Heimat-Rundblick Nr. 121, Sommer 2017
Geschichte, Kultur und Natur aus der Region Wümme, Hamme, Weser.
Geschichte, Kultur und Natur aus der Region Wümme, Hamme, Weser.
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Sommer 2017
Einzelpreis € 4,50
2/2017 · 30. Jahrgang
ISSN 2191-4257 Nr. 121
RUNDBLICK
AUS DER REGION HAMME, WÜMME, WESER
GESCHICHTE · KULTUR · NATUR
I N H A L T
unter anderem:
Auch Reptilien brauchen Freunde
Fritz Mackensen „Dr. h. c.“
Jürgen Christian Findorff in Osterholz
Antiqua sidewendige
Die Karte!
113 Jahre Arbeit für Heimat
und Umwelt
Rundgang durch Verden
Umstellt und entstellt
I N H A L T
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Mit freundlicher Genehmigung der Firma Carl Fiedler · www.glaserei-fiedler.de
Redaktionssitzung
Die nächste Redaktionssitzung findet statt am
22. Juli 2017, 15.00 Uhr,
im „Kahnschifferhaus“,
Unterm Berg 31 in 28777 Bremen-Rekum.
Gewerbegebiet Moorhausen · Scheeren 12 · 28865 Lilienthal
Lilienthal Tel.: 0 42 98 / 3 03 67 · Bremerhaven Tel.: 0471 / 4 60 53
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Anmeldungen werden erbeten
bis zum 12. Juli 2017 unter
Tel. 04298 / 46 99 09 oder info@druckerpresse.de
Aus dem Inhalt
Aktuelles
Jürgen Langenbruch
Redaktionssitzung Seite 6
Jürgen Langenbruch
Lesenswert:
„Vergesst ja Nette nicht“ Seite 7
Johannes Rehder-Plümpe
Die Karte! Seite 18 – 19
Rudolf Matzner
Pferde – Dom – Störtebecker Seite 21 – 23
Wilko Jäger
Umstellt und entstellt Seite 24 – 25
Manfred Simmering
Ein großer Bioland-Betrieb Seite 26 – 27
Heimatgeschichte
Prof. Dr. Jürgen Teumer
Vor 100 Jahren:
Fritz Mackensen „Dr. h. c.“ Seite 4 – 5
Harry Schumm
Zwei Kuhhörner geben Rätsel auf Seite 5
Wilhelm Berger
Jürgen Christian Findorff
in Osterholz Seite 10 – 13
Harald Steinmann
Antiqua sidewendige Seite 14 – 15
Rudolf Matzner
Sengstacke –
Schicksal einer Familie Seite 16 – 17
Kultur
Johannes Rehder-Plümpe
113 Jahre Arbeit für Heimat
und Umwelt Seite 20
Natur
Maren Arndt
Auch Reptilien brauchen Freunde Seite 8
Serie
Jan Brünjes
Lach- und Torfgeschichten Seite 9
Peter Richter
Fast vergessen Seite 7
Bauernregeln Seite 24
‘n beten wat op Platt Seite 25
Redaktionsschluss für die nächste
Ausgabe: 15. August 2017
Titelbild:
Ringelnatter · Foto: Maren Arndt
Liebe Leserinnen
und Leser,
wenn Sie 3000 Jahre in die Vergangenheit
reisen würden, könnte das durchaus
gesundheitliche Folgen durch
unfreiwillige Kontakte mit Auerochsen
nach sich ziehen, wie Sie auf Seite 5
erfahren können. Völlig ungefährlich
sind heutige Kontakte mit der Blindschleiche,
dem Reptil des Jahres 2017
(S. 8). Jürgen Teumer informiert Sie
über die Verleihung der Doktorwürde
ehrenhalber an Fritz Mackensen, den
Gründer der Künstlerkolonie Worpswede,
der in späteren Jahren aufgrund
seiner Neigung zum Nationalsozialismus,
mit der er in Worpsweder Künstlerkreisen
allerdings kein Alleinstellungsmerkmal
hatte, in die Kritk geraten
war. Nicht nur für die Freunde des
Plattdeutschen gibt es wieder Lachund
Torfgeschichten. Wilhelm Berger,
Experte für historische Karten aus unserer
Gegend, macht Sie mit der ersten
Karte des Fleckens Osterholz bekannt,
Johannes Rehder-Plümpe stellt die
inzwischen durch die Medien gegangene
Karte Bremens aus dem Jahre
1748 vor. Harald Steinmann berichtet
von der „Antiqua sidewendige“, was
keinesfalls eine Schrifttype ist.
Rudolf Matzner erzählt von Hermann
Sengstacke und seinen Nachkommen,
geb. 1815 in Marßel, der auf ungewöhnliche
Art seine spätere Frau erwerben
konnte und es in den USA zu gewissem
Wohlstand gebracht hat. Weitere
Themen: Geschichte des „Vereines für
Niedersächsisches Volkstum“, ein Rundgang
durch die Reiterstadt Verden, die
Problematik der Windkraftanlagen in
unserer Heimat, die Hofmolkerei Dehlwes
in Lilienthal sowie eines Rezension
eines lesenwerten Buches über den Bremer
Judenreferenten Bruno Nette.
Leserreise 2017
In diesem Jahr steht die Residenzstadt
Celle auf unserem Reiseplan, die 2017 das
725. Jubiläum feiert.
Wir starten am Samstag, den 9. September
2017 ab Parkplatz Druckerei Langenbruch,
Scheeren 12, 28865 Lilienthal
um 7.30 Uhr gen Süden.
Nach der Ankunft steht eine eineinhalbstündige
Altstadtführung auf dem
Programm. Im Anschluss pausieren wir bei
einem gemeinsamen Mittagessen in
einem Restaurant in der Altstadt.
Eine ca. einstündige Schlossführung
beginnt dann um 14.15 Uhr. Anschließend
besteht die Möglichkeit, auf eigene Faust
Ich wünsche Ihnen eine angenehme
und vielleicht auch nachdenklich
machende Lektüre. Vielleicht werden
Sie auch mal aktiv - durch Verfassen von
Artikeln, durch Teilnahme an unseren
Redaktionssitzungen - und durch politische
und soziale Betätigung?
Ihr Jürgen Langenbruch
Impressum
Herausgeber und Verlag: Druckerpresse-Verlag UG
(haftungsbeschränkt), Scheeren 12, 28865 Lilienthal,
Tel. 04298/46 99 09, Fax 04298/3 04 67, E-Mail
info@heimat-rundblick.de, G eschäftsführer: Jürgen
Langenbruch M.A., HRB Amtsgericht Walsrode 202140.
Redaktionsteam: Wilko Jäger (Schwanewede),
Rupprecht Knoop (Lilienthal), Dr. Christian Lenz (Teufelsmoor),
Peter Richter (Lilienthal), Manfred Simmering
(Lilienthal), Dr. Helmut Stelljes (Worps wede).
Für unverlangt zugesandte Manuskripte und Bilder wird
keine Haftung übernommen. Kürzungen vorbehalten. Die
veröffentlichten Beiträge werden von den Autoren selbst
verantwortet und geben nicht unbedingt die Meinung
der Redaktion wieder. Wir behalten uns das Recht vor,
Beiträge und auch Anzeigen nicht zu veröffentlichen.
Leserservice: Telefon 04298/46 99 09, Telefax 04298/3 04 67.
Korrektur: Helmut Strümpler.
Erscheinungsweise: vierteljährlich.
Bezugspreis: Einzelheft 4,50 €, Abonnement 18,– € jährlich
frei Haus. Bestellungen nimmt der Verlag entgegen;
bitte Abbuchungsermächtigung beifügen. Kündigung
drei Monate vor Ablauf des Jahresabonnements.
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Druck: Langenbruch, Lilienthal.
Erfüllungsort: Lilienthal, Gerichtsstand Osterholz-Scharmbeck.
Der HEIMAT-RUNDBLICK ist erhältlich:
Bremen: Böttcherstraße/Ecke Andenkenladen
Worpswede: Buchhandlung Netzel, Aktiv-Markt, Philine-
Vogeler-Haus (Tourismus-Info), Barkenhoff.
noch einiges zu entdecken oder in einem
der nahegelegenen Cafés zu entspannen.
Um ca. 17.30 Uhr Treffen zum Buseinstieg
und Abfahrt in Richtung Lilienthal.
Ankunft ist um ca. 19 Uhr.
Anmeldeschluss für diese Reise ist der 4.
August 2017 unter Tel. 04298/469909,
Stichwort: Leserreise.
Die Kosten belaufen sich auf EUR 40,00
pro Person (incl. Eintritt und Führungen).
Essen und Getränke zahlt jeder selbst.
Wir bitten um Zahlung von € 20,00 pro
Person als Anzahlung auf das Konto des
Druckerpresse Verlages UG, KSK Osterholz,
IBAN: DE 27 2915 2300 1410 0075 28,
Stichwort: Leserreise 2017, vielen Dank.
Wir freuen uns auf rege Teilnahme. Sonniges
Herbstwetter ist bestellt.
Das Planungsteam
RUNDBLICK Sommer 2017
3
Vor 100 Jahren: Fritz Mackensen „Dr. h. c.“
Erinnerung an ein besonderes Jubiläum in Worpswede
Nein, es ist noch nicht das Jubiläum der
Ortsgründung Worpswedes, dessen hier
im Folgenden gedacht werden soll. An dieses
wichtige Ereignis, viele werden es wissen,
wird ja erst im kommenden Jahr erinnert,
genau am 21. Juli 2018. Hier soll es
um etwas vergleichsweise weniger Spektakuläres
gehen, was aber für Worpswede
dennoch nicht ganz unwichtig ist und deshalb
erwähnt werden soll.
Vor 100 Jahren, und zwar am 21. Mai
1917, wurde einem Einwohner Worpswedes
eine seltene Auszeichnung und Ehre
zuteil: Er wurde per Urkunde mit einem
Doktorgrad ehrenhalber (Dr. h.c.) seitens
der Philosophischen Fakultät der Georg-
August-Universität zu Göttingen ausgezeichnet.
Der Ausgezeichnete war der
Gründer der Worpsweder Künstlerkolonie
Fritz (eigentlich: Friedrich) Mackensen.
Fortan durfte er sich Dr. h.c. Fritz Mackensen
nennen, Doktor der Philosophie und
Magister der Freien Künste.
Bereits mit vielen Preisen
und Titeln bedacht
Zu dieser Zeit war Mackensen schon
längst mit manchen Preisen und Titeln versehen
worden, darunter natürlich die
Große Goldene Medaille im Münchner
Glaspalast im Jahre 1895, die den Ruf der
Worpsweder Malerkolonie begründete.
Daneben war er bereits mit weiteren
Medaillen in Gold und Silber für einzelne
seiner Werke dekoriert worden. Unter den
Preisen muss der Villa-Romana-Preis der
Deutschen Akademie in Florenz hervorgehoben
werden, den er im Jahre 1908
erhielt. Im akademischen Bereich hatte er
sich schon seit 1908 Verdienste als Professor
an der Großherzoglichen Kunst(hoch)-
schule in Weimar erworben, der er dann
schließlich ab 1910 bis Anfang 1919 sogar
als Direktor vorstand.
Dass gerade die Georgia Augusta in Göttingen
Fritz Mackensen auszeichnete,
hatte selbstverständlich mit seinen besonderen
Leistungen und seiner überregionalen
Anerkennung als Künstler und akademischer
Lehrer zu tun. Es war aber auch ein
Zeichen der Verbundenheit mit dem verdienten
Landeskind aus dem kleinen
Flecken Greene, der damals zum Herzogtum
Braunschweig-Lüneburg gehörte und
der nicht allzu weit entfernt von der Universitätsstadt
liegt.
Dass der Urkundentext in der Originalversion
in lateinischer Sprache abgefasst
wurde, hängt mit der akademischen Tradition
zusammen. Dieser Umstand ergab
allerdings für diesen Beitrag hier die
Schwierigkeit, eine möglichst genaue
Abb. 1: Die Originalurkunde für Dr. h.c. Fritz
Mackensen vom 21. Mai 1917 (lateinisch: DIE XXI
MENSIS MAII A MCMXVII)
Quelle: Universitätsarchiv Göttingen
Übersetzung anzufertigen. Die dafür erforderliche
Schwerstarbeit leistete und bewältigte
in hervorragender Weise Pastor Gottfried
Ostermeier aus Greene. Jürgen Sander,
der engagierte 1. Vorsitzende des Heimatvereins
in Greene, übermittelte mir
beide Fassungen, also das Original und die
Übersetzung.
Die Passage, in der Mackensens Verdienste
gewürdigt werden, lautet (in der Übersetzung)
wörtlich:
„Vor fast dreißig Jahren hatte er mit der
Glut einer jugendlichen Seele die öden und
sumpfigen Gründe Niedersachsens liebevoll
in sein Herz geschlossen und hat die schlichte
und stille Anmut dieser Landschaft, den
urwüchsigen Charakter und die ernsten Sitten
der Bewohner als erster in hervorragenden
Gemälden dargestellt.
