bergbaus. Diese Aktivitäten bieten angesichts<br />
der bisher noch sehr aufwendigen und<br />
international noch mangelnden Abstimmung<br />
der politischen top-down-Regulation den Vorteil,<br />
dass die nachfolgenden Produktions- und<br />
Lieferketten – unabhängig von der Einsteuerung<br />
und Verwendung der Rohstoffe in produktspezifische<br />
Anwendungspfade – per se frei<br />
von Konfliktmineralien wären.<br />
Dieses Vorgehen würde jedoch lediglich sicherstellen,<br />
dass ethische und ökologische Standards<br />
32 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Rohstoffrisiken<br />
bei der Rohstoffextraktion eingehalten würden.<br />
Um jedoch eine zunehmend versorgungssichere<br />
sowie umwelt- und sozialverträgliche Lieferkette<br />
im nachhaltigen Sinne zu erhalten, wäre<br />
eine Kombination beider Stoßrichtungen nach<br />
dem Motto „Best of two Worlds“ interessant.<br />
Nur so kann gewährleistet werden, dass politische<br />
und wirtschaftliche Akteure von beiden<br />
Richtungen der Rohstoffkette innerhalb eines<br />
Innovations- und Informationssystems zusammenarbeiten<br />
und die gesamte Lieferkette nachhaltig<br />
ausrichten.<br />
In diesem Sinne formieren sich mittlerweile<br />
eine Reihe von Akteuren in der Elektronikbranche,<br />
um diese Interessen zu bündeln, wie etwa<br />
die Electronic Industry Citizenship Coalition<br />
(EICC) und die Global e-Sustainability Initiative<br />
(GeSI), die gemeinsam die „Conflict-Free Sourcing<br />
Initiative (CFSI)“ ins Leben gerufen haben.<br />
An dieser Initiative nehmen z.B. Metallschmelzen<br />
und rohstoffverarbeitende Betriebe teil,<br />
die den hohen Anforderungen dieser Initiative<br />
genügen und „konfliktfreie“ Grundrohstoffe<br />
für produzierende Unternehmen und Händler<br />
weltweit bereitstellen können. Daneben bestehen<br />
zahlreiche „Soft Laws“, die ebenfalls eine<br />
Transparenz der Lieferketten auf freiwilliger<br />
Basis fördern, wenngleich mit anderen Zielsetzungen<br />
und Schwerpunkten.<br />
Exemplarisch hierfür stehen die „UN Guiding<br />
Principles for Business and Human Rights“,<br />
die „OECD Guidelines for Multinationals“ oder<br />
die „ILO Tripartite Declaration of Principles on<br />
Multinational Enterprises and Social Policy“,<br />
in der es insbesondere um die Prüfung der Arbeitsbedingungen<br />
in Lieferketten geht. Diese<br />
Initiativen gewinnen als anerkannte und etablierte<br />
Standards immer mehr an Bedeutung und<br />
zwingen viele Unternehmen bereits jetzt, sich<br />
intensiv mit ihren Lieferketten auseinanderzusetzen.<br />
Transparenz in der Lieferkette<br />
Die zunehmende Forderung von Kunden sowie<br />
der Politik nach umwelt- und sozialverträglich<br />
produzierten Gütern und Dienstleistungen bei<br />
gleichzeitigem Interesse nach Versorgungssicherheit<br />
mit hochqualitativen, kostengünstigen<br />
Rohstoffen zwingt zu einem Umdenken der bisherigen<br />
Wirtschaftsweise. Umwelt-, Nachhaltigkeits-<br />
und Ressourcenmanagement gehen<br />
Hand in Hand mit betriebswirtschaftlichen Entscheidungen.<br />
Die Transparenz entlang der Lieferketten<br />
und das Wissen um die material- und<br />
rohstoffspezifische Zusammensetzung der Produkte<br />
sowie deren Funktionsweisen sind mehr<br />
denn je von entscheidender Bedeutung für die<br />
Bereitstellung nachhaltiger Produkte.<br />
Insbesondere neuere Entwicklungen auf dem<br />
Gebiet der Digitalisierung eröffnen vielversprechende<br />
technische Möglichkeiten zur Vernetzung<br />
und Informationsverarbeitung, um die<br />
rohstoffspezifischen Informationen von einer<br />
Vielzahl von Zulieferern zeitnah und aktuell zu<br />
erhalten und in unternehmerische Entscheidungen<br />
einzubinden. Strategisch eingesetzte<br />
Informationsmanagementsysteme, „Produktpässe“<br />
oder „Smart Products“, die wichtigen<br />
Informationen zum jeweiligen Produkt sowie<br />
dessen Fertigungsprozess bereitstellen können,<br />
bieten neben Wettbewerbsvorteilen auch<br />
Grundlagen für umwelt- und sozialverträgliches<br />
Handeln, bei dem es nicht nur um die Reaktion<br />
im Schadensfall geht, sondern um proaktives<br />
und präventives strategisches Agieren.<br />
Dies gelingt jedoch langfristig nur, wenn die<br />
Rohstoffthematik und nachhaltige Prinzipien<br />
im gesamtunternehmerischen Denken und<br />
Handeln fest verankert sind – von der Produktentwicklung<br />
über die Produktion, den Einkauf,<br />
das Marketing bis hin zum Umwelt- und<br />
Nachhaltigkeitsmanagement. Neben dieser innerbetrieblichen<br />
Sichtweise ist aber auch ein<br />
ganzheitliches Verständnis einer transparenten<br />
Rohstoff- und Wertschöpfungskette unabdingbar.<br />
Hier gilt es in den Betrieben verstärkt Ressourcenkompetenzen<br />
aufzubauen, zu erweitern<br />
und an die Bedürfnisse des Unternehmensumfelds<br />
auszurichten, und zwar ungeachtet regulatorischer<br />
Vorgaben und Zwänge. Nur so entsteht<br />
ein Gespür dafür, welche Möglichkeiten<br />
zur aktiven Gestaltung und Umsetzung eines<br />
„Responsible Business“ bestehen. f<br />
Dr. Simon Meißner ist akademischer Rat am Lehrstuhl<br />
für Ressourcenstrategie der Universität Augsburg<br />
und habilitiert dort im Fachbereich Geographie<br />
an der Fakultät für Angewandte Informatik.<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
33
Rohstoffrisiken<br />
Glimmer-Lieferkette:<br />
Foto: Vivek Sharma / Xtreme Pictures<br />
Kein Platz für<br />
Kinderarbeit<br />
Ob Lippenstift, Lidschatten oder Autolack:<br />
Für den schönen Schimmer sorgt oft das<br />
Mineral Glimmer. Der begehrte Rohstoff<br />
wird unter anderem im Norden Indiens, in<br />
den Bundesstaaten Jharkhand und Bihar<br />
abgebaut. Die Region ist geprägt von<br />
politischer Instabilität und Armut; Kinderarbeit<br />
ist weit verbreitet. Auch Merck<br />
nutzt Glimmer als Hauptrohstoff für seine<br />
Effektpigmente. Das Wissenschafts- und<br />
Technologieunternehmen lehnt Kinderarbeit<br />
in seiner Lieferkette strikt ab und<br />
setzt sich für sichere Arbeitsbedingungen<br />
der Minenarbeiter ein. Außerdem unterstützt<br />
Merck Bildungs- und Gesundheitsprojekte,<br />
die das Leben der Familien<br />
in den Abbaugebieten verbessern.<br />
Glimmer ist nach seiner Fähigkeit benannt,<br />
Licht zu brechen und zu reflektieren. Der Rohstoff<br />
kommt an vielen Orten vor. Merck bezieht<br />
ihn vor allem aus Indien, aber auch aus den Vereinigten<br />
Staaten und Brasilien. Das Unternehmen<br />
benötigt den natürlichen Glimmer – neben<br />
synthetischen Substraten - für die Herstellung<br />
seiner hochwertigen Effektpigmente. Sie kommen<br />
unter anderem in Lacken im Automobilund<br />
Industriesektor und in der Kosmetik- und<br />
Lebensmittelindustrie zum Einsatz.<br />
Merck bekämpft seit 2008 Kinderarbeit im indischen<br />
Glimmerabbau. Anlass war eine unternehmensinterne<br />
Untersuchung. Sie hatte ergeben,<br />
dass die Bewohner der Region Jharkhand<br />
Glimmer in stillgelegten Minen oder vom Boden<br />
sammeln - vereinzelt auch gemeinsam mit ihren<br />
Kindern. Ein klarer Verstoß gegen die Unternehmenswerte<br />
und die Prinzipien der Menschenrechtscharta<br />
von Merck: „Die Einhaltung<br />
grundlegender Arbeitsstandards bei unseren<br />
Lieferanten hat für uns höchste Priorität. Wir<br />
haben daher sofort, nachdem wir von den Vorfällen<br />
erfahren haben, Maßnahmen ergriffen,<br />
um Kinderarbeit vollständig zu unterbinden“,<br />
erklärt Michael Heckmeier, Leiter der Geschäftseinheit<br />
Pigments & Functional Materials<br />
bei Merck. Das Unternehmen hat seine Lieferkette<br />
komplett umgestellt und setzt sich dafür<br />
ein, die Arbeitsbedingungen der Minenarbeiter<br />
in Indien zu verbessern. „Wir unterhalten inzwischen<br />
direkte Geschäftsbeziehungen mit<br />
Glimmer-Minen und den Glimmer-verarbeitenden<br />
Betrieben und haben in diesem im Gegensatz<br />
zur Sammlung formalen Arbeitsumfeld<br />
mehr Einfluss“, sagt Heckmeier. Darüber hinaus<br />
hat Merck Kontrollmechanismen eingeführt<br />
und so einen umfassenden Überblick über die<br />
gesamte Lieferkette.<br />
Sozioökonomischer Hintergrund<br />
Null Toleranz gegenüber Kinderarbeit<br />
Merck hat sich bewusst dazu entschieden, seine<br />
Geschäftsbeziehungen im nördlichen Indien<br />
aufrechtzuerhalten. Das Unternehmen übernimmt<br />
Verantwortung für die Region: Arbeitsplätze<br />
sollen erhalten bleiben.<br />
Wie wichtig dieser Ansatz ist, zeigen die sozialen<br />
Umstände in Jharkhand und Bihar. Sie bil-<br />
34 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Rohstoffrisiken<br />
den einen idealen Nährboden für Kinderarbeit:<br />
Beide Bundesstaaten zählen zu den ärmsten Regionen<br />
Indiens. Die Alphabetisierungsquote und<br />
die Anzahl der Kinder, die eine Schule besuchen,<br />
liegen laut einer Studie von Terre des Hommes<br />
und SOMO (Stichting Onderzoek Multinationale<br />
Ondernemingen / Centre for Research on Multinational<br />
Corporations) aus dem Jahr 2016 weit<br />
unter dem Landesdurchschnitt.<br />
Investitionen in Bildung und<br />
Gesundheitsversorgung<br />
Um die Lebenssituation der Familien zu verbessern,<br />
hat Merck nicht nur seine Glimmer-Lieferkette<br />
umgestellt, sondern gemeinsam mit<br />
seinem Partner IGEP soziale Projekte für die Bevölkerung<br />
der Region initiiert. Das gemeinsame<br />
Ziel: Den Zugang zur Gesundheitsversorgung<br />
verbessern und den Kindern eine schulische und<br />
berufliche Perspektive bieten:<br />
c Merck betreibt in den Dörfern Tisri, Barkitand<br />
und Saphi Schulen mit angeschlossenen Kindergärten,<br />
die von über 500 Schülern besucht<br />
werden. Auf dem Stundenplan stehen auch<br />
Aufklärung über Hygiene und Gesundheit. In<br />
Tisri können sich die Jugendlichen außerdem<br />
zu Tischlern oder Schneidern ausbilden lassen.<br />
Merck unterstützt darüber hinaus eine<br />
vierte Schule in Koderma mit Stipendien für<br />
150 Schüler.<br />
c In Saphi hat Merck ein Gesundheitszentrum<br />
eingerichtet. Dort arbeiten zwei Ärzte und<br />
eine Krankenschwester, die auch die medizinische<br />
Versorgung der Schulen übernehmen.<br />
Sie besuchen außerdem die Schulen und Dörfer<br />
in der Umgebung.<br />
Für sein Engagement erhält Merck von Seiten<br />
der Zivilgesellschaft viel Lob und Anerkennung.<br />
So attestierte SOMO dem Unternehmen in der<br />
genannten Studie, dass das Unternehmen im<br />
Vergleich zu anderen Glimmer-Importeuren bei<br />
weitem die besten Maßnahmen durchführen,<br />
um Kinderarbeit in der Lieferkette auszuschließen<br />
und die Lebensbedingungen der Menschen<br />
zu verbessern. Merck engagiert sich aber auch<br />
darüber hinaus an Multistakeholder-Dialogen<br />
und –Initiativen für eine Verbesserung der Lebens-<br />
und Arbeitsbedingungen in der Glimmer-Region.<br />
f<br />
Hohe Standards in der Lieferkette<br />
Merck gewährleistet die Umsetzung sozialer<br />
Standards mit Hilfe von verschiedenen Maßnahmen.<br />
Ein Überblick:<br />
c Merck bezieht Glimmer ausschließlich aus<br />
kontrollierten Minen: Nur die formelle Arbeitsumgebung<br />
stellt die Einhaltung sozialer<br />
Standards sicher. Bei Glimmer, der in öffentlich<br />
zugänglichen Bereichen ohne formelle<br />
Arbeitsbedingungen gesammelt wurde, ist es<br />
nicht möglich, Kinderarbeit auszuschließen.<br />
c Mit Hilfe eines Nachverfolgungssystems stellt<br />
Merck sicher, dass der gelieferte Glimmer ausschließlich<br />
aus Minen stammt und nicht aus<br />
unkontrollierten Quellen: Die Minenbesitzer<br />
halten die tägliche Fördermenge einer Mine<br />
in einem Logbuch fest. Diese dokumentierten<br />
Glimmermengen sind die Basis für die<br />
Lizenzgebühren, die die Minenbesitzer an die<br />
Regierung zahlen müssen. Wenn Glimmer aus<br />
unkontrollierten Quellen mit verwendet würde,<br />
müssten die Minenbesitzer auch für diese<br />
Glimmermengen Lizenzgebühren zahlen.<br />
Dies ist wirtschaftlich nicht sinnvoll, denn der<br />
Glimmer wäre für den Minenbesitzer teurer, als<br />
der in seiner Mine geförderte Glimmer. Merck<br />
