WIRTSCHAFT+MARKT 4/2017
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56 | W+M RATGEBER FINANZEN<br />
Die Psyche nach dem<br />
Insolvenzantrag<br />
Nach einem Insolvenzantrag hat der<br />
Unternehmer häufig einen langen<br />
Leidensweg hinter sich. Dem Unternehmen<br />
geht es in der Regel schon eine Zeit<br />
lang schlecht. Mitarbeiter haben das Vertrauen<br />
in die Führungsstärke und die Persönlichkeit<br />
des „Chefs“ verloren, Kunden klagen<br />
über zurückgehende Qualität der Leistungen<br />
oder Produkte und Lieferanten bemängeln<br />
schleppende oder ausgebliebene<br />
Zahlungen. Banken beginnen mit Krisengesprächen,<br />
drohen die Kündigung der Bankverbindung<br />
an oder haben schon gekündigt.<br />
Der Unternehmer erinnert sich an – teilweise<br />
lange zurückliegende – gute oder glanzvolle<br />
Zeiten und verwirklicht den Grundsatz<br />
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“. Nicht selten<br />
setzt er auch ganz erhebliche eigene oder<br />
auch fremde private Mittel ein, um die vermeintlich<br />
vorübergehende Schwäche des<br />
Unternehmens zu finanzieren. Gelegentlich<br />
auch deshalb, weil Banken und andere Kreditgeber<br />
dazu nicht mehr bereit sind.<br />
Getreu dem Motto „Ein Unglück kommt selten<br />
allein“ gesellen sich zu den wirtschaftlichen<br />
Problemen gern auch andere Schwierigkeiten<br />
hinzu. Es ist daher keine Ausnahme<br />
und erfahrene Insolvenzverwalter kennen<br />
es, wenn der Arzt dem Unternehmer<br />
am Tage des Insolvenzantrages eine seit<br />
langem dringend notwendige Operation<br />
ans Herz und/oder die Ehefrau offenbart,<br />
sie habe inzwischen einen anderen Unternehmer<br />
kennengelernt, der genauso sympathisch<br />
und gutaussehend sei wie der Insolvente.<br />
Der einzige – aber entscheidende<br />
– Unterschied sei, dass der andere Unternehmer<br />
nicht insolvent sei. Der insolvente<br />
Unternehmer möge das, ebenso wie unvermeidbare<br />
Post vom Fachanwalt für Familienrecht,<br />
bitte nicht persönlich nehmen.<br />
Dass die ansonsten immer mitfühlende<br />
(Ex-)Ehefrau ihre persönlichen<br />
Sachen (in der<br />
Praxis nicht selten den<br />
gesamten Hausstand)<br />
inzwischen aus der<br />
gemeinsamen Wohnung<br />
ausgeräumt<br />
und die gemeinsamen<br />
Kinder inzwischen<br />
„Papa“ zu dem<br />
neuen Lebensgefährten<br />
der (Ex-)Ehefrau<br />
Prof. Dr. Florian Stapper, Fachanwalt<br />
für Insolvenz- und Steuerrecht und<br />
Inhaber von STAPPER Insolvenz- und<br />
Zwangsverwaltung.<br />
des insolventen Unternehmers<br />
sagen,<br />
sei ja wohl nicht so<br />
schlimm. Der Insolvente<br />
würde das ohnehin<br />
kaum registrieren. Er sei ja nur noch in<br />
der Firma, zunehmend schlecht gelaunt und<br />
so gut wie nicht mehr ansprechbar. Persönliche<br />
Post des insolventen Unternehmers<br />
bringt die (Ex-)Ehefrau dann aber doch noch<br />
kurz vor dem schon länger geplanten Urlaub<br />
mit „dem Neuen“ und den Kindern bei<br />
dem Insolventen vorbei. Bei genauem Hinsehen<br />
sind das dann Haftungsbescheide<br />
und Klagen nichtbezahlter Gläubiger sowie<br />
Post von der Staatsanwaltschaft. Den Brief<br />
mit dem Verrechnungsscheck der Versicherung<br />
für überzahlte Beträge hat die Exfrau<br />
auch mit abgegeben, den Scheck allerdings<br />
behalten.<br />
Der Insolvente ist für den Betrieb häufig<br />
wichtig. Er kennt die Technik und ist bei den<br />
Kunden – zumindest grundsätzlich<br />
– geschätzt. Ohne ihn wäre<br />
der Betrieb daher kaum<br />
fortführbar. Gute Insolvenzverwalter<br />
wissen<br />
daher, dass insolvente<br />
Betriebe nicht nur<br />
rechtlich und wirtschaftlich,<br />
sondern<br />
zunehmend auch<br />
psychologisch fortgeführt<br />
werden. Insofern<br />
kann es auch<br />
wichtig sein, den vermeintlich<br />
Gescheiterten<br />
zu motivieren und<br />
für eine Betriebsfortführung<br />
zu gewinnen,<br />
die eine Sanierung aus der Insolvenz<br />
zur Folge haben soll. Richtig strukturiert,<br />
wird der Insolvente, der – verständlicherweise<br />
– kaum noch Hoffnung hatte, sich<br />
wundern, dass er nach relativ kurzer Zeit<br />
durchsaniert wieder am Geschäftsleben<br />
teilnehmen kann. Er verdankt das dann einem<br />
klugen Insolvenzverwalter, der neben<br />
rechtlichem und wirtschaftlichem Sachverstand<br />
auch Kenntnisse um die Psyche nach<br />
dem Insolvenzantrag mitbringt.<br />
<br />
Florian Stapper<br />
Fotos: studiostoks/fotolia.com (oben), Stapper (unten)<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 4/<strong>2017</strong>