In der versammelten Gemeinschaft der
Künstler möge er den Namen Worpswede für
immer lebendig erhalten und möge sich nicht
allein Malern, sondern auch Geschichtsschreibern
in diesem Teile Deutschlands als
gewichtiger Autor erweisen, auf dass sie
bestrebt sein mögen, die ernste und männliche
Kunst tief im Vaterlande allein zu verwurzeln.“
Die Urkunde enthält neben dem Namen
des Geehrten weitere Namen. Dass im
Kopf Wilhelm II., „Kaiser der Deutschen
und König von Preußen“, herausgehoben
wird, gehört zu den Gehorsamspflichten,
denen die Untertanen, natürlich auch
Institutionen wie die Universitäten nachzukommen
hatten. Bedeutsamer aber ist die
Erwähnung der übrigen Personen, die in
der Urkunde genannt werden. Ich habe
mich im Internet bei Wikipedia über sie
und ihre Vita ein wenig kundig gemacht
und dabei gelernt, dass es sich um hoch
angesehene Wissenschaftler gehandelt
hat.
Dabei fand ich zu Prof. Robert von Hippel
(1866-1951), dem damaligen Rektor
der Universität Göttingen, dass dieser Jurist
seinerzeit als einer der bedeutendsten
deutschen Strafrechtler galt, der sich u.a.
um die Resozialisierung entlassener
Straftäter besonders verdient gemacht hat,
ein Gebiet, das sicher in unsere Zeit hineinwirkt.
Weiterhin erwähnt wird Prof. Heinrich
Maier (1867-1933), der als damaliger
Dekan der Philosophischen Fakultät die
Urkunde unterschrieb und Fritz Mackensen
überreichte. Maier galt als herausragender
Wissenschaftler und lehrte seit
1911 in Göttingen das Fach Philosophie.
Großes Ansehen soll er sich als Neukantianer
erworben haben.
Und schließlich wurde mit Bedacht das
Datum des 21. Mai 1917 gewählt. Denn
auf den Tag genau 100 Jahre vorher, also
am 21. Mai 1817, war eine der zentralen
Persönlichkeiten der akademischen Philosophie
des 19. Jahrhunderts geboren worden,
nämlich der in der Urkunde erwähnte
Hermann Lotze (1817-1881). Prof. Lotze,
von seiner Ausbildung her Philosoph und
Mediziner, vertrat ab 1844 in Göttingen
das Fach Philosophie – übrigens auf einem
Lehrstuhl, den ab 1833 bis zu seinem Tod
der berühmte Johann Friedrich Herbart
(1776-1841) innegehabt hatte.
Abb. 2: Prof. Dr. Hermann Lotze, Ordinarius für
Philosophie (Foto übernommen aus: Wikipedia)
4 RUNDBLICK Sommer 2017
Dass gerade dieses Datum und diese
Person in den Bezug zur Künstlerpersönlichkeit
von Fritz Mackensen gestellt
wurde, könnte m.E. damit zu tun haben,
dass Prof. Lotze auch eine besondere Nähe
zur Kunst aufwies. Zwei seiner wissenschaftlichen
Publikationen befassten sich
nämlich mit Themen, die jedem Künstler
naheliegen, und zwar „Ueber den Begriff
der Schönheit“, Göttingen 1845, und
„Ueber Bedingungen der Kunstschönheit“,
Göttingen 1847. In einem Gedenkbeitrag
zum 100. Geburtstag Lotzes wurde
deshalb auch darauf hingewiesen, dass
„Lotzes Empfänglichkeit für Kunst und
Dichtung … ihn zur Philosophie geführt
(hatten)“ (Becher 1917, S. 325).
Als Künstler unbestreitbar
Verdienste erworben
Wir wissen alle, dass Fritz Mackensen
sich tief in die Ortschronik Worpswedes
eingeschrieben und sich als Künstler und
(akademischer) Lehrer unbestreitbare Verdienste
erworben hat. Wir wissen aber
auch, dass seine Lebensumstände, seine
Haltung und nicht zuletzt die politischen
Rahmenbedingungen ihn in eine Lage
geführt haben, die mit erheblichen Schatten
behaftet ist. Dies ist die Tragik seines
Lebens.
Prof. Dr. Jürgen Teumer
Literatur
- Becher, Erich: Hermann Lotze und seine
Psychologie. In: Ztschr. Die Naturwissenschaften
5 (1917) 20, S. 325-334
- Lotze, Hermann: Ueber den Begriff der
Schönheit. Göttingen 1845
- ders.: Ueber Bedingungen der Kunstschönheit.
Göttingen 1847
Zwei Kuhhörner geben Rätsel auf
Fundspuren eines Auerochsen in Seehausen
Grasberg. Es mag schon seltsam
erscheinen, wenn aus der hiesigen Moorgegend
von vermutlichen Fundspuren
eines Auerochsen, dem Urtier des Rindes,
die Rede sein soll. Die meisten Moorbauern
sind wegen eventuellen Funden beim
Torfstich kaum an die Öffentlichkeit getreten.
Sie machten selten Gerede davon -
eben wie es die Art eines echten Niedersachsen
ist. Wenn sie jedoch Interesse zeigten,
haben sie den Fund dem örtlichen
Schullehrer davon in Kenntnis gesetzt, der
ihn entgegennahm und auch in schulischer
oder gar privater Verwahrung nahm.
Die Schulchronik Seehausen berichtet
bedauerlicherweise über diesen Fund
nichts.
Fund dem Schulmeister
gemeldet
Der Auerochse. 2 )
Im Jahr 1925 fand der Sohn des Landwirts
Meier in Seehausen 1 ) beim Torfstechen
zwei „Kuhhörner“. Er meldete dies
dem örtlichen Schulmeister, der es somit in
der Tageszeitung publizierte. In diesem
kleinen Artikel wird erwähnt, dass die beiden
Hörner in drei Meter Tiefe und 10 Zentimeter
über dem Sand im Abstand von 2
- 3 Metern gefunden wurden. Das eine
Horn wäre noch vollständig, während von
dem anderen nur noch die Spitze erhalten
war. Außerdem haben die Fundstücke
infolge der langen Moorvegetation die
schwarzbraune Färbung der unteren
Moorschicht angenommen. „Das Moor in
der Nähe der Hörner wies auffallend an
Wagenschmiere erinnernde Stellen auf“.
Diese Moorschicht nennt sich Klipp, der in
seiner Substanz kaum noch vegetabile
Spuren aufweist. Im nassen Zustand ist er
schmierig, in trockener Masse dagegen
nahezu hart wie Kohle.
Von der Form, Länge und dem Durchmesser
der Hörner sowie eventuellen Knochenresten
finden sich im Artikel keine
Angaben.
Tier hat vor ca. 3000
Jahren gelebt
Auch wenn aus den bisherigen Ausführungen
noch kein eindeutiges Resultat
folgen kann, so lassen sich doch einige
Eckpunkte setzen: Allgemein wird angenommen,
dass eine intakte Moorvegetation
pro Jahr um 1 Millimeter an Mächtigkeit
zunimmt. Bei einer Höhe von 3 Metern
wäre es somit etwa 3.000 Jahre her, wo das
Tier gelebt hat. Es ist fraglich, ob zu dieser
Zeit im norddeutschen Raum bereits
Hausrinder gehalten wurden, die zu damaliger
Zeit von kleinerer, kräftiger und wilder
Statur waren, als wir sie heute kennen.
Auch waren es sicher keine ausgewachsenen
Auerochsen. Sie würden wegen ihrer
überaus großen Hörner im Artikel sicher
Erwähnung gefunden haben. Waren es
dann zwei junge, noch naturgemäß völlig
verwilderte Auerochsen-Rinder, die im
Zweikampf teilweise ihre Hörner eingebüßt
haben?
Für die phantasievolle Dichtung ist zu
diesem Thema noch reichlich Stoff vorhanden.
Somit belasse ich es bei den bisherigen
Ausführungen. Vielleicht bringen
diese Zeilen unter Fachkreisen mehr Licht
ins Dunkel der Vergangenheit.
Harry Schumm
1) Seit dem 1. März 1974 Ortsteil der
Gemeinde Grasberg.
2) Quelle: NABU Waldeck-Frankenberg
RUNDBLICK Sommer 2017
5
Redaktionssitzung
Panorama-Blick über den „Lilienhof“
Foto: Maren Arndt
Am 8. April 2017 fand die aktuelle
Redaktionssitzung des Heimat-Rundblicks
im „Lilienhof“ in Lilienthal-Worphausen
statt. Herausgeber Jürgen Langenbruch
hatte das Vergnügen, als Gäste unseren
Landtagsabgeordneten, Herrn Axel Miesner,
den Vorsitzenden der „Worphüser Heimotfrünn“,
Herrn Hinrich Tietjen, und
Herrn Herbert A. Peschel von der
Geschichtswerkstatt Burg-Hagen zu
begrüßen.
Herr Tietjen weihte uns in die 40-jährige
Geschichte der „Heimotfrünn“ und die 30-
jährige des „Lilienhofes“ ein.
Gerade kurz zurück lag die Ausstellung
„30 Jahre Heimat-Rundblick“ im Kreishaus
Die Teilnehmer der Redaktionssitzung in angeregter Unterhaltung
Foto: Maren Arndt
Osterholz, die recht erfolgreich verlaufen
ist - vielen Dank an alle Beteiligten.
Leserreise 2017 führt
nach Celle
Nach Rückschau und Themensammlung
für die Ausgabe 121 wurde noch die
Leserreise angesprochen, die am 9. September
nach Celle stattfinden wird - um
rege Beteiligung wird gebeten.
Nach lebhafter Diskussion, bei der es
auch um das Vogelmuseum in Osterholz-
Scharmbeck ging, schauten sich alle noch
einmal in den historischen Räumen um
und traten den Heimweg an.
Jürgen Langenbruch
Hinweisschild zum Lilienhof Foto: Helmut Stelljes Spieker Foto: Helmut Stelljes
Bäuerliche Gerätschaften Foto: Helmut Stelljes Eines der Gebäude Foto: Helmut Stelljes
6 RUNDBLICK Sommer 2017
Lesenswert
Bernhard Nette
„Vergesst ja Nette nicht“
Der Bremer Polizist und
Judenreferent Bruno Nette
VSA. Verlag Hamburg 2017
ISBN 978-3-89965-763-0
344 Seiten, broschiert
Bernhard Nette, geboren 1946 in Hamburg,
1968-73 Studium der Geschichte
und Germanistik in Hamburg, 1978-2011
Lehrer, 1995-2010 Mitglied des Landesvorstands
der GEW Hamburg, 1994-1997
Chefredakteur der „hlz“, der Zeitung der
GEW Hamburg.
Nette beschreibt zunächst seine Erinnerungen
an seinen Großvater Bruno Nette,
bei dem er 1952 - damals als Sechsjähriger
- einige Tage verbracht hat. Beim Besuch
der Bremer Böttcherstraße 1987 fällt ihm
in einer Buchhandlung das Buch „Bremen
im 3. Reich“ von Inge Marßolek und René
Ott in die Hände. Hier erfährt er, dass sein
Großvater Gestapo-Beamter und Bremer
Judenreferent gewesen ist.
Zur Erinnerung: die Nazis verboten den
Juden die Benutzung von Parkbänken,
Kinobesuche, Schwimmbäder, das Autofahren,
Telefonieren und Radiohören.
1938 kam es zum Verkauf jüdischen
Grundbesitzes, 1939 zur Zwangsabgabe
aller Gegenstände aus Gold, Silber und Platin,
1941 wurden sämtliche Vermögen eingezogen.
Bruno Nette will mehr wissen, er spricht
mit seinem Vater, er sucht die Orte der Vergangenheit
auf; das „Haus des Reichs“
(heute Sitz der Finanzsenatorin) in der
Contrescarpe - errichtet von Gustav Karl
und Friedel Lahusen („Nordwolle“, Delmenhorst),
1934 von der Reichsfinanzverwaltung
übernommen, wo 1947 das Verfahren
gegen Bruno Nette vorbereitet
wurde.
Bernhard Nette recherchiert im Staatsarchiv,
erfährt einiges über die Transporte
von Juden nach Minsk (1941) und Theresienstadt
(1942-45), die Wohnorte seines
Großvaters; ab 1923 Weißenburger
Straße 19, 1928 Ruhrstraße 13 (Klein-
Mexiko). 1932 verließ er seine Frau und
zog in die Manteuffelstraße 31, danach in
die Kimmstraße 1 in Vegesack.
Der Werdegang Bruno Nettes wird
nachverfolgt vom Bremer Schutzmann
zum Unteroffizier eines Husaren-Regiments.
1915 bekommt er das Eiserne
Kreuz II. Klasse, wird Mitglied der Geheimen
Feldpolizei und 1940 auch der
Gestapo und Bremer Judenreferent. Sein
Enkel Bernhard steht vor dem Polizeihaus
am Wall, damals Gestapozentrale, vor der
Ostertorwache, dem Gefängnis, in dem
viele „Staatsfeinde“ gefoltert wurden -
heute ist es das Wilhelm-Wagenfeld-Haus
und bietet Kultur vom Feinsten.