überprüft monatlich die im Logbuch gemeldeten<br />
und die an die weiterverarbeitenden Betriebe<br />
gelieferten Glimmermengen.<br />
c Mit Audits überprüft das Unternehmen das<br />
regelkonforme Verhalten der Partner. Dabei<br />
werden beispielsweise das Alter der Arbeiter,<br />
die Arbeitszeiten und die gezahlten Löhne geprüft,<br />
aber auch, ob Gesundheitschecks und<br />
Sicherheitsübungen durchgeführt wurden. Die<br />
Merck-Mitarbeiter vor Ort kontrollieren die Zulieferer<br />
in regelmäßigen Abständen. Zusätzlich<br />
führen das Environmental Resource Management<br />
(ERM) und die Stiftung Indo German Export<br />
Promotion (IGEP) als unabhängige Drittparteien<br />
eigene Audits durch. Während IGEP<br />
einmal im Monat die Einhaltung der Arbeitsstandards<br />
kontrolliert, überprüft ERM jährlich<br />
die Arbeitsbedingungen und die Einhaltung<br />
von Umwelt-, Sicherheits- und Gesundheitsstandards.<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
35
Rohstoffrisiken<br />
Ist Deutschland gut genug<br />
gegen Rohstoffrisiken gerüstet?<br />
Welche globalen Entwicklungen finden Sie im Hinblick auf die Rohstoff- und<br />
Energieversorgung Deutschlands besorgniserregend? *<br />
Finanzspekulation an den Rohstoffmärkten 89<br />
Steigende Nachfrage und globales Wachstum 84<br />
Soziale Unruhen in Ursprungsländern<br />
für Rohstoffe<br />
81<br />
Protektionismus im Welthandel 80<br />
Bildung von Anbieter-Monopolen 80<br />
Währungskrisen 73<br />
Knappheit seltener Schlüssel-Rohstoffe 73<br />
Knappheit fossiler Brennstoffe 68<br />
Unzureichende Alternativen zu den<br />
fossilen Brennstoffen<br />
Kurzfristige Veränderungen<br />
der Energiepolitik<br />
65<br />
64<br />
Unkalkulierbare <strong>Risiken</strong> der Atomenergie 61<br />
Foto: Miloslav78 / iStockphoto.com
Rohstoffrisiken<br />
Welche Auswirkungen werden die Entwicklungen auf den Energie- und<br />
Rohstoffmärkten in Ihrer Branche haben? *<br />
Die Ressourcenknappheit zwingt uns,<br />
innovativ zu sein<br />
Die Geschäfte werden unsicherer und<br />
schwerer kalkulierbar<br />
52<br />
51<br />
Die Profitabilität wird dauerhaft belastet 50<br />
Zulieferer gewinnen an Bedeutung und<br />
Marktmacht<br />
Es entstehen neue Märkte und<br />
Absatzmöglichkeiten<br />
Internationale Wettbewerber profitieren<br />
von einem besseren Zugang zu Rohstoffen<br />
Unternehmen werden verstärkt eigene<br />
Energie erzeugen<br />
Es kommt zu Versorgungsengpässen 35<br />
Unternehmen werden sich an<br />
Rohstoffzulieferern beteiligen<br />
Der technologische Fortschritt wird<br />
aufgrund knapper Ressourcen gebremst<br />
Mit welchen Maßnahmen reagieren die Unternehmen auf die Entwicklungen an<br />
den Rohstoff- und Energiemärkten? *<br />
Beschaffungswesen wird durchgeführt wird erwogen<br />
Suche nach neuen Lieferanten 47 17<br />
Langfristige Lieferverträge mit<br />
bestehenden Lieferanten<br />
Speziell auf den Einkauf dieser Waren<br />
geschultes Personal<br />
47 10<br />
33 9<br />
Bildung von Einkaufsgemeinschaften 24 10<br />
Vergrößerung der Lagerkapazität 14 9<br />
Absicherung von Preisrisiken durch<br />
spezielle Finanzprodukte<br />
Unternehmerische Beteiligung an<br />
Zulieferern oder Rohstoffproduzenten<br />
*Alle Angaben in Prozent<br />
45<br />
45<br />
44<br />
36<br />
27<br />
18<br />
10 6<br />
4 4<br />
Quelle: Ergebnisse einer Erhebung der Commerzbank: „Rohstoffe und Energie: <strong>Risiken</strong> umkämpfter Ressourcen“, methodische Durchführung durch TNS Infratest<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
37
Foto: Florian Sander / MKULNV<br />
Klimarisiken<br />
“<br />
Vielen<br />
Menschen ist<br />
heute bewusst,<br />
dass ein<br />
Weiter<br />
so nicht<br />
funktioniert<br />
Das allermeiste Leid ist Menschen-gemacht. Aber keines davon hat so weitreichende<br />
Folgen wie der Klimawandel. Er betrifft uns alle und geht an die Substanz des Zusammenlebens.<br />
Gegen die schlimmsten Folgen des Klimawandels lässt sich noch etwas<br />
tun – wenn denn alle mitmachen. Wie realistisch ist das? Wir sprachen darüber mit<br />
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und<br />
Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen.<br />
Ob Dürre, Flut oder Extremwetterereignisse: Das<br />
Klima wird immer mehr auch hierzulande zum<br />
Risiko. Als Klima- und Umweltminister von NRW<br />
wissen Sie um die Gefahren. Worauf müssen wir uns<br />
in Zukunft einstellen?<br />
Johannes Remmel: Der Klimawandel ist real.<br />
Er trifft uns auch in NRW und wird die Art und<br />
Weise, wie wir leben, wohnen und arbeiten in<br />
Zukunft stark beeinflussen. Stürme und Starkregenereignisse<br />
wie in den letzten Jahren beispielsweise<br />
in Münster oder Hamminkeln werden<br />
immer häufiger vorkommen. Schon jetzt<br />
zeichnet sich ab, dass der Klimawandel, der<br />
Klimaschutz und die Anpassung an die unvermeidbaren<br />
Folgen der Erderwärmung eine der<br />
38 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Klimarisiken<br />
größten Herausforderungen darstellen, vor der<br />
wir stehen und die wir meistern müssen. Es wird<br />
uns teuer zu stehen kommen, wenn wir jetzt<br />
nicht handeln. Die beste Politik gegen den fortschreitenden<br />
Klimawandel ist eine ambitionierte<br />
Politik gegen die globale Erwärmung. Deshalb<br />
hat die Landesregierung die Klimapolitik in den<br />
letzten Jahren neu ausgerichtet.<br />
Wenn ich Sie als Bürger fragen würde: Welche Kosten<br />
verursacht der Klimawandel in NRW, und was würde<br />
uns vernünftiger Klimaschutz kosten? Könnten Sie<br />
mir das ausrechnen oder ist das zu simpel gedacht?<br />
Remmel: Selbstverständlich können wir die Kosten<br />
der Naturkatastrophen berechnen. Zum Beispiel<br />
verursachte der Orkan Kyrill im Januar 2007<br />
allein im Wald einen finanziellen Schaden von<br />
mehr als 1,5 Milliarden Euro. Durch das Sturmtief<br />
„Ela“ Anfang 2014 fielen Kosten von ca. 600 Millionen<br />
Euro an. Insgesamt könnten sich laut einer<br />
Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung<br />
(DIW) die Auswirkungen des Klimawandels<br />
in Deutschland bis zum Jahr 2050 auf<br />
bis zu 800 Milliarden Euro belaufen. Der Klimawandel<br />
verursacht also erhebliche gesellschaftliche<br />
Kosten, die letztlich die Steuerzahlerinnen<br />
und Steuerzahler tragen müssen. Jede Investition<br />
in den Klimaschutz oder zur Klimafolgenanpassung,<br />
die dazu beiträgt, diese Kosten erst gar<br />
nicht entstehen zu lassen, ist daher ökonomisch<br />
höchst sinnvoll. Hinzu kommt, dass viele Unternehmen,<br />
die wir der Umweltwirtschaft zurechnen,<br />
aus diesen Maßnahmen erfolgreiche Geschäftsmodelle<br />
entwickelt haben. Innovationen<br />
beim Hochwasserschutz, bei den erneuerbaren<br />
Energien, oder zur Minderung von Energie- und<br />
Ressourcenverbrauch, dienen gleichzeitig der<br />
Wirtschaft und schützen das Klima.<br />
Die COP21 in Paris hat ein ambitioniertes Klimaziel<br />
beschlossen. Das war 2015. Dann kamen der Brexit,<br />
Trump und ein halbes Dutzend weiterer Widrigkeiten.<br />
US-Finanzminister Steven Mnuchin nannte jüngst<br />
das Thema Klimawandel gar einen Gesprächskiller.<br />
Wer hört Ihnen also noch zu?<br />
Remmel: Das Thema ist nicht verschwunden, nur<br />
weil in der Öffentlichkeit zur Zeit andere Themen<br />
dominieren. Weltweit entwickeln Unternehmen<br />
Innovationen und Strategien für mehr Ressourcen-<br />
und Energieeinsparung – übrigens auch viele<br />
US-amerikanische. Internationale Konzerne<br />
steigen aus der Finanzierung kohlenstoffbasierter<br />
Geschäftsmodelle aus, Regierungen erstellen<br />
Klimaschutzpläne. Fossile Rohstoffe gehen<br />
irgendwann zu Ende, und der Klimawandel wird<br />
spätestens mit der nächsten großen Naturkatastrophe<br />
wieder zum Thema werden. Oder auch,<br />
wenn im November diesen Jahres die Weltklimakonferenz<br />
in Bonn tagen wird, um die Ziele von<br />
Paris weiter in die Praxis umzusetzen. Politisch<br />
verantwortliche Führungskräfte legen nicht ein<br />
menschheitsbedrohendes Problem beiseite, nur<br />
weil es einen Moment lang keine öffentliche<br />
Konjunktur hat.<br />
Bevor wir nur über andere schimpfen: Auch Deutschland<br />
kommt beim Klimaschutz nicht voran. Das zeigt<br />
ein neues Gutachten des Umweltbundesamtes. Laut<br />
dessen Zahlen stiegen die Emissionen im vergangenen<br />
Jahr um etwa vier Millionen Tonnen im Vergleich<br />
zum Vorjahr auf rund 906 Millionen Tonnen.<br />
Die Grünen sprechen von einem "Offenbarungseid<br />
für die Klimapolitik der Bundesregierung“. Auch das<br />
Industrieland NRW hat zu dem schlechten Ergebnis<br />
seinen Teil beigetragen. Was von der Kritik nehmen<br />
Sie sich an?<br />
Remmel: Das Gutachten zeigt, dass die Bundesregierung<br />
beim Klimaschutz ihre Hausaufgaben<br />
nicht macht. Anstatt ein wirksames<br />
Klimaschutzgesetz vorzulegen, gibt es einen löchrigen<br />
Plan mit zahllosen Ausnahmen. Nordrhein-Westfalen<br />
ist mit rund einem Drittel der<br />
deutschen Energieproduktion das größte Energieland<br />
der Bundesrepublik. Trotz aller erfolgreichen<br />
Anstrengungen beim Ausbau der Erneuerbaren<br />
Energien sind die vorherrschenden<br />
Energieträger immer noch Braun- und Steinkohle.<br />
Mehr als ein Drittel der in Deutschland ausgestoßenen<br />
klimaschädlichen Gase geht auf das<br />
Konto NRWs. Das Land trägt daher bei der Erreichung<br />
der Klimaschutzziele eine besondere Verantwortung<br />
– und der werden wir gerecht, denn<br />
bei uns sinken die CO 2-Emissionen. Nach vorläufigen<br />
Zahlen des Landesumweltamtes (LANUV)<br />
zwischen 2014 und 2015 sogar um 2,7 Prozent.<br />
NRW wird mit einem Ausstoß von etwa 284 Millionen<br />
Tonnen CO 2-Äquivalenten den niedrigsten<br />
Stand der letzten Jahre erreichen. Im Mittelpunkt<br />
der Neuausrichtung der Energiepolitik<br />
steht das erste deutsche Klimaschutzgesetz, in<br />
dem CO 2-Minderungsziele für NRW verbindlich<br />
festgelegt worden sind – und ein Klimaschutzplan<br />
mit konkreten Maßnahmen.<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
39
Klimarisiken<br />
Foto: rcfotostock / Fotolia.com<br />
Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Verkehr. Den<br />
UBA-Zahlen zufolge stieg alleine hier der CO 2-Ausstoß<br />
um mehr als 5 Millionen Tonnen. Alternative<br />
Mobilitäts-Konzepte gibt es zu Hauf. An Ideen kann<br />
es also nicht liegen, dass wir hier nicht gegensteuern.<br />
Was muss getan werden?<br />
Remmel: Um Klimaneutralität im Verkehrssektor<br />
zu erreichen, müssen wir elektrifizieren<br />
und den Umweltverbund aus Bus, Bahn, Fahrrad<br />
und den eigenen Füßen fördern. Wollen<br />
wir unsere internationalen Verpflichtungen im<br />
Klimaschutz einhalten, müssen im Verkehrssektor<br />
die CO 2-Emissionen um 98 Prozent sinken.<br />
Die rot-grüne Landesregierung hat in den<br />
letzten Jahren beispielsweise mit dem Aktionsplan<br />
Nahmobilität, dem Klimaschutzplan, der<br />
Novellierung des ÖPNV-Gesetzes, dem Bau von<br />
Radschnellwegen oder mit dem 100 Mio.-Förderprogramm<br />
"Kommunaler Klimaschutz" viel<br />
getan und erreicht. Leider sehen wir, dass die<br />
Bundesregierung in der Verkehrspolitik die Prioritäten<br />
bei Investitionsentscheidungen anders<br />
setzt. Statt die Menschen vor giftigen und klimaschädlichen<br />
Abgasen zu bewahren, legt der Verkehrsminister<br />
alle Kraft auf die Einführung der<br />
unsinnigen Maut. KFZ- und Kraftstoffbesteuerung<br />
haben fast keine Lenkungswirkung. So ist<br />
es also kein Wunder, dass kaum Elektrofahrzeuge<br />
auf unseren Straßen fahren oder dass Bus,<br />
Bahn und Radverkehr viel zu oft eine Nebenrolle<br />
spielen. Dies muss sich dringend ändern.<br />
Ein zweiter zentraler Treiber ist der Energieverbrauch.<br />
Jeder von uns hat heute mindestens ein halbes<br />
Dutzend Elektrogeräte, die regelmäßig aufgeladen<br />
werden wollen, mehr als vor zehn Jahren. Nach<br />
Berechnungen der Internationalen Energieagentur<br />
wird der globale Primärenergieverbrauch bis 2035<br />
