Leseprobe Soziale Sicherheit 05_2017
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<strong>Soziale</strong><br />
<strong>Sicherheit</strong><br />
zeitschrift für arbeit und soziales<br />
sozialesicherheit.de<br />
66. JAHRGANG<br />
ISSN 0490-1630<br />
D 6364<br />
5 | <strong>2017</strong><br />
Zwei Jahre Mindestlohngesetz<br />
Auswirkungen, Verstöße<br />
und Rechtsprechung<br />
Sozialabgaben Ist eine Entlastung der Niedrigverdiener sinnvoll?<br />
Versorgung Sterbenskranker Was brachte das Hospizgesetz?<br />
Krankenversicherung Was ändert das Heil- und Hilfsmittelgesetz?<br />
inklusive<br />
rechtsprechung
Position<br />
Selbstständige und gesetzliche Rentenversicherung:<br />
Nicht kleckern, sondern (freiwillig) klotzen<br />
»Wie mer et macht, is et falsch«, sagt der Kölner. Das gilt<br />
offensichtlich auch für die Altersvorsorge von Selbstständigen.<br />
Für viele Selbstständige ist Armut im Alter vorprogrammiert,<br />
wie etwa Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles<br />
am 4. Mai in einem Interview mit der Rheinischen Post<br />
erklärte: »Ich will verhindern, dass die knapp drei Millionen<br />
Selbstständigen, die nicht in einem Versorgungswerk<br />
abgesichert sind, in Altersarmut landen. Sie haben ein<br />
doppelt so hohes Risiko wie der Rest der Bevölkerung.«<br />
In der Diskussion ist dabei nach wie vor die Einführung<br />
einer Rentenversicherungs-Plicht für Selbstständige. Nahles<br />
fordert, dass diejenigen, die »nicht ausreichend abgesichert«<br />
sind »in die Rentenversicherung aufgenommen<br />
werden«. Ob sich hierfür in der nächsten Legislaturperiode<br />
eine Mehrheit indet, steht aber noch in der Sternen.<br />
Knapp 4,3 Millionen Selbstständige und mithelfende<br />
Familienangehörige gibt es derzeit in Deutschland. Nur für<br />
ein Viertel von ihnen besteht eine Plicht zur Altersvorsorge.<br />
Überwiegend handelt es sich dabei um berufsständisch<br />
Versicherte und zum kleineren Teil um Selbstständige (z. B.<br />
Lehrer, Hebammen oder Seelotsen), die in die gesetzliche<br />
Rentenversicherung (GRV) einzahlen müssen.<br />
Der Rest hat die freie Wahl: Für oder gegen die Altersvorsorge.<br />
Wohl dem, der sich dafür entscheidet. Die Einzahlung<br />
freiwilliger Beiträge in die GRV ist dabei – verglichen<br />
mit den Erträgen der ehemals hoch gelobten privaten Vorsorge<br />
– eine recht rentable Angelegenheit. Warum das so<br />
ist, wurde in dieser Zeitschrift mehrfach vorgerechnet (zuletzt<br />
in SozSich 3/<strong>2017</strong>, S. 89).<br />
Doch es tut sich erschreckend wenig. So ist nach den<br />
letzten Daten der Deutschen Rentenversicherung (DRV) die<br />
Zahl der freiwillig Versicherten auf einen neuen Tiefstand<br />
gesungen: Nur noch 201.250 freiwillig Versicherte zählte<br />
die DRV am 31. Dezember 2015. Ein Jahr zuvor waren es<br />
noch knapp 12.000 mehr. Ernüchternd ist dabei zudem:<br />
88 % der freiwillig Versicherten entrichteten nur den monatlichen<br />
Mindestbeitrag (derzeit: 84,15 Euro) und können<br />
deshalb später wohl nur mit einer Mini-Rente rechnen.<br />
Also Düsternis auf der ganzen Linie? Nein. Die Zahl der<br />
Unbeugsamen, die freiwillig den Höchstbetrag (derzeit:<br />
1.187,45 Euro) zur GRV aufbringt, wird Jahr für Jahr etwas<br />
größer. 2015 waren es 5.045, fünf Jahre zuvor erst 1.586. Mit<br />
dem monatlichen Höchstbetrag erwirbt man übrigens derzeit<br />
einen Rentenanspruch von gut zwei Entgeltpunkten in<br />
einem Jahr, was eine Monatsrente von rund 60 Euro bringt.<br />
Bezieht man es auf die Gesamtheit der Selbstständigen,<br />
für die eine freiwillige Versicherung in Frage kommt, so sind<br />
es aber nur etwa 0,2 %, die entsprechend hoch vorsorgen.<br />
Da aber nicht nur Selbstständige das Recht zur freiwilligen<br />
Versicherung haben, ist selbst dieser niedrige Prozentsatz<br />
wohl noch zu hoch gegriffen. Aber immerhin: Wenigstens<br />
ein kleiner Teil der Selbstständigen, der zur freiwilligen Versicherung<br />
berechtigt ist, nutzt diese Möglichkeit optimal.<br />
Doch, wie gesagt: Wie man’s macht, es ist falsch.<br />
Denn auch hier regt sich Widerspruch. In einem Namens-<br />
beitrag im Tagesspiegel vom 17. April beschwert sich Tim<br />
Köhler-Rama, Dozent am Fachbereich Sozialversicherung<br />
der Hochschule des Bundes und bis 2014 Leiter des Forschungsbereichs<br />
der DRV Bund, über den kleinen Zuwachs<br />
von Hochbeitragszahlern: »Immer mehr Gutverdiener nutzen<br />
die gesetzliche Rentenversicherung als Anlagevehikel.<br />
Das schadet jedoch den normalen Versicherten«.<br />
Seltsam: Da wird jahrelang landauf landab das Credo<br />
der eigenverantwortlichen Altersvorsorge verkündet. Und<br />
dann sollen diejenigen, die die gesetzliche Rentenversicherung<br />
hierfür nutzen, Spekulanten sein …<br />
Zugegeben: Für einen kleinen Teil der freiwillig Versicherten<br />