Die Deportation von 700 Menschen aus
Bremen und Wesermünde nach Minsk
überleben 20. Einer von Ihnen, Richard
Frank, fasste die Ereignisse 1948 zusammen,
in dem er die unglaubliche Grausamkeit
der SS und der Gestapo-Beamten
schildert (im Buch S. 192). 1942 geht die
Deportation nach Theresienstadt - 1949
erzählt Bruno Nette, dass er diesen Ort für
ein Altersheim für Juden gehalten hat.
Nach dem Krieg wird Bruno Nette als
„Hauptschuldiger“ belastet, die erste Verhandlung
findet 1949 im Spruchgericht
statt - Am Wall 158, dem inzwischen abgebrannten
Textilhaus Harms.
Hochspannend sind die Vorkommnisse
und Urteile, die aus dem „Hauptschuldigen“
nach mehreren Prozessen einen
„Minderbelasteten“ herauswaschen - seinerzeit
leider kein Einzelfall.
Dieses Buch ist dem zeitgeschichtlich
Interessierten und allen, für die über die
Ereignisse in der Zeit des deutschen
Faschismus kein Gras wachsen kann und
darf, besonders zu empfehlen. Mir fehlt
allerdings ein kleiner Hinweis auf die Vorbereitung
des Holocaust durch die Jahrhunderte
lange Verfolgung, Erniedrigung
und Ermordung der Juden durch die christliche
Kirche und ihre Machthaber.
Fast vergessen …
Jürgen Langenbruch M.A.
Stimmungsbilder aus Moor und Heide im Spiegel der Dichtkunst
Der Dichter, Redakteur und Schriftsteller
Franz Diederich (geb. 2. April 1865, gest.
28.Februar 1921) veröffentlichte u.a. in
den Gedichtbänden „Worpsweder Stimmungen“
und „Die weite Heide“ eindrucksvolle
Lyrik (siehe „Heimat-Rundblick“
Nr. 120, Seite 31).
Auch die folgenden Gedichte zeigen sein
Können und seine Liebe zur Heimat.
Am Weyerberg
Linnenweiß im Sonnenglänzen
ziert den Berg des Kirchleins Wand,
laubumwölkt, aus grünen Kränzen
schimmert weit sie übers Land.
Regungslos am Bergessaume
schläft die Mühle flügelstill,
träumt im sonntagstiefsten Traume,
den kein Hauch zerwehen will.
Auf den Wiesen dunkle Kühe,
einsam fern um fern ein Haus,
durch die atemlose Frühe
zieht ein Boot zur Kirchfahrt aus.
Zwischen blütengelben Triften
blaue Wasserlinien ruhn,
tirilierend aus den Lüften
klingt der Lerche Loblied nun.
Spuren
Altdunkles Kraut und gilbendes Gras, -
hier zog ein Weg – lang ist das her.
Die Zeit schlich weiter und vergaß,
wer einst hier Spuren grub, tief und schwer.
Verwuchert ruht der alte Weg,
der ganz dem struppigen Kraut verfiel.
Ein Pfahl starrt grau zermorscht und schräg
einst wusst und wies er wohl sein Ziel.
Nun buscht die Wildnis. Wetterflug
hat jede Schrift vom Pfahl verspült,
einst war ein Ziel, in schwerem Zug
tief durch die Einsamkeit gewühlt.
Peter Richter
Foto: Helmut Stelljes
RUNDBLICK Sommer 2017
7
Auch Reptilien brauchen Freunde
Blindschleiche ist Reptil des Jahres 2017
Die Blindschleiche – Reptil des Jahres 2017
Lieblich singende Vögel, bunte Schmetterlinge,
putzige Eichhörnchen oder auch
glitzernde Libellen stehen ganz oben auf
der Rangliste der beliebtesten Tierarten.
Doch auch Reptilien und Amphibien
gehören zur viel beschriebenen Artenvielfalt
dazu und müssen inzwischen sogar
streng geschützt werden. Ihre Lebensräume
schwinden dramatisch.
Reptil des Jahres:
die Blindschleiche
Das Reptil des Jahres wird von der Deutschen
Gesellschaft für Herpetologie und
Terrarienkunde (DGHT) und mehreren
Partnerorganisationen ausgewählt. In diesem
Jahr ist es die Blindschleiche. Die
Blindschleiche sieht einer Schlange zwar
ähnlich, gehört aber zur Gruppe der
Echsen. Auch der Name täuscht, blind ist
diese kleine Schleiche ganz sicher nicht.
Sie lebt versteckt im Laub und findet sich
in fast allen Landschaftstypen zurecht. Wer
sie im naturnahen Garten hat, kann sich
freuen, sie vertilgt auch Schnecken. Die
Blindschleiche ist lebendgebärend. Die
jungen Blindschleichen sind silbrig, sehr
klein und sofort auf sich allein gestellt.
Ringelnattern sind harmlos
Die Ringelnatter dagegen ist eine
echte Schlange und gehört, wie der Name
schon sagt, zu den Nattern. Sie ist selten
geworden. Wer sie zu Gesicht bekommt,
Ein Ringelnatterbaby
sollte sich glücklich schätzen und keine
Furcht haben. Ringelnattern sind harmlos.
Anfassen sollte man sie dennoch nicht, da
die Schlangen bei Gefahr ein Sekret absondern
können, das extrem furchtbar stinkt.
Den Geruch wird man so schnell nicht wieder
los. Es ist ihre Art, Feinde abzuwehren.
Bei großer Gefahr kann sich die Ringelnatter
totstellen. Im Straßenverkehr hilft ihr
das allerdings wenig. Ringelnattern sind
leicht zu erkennen an ihren hellgelben
Flecken im Nacken und den runden
schwarzen Augen, die blau aussehen können,
wenn die Schlange vor einer Häutung
steht. Hat man Ringelnattern im Garten,
gelten sie seit Jahrhunderten als Glücksbringer.
Ein Gartenteich und am besten
auch noch ein Komposthaufen, das zieht
Die Kreuzotter
Kreuzotter mit anderer Färbung
diese Schlangen magisch an. Im warmen
Kompost legt die Ringelnatter gern ihre
Eier ab, die dann von Sonne und warmer
Komposterde ausgebrütet werden. Um die
geschlüpften Jungen kümmert sich die
Ringelnatter nicht.
Kreuzotter ist leicht giftig
Die Kreuzotter gehört zu den Vipern.
Sie ist im Gegensatz zur Ringelnatter leicht
giftig. Auch diese schöne Schlange ist in
unserer Region sehr selten geworden. Ihre
Rückzugsgebiete liegen in den verbliebenen
Naturschutzzonen, wie z.B. im Huvenhoopsmoor,
im Hamberger Moor und im
Hagener Königsmoor. Von den Ringelnattern
unterscheiden sie sich an dem Zick-
zackband, das über ihren Rücken läuft.
Kreuzottern variieren in den Farben von
braun bis schwarz. Ihre rötlichen Augen
haben eine schlitzförmige Pupille und verleihen
der Kreuzotter ein grimmiges Aussehen.
Die Furcht vor Schlangenbissen ist
eher unbegründet, da die Kreuzotter sehr
scheu ist und bei Störungen flieht. Heutzutage
muss man sich mehr Sorgen um
den Bestand der Schlangen machen, als
von ihnen gebissen zu werden. Kreuzottern
brüten ihre Eier im Mutterleib aus.
Ihre Nachkommen sind ungefähr bleistiftgroß
und sogleich nach der Geburt selbstständig.
Text und Fotos: Maren Arndt
8 RUNDBLICK Sommer 2017
Lach- und Torfgeschichten
Eeten un Drinken holt Liev un Seel tohoop
Ik bin in de 50iger un 60iger Johrn up
usen Buernhoff an de lüttje Reeg in
Düwelsmoor upwussen. Mien Grootvadder
weer noch een „Jan vom Moor“ mit
een egen Torfschipp dat in'n Konol an'n
Torfmoor leeg. He arbeit uck noch als
Strohdachdecker. Mien Vadder un de
ganze Fomilie moken de Buer'e un späten
Torf von April bit Mai un Juni. Dorno fung
de Hau'etied an. Mien lüttje Swester un ik
sünnt dor so mit grootworn, dat weern
harte Tieden,- ober uck wunnerschön. Ik
will se nich missen.
Wenn ik dor ober nodenk, fallt mie woller
ne'e Anekdoten in. Wie kömen middags
klock 12 ut de School, denn güngt bie
Mama un Oma an'n Kökendisch um us
Eten to vortilgen, je no de Johrestied geef
dat Suppen un Eenpott, Brotkantuffeln mit
Ei, Knipp un Swattbrot, Melksuppen un
foken uck Pannkoken. Den muchen wie
in'n Torfpott un up'n Konol. Dor wor toer's
nee veel bie snakt, de beiden Torfmoker's
„eten wat obern Dumen“, dat heet se
sneern mit eer Messer jümmer Schieben
von Brot, Mettwurst un Schinken af un
schöben de in'n Mund, dorto hölen se uck
de Kruken oberkopp vor'n Hals un drunken
„Kaffee“. De „Kaffee“ weer ober bloot
swatten „Muckefuck“, een Kaffee ut Roggen
un Zichorien, wie holen emm von
Martin Schoster, den „Lindes“ in de blauwitten
Tuten. Papa geef us Kinner jeder
een Himbeerbontje.
No'n Eten kneep Papa sick een Beendhalm
af un töög emm dör de Piep, dorno
stick he den Toback an un smök. Opa harr
keen Piep, de smök korte Stumpen von
„Dieterle Dunkel“. Den wor lacht un vortellt:
„Na, wie weert von dag in'ne School?
Wat mokt Mama un Oma? Uck de beste
Pause güng vorbie, meist heppt wie noch
Iesenpott vull utgepollte gröne Arfen mit
„griesen Jung's“, dat sünnt Klüten ut Bookwetenmehl.
De Suppen weer mit dicken
gestriepten Speck kookt. De harr noch
jümmer ünnern Böön up de Deel an de
Speck spiel'n in'n Rook hungen. De Rook
weer nich oberall henkomen, de swatten
Brummer harr'n Eier afleggt un de Speck
fung an to leven. He muss wech! De grote
Pott stünnt bie'n Buern up'n Disch, al harrn
eer'n Teller un Leepel vor sick. Se falten de
Hann un de Buer seggt: „Jesu, sei unser
Gast und segne was du uns bescheret hast.
Amen!“ He nööm den groten Sleef un röör
de Suppen ornlich no links um,- den no
rechts un höl dorjegen. De Sleef is rund
vull mit de witten Speckwürmer, een poor
zappelt noch. Rin bie den Buern in'n Teller
un dat schmatzen fangt an. Dreemol mok
he sien Teller leddig, for emm een Festmohl:
„Geit runner wie Öl“, meen he. De
1953 – Hof Brünjes, Teufelsmoor 41. Opa Jan, Oma Adeline, „Klein Jan“ mit
Mama Alwine, Papa Hinrich mit den Pferden „Hans“ und „Liese“
Foto: Jan Brünjes
1958 – Pfadfinder, Papa Hinnerk und Jan beim Torfaufladen am Kanal beim
Torfstich
Foto: Jan Brünjes
an'n leevsten, so fein mit Zucker oder
Röbensirup. So feinet Eten, wie Fleesch un
Broden mit Sosse un Solot geef dat Sonndags,
vorher noch frische Höhnersuppe un
achterher Griesspudding mit Brummelbeersaft.
Dat geef noch eeniges mehr, ik
kann dat nu nich al uptellen.
No usen Middag, de gau goon muss,
harr Oma den Etenketel, de Kaffeekruken
un den Brotkorfal packt. Eener von us, oder
uck wie beide, morschieren dormit los den
Weg hoch no'n Torfmoor. Dor töben us
Papa un Opa al, hungrig un dorstig von de
Arbeit in'n Torf, up us. Disse Middagstieden
in Moor up de Torfkant mit Papa un
Opa kann ik nich vorgeten, de Kukuck
roopt, de Vogels sungen, de Gnidden un
Fleegen brummen un dat Woter gluck's
een beten hulpen un Torf umdreiht. „ Dormit
de annere Siet uck natt weern kann“,
lach Opa. No'n tied lang sünnt wie den mit
Korf un Ketel woller no Huus dudelt, dat
geef jo soveel to Kicken an'n Weg. To de
Tied is jo noch veel vortellt worn, de Lü'e
un de Kinner snaken tohoop. Up dat jümmer
al stimmt hett, weet ik nee. Dat weer
in'n Sommer bie een Grootbuern an den
langen Middagsdisch, al seten dor umto,
de Fomilie, de Kinner, Mägde un Knechte
un de Daglöhner. De ole Buer seet too'n
Koppenn an den groten Disch. Dat weer
een hitten Dag in'ne Hau'etied, al sweten
vor sick hen. De Buer weer mit sien Eten,
un dat for sien Lü'e, nee so krür's un genau.
Al'ns wat dor weer un wech muss, kööm
up's Disch. Nu geef dat een gewaltigen
annern Lü'e an'n Disch töben jümmer bit
de Buer ornlich tolangt harr un de Pott
blank fischt weer. Se langen jümmer vorsichtig
an'n Pottrand un nömen uck nich
to veel. Dorto geef dat Buernbrot ut'n
Backoben, dor langen se al düchtig hen.