voraussichtlich um 35 Prozent steigen. Frisst das<br />
nicht den Effekt jeder Klimamaßnahme sofort auf?<br />
Remmel: Die privaten Haushalte sind eine<br />
wichtige Gruppe, wenn es darum geht, unsere<br />
Klimaschutzziele zu erreichen. Sie können ihren<br />
CO 2-Fußabdruck etwa durch energetische<br />
Sanierungen, aber auch schlicht durch energiesparendes<br />
Verhalten reduzieren. Deshalb<br />
wendet sich die Landesregierung auch direkt<br />
an private Haushalte und bietet Unterstützung<br />
für eine klimaschonende Lebensweise an. Wir<br />
sensibilisieren die privaten Haushalte vor allem<br />
durch die Energieberatung und die Informationsangebote<br />
der Verbraucherzentrale NRW und<br />
der EnergieAgentur.NRW. Wichtig ist aber vor<br />
allem, woher der Strom kommt, mit dem Handy,<br />
Tablet und Co. aufgeladen werden. Es gilt deshalb,<br />
den Anteil der erneuerbaren Energien für<br />
die Stromerzeugung in NRW weiter auszubauen<br />
– und hier sind wir mittlerweile auf einem guten<br />
Weg. Von 2010 bis 2015 stieg in NRW die erzeugte<br />
Strommenge aus allen Erneuerbaren Energieträgern<br />
von rund 12 auf etwa 18 Terawattstunden,<br />
das sind fast 13 Prozent des NRW-eigenen<br />
Stromverbrauchs. Damit steht NRW aktuell<br />
40 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Klimarisiken<br />
im bundesweiten Vergleich auf Platz drei der<br />
Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien.<br />
Dadurch konnte NRW allein in 2015 CO 2-Emissionen<br />
in Höhe von mehr als neun Millionen<br />
Tonnen vermeiden.<br />
Klimaschutz und Energiewende sind zwei Seiten einer<br />
Medaille. Einige Marktbeobachter fürchten beim<br />
Ausbau der Erneuerbaren um Versorgungssicherheit<br />
und bezahlbare Strompreise. Das gilt für das<br />
Eigenheim wie für energie-intensive Branchen wie<br />
Aluminium. Ist das machbar: Strom gut, grün und<br />
günstig – oder müssen wir uns da an einigen Stellen<br />
ehrlich machen?<br />
Remmel: Die Diskussionen um die Kosten der<br />
Energiewende flammen immer wieder auf,<br />
wenn die Höhe der EEG-Umlage für das nächste<br />
Jahr bekannt gegeben wird. Dabei ist die Summe<br />
aus Umlage und Börsenstrompreis seit 2013<br />
sogar um rd. 1 Cent je Kilowattstunde gefallen.<br />
Leider wird diese Preissenkung oft nicht an<br />
die normalen Verbraucher weitergegeben. Als<br />
wichtiger Industrie- und Dienstleistungsstandort<br />
mit rund 18 Millionen Menschen ist Nordrhein-Westfalen<br />
auf bezahlbare Energie angewiesen.<br />
Klar ist: Der Umbau des Energiesystems<br />
ist mit Investitionen verbunden, denen viele<br />
positive volkswirtschaftliche, gesundheitliche<br />
und Klimaschutz-Effekte gegenüber stehen.<br />
Die Erneuerbaren Energien schaffen Arbeitsplätze,<br />
vermeiden schon heute fast 6 Milliarden<br />
Euro Importkosten an konventioneller Energie,<br />
und Umweltschäden im Wert von 8,4 Milliarden<br />
Euro. Häufig wird auch übersehen, dass<br />
wir wegen der Endlichkeit fossiler Energieträger<br />
und dem zunehmenden Energiehunger in<br />
den Schwellenländern längerfristig mit deutlich<br />
steigenden Preisen bei den fossilen Energieträgern<br />
rechnen müssen. Aber gerade deshalb behält<br />
die Landesregierung bei allen Klimaschutzmaßnahmen<br />
die sozialen Auswirkungen und<br />
Verteilungsfragen im Blick und steuert gegen,<br />
wenn es erforderlich ist.<br />
Ganz radikal gedacht wäre die Lösung ja einfach:<br />
Weniger produzieren. Weniger verbrauchen. Da sind<br />
wir dann mitten in der Degrowth- und Suffizienzdiskussion.<br />
Unser System basiert aber auf dem genauen<br />
Gegenteil: immer mehr Produktion, mehr<br />
Arbeitsplätze, mehr Wohlstand. Ist echt nachhaltige<br />
Klimapolitik in diesem „Wachstums-Hamsterrad“<br />
überhaupt möglich?<br />
Remmel: Vielen Menschen ist heute bewusst,<br />
dass ein „Weiter so“ nicht funktioniert. Wir<br />
können nicht endlos Boden verbrauchen, Wasser<br />
verschwenden, die Luft verschmutzen oder<br />
immer mehr Abfälle produzieren. Es gibt bereits<br />
zahlreiche gute Beispiele, wie wir Veränderungen<br />
herbei führen können, die uns als Orientierung<br />
und Motivation auf dem Weg zu einem<br />
anderen, zukunftsfähigen Lebensstil dienen<br />
können. Dazu sollten die Rahmenbedingungen<br />
so gestaltet werden, dass nachhaltige Lösungsbeiträge<br />
auch ökonomisch belohnt werden. Zum<br />
Beispiel brauchen wir klare Rahmenbedingungen<br />
für den Übergang zu nachhaltigen Mobilitätsformen,<br />
für den Vorrang des Fahrrad- und<br />
Fußgängerverkehrs und des ÖPNV sowie für<br />
mehr Car-Sharing. Energiewende und Klimaschutz<br />
brauchen auch eine Veränderung im Gebäude-<br />
und Mobilitätssektor. Gerade für unseren<br />
Ballungsraum an Rhein und Ruhr mit den<br />
Problemen im Bereich der Luftschadstoffe ist es<br />
entscheidend, hier eine Richtungsentscheidung<br />
zu haben. Wir brauchen Rahmensetzungen, die<br />
die technologischen Entwicklungen befördern<br />
und voranbringen und sie in den Massenmarkt<br />
hinein bringen.<br />
Es hapert in Europa an einer effizienten gemeinsamen<br />
Klimapolitik. Umweltschützer fordern deshalb,<br />
die EU müsse wirtschaftliche Kreisläufe anders gestalten.<br />
Wären mehr lokale Produktion und regionale<br />
Kreislaufwirtschaft eine Option?<br />
Remmel: Die EU-Kommission hat mit ihrem<br />
sogenannten Kreislaufwirtschaftspaket durchaus<br />
interessante Vorschläge gemacht, die auch<br />
in Deutschland neue Anstrengungen auslösen<br />
werden. Wir brauchen in der Tat mehr Kreisläufe,<br />
verbunden mit einer Ökonomie des Teilens<br />
und der Langlebigkeit. Eine Ökonomie des<br />
Prosumierens, wo Produzenten auch konsumieren<br />
und umgekehrt Konsumenten gleichzeitig<br />
produzieren. Wir müssen auf erneuerbare und<br />
dezentrale Energien setzen. Damit ergibt sich<br />
auch die Möglichkeit, Wertschöpfung breiter zu<br />
generieren und Wertschöpfungsketten wieder<br />
regional zu verankern. Wir brauchen dazu mehr<br />
Subsidiarität, also die Schließung von regionalen<br />
Kreisläufen, die Stabilität von Regionalität,<br />
und eine Ökonomie der Gemeinschaftsgüter.<br />
Wir erleben zurzeit eine Renaissance der Genossenschaften,<br />
da ist viel Dynamik erkennbar.<br />
Denn Umweltschutz ist nicht nur ökologisch,<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
41
Klimarisiken<br />
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42 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Klimarisiken<br />
sondern auch ökonomisch interessant: Mit Umweltwirtschaft,<br />
mit Umweltprodukten lässt sich<br />
Geld verdienen. Umweltwirtschaft schafft Arbeitsplätze.<br />
Umweltwirtschaft erschließt neue<br />
Märkte – national und international.<br />
NRW hat im Juni 2016 eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie<br />
verabschiedet. Inwieweit nutzen Sie diese<br />
Hebel als Steuerungsinstrument?<br />
Remmel: Die NRW-Nachhaltigkeitsstrategie ist<br />
ein Zukunftskonzept für das Land, mit dem die<br />
"Enkelfähigkeit" der Landespolitik gesichert<br />
werden soll. Mit der Verabschiedung im Juni<br />
2016 wurde eine Grundlage geschaffen, um das<br />
Leitprinzip der nachhaltigen Entwicklung in<br />
NRW systematisch zu verankern. Die Strategie<br />
benennt 7 Themenfelder, darunter Klimaschutzplan<br />
und Umweltwirtschaftsstrategie,<br />
aber auch nachhaltige Stadt- und Quartierentwicklung<br />
und nachhaltige Finanzen, auf die die<br />
Landesregierung in den nächsten Jahren einen<br />
Schwerpunkt setzen will. Kernstück der Strategie<br />
ist ein Ziel- und Indikatorensystem, mit dem<br />
die Landesregierung ambitionierte Ziele festlegt<br />
und sie auch kontrolliert. Dazu ist ein Berichtssystem<br />
mit knapp 70 Indikatoren aufgebaut, die<br />
vom Anteil erneuerbarer Energien bis zur Einkommensverteilung<br />
und von der Recyclingquote<br />
bis zum Flächenverbrauch reichen. Dadurch<br />
wird die Entwicklung jederzeit mess- und interpretierbar<br />
sein. Wir haben gleichzeitig eine<br />
Nachhaltigkeitsprüfung von allen neuen Gesetzen<br />
und Verordnungen eingeführt. Mit dieser<br />
Folgenabschätzung wird die Nachhaltigkeitsstrategie<br />
besser in die praktische Regierungspolitik<br />
einfließen können.<br />
Die Nachhaltigkeitsstrategie ist konsequent an<br />
den UN-Entwicklungszielen (SDGs) ausgerichtet. Da<br />
machen Sie viel mehr als andere Bundesländer. Was<br />
erhoffen Sie sich davon?<br />
Remmel: Als Industrie- und Energieregion <strong>Nr</strong>. 1<br />
in Europa steht NRW, was Ressourcenverbrauch<br />
und CO 2-Emissionen angeht, in einer besonderen<br />
Verantwortung, auch international. Dieser<br />
Verantwortung stellen wir uns. Rohstoffreserven<br />
schützen, Klimaerwärmung eingrenzen,<br />
Armut bekämpfen – das ist das Spektrum der<br />
globalen Nachhaltigkeitsziele und eine repräsentative<br />
Umfrage im letzten Jahr hat gezeigt,<br />
dass fast alle Bürgerinnen und Bürger in NRW<br />
wollen, dass sie auch auf Landesebene beachtet<br />
werden. Da wir die Nachhaltigkeitsstrategie fast<br />
genau parallel zur 2030-Agenda der Vereinten<br />
Nationen erarbeitet haben, hatten wir die Chance,<br />
die Impulse der 2030-Agenda für nachhaltige<br />
Entwicklung systematisch aufzugreifen. Wir<br />
leisten mit unserer Nachhaltigkeitsstrategie<br />
einen Beitrag zu allen 17 SDGs. Und wir wollen<br />
die Zielerreichung regelmäßig messen, um ggf.<br />
nachsteuern zu können. Nur wer sein Handeln<br />
regelmäßig überprüft, kann auch sicherstellen,<br />
dass er wirklich auf dem richtigen Weg ist.<br />
Als Bundesland befindet sich NRW in einer Sandwichposition<br />
zwischen dem Bund und der EU über<br />
sich und den Kommunen unter sich. Ziehen die beiden<br />
anderen Ebenen ausreichend mit?<br />
Remmel: NRW alleine kann natürlich im Hinblick<br />
auf die internationalen Herausforderungen<br />
nichts Entscheidendes bewegen. Anders<br />
herum werden aber auch der Bund und die EU<br />
viele ihrer Nachhaltigkeitsziele nicht erreichen,<br />
wenn NRW keinen ausreichenden Beitrag leistet,<br />
z.B. bei der Senkung der CO 2-Emissionen,<br />
beim Ausbau der Erneuerbaren Energien oder<br />
beim Ressourcenschutz.<br />
Vielen Dank für das Gespräch! f<br />
Foto: Guido von Wiecken<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
43
Klimarisiken<br />
Wissenschaftlichen<br />
Zielen verpflichtet<br />
Der Verpackungskonzern Tetra Pak lässt sich beim Klimaschutz künftig von Vorgaben<br />
leiten, die im Einklang mit den Anforderungen des Weltklimarates IPCC stehen<br />
und arbeitet dazu eng mit der internationalen Science Based Targets-Initiative (SBT)<br />
zusammen. Bis zum Jahr 2030 sollen die direkt verursachten CO 2 -Emissionen so um<br />
40 Prozent gegenüber 2015 sinken. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien setzt der<br />
Verpackungsgigant ebenfalls auf sachkundige Hilfestellung von außen.<br />
Von Thomas Wischniewski<br />
Mario Abreu, Vize-Präsident Umwelt bei Tetra<br />
Pak, sagt, durch die Zusammenarbeit mit der<br />
SBT-Initiative sei es dem Konzern bereits gelungen,<br />
„unsere Ziele bezüglich der Treibhausgasemissionen<br />
genau zu definieren und<br />
wissenschaftlich fundierte Weichen für die<br />
Zukunft unseres Unternehmens zu stellen“.<br />
Damit gewährleiste man, dass Kunden und andere<br />
Anspruchsgruppen offen und transparent<br />
erfahren, wie Tetra Pak zur kohlenstoffarmen<br />
Wirtschaft beitrage.<br />
Ins Leben gerufen wurde die SBT-Initiative 2015<br />
vom Global Compact der Vereinten Nationen,<br />
dem World Resources Institute, der Umweltstiftung<br />
WWF sowie dem CDP, einer Non-Profit-Organisation,<br />
die Klimadaten von Unternehmen<br />
erhebt. Um die Wirtschaft beim Erreichen<br />
des vom Weltklimarat empfohlenen Zwei-<br />
Grad-Ziels zu unterstützen, hat die Initiative<br />
einen „Sektorbasierten Dekarbonisierungs-Ansatz“<br />
entwickelt. Mit ihm können Unternehmen<br />
Klimaziele für die Zeit bis 2050 festlegen, unter<br />
Berücksichtigung der Erkenntnisse des IPCC.<br />
Klimaziele bis 2050 festgelegt<br />
