15.06.2017 Aufrufe

ig_2-2017

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

LEBEN [ PFLEGE ]<br />

Auswirkungen auf die stationäre Pflege<br />

Im Gespräch mit Christian Grösche, dem Residenzleiter der Göttinger Pro Seniore<br />

Residenz Posthof, und Residenzberater Markus Conrady<br />

Herr, Grösche, Herr Conrady, ich<br />

nehme an, das letzte Jahr stand auch<br />

in Ihrem Haus ganz im Zeichen des<br />

Pflegestärkungsgesetzes II?<br />

Grösche (G): Die Umsetzung des<br />

Pflegestärkungsgesetzes II war in der<br />

Tat mit einer der größten Umstellungen<br />

verbunden, die wir je durchgeführt<br />

haben, und hat entsprechend viel<br />

Zeit in Anspruch genommen. Aber wir<br />

haben rechtzeit<strong>ig</strong> alle Vorbereitungen<br />

eingeleitet, so dass die Umgruppierung<br />

unserer Bewohnerinnen und<br />

Bewohner von einer Pflegestufe in<br />

einen Pflegegrad e<strong>ig</strong>entlich problemlos<br />

verlief.<br />

Wie lief der Prozess ab?<br />

Conrady (C): Größere Komplikationen<br />

gab es nicht. Da sich insbesondere<br />

bei größeren Pflegekassen die Arbeit<br />

phasenweise natürlich stapelte, dauerte<br />

es aber manchmal ein<strong>ig</strong>e Wochen,<br />

bis wir unsere Leistungen nach der<br />

Umstellung wieder mit den Kassen<br />

abrechnen konnten. Denn auch die<br />

Leistungsbescheide wurden verzögert<br />

versendet. Wir haben diese Situation<br />

unseren Bewohnern und Angehör<strong>ig</strong>en<br />

erklärt. Dafür gab es Verständnis.<br />

Wie ging die e<strong>ig</strong>entliche Umgruppierung<br />

vonstatten?<br />

G: Grundsätzlich erfolgten die Umgruppierungen<br />

durch die Pflegekassen<br />

nach Aktenlage. Es wurde also<br />

nicht jeder Bewohner noch einmal<br />

durch den Medizinischen Dienst der<br />

Krankenkassen begutachtet. Das wäre<br />

personell für die Pflegekassen beziehungsweise<br />

den Medizinischen Dienst<br />

der Krankenkassen ja auch gar nicht<br />

möglich gewesen.<br />

Bei vielen Bewohnern wurde im Rahmen<br />

des Prozesses geprüft, ob aufgrund<br />

kognitiver Einschränkungen eine eingeschränkte<br />

Alltagskompetenz mit in die<br />

Umgruppierung einfließen konnte. In<br />

diesem Fall galt nicht die vorgesehene,<br />

automatische Umgruppierung von zum<br />

Beispiel Pflegestufe 2 in Pflegegrad 3,<br />

sondern stattdessen eine Umgruppierung<br />

von etwa Pflegestufe 2 in Pflegegrad 4.<br />

Das ist daher ein positiver Aspekt, weil<br />

uns für diese Bewohner jetzt mehr Zeit<br />

zur Verfügung steht.<br />

Christian Grösche (r.), Markus Conrady<br />

Foto:Kreide<br />

Sehen Sie auch negative Aspekte des<br />

Pflegestärkungsgesetzes II?<br />

G: In den unteren Pflegegraden gibt es<br />

im stationären Bereich wen<strong>ig</strong>er Leistungen<br />

der Pflegekassen. Versicherte,<br />

die seit diesem Jahr neu zu uns kommen<br />

und zum Beispiel in Pflegegrad<br />

zwei eingruppiert werden, erhalten fast<br />

300 Euro wen<strong>ig</strong>er pro Monat als diejen<strong>ig</strong>en,<br />

die noch im letzten Jahr in Pflegestufe<br />

1, die ja dem neuen Pflegegrad<br />

