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COMPACT Magazin 6-2017

Jagd auf Naidoo - Zensur in Deutschland

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<strong>COMPACT</strong> Titelthema<br />

Sprachzensur<br />

In den USA sprechen Dozenten<br />

seit einiger Zeit sogenannte Triggerwarnungen<br />

vor Texten aus,<br />

die ihre Studenten in irgendeiner<br />

Weise psychisch verletzen könnten.<br />

In Harvard forderten Studenten,<br />

dass ein Kurs über die<br />

juristischen Aspekte von Vergewaltigungen<br />

abgesagt wird.<br />

Das Wort «Vergewaltigung» sei<br />

gänzlich zu vermeiden. Am Oberlin<br />

College knöpften sie sich die<br />

Literatur vor: F. Scott Fitzgeralds<br />

Der große Gatsby enthalte frauenfeindliche<br />

Passagen, Chinua<br />

Achebes Roman Alles zerfällt<br />

zeige rassistische Gewalt. Kein<br />

Wunder: Das Buch schildert die<br />

Kolonialzeit in Nigeria. Sehen<br />

wir solcherlei politisch korrekte<br />

Säuberungen demnächst auch<br />

an deutschen Universitäten?<br />

«Eine Debatte darüber gibt es<br />

derzeit in den Gender Studies,<br />

der Amerikanistik und der Europäischen<br />

Ethnologie», zitierte<br />

die Taz die Professorin für Nordamerikanische<br />

Literatur- und<br />

Kulturwissenschaft Eva Boesenberg<br />

im Oktober 2016.<br />

Bild links: Auch der Berliner Professor<br />

Jörg Baberowski ist ins Visier<br />

der linksradikalen Tugendwächter<br />

geraten. Mit dem rechts abgebildeten<br />

Aufruf hetzte der AStA der Universität<br />

Bremen gegen eine Lesung<br />

des Historikers. Foto: picture alliance<br />

/ Sven Simon; Screenshot<br />

AStA Bremen<br />

Der Schritt von der Denunziation zur Gewalt gegen<br />

Andersdenkende ist klein: Am 12. Januar <strong>2017</strong><br />

lud die AfD-nahe Campus Alternative zu einem Vortrag<br />

an der Uni Magdeburg ein. Wie jeder anderen<br />

studentischen Vereinigung hatte die Universitätsleitung<br />

auch ihr dafür einen Hörsaal genehmigt. Doch<br />

die Veranstaltung konnte nicht stattfinden: 400<br />

selbsternannte Antifaschisten hatten den Raum<br />

besetzt. Die Magdeburger Volksstimme berichtete,<br />

dass auf den AfD-Landesvorsitzenden André Poggenburg<br />

ein Böller geworfen wurde. Bei der folgenden<br />

Rangelei wurde ein Parteimitglied verletzt.<br />

Schließlich erschienen 30 Polizeibeamte – allerdings<br />

nicht, um die Redefreiheit zu verteidigen, sondern<br />

nur, um die Bedrohten sicher hinauszueskortieren.<br />

«Als die AfD mit Polizeibegleitung abziehen<br />

muss, reißt Dekan Michael Dick jubelnd die Arme<br />

empor», berichtet die Mitteldeutsche Zeitung. «Unsere<br />

Studierenden zeigen Flagge und Haltung. Darauf<br />

bin ich stolz», verklärte er den Meinungsterror<br />

gegenüber dem Blatt.<br />

Bildungsziel Konformismus<br />

Die Mehrheit der Studenten ist während der Vorlesungen<br />

mehr mit dem eigenen Facebook-Profil beschäftigt<br />

als mit dem Erfassen angeblicher Nazi-<br />

Allüren der Dozenten. Doch dass die postmodernen<br />

Jungakademiker, im Gegensatz zu denen der<br />

frühen 1930er Jahre, den Extremisten nicht folgen,<br />

hilft nicht viel: Die spiegelverkehrten Faschisten von<br />

heute nutzen die Passivität ihrer Kommilitonen aus,<br />

um sich als deren Avantgarde zu inszenieren.<br />

Die Lethargie der Masse hat ihren Grund. Lange<br />

bevor die politisch korrekte Überdosis Universitäten<br />

endgültig in Sperrbezirke für kritisches Bewusstsein<br />

verwandelte, hatten die Fakultäten bereits jeden<br />

Anspruch auf ein aufklärerisches Bildungsideal<br />

im Kantschen Sinne aus dem Fenster geworfen. Hatte<br />

es in der Vergangenheit zu den Kernaufgaben des<br />

höheren Bildungssystems gehört, «die Studierenden<br />

nicht nur für ihr Funktionieren im Beschäftigungssystem<br />

zu qualifizieren, sondern auch ihr kritisches<br />

Analysevermögen zu fördern», so der Politikwissenschaftler<br />

Bodo Zeuner in seiner 2007 vorgetragenen<br />

Abschiedsvorlesung, werde heute mit aller<br />

Kraft versucht, «Geist zur Ware zu machen». Diese<br />

«Wissensdressur zur Unmündigkeit», wie es der Philosoph<br />

Reinhardt Brandt in seiner Abrechnung Wozu<br />

noch Universitäten? umschreibt, stellt für das BRD-<br />

Regime stets neues Wählerarsenal bereit. Schon<br />

1946 hatte Jaspers gewarnt: «Für die totale Herrschaft<br />

ist Wissenschaft, soweit sie brauchbar ist,<br />

ein Machtmittel.» Statt Institutionen der Wahrheitsfindung<br />

erlaube sie «nur Schulungsanstalten für gelernte<br />

Arbeiter (…) und für Funktionäre».<br />

Der Schritt von der Denunziation<br />

zur Gewalt gegen Andersdenkende<br />

ist kurz.<br />

Professoren waren schon immer dem Beamtenrecht,<br />

das Loyalität gegenüber dem Dienstherr vorsieht,<br />

unterworfen: Eine Hand wäscht die andere.<br />

Doch diese Loyalität war früher auf die Anerkennung<br />

der freiheitlich-demokratischen Ordnung gegründet.<br />

Nachdem die Regierenden aber diese Ordnung<br />

geschreddert haben und die marktkonforme<br />

Mutation den Studenten den kritischen Geist ausgetrieben<br />

hat, ist ein Meinungsklima entstanden,<br />

das auch die couragiertesten Dozenten in Reih und<br />

Glied zwingt. Dauerbefristete Arbeitsverhältnisse<br />

sind als Druckmittel besser geeignet als unkündbare<br />

Beamtenschaft. Die Devise lautet: Passe Dich<br />

dem Zeitgeist an – oder geh zum Jobcenter!<br />

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