Tetra Pak ist das erste Unternehmen der Lebensmittelverpackungsindustrie,<br />
dessen Klimaschutzziele<br />
durch die SBT anerkannt werden.<br />
Der Konzern hat sich gegenüber der Initiative<br />
unter anderem verpflichtet, die durch die eigene<br />
Geschäftstätigkeit verursachten Emissionen<br />
bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent zu senken. Bis<br />
2040 soll ein Minus von 58 Prozent gegenüber<br />
dem Basisjahr 2015 stehen. Außerdem will Tetra<br />
Pak die CO 2-Emissionen entlang der gesamten<br />
Wertschöpfungskette senken: bis 2020 um 16<br />
Prozent gegenüber dem Niveau des Jahres 2010.<br />
Schon 2011 hatte der Vorstand beschlossen,<br />
die Emissionen entlang der Wertschöpfungskette<br />
bis 2020 auf dem Level des Jahres 2010<br />
zu halten. Eigenen Angaben zufolge konnte<br />
man dieses Ziel sogar übertreffen: 2015 lag der<br />
CO 2-Ausstoß demnach 15 Prozent unter dem<br />
Ausgangswert von 2010, trotz gleichzeitigen<br />
Produktionsanstiegs um 16 Prozent. Den Anteil<br />
der Emissionen, für die Tetra Pak nicht direkt<br />
verantwortlich zeichnet, gibt das Unternehmen<br />
mit 80 Prozent an. Sie entständen bei Lieferanten<br />
während der Produktion von Rohstoffen<br />
oder bei Kunden während der Nutzung der Unternehmensprodukte.<br />
Investitionen in Erneuerbare und<br />
Energieeffizienz<br />
Um den Vorgaben der SBT-Initiative<br />
zu genügen, will Tetra Pak<br />
unter anderem in mehr Energieeffizienz<br />
investieren.<br />
Ziel sei es, den Energiebedarf<br />
bis 2018 um weitere<br />
zwölf Prozent zu<br />
senken. Dem aktu-<br />
44 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Klimarisiken<br />
ellen Tetra Pak-Nachhaltigkeitsbericht zufolge<br />
lag der Energieverbrauch der eigenen Fabriken<br />
2015 auf dem Niveau des Jahres 2005, während<br />
der Konzern im selben Zeitraum ein Wachstum<br />
von über 30 Prozent hinlegte. Außerdem sollen<br />
künftig zusätzliche Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer<br />
Energien in den eigenen Fabriken<br />
installiert und dort mehr Strom aus regenerativen<br />
Quellen genutzt werden. Das Unternehmen<br />
hatte sich bereits 2015 verpflichtet, die eigenen<br />
Werke komplett auf Erneuerbare umzustellen.<br />
Dazu hat sich Tetra Pak vor zwei Jahren der Initiative<br />
RE100 angeschlossen, einer von weltweit<br />
tätigen Unternehmen getragenen Allianz<br />
zur Förderung der Nachfrage und Bereitstellung<br />
erneuerbarer Energien. Ihr haben sich bisher 88<br />
internationale Konzerne angeschlossen, darunter<br />
IKEA, Google und BMW. „Mit dem Anschluss<br />
an die RE100-Initiative profitieren wir von einer<br />
fachkundigen Anleitung und Peer-to-Peer-<br />
Learning“, sagte Vize-Präsident Charles Brand<br />
damals. Zum Zeitpunkt des Beitritts zur Initiative<br />
lag die Quote der Erneuerbaren in den Werken<br />
von Tetra Pak bei rund 20 Prozent.<br />
Bisher kein deutsches Unternehmen<br />
von SBT anerkannt<br />
An der SBT-Initiative (Motto: Driving Ambitious<br />
Corporate Climate Action) beteiligen sich<br />
derzeit 215 Unternehmen. 178 von ihnen haben<br />
sich verpflichtet, innerhalb von zwei Jahren<br />
ein wissenschaftsbasiertes Klimaziel festzulegen.<br />
Von derzeit<br />
37 Konzernen<br />
hat die Initiative entsprechende Ziele bereits<br />
anerkannt. Neben Tetra Pak gehören dazu<br />
unter anderem der Nahrungsmittelkonzern<br />
Nestlé, der US-amerikanische Einzelhandelskonzern<br />
Wal Mart sowie der Getränkeriese Coca<br />
Cola. Deutsche Konzerne finden sich bislang<br />
nicht auf der Liste der Unternehmen, deren Klimaschutzziele<br />
die SBT anerkennt.<br />
Cynthia Cummis vom World Resources Institute<br />
sagt, die SBT-Initiative biete Unternehmen, die<br />
dazu beitragen wollen, die schlimmsten Auswirkungen<br />
des Klimawandels zu vermeiden,<br />
eine wissenschaftlich gestützte Methodik. Nach<br />
Angaben der Initiative gelten unternehmerische<br />
Klimaziele dann als „wissenschaftsbasiert“,<br />
wenn sie im Einklang mit dem fünften Sachstandsbericht<br />
des Weltklimarats IPCC stehen<br />
und beitragen, den globalen Temperaturanstieg<br />
gegenüber der vorindustriellen Zeit auf maximal<br />
zwei Grad Celsius zu begrenzen.<br />
Laut Cummis gibt es eine „wachsende Zahl<br />
von Unternehmen, die die Vorteile einer kohlenstoffarmen<br />
Wirtschaft erkannt hat”. Ein<br />
deutschsprachiges Themenpapier, das im Projekt<br />
Klimareporting.de von WWF und CDP erarbeitet<br />
wurde und auf Publikationen der SBT-Initiative<br />
beruht, nennt als einen Vorteil einer<br />
wissenschaftsbasierten Strategie ein besseres<br />
Risikomanagement. Denn ein solcher Klimaschutzansatz<br />
setze „die sorgfältige Analyse von<br />
Emissionsquellen im Unternehmen voraus und<br />
bietet somit Potenziale zur Senkung von Energie-<br />
sowie Ressourcenkosten“. Zudem bereite<br />
er Unternehmen auf „weitere Regulierungsanforderungen<br />
infolge der langfristigen politischen<br />
Klimaziele“ vor. f<br />
Foto: Tetra Pak<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
45
Produktrisiken<br />
Albtraum<br />
Foto: Dmitry Kalinovsky / Fotolia.com<br />
Rückruf<br />
Unternehmensrisiken können vielfältiger Natur sein. Eines der größten <strong>Risiken</strong> ist ein<br />
mangelhaftes Produkt. Wir sprachen mit Dr. Sönke Voss, Referent für Industrie, Technologie<br />
und Innovation von der IHK Bodensee-Oberschwaben über Rückrufaktionen<br />
und Haftungsfragen.<br />
Jedes Unternehmen will sichere Produkte herstellen.<br />
Dennoch lässt sich nie ganz ausschließen, dass ein<br />
fehlerhaftes Produkt in den Verkehr gebracht wird.<br />
Was sind denn typische Fehler, über die wir hier<br />
reden?<br />
Dr. Sönke Voss: Typische Fehler kann man nicht<br />
verallgemeinern, sondern bedürfen einer unternehmens-<br />
sowie produktspezifischen Betrachtung.<br />
Fehler können bereits in der Konstruktionsphase,<br />
im Rahmen der Produktion, im<br />
Zusammenhang mit Bedienungsanleitungen<br />
oder Warnhinweisen sowie bei der Produktbeobachtung<br />
auftreten. In komplexen Lieferketten<br />
ist es oft aufwändig, die Verantwortlichkeit<br />
für einen Fehler festzustellen.<br />
Wird jemand durch ein fehlerhaftes Produkt geschädigt,<br />
wird entgegen der weit verbreiteten Erwartung<br />
häufig gar nicht das Produkthaftungsgesetz herangezogen,<br />
sondern allgemeine Schadensregelungen.<br />
Was umfasst denn alles die Produzentenhaftung?<br />
Dr. Voss: Die Produzentenhaftung ist ein Unterfall<br />
der Schadenersatzpflicht (§ 823 BGB) und<br />
stellt eine verschuldensabhängige Haftung dar.<br />
Jemand muss also gegen eine Sorgfaltspflicht<br />
verstoßen haben und hierdurch muss ein Schaden<br />
bei einem Dritten entstanden sein, damit<br />
Haftungsansprüche entstehen. Dies kann beispielsweise<br />
einen Hersteller betreffen, wenn<br />
er bei der Entwicklung bestimmte Sicherheitsvorschriften<br />
nicht berücksichtigt hat oder einen<br />
46 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Produktrisiken<br />
Importeur, der eine Betriebsanleitung fehlerhaft<br />
übersetzt.<br />
Was ist der Unterschied zur Produkthaftung?<br />
Dr. Voss: Im Gegensatz zur Produzentenhaftung<br />
setzt die Produkthaftung nach dem Produkthaftungsgesetz<br />
kein Verschulden des Herstellers<br />
voraus, wenn eine Person oder privat genutzte<br />
Sache durch ein fehlerhaftes Produkt geschädigt<br />
wird. Somit kann es passieren, dass ein<br />
Hersteller sämtliche Sicherheitsanforderungen<br />
bis ins Detail berücksichtigt, viel Aufwand bei<br />
der Qualitätssicherung betreibt und trotzdem –<br />
beispielsweise für einen Ausreißer bei der Herstellung<br />
– haftet. Ein Importeur im Sinne dieses<br />
Gesetzes wird wie ein Hersteller behandelt.<br />
Wann greift die Mängelgewährleistung oder ein<br />
Garantieanspruch?<br />
Dr. Voss: Im Unterschied zur Produkthaftung<br />
muss sowohl bei der Mängelgewährleistung als<br />
auch bei einer Garantie ein Vertrag zwischen<br />
den Parteien vorliegen. Die Mängelgewährleistung<br />
ist gesetzlich geregelt und gewährt dem<br />
Käufer einen Gewährleistungsanspruch für 2<br />
Jahre ab Kauf der Sache. Weist beispielsweise<br />
ein Produkt einen Mangel oder nicht die vereinbarte<br />
Beschaffenheit auf, ergeben sich für<br />
den Käufer je nach Konstellation Ansprüche auf<br />
Nachbesserung durch seinen Lieferanten. In bestimmten<br />
Fällen können darüber hinaus Schadensersatzansprüche<br />
bestehen, beispielsweise<br />
bei einem durch den Lieferanten verschuldeten<br />
Lieferverzug, infolgedessen eine Produktionsanlage<br />
stillsteht. Der Hersteller kann dem Käufer<br />
zusätzlich freiwillig eine Garantie einräumen,<br />
wie z.B. die bekannte „Durchrostgarantie“<br />
bei Autoherstellern. In der vertraglichen Ausgestaltung<br />
eines solchen Garantieversprechens<br />
kann der Hersteller Art, Umfang und Dauer der<br />
Garantie frei bestimmen.<br />
Was ist bei einem fehlerhaften Produkt zu beachten?<br />
Dr. Voss: Der Rückruf ist das äußerste Mittel in<br />
einem breiten Portfolio an Korrekturmaßnahmen.<br />
Je nach vorliegendem Risiko können diese<br />
teilweise auch in Hinweisen zur sicheren Verwendung<br />
eines Produkts oder in einer Anpassung<br />
des Produktdesigns bestehen. Für einen<br />
Großteil der Verbraucherprodukte sind das Produktsicherheitsgesetz<br />
sowie damit zusammenhängende<br />
Verordnungen die rechtliche Basis<br />
für die Pflicht zur Durchführung von Korrekturmaßnahmen.<br />
Für reine B2B-Produkte lässt sich<br />
eine Pflicht für entsprechende Korrekturen aus<br />
der Produzentenhaftung ableiten. Insbesondere<br />
Hersteller und Importeure sollten sich daher<br />
proaktiv auf ein solches Szenario vorbereiten.<br />
Was ist bei einer Rückrufaktion zu beachten?<br />
Dr. Voss: Der Ablauf ist je nach Produktkategorie<br />
leicht unterschiedlich. Für Verbraucherprodukte<br />
im Sinne des Produktsicherheitsgesetzes<br />
beginnt der Prozess mit dem Eingang erster<br />
Hinweise auf mögliche von einem Produkt<br />
ausgehende <strong>Risiken</strong>. Diese werden im nächsten<br />
Schritt bewertet und festgestellt, ob Korrekturmaßnahmen<br />
erforderlich sind. Wichtig<br />
ist hierbei eine – gesetzliche vorgeschriebene<br />
– frühzeitige Einbeziehung der zuständigen<br />
Marktüberwachungsbehörde. Stellt sich heraus,<br />
dass ein Rückruf erforderlich ist, werden die<br />
konkreten Maßnahmen bestimmt. Diese reichen<br />
von der Kommunikation mit den Behörden<br />
über Hinweise an Händler und Verbraucher bis<br />
zu etwaigen Anpassungen bei künftig ausgelieferten<br />
Produkten. Die Durchführung der Maßnahmen<br />
wird eng überwacht und anhand von<br />
Zielparametern bewertet. Abschließend werden<br />
aus den Erfahrungswerten Verbesserungen zur<br />
Vermeidung künftiger Fehler oder in Hinblick<br />
auf künftige Korrekturmaßnahmen abgeleitet.<br />
Der Rückruf eines Produkts ist die ultimative Maßnahme.<br />
Wie kann man sich auf das Szenario einer<br />
Rückrufaktion vorbereiten?<br />
Dr. Voss: Die wirksamste Maßnahme zur Vermeidung<br />
von Rückrufen ist naturgemäß das<br />
Inverkehrbringen sicherer Produkte. Bereits<br />
im Zuge der Entwicklung sollte jedoch überlegt<br />
werden, aus welchen Informationsquellen Hinweise<br />
auf möglichen <strong>Risiken</strong> eingehen könnten<br />
und wie man diese zusammenführt. Auf diese<br />
Weise lässt sich häufig ein positiver Aspekt –<br />
nämlich die systematische Erfassung kundenseitiger<br />
Verbesserungsvorschläge – mit abdecken.<br />
Wenn das Produkt dann eingeführt wurde,<br />
sollte eine systematische Produktbeobachtung<br />
erfolgen. Je nach Produktart und potenziellen<br />
<strong>Risiken</strong> kann dies die Erfassung und Analyse<br />
von Beschwerden umfassen, aber auch bis zur<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
47
Produktrisiken<br />
Spektakuläre Rückrufe<br />
Automobilindustrie:<br />
Foto: gmg9130 / Fotolia.com<br />
regelmäßigen Prüfung von Stichproben reichen.<br />
Unabhängig von gesetzlichen Vorgaben ist zudem<br />