mag da ein Körnchen Wahrheit dran sein, etwa für<br />
Beamte, die seit 2010 die Möglichkeit haben, sich zusätzlich<br />
freiwillig zu versichern. Sie werden jedoch nur dann in<br />
die »Gesetzliche« einzahlen, wenn sie ihr a) vertrauen und<br />
b) mit einem ansehnlichen Output rechnen. Beides würde<br />
für die GRV sprechen.<br />
Doch bei der DRV Bund geht man nicht davon aus, dass<br />
Beamte oder berufsständisch Versicherte, die sich ebenfalls<br />
zusätzlich freiwillig versichern können, dies tatsächlich<br />
massenhaft tun. »Ganz überwiegend ist die freiwillige<br />
Versicherung ein Selbstständigenthema«, ist bei der DRV<br />
Bund zu erfahren. Exakte Zahlen liegen hierzu aber nicht<br />
vor, weil die Rentenversicherung keine Daten zur Struktur<br />
der freiwillig Versicherten erhebt.<br />
Köhler-Rama befürchtet, dass sich die GRV mit den<br />
Höchstbeitragszahlern »schlechte Risiken« aulädt. Seine<br />
Vermutung: Vor allem Menschen mit einer eher höheren<br />
Lebenserwartung werden hohe Zahlungen an die GRV leisten.<br />
Dann wären aber wohl auch die gesetzlich Plichtversicherten<br />
mit Höchstbeiträgen »schlechte Risiken«. Und:<br />
Diese Argumentation wäre ein Argument für die Abschaffung<br />
der freiwilligen Versicherung. Damit würden Selbstständige<br />
dann gezwungen, sich für ihre Altersvorsorge auf<br />
dem Markt der inzwischen durchweg unrentablen privaten<br />
Versicherungsangebote zu bedienen. Die private Versicherungswirtschaft<br />
würde sich ins Fäustchen lachen.<br />
Statt die Möglichkeiten der freiwilligen Versicherung<br />
einzuschränken, sollten diese ausgeweitet werden, wie<br />
Herbert Rische, der ehemalige Präsident der DRV Bund,<br />
schon vor Jahren in einem Interview mit dieser Zeitschrift<br />
erklärte (s. SozSich 3/2013, S. 102): »Man muss der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung ermöglichen, mit ihren Mitteln,<br />
also im Rahmen des Umlageverfahrens,<br />
entsprechende Wünsche<br />
der Versicherten zu bedienen.«<br />
Rolf Winkel,<br />
verantwortlicher Redakteur<br />
der <strong>Soziale</strong>n <strong>Sicherheit</strong><br />
172<br />
<strong>Soziale</strong> <strong>Sicherheit</strong> 5/<strong>2017</strong>
Magazin<br />
Stress und psychische Belastungen am Arbeitsplatz<br />
Der Leistungsdruck steigt – auch durch die Digitalisierung<br />
Die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz sind hoch – und teilweise noch gestiegen.<br />
Das liegt auch an der Digitalisierung, wie aus der jüngsten Sonderauswertung<br />
des »DGB-Index Gute Arbeit« hervorgeht. Auch der gerade vorgelegte<br />
Abschlussbericht »Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt« von der Bundesanstalt<br />
für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) belegt den gestiegenen Termin-<br />
und Leistungsdruck.<br />
Digitalisierung führt zu mehr Stress<br />
Digitalisierung kann genutzt werden, um Arbeit zum Vorteil der Menschen und<br />
ihrer Gesundheit zu gestalten. Dass der Trend aber gerade in die andere Richtung<br />
geht, zeigt die Sonderauswertung »Digitalisierung und Arbeitsintensivierung«<br />
des DGB-Index Gute Arbeit, die am 3. Mai in Berlin vorgestellt wurde. Für die Studie<br />
wurden 2016 knapp 10.000 Beschäftigte aller Branchen und Berufsgruppen<br />
danach gefragt, wie sie die Auswirkungen der Digitalisierung auf ihre Arbeitsbedingungen<br />
einschätzen.<br />
46 % der Befragten gaben an, dass ihre Arbeitsbelastung aufgrund der Digitalisierung<br />
zugenommen habe. 54 % berichteten, ihre Arbeitsmenge sei größer<br />
geworden. Auch der Zeitdruck nehme mit steigendem Digitalisierungsgrad zu:<br />
Während 51 % derjenigen, die nicht digital arbeiten, davon berichteten, waren<br />
es 60 % derjenigen, die mit digitalen Mitteln arbeiten. Von ständigen Unterbrechungen<br />
und Störungen berichteten 69 % der Befragten (im Vergleich zu 36 %,<br />
die nicht digital arbeiten).<br />
»Die Ergebnisse zeigen, dass Digitalisierung Arbeit nicht automatisch besser<br />
macht«, so DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Durch die ständige Erreichbarkeit<br />
über E-Mails oder andere Kommunikationstechnologien sei die Zahl<br />
der Überstunden und damit auch die Mehrbelastung gestiegen, so IG Metall-Vorstandsmitglied<br />
Hans-Jürgen Urban: »Das goldene Dreieck mit dem Achtstundentag,<br />
der 40-Stundenwoche und mindestens 11 Stunden Ruhezeit ist gerade für<br />
die digitale Arbeit notwendig, um Arbeitnehmer vor unzumutbarer Hetze bei der<br />
Arbeit zu schützen«, so Urban. Die Forderung nach einer Anti-Stress-Verordnung<br />
gewinne durch die Digitalisierung weiter an Dringlichkeit.<br />
Lothar Schröder, Bundesvorstandsmitglied von ver.di, verwies darauf, dass laut<br />
der Studie weniger belastet ist, wer auf die Digitalisierung Einluss nehmen kann.<br />