2 entspricht, waren.<br />

C: Wir hatten Ende letzten Jahres ein<strong>ig</strong>e<br />

Anfragen von Interessierten mit<br />

niedr<strong>ig</strong>en Pflegegraden, die sich dieser<br />

Problematik bewusst waren und daher<br />

lieber noch im Dezember, also unter<br />

dem alten System, bei uns einziehen<br />

wollten. Denn für die, die bereits vor<br />

dem 1. Januar eine Pflegestufe hatten,<br />

gilt ja ein Bestandsschutz, sodass sie<br />

durch die Umstellung finanziell nicht<br />

schlechter gestellt wurden.<br />

G: Unter dem alten System stieg<br />

mit jeder Erhöhung der Pflegestufe<br />

der E<strong>ig</strong>enanteil eines Bewohners, so<br />

sodass Bewohner mit einer höheren<br />

Pflegestufe beim E<strong>ig</strong>enanteil eine<br />

höhere Zuzahlung leisten mussten.<br />

Seit diesem Jahr gibt es nun den sogenannten<br />

„einrichtungseinheitlichen<br />

E<strong>ig</strong>enanteil“. Er sorgt dafür, dass alle<br />

Bewohner in einer bestimmten Einrichtung,<br />

unabhäng<strong>ig</strong> davon, welchen<br />

Pflegegrad sie haben, den gleichen<br />

Betrag dazu zahlen. Durch den neuen<br />

einheitlichen Anteil kommt es auch<br />

wieder in den unteren Pflegegraden<br />

zu einer höheren Zuzahlung. Was also<br />

ein großer Vorteil für Bewohner mit<br />

hohen Pflegegraden ist, ist eben ein<br />

Nachteil für Menschen mit niedr<strong>ig</strong>en<br />

Pflegegraden. Selbstverständlich gab<br />

es auch hier den Bestandsschutz für<br />

Bewohner, die bereits vor <strong>2017</strong> eine<br />

Pflegestufe hatten.<br />

Die von Ihnen angesprochenen finanziellen<br />

Verschiebungen sind seitens<br />

des Gesetzgebers ja durchaus<br />

gewollt. Den geringeren Leistungen<br />

für Menschen mit niedr<strong>ig</strong>em Pflegegrad<br />

im stationären Bereich steht<br />

eine Verbesserung für Menschen<br />

gegenüber, die ambulant gepflegt<br />

werden.<br />

G: In der Tat sollen Menschen mit<br />

niedr<strong>ig</strong>en Pflegegraden mit der Umstellung<br />

ambulant besser gestellt werden.<br />

Der Gesetzgeber folgt hier dem<br />

Grundsatz „ambulant vor stationär“<br />

und möchte den Anreiz erhöhen, trotz<br />

einer Pflegebedürft<strong>ig</strong>keit zu Hause<br />

wohnen zu bleiben. Natürlich können<br />

Menschen mit niedr<strong>ig</strong>en Pflegegraden<br />

oft auch in den e<strong>ig</strong>enen vier Wänden<br />

versorgt werden. Ein<strong>ig</strong>e möchten<br />

aber auch bewusst in eine stationäre<br />

Einrichtung ziehen. Häuf<strong>ig</strong> spielt das<br />

Erleben von Gemeinschaft und viele<br />

soziale Kontakte eine große Rolle<br />

für den Einzug und stellt eine enorme<br />

Lebensqualität dar, die zuhause häuf<strong>ig</strong><br />

nicht mehr gegeben ist. Diesen Aspekt<br />

sehe ich bei der gesetzgeberischen Intention<br />

gefährdet. Noch ist allerdings<br />

nichts von einer Veränderung der Bewohnerstruktur<br />

zu sehen. Wir haben<br />

nach wie vor viele Anfragen von Interessenten<br />

– auch mit niedr<strong>ig</strong>en Pflegegraden.<br />

24 in

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!