zu empfehlen, sich proaktiv Gedanken<br />
über die Kommunikation im Falle eines Rückrufs<br />
zu machen. Auch eine Zusammenfassung<br />
relevanter Anlaufstellen, Ansprechpartner und<br />
Dienstleister kann sehr nützlich sein. Dadurch<br />
hat man im Ernstfall deutlich mehr Ressourcen<br />
für die eigentliche Abwicklung des Rückrufs: Je<br />
nach Kommunikation mit den Kunden kann eine<br />
Rückrufaktion als Fiasko wahrgenommen werden<br />
oder als kundenfreundlicher Vorgang eines<br />
verantwortungsbewussten Unternehmens.<br />
Welche Unterstützung bietet die IHK?<br />
Dr. Voss: Die IHK Bodensee-Oberschwaben<br />
bietet im Bereich der Produkthaftung und Produktsicherheit<br />
umfangreiche Erstinformationen<br />
an. Zudem stellt sie einführende Online-Leitfäden<br />
zur Verfügung sowie Informationsveranstaltungen,<br />
anhand derer erster<br />
Handlungsbedarf erkannt werden kann. Zudem<br />
weisen die IHKs bei Bedarf auf geeignete<br />
Anlaufstellen hin, die weitergehende Unterstützung<br />
bieten können.<br />
Vielen Dank für das Gespräch! f<br />
Die unangefochtenen Spitzenreiter beim Thema<br />
Rückruf sind die Autobauer. Jede Marke<br />
hat hier ihre Geschichten zu erzählen. Beispiel<br />
Toyota: Bremsen, Gaspedal, Fußmatten – mehr<br />
als zehn Millionen Autos müssen 2010 weltweit<br />
wegen technischer Probleme zurückgerufen<br />
werden. Der monetäre Schaden beträgt<br />
mehr als eine Milliarde<br />
Dollar, schlimmer wiegt<br />
der Reputationsschaden.<br />
Toyota ist ab dann sein<br />
Image als stets zuverlässige<br />
Marke los. Ein<br />
Trost bleibt den Japanern:<br />
Die anderen<br />
machen es bis heute<br />
auch nicht besser.<br />
Ausnahme ist die Marke<br />
Hummer: Der umstrittene<br />
Spritfresser verschwand<br />
2009 im Zuge der<br />
Insolvenz von GM gleich<br />
selbst vom Markt.<br />
Blei-Alarm in Barbies:<br />
Immer wieder ist Kinderspielzeug<br />
von Rückrufaktionen<br />
betroffen. In diesem<br />
Fall aus dem Jahr 2009 geht es<br />
um überhöhte Bleikonzentrationen<br />
in Spielwaren aus China. Das weisen Verbraucherschützer<br />
der Spielzeugfirma nach. Vor<br />
allem die beliebten Barbie-Puppen und ihre Accessoires<br />
sind davon betroffen. Als der Skandal<br />
publik wird, versucht Mattel die Verantwortung<br />
komplett auf den chinesischen Lieferanten abzuwälzen.<br />
Als das Vertrauen der Eltern schwindet,<br />
schwenkt die Firma um: Nach langem Hin<br />
und Her übernimmt Mattel am Ende doch die<br />
volle Verantwortung für den Rückruf der Produkte<br />
aus China. Insgesamt geht es um rund 21<br />
Millionen Teile, darunter auch viel Zubehör von<br />
Barbie-Puppen. Und kommt der Fall Mattel teuer<br />
zu stehen? Nö. Mattel und das Tochterunternehmen<br />
Fisher Price zahlen am Ende 2,3 Millionen<br />
Dollar Strafe. f<br />
Foto: industrieblick / Fotolia.com, Klaus Rupp / pixelio.de<br />
48 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Produktrisiken<br />
Beispiele und typische Fallstricke<br />
Im Schadensfall werden häufig sehr umfangreiche<br />
Forderungen an Qualitätssicherung, Dokumentation<br />
und weitere Bereiche gestellt. Die<br />
folgenden Beispiele bzw. „häufigen Fehler“ erfolgen<br />
daher ohne Gewähr oder Anspruch auf<br />
Vollständigkeit und können lediglich erste Impulse<br />
für eine individuelle Anpassung oder Ergänzung<br />
von Maßnahmen liefern:<br />
Vertragswesen<br />
Einkauf /<br />
Beschaffung<br />
Marketing/Vertrieb<br />
Wareneingang<br />
Anleitungen<br />
Keine oder unvollständige Behandlung von Haftungsszenarien. Kein Ausschluss<br />
oder keine Beschränkung hinsichtlich mittelbarer Schäden, Produktionsausfall,<br />
entgangenem Gewinn usw.<br />
Keine Vereinbarung einer Beschaffenheit, keine explizite Berücksichtigung von<br />
Sicherheits-Aspekten z.B. in Verträgen mit außereuropäischen Lieferanten<br />
Darstellung / Beschreibung von Produkten in nicht vorgesehenen Verwendungsarten.<br />
Wecken überhöhter Sicherheitserwartungen<br />
Keine systematische Dokumentation der Wareneingangskontrolle oder<br />
Beschränkung lediglich auf Maße, Optik, etc.<br />
Keine Eingrenzung der vorgesehenen Verwendung. Fehlende oder zu eng<br />
gefasste Sicherheitshinweise. Keine Übersetzung von Bedienungsanleitungen in<br />
Fremdsprachen<br />
Produktbeobachtung<br />
Keine systematische Erfassung sicherheitsrelevanter Mängel. Keine Dokumentation<br />
von Beobachtungs-Maßnahmen bzw. -Prozessen. Keine Dokumentation erkannter<br />
Verwendungsarten (vorgesehene + Fehlanwendungen)<br />
Lieferanten<br />
Keine Sicherstellung der Erkennung von Änderungen bei Werkstoffen, Bauarten<br />
etc., welche eine neue Sicherheitsbewertung erfordert (z.B. durch Verträge, Audits,<br />
Stichproben-Analysen)<br />
Fertigung<br />
Konstruktion /<br />
Entwicklung<br />
Chargenverwaltung<br />
Hersteller-Rolle<br />
Verteilung der<br />
Pflichten<br />
Fortbildung<br />
Schnittstellen<br />
Keine Mechanismen zur Erkennung sicherheitsrelevanter Änderungen<br />
(Produktionsprozess, Qualitätssicherung, verwendete Komponenten). Keine<br />
durchgängige Dokumentation sicherheitsrelevanter Prüfungen / Qualitätskontrollen<br />
Verwendung veralteter Dokumente (z.B. Risikobeurteilung), Normen, etc.; keine<br />
systematische Beobachtung von Normen-Änderungen<br />
Keine Möglichkeit der Zuordnung von Komponenten / Produkten zu bestimmten<br />
Chargen oder Produktionszeiträumen<br />
Fehlende Festlegung der Hersteller-Verantwortlichkeiten z.B. bei aus verschiedenen<br />
Komponenten zusammengefügten Produkten<br />
Keine vertragliche Festlegung in der Lieferkette, wer etwaige Pflichten aus ProdSG,<br />
CE-Richtlinien, etc. erfüllt (insbesondere bei Bezug von außereuropäischen<br />
Lieferanten oder bei komplexen Produkten)<br />
Keine / mangelnde Fortbildung von Mitarbeitern in haftungsrelevanten Bereichen;<br />
keine Sensibilisierung der übrigen Mitarbeiter für die Thematik<br />
Keine oder widersprüchliche Festlegung von Prozessen / Schnittstellen für<br />
sicherheitsbzw. haftungsrelevante Vorgänge. Kein zentraler Akteur / Freigabeprozess<br />
Quelle: IHK Bodensee-Oberschwaben<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
49
Produktrisiken<br />
LEBENSMITTEL<br />
Die Branche mit dem höchsten Reputationsrisiko<br />
Eine kleine Ursache mit großer Wirkung: Defekt an einer Reinraumschleuse. Wie lange<br />
er schon besteht, lässt sich nicht mehr genau feststellen. Einige Chargen weisen Keime<br />
auf. Ausgelieferte Ware wird zurückgerufen; sicherheitshalber die Produktion einer<br />
ganzen Woche. Nur wenige Firmen der Lebensmittelindustrie betreiben für solche<br />
Notfälle aktive Vorsorge. Dabei ist im Risikomanagement „Schutz mit System“ durchaus<br />
machbar. Experten sagen, worauf es dabei ankommt.<br />
Von Manfred Godek<br />
Foto: LVDESIGN / Fotolia.com<br />
„Schnell kommen selbst auf kleinere Firmen<br />
Kosten von einer halben Million Euro zu“, weiß<br />
Claas Hußmann, Firmenkundenbetreuer der<br />
auf die Lebensmitteindustrie spezialisierten<br />
BDJ Versicherungsmakler. Ein Rechenbeispiel<br />
verdeutlicht die wirtschaftliche Dimension. Bei<br />
einem Umsatz von 40 Mio. € wäre das Jahresergebnis<br />
von angenommen zwei Prozent mehr<br />
als halbiert; den Aufwand für PR, um das Vertrauen<br />
bei Kunden und Verbrauchern zurück<br />
zu gewinnen, nicht eingerechnet. Ein solcher<br />
Ertragseinbruch kann bei dünner Kapitaldecke<br />
existenzbedrohend sein; in jedem Fall belastet<br />
er das Rating durch Investoren und Kreditgeber<br />
und verteuert die Finanzierung.<br />
Immer mehr Rückrufe<br />
Trotz eines intensiven Qualitätsmanagements<br />
gibt es immer mehr Produktrückrufe. Die Zahl<br />
der behördlichen Lebensmittelwarnungen hat<br />
sich zwischen Januar 2011 (25) und August 2014<br />
(107) vervierfacht. Dies ist aber nur die Spitze<br />
des Eisbergs. Die Zahl der Marktentnahmen<br />
ohne Verbraucherinformation hat nach Einschätzung<br />
der Beratungsgesellschaft AFC Risk &<br />
Crisis Consult ebenfalls deutlich zugenommen,<br />
da viele Unternehmen aufgrund der Komplexität<br />
der Krisenfälle geneigt seien, die betroffenen<br />
Produkte frühzeitig vom Markt zu nehmen.<br />
Gefährdungen der Lebensmittelsicherheit haben<br />
natürlich eine besondere Sprengkraft.<br />
Hinzu kommen <strong>Risiken</strong>, denen Unternehmen<br />
ohnedies ausgesetzt sind: Feuer, IT-Ausfälle<br />
oder Störungen in der Lieferkette. Potenziert<br />
werden sie durch die branchenspezifische Komplexität.<br />
Wer mehrere Filialisten beliefert, hat<br />
es neben einem gigantischen Logistikaufwand<br />
mit tausenden verärgerten Kunden zu tun. Und<br />
mit Millionen von verunsicherten Verbrauchern.<br />
Die Lebensmittel- und Getränkeindustrie<br />
hat laut Allianz Risk Barometer 2015 von<br />
allen Branchen das höchste Reputationsrisiko.<br />
Risikoanalyse und -bewertung<br />
Umso erstaunlicher ist die mangelhafte Vorbereitung<br />
auf Ernstfälle. „Die Unternehmen verfügen<br />
zwar über ein mehr oder minder gut ausgearbeitetes<br />
Krisenmanagementsystem. Dieses<br />
bietet allerdings keine Garantie für ein ange-<br />
50 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Produktrisiken<br />
messenes Vorgehen im Falle eines Falles“, so<br />
AFC-Geschäftsführer Dr. Michael Lendle. Man<br />
sei sich zwar der Gefahren bewusst, es fehle aber<br />
das Know-how, diese betriebsbezogen zu analysieren<br />
und zu bewerten, was Voraussetzung für<br />
eine detaillierte Notfallplanung sei. Ist nicht<br />
exakt festgelegt, was im Fall eines Falles zu tun<br />
ist, bricht erst einmal Hektik aus. Eine solche<br />
ist kaum geeignet, den Schaden gering zu halten.<br />
Dazu sind die Unternehmen aber verpflichtet,<br />
wenn am Ende die Versicherung einspringen<br />
soll. „Die Versicherer verstehen sich nicht<br />
als Zahlstelle, sondern als Teil eines integrierten<br />
Risikomanagements“, betont BDJ-Experte<br />
Hußmann die Bedeutung von Präventionsmaßnahmen.<br />
Beispielsweise dürfe ein Rückrufplan<br />
nicht in den Schubladen verstauben, sondern<br />
müsse regelmäßig geübt werden, damit er von<br />
der ersten Sekunde an funktioniere.<br />
Keine Frage der Größe<br />
Krisenberater Matthias Hämmerle von Haemmerle-Consulting<br />
vergleicht den zu erstellenden<br />
Notfallplan mit einer verständlich formulierten<br />
Gebrauchsanweisung. „Man ist mit<br />
einer neuen Situation konfrontiert und benötigt<br />
eine Anleitung, um Sicherheit zu erhalten.“ Es<br />
handele sich um kein alltägliches Arbeitsinstrument.<br />
Manche Beteiligte bekämen das Dokument<br />
im Notfall zum ersten Mal in die Hand.<br />
Sie müssten schnell erkennen, „wie der Hase<br />
läuft” und einzelne Schritte auch überspringen<br />
oder intuitiv ausführen können. „Ein Risikomanagement<br />
lässt sich hinsichtlich Eventualplanung,<br />
Personaleinsatz und Equipment auf<br />
die Größe und wirtschaftlichen Möglichkeiten<br />
eines Unternehmens zuschneiden“, betont<br />
Michael Lendle (AFC). Egal, ob diese Anleitungen<br />
in einem konzernweit vernetzten Enterprise-<br />
Risk-Management-System zur Verfügung stünden<br />
oder in stets griffbereiten Leitz-Ordnern.<br />
Der Experte beschreibt die systematische Vorgehensweise:<br />
Zunächst müsse ermittelt werden,<br />
welche <strong>Risiken</strong> relevant sind. Im nächsten<br />
Schritt gelte es, diese <strong>Risiken</strong> anhand ihrer<br />
möglichen Schadenswirkung zu bewerten. Kriterien<br />
sind die bis zur Wiederaufnahme des Betriebes<br />
erforderlichen Wiederherstellungskosten<br />
sowie der Aufwand für die Wiederaufnahme<br />
des Geschäftsbetriebes. Der TÜV Süd empfiehlt<br />
kleinen und mittleren Unternehmen die neue<br />
Version der Norm ISO 9001, die explizit die Bereiche<br />
benennt, in denen ein systematisches Risikomanagement<br />
erforderlich ist.<br />
Versicherungsschutz anpassen<br />
Eine Risikoanalyse ist in der Regel mit einer<br />
Neubewertung des Versicherungsschutzes<br />
verbunden. Viele Unternehmen haben es über<br />
Jahre versäumt, ihn an die gestiegenen Risikograde<br />