»Weil die Digitalisierung neue Formen der Arbeit fördert, brauchen Betriebsräte<br />
Mitbestimmung bei der Arbeitsmenge«. Außerdem seien »verplichtende Gefährdungsbeurteilungen<br />
dringend notwendig in einer Arbeitswelt, in der häuig<br />
die Grenzlinien zwischen privat und berulich an Eindeutigkeit verlieren«.<br />
Termin- und Leistungsdruck machen krank<br />
Wie groß die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz mittlerweile sind, zeigt<br />
auch der Abschlussbericht des Forschungsprojekts »Psychische Gesundheit<br />
in der Arbeitswelt«, den die BAuA am 5. Mai vorgelegt hat. Dafür wurden u. a.<br />
18.000 Beschäftigte nach ihren Belastungen bei der Arbeit befragt. 51 % klagten<br />
über starken Termin- und Leistungsdruck. 49 % berichteten, häuig sehr schnell<br />
arbeiten zu müssen. 67 % gaben an, verschiedenartige Aufgaben häuig gleichzeitig<br />
zu betreuen (Multitasking) und 47 % berichteten, bei der Arbeit häuig gestört<br />
und unterbrochen zu werden.<br />
Im Ergebnis konnte die BAuA-Studie »die Zusammenhänge von mehr als 20 Arbeitsbedingungsfaktoren<br />
mit psychischen Störungen, Muskel-Skelett- und Herz-Kreislauferkrankungen,<br />
dem Beinden, Beschwerden und der Leistung« analysieren.<br />
Am 5. Mai wurde von den Sozialpartnern, dem Bundesministerium für Arbeit und<br />
<strong>Soziale</strong>s und der BAuA der Dialogprozess (»Runde Tisch«) »Psychische Gesundheit<br />
in der Arbeitswelt« gestartet. Hier sollen die Befunde der Studie vertieft und<br />
Schlussfolgerungen für die Gestaltung einer gesundheitsgerechten Arbeitswelt<br />
gezogen werden. Der DGB fordert, dass daraus »spätestens Ende 2018 wirksame<br />
Schritte für die Gesundheit der Beschäftigten umgesetzt werden«. o<br />
Auch Hinterbliebenenrenten steigen<br />
Zum 1. Juli steigen die gesetzlichen<br />
Renten im Westen um 1,9 % und im<br />
Osten um 3,59 %. Entsprechend steigen<br />
die Hinterbliebenenrenten und<br />
der Freibetrag für anrechenbares Einkommen.<br />
Er erhöht sich damit ab Juli<br />
im Westen von 803,88 auf 819,19 Euro<br />
und im Osten von 756,62 auf 783,82<br />
Euro. Nettoeinkünfte, die über diese<br />
Beträge hinausgehen, werden zu 40 %<br />
auf die Witwen- bzw. Witwerrente angerechnet.<br />
Ob dabei Ost- oder West-<br />
Werte zugrunde gelegt werden, hängt<br />
vom Wohnsitz der Hinterbliebenen ab.<br />
Die Bruttoeinkünfte der Witwen/Witwer<br />
dürfen aber deutlich höher sein.<br />
Denn die Freibeträge beziehen sich<br />
auf Netto-Einkünfte, für deren Ermittlung<br />
die Rentenversicherung ihre eigenen<br />
Regeln hat: Es zählt hier das<br />
um (je nach Einkommensart) feste<br />
pauschale Prozentsätze reduzierte<br />
Bruttoeinkommen.<br />
Die meisten der Hinterbliebenenrentner/innen<br />
sind Ruheständler und erhalten<br />
zusätzlich noch eine eigene<br />
gesetzliche Altersrente. Der Bruttorentenbetrag<br />
dieser eigenen Rente wird<br />
bei einem Renteneintritt ab 2011 um<br />
14 % reduziert. So wird rechnerisch<br />
die (iktive) Nettorente errechnet. De<br />
facto können damit Rentner/innen<br />
mit einer Rente von monatlich bis zu<br />
952 Euro brutto (im Westen) bzw. 911<br />
Euro (im Osten) zusätzlich noch eine<br />
un gekürzte Hinterbliebenenrente erhalten.<br />
Für Hinterbliebenenrentner (ohne eigene<br />
Altersrente) mit Einkünften aus<br />
sozialversicherungsplichtiger Beschäftigung<br />
liegt die kritische Einkommensgrenze<br />
ab Juli bei brutto 1.365<br />
Euro (West) bzw. 1.306 Euro (Ost). Monatliche<br />
Bruttoeinkünfte bis zu dieser<br />
Höhe sind bei der Hinterbliebenenrente<br />
anrechnungsfrei. o<br />
Brutto-Einkommensgrenzen,<br />
bis zu denen Witwen-/Witwerrenten<br />
nicht gekürzt werden<br />
Einkommensart West Ost<br />
Arbeitnehmereinkommen<br />
(vor der Rente)<br />
Gewinn aus selbstständiger<br />
Tätigkeit<br />
Altersrente<br />
(Erstbezug ab 2011)<br />
1.365 E 1.306 E<br />
1.360 E 1.302 E<br />
952 E 911 E<br />
<strong>Soziale</strong> <strong>Sicherheit</strong> 5/<strong>2017</strong><br />
173
Gesundheit<br />
Pflege<br />
Versorgung sterbenskranker Menschen in Deutschland<br />
Auswirkungen des Hospiz- und Palliativgesetzes für die Plege<br />
Von Jürgen Brüggemann<br />
Sterbenskranke Menschen brauchen eine besondere Unterstützung, Versorgung, Hilfe und Plege. Im Dezember<br />
2015 ist das Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) 1 in Kraft getreten. 2 Ziel dieses Gesetzes ist es, durch die Stärkung<br />
der Hospiz- und Palliativversorgung in ganz Deutschland ein lächendeckendes Angebot zu verwirklichen, damit alle<br />
Menschen an den Orten, an denen sie ihre letzte Lebensphase verbringen, auch im Sterben gut versorgt und begleitet<br />
werden. Im Folgenden werden die wesentlichen Versorgungsstrukturen zur Hospiz- und Palliativversorgung kurz<br />
dargestellt und die sich aus dem HPG ergebenden Änderungen mit besonderem Augenmerk auf die Plege erläutert.<br />