De Buer seggt jümmer: „Blieft mie wech
mit dat ole dröge Brot, dat kaut sick slecht
un rüüscht swor dör mien Hals.“ He harr
uck bloot's noch een Tähn un sien Bitt
weer blank. Dorum eet he an'n leevsten
so'n beten lichte Schonkost!
Johann (Jan) Brünjes
RUNDBLICK Sommer 2017
9
Jürgen Christian Findorff in Osterholz
Erste Karte des Fleckens aus dem Jahre 1756 Teil 2
Zunächst muss auf einen Fehler im
ersten Teil (Heft 120) hingewiesen werden.
Durch ein Versehen ist auf S. 24 eine
falsche Karte eingefügt worden. Es handelt
sich dabei um eine Karte mit dem Titel
„accurater Plan von einen Theil des Mohr-
Anbaues und streitigen Gräntz-Scheidung
am Weiherdam“. 24 ) Sie ist von Findorff signiert
und mit dem Hinweis versehen „aufgemessen
den 29. Aug. 1758“. Weyerdamm
war damals eine eigenständige
Siedlung in der Hamme-Niederung östlich
von Osterholz und wird zu einem späteren
Zeitpunkt noch einmal Gegenstand der
Betrachtung sein.
Der Mühlengraben verläuft südlich dieser
Ansiedlung in Richtung Hamme. Hier
nun die richtige Karte des alten und neuen
Mühlengrabens – von Findorff 1755 als
erste Kartierung in Osterholz erstellt.
Bauliches Erbe
der Klosterzeit
Vorzeitliche Funde (steinzeitliche Gräber)
lassen auf eine frühe Anwesenheit von
Menschen am Osterholzer Geestrand
schließen. Doch eine Erschließung in
geschichtlicher Zeit ist erst relativ spät
erfolgt und steht im Zusammenhang mit
der Gründung des Klosters St. Marien im
Jahre 1182. So lässt sich vermuten, dass
der Kernbereich des Fleckens Osterholz
seine Entstehung der unmittelbaren Nähe
dieses Benediktinerinnen-Klosters verdankt.
Ab wann sich dort Bauern angesiedelt
haben und ob seitens des Klosters eine
planmäßige Ansiedlung erfolgt ist, lässt
sich nicht belegen.
Am Ende der Klosterzeit jedenfalls hat es
einen Bereich des Klerus mit seinen diversen
Bauten gegeben und daneben einen
dörflich-bäuerlichen mit – wie es Urkunden
der Zeit aussagen – Wohnhaus und
Scheune.
Situation des alten und neuen Mühlen-Grabens, NLA Stade Karten Neu Nr. 12932
Nach der Donation an den Landgrafen
Friedrich von Hessen-Eschwege hat das
Kloster noch bis zu seiner Auflösung im
Jahre 1650 existiert.
In den gut 100 Jahren seitdem hat es bei
Gebäuden und Funktionen einen erheblichen
Wandel gegeben, zumal durch den
Funktionsverlust auch zahlreiche Gebäude
überflüssig geworden waren. Mag sich die
Landgräfin Eleonora Catharina auch als
Nachfolgerin der Domina gesehen und
deren Wohnräume genutzt haben, so war
es dennoch mit dem klösterlichen Leben
vorbei, wenn auch die Klosterdamen auf
Wunsch noch zeitlebens Wohnrecht in
Anspruch nehmen konnten.
An Gebäuden überlebten Kirche und
Armenhaus. Predigerhaus und Haus des
Kantors mit Schulräumen sind neueren
Datums. Von dem umfangreichen Gebäudebestand
des Klosters ist vieles verfallen
und abgerissen. 25 ) Man kann davon ausgehen,
dass der Zustand bereits unter den
Wirrnissen des 30-jährigen Krieges stark
gelitten und sich davon nicht wieder erholt
hat. Beibehalten wurde noch der Kirchhof
als Begräbnisplatz; um die Kirche herum
verteilen sich 12 aufrecht stehende steinerne
Gruftplatten als Andenken an verstorbene
Klosterangehörige. 26 ) Es sind in
der Mehrzahl weibliche Personen, derer
gedacht wird. Dabei dokumentieren
umfangreiche Wappentafeln die adelige
Herkunft der Kloster-Jungfrauen. Auch
wenn es sich um besonders begüterte
Angehörige gehandelt hat, lässt sich die
St.-Marien-Kirche und Martin-Luther-Haus
St.-Marien-Kirche, Grabplatten am Nordschiff
10 RUNDBLICK Sommer 2017
adelige Herkunft als durchaus charakteristisch
bezeichnen.
Eine Besonderheit stellt dabei der
Gedenkstein für einen Pfarrer des Klosters
namens Bernhard dar, der 1599 im 61.
Lebensjahr gestorben ist. 27 ) Über Pastoren
erfährt man sonst nichts; in den zahlreichen
Urkunden über Verkäufe, Schenkungen
usw. tauchen sie nicht auf, nur jeweils
die Priorin und der Propst.
Hier also nun einmalig der Name eines
Pastors zu einer Zeit, in der sich das Kloster
längst der Lehre Martin Luthers angeschlossen
hatte. Rübberdt schreibt dazu:
„Bereits unter dem greisen Propst Widebrügge
werden einige Nonnen … schon
heimlich zum Luthertum geneigt haben …
Als der als Lutheraner bekannte Domdechant
Dr. [Joachim] Hincke im Jahre 1550
zum Propst … gewählt und bestätigt
wurde, fielen die letzten Schranken. Wir
dürfen das Jahr 1550 daher als das der
Reformation in Osterholz ansehen … Die
erste evangelische Domina des Klosters
war … Jutta Frese, im Amte schon seit dem
Jahre 1521.“ 28 )
Osterholz als Amtssitz
Etwas versetzt gegenüber dem
ursprünglichen Klosterbereich findet man
die Gebäude, die durch Bedienstete des
Amts Osterholz als Arbeits- und Wohnräume
genutzt wurden. Dazu gehören das
Haus des Amtmanns mit Nebengebäuden,
das Gerichts- und Gefangenenhaus sowie
das Haus des Haus-Voigts.
Einen Amtmann hatten bereits die
Schweden nach dem Tode von Eleonora
Catharina eingesetzt. der als oberster Verwalter
und Richter für den Amtsbezirk
zuständig war. Als Richter unterstand er
unmittelbar der Kammer in Hannover und
übte die Untergerichtsbarkeit aus. Amtmann
1756 war Conrad Friedrich Meiners.
Zu seiner Entlastung wurde ihm ein Amtschreiber
an die Seite gestellt. Amtmann
(Erster Beamter) und Amtschreiber (Zweiter
Beamter) waren i. d. R. studierte Juristen,
hatten dieselben Aufgaben und
ergänzten sich gegenseitig. 29 ) Amtschreiber
wurden oft – am selben oder einem
anderen Amt – zu Amtmännern befördert.
Auf-Riss der Herrschafl. Förster-Wohnung, NLA Stade Karten Neu Nr. 13061/8
Als erster Osterholzer Amtschreiber wird
1727 Anton Friedrich Meiners genannt. 30 )
Zu den ranghohen Beamten zählte auch
der Förster in Osterholz. Entsprechend
wurde ihm ein ansehnliches Dienst- und
Wohngebäude zur Verfügung gestellt.
Als Gehender bzw. Reitender Förster
unterstand er der Direktion von Bremervörde
31 ) und hatte seine Offizialwohnung
etwas abseits des Kerns am Hohen Tore (in
der Findorff-Karte – HRB Nr. 120, S. 22 –
der Buchstabe I) in der Nähe des Klosterholzes.
Die von Findorff gefertigten Risse
zeigen ein teilunterkellertes Wohnhaus mit
beheizbaren Stuben und Kammern, daneben
ein separates Stallgebäude, in dem
auch der Wagen des Försters untergebracht
werden konnte. Beide Gebäude als
Fachwerkbauten errichtet. 32 ) Das ehemalige
Wohnhaus existiert noch heute in der
Hohetorstraße.
Das Vorwerk
Der Bereich des Vorwerks lag etwas
westlich des engeren Klosterbereichs und
stellte den Wirtschaftshof des Klosters dar,
in dem in erster Linie die erhaltenen Naturalabgaben
der zinspflichtigen Hofstellen
gelagert werden konnten, um sie dann
Klosterplatzschule, ehem. Wohnhaus des Amtmanns
RUNDBLICK Sommer 2017
Ehem. Forsthaus in der Hohetorstraße
11
dem klösterlichen Haushalt zuzuführen
oder anderweitig zu verwerten. In welchem
Maße Verkäufe getätigt wurden,
lässt sich nicht sagen.
An Gebäuden bestanden um 1530 das
Lange Haus, das als Viehhaus (vehus)
diente, und das Kurze Haus als Kornhaus
(kornhus). Ferner diente das Vorwerk auch
als Wohnort und Schlafstatt für das Klosterpersonal,
das damals 19 Personen
umfasste. Darunter waren Knechte,
Mägde, Hirten, Fischer und Jäger. 33 )
Diese in den Händen von Laienbrüdern
und -schwestern liegende Eigenwirtschaft
trug nicht unerheblich zu den Einnahmen
des Klosters bei. Erträge sollen dabei v. a.
durch die Kolonisation der Hammewiesen
erwirtschaftet worden sein. 34 ) Eine gewisse
Mithilfe ist auch durch die angesiedelten
Hofleute erfolgt, zu deren Dienstpflichten
oft ein Tag Arbeit pro Jahr im Moor gezählt
hat.
Zu einem traditionellen Frauen-Kloster
gehörte aber auf jeden Fall auch ein Garten,
in dem Gewürz- und Heilkräuter gezogen
wurden. Dieser wäre aber eher innerhalb
der Klostermauern zu vermuten.
Eine erste Beschreibung des Geländes
liegt aus dem Jahre 1718 vor. Darin heißt
es: „Das Vorwerck hat 17 Hauser und westwerts
ein kleines Holtz, wie auch 3 große
so genandte Hünensteine,…“ 35 )
In der Findorff-Karte (dort mit B bezeichnet)
sind es deutlich weniger Gebäude, die
sich auf dem Special-Plan der Ambtschreiber
Wohnung… 36 ) detaillierter erkennen
lassen.
Das südliche Gebäude (im Plan mit A
gekennzeichnet) wird als Ambtschreiber-
Wohnung bezeichnet und enthält mehrere
Stuben und Kammern. Der ungleichmäßige
Grundriss verrät zwei Bauphasen.
Die nach vorne hin liegenden Räume a – h
gehören zu dem Teil, der „ao. 1753 neu
Findorff-Haus auf dem Museumsgelände. Am Versatz beginnt nach links hin der durch Findorff vorgenommene
Anbau.
erbauet“ wurde. Der hintere, schmalere
Teil ist unterkellert und „vor etwa 40 Jahr
erbauet.“ Er könnte also möglicherweise
zu Beginn der hannoverschen Zeit entstanden
sein. Bewohnt wurde das
Gebäude von Johann Friedrich Heinrich
Cordemann und seiner Familie. Er war von
1750 – 1760 Amtschreiber in Osterholz. 37 )
Über den Hof gelangte man zu einem
länglichen Gebäude nahe der Straße (im
Plan B). Dieses wird als Scheure des Vorwerks
benannt. Neben der zu erwartenden
Lagerung von Korn – ein Kornboden befindet
sich im südlichen Drittel – besitzt es
noch weitere Funktionen, so u. a. eine
Stube für den Schreiber, eine Kammer für
den Knecht, einen Torfraum sowie Stallungen
für Pferde und Kühe.
Außerdem finden sich auf dem Gelände
noch ein Backhaus (C) in der Nähe des
Hauptgebäudes, ferner ein Schweinestall
(D) sowie der Abtritt (G).
Gut 100 Jahre nach Auflösung des
Klosters deuten die Befunde auf eine weiterhin
betriebene Bewirtschaftung dieses
Bereichs, der aber durch die Einrichtung
von Wohn- und Arbeitsräumen für den
Amtschreiber eine zusätzliche, neue Ausrichtung
bekommen hat.
Eine eindeutige Zuordnung zu der
Gebäudestruktur um 1530 erscheint
schwierig. Von der Größe her könnte das
im Plan mit B bezeichnete Gebäude das o.
g. Lange Haus sein. Das Kurze Haus wäre
dann möglicherweise ein Bau, der nicht
direkt auf dem Gelände des Vorwerks
stand, aber mit dazu gerechnet worden ist.
Der Special-Plan derer Herrschaftl.
Gebäude – HRB Heft 120, S. 23 – verzeichnet
hinter der Kirche und dem sog. Süster-
Kirchhof (T) eine Vorwercks Scheure (B), in
der sich zu Findorffs Zeiten Schreibstube
(a), Backhaus (b), Knecht-Stube (c), Pferdeställe
(d) und Futter-Kammer (e) befanden.
Vorwerks-Scheure mit Pferdestall. NLA Stade Karten
Neu Nr. 13061/3, Abb. B.