anzupassen. Diese resultieren unter<br />
anderem aus den inzwischen hochentwickelten<br />
Messtechniken, immer niedrigeren Grenzwerten<br />
und der Bereitschaft der Behörden zu<br />
drastischen Sanktionen. Klassische Rückrufkosten-Haftpflichtversicherungen<br />
zum Beispiel<br />
decken im Gegensatz zu Produktschutzversicherungen<br />
lediglich die Beseitigung und Vernichtung<br />
der Produkte und bestimmte Rückrufkosten<br />
von Weiterverarbeitern oder des Handels<br />
ab, nicht aber den eigenen, womöglich noch viel<br />
höheren Schaden. Genauso könnte man Firmenfahrzeuge<br />
lediglich haftpflichtversichern<br />
in der Hoffnung, sie würden Crashs ohne eigene<br />
Schrammen überstehen. Wichtig ist eine objektive,<br />
anbieterneutrale Beratung, die sich nicht<br />
an Vertriebsinteressen orientiert, sondern vielmehr<br />
auf ein Gesamtkonzept aus Risikoschutz<br />
und Prävention ausgerichtet ist. Sie schützt<br />
– pointiert ausgedrückt – auch vor dem Kleingedruckten<br />
in den Policen. Mit Hilfe eines unabhängigen<br />
Versicherungsmaklers lassen sich<br />
Verträge individuell gestalten; unter anderem<br />
können gefährliche Klauseln, zum Beispiel ein<br />
Rückrufplan sei im Schadensfall „zu 100 Prozent“<br />
einzuhalten, umgangen werden.<br />
„Notfallmanagement und Versicherung sind<br />
zwei Seiten der gleichen Medaille“, betont<br />
Claas Hußmann von BDJ Versicherungsmakler.<br />
Bei fehlendem Risikomanagement gebe<br />
es in der Regel keinen Versicherungsschutz;<br />
hohe Standards würden dagegen mit Prämiennachlässen<br />
honoriert. Zudem unterstütze die<br />
Assekuranz die Planung einschließlich der Beratung<br />
durch Spezialisten in der Regel mit 10<br />
Prozent einer Jahresnettoprämie für die Erstberatung<br />
und mit 5 Prozent der Folgeprämien. f<br />
Der Beitrag erschien im Original in der Zeitschrift<br />
„LVT LEBENSMITTEL“.<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
51
Produktrisiken<br />
Interview mit Manfred Godek,<br />
Kommunikationsberater und Autor, Monheim am Rhein<br />
risiken<br />
gehören zum Geschäft<br />
In Ihrem Beitrag [Anm. d. Red. siehe S. 50] kommen<br />
vor allem Berater zu Wort. Konnten Sie keine Stimmen<br />
aus Unternehmen einfangen?<br />
Die Lebensmittelbranche gibt sich sehr zugeknöpft.<br />
Unternehmen verweisen auf ein existierendes<br />
Risikomanagement, sagen aber nicht,<br />
was konkret getan wird. Zu Produkten kann<br />
man auf den Webseiten endlos scrollen. Aber<br />
nicht dazu, was passiert, wenn Ware kontaminiert<br />
oder verdorben ist.<br />
Worin sehen Sie den Grund für die Zurückhaltung?<br />
Es herrscht eine beinahe panische Angst davor,<br />
sozusagen mit den eigenen Schwachstellen ertappt<br />
zu werden. Dabei kann man unter www.<br />
lebensmittelwarunung.de nachlesen, was fast<br />
täglich passiert. <strong>Risiken</strong> gehören zum Geschäft.<br />
Sie resultieren aus immer komplexer werdenden<br />
Lieferketten und Prozessen. Sie sind systemimmanent<br />
und gehören entsprechend thematisiert.<br />
Tatsächlich werden sie tabuisiert.<br />
Was kann eine intensivere Öffentlichkeitsarbeit bewirken?<br />
Definitiv mehr Glaubwürdigkeit und Vertrauen.<br />
Verarbeiteten Lebensmitteln haftet ohnehin ein<br />
schlechter Ruf an. Wenn Bakterien oder Glassplitter<br />
hinzukommen, wird der Verbraucher in<br />
seiner negativen Haltung bestätigt. Die Unternehmen<br />
sollten auf ihren Internetseiten kommunizieren,<br />
dass sie Produktrisiken ernst nehmen<br />
und wie sie mit ihnen umgehen.<br />
Sie schreiben, dass im Ernstfall unprofessionell reagiert<br />
wird. Welches sind die Ursachen und Folgen?<br />
Betroffene Unternehmen reagieren wenig souverän.<br />
Es wird abgeblockt, herum laviert und<br />
beschönigt. Der Verbraucher fühlt sich verschaukelt.<br />
Er hat eine perfide Art entwickelt,<br />
sich zu rächen, indem er bestimmte Produkte<br />
meidet oder von einzelnen Herstellern nicht<br />
mehr kauft.<br />
Wie kann Kommunikation auf eine solche Situation<br />
professionell eingestellt werden?<br />
Im Gegensatz zu administrativen Prozessen<br />
lässt sich Kommunikationsfähigkeit nicht<br />
durch Handbücher vermitteln. Bewährt haben<br />
sich Trainings, bei denen Notfallszenarien<br />
definiert und durchgespielt werden. Dazu gehörten<br />
Sprachregelungen gegenüber der Presse<br />
und Kommunikation wie Telefonate oder<br />
E-<strong>Mai</strong>l-Verkehr mit Vertriebspartnern, Lebensmitteluntersuchungsämtern<br />
und Journalisten.<br />
Aktion und Redaktion werden professionell ausgewertet<br />
und nachjustiert.<br />
Also eine Art Training zu Stressbewältigung?<br />
Das Ziel ist Wahrheit und Klarheit. Lügen und<br />
Vernebelung wären zunächst sogar einfacher.<br />
Die Folgen daraus wie jahrelange Reputationsschäden<br />
aber um mein Vielfaches dramatischer.<br />
Vielen Dank für das Gespräch! f<br />
52 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Produktrisiken<br />
Verbraucherschutz bizarr:<br />
Klagewelle in Amerika<br />
gegen Lebensmittelindustrie<br />
In jüngster Zeit ist es in den USA zu ungewöhnlichen Sammelklagen gegen Firmen<br />
der Lebensmittelindustrie gekommen. Egal ob Starbucks, Subway oder McDonald’s<br />
– in allen Fällen wurden Nahrungsmittel von Verbrauchern bezichtigt, nicht den vom<br />
Hersteller gegebenen Standards zu entsprechen. Die Folge: meist immens hohe<br />
Schadenersatzzahlungen der Unternehmen. Doch dabei steht der Verbraucherschutz<br />
oftmals gar nicht im Vordergrund – Sammelklagen stellen mittlerweile ein lukratives<br />
Geschäftsfeld amerikanischer Anwälte dar.<br />
Foto: zolnierek / Fotolia.com<br />
Von Julia Arendt<br />
Der Eiskaffee enthält viel Eis, die Schokocreme<br />
zum Frühstück ist gar nicht so gesund und nahrhaft<br />
wie in der Werbung beschrieben, und Heißgetränke<br />
stellen ein Verletzungsrisiko dar – was<br />
für den herkömmlichen Konsumenten als nicht<br />
sehr überraschend erscheint, sorgte in den USA<br />
innerhalb der letzten Jahre für Sammelklagen<br />
gegen die Lebensmittelindustrie.<br />
Im Jahr 2008 wurden in amerikanischen Bundesgerichten<br />
gerade einmal 19 Sammelklagen<br />
gegen Nahrungsmittelunternehmen verhandelt.<br />
In 2016 waren es mit 171 gleich neunmal so<br />
viele. Dies geht aus einem Bericht des „Institute<br />
for Legal Reform“ hervor, einer gemeinnützigen<br />
Organisation der amerikanischen Handelskammer.<br />
Meist genügt sogar eine schriftliche Klagedrohung<br />
der Anwälte aus, um die Unternehmen zu<br />
einer außergerichtlichen Einigung zu bewegen.<br />
Für die ist das meist die akzeptabelste Lösung:<br />
eine Klage und der damit verbundene Aufwand<br />
wird vermieden, genauso wie eine Rufschädigung<br />
des Unternehmens. Die Folge solcher privaten<br />
außergerichtlichen Beilegungen ist demnach<br />
nicht die Behebung der „Produktfehler“,<br />
um die es eigentlich bei der Klage ging, sondern<br />
die finanzielle Zufriedenstellung der Kläger und<br />
Anwälte. Deshalb haben die Konsumenten auch<br />
nichts davon, die Lebensmittel bleiben nämlich<br />
meist in ihrem ursprünglichen Zustand.<br />
Laut der Studie des Instituts ist der Verbraucherschutz<br />
daher nicht entscheidend und ausschlaggebend<br />
für den Boom an Sammelklagen<br />
in der Lebensmittelindustrie, sondern fast immer<br />
geht es um die Schadenersatz-Zahlungen<br />
der Unternehmen. Während die Anwälte als<br />
Honorar etwa ein Drittel der Vergleichssumme<br />
erhalten, bekommen die Konsumenten nur<br />
Gutscheine für einzelne Artikel, die Gegenstand<br />
der Klage waren. Somit endet eine außergerichtliche<br />
Einigung nach einer Klage oder Klagedrohung<br />
am profitabelsten für die Anwälte<br />
der Kläger.<br />
In 2013 wurde zum Beispiel die bekannte Sandwich-Kette<br />
Subway verklagt. Der Grund: die<br />
Baguettes, die von dem Unternehmen als „one<br />
foot“ lang (30,48 Zentimeter) beworben wurden,<br />
waren doch nicht alle exakt 30,48 Zentimeter<br />
lang. Durch den Backvorgang gerieten<br />
einige Brote etwas länger oder kürzer. Es folgten<br />
zehn Sammelklagen gegen das Fast-Food-Unternehmen.<br />
Die Einigung bestand in diesem Fall<br />
darin, dass Subway das Verfahren für 525.000<br />
Dollar beilegte. Ganze 520.000 Dollar erhielten<br />
die Anwälte, wobei die Kläger jeweils 500 Dollar<br />
erhielten. f<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
53
Produktrisiken<br />
Lebensmittelskandale<br />
Mozzarella<br />
„Mama Mia, was für ein Scheiß“, möchte<br />
man sagen. Mit Mäusekot verunreinigter<br />
Käse landet 2008 auf deutschen Frischtheken:<br />
11.000 Tonnen vergammelter<br />
Mozzarella aus Italien sorgt europaweit<br />
für Ekel an den Käsetheken der Supermärkte.<br />
Sprossen<br />
Immer mehr Lebensmittelskandale<br />
– da gibt’s nur eine<br />
Lösung: Bio-Lebensmittel. Von<br />
wegen. 2011 erschüttert einer der<br />
schlimmsten Fälle die Verbraucherszene.<br />
Bundesweit sterben<br />
rund 50 Menschen an den Folgen<br />
des gefährlichen Ehec-Darmkeims.<br />
Die Behörden suchen<br />
fieberhaft und werden am Ende<br />
fündig: Auslöser sind Bio-zertifizierte<br />
Sprossen aus Ägypten.<br />
Abgepacktes Fleisch<br />
2005: In zwei Supermarkt-Filialen<br />
von real in Hannover werden Mitarbeiter<br />
dabei ertappt, wie sie Fleisch<br />
mit abgelaufenem Verbrauchsdatum<br />
neu verpacken und damit das<br />
Verfallsdatum manipulieren. Real ist<br />
kein Einzelfall – auch in anderen Supermärkten<br />
wird diese üble Masche<br />
enttarnt.<br />
Döner<br />
Der Deutschen liebstes Fast<br />
Food Gericht ist der Döner. Naja,<br />
vielleicht nicht gerade in der Zeit<br />
nach August 2007. Damals fliegt<br />
ein Händler aus dem bayerischen<br />
Wertingen auf, der 200 Tonnen<br />
Gammelfleisch um-etikettierte<br />
und als Dönerfleisch nach Berlin<br />
verkaufte.<br />
54
Produktrisiken<br />
Wein<br />
Deutscher Wein, das ist fein. Von wegen. 1985 tauchen<br />
mit Glykol gepanschte Weine im Handel auf.<br />
Dabei sollte Diethylen-Glykol eigentlich nur als<br />
Frostschutzmittel verwendet werden.<br />
Eier<br />
2012 werden Eier zu Sondermüll.<br />
Es ist kurz vor Ostern,<br />
als immer öfter verseuchte<br />
Eier auftauchen, ausgerechnet<br />
bei einem Bio-Bauernhof in<br />
Nordrhein-Westfalen. Die Eier<br />
enthalten Dioxin in einer Konzentration,<br />
die sechsmal so hoch<br />
ist wie erlaubt.<br />
Lasagne, Ravioli & Co<br />
2013 wird in ganz Europa Pferdefleisch<br />
in Millionen Fertiggerichten entdeckt.<br />
Vor allem Lasagne, Ravioli und Tortellini<br />
sind betroffen. Verkauft wird<br />
die Schmuddelware in praktisch allen<br />
Supermärkten: u.a. Edeka, Aldi, Kaiser's<br />
Tengelmann, REWE, Lidl und beim<br />
Tiefkühl-Heimlieferservice Eismann.<br />
Shrimps<br />
„Meeresfrüchte“ und Antibiotika –<br />
das ist schon seit Jahrzehnten eine<br />
feste Kombination. 2001 gelangten<br />
Shrimps in die Kühltheken, die mit<br />
dem EU-weit verbotenen Antibiotikum<br />
Chloramphenicol belastet<br />
waren. Herkunftsland war Asien.<br />
Die auch heute noch oft Antibiotika-belasteten<br />
Schalentiere von<br />
dort laufen übrigens unter dem<br />
Etikett „Freshwater“.<br />
Foto: Marion Lenzen<br />
55
Produktrisiken<br />
Transparente<br />
Lieferketten<br />
Foto: 06photo / Fotolia.com<br />
Lebensmittelbetrug ist fast so lukrativ wie Drogenhandel. Das Milliardengeschäft mit<br />
falschen Zutaten oder Etikettenschwindel kann gesundheitliche Folgen für Verbraucher<br />
haben und den Ruf der Hersteller dauerhaft schädigen. Die internationale Zertifizierungsgesellschaft<br />
DNV GL hilft Unternehmen dabei, die <strong>Risiken</strong> für Betrugsfälle in ihrer Lieferkette<br />
zu bewerten, ihnen vorzubeugen und in Krisen einen kühlen Kopf zu bewahren.<br />
Von Jennifer Nicolay<br />
Analogkäse, gepanschtes Olivenöl, Pferdefleisch<br />
in Lasagneprodukten – die Liste von<br />
Betrugsfällen in der Lebensmittelindustrie ist<br />
lang. Was als Skandal an die Öffentlichkeit gelangt,<br />
wirft lediglich ein Schlaglicht auf das<br />
gesamte Ausmaß. Die Weltgesundheitsorganisation<br />