Am Schluss geht es um die gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase.<br />
Beratung durch die Krankenkassen<br />
Um Versicherten in der letzten Lebensphase die Versorgung<br />
und Begleitung zukommen lassen zu können, die sie<br />
benötigen, ist mit dem HPG ein Anspruch der Versicherten<br />
auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch die<br />
gesetzlichen Krankenkassen bei der Auswahl und der Inanspruchnahme<br />
von Leistungen der Hospiz- und Palliativversorgung<br />
geschaffen worden. Der Anspruch umfasst die<br />
Information über das regional vorhandene Beratungs- und<br />
Versorgungsangebot sowie deren Ansprechpartner und<br />
ggf. Hilfestellung bei der Kontaktaufnahme. Die Krankenkassen<br />
können diese Beratung mit der Plegeberatung<br />
nach § 7 a SGB XI bzw. den Beratungen durch Plegestützpunkte<br />
abstimmen. Beispielsweise hat der AOK-Bundesverband<br />
zur Umsetzung dieses Beratungsangebotes über<br />
die Versorgungsstrukturen u.a. einen Palliativwegweiser<br />
im Internet eingerichtet, mit dessen Hilfe man sich u. a.<br />
auch über Einrichtungen vor Ort informieren kann. 3<br />
Darüber hinaus haben die Krankenkassen ihre Versicherten<br />
in allgemeiner Form über die Möglichkeiten der<br />
persönlichen Vorsorge für die letzte Lebensphase (z. B.<br />
mittels Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung)<br />
zu Informieren. Diese Information soll sich<br />
an einer Regelung des GKV-Spitzenverbandes zu Form und<br />
Inhalt der Information orientieren. Diese Regelung liegt<br />
seit Mitte 2016 vor. 4<br />
1 Genauer Titel: »Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung<br />
in Deutschland«. Zum Begriff »Palliativ Care« s. auch den Kasten auf<br />
dieser Seite.<br />
2 vgl. »Bundestag beschließt Hospiz- und Palliativgesetz«, in: SozSich<br />
11/2015, S. 388<br />
3 z. B. für die AOK Rheinland/Hamburg unter: https://rh.aok.de/medizinversorgung/aok-palliativwegweiser/<br />
4 im Internet abrufbar unter: www.gkv-spitzenverband.de > Krankenversicherung<br />
> Hospiz- und Palliativversorgung > Link »Regelungen […] über<br />
die Information der Versicherten über die Möglichkeiten persönlicher Vorsorge<br />
für die letzte Lebensphase«<br />
5 http://www.who.int/ncds/management/palliative-care/en/<br />
6 Dies betrifft sterbende Menschen mit einer Erkrankung, die progredient<br />
(progressiv fortschreitend) verläuft und bereits ein weit fortgeschrittenes<br />
Stadium erreicht hat und bei der eine Heilung nach dem Stand wissenschaftlicher<br />
Erkenntnisse nicht zu erwarten ist und bei der der sterbende<br />
Mensch eine palliative Versorgung und eine qualiizierte ehrenamtliche<br />
Sterbebegleitung wünscht.<br />
Palliativ Care<br />
»Palliative Care ist ein Ansatz zur Verbesserung der<br />
Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die<br />
mit Problemen konfrontiert sind, die mit einer lebensbedrohlichen<br />
Erkrankung einhergehen, und zwar durch<br />
Vorbeugen und Lindern von Leiden, durch frühzeitiges<br />
Erkennen, Einschätzen und Behandeln von Schmerzen<br />
sowie anderer belastender Beschwerden körperlicher,<br />
psychosozialer und spiritueller Art.«<br />
(Weltgesundheitsorganisation/WHO 2002 5 )<br />
Palliativversorgung durch Vertragsärzte<br />
Im vertragsärztlichen Bereich wurden durch das HPG zusätzlich<br />
vergütete Leistungen eingeführt. Ärzte, die diese<br />
Leistungen erbringen wollen, müssen speziische Qualiikationen<br />
erfüllen. Die bereits mögliche palliativ-medizinische<br />
Ersterhebung des Patientenstatus und die palliativ-medizinische<br />
Betreuung im hausärztlichen Bereich werden damit<br />
ergänzt. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der<br />
GKV-Spitzenverband sollen im Bundesmantelvertrag Ärzte<br />
die Voraussetzungen für eine besonders qualiizierte und<br />
koordinierte palliativ-medizinische Versorgung vereinbaren.<br />
Insbesondere sollen die Inhalte und Ziele dieser Leistung,<br />
die Abgrenzung zu anderen Leistungen, die Anforderungen<br />
an die Qualiikation der ärztlichen Leistungserbringer, die<br />
Anforderung an die Koordination und Kommunikation mit anderen<br />
beteiligten Leistungserbringern und Maßnahmen zur<br />
Sicherung der Versorgungsqualität geregelt werden. Die Vereinbarung<br />
sollte bis zum 30. Juni 2016 getroffen werden. Die<br />
Verhandlungen sind zwar inzwischen abgeschlossen, die zugehörigen<br />
Vergütungsregelungen werden aber noch beraten.<br />
Ambulante Hospizdienste<br />
Die Krankenkassen fördern ambulante Hospizdienste. Das<br />
Angebot dieser Dienste richtet sich an sterbende Menschen<br />
mit einer Erkrankung, die einen Bedarf an palliativer<br />
Begleitung begründet 6 und die keine Krankenhausbehand-<br />
198<br />
<strong>Soziale</strong> <strong>Sicherheit</strong> 5/<strong>2017</strong>
