05 Eisen beim Intensivpatienten
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<strong>Eisen</strong> <strong>beim</strong> <strong>Intensivpatienten</strong><br />
<strong>Eisen</strong> <strong>beim</strong> <strong>Intensivpatienten</strong>:<br />
Ein zweischneidiges Schwert?<br />
Intravenous iron or placebo for anaemia in intensive care: The IRONMAN<br />
multicentre randomized blinded trial: A randomized trial of IV iron in critical illness.<br />
IRONMAN Investigators, Litton E, Baker S, Erber WN, Farmer S, Ferrier J7, French C, et al. Intensive Care Med 2016; 42:1715-1722<br />
PURPOSE: Both anaemia and allogenic red blood cell transfusion<br />
are common and potentially harmful in patients admitted to the intensive<br />
care unit. Whilst intravenous iron may decrease anaemia and<br />
RBC transfusion requirement, the safety and efficacy of administering<br />
iron intravenously to critically ill patients is uncertain.<br />
METHODS: The multicentre, randomized, placebo-controlled,<br />
blinded Intravenous Iron or Placebo for Anaemia in Intensive Care<br />
(IRONMAN) study was designed to test the hypothesis that, in anaemic<br />
critically ill patients admitted to the intensive care unit, early administration<br />
of intravenous iron, compared with placebo, reduces allogeneic<br />
red blood cell transfusion during hospital stay and increases<br />
the haemoglobin level at the time of hospital discharge.<br />
RESULTS: Of 140 patients enrolled, 70 were assigned to intravenous<br />
iron and 70 to placebo. The iron group received 97 red blood cell<br />
units versus 136 red blood cell units in the placebo group, yielding an<br />
incidence rate ratio of 0.71 [95 % confidence interval (0.43-1.18), P<br />
= 0.19]. Overall, median haemoglobin at hospital discharge was significantly<br />
higher in the intravenous iron group than in the placebo<br />
group [107 (interquartile ratio IQR 97-115) vs. 100 g/L (IQR 89-111),<br />
P = 0.02]. There was no significant difference between the groups in<br />
any safety outcome.<br />
CONCLUSIONS: In patients admitted to the intensive care unit who<br />
were anaemic, intravenous iron, compared with placebo, did not result<br />
in a significant lowering of red blood cell transfusion requirement during<br />
hospital stay. Patients who received intravenous iron had a significantly<br />
higher haemoglobin concentration at hospital discharge.<br />
Eine Anämie findet sich häufig bei <strong>Intensivpatienten</strong>,<br />
deren Ursache multifaktoriell<br />
sein kann. Während eine<br />
klassische <strong>Eisen</strong>mangelanämie, meist<br />
aufgrund von akuten oder chronischen<br />
Blutungen sich nur bei 10-30%<br />
der <strong>Intensivpatienten</strong> findet, sind die<br />
häufigsten Anämie-Formen einer Anämie<br />
chronischer Erkrankungen oder<br />
eine Kombination aus Anämie chronischer<br />
Erkrankung und <strong>Eisen</strong>mangelanämie<br />
(Asare K; Pharmacotherapy 2008;<br />
28:1267).<br />
Bei der Anämie chronischer Erkrankungen<br />
kommt es zu einem relativen<br />
<strong>Eisen</strong>mangel, der unter anderem mit<br />
einer Retention von <strong>Eisen</strong> in Zellen des<br />
retikuloendothelialen Systems (Makrophagen)<br />
erklärt werden kann. Das<br />
führt zu einer verminderten Verfügbarkeit<br />
des <strong>Eisen</strong>s für die Häm-Biosynthese<br />
und damit zur Entwicklung<br />
einer Anämie.<br />
Ursächlich sind für diese <strong>Eisen</strong>verteilungsstörung<br />
die zugrundeliegenden<br />
Entzündungsprozesse verantwortlich,<br />
welche über eine vermehrte Produktion<br />
von Zytokinen und des <strong>Eisen</strong>hormons<br />
Hepcidin zu einer Blockade des <strong>Eisen</strong>exports<br />
aus Makrophagen und der <strong>Eisen</strong>aufnahme<br />
aus dem Darm führen.<br />
Darüber hinaus wird die <strong>Eisen</strong>retention<br />
