Cruiser Winter 2013/ Januar 2014
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Dossier CRUISER Edition <strong>Winter</strong> 13/14<br />
Hurra, wir leben<br />
noch!<br />
Langzeitwirkungen von<br />
HIV-Therapien sind wenig<br />
erforscht<br />
von Lola Sara Arnold-Korf und<br />
Martin Ender<br />
8<br />
Auch <strong>2013</strong> sind wieder neue<br />
HIV-Medikamente auf den<br />
Markt gekommen. Dank ihnen<br />
können Infizierte älter<br />
werden. Dennoch gibt’s am<br />
Welt-Aids-Tag keinen Grund,<br />
in ein Hurra auszubrechen.<br />
Denn die Zahl der HIV-Neuinfektionen<br />
will nicht sinken,<br />
und Langzeitwirkungen sind<br />
noch unklar.<br />
1981 veröffentlichte Johannes Mario Simmel<br />
den Roman «Hurra, wir leben noch». Zwei Jahre<br />
später wurde der Romanstoff verfilmt, der in<br />
der Nachkriegszeit spielt und nach überlebten<br />
Kriegskatastrophen die Aufstiegsmentalität der<br />
Wirtschaftswunderjahre beschreibt. 1984 kam<br />
die Titelmelodie auf einer Single heraus: gesungen<br />
von Milva, einer der Schwulen-Ikonen<br />
der damaligen Zeit. Ihr Song «Hurra, wir leben<br />
noch» wurde zum Synonym<br />
für alle Katastrophen und<br />
Widerwärtigkeiten, die<br />
man «überlebte».<br />
Doch genau ab Mitte<br />
der 80er-Jahre<br />
überlebten sehr<br />
viele die Katastrophe<br />
Aids<br />
nicht.<br />
Erst<br />
seit<br />
gut einem<br />
Jahrzehnt<br />
k ö n n e n<br />
HIV-Positive<br />
mit gedämpftem<br />
Optimismus<br />
den Milva-<br />
Refrain wieder<br />
mitsingen.<br />
Die scheinbar gute<br />
Nachricht lautet nämlich:<br />
Seit den 90er-Jahren<br />
wird die tödliche<br />
Schneise, die sich im Jahrzehnt davor durch<br />
die Szene zog, schmaler. Patienten können auf<br />
eine höhere Lebenserwartung hoffen – nicht<br />
aber ohne negative Begleiterscheinungen. Die<br />
schlechte Nachricht: Auch nach 25 Jahren<br />
Schweizer HIV-Kohortenstudie (1988-<strong>2013</strong>) mit<br />
freiwilligen Teilnehmern, HIV-Infizierten und<br />
Aids-Kranken gibt es nur wenige nennenswerte<br />
Forschungsergebnisse zur Langzeitwirkung der<br />
HIV-Therapie. Die schockierende Nachricht: Ansteckende<br />
Geschlechtskrankheiten steigen rasant<br />
an, und HIV-Neuinfektionen werden nicht<br />
weniger. Ansteckungen mit Hepatitis-C-Viren<br />
und Syphilis-Bakterien erreichen seit 2011 Spitzenwerte.<br />
Langzeitwirkungen noch unklar<br />
Bis heute lassen sich nicht alle Nebenwirkungen<br />
der HIV-Therapie behandeln, und niemand<br />
kann klare Aussagen zu Langzeitwirkungen<br />
der Therapie treffen. «Das ist ein Gebiet, wo wir<br />
noch lange forschen müssen», sagte Prof. Dr. H.<br />
Günthard während eines Wissensaustauschs<br />
Mitte November <strong>2013</strong>. Einiges ist jedoch dank<br />
der Schweizer Kohortenstudie bekannt: beispielsweise<br />
zum Thema Langzeittoxizität bei<br />
Organen (Nieren, Herz), Hirnfunktionen,<br />
Knochen und Stoffwechselfunktionen.<br />
«Im Vergleich zu Nichtinfizierten ist<br />
die Zahl von Herz- und Schlaganfällen<br />
deutlich höher. Auch neurologische<br />
Störungen und Knochenbrüche treten<br />
bei HIV-Patienten im Alter häufiger<br />
auf», so Oberärztin Dr. Kovari<br />
vom Universitätsspital Zürich.<br />
Eine komplette Heilung von HIV<br />
wird es in den nächsten Jahren<br />
nicht geben. «Schlafend infizierte<br />
Zellen können wir nicht<br />
auslöschen», so Dr. Günthard. Das<br />
Problem, ein latentes Reservoir an<br />
Viren in einzelnen Zellen, bleibt bestehen.<br />
Doch auch ohne Aussicht auf<br />
Heilung ist es zunächst erfreulich,<br />
dass seit dem ersten Medikament<br />
AZT im Jahr 1987 fast 30 weitere<br />
Medikamente in der Schweiz zugelassen<br />
wurden und damit<br />
die Lebenserwartung markant<br />
stieg. David Haerry<br />
vom Positiv-Rat weiss<br />
aber auch zu berichten,<br />
dass antiretrovirale<br />
Medikamente<br />
mit<br />
ganz wenigen<br />
Ausnahmen<br />
beschleunigt<br />
zugelassen wurden.<br />
Er sieht darin<br />
mit eine Ursache<br />
des begrenzten Wissensstands<br />
in punkto