Pflege<br />
Gesundheit<br />
lung und keine stationäre oder teilstationäre Versorgung<br />
in einem Hospiz erfordert. Das Angebot richtet sich gleichzeitig<br />
an Angehörige. Es kann über den Tod hinaus auch in<br />
der Trauerphase weitergeführt werden.<br />
Ambulante Hospizdienste leisten eine qualiizierte ehrenamtliche<br />
Sterbebegleitung sowie eine palliativ-plegerische<br />
Beratung – insbesondere im Haushalt, der Familie<br />
oder auch in stationären Plegeeinrichtungen. Die ambulanten<br />
Hospizdienste müssen mit palliativ-medizinisch<br />
erfahrenen Plegediensten und Ärzten zusammenarbeiten.<br />
Ein ambulanter Hospizdienst erbringt seine Angebote<br />
unter der fachlichen Leitung einer Plegefachkraft oder<br />
einer Fachkraft mit einem einschlägigen Studienabschluss<br />
(insbesondere in der Plege, Sozialpädagogik, Sozialarbeit<br />
oder Heilpädagogik). Diese Fachkraft muss über eine<br />
Palliativ-Care-Weiterbildung verfügen und mindestens drei<br />
Jahre Berufserfahrung haben. Die Hauptarbeit eines ambulanten<br />
Hospizdienstes wird durch geschulte ehrenamtliche<br />
Kräfte erbracht.<br />
Verbesserungen durch das HPG ergeben sich für die<br />
ambulanten Hospizdienste insbesondere durch die Erweiterung<br />
der Förderung durch die Krankenkassen. Bisher<br />
wurden die Personalkosten gefördert, nun umfasst die<br />
Förderung auch die Sachkosten. Zudem wurde der Förderbetrag<br />
je Leistungseinheit von 11 auf 13 % der monatlichen<br />
Bezugsgröße erhöht. Neue Hospizdienste müssen<br />
nicht mehr mindestens ein Jahr bestehen, um in die Förderung<br />
durch die Krankenkassen einbezogen zu werden.<br />
Die Verhandlungen zur Anpassung der entsprechenden<br />
Rahmenvereinbarungen nach § 39 a Abs. 2 SGB V wurden<br />
bereits so frühzeitig begonnen und abgeschlossen, dass<br />
das Förderverfahren für die ambulanten Hospizdienste für<br />
2016 bereits unter Berücksichtigung der neuen Regelungen<br />
durchgeführt werden konnte. Nach Angaben des Deutschen<br />
Hospiz- und Palliativverbandes gibt es in Deutschland<br />
derzeit etwa 1.500 ambulante Hospizdienste.<br />
Spezialisierte ambulante Palliativversorgung<br />
Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV)<br />
ist die jüngste Ausprägung im Leistungsgefüge. Sie wurde<br />
zum 1. April 2007 eingeführt und dient dem Ziel, die Lebensqualität<br />
und die Selbstbestimmung schwerkranker<br />
Menschen zu erhalten, zu fördern und zu verbessern und<br />
ein menschenwürdiges Leben in der vertrauten häuslichen<br />
Umgebung oder in einer stationären Plegeeinrichtung zu<br />
ermöglichen. In stationären Hospizen haben Versicherte<br />
Anspruch auf die Teilleistung der erforderlichen ärztlichen<br />
Versorgung im Rahmen der SAPV. Im Vordergrund steht<br />
auch hier nicht der kurative Ansatz, sondern die medizinisch-plegerische<br />
Zielsetzung, Symptome und Leiden<br />
einzelfallgerecht zu lindern. Damit wurde eine Lücke geschlossen<br />
für Personen, die nicht mit dem Angebot eines<br />
ambulanten Hospizdienstes auskommen und die durch<br />
das Angebot der SAPV nicht auf eine stationäre Hospizversorgung<br />
angewiesen sind.<br />
Versicherte haben einen Anspruch auf SAPV, wenn<br />
sie an einer nicht heilbaren, fortschreitenden und so weit<br />
fortgeschrittenen Erkrankung leiden, dass dadurch ihre<br />
Lebenserwartung begrenzt ist und sie eine besonders<br />
aufwändige Versorgung benötigen, die nach den medizinischen<br />
und plegerischen Erfordernissen auch ambulant<br />
oder in einer stationären Plegeeinrichtung erbracht werden<br />
kann. Eine besonders aufwändige Versorgung kann erforderlich<br />
sein bei einem komplexen Symptomgeschehen.<br />
Ein Symptomgeschehen ist dann komplex, wenn mindestens<br />
eine der nachstehenden Problematiken vorliegt:<br />
• ausgeprägte Schmerzsymptomatik<br />
• ausgeprägte neurologische/psychiatrische/psychische<br />
Symptomatik<br />
• ausgeprägte respiratorische 7 /kardiale 8 Symptomatik<br />
• ausgeprägte gastrointestinale 9 Symptomatik<br />
• ausgeprägte ulzerierende 10 /exulzerierende 11 Wunden<br />
oder Tumore<br />
• ausgeprägte urogenitale 12 Symptomatik.<br />
Die SAPV umfasst alle Leistungen der ambulanten Krankenbehandlung,<br />
die erforderliche Koordination der diagnostischen,<br />
therapeutischen und plegerischen Teilleistungen<br />
sowie die Beratung des Versicherten, seiner Angehörigen<br />
und aller an der Versorgung beteiligten Akteure. Sie kann<br />
entsprechend dem individuellen Bedarf als Beratungsleistung,<br />
Koordination der Versorgung, additiv unterstützende<br />
Teilversorgung sowie als vollständige Versorgung erbracht<br />
werden. Eine Ruf-, Notfall- und Kriseninterventionsbereitschaft<br />
kann erforderlich sein.<br />
Die SAPV muss in das regionale Versorgungsnetz eingebunden<br />
und damit gut vernetzt sein. Die spezialisierten<br />
