Déjà-vu oder der Fehler in der Gehirnmatrix Die meisten von uns kennen dieses etwas gruselige Gefühl des Déjà-vu. Jetzt zeigen MRT-Aufnahmen des Gehirns, wie es zu diesem Phänomen kommt. Peter Empl 24 ALTA VISTA <strong>Sommer</strong> <strong>2017</strong> Forschung Déjà-vu
S ie haben das Gefühl, diesen Text irgendwo schon einmal gelesen zu haben? Klassischer Fall des Déjà-vu! Bisher ist man davon ausgegangen, dass ein Déjà-vu entsteht, wenn sich das Gehirn «falsch» erinnert. Akira O’Connor von der University of St Andrews, Schottland, und sein Team haben jetzt nachgewiesen, dass diese Annahme nicht stimmt. Es war lange ein Rätsel, wie ein Déjà-vu funktioniert, denn es ist so flüchtig und unvorhersehbar, dass es sich nur schwer erforschen lässt. Daher haben sich O’Connor und seine Kollegen überlegt, wie sie ein Déjà-vu im Labor erzeugen können. Sie griffen auf eine Standardmethode zurück, mit der falsche Erinnerungen erzeugt werden. Dazu wird Versuchspersonen eine Reihe von Begriffen vorgelesen, die alle aus demselben Bereich stammen, etwa Bett, Kopfkissen, Nacht, Traum. Aber der Schlüsselbegriff, der diese Wörter verbindet, ist nicht dabei – in diesem Falle «Schlaf». Wenn die Versuchspersonen später die Begriffe wiedergeben sollen, die sie gehört haben, meinen die meisten, dass sie auch den Oberbegriff «Schlaf» gehört haben – eine falsche Erinnerung. Um das Gefühl eines Déjà-vu zu erzeugen, fragte O’Connors Team die Versuchspersonen zunächst, ob sie sich an Begriffe erinnerten, die mit einem «S» begonnen haben. Die Versuchspersonen verneinten die Frage. Als sie später gefragt wurden, ob sie das Wort «Schlaf» gehört hätten, war ihnen klar, dass sie es nicht gehört haben konnten – und doch fühlte sich der Begriff so bekannt an. «Die Teilnehmer berichteten von einem Déjà-vu-Erlebnis», so O’Connor. Im Alter, wenn unser Gedächtnis nachlässt, sind auch Déjà-vus seltener. Widerspruch im Gehirn Die Forscher bildeten die Hirnaktivität von 21 Freiwilligen während dieses bewusst hervorgerufenen Déjà-vus mit der sog. funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) ab. Dabei erwarteten sie, dass die Hirnareale, die mit der Erinnerung zusammenhängen, also etwa der Hippocampus, während dieses Phänomens aktiv sind. Aber das war nicht der Fall. Vielmehr, so stellte O’Connors Team fest, waren die vorderen Gehirnareale aktiv – dort, wo Entscheidungen gefällt werden. O’Connor stellte seine Ergebnisse kürzlich auf der International Conference on Memory in Budapest, Ungarn, vor. Er nimmt an, dass die vorderen Gehirnareale wahrscheinlich unser Gedächtnis durchsuchen und Signale senden, wenn ein Gedächtnisfehler auftaucht – ein Konflikt zwischen etwas, was wir tatsächlich erlebt haben, und etwas, von dem wir nur glauben, dass wir es erlebt haben. «Das lässt die Annahme zu, dass während eines Déjà-vus ein Konfliktlösungsprozess in unserem Gehirn abläuft», erklärt Stefan Köhler von der University of Western Ontario in Kanada. Ein gesunder Kopf Sollten diese Forschungsergebnisse bestätigt werden, ist ein Déjà-vu ein Zeichen dafür, dass die «Suchmaschine» des Gehirns gut funktioniert, wodurch die Wahrscheinlichkeit von Erinnerungstäuschungen sinkt. Das würde zu dem passen, was wir bereits über die Auswirkungen des Alterungsprozesses auf das Gedächtnis wissen: Déjà-vu-Ereignisse kommen häufiger bei jungen Menschen vor. Im Alter, wenn unser Gedächtnis nachlässt, sind auch Déjà-vus seltener. «Es könnte sein, dass die Leistungsfähigkeit des allgemeinen Suchsystems nachlässt und wir deshalb Erinnerungstäuschungen nicht mehr erkennen», so O’Connor. Für Christopher Moulin von der Universität Pierre Mendès-France in Grenoble sind diese Erkenntnisse schlechte Nachrichten für Menschen, die nie Déjà-vu-Erlebnisse haben. «Ich möchte nicht unhöflich sein, aber das spricht nicht für ihre Gedächtnissysteme», so der Wissenschaftler. «Vielleicht», so hält O’Connor dagegen, «haben Menschen, die keine Déjà-vu-Erlebnisse kennen, grundsätzlich ein besseres Gedächtnissystem. Wenn sie keine Fehler machen, gibt es auch keinen Auslöser für ein Déjà-vu-Erlebnis.» «Wir wissen immer noch nicht, ob ein Déjà-vu nützlich ist», sagt Köhler. «Es ist durchaus möglich, dass ein Déjà-vu-Erlebnis die Menschen vorsichtig werden lässt, weil sie ihrem Gedächtnis nicht mehr vertrauen», gibt er zu bedenken. «Aber dafür haben wir noch keine Belege.» Forschung Déjà-vu <strong>Sommer</strong> <strong>2017</strong> ALTA VISTA 25