Special Plan der Ambtschreiber Wohnung …, NLA Stade Karten Neu Nr. 13061/5
Auf dem in der Gegenwart bislang als
Museumsgelände genutzten Areal ist von
den genannten Gebäuden nur noch das
sog. Findorffhaus vorhanden. Das Gelände
wird teilweise von einer Mauer mit Ziegeln
im Klosterformat umgeben. Von dieser
Mauer ist in der Karte sowie im Plan noch
nichts zu entdecken; sie muss also jünger
sein. Auch entspricht der Grundriss des
12 RUNDBLICK Sommer 2017
Geländes nicht dem heutigen. Gut erkennbar
sind in der Karte hingegen die das
Amtschreiberhaus flankierenden Gärten,
die auch im Plan deutlich werden (F). Nach
vorne hin schließt sich an das Gebäude ein
Hofplatz (E) an.
Der Flecken
Alle in der Findorff-Karte hellrot gezeichneten
Gebäude werden von den Osterholzer
Einwohnern als Wohn- bzw. Wirtschaftsgebäude
genutzt. In einer Aufstellung
für das Jahr 1753 finden wir die Zahl
von 59 Feuerstellen. 38 ) Die meisten dieser
Wohnstätten erstrecken sich in einer Reihe,
z. T. Doppelreihe, von West nach Ost entlang
einer Straße bzw. eines Weges, der im
O endet. Im mittleren Teil ist der Weg – die
heutige Findorffstraße – alleeartig mit Bäumen
bestanden.
Die angrenzende Gemarkung wird landwirtschaftlich
genutzt, wobei die Geestbereiche
überwiegend vom Ackerbau, die
Niederungsflächen im S und O durch
Grünlandnutzung geprägt werden.
Trotz dieser landwirtschaftlichen Ausrichtung
ist bei der Siedlung nie von einem
Dorf die Rede, sondern sie wird als Flecken
bezeichnet oder auch als Freier Damm.
Freie Dämme finden wir sonst bei Rittergütern,
die über ihre bei der Burg wohnenden
Untertanen die Gerichtsbarkeit
besaßen, wie z. B. Sandbeck oder Meyenburg.
Nun war Osterholz kein adeliger Sitz,
besaß aber die Gerichtsbarkeit über die
direkt dem Kloster unterstehenden
Bewohner. 39 ) Die Freiheiten für die Bewohner
gingen über dieses eigene Gericht –
die Sprache – aber noch hinaus und umfassten
etliche Privilegien, wie man anhand
eines Bittschreibens etwa aus den
1730/40er Jahren erahnen kann. 40 ) Darin
heißt es u. a.: „Ein freyer damm rührt …
von freyheit her, die Osterholtz … von
uhralten Zeiten genoßen hat. … daß er
frey ist von Einquartirungen, Krieges-
Führen und anderen dergleichen oneribus
publicis … Der Ursprung solcher freyheit
ist ohne Zweiffel alhier bey uns von denen
ehemahligen Klosterlichen Zeiten herzuhohlen,
und fölglich wird sie sehr alt seyn.“
Und alle neuen Bewohner, die sich „successive
nach und nach“ angesiedelt
haben, hätten sogleich diese Freiheiten
genossen, die auch nicht mit der Säkularisierung
beseitigt, sondern unter Eleonora
Catharina beibehalten worden seien.
„Diese gottseelige Fürstin hat Osterholtz
nicht nur bey aller ihrer Freyheit gelaßen,
sondern hat auch dieselbe auf alle Art
unterstützet und erneuert, so daß wir
unter derselben in Ruhe und Frieden gelebet…“
Auch habe nach deren Tod die
schwedische Regierung diese Freiheiten
nicht angetastet; jetzt scheinen diese aber
bedroht zu sein, so dass nun das Bittgesuch
erfolgt: „…unser allergnädigster
RUNDBLICK Sommer 2017
König 41 ) und Landes-Vater viel zu gnädig
ist, daß er solche hergebrachte Freyheiten
und immunitäten uns nehmen solte,
davon wir merkmahl genug tag täglich vor
augen haben, indem er uns ein freye Kirche,
Klock und Orgel giebet, und unsern
Predigern und Schulbedienten aus s. Herrschaftlich
Registern salaviren läßt, unsere
Kirche in bar unterhält nebst Pfarrhaus und
Schulbedienten Wohnung…“
Die Hofstellen
und ihre Inhaber
Wenn auch die Anfänge im Dunkeln liegen,
so ist doch davon auszugehen, dass
die ersten Siedler in einer unmittelbaren
Abhängigkeit vom Kloster standen. Das
Kloster wurde bei seiner – zweiten – Gründung
im Jahre 1185 durch Erzbischof Hartwig
mit umfangreichen Ländereien ausgestattet,
viele davon in größerer Entfernung.
Von besonderer Bedeutung war
dabei die Übereignung des erzbischöflichen
Hofes in Scharmbeck. „…übergaben
… den Hof Schyrenbicke … mit allen seinen
zugehörigen Gebäuden, bebauten
und unbebauten Aeckern, Pächtern …,
Hofräumen, Kämpen, Wiesen, Weiden,
Wäldern, Jagden, Fischereien, Vogelfängen,
Gewässern, auch den herabfließenden
zum Mahlen dienenden Gewässern
…“ 42 ) Auch die Scharmbecker Kirche wird
unterstellt; die Aufzählung weiterer Ländereien
nimmt noch einmal einen großen
Raum ein.
Ob zu dem erzbischöflichen Hof auch
Landbesitz in Osterholz gehörte, wird
nicht gesagt, die Klostergründung machte
jedoch nur dann Sinn, wenn Landbesitz
hierfür zur Verfügung gestellt und
großflächig gesichert wurde. So ist es vielleicht
nicht abwegig anzunehmen, dass
von den erwähnten Pächtern auch einige
in Osterholz lebten und an der Kultivierung
des Landes beteiligt wurden.
Aus späterer Zeit weiß man, dass das
bewohnte und bewirtschaftete Land dem
Kloster gehörte und vom Nutzer zu einem
festgelegten Kaufpreis erworben werden
musste, und zwar jedes Mal, wenn ein
Wechsel des Stelleninhabers erfolgte, auch
bei Übernahme durch den Sohn. Weitere
Verpflichtungen waren mit dem Stellenantritt
verbunden. Eine Hilfe war hingegen
die Unterstützung beim Hausbau, indem
das Kloster das benötigte Bauholz aus dem
Klosterholz bereitstellte.
Die Beziehungen zwischen Kloster und
Stelleninhaber wurden vertraglich geregelt,
wobei dieses kein explizites Meierecht
war, diesem aber nahe kam.
Die Zahl dieser als Hofleute bezeichneten
Bewohner wuchs auf 10 an. Neben
diesen 10 alten Hofleuten existierten die
15 kleinen alten Hofleute. 43 )
Wilhelm Berger
Anmerkungen
24
) Anm. 1 – 23 s. HRB 1/2017, S. 25. Die Weyerdamm-Karte
befindet sich im NLA Stade
unter Karten Neu Nr. 13018.
25
) Für das Jahr 1521 ließ sich folgender Gebäudebestand
rekonstruieren: Kloster mit Kirche
(kerken), Badehaus (staven), Arbeitshaus
(werckhus), Küsterei, Küche, Frauenhaus,
Schule, Kemenate, verschiedenen Kammer,
Hospital (sekenhus), Abtritt (sprackhus) und
Speisesaal bzw. Remter (reventer). Quelle:
Konrad Elmshäuser, Das Inventar der Jutta
Frese von 1521; in: Stader Jahrbuch 2015,
S. 261
26
) Eine akribische Untersuchung der Grabplatten
mit ihren teilweise kaum noch zu entziffernden
Inschriften findet sich bei Ursula Siebert,
Steinerne Zeugen unserer Kultur;
Osterholz-Scharmbeck 1986. Über Osterholz
handeln die S. 129 – 163.
27
) ebd., S. 133, 142, 143
28
) Rudolf Rübberdt, Geschichte des Nonnenklosters
und der evangelischen Kirchengemeinde
zu Osterholz; Teil 4, in: HB
8/1935, S. 31. Es gibt ferner sehr deutliche
Hinweise, dass lutherisches Gedankengut
bereits in den 1520er Jahren Eingang gefunden
hat.
29
) H.-C. Sarnighausen, a. a. O.; S. 368, 369
30
) ebd., S. 371. Die Funktion hat es offensichtlich
bereits in schwedischer Zeit gegeben.
Jedenfalls bezeichnet Segelken (s. Anm. 34)
den Inhaber der 1. Hofstelle – Johann Märtens
– als Amtsschreiber für die Jahre 1692
und 1705 (S. 117); d. h. er hat diese Stellung
über viele Jahre innegehabt.
31
) Karl Lilienthal, Forstwirtschaft im alten Amte
Osterholz; in: HB 7/1939, S. 25, 26. Ein
umfassendes Bild über das Forstwesen und
die Dienstränge wird für die Zeit um 1800
entworfen: Bodo Steinert, Ihn gab es wirklich,
den „Reitenden Förster“ Jürgen Ludewig
Schmidt; in: HRB 1/1992, S. 20 – 22.
32
) NLA Stade, Karten Neu Nr. 13061/8
33
) K. Elmshäuser, a. a. O.
34
) Johann Segelken, Osterholz-Scharmbecker
Heimatbuch; Osterholz-Scharmbeck, 3.
Aufl. Osterholz-Scharmbeck 1967, S. 86
35
) Georg von Roth, Geographische Beschreibung
der beyden Herzogthümer Bremen
und Verden; Teilabdruck in: HB 1/1937, S.
1 – 3.
36
) NLA Stade, Karten Neu Nr. 13061/5
37
) H.-C. Sarnighausen, a. a. O., S. 374, 375
38
) J. Segelken (1967), S. 114
39
) Wilhelm Berger, Fürstliche Zeiten (III); in:
HRB 2/2015, S. 16
40
) Kr.-Arch. OHZ, a. a. O., Dok. 3. Das Schreiben
ist undatiert, dürfte nach 1732 verfasst
worden sein.
41
) Zu der Zeit war Kurfürst Georg August als
Georg II. König von England.
42
) H. Köker, Aus der Gründungszeit des
Klosters zu Osterholz; Teil 1, in: HB 2/1927,
S. 6
43
) Die Geschichte der Hofleute soll hier nicht im
Einzelnen referiert werden. Verwiesen sei auf
die ausführlichen Darlegungen bei Segelken
(1967), S. 115 – 128.
13
Antiqua sidewendige
Nur wenig beachtet wurde bisher die
Bezeichnung „antiqua sidewendige“, die
auf zwei Karten aus der Zeit vor der Gründung
des Klosters Lilienthal zu sehen ist.
Aus Richtung Borgfeld kommend zeigt
sich ein Weg, der den Verlauf der heutigen
Hauptstraße nimmt. Einmal führt er um
das „Hohe Land“ herum, eine Erhebung in
Höhe der Bahnofstraße und dem Klepperhof
bis zur Einstmannstraße, um dann wieder
den Weg der jetzigen Hauptstraße zu
nehmen. Auf der zweiten Karte folgt die
sidewendige der Richtung der Hauptstraße
bis Höhe Falkenberger Kreuz, um
sich dort zu verzweigen. Die eine Seite
folgt dem Dünenzug über Heidberg, Seebergen,
in Richtung Ottersberg. Vom
Abzweig in Falkenberg in Richtung Osterholz
ist der Verlauf über Frankenburg,
Moorkampstraße und St. Jürgen zu ersehen.
Es muss sich, vom lateinischen Wort
antiqua abgeleitet, um einen Verkehrsweg
von sehr hohem Alter handeln. - Eine
umfassende Eindeichung dieses Bereiches
wird erst auf einer anderen Karte für das
Jahr 1329 datiert.
Kloster Lilienthal existierte
seinerzeit noch nicht
noch als Alte Wörpe von „Kutscher Behrens“
zur Höge und geht dort in das Kirchenfleet
über, vorbei an der Kirche St. Jürgen
Richtung Hamme in Höhe Ritterhude.
In alten Zeiten verlor sie sich bei der Höge
in den Blänken, um dann in einem großen
Bogen die Wümme zu erreichen. An ihrem
Ufer ist ein Weg zu erkennen, der als
Fußweg diente, vorwiegend jedoch als
Treidelpfad genutzt wurde. - Der Name
„Linenpad“ (Leinenpfad) eines eingetragenen
hiesigen Flurstückes ist eine Erinnerung
an die harte Arbeit der Frauen, die auf
diesem Weg neben der Wörpe das Boot
gegen die Strömung zogen („treidelten“),
während der Mann das kleine Schiff mittels
einer Stange vom Ufer wegdrückte.
Binnendeich
Vor der Gründung des Klosters Lilienthal (1232)
Die Wörpe hat ihr Quellgebiet etwa 10
km süwestlich von Zeven, nimmt dann
ihren Verlauf über Wilstedt nach Trupe,
denn (das Kloster) Lilienthal existierte zur
Zeit der antiqua sidewendige noch nicht.