Leistungserbringer sind besonders qualiizierte Ärzte (anerkannte<br />
Zusatzqualiikation Palliativmedizin im Umfang<br />
von 160 Stunden, zusätzlich Erfahrung in der Palliativversorgung)<br />
und Plegefachkräfte (Palliativ-Care-Weiterbildung<br />
im Umfang von 160 Stunden, zusätzlich Erfahrung<br />
in der Palliativversorgung), die als Palliativ-Care-Team zusammenarbeiten.<br />
Der GKV-Spitzenverband erstellt jährlich einen Bericht<br />
zum vertraglichen Umsetzungstand bei der SAPV-Versorgung.<br />
Im letzten Bericht 13 wurde mit Stand vom 31. Dezember<br />
2015 von ca. 280 Verträgen (nach § 132 d SGB V mit<br />
Leistungserbringern, einschließlich Ausrichtung auf Kinder,<br />
Rahmenverträge mit Kassenärztlichen Vereinigungen,<br />
Verträgen zur Integrierten Versorgung nach § 140 a SGB XI)<br />
berichtet. Diesem Bericht nach ist es den Vertragspartnern<br />
zwischenzeitlich gelungen, in den meisten Regionen eine<br />
lächendeckende Versorgung mit SAPV-Leistungen vertraglich<br />
sicherzustellen. Der Bericht zeigt aber auch, dass<br />
dem weiteren Ausbau der SAPV durch externe Rahmenbedingungen<br />
(insbesondere mangelnde Verfügbarkeit von<br />
qualiizierten und berufserfahrenen Fachkräften) gewisse<br />
Grenzen gesetzt sind. Nach Angaben der Kassenärztlichen<br />
7 die Atmung betreffende<br />
8 das Herz betreffende<br />
9 den Magen und Darm betreffende<br />
10 geschwürige<br />
11 aufbrechende geschwürige<br />
12 Harn- und Geschlechtsorgane betreffende<br />
13 GKV-Spitzenverband: Bericht des GKV-Spitzenverbandes zum Stand der<br />
vertraglichen Umsetzung der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung<br />
(SAPV) zum Stichtag 31. Dezember 2015, Berlin 2016<br />
<strong>Soziale</strong> <strong>Sicherheit</strong> 5/<strong>2017</strong><br />
199
Gesundheit<br />
Omnibusgesetz zur Heil- und Hilfsmittelversorgung in Kraft:<br />
Wichtige Änderungen für Versicherte und Leistungsanbieter<br />
Am 11. April ist das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HHVG) in seinen wesentlichen Teilen in<br />
Kraft getreten. Dieses Omnibusgesetz enthält nicht nur viele neue Regelungen zu den Heilmitteln (z.B. Krankengymnastik,<br />
Ergo- oder Sprachtherapie) und Hilfsmitteln (z. B. Rollstühle, Hörgeräte, Brillen), sondern auch zu Leistungsansprüchen<br />
und anderen Bereichen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Hier ein Überblick:<br />
1. Neuregelungen bei Heil- und Hilfsmitteln<br />
Hilfsmittelverzeichnis: Der GKV-Spitzenverband wird verplichtet,<br />
bis zum 31. Dezember 2018 das Hilfsmittelverzeichnis<br />
grundlegend zu aktualisieren. Es enthält derzeit<br />
über 29.000 Produkte in 33 Produktgruppen.<br />
Innovationen: Die Aufnahme innovativer Hilfsmittel in<br />
das Verzeichnis wird neu geregelt: Hält der GKV-Spitzenverband<br />
eine Klärung für erforderlich, ob das Produkt<br />
Bestandteil einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode<br />
ist und damit eine Nutzenbewertung des<br />
Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) erfolgen muss,<br />
hat der G-BA innerhalb von sechs Monaten eine entsprechende<br />
Auskunft zu erteilen. Stellt sich bei der Prüfung<br />
durch den G-BA heraus, dass das Produkt tatsächlich Bestandteil<br />
einer neuen Methode ist, muss der G-BA unmittelbar<br />
das Bewertungsverfahren einleiten.<br />
Qualität: Bei Ausschreibungen im Hilfsmittelbereich müssen<br />
die Kassen künftig neben dem Preis auch qualitative<br />
Anforderungen berücksichtigen, die über die Mindestanforderungen<br />
des Hilfsmittelverzeichnisses hinausgehen.<br />
Auch bei Hilfsmittelversorgungen, die im Wege der Ausschreibung<br />
zustande gekommen sind, müssen die Kassen<br />
ihren Versicherten Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen<br />
aufzahlungsfreien Hilfsmitteln einräumen.<br />
Verträge: Die Kassen sind jetzt verplichtet, über die von<br />
ihnen abgeschlossenen Verträge zur Versorgung mit Hilfsmitteln<br />
im Internet zu informieren. So sollen Versicherte<br />
die Angebote verschiedener Kassen vergleichen können.<br />
Beratung: Leistungserbringer (z. B. Sanitätshäuser, Hörgeräteakustiker)<br />
müssen Versicherte beraten, welche Hilfsmittel<br />
und zusätzlichen Leistungen innerhalb des Sachleistungssystems<br />
für sie geeignet sind und somit von den<br />
Kassen als Regelleistung bezahlt werden. Außerdem sind<br />
sie verplichtet, gegenüber den Krankenkassen auch die<br />
Höhe der mit den Versicherten vereinbarten Mehrkosten<br />
anzugeben.<br />
1 vgl. dazu auch Stephan Rixen: Nichtärztlichen Gesundheitsberufen gehört<br />
die Zukunft, in: SozSich 4/2015, S. 128<br />
Zuschüsse zu Brillengläsern<br />
Seit 2004 gab es für Erwachsene nur noch in Ausnahmefällen<br />
Zuschüsse für Brillen oder Kontaktlinsen von<br />
der GKV: Dies galt in der Regel nur dann, wenn sie auf<br />
