Wenn Sie, lieber Leser, gerade auf der Toilette sitzen, so haben Sie soeben bestimmt hastig zum Klopapier geschaut. Natürlich ist welches da, bei mehr als 90 % der Toilettenbesuche ist das der Fall. Was ist aber, wenn nun die anderen 10 % eingetreten sind - sehen Sie schon vor Ihrem geistigen Auge Ihre Verwandten an Ihrem Grabe stehen, trauernd und gleichzeitig peinlich berührt von dieser unüblichen Art, das Zeitliche zu segnen? Doch jetzt ist keine Zeit, um in Panik zu geraten. In Ihrer Situation muss mit kühlem Kopf überlegt und mit entschlossener Kaltblütigkeit gehandelt werden. Denn anders als bei K. Acker ist Ihre Lage durchaus nicht ausweglos. Sie verfügen nämlich, ohne sich dessen bewusst zu sein, über die nötige Ausrüstung: nämlich über eine Hochzeitszeitung - ja, genau die, die sie gerade in Ihren zitternden Händen halten. Jetzt bewahrheitet sich der Spruch meines alten Pastors: "Wer gibt, dem wird der Herr es tausendfach zurückgeben". Was sind die 2,50 €, die Sie für diese Zeitung gezahlt haben im Vergleich zu Ihrem kostbaren Leben? Noch sind sie nicht ganz außer Gefahr, deshalb müssen Sie die folgenden Ratschläge konsequent und penibel befolgen. Zuerst wählen Sie eine entsprechende Seite aus und trennen sie aus der Hochzeitszeitung heraus. Welche Seite das nun ist, hängt allein von Ihren Typ ab. Der Ordentliche nimmt meistens die erste Seite, während der Choleriker die erst Beste herausreißt. Intellektuelle Typen bevorzugen meist weniger wichtige Beiträge, wie z. B. Werbung oder Fotos, Pragmatiker hingegen meiden die Seiten mit Fotos, weil diese die meiste Druckerschwärze aufweisen und demnach auch die meisten Spuren hinterlassen. Als Zweites müssen Sie nun das Blatt zerknüllen, wie lange und wie intensiv Sie dieses machen, hängt wiederum von der Empfindlichkeit ihres Allerwertesten ab; wenn Sie ein ganz Hartgesottener sind, empfehle ich den Umschlag - er lässt sich am besten abwaschen und besticht durch besondere Reißfestigkeit. Hakle-Feucht Benutzer können durch Auftragen von etwas Spucke den gleichen Effekt wie sonst erzielen (Speichel hat außerdem noch eine desinfizierende Wirkung). Der dritte Schritt ist optional und besteht im wesentlichen nur darin, das Papier durch Falten oder Reißen auf die gewünschte Größe zu bringen. In der Praxis hat sich die Größe handelsüblichen Toilettenpapiers bewährt, ein Quadratzentimeter sollte keinesfalls unterschritten werden. Die nachfolgende Prozedur dürfte jedem von Kindesbeinen an bekannt sein und wird hier nicht näher erläutert. Bei größerem Papierbedarf sind die Schritte eins bis drei zu wiederholen. Experimentieren Sie dabei ruhig mit Beiträgen verschiedener Art, variieren sie auch Größe und den Grad der Zerknüllung - so kriegen Sie am ehesten ein Gefühl dafür, was für Sie am besten ist. Werfen sie das benutzte Papier bitte nicht weg, breiten Sie es vielmehr fein säuberlich neben der Toilette aus, so hat derjenige, der nach Ihnen kommt, etwas zu lesen, falls er sich langweilen sollte. Denken Sie daran, dass Ihr Nachfolger in die gleiche Situation geraten kann wie Sie. Es ist Ihre moralische Pflicht und ein Gebot der Nächstenliebe, ihrem Nachfolger ein weiteres, unbenutztes Blatt zur Verfügung zu stellen (am besten dieses hier, so hat er auch gleich die Bedienungsanleitung). Sollten Sie jedoch zu jenen edlen Menschen gehören, deren Opferbereitschaft schon fast an ein Martyrium grenzt, so lassen Sie bitte die ganze 2
Hochzeitszeitung da und nehmen Sie sich nur ein oder zwei Seiten für etwaigen Eigenbedarf - kommende Generationen werden es ihnen danken. Ich hoffe, Sie haben die Bedeutung meines Ratschlages erkannt und werden in Zukunft nie mehr eine Toilette ohne Hochzeitszeitung betreten. Um welche Zeitung es sich handelt, ist im Prinzip egal, unter Experten erfreut sich vor allem der 2004er Jahrgang großer Beliebtheit, nicht nur wegen der exzellenten Beiträge, vor allem auch weil aufgrund einer technischen Panne weniger Fotos drin sind und somit der Reinigungseffekt am wenigsten beeinträchtigt wird. Servus, Ihr Reinhold Messner 3