Die an beiden Flussufern der Wörpe gelegenen
Grünflächen in Grasberg wurden
bereits von den Tarmstedter und Wilstedter
Bauern landwirtschaftlich genutzt,
bevor die Kirche zu Grasberg 1789 eingeweiht
wurde. Die Wörpe verläuft heute
Sidewendige ist ein
niedriger Deich
Das Wort siedewendige ist eine im
Bereich der Weser- bis zur Elbmarsch sehr
häufig vorkommende Bezeichnung. Mit
kleinen Abweichungen in der Schriftform
ist die Bedeutung nahezu gleich: Eine Sietwende
ist ein niedriger Deich, der im Bin-
14 RUNDBLICK Sommer 2017
Tafel am Ende der Südwenje beim Siel in die
Wümme
nenland und meistens zwischen den
Gemarkungen zweier Orte liegt, durch
den verhindert wird, dass das Binnenwasser
nach einem weiter entfernten Deichbruch
sozusagen von hinten ins Land
fließt. Sietwenden sind besonders an der
Unterelbe häufig. (Wikipedia)
Hieraus ist zu ersehen, dass es sich um
einen niedrigen Deich handelte, der aber
auch als Weg benutzt wurde. Und nicht
nur das: „Das Oberblockland enthält: a.)
die Wetterung, deren Eingesessene sich bis
an den Wummen Deiche von dem Kuhsiel
bis an der Südwenje (Sietwenje) angebauet
haben;“ – „Mitten in der Landschaft
verläuft ein kleiner Deich, die „Sietwende“.
Er bildet die Grenzlinie zwischen den Harden
Everschop und Eiderstedt und wird
von der B202 bei Hemminghörn geschnitten.
Dieser Deich ist als Fußweg benutzt
worden, wenn sich die Ratleute der drei
Harden bei Hemminghörn auf ihrem Versammlungsplatz
trafen; aber er war nicht
als Fußweg geplant, sondern er sollte die
beiden Harden schützen. Wenn eine Harde
bei Sturmflut unter Wasser stand, sollte das
Wasser nicht auch noch die andere Harde
überschwemmen. Gedacht war diese Sietwende
als eine Art Zwischendeich. Sie
wurde 1435 auf Anordnung des Herzogs
von Schleswig gebaut. („Das Eiderstedter
Alphabet" / Claus Heitmann / Heimatbund
Landschaft Eiderstedt)
Siedwenje (Sidwendige) nennt man
nämlich einen Binnendeich, welcher zur
Abwehr des Binnenwassers dient. Über
diese Bedeutung kann kaum ein Zweifel
obwalten. - „Sidwendige agger“ wird
schon 1313 der Damm genannt, welcher
das Wangerland vom Harlingerland trennt.
(Bremisches Jahrbuch, Band 3, S. 170)
RUNDBLICK Sommer 2017
„Der Huntefluss hatte auch seine
Tücken. Die Windungen im Flussbett, an
denen sich Sandbänke bildeten, waren in
jener Zeit ein Gefahrenpunkt für die Schifffahrt.
Außerdem sorgten die Krümmungen
für Stauungen und gefährliche
„Küsel“ (Strudel) und Wirbelströme.
Dadurch entstanden auch Schäden am
Deich. Beladene Segelschiffe mussten
daher ihre Fracht im Bereich der Fährbucht
(Brunsfähr) auf flachgehende Boote umladen.
Diese erreichten dann im Treidel-Verfahren
den Oldenburger Hafen. Der südlichste
Punkt der Hunteschlinge heißt
noch heute „Südwendung“.
Der davon weiter südliche liegende Hof
heißt darauf bezogen „Südwenje-Hof“, er
wurde bereits 1433 erwähnt.“ (Bürgerverein
Wüsting, Harry und Herbert Heinemann,
Werner Mahlstede) - Diese Schilderung
des Hunteverlaufes entspricht nicht
nur in etwa dem uns bekannten Schlängeln
der Wümme durch das Blockland:
Man meint das heimatliche Bild gedanklich
vor sich zu sehen, als folge man dem
Verlauf des Blocklander Deiches mit dem
Fahrrad.
Bisher gibt es keine andere Deutung als
die Übersetzung von sidewendige/sietwenje
in niedrig. Doch in der ehemaligen
Ortsbezeichnung Nordsiede an der
Wümme, wird die siede als Seite erkannt,
was auch seine Berechtigung hat, denn die
Nebendeiche zweigten fast rechtwinklig
vom Hauptdeich ab, wie auch bei der Hunteschlinge
geschildert! Die Gaststätte
„Nordseite“ hat bis heute den Namen des
Deichteiles erhalten, an welchem der Weg
vom Wümmedeich in die Strecke von
Marßel über Ritterhude nach Osterholz-
Scharmbeck einschwenkt .
Gezeiten wurden
für Fahrten genutzt
Die Gezeiten, Ebbe und Flut, waren
genau bekannt, auch deren Dauer in unserem
Bereich. So werden die in unserem
Bereich siedelnden Menschen die Zeit des
auflaufenden Wassers genutzt haben, um
Ziele im Hinterland Teufelsmoor und darüber
hinaus zu erreichen. Von Trupe waren
es nach Wilstedt ca. 15 km. Doch die Männer
hatten ihre Boote sicher auf dem Heidberg
„geparkt“, um dort das Einsetzen des
auflaufenden Wassers abzuwarten. Um
1780 wurde in Dannenberg ein Boot
geborgen, dessen Alter nach der C14-
Methode auf das Jahr 200 n. Chr. festgelegt
wurde.
Der Faktor Zeit spielte bei den Menschen
damals eine mehr als untergeordnete
Rolle. Im Winter war das Eis ein Verbündeter,
um nicht nur die nähere Umgebung
kennenzulernen. Die Menschen
waren mit der Natur eng verbunden, lebten
auch im Winter mit ihr. So legten sie
die Strecken zurück, die sie an einem Tag
Boot Dannenberg: Der Boden ist sehr flach gearbeitet,
so konnte das Boot auch bei geringer Tiefe
über das Wasser gleiten.
bewältigen konnten, oder richteten sich
auf ein Verbleiben über Nacht ein. Entweder
in der freien Natur oder in einer sich
bietenden Unterkunft. Diese Gelegenheit
ergab sich oder war bereits eingeplant.
Das Teufelsmoor war ihnen kein Buch mit
sieben Siegeln!
Zur Zeit der sidewendige gab es in Trupe
nicht nur einen Hof, der ohnehin auf einer
Warf gestanden hätte; dieser Deich und
Verkehrsweg hatte seinen Wert für einen
weitaus größeren Bereich, wie man aus seinem
Verlauf erkennt. Als Ergebnis darf man
drei Gründe nennen, die seine Notwendigkeit
ausmachten: Der Binnendeich, um
eindringendes Wasser zu teilen und zu
trennen; der Fußweg, auf dem man das
Gebiet passieren konnte, von dem aus
Frauen die Boote treidelten; die erkennbare
Grenzlinie zwischen Trupe und der
„Gemeinen Borgfelder Weide“, die von
den Anwohnern beider Seiten und durchziehenden
Fremden als Verkehrsweg
genutzt wurde. Letzteres macht die
Gründe für den Standort eines Klosters
deutlich: Es bot den Durchreisenden
Unterkunft, Sicherheit und Verpflegung.
An dieser Stelle soll abschließend noch
einmal daran erinnert werden, dass beim
Standortwechsel des Klosters Lilienthal der
Umzug nicht aus Wollah (nahe Lesum)
erfolgte, sondern Wolda als Altenwalde
(kurz vor Cuxhaven) anzusehen ist. Als
Wallfahrtsort konnte man in der dortigen
Kirche einen Splitter vom Kreuz Jesu Christi
als Reliquie vorweisen. Die Nähe zum
größten Königshof im Erzbistum Bremen
bot dem Kloster weitere Einnahmen aus
der Versorgung von Besuchern und Reisenden.
Wolda als Altenwalde, so ist es
mehrfach im Urkundenbuch des Klosters
Neuenwalde nachzulesen!
Harald Steinmann
Quellen:
Lilienthal gestern und heute, Band 1, Wilhelm
Dehlwes, 1977
D. Fliedner, Marschhufensiedlungen nördlich
von Bremen vor 1350, 1970
Hans-Heinrich Meyerdierks, Moorhausen, als
Deichgräfe
15
Sengstacke – Schicksal einer Familie
Der amerikanische Präsident Bill Clinton und Bremen-Marßel
Gewiss eine zunächst rätselhafte Überschrift.
Unter normalen Umständen ist ein
Kondolenzschreiben des amerikanischen
Präsidenten Bill Clinton zum Tode eines
bedeutenden Menschen für uns in Bremen
nicht besonders erwähnenswert. In diesem
Fall jedoch handelt es sich um den am 28.
Mai 1997 verstorbenen Zeitungsverleger
John H.H. Sengstacke, dessen familiäre Bindungen
bis nach Marßel in unserem Ortsamtsbereich
Burglesum zurückreichen.
Kämpfer für die
afroamerikanische
Gemeinschaft
Der Burgdammer Walter Schnier hat
seine umfangreichen Recherchen seitenlang
schriftlich festgehalten und dabei
herausgefunden, dass John H.H. Sengstacke
zu den großen amerikanischen Zeitungsbossen
gehörte, der von Präsident
Bill Clinton als entschlossener Kämpfer für
die afroamerikanische Gemeinschaft
bezeichnet worden ist.
Die Anfänge in Marßel gehen zurück in
die Zeit um das Jahr 1700 und beginnen
mit einem Hofplatz Marßel Nr. 21, früher
Nr. 15. Erwähnen wir die ersten Hofbesitzer
in Marßel, deren Reihenfolge mit Heinrich
Piper, Johann von Harten, Johann
Heinrich Dierksen und Conrad Schmidt
beginnen. Und hier taucht erstmals der am
6.1.1815 geborene Hermann Sengstacke
auf, der vermutlich ein entfernter Verwandter
der Familie Schmidt war. Dieser
Hermann Sengstacke, der dem Familiennamen
nach gut nach Bremen passen
würde, war als junger Mann zur See gefahren
und schließlich in Savannah wegen des
freundlichen Klimas an Land gegangen. Er
gründete ein kleines Kaufmannsgeschäft,
stellte später zwei Angestellte ein und
hatte ein gesichertes Auskommen.
Und jetzt - Hermann Sengstacke ist noch
Junggeselle - beginnt die Geschichte interessant
zu werden. Eines abends bummelte
er über den Sklavenmarkt, wo gerade
junge afrikanische Frauen und Männer eingetroffen
waren und von Händlern zum
Kauf angeboten wurden. Die Kundschaft
prüfte Muskeln und Zähne, doch Hermann
Sengstackes Blick fiel auf eine junge Frau
namens Tama. Er spürte ihr Schamgefühl
und war doch angerührt von ihrer Erscheinung.
Spontan gab er ein Gebot ab und er
kaufte sie.
Die beiden heirateten im Jahre 1847 in
Charleston, wo Ehen zwischen Weißen
und Schwarzen damals schon möglich
waren. Sie bekamen einen Sohn, John Hermann
Henry, und wenig später, 1849
wurde die Tochter Mary Elisabeth geboren,
doch Tama verstarb bei der Geburt
des zweiten Kindes.
Hermann Sengstacke buchte in seiner
Hoffnungslosigkeit eine Reise nach Bremen
und brachte seine beiden Kinder zu
den Eheleuten Cord und Adelheid Schmidt
nach Marßel. Später lebten sie im Hause
des Sohnes Conrad Schmidt und dort
müssen sie auch mitbekommen haben,
wie im Jahre 1862 die ersten Personenund
Güterzüge von einer schnaufenden
Dampflokomotive gezogen, hinter
Schmidts Haus nach Geestemünde fuhren.
Hermann Sengstacke erteilte seiner amerikanischen
Bank einen Dauerauftrag,
sodass für den Unterhalt der Kinder
gesorgt war.
John H.H. Sengstacke
war sehr begabt
Die Familie Schmidt nahm ihre Aufgabe
sehr ernst und sie kümmerten sich vorbildlich
um die Erziehung der Halbwaisen. Es
ist überliefert, dass John H.H. Sengstacke
sehr begabt war und seine Veranlagung
von den Pflegeeltern nach besten Kräften
unterstützt und gefördert wurde. Sie
schickten ihn nach Bremen in die Lateinschule
und ermöglichten ihm in kultureller
Hinsicht den Besuch von Museen, Konzertund
Theater-Veranstaltungen. Darüber
30. Mai 1997
Übersetzung:
Weißes Haus Washington
Herrn Robert Sengstacke
2400 South Michigan Avenue
Chicago, Illinois 606l6
Lieber Robert,
Hillary und ich waren tief betrübt, vom Tode Ihres Vaters zu erfahren,
und mit unserem Herzen sind wir bei Ihnen.
John Sengstacke war ein entschlossener und visionärer Führer, ein Pionier
im Zeitungsgeschäft, der Afro-Amerikanischen Volksgruppe mit grimmigem
Eifer verpflichtet. Als Besitzer und langjähriger Herausgeber des
Chicago Defender half er, eine Familienzeitung in eines der einflußreichsten
afro-amerikanischen Presseorgane in Amerika zu verwandeln.