in Makrophagen durch Zytokin-gesteuerte<br />
<strong>Eisen</strong>aufnahme und vermehrte<br />
Phagozytose von Erythrozyten, deren<br />
Halbwertszeit durch die Bildung<br />
von Radikalen und nachfolgende Lipidperoxidation<br />
von Membranen reduziert<br />
wird, weiter erhöht (Weiss G;<br />
N Engl J Med 20<strong>05</strong>; 352:1011).<br />
Ein klassischer Vitaminmangel (wie<br />
B12 oder Folsäure) liegt einer Anämie<br />
bei <strong>Intensivpatienten</strong> selten zugrunde;<br />
inwieweit eine Vitamin D-Defizienz zu<br />
einer Anämie bei <strong>Intensivpatienten</strong> beitragen<br />
kann, ist derzeit ungeklärt, zumal<br />
Vitamin D wesentliche Einflüsse<br />
auf die Regulation des <strong>Eisen</strong>hormons<br />
Hepcidin hat. Darüber hinaus spielen<br />
auch das Vorhandensein einer Niereninsuffizienz,<br />
sowie begleitende Medikation<br />
für die Entwicklung einer Anämie<br />
mitunter eine begleitende Rolle.<br />
Ferner ist auch zu beachten, dass repetitive<br />
Blutabnahmen, wie sie auf einer<br />
Intensivstation üblich sind oder Blutverlust<br />
durch interventionelle Maßnah-<br />
Nr. 3, 2017 17
<strong>Eisen</strong> <strong>beim</strong> <strong>Intensivpatienten</strong><br />
men (z. B. Hämo-Filtration) wesentlich<br />
zur Aggravierung einer Anämie an<br />
der Intensivstation beitragen können.<br />
Da Anämie und insbesondere ein <strong>Eisen</strong>mangel<br />
zu einer Reduktion der<br />
kardiovaskulären Sauerstoffausschöpfung<br />
und damit zur Verschlechterung<br />
von kardiovaskulären und chronischen<br />
Lungenerkrankungen führen können,<br />
stellte sich die Frage, inwieweit die<br />
Korrektur einer Anämie einen Benefit<br />
für den Patienten darstellt.<br />
Hierbei führten Untersuchungen bei<br />
Patienten mit akuten gastrointestinalen<br />
Blutungen und therapeutischem<br />
Ausgleich der Anämie zu einem völligen<br />
Umdenken. In einer Landmark-<br />
Studie wurde nämlich gezeigt, dass eine<br />
liberale Applikation von Erythrozyten-<br />
Konzentraten bei Patienten nach gastrointestinalen<br />
Blutungen an der Intensivstation<br />
mit einer signifikant höheren<br />
Mortalität assoziiert war als eine restriktive<br />
Transfusionspolitik (OR bei restriktiver<br />
Transfusionspolitik hinsichtlich<br />
Mortalität 0,55) (Villanueva C; N<br />
Engl J Med 2013; 386:11; siehe auch Intensiv-News<br />
2013, Heft 3).<br />
Diese Studie bestätigte eine frühere<br />
Analyse, die zeigte, dass die Applikation<br />
von Transfusionen mit einem signifikant<br />
erhöhten Risiko für schwere<br />
Wundinfektionen (OR 3,21) assoziiert<br />
war (Talbot TR; Clin Infect Dis 2004;<br />
38:1378). Inwieweit diese Effekte auf<br />
immunmodulierende Mechanismen<br />
durch die korpuskulären Bestandteile<br />
von Transfusionen zurückzuführen<br />
sind oder ob hierbei die Freisetzung<br />
von <strong>Eisen</strong> aus Transfusionen eine Rolle<br />
spielt, bleibt unklar.<br />
Für <strong>Eisen</strong> ist bekannt, dass eine vermehrte<br />
Verfügbarkeit in einem Setting<br />
mit erhöhter Pathogenexposition<br />
mit einem erhöhten Infektionsrisiko<br />
assoziiert ist, weil <strong>Eisen</strong> ein wesentlicher<br />
Wachstumsfaktor für viele Mikroben<br />
ist und immunmodulierende Einflüsse<br />
ausübt (Sazawal S; Lancet 2006;<br />
367:133; Soares MP; EMBO Reports<br />
2015; 16:1482).<br />
18<br />
Das war mit ein Grund für die kürzlich<br />
in Intensive Care Medicine publizierte<br />
IRONMAN-Studie, welche in einem<br />
randomisierten, Placebo-kontrollierten<br />
Protokoll die klinischen Effekte<br />
einer Applikation von intravenösem<br />
<strong>Eisen</strong> mit Placebo bei <strong>Intensivpatienten</strong><br />
mit Anämie verglich (IRONMAN<br />
Investigators; Intensive Care Med 2016;<br />
42:1715).<br />
In dieser multizentrischen Studie wurden<br />
insgesamt 140 Patienten eingeschlossen,<br />
wovon 70 intravenöses <strong>Eisen</strong><br />
und 70 Placebo erhielten.<br />
Bei den Patienten, die intravenöses<br />
<strong>Eisen</strong> erhielten, zeigte sich ein Trend<br />
zu einem geringeren Bedarf von Blutkonserven<br />
(OR 0,71; nicht signifikant).<br />
Darüber hinaus fand sich bei den Patienten,<br />
die <strong>Eisen</strong> erhalten hatten, bei der<br />
Entlassung von der Intensivstation ein<br />
signifikant höherer Hämoglobinwert.<br />
Kein Unterschied fand sich hinsichtlich<br />
der Dauer des Intensiv- oder<br />
Hospitalsaufenthaltes zwischen beiden<br />
Gruppen. Hinsichtlich des Auftretens<br />
von nosokomialen Infektionen<br />
wurden diese bei 28,6% der Patienten<br />
mit intravenösem <strong>Eisen</strong> und 22,9% der<br />
Placebo-behandelten Patienten festgestellt<br />
(OR 1,25; nicht signifikant).<br />
Auch gab es keinen Unterschied hinsichtlich<br />
des Auftretens von SAEs (severe<br />
advers events) nach Applikation<br />
von Placebo oder <strong>Eisen</strong>.<br />
Letztendlich zeigt diese Studie, dass<br />
die Applikation von intravenösem <strong>Eisen</strong><br />
bei Patienten auf der Intensivstation<br />
wohl nur im Ausnahmefall einen<br />
Benefit bringen könnte.<br />
Kritisch anzumerken ist bei dieser Studie,<br />
dass die Ursache und/oder Art der<br />
Anämie bei Patienten mit und ohne<br />
<strong>Eisen</strong>gabe aus der Publikation nicht<br />
hervorgeht, wir also nicht wissen, ob<br />
eine Patientengruppe besonders oder<br />
nicht von einer intravenösen <strong>Eisen</strong> gabe<br />
profitiert hat.<br />
Letztendlich ist die genaue Diagnose<br />
der Ursache einer Anämie Grundvoraussetzung<br />
für die richtige Behandlung,<br />
weshalb die Differenzierung zwischen<br />
Anämie chronischer Erkrankungen,<br />
<strong>Eisen</strong>mangelanämie und der<br />
Kombination von beiden eine Grundvoraussetzung<br />
vor Einleitung einer<br />
Therapie sein sollte (Weiss G; Semin<br />
Hematol 2015; 52:313).<br />
Aus meiner Sicht erscheint eine Applikation<br />
von <strong>Eisen</strong> am ehesten bei Patienten<br />
sinnvoll, die eine wahre <strong>Eisen</strong>mangelanämie<br />
haben, da hier der beste<br />
Benefit durch die unmittelbare Gabe<br />
von <strong>Eisen</strong>, vor allem hinsichtlich der<br />
Förderung von Stoffwechselvorgängen<br />
und mitochondrialer Respiration, zu<br />
erwarten ist.<br />
Einschränkend ist allerdings zu sagen,<br />
dass aufgrund der Assoziation von <strong>Eisen</strong>applikation<br />
und Infektionen eine<br />
<strong>Eisen</strong>gabe bei aktiven bzw. unkon trollierten<br />
Infektionen derzeit als kontraindiziert<br />
anzusehen ist.<br />
Auch ist die Gabe von intravenösem<br />
<strong>Eisen</strong> im nicht-palliativen Setting bei<br />
Patienten mit Tumorerkrankungen<br />
kritisch zu hinterfragen, da ein übermäßiges<br />
Angebot von <strong>Eisen</strong> Tumorwachstum<br />
fördern kann und retrospektive<br />
Analysen dies nahelegen, allerdings<br />
ist hier einschränkend zu<br />
bemerken, dass es keinerlei prospektive<br />
Studien gibt, die eine Assoziation<br />
von <strong>Eisen</strong>applikation und Tumorprogression<br />
oder Tumorwachstum untersucht<br />
haben.<br />
Es gibt also noch genügend Bedarf für<br />
grundlagenorientierte und klinisch angewandte<br />
Forschung, um essentiellen<br />
Fragen bezüglich einer <strong>Eisen</strong>applikation<br />
bei akuten, aber auch chronischen<br />
Erkrankungen zu klären.<br />
Interessenkonflikte: Vortragshonorar Vifor;<br />
EU-Forschungsprojekt (7 th STREP)-EUROCALIN<br />
Prof. Dr. Günter Weiss<br />
Universitätsklinik f. Innere Medizin II<br />
Infektiologie, Immunologie,<br />
Rheumatologie, Pneumologie<br />
Innsbruck<br />
guenter.weiss@i-med.ac.at<br />
Nr. 3, 2017