geht davon aus, dass jährlich zwei<br />
Millionen Menschen an verunreinigten Lebensmitteln<br />
sterben. Das Geschäft ist für die<br />
Verbrecherbanden so lukrativ wie Drogen- oder<br />
Menschenhandel, so das Bundesamt für Verbraucherschutz<br />
und Lebensmittelsicherheit.<br />
Konkret bringen Betrüger dabei absichtlich<br />
Produkte in den Umlauf, um die Abnehmer zu<br />
täuschen und daraus einen wirtschaftlichen<br />
Vorteil zu erlangen.<br />
Dies gelingt ihnen, indem sie falsche Inhaltsangaben<br />
machen, minderwertige Bestandteile<br />
beimengen oder falsche Etikettierungen anbringen.<br />
Grün gefärbtes Salatöl, das als teures<br />
Olivenöl verkauft wird, ist der Klassiker unter<br />
den aufgedeckten Betrugsfällen. Zum Teil werden<br />
sogar billige, nicht essbare Teile mit den<br />
Lebensmitteln vermischt, um deren Volumen<br />
zu vergrößern und höhere Gewinne zu erzielen.<br />
Besonders gefährlich kann es für Allergiker<br />
werden, wenn statt gemahlener Haselnüsse<br />
billigere Erdnüsse in den Packungen stecken.<br />
Zu solchen Fällen kann es überhaupt erst kommen,<br />
weil die komplexen globalen Lieferketten<br />
oft nicht umfassend genug kontrolliert werden.<br />
Ist die Ware einmal unentdeckt in den Handel<br />
gelangt, steht nicht nur die Sicherheit der Produkte<br />
auf dem Spiel. Schon ein Einzelfall, der an<br />
die Öffentlichkeit gelangt, kann den Ruf der betroffenen<br />
Unternehmen nachhaltig schädigen.<br />
Eine transparente Wertschöpfung sei das beste<br />
Mittel, um für sichere Lebensmittel und verlässliche<br />
Lieferungen zu sorgen, empfiehlt die<br />
internationale Zertifizierungsgesellschaft DNV<br />
GL. Sie unterstützt Unternehmen dabei, ihre<br />
gesamte Lieferkette im Blick zu behalten und<br />
Betrugsfällen so entgegen zu wirken.<br />
Transparenz in der Lebensmittelbranche<br />
besonders gefragt<br />
Die Verbraucher sind ein wichtiger Treiber für<br />
transparente Lieferketten. Die Kunden wollen<br />
genau wissen, woher die Produkte kommen und<br />
was in ihnen steckt. Häufiger als in anderen<br />
Branchen ergreifen Lebensmittelhersteller daher<br />
Maßnahmen, die das Lieferkettenmanagement<br />
unter die Lupe nehmen und es verbessern<br />
56 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Produktrisiken<br />
sollen, sagen Experten. Besonders gefragt sind<br />
laut einer internationalen Umfrage Assessments,<br />
die dabei helfen, die <strong>Risiken</strong> entlang der<br />
Wertschöpfungskette zu verstehen. DNV GL hat<br />
dies im Rahmen ihrer Viewpoint Studie im Jahr<br />
2014 herausgefunden.<br />
Bei der Umfrage wurden 2.062 Unternehmen<br />
verschiedener Branchen weltweit befragt, wie<br />
zukunftsfähig ihre Lieferkette ist und welche<br />
Instrumente sie dazu einsetzen. Es zeigte sich in<br />
vielen Bereichen, dass die Lebensmittelhersteller<br />
besonders aktiv im Vergleich zu den anderen<br />
Unternehmen sind.<br />
Risikobereiche in der Lebensmittelbranche<br />
Die kritischen Bereiche, die im Fokus der Kunden<br />
stehen, sind gleichzeitig auch die Haupt-Risikobereiche<br />
in der Lebensmittellieferkette:<br />
Produktsicherheit und Qualität. Läuft es in der<br />
Lieferkette nicht rund, sind diese Kernbereiche<br />
des Geschäfts unmittelbar bedroht. Eine gesonderte<br />
Studie von DNV GL mit 500 Lebensmittelherstellern<br />
ergab, dass Unternehmen sie besonders<br />
in zwei Fällen als risikoreich identifizieren:<br />
Wenn sie sogenannte komplexe Produkte mit<br />
vielen Zutaten weiterverarbeiten oder wenn<br />
die Lieferketten durch bestimmte Regionen in<br />
Asien verlaufen.<br />
Die Lieferketten können in beiden Fällen eine<br />
hohe Komplexität und Undurchsichtigkeit aufweisen.<br />
Das macht sie auch anfälliger für Betrugsfälle.<br />
Vorsichtig sollten Unternehmen auch<br />
sein, wenn die Preise der Waren stark schwanken.<br />
Preisschwankungen gelten als spezifischer<br />
Risikoindikator für Lebensmittelbetrug, warnt<br />
das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit.<br />
Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln<br />
Lebensmittelqualität und -sicherheit können<br />
nur dann garantiert werden, wenn die Lieferkette<br />
von Anfang bis Ende transparent ist und<br />
systematisch gesteuert wird, so DNV GL. Hilfreiche<br />
Instrumente stellen dabei Trackingund<br />
Tracingberichte dar. Sie ermöglichen eine<br />
Rückverfolgbarkeit der Lebensmittel, indem sie<br />
unter anderem dokumentieren, welche Ausgangsprodukte<br />
verarbeitet wurden und wer für<br />
welchen Prozess verantwortlich ist. Kommt es<br />
zu Qualitäts- oder Sicherheitsmängeln, ist es<br />
wichtig, die betroffene Charge zügig zu identifizieren<br />
und zurückrufen zu können – egal an<br />
welcher Stelle der Lieferkette man sich befindet.<br />
Damit die Rückverfolgbarkeit lückenlos<br />
vom Anfang der Wertschöpfungskette bis zu<br />
ihrem Ende gelingt, bietet DNV GL verschiedene<br />
Trainings und international anerkannte Zertifizierungen<br />
an.<br />
Unter anderem empfiehlt sie den Einsatz des<br />
Rückverfolgbarkeitsstandards ISO 22005:2007.<br />
Hier helfen klar definierte Prozesse, die Überprüfungen<br />
zu koordinieren und sie zu dokumentieren.<br />
Laut der Viewpoint Studie gehören<br />
Zertifizierungen und Audits zu den wichtigsten<br />
Maßnahmen für Unternehmen aller Branchen,<br />
um ihre Lieferketten nachhaltig zuverlässig zu<br />
gestalten. Die „eine“ richtige Methode gebe es<br />
aber nicht, betonen die Experten von DNV GL.<br />
Entsprechend breit ist das Portfolio der angebotenen<br />
Management-Instrumente.<br />
Audits und Zertifizierungen als Business-Case<br />
Allein für die Lebensmittelbranche bietet DNV<br />
GL über 20 Zertifizierungen an. Darunter ist etwa<br />
der Marine Stewardship Council (MSC)-Standard<br />
für nachhaltige Fischerei oder auch der<br />
„Roundtable on Sustainable Palm Oil“ (RSPO).<br />
Palmöl gilt als eines der begehrtesten Produkte<br />
der Lebensmittelindustrie und steht häufig in<br />
der Kritik, manipuliert zu werden. Gültige Zertifikate<br />
bestätigen, dass ein definierter Standard<br />
eingehalten wurde und dass eine Rückverfolgbarkeit<br />
gegeben ist.<br />
Im Zentrum all dieser betrieblichen Prozesse<br />
steht ein sicheres Lebensmittel. Für Unternehmen<br />
lohnt sich eine Zertifizierung gleich<br />
in mehrfacher Hinsicht. Sie können glaubwürdig<br />
über ihre Produktqualität, die Herkunftsländer<br />
oder beispielsweise die Einhaltung von<br />
Öko-Standards berichten. Das hilft am Ende<br />
auch den Verbrauchern, eine informierte Entscheidung<br />
über ihre Einkäufe zu treffen. Unternehmen<br />
können darüber hinaus mit einer<br />
transparenten Lieferkette ihre Kommunikation<br />
mit den Handelspartnern verbessern und<br />
ihre Warenströme effizienter gestalten. So<br />
lässt sich etwa verhindern, dass es zu Leerfahrten<br />
kommt oder die Lager nicht optimal<br />
genutzt werden. f<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
57
Reputationsrisiken<br />
Foto: Sergey Ryzhov / Fotolia.com<br />
Wenn Innovationen<br />
Marken schwächen<br />
Zunehmende Digitalisierung, branchenfremde Konkurrenten oder agile Start-ups: Die<br />
Innovationsfähigkeit von traditionellen Unternehmen ist unverzichtbar, um im globalen<br />
Wettbewerb weiter bestehen zu können. Dabei ist das betriebliche Innovationsmanagement<br />
darauf ausgerichtet, Ideen in wirtschaftlich erfolgreiche Produkte oder<br />
Dienstleitungen umzusetzen. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn viele Unternehmen<br />
entwickeln ihre Neuheiten zum Selbstzweck und achten nicht auf Kundenwünsche.<br />
Damit riskieren sie, ihren Markenwert zu zerstören.<br />
Von Wolfang Schiller<br />
Kein anderes Wort wird heute mehr in der Wirtschaftspolitik,<br />
der Wirtschaftspresse und im<br />
Marketing verwendet als „Innovation“. Innovationen<br />
als Ausdruck von Unternehmergeist zur<br />
Verbesserung der Marktposition müssen kraftvoll<br />
und durchsetzungsstark sein und sollen einen<br />
neuen Trend, also eine besonders tiefgreifende<br />
und nachhaltige Entwicklung, auslösen.<br />
Hat Innovation demnach etwas mit Veränderung<br />
und Neuheit zu tun – ist etwas Neues, das<br />
verändert, schon eine Innovation? Schauen wir<br />
uns das doch etwas genauer an. Gerade bei Fast<br />
Moving Consumer Goods (FMCG) jagt eine angebliche<br />
Innovation die andere. Immer Neues<br />
überschwemmt den Markt. Doch 70 Prozent<br />
davon sind leider Flops, denn bereits 70 Prozent<br />
aller neu eingeführten Artikel sind nach<br />
zwölf Monaten nicht mehr in den Ordersätzen<br />
des Handels. Das ergab eine Studie aus dem<br />
Jahr 2006 von GfK und Serviceplan. Und diese<br />
erforschte auch gleich die Faktoren für Erfolg<br />
und Misserfolg bei Produktinnovationen mit<br />
folgendem Ergebnis: Fehler in Kommunikation<br />
und Vertrieb sind zu einem viel geringeren Teil<br />
verantwortlich als allgemein vermutet. Allein<br />
60 Prozent der Flops scheitern bereits in punkto<br />
58 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Reputationsrisiken<br />
Innovationsgrad, Preis-Leistungs-Verhältnis,<br />
Zielgruppenstruktur und Markenpolitik.<br />
Risiko Vertrauensverlust<br />
Was lernen wir daraus? Innovationen als Selbstzweck,<br />
weil die Entwicklungsabteilung einer<br />
neuen Technologie huldigt, der Produktmanager<br />
unter Druck ist und immer neue Produkte<br />
auf den Markt bringen muss oder der Preis wegen<br />
Profitgier zu hoch war, sind zum Scheitern<br />
verurteilt, wenn sie vom Kunden nicht angenommen<br />
werden. Denn der einzige der zählt ist<br />
der Kunde. Wenn Unternehmen jedoch unter<br />
dem Motto agieren „Der einzige, der stört, ist<br />
der Kunde“, dann werden eben weiterhin jedes<br />
Jahr die meisten der sogenannten Innovationen<br />
floppen und die damit verbundenen Entwicklungsgelder<br />
unter „Ignoranz“ ausgebucht werden<br />
müssen.<br />
Produktflops kosten jedoch nicht nur viel Geld,<br />
sondern beschädigen auch das Vertrauen der<br />
Stakeholder in die jeweilige Marke. Vertrauen<br />
als emotionales, soziales und wirtschaftliches<br />
Gut ist nicht nur ein Wert an sich, sondern hat<br />
auch einen konkreten Geldwert. Kaufen doch<br />
77 Prozent der Menschen Angebote, denen sie<br />
vertrauen. Fehlt das Vertrauen, verzichten 51<br />
Prozent gleich ganz auf den Kauf. Und wenn 57<br />
Prozent der Menschen in Deutschland glauben,<br />
dass Produkte unfertig auf den Markt kommen,<br />
dann muss man schon hellhörig werden.<br />
Das ergab zumindest das Trust Barometer der<br />
PR-Firma Edelman.<br />
Neues und damit eine Veränderung ist also nicht<br />
immer gleich eine Innovation und stärkt oftmals<br />
gar nicht die Marke, denn Neues ist nicht<br />
unbedingt auch Nützliches. Was ist dann aber<br />
eine Innovation, und wie können Innovationen<br />
für Marken genutzt werden?<br />
Die Marke als eine nutzenstiftende Erfindung<br />
Innovation ist vom lateinischen Verb innovare<br />
(erneuern) abgeleitet. In der Umgangssprache<br />
wird der Begriff im Sinne von neuen Ideen<br />
und Erfindungen und für deren wirtschaftliche<br />
Umsetzung verwendet. Im engeren Sinne resultieren<br />
Innovationen erst dann aus Ideen, wenn<br />
diese in neue Produkte, Dienstleistungen oder<br />
Verfahren umgesetzt werden, die tatsächlich<br />
erfolgreiche Anwendung finden und den Markt<br />
durchdringen (Diffusion).<br />
Innovation hat also vor allem etwas mit Erfindung<br />
zu tun. Eine Erfindung ist wiederum eine<br />
schöpferische Leistung, durch die eine neue<br />
Problemlösung ermöglicht wird. Von Erfindungen<br />
wird besonders oft im Zusammenhang<br />
mit technischen Problemlösungen gesprochen,<br />
etwa von der Erfindung des Motors oder des<br />
Dynamits.<br />
Was hat nun eine Innovation mit einer Marke zu<br />
tun? Marken entstehen vor allem aus der Wahrnehmung<br />
eines neuen Produktes, das sich einen<br />
"Logenplatz" im Kopf von Menschen erobert<br />
hat. Denn Marken sind das Ergebnis einer kommunizierten<br />