beiden Augen eine extreme Sehschwäche aufwiesen<br />
und ihre Sehleistung auf dem besseren Auge bei bestmöglicher<br />
Korrektur höchstens 30 Prozent erreichte.<br />
Nun wurde die Ausnahmeregelung erweitert. Jetzt erhalten<br />
auch die Versicherten, die<br />
• wegen einer Kurz- oder Weitsichtigkeit Gläser mit<br />
einer Brechkraft von mindestens 6 Dioptrien oder<br />
• wegen einer Hornhautverkrümmung Gläser von<br />
mindestens 4 Dioptrien<br />
benötigen, einen Anspruch auf Zuschüsse. Dafür gelten<br />
bereits seit 2008 Festbeträge zwischen zehn und<br />
113 Euro pro Glas oder Linse. Dies sind die festgelegten<br />
Höchstbeträge. Krankenkassen können aber in individuellen<br />
Verträgen auch abweichende Zuschüsse mit<br />
den Versicherten vereinbart haben, die niedriger sind.<br />
Zuschüsse zu Brillengestellen sind nicht vorgesehen.<br />
Der Zentralverband der Augenoptiker geht davon<br />
aus, dass etwa 1,4 Mio. der insgesamt 41,2 Mio. Deutschen<br />
mit Sehschwächen von der Neuregelung proitieren<br />
können.<br />
Mehrkostenvereinbarungen: Der GKV-Spitzenverband ist<br />
verplichtet, erstmals bis zum 30. Juni 2018 und danach<br />
jährlich einen Bericht über die Entwicklung der Mehrkostenvereinbarungen<br />
für Versorgungen mit Hilfsmittelleistungen<br />
zu veröffentlichen.<br />
Vergütung für Heilmittelerbringer: <strong>2017</strong> bis 2019 können<br />
die Kassen und die Verbände der Heilmittelerbringer auch<br />
Vergütungen oberhalb der bisherigen Höchstgrenze (Veränderungsrate<br />
der beitragsplichtigen Einnahmen aller<br />
GKV-Mitglieder) vereinbaren. So könnten die relativ niedrigen<br />
Honorare etwa von Physio- oder Ergotherapeuten steigen.<br />
Die Regelung ist (zunächst) auf drei Jahre befristet.<br />
Blankoverordnung: Die Kassen werden verplichtet, mit den<br />
Verbänden der Heilmittelerbringer Verträge über Modellvorhaben<br />
zur »Blankoverordnung« von Heilmitteln 1 abzuschließen.<br />
Dabei erfolgt die Verordnung eines Heilmittels zwar<br />
weiterhin durch den Arzt, der Heilmittelerbringer bestimmt<br />
aber die Auswahl und die Dauer der Therapie sowie die Frequenz<br />
der Behandlungseinheiten. Zwei Modellvorhaben zur<br />
Blankoverordnung haben bereits stattgefunden. Nun soll in<br />
jedem Bundesland ein Modellvorhaben durchgeführt werden.<br />
Ob solche Blankoverordnungen für die Regelversorgung<br />
in Frage kommen, soll danach entschieden werden.<br />
204<br />
<strong>Soziale</strong> <strong>Sicherheit</strong> 5/<strong>2017</strong>
Gesundheit<br />
2. Weitere Neuregelungen<br />
Risikostrukturausgleich: Mit verschiedenen Regelungen<br />
soll das »Diagnose-Upcoding« von Krankenkassen – also<br />
die Beeinlussung von Diagnosen, die für den Risikostrukturausgleich<br />
relevant sind – unterbunden werden. Dazu<br />
wird der Bestandsschutz bei Betreuungsstrukturverträgen<br />
eingeschränkt. Die zusätzliche Vergütung für Diagnosen in<br />
Gesamt- und Selektivverträgen, die nachträgliche Diagnoseübermittlung<br />
im Rahmen von Wirtschaftlichkeits- und<br />
Abrechnungsprüfungen sowie die Kodierberatung durch<br />
die Krankenkassen wird verboten. Teilweise gelten diese<br />
Regelungen erst ab dem 31. Juli 2018.<br />
Krankengeld: Hier wurde eine Versorgungslücke zwischen<br />
dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses und dem Bezug<br />
von Arbeitslosengeld (ALG) geschlossen: Bisher setzte<br />
bei einer Sperrzeit beim ALG oder bei einer Urlaubsabgeltung<br />
die Versicherungsplicht in der GKV erst ab dem zweiten<br />
Monat ein. Ab August <strong>2017</strong> beginnt sie bereits ab dem<br />
ersten Tag einer Sperrzeit oder Urlaubsabgeltung. Deshalb<br />
kann darüber dann auch bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit<br />
im ersten Monat ein Krankengeldanspruch entstehen.<br />
Bei einer Sperrzeit und durchgehender Arbeitsunfähigkeit<br />
kommt es dann aber erst nach Ablauf der Sperrzeit zur<br />
Zahlung des Krankengeldes. Denn während einer Sperrzeit<br />
»ruht« nicht nur das Arbeitslosen-, sondern auch das Krankengeld<br />
(§ 49 Abs. 1 Nr. 3 a SGB V). Bei einer Urlaubsabgeltung<br />
muss das Krankengeld allerdings schon im ersten<br />
Monat gezahlt werden.<br />
Selbstständige: Für die Beiträge von freiwillig versicherten<br />
Selbstständigen gilt ab 2018 ein neues Verfahren: Die Beitragsbemessung<br />
erfolgt in Bezug auf das Arbeitseinkommen<br />
und andere beitragsplichtige Einnahmen zunächst<br />
vorläuig aufgrund des zuletzt erlassenen Einkommensteuerbescheids.<br />
Nach Vorlage des Einkommensteuerbescheids<br />
für das Kalenderjahr, für das die Beiträge zu zahlen<br />
sind, wird dann nach spätestens drei Jahren der endgültige<br />
Beitrag für dieses Kalenderjahr rückwirkend entsprechend<br />
der tatsächlich erzielten beitragsplichtigen Einnahmen<br />
