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Ostbayern-Kurier Juni 2017 (Süd-Ausgabe)

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18<br />

18 <strong>Ostbayern</strong> Kreis Schwandorf<br />

www.ostbayern-kurier.de<br />

Pflegekräfte: „Mit einem stummen Gebet,<br />

Keine Zeit für Hygiene, im Stress vergessene Medikamentengabe, aus Zeitnot fingierte Eintragungen in den<br />

Eine große Demonstration am 17. <strong>Juni</strong> in Regensburg soll die Öffentlichkeit auf die prekäre Lage der Pflegekräfte aufmerksam machen und sie für die<br />

Belange der Patienten sensibilisieren.<br />

<strong>Ostbayern</strong>. Erika ist gut in<br />

ihrem Job. Sie macht ihn<br />

auch schon seit 15 Jahren.<br />

Wenn sie morgens um 5.30<br />

Uhr auf den Parkplatz der<br />

großen Klinik mitten in der<br />

Oberpfalz einbiegt, hat sie<br />

dennoch Angst vor dem<br />

bevorstehenden Dienst.<br />

Schon die Nacht über hat<br />

sie schlecht geschlafen. Und<br />

viele Nächte zuvor. Sie weiß:<br />

trotz aller Erfahrung und<br />

ihres großen Talents für den<br />

Beruf der Krankenschwester<br />

steht sie vor einer schier<br />

unlösbaren Aufgabe.<br />

Große Katastrophe?<br />

„Du löst die Probleme dann<br />

halt doch irgendwie. Und<br />

bist dir aber nie sicher, ob<br />

es auch morgen wieder<br />

hinhaut. Oder ob es zu einer<br />

großen Katastrophe kommt.<br />

Das schlaucht dich einfach.<br />

Du schaltest keine Minute<br />

mehr ab, auch nicht nach<br />

Feierabend“, sagt Erika. Und<br />

erzählt von diesem Frühdienst.<br />

Stichpunktartig, im<br />

Stakkato. Wie gehetzt, auf<br />

der Flucht. Wir sitzen in einem<br />

kleinen Café, Erika rührt<br />

in der Tasse. Immer wieder<br />

blickt sie sich um – was sie<br />

mir jetzt aus ihrem Berufsalltag<br />

erzählen wird, kann sie<br />

den Kopf kosten. Wenn ihre<br />

Vorgesetzten erfahren, wer<br />

da „geplaudert“ hat.<br />

Zwölf geriatrische Menschen<br />

warten morgens auf Erika.<br />

Die Begrüßung verkommt<br />

zum stereotypen, hastigen<br />

Ritual. Waschen, mobilisieren,<br />

anziehen. Die Uhr tickt.<br />

In 45 Minuten kommt das<br />

Frühstück, dann müssen alle<br />

fertig sein. „Du läufst und<br />

läufst und läufst, aber die<br />

Uhr ist immer schneller.“<br />

„Werden sonst nicht fertig”<br />

Erika wirkt müde. Die Ganzkörperpflege,<br />

die für die<br />

Pflegebedürftigen eigentlich<br />

angesagt wäre, ist in diesem<br />

Rahmen nicht möglich.<br />

„Du kaschierst das bei den<br />

Patienten mit Humor. Du<br />

sagst: Wir waschen heute<br />

nur die beiden Gesichter,<br />

sonst werden wir nicht fertig.<br />

Mundpflege oder Intimpflege<br />

nach geltenden Pflegestandards:<br />

Das geht nur in<br />

Ausnahmefällen.“ Hände<br />

desinfizieren? Nur wenn Zeit<br />

dafür ist…<br />

Wenn Erika oder ihre Kolleginnen<br />

infektiöse Patienten<br />

versorgen müssen, sind<br />

sie dazu angehalten, hygienische<br />

Schutzkleidung<br />

anzulegen. „Machen wir<br />

nicht immer, dauert zu<br />

lange“, sagt Erika, die in<br />

Wirklichkeit anders heißt. Die<br />

Klinikleitung weiß Bescheid,<br />

inoffiziell zumindest, kümmert<br />

sich aber nicht darum,<br />

solange der Laden läuft und<br />

die Zahlen stimmen.<br />

Wer ständig in einem pflegenden<br />

Beruf überfordert<br />

wird, der entwickelt zwangsläufig<br />

entweder Groll auf<br />

seine Schützlinge oder ein<br />

schlechtes Gewissen ihnen<br />

gegenüber – weil der helfende<br />

Mensch dazu neigt, die<br />

Schuld bei sich zu suchen.<br />

Erika gehört zu Letzteren.<br />

Azubis allein gelassen<br />

Schuldig fühlt sie sich auch<br />

gegenüber den Auszubildenden.<br />

„Die Uhr tickt. Statt den<br />

Azubis ordentlich etwas zu<br />

erklären, sagst du einfach:<br />

Das schaffst du schon, und<br />

lässt sie machen, sprichst<br />

ein stummes Gebet, dass<br />

nichts schief geht.“<br />

Herr Mayer (Name geändert)<br />

sitzt halbnackt am Waschbecken,<br />

als Erika von ihrer Kollegin<br />

zu Hilfe gerufen wird.<br />

20 Minuten sind die beiden

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