Ihr Vater war ein Streiter für Gerechtigkeit und Gleichheit, indem er
seine Fähigkeiten und seine Energie ganz darauf verwandte, ein besseres
Leben für Millionen seiner amerikanischen Mitbürger zu erreichen.
Während seines ganzen Lebens und seiner Karriere, sowohl im privaten
Sektor als auch im öffentlichen Dienst, strebte er danach mitzuhelfen,
daß Amerika sein Versprechen von Freiheit, Gerechtigkeit und gleichen
Chancen für alle einhält. Sein Tod ist nicht nur ein großer Verlust für Sie
und Ihre Familie, sondern auch für unsere Nation insgesamt.
Wir hoffen, die liebevolle Unterstützung durch Ihre Familie und
Freunde wird Ihnen eine Stütze während dieser schweren Zeit sein, und
wir behalten Sie in unseren Gedanken und Gebeten.
Herzlich
gez. Bill Clinton
16 RUNDBLICK Sommer 2017
hinaus ist zu lesen, dass Hermann Henry
fünf Sprachen beherrscht haben soll.
Mary Elisabeth blieb
in Deutschland
Bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres
floss das Unterhaltsgeld für die Kinder aus
Amerika. Während John Sengstacke 1869
nach Savannah zurückreiste, um das Erbe
seines inzwischen verstorbenen Vaters
anzutreten, blieb seine Schwester Mary
Elisabeth im Lande ihrer weißen Vorfahren,
wo sie am 18.12.1917 68-jährig verstarb.
Obwohl der Vater Hermann Sengstacke
nicht wieder geheiratet hatte, war von den
für die Kinder vorgesehenen 60 000 Dollar
nur noch 10 % vorhanden. Der große
Anteil war zuvor in die Taschen der Nachlassverwalter
geflossen.
John H.H. Sengstackes schwarz-weiße
Abstammung war nur schwach ausgeprägt,
denn das Erbgut seines Vaters wirkte
dominierend. Im Land der unbegrenzten
Möglichkeiten kam man ihm jedoch so
lange freundlich entgegen bis sich herausstellte,
dass er eigentlich ein Mulatte war,
der nicht die gleichen Rechte hatte wie ein
Weißer. Trotz besonderer Fähigkeiten
hatte er große Schwierigkeiten bei der
Arbeitssuche. Um unabhängig zu sein,
gründete er ein kleines Textilgeschäft, das
„Sengstackes Store“. Da dieses Unternehmen
glücklos verlief und wieder aufgegeben
werden musste, trug sich John H.H.
Sengstacke mit dem Gedanken, Amerika
abermals zu verlassen und nach Deutschland
zurückzukehren. Die quälenden
Zukunftsängste, bedingt durch seine Hautfarbe,
ließen kaum Hoffnungen auf eine
bessere Zeit aufkommen. Das änderte sich,
als er die junge Witwe Flora Abbot kennenlernte,
die ebenfalls dunkelhäutig war,
wie seine Mutter. Flora Abbot hatte aus
erster Ehe den am 28.11.1869 geborenen
Sohn Robert. Bei der Eheschließung am
26.07.1874 adoptierte John H.H. Sengstacke
den damals fast fünfjährigen Jungen,
der den Namen Sengstacke-Abbot
erhielt.
John H.H. wurde Mitglied
der Baptistengemeinde
Die Arbeitssituation jedoch hatte sich in
der ersten Zeit der jungen Ehe nicht sonderlich
verbessert. Tätigkeiten als Deutschlehrer
für Töchter wohlhabender Familien
endeten wieder, sobald seine Abstammung
bekannt wurde. Das änderte sich
erst, als John H.H. Sengstacke Mitglied der
Baptistengemeinde wurde. Baptisten hielten
als unabhängiges Volk zusammen, und
so stieg er auf und wurde Missionar und
Prediger. Er machte nun die Sache der
unterdrückten Minderheit zu seiner eigenen.
Es war sicher seinen Fähigkeiten zuzuschreiben,
dass man in dieser Religionsgemeinschaft
ihm den Titel „Doctor of Divinity“
des Bethany College verlieh.
Sein Adoptivsohn bekam noch sieben
Halbgeschwister, vier Schwestern und drei
Brüder. Dennoch kümmerte sich John H.H.
Sengstacke mit besonderer Hingabe um
den Adoptivsohn Robert, indem er dessen
Talente und Begabungen förderte.
Robert Sengstacke-Abbot gründete im
Jahre 1905 in Chicago zunächst den Zeitungsverlag
„Chicago Defender“, eine Zeitung
für die schwarze Bevölkerung. Bis zu
seinem Tod 1940 hinterließ er ein Imperium
von 14 Zeitungen in den Vereinigten
Staaten von Amerika.
Der Neffe von Robert Sengstacke-
Abbot, ein Sohn seines Halbbruders Alexander,
war bereits 20 Jahre in dem Unternehmen
tätig. Die drei Ehen des Zeitungsgründers
waren kinderlos geblieben und
so erfüllte der direkte Enkelsohn des in
Marßel aufgewachsenen John H.H. Sengstacke
das Vermächtnis, die Zeitungsverlage
fortzuführen. Zufälligerweise trug er
auch den Vornamen seines Großvaters.
Eine der ersten schwarzen
Millionäre Amerikas
Zurück zu Sengstackes Zeitungsuntermehmen.
Sie selber gehörten als „The
Black Aristocrates“ zu den ersten
schwarzen Millionären Amerikas. Der erste
im Weißen Haus zugelassene Korrespondent
kam aus dem Zeitungsverlag Sengstacke.
Mitglieder der Familie Sengstacke
wurden zu bestimmten Anlässen von den
amerikanischen Präsidenten ins Weiße
Haus eingeladen. Mit ihren Zeitungen leisteten
sie Öffentlichkeitsarbeit für die
gesamte Nation. Ihre Leitidee war „Versöhnung
zwischen Schwarzen und
Weißen“. So war auch die Freundschaft zu
dem Träger des Friedensnobelpreises, dem
Pfarrer Martin Luther King (1929 – 1968)
zu verstehen, der sich als Kämpfer für die
Bürgerrechte der Farbigen in den USA von
den radikalen Elementen distanzierte.
Als am 28. Mai 1997 das Familienhaupt,
John H.H. Sengstacke, 85-jährig verstarb,
wurde die hier lebende Verwandtschaft,
die Nachkommen von Mary Elisabeth
geborene Sengstacke, umgehend benachrichtigt.
Außer Zeitungen mit den Nachrufen
erhielten sie ein Programm des großen
Memorial-Gottesdienstes. Es war einleitend
mit dem hier abgedruckten Kondolenzschreiben
des amerikanischen Präsidenten
Bill Clinton versehen.
Robert Sengstacke, geboren am
29.05,1943, ein Urenkel des in Marßel aufgewachsenen
John H.H. Sengstacke, ist
derzeitiger Chef des großen Zeitungsunternehmens.
Dieser Aufsatz konnte nur geschrieben
werden, weil Walter Schnier in akribischer
Kleinarbeit - wie ein Puzzle zusammengesetzt
- sich um die Aufarbeitung dieses
Themas und gegen das Vergessen bemüht
hat. Mit gleicher Genauigkeit wie seine
drei Bücher über Burgdamm sind seine
umfangreichen Nachforschungen über
dieses Auswandererschicksal geführt worden.
Darüber hinaus bieten die hier nicht
erwähnten Aufzeichnungen, die zwar im
Zusammenhang stehen, viel Stoff für weitere
Berichte.
Deshalb, ein herzliches „Dankeschön“
an Walter Schmer für das hier zum Teil ausgewertete
Ergebnis seiner Forschungen,
aber auch ein Dank an die Nachkommen
von John H.H. Sengstacke, die mit Auskünften
und Unterlagen behilflich waren.
Es hat mir Freude gemacht, diesen
Bericht zu schreiben.
Rudolf Matzner
Leserbrief
Im Nachgang zu unserem Beitrag im
letzten HEIMAT-RUNDBLICK über Siegfried
von Vegesack erhielten wir ein
Gedicht von Walter Heinrich aus
Aumund von dem baltendeutschen
Schriftsteller, das wir unseren Lesern
gerne zur Kenntnis bringen möchten:
Zwischen Staub und Sternen
Zwischen Staub und Sternen
wanderst ewig du
einem dunklen, fernen
unbekannten Ziele zu.
Staub an deinen Füßen,
das Gesicht bestaubt, –
doch am Himmel grüßen
Sterne über deinem Haupt.
Wirst du ewig kleben
an der Erde Schoß?
Oder dich erheben
zu den Sternen hell und groß?
Werden wir vergehen
wie im Herbst das Laub, –
oder auferstehen
einst aus Dunkelheit und Staub?
Wandern wir im Kreise
ewig um den Kern?
Wohin geht die Reise
zwischen Staub und Stern?
Von dem Ziel, dem fernen,
fern, wie am Beginn, –
werden wir je lernen
den verborgnen Sinn?
Zwischen Staub und Sternen
wandern wir dahin …
von Siegfried von Vegesack
geb. 20. März 1888
gest. 26. Januar 1971
RUNDBLICK Sommer 2017
17
Die Karte!
Präsentation in der Welterbestätte Bremer Rathaus
Unglaublich, am Sonntag, den 4.Juni 2017
gab es in Bremen mit mehr als 5200 Besuchern
zum „13. Welterbetag“ *) der
UNESCO, einen Ansturm auf das Rathaus. „In
weitem Bogen windet sich die Schlange über
den Grasmarkt, die Obernstraße hinunter bis
hinter Karstadt. Stundenlang stehen viele an,
um ein Stück Bremen zu ergattern“, schrieb
der Weser-Kurier. Das Rathaus lud zum Anlass
des 70. Jahrestages der Wiedergründung
Bremens nach dem Zweiten Weltkrieg zu
einem Tag der offenen Tür. Es gab nicht nur
Führungen durch den Ratskeller und das Rathaus,
mit Blick in Güldenkammer und Kaminsaal,
sondern auch ein kleines Stück Kupferblech
von der alten Dachbedeckung des Bremer
Rathauses und die Präsentation der Karte
„Bremen und sein Landgebiet von 1748“.
Diese Karte ist die einzige von einst vier
Exemplaren und konnte Anfang des Jahres
vom Leiter des Bremer Staatsarchivs Konrad
Elmshäuser erworben und somit für Bremen
dauerhaft gesichert werden. Die Karte zeigt
Bremen mit seiner Kernstadt und seine ländlichen
Gebiete. Diese zeichnete und kolorierte
Johann Daniel Heinbach vor 270 Jahren
in den Maßen 106,5 x 75,5 Zentimeter. Im
Rathaus gab es von der historischen Karte
hochwertige Nachdrucke, einmal in einer
kleinen Variante und einmal annähernd in
Originalgröße.
Grundriss der Kaysserlichen Freyen Reichs- und
Ansee Stadt Bremen an der Weser, sambt deren
District oder denen sogenannten vier Gohen,
als dem Ober-Viehland, Nieder-Viehland, Hollerland
und Werderland, wie auch dem Gericht
Borchfeld.
So dann der Weser Strohm, worinnen alle
Schlachten, Ufern, Insulen, Fluvia, Sandbänke
und gleichen klärlich angedeutet werden von
Hemelingen bis zu der Stadt Haven Vegesack.
Im gleichem die Gräntz Pfähle, und benachbarte
angräntzente Dörfer.
Auch in einer jeden Gohgrafschafft liegende
Herrn Vorwerker.
In Abriss gebracht von Johann Daniel Heinbach,
Feurwercker
Die Karte: Bremen und sein Landgebiet
(1748)
Die Karte zeigt die Stadt Bremen und ihr
Landgebiet nach der mit dem 2. Stader Vergleich
von 1741 erreichten endgültigen
Unabhängigkeit. Für Bremen war damit ein
seit dem Mittelalter geführter Kampf, zuerst
gegen die Erzbischöfe, dann gegen Schweden
und Hannover, um seine staatliche
Unabhängigkeit beendet. „Das 1741
bestätigte und () von Heinbach kartierte Bremer
Territorium sollte danach weitgehend
ungeschmälert bis ins 20.Jahrhundert ()
erhalten bleiben.“ Somit ist die Karte von
1748 „ein bedeutendes Zeugnis zur Entwicklung
des Staatsgebietes der Freien Hansestadt
Bremen“ (Elmshäuser).
Die Karte ist nach Südwesten und nicht
nach Norden ausgerichtet. Das war damals
noch nicht üblich und setzte sich erst nach
Einführung der Trigonometrierung ab 1760
durch. 1790 erfolgte die erste trigonometrische
Vermessung des bremischen Landgebietes
durch den Bürgermeister Christian
Abraham Heineken (1752-1818) und Senator
Johann Gildemeister (1753-1837).