Erfindung, indem Unternehmen<br />
ein relevantes Kundenproblem innovativ, also<br />
mit neuen Verfahren, Produkten oder Dienstleistungen,<br />
lösen. Aber nicht jede Erfindung<br />
erzeugt eine neue Kundschaft und damit eine<br />
neue Marke. Voraussetzung ist, dass die Innovation<br />
sich nicht nur in der Qualität der Produkte<br />
darstellt, sondern vor allem den Nutzen für den<br />
Kunden erhöht, also die Fähigkeit besitzt, Bedürfnisse<br />
zu erzeugen oder Bedürfnisse besser<br />
zu befriedigen.<br />
Das drückt sich im sogenannten Innovationsgrad<br />
aus. Ist dieser zu niedrig, floppt die Innovation.<br />
Das ergab auch die oben angeführte Studie<br />
von GfK und Serviceplan: 53 Prozent der neuen<br />
Produkte hatten aus Verbrauchersicht nur einen<br />
geringen Innovationsgrad. Neuprodukte mit<br />
hohem und mittlerem Innovationsgrad hätten<br />
dagegen eine nahezu doppelt so hohe Erfolgschance.<br />
Neueinführungen müssen deshalb<br />
stets den Neuigkeitswert hervorheben sowie die<br />
Qualität und den Nutzen, den der Käufer davon<br />
hat. Denn 75 Prozent der Käufer schätzten neue<br />
Produkte nur, sofern die Qualität und Leistung<br />
verbessert sind. Sind sie nach dem ersten Kauf<br />
enttäuscht, sind sie als Kunde verloren. Weitere<br />
Werbebemühungen sind vergebens.<br />
Innovationen können deshalb nur für Marken<br />
genutzt werden, wenn sie ein signifikantes Problem<br />
mit innovativen Produkten, Technologien<br />
oder Dienstleistungen lösen und damit den<br />
Kunden einen relevanten Nutzen stiften. Den<br />
Kunden damit im übertragenen Sinne innovieren,<br />
sein Verhalten zu ändern.<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
59
Reputationsrisiken<br />
Das Unternehmen als Innovator<br />
Nun könnte man der Meinung sein, dass die<br />
Entwicklung von Innovationen von den Kunden<br />
ausgeht. Man braucht diese nur geschickt befragen<br />
und schon hat man die richtigen Hinweise<br />
und baut daraus schnell ein tolles Konzept, das<br />
reibungslos funktioniert. Kundenorientierung<br />
ist hier das neue Zauberwort. Diesen Weg gehen<br />
heute einige Unternehmen – man spricht hier<br />
von „Open Innovations“, die aktive strategische<br />
Nutzung der Außenwelt zur Vergrößerung des<br />
Innovationspotenzials. Das kann man durchaus<br />
machen, sollte dabei aber die folgende Erkenntnis<br />
nicht vergessen:<br />
Der Ausgangspunkt von Innovationen ist per se<br />
nicht die Kundschaft, sondern das Unternehmen,<br />
idealerweise mit einem starken Unternehmer,<br />
der die Innovation bei den anvisierten<br />
Kunden durchsetzt, denn diese stehen dem<br />
Neuen im Wesentlichen mit Misstrauen gegenüber<br />
(siehe GfK, Innovationsneigung 2004-<br />
2015). Das hatte auch Steve Jobs, der Gründer<br />
von Apple, erkannt, als er 1982 sagte „Die Kunden<br />
wissen gar nicht, was sie wollen, bis wir es<br />
ihnen zeigen“. Innovationen müssen also neue<br />
Kunden und damit einen neuen Markt erschaffen.<br />
Unter diesem Gesichtspunkt ist das Entstehen<br />
einer Marke immer das Ergebnis einer<br />
Innovation.<br />
Letztendlich geht es also darum den Kunden<br />
zu innovieren, also neue Bedürfnisse den Konsumenten<br />
anzuerziehen. Denn Innovationen<br />
müssen nicht einem bestehenden Markt dienen,<br />
sondern einen neuen Markt schaffen. Das<br />
betrifft zum einen die Erfindung einer neuen<br />
Marke mit einem innovativen Produkt und zum<br />
anderen der Innovierung einer Marke mit einem<br />
neuen oder verbesserten Produkt.<br />
Eine Innovation ist also nur sinnvoll, wenn sie<br />
ein signifikantes Problem neu löst, dadurch<br />
Menschen begeistert und einen neuen Markt<br />
mit einer neuen Marke schafft oder bestehende<br />
Kunden noch fester an eine schon bestehende<br />
Marke bindet. Eine Innovation, die aus einer<br />
neuen technischen Möglichkeit entspringt und<br />
deshalb nur den Entwicklungsingenieur begeistert<br />
und nicht den Kunden, wäre eine sinnlose<br />
Neuerung, denn sie würde ja die Marke nicht<br />
stärken.<br />
Innovation durch Markentransfer<br />
Die erfolgreichste Strategie zur Einführung eines<br />
innovativen Produktes zur Stärkung einer<br />
Unternehmens- oder Produktmarke ist der Einsatz<br />
einer Markentransfer-Strategie. Der Vorteil:<br />
Man nutzt die bestehende Marke und die<br />
von ihr aufgebaute Brand Equity und stellt das<br />
neue Produkt unter das bestehende Markendach.<br />
Dabei bestehen zwei Möglichkeiten diese<br />
Innovationsstrategie umzusetzen: durch Markenerweiterung<br />
(Brand Extension) oder durch<br />
Produkterweiterung (Line Extension).<br />
Mit einer Brand Extension übertragen Sie Ihre<br />
bestehende Marke auf die von Ihnen eingeführte<br />
neue Produktart. Ihr Unternehmen geht mit<br />
seiner bestehenden Marke demzufolge auf ein<br />
neues Produktsegment über.<br />
Auf Dauer kann jedoch ein nicht zu unterschätzendes<br />
Risiko auftreten: eine Markenverwässerung<br />
durch Überdehnung der Markenkompetenz<br />
durch zu viele neue Produktkategorien und<br />
dem Ergebnis der Zunahme von Komplexität in<br />
der Markenwahrnehmung. Denn je mehr Produktarten<br />
Sie mit Ihrem Markentransfer anbieten,<br />
desto schwieriger wird es für Ihre Kunden,<br />
sich bei dieser breiten Auswahl für ein Produkt<br />
zu entscheiden.<br />
Entscheiden Sie sich für die Strategie der Line<br />
Extension, gehen Sie nicht so umfassend vor wie<br />
mit einer Markenerweiterung, da Sie Ihre bestehende<br />
Marke zwar in einem neuen Kundensegment,<br />
jedoch in der gleichen Produktgattung<br />
vermarkten.<br />
Die Overstretching-Falle<br />
Markenüberdehnungen aus Gier oder Missmanagement<br />
sind heute jedoch nicht die Ausnahme,<br />
sondern leider die Regel. Ehemals trendige<br />
Marken wie Esprit, die Surfermarke Chiemsee<br />
oder die Young Fashion-Marke Miss Sixty sind<br />
völlig out, da sie ihre Einzigartigkeit verloren<br />
haben. Esprit landete auf den Wühltischen von<br />
Penny und Lidl. Und selbst eher biedere Marken<br />
wie S.Oliver oder Tom Tailor laufen Gefahr, in<br />
die „Overstretching-Falle“ zu treten. Sie haben<br />
ihre Einzigartigkeit bereits gegen Größe eingetauscht:<br />
In nahezu jeder deutschen Einkaufsstraße<br />
bieten die beiden Wettbewerber heute<br />
60 Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de
Reputationsrisiken<br />
ihre weitgehend austauschbaren Kollektionen<br />
an – und versuchen verzweifelt den Kunden mit<br />
einer Billigstrategie in die Läden zu locken.<br />
Innovationen müssen sich jedoch nicht ausschließlich<br />
in neuen Produkten darstellen,<br />
die sich dann zu Marken entwickeln, sondern<br />
können auch bestehende Produkte verbessern,<br />
sich also in neuen Qualitäten darstellen und so<br />
den Kundennutzen erhöhen. Das vermindert<br />
nicht nur die Komplexität im Sortiment, sondern<br />
erhöht auch die Kaufbereitschaft und Markentreue.<br />
Voraussetzung ist jedoch, dass der<br />
nutzenorientierte Leistungssinn der Markenprodukte<br />
nicht verloren geht. Steht jedoch der<br />
Profit und nicht der Nutzen im Fokus wird das<br />
Vertrauen in die Markenleistung mit dem Ergebnis<br />
beschädigt, dass die Markentreue weiter<br />
abnimmt: So wäre es laut einer Studie von Havas<br />
Media (Meaningful Brands 2015) der Mehrheit<br />
der Menschen weltweit egal, wenn 74 Prozent<br />
der Marken verschwinden würden. 2011 waren<br />
es noch 71 Prozent, 2013 schon 73 Prozent.<br />
Innovation durch neue Positionierung<br />
Marken wachsen nicht durch Produkte, sondern<br />
durch Kunden. Eine Erkenntnis, die heute<br />
oftmals vergessen wird. Und eine der zentralen<br />
Ursachen für eine überbordende Flut an neuen<br />
Produkten, die zudem oftmals keinen neuen<br />
Nutzen stiften, sondern vom Kunden oft als ein<br />
„Mehr vom Gleichen“, also als austauschbar,<br />
wahrgenommen werden.<br />
Starke Marken verzichten deshalb auf nutzlose<br />
Innovationen, die nicht aus der einzigartigen<br />
Kultur der Marke entwickelt werden und ihre<br />
authentische Identität verwässern. Sie kultivieren<br />
vielmehr ihren selbstähnlichen eigenen<br />
Stil, dem sie treu bleiben und nutzen das bereits<br />
im Kopf der Menschen verankerte Bild von der<br />
Identität der Marke.<br />
Foto: Kwangmoo / Fotolia.com<br />
Das Fazit<br />
Unternehmen, die nicht wissen, für was ihre<br />
Marke steht und warum Menschen ihre Markenprodukte<br />
kaufen sollen, laufen schnell in<br />
das existenzbedrohende Risiko der überbordenden<br />
Komplexität: Der Entwicklung immer neuer,<br />
aber sinnloser Produkte, die mit Sicherheit<br />
als teure Flops enden. Steht dann noch als zentrales<br />
Motiv nicht der Kundennutzen, sondern<br />
der Profit im Fokus, weshalb die Produktzyklen<br />
immer kürzer und die Qualität immer schlechter<br />
wird, ist dem Unternehmen leider keine lange<br />
Lebensdauer beschert.<br />
Wenn also Innovationen nicht den Nutzensinn<br />
der Marke kultivieren oder neue Produkte die<br />
Wahrnehmungskomplexität beim Kunden erhöhen,<br />
schwächen sie die Marke mit folgendem<br />
Ergebnis: Die Kaufbereitschaft der Kunden sinkt<br />
und die emotionale Bindung der Kunden an die<br />
Marke geht verloren. Das Unternehmen verliert<br />
damit seine einzige Wertschöpfungsquelle und<br />
schlittert in den Bankrott.<br />
Markenstärkende Innovationen sind dagegen<br />
immer aus dem Nutzensinn der Marke hergeleitet<br />
und auf die Erhöhung des Kundennutzens<br />
ausgerichtet. Das betrifft vor allem die Innovierung<br />
der Produkte, aber auch die Innovierung<br />
der Werbung, der Distribution oder der Preise.<br />
Innovationen aus einem fehlgeleiteten Markenverständnis,<br />
zur Befriedigung der Bedürfnisse<br />
der Mitarbeiter oder Partner, aus Technikgläubigkeit<br />
oder aus Profitgier führen dagegen immer<br />
zur Schwächung der Marke.<br />
Eine zentrale Erkenntnis sollte aber nicht vergessen<br />
werden: Der Mensch will nicht das Neue,<br />
sondern das Vertraute besser oder sogar unverändert.<br />
Absolut Neues muss demnach erst einmal<br />
den Kunden innovieren, sein Verhalten zu<br />
verändern, was oftmals gar nicht möglich ist.<br />
Und da Innovationen nicht nur auf der Produktebene<br />
möglich sind, haben Unternehmen viel<br />
mehr Möglichkeiten ihren Kunden zu begeistern.<br />
f<br />
Der Text ist im Original auf risknet.de erschienen.<br />
Ausgabe 7 | <strong>Mai</strong> <strong>2017</strong> | Umweltdialog.de<br />
61
<strong>Globale</strong> <strong>Risiken</strong><br />
Zu guter Letzt<br />
Second Hand-<br />
Kleidung schützt<br />
Wasserressourcen<br />
Rund 4.020 Liter Wasser am Tag verbrauchen<br />
die Deutschen pro Kopf. Nur 120 Liter davon<br />
sind direkter Wasserverbrauch, der Rest entsteht<br />
unter anderem durch Bewässerung in<br />
der Landwirtschaft und die Kühlung von Industrieanlagen.<br />
Dieses sogenannte virtuelle<br />
Wasser lässt sich durch einen nachhaltigen<br />
Lebensstil zum Teil einsparen, so der Rat für<br />
Nachhaltige Entwicklung.<br />
Sehr hoch ist der Wasserverbrauch mitunter<br />
in der Bekleidungsindustrie, da der Anbau<br />
von Baumwolle einen enormen Wassereinsatz<br />
verlangt. Bei der Herstellung einer<br />
Jeans werden beispielsweise rund 11.000 Liter<br />
Wasser verbraucht. Dadurch besteht die<br />
Gefahr, dass Gewässer in den Anbaugebieten<br />
versiegen. Dabei ist es unerheblich, ob<br />
die Baumwolle aus kontrolliert biologischem<br />
oder konventionellem Anbau stammt. Diesen<br />
Umweltauswirkungen können Verbraucherinnen<br />
und Verbraucher entgegenwirken, indem<br />
sie in Second-Hand-Geschäften oder auf<br />
Flohmärkten einkaufen und Kleidungsstücke<br />
möglichst lange tragen. Schadhafte Kleidung<br />
lässt sich ausbessern oder durch kreatives<br />
Umarbeiten, das sogenannte Upcycling, als<br />
neues Kleidungsstück weiternutzen. f<br />
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rund um die Themen Nachhaltigkeit<br />
und Corporate Social Responsibility.<br />
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