festgesetzt. Ausgenommen von hierdurch möglichen nachträglichen<br />
Korrekturen bleibt der Anspruch auf Krankengeld.<br />
Das Problem der inanziellen Überforderung etlicher<br />
Selbstständiger durch die Mindestbeiträge, die sich nach<br />
iktiven Mindesteinkünften richten, die etliche Selbstständige<br />
gar nicht erreichen 2 , wird damit aber nicht gelöst.<br />
Mutterschutz: Privat krankenversicherte selbstständige<br />
Frauen werden während der Schutzfristen nach dem<br />
Mutterschutzgesetz inanziell besser abgesichert. Durch<br />
Änderungen des Versicherungsvertragsgesetzes haben<br />
selbstständige Frauen, die eine private Krankentagegeldversicherung<br />
abgeschlossen haben, nun während der<br />
Mutterschutzfristen einen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten<br />
Krankentagegeldes. So sollen Schwangere und<br />
Wöchnerinnen – unabhängig von inanziellen Erwägungen<br />
– entscheiden können, ob und in welchem Ausmaß sie in<br />
dieser Zeit berulich tätig sein wollen.<br />
Notärzte: Die zusätzliche Tätigkeit als Notärztin oder Notarzt<br />
wurde sozialversicherungsfrei. Ärztinnen und Ärzte,<br />
die ihre notärztliche Tätigkeit im Rettungsdienst neben<br />
einer wenigstens 15 Wochenstunden umfassenden (hauptberulichen)<br />
Beschäftigung außerhalb des Rettungsdienstes<br />
ausüben oder als Ärztinnen und Ärzte niedergelassen<br />
sind, sind nun von den Beiträgen zur Sozialversicherung<br />
für diese zusätzliche Notarzt-Tätigkeit befreit. Mit dieser<br />
weiteren Ausnahme von der Sozialversicherungsplicht reagierte<br />
der Gesetzgeber auf ein Urteil des Bundessozialgerichts<br />
vom 1. August 2016. 3 Darin hatte das BSG ein Urteil<br />
des LSG Mecklenburg-Vorpommern, das die Beschäftigung<br />
eines Honorar-Notarztes als Scheinselbstständigkeit eingestuft<br />
hatte, bestätigt. Daraufhin häuften sich Meldungen,<br />
Rettungsdienste hätten zunehmend Schwierigkeiten,<br />
ärztliches Personal zu inden. Die jetzige Neuregelung<br />
soll laut Bundesgesundheitsministerium »eine lächendeckende<br />
Notarztversorgung sicherstellen«. Die Sozialversicherungsträger<br />
sehen in der Beitragsfreiheit jedoch ein<br />
»sozialpolitisch brisantes Einfallstor«. Es sei zu erwarten,<br />
dass auch andere Berufsgruppen ähnliche Forderungen<br />
erheben. Zugleich sei die Beitragsbelastung bei nebenberulichen<br />
Notärzten gar nicht relevant. Denn von Beiträgen<br />
zur Rentenversicherung könnten sich Ärzte, die Mitglied<br />
eines Versorgungswerkes sind, ohnehin befreien lassen.<br />
Beiträge zur Kranken- und Plegeversicherung seien meist<br />
ohnehin durch ihre hauptberuliche Tätigkeit abgedeckt.<br />
Konliktpotenzial ergebe sich im Rettungsdienst vielmehr<br />
dadurch, dass Honorarkräfte als abhängig Beschäftigte<br />
einzustufen seien und damit auch den Ruhezeitvorschriften<br />
des Arbeitszeitgesetzes unterliegen. Am Status der<br />
abhängigen Beschäftigung ändere sich jedoch durch die<br />
Freistellung von den Sozialbeiträgen nichts.<br />
KVdR-Vorversicherungszeiten: Bei der Anrechnung von<br />
Vorversicherungszeiten für die günstige Plichtmitgliedschaft<br />
in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR)<br />
gibt es Verbesserungen für diejenigen Ehegatten und Lebenspartner<br />
von Mitgliedern der GKV oder PKV, die Kinder<br />
erzogen haben. Ab August <strong>2017</strong> können – unabhängig von<br />
der Krankenversicherung des Ehe- und Lebenspartners –<br />
jeweils pauschal drei Jahre pro Kind auf die Vorversicherungszeit<br />
für die KVdR angerechnet werden. Damit wird<br />
der Zugang zur KVdR für die Ehegatten und Lebenspartner<br />
verbessert, die in der zweiten Hälfte ihres Erwerbslebens<br />
ihre Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung von Kindern<br />
unterbrochen haben und in dieser Zeit nicht gesetzlich<br />
krankenversichert waren. Die geforderte Vorversicherungszeit<br />
für die KVdR wird erfüllt, wenn in der zweiten<br />
Hälfte des Erwerbslebens mindestens 9/10 mit GKV-Zeiten<br />
belegt werden können (so genannte 9/10-Regelung).<br />
Hans Nakielski<br />
2 vgl. dazu Knut Lambertin: Selbstständige und Krankenversicherung: Viele<br />
haben Beitragsschulden – Was kann getan werden?, in: SozSich 8/2016,<br />
S. 315–318<br />
3 Az.: B 12 R 19/15 B<br />
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Ihr gutes Recht:<br />
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Nach § 41 Abs. 1 SGB IV muss der Versicherungsträger den Mitgliedern<br />
der Selbstverwaltung sowie den Versichertenältesten und den Vertrauenspersonen<br />
ihre baren Ausgaben erstatten. Bare Auslagen sind alle im Zusammenhang<br />
mit der Ausübung des Ehrenamtes anfallenden Kosten, so auch die Ausgaben<br />
für notwendige Fachliteratur wie z.B. »<strong>Soziale</strong> <strong>Sicherheit</strong>«.<br />
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