Die Karte ist eine aufwendige Kartierung
des Bremer Territoriums. „Heinbachs Plan
der Stadt mit der Darstellung der vier Gohe
und der angrenzenden Dörfer ist farbig und
detailreich ausgeführt. Außerhalb des Bremer
Gebietes skizziert die Karte hingegen nur
grob die „angräntzente Dörffer“ und den
Verlauf von Straßen und Gewässern.“ Der
Plan ist detailfreudig, anschaulich, Häuser
und Vorwerke sind schematisch wiedergegeben,
die Kirchen im Landgebiet nach der realen
Gestalt ihrer Türme. Zu entdecken sind
Brücken, Schanzanlagen, Befestigungen,
Landwehren, in Burg die „Bremer Burg“, die
Zolltürme „Zum Kattenthurm“ und „Zum
Wartthurm“, ebenso die frühen Gewerbebetriebe
vor der Staephanivorstadt mit Reeperbahn,
Tran- und Ziegelbrennereien, die Kuhhirtenhäuser
in der Pauliner Marsch und auf
dem Werder, Landmarken im Umland wie
die „Munte“, Dammsiel, Kuhsiel, der
„Hodenberg“.
„Historisch bemerkenswert () sind in dem
Plan von 1748 () vor allem die 76(!) eingezeichneten
Landgüter (Vorwerke), die Bremer
Bürgern gehörten, () mit genauer
namentlichen Nennung der Eigentümer. () In
Johann Daniel Heinbach
(1694-1764)
Heinbachs Familie stammt aus dem
hessischen Dorf Heimbach, er selbst
wurde 1694 in Marburg an der Lahn
geboren. Er erlernte den Beruf des Gärtners
und war danach in den Parks und
Gärten in Kassel tätig. In den 1720er Jahren
kam Heinbach nach Bremen und trat
1727 als Artillerist in den bremischen
Militärdienst ein. Infolge seiner Kunstfertigkeit
Karten und Ansichten zu zeichnen,
weniger seine militärischen Fähigkeiten,
brachten ihn in den Rang eines Bombardiers
und 1734 in den des Feuerwerkers.
Nach seinem Diensteintritt begann Heinbach
mit der Zeichnung von Abrissen
(topographische Pläne) und erstellte eine
Kartierung der Bremer Militärbezirke, die
Darstellung von Abschnitten der Bremer
Befestigungswälle mit den zugehörigen
Revieren der Bürgerkompanien. 1731
übergab er dem Rat der Stadt Bremen
zwei „Abrisse, worin die Notice der Compagnien
dieser Stadt sambt allen Häusern
und Gebäuden, accurat befindlich ist“.
Die Karten zu den „Bürgerkompagnien“,
die er von 1730 bis 1733 erstellte, sind
sein umfangreichstes Kartenwerk zum
Bremer Stadtgebiet. 1734 lieferte Heinbach
dem Rat einen „Abriss der ganzen
Stadt“, einen großformatigen Stadtgrundriss
von Bremen. Danach begann er
mit der Kartierung der vier Gohe im Bremer
Landgebiet und stellte die Arbeiten
bis 1747 fertig. Diese Karte ist ein Höhepunkt
des zeichnerischen Gesamtwerks
von Heinbach, das Karten, Stadtansichten
und Gebäudeskizzen umfasst und „das
uns Bremen im 18.Jahrhundert lebendig
und detailfreudig vor Augen führt.“ Zwischen
1743 und 1764 zeichnete Heinbach
viele „Prospecte“, Ansichten von
öffentlichen Gebäuden, Kirchen, Toren,
Brücken und Brunnen. Hervorzuheben als
besonders originell und aussagekräftig ist
als kolorierte Federzeichnung ein Stadtplan
von 1751, in dem die Vorstädte einbezogen
sind.
„Die Arbeiten Heinbachs () beschränken
sich stets auf die Stadt Bremen und ihr
Landgebiet. () Sie besitzen beachtlichen
kulturgeschichtlichen und topographisch-historischen
Wert, da Heinbach
bemüht ist, alles Wichtige gegenständlich
aufzunehmen“ (Elmshäuser). Heinbachs
Zeichnungen sind eine zuverlässige und
unersetzliche Bildquelle und wichtige
Zeugnisse der Zeitgeschichte.
Johann Daniel Heinbach starb im September
1764 in Bremen.
18 RUNDBLICK Sommer 2017
Die bremischen
Bürgerkompanien
Seit dem Mittelalter musste im Kriegsfall
jeder wehrfähige Bremer Bürger zur Verteidigung
der Stadt zur Verfügung stehen.
Die wehrfähigen Bürger organisierten sich
in den vier Kirchspielen der Stadt, in Unser
Lieben Frauen, St.Ansgarii, St.Martini und
St.Stephani. Diese Bürgerwache war die
älteste bürgerliche Organisation zur Verteidigung
der Stadt, war zuständig für die
Bewachung der Stadtmauern und Stadttore,
aber auch für die Brandbekämpfung.
Für Einsätze außerhalb der Stadtmauern
warb man Freiwillige an oder setzte angeworbene
Truppen (Söldner) ein.
Diese Organisation der Bürgerwache
erwies sich zum Ende des 16.Jahrhunderts
als mangelhaft und ab 1605 war die Verbesserung
der Verteidigungsbereitschaft
der Stadt für den Rat von großer Bedeutung.
Die Befestigungen Bremens wurden
durch moderne Bastionen gestärkt, eine
neue Wachtordnung erlassen und die Bürgerwache
neu organisiert. Man führte ein
Kompaniesystem ein, stellte Bürgerkompanien
auf, teilte die Stadt in Kompaniebezirke
ein. Diese waren weiterhin sogleich
Brandwache und bildeten städtische
Steuereinheiten.
Die Neugliederung umfasste 20 etwa
gleich große Kompanien, unterteilt in
jeweils 9 oder 10 Rotten zu 8 bis 12 Mann.
Die Kompanien waren auf die vier Kirchspiele
der Stadt verteilt und hatten dort ihre
Quartiere. In den Vorstädten wurden
eigene Kompanien aufgestellt, 1637 die
erste Vorstädter Kompanie und 1664 die
vierte. 1683 folgte als fünfte Kompanie die
erste außenhalb der Landwehr. Auch parallel
zur Besiedlung der Neustadt auf dem linken
Weserufer erfolgte ab 1638 die Aufstellung
von Bürgerkompanien. 1691 waren es
in der Bremer Neustadt fünf Kompanien.
Für die Bremer Kompaniebezirke hat
Heinbach erstmals genaue Pläne angefertigt.
Die Karten zu den „Bürgerkompagnien“
sind sein umfangreichstes Kartenwerk.
den Bremer Führungsschichten lässt sich das
Bestreben, Landgüter zu erwerben und
bewirtschaften zu lassen, bis in das Mittelalter
zurückverfolgen. Im 14.Jahrhundert hatte
der Rat ein Gesetz durchgesetzt, nach welchem
kein Bürger ein innerhalb einer Meile
von der Stadt gelegenes Erbgut an jemand
anders als an bremische Bürger verkaufen
dürfte. () Heinbachs Karte zeigt deutlich, dass
das Landgebiet damals nicht nur territorial zu
Bremen gehörte, sondern auch schon lange
grundherrlich von den führenden Familien
der Stadt beherrscht wurde, die ihre Vorwerke
teils über Generationen besaßen und
vererbten.“ (Elmshäuser)
Heinbach stellte 1748 mehr als ein Exemplar
der Karte her, es gibt Hinweise auf mehrere
Ausfertigungen, die jedoch im Zweiten
Weltkrieg verloren gingen. Ein Exemplar
gelangte früh in den Besitz der Familie des
Bürgermeisters Christian Abraham Heineken
und überstand den Krieg auf dem Landgut
Heineken in Oberneuland. Im Januar 2017
gelangte diese Karte aus Privatbesitz zur Versteigerung
ins Auktionshaus Sotheby´s in
London. Das Staatsarchiv Bremen bemühte
sich vorab um den Erwerb. Der Plan konnte
dank der Karin und Uwe Hollweg Stiftung
erworben und für Bremen gesichert werden
und befindet sich nun in der Kartensammlung
des Staatsarchivs.
Johannes Rehder-Plümpe
*) Welterbetag: 1972 hat die UNESCO die „Welterbekonvention“,
das „Übereinkommen
zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der
Welt“, verabschiedet. Inzwischen haben 193
Staaten dieses unterzeichnet. Es ist das international
bedeutendste Instrument zum
Schutz des kulturellen und natürlichen Erbes.
Die UNESCO-Liste verzeichnet 1.052 Naturund
Kulturstätten, davon 41 in Deutschland,
u.a. in Bremen das Rathaus und der Roland.
– Konrad Elmshäuser: Die Karte Bremen und
sein Landgebiet (1748) von Johann Daniel
Heinbach (1694-1764), Schriften des Staatsarchivs
Bremen, Band 56, Bremen 2017
– Staatsarchiv Bremen: Die Karte Bremen und
sein Landgebiet (1748), Karte 58 x 42, verkl.
Repro + Text auf der Rückseite, Bremen 2017
Die bremischen Gohe
Auf der Karte „Bremen und sein Landgebiet
von 1748“ sind die bremischen Gohe
zu sehen. Diese waren die Grundlage der
bremischen Landgebietsverwaltung und
unterteilten das Landgebiet um die Stadt
Bremen außerhalb der Altstadt, Neustadt
und Vorstadt. Nach einer Neugliederung
des Bremer Gebietes 1598 gab es vier
Distrikte (Gohe): Mit dem Werderland und
dem Holler- und Blockland zwei auf dem
rechten Weserufer und mit dem Oberviehland
und dem Unterviehland zwei auf dem
linken Weserufer. Dazu kam das Gericht
Borgfeld mit einem eigenen Gerichtsbezirk.
In den Gohen übten Gohgräfe unterstützt
von Vögten die Verwaltung und
Gerichtsbarkeit aus. Die Gliederung des
Landgebietes in Gohe bestand bis zur Franzosenzeit.
In den Jahren 1811-1813 hob
die französische Besatzung die Gohe auf
und änderte die Verwaltungsstruktur. Nach
der Befreiung wurde die französische Kommunalverwaltung
aufgehoben, die alte
Verwaltungsstruktur jedoch nicht wieder
eingeführt. Die Verwaltung des bremischen
Landgebietes links und rechts der Weser
übernahmen nach 1815 zwei Landherren,
der Landherr am rechten Weserufer und
der am linken Weserufer. Später wurde für
das Landgebiet nur noch ein Landherr eingesetzt.
Dienstsitz der Landherren war das
Landherrnamt in der Stadt Bremen.
– Staatsarchiv Bremen: Grundriss der Kaysserlichen
Freyen Reichs- und Ansee Stadt Bremen
an der Weser, Bremen und sein Landgebiet
(1748) Johann Daniel Heinbach, Karte 90 x
64 (4x gef.), Repro ~ i.d. Originalgröße, Bremen
2017
Zweiter Stader Vergleich
von 1741
In der Geschichte werden zwei politische
Einigungen als „Stader Vergleich“ benannt,
die in Stade, dem damaligen Verwaltungssitz
des Herzogtums Bremen, ausgehandelt
und abgeschlossen wurden. Der 1. Stader
Vergleich fand 1654 zwischen Bremen und
Schweden statt, der 2. Stader Vergleich
1741 zwischen Bremen und dem Kurfürstentum
Braunschweig-Lüneburg (Hannover).
Im 1. Stader Vergleich einigten sich nach
kriegerischen Auseinandersetzungen im
November 1654 das Königreich Schweden
und die Stadt Bremen. Bremen musste
Schweden in den Landgebieten die landesherrlichen
Rechte überlassen, behielt aber
Vegesack und Blumenthal. Jedoch blieb der
„Reichsstand von Bremen“ offen.“ Schweden
erkannte die „Reichsunmittelbarkeit“
von Bremen nicht an. Nach weiteren
erfolglosen Feldzügen gegen Bremen
geschah dieses 1666 im „Frieden zu
Habenhausen“. Schweden erkannte darin
die Unabhängigkeit der Stadt Bremen an.
1715 ging das Herzogtum Bremen an
das Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg,
später Kurfürstentum Hannover über.
Kurhannover stellte erneut die Reichsunmittelbarkeit
der Stadt Bremen in Frage. Ab
1733 verhandelten Bremen und Kurhannover
über die Landeshoheit der ländlichen
Gebiete um die Stadt Bremen und einigten
sich im August 1741 auf die Anerkennung
der Reichsunmittelbarkeit von Bremen.
Dafür erhielt das hannoversche Herzogtum
Bremen die Landeshoheit und das Kontributionsrecht
(Abgaben und Steuern) von
Teilen des Werderlandes (Grambke, Burg,
Mittelsbüren, Oslebshausen), des Blocklandes
(Wasserhorst, Wummensiede) und von
der Vahr. Bremen behielt in diesen Gebieten
das Kirchenpatronat und die Gerichtsbarkeit.
Mit dem 2.Stader Vergleich erreichte
Bremen die volle Anerkennung seiner
„Reichsstandschaft“ und damit die Souveränität
in seinem Landgebiet. Der mit dem
Kurfürstentum Hannover, dem späteren
Königreich Hannover, ausgehandelte Vergleich
bedeutete für Bremen einen territorialen
Verlust, erhielt jedoch die Anerkennung
seiner staatlichen Unabhängigkeit
und Landeshoheit und seinen Status als
Freie Reichsstadt.
Mit der Neuordnung des Deutschen Reiches
durch den „Reichsdeputationshauptschluss“
von 1803 erlangte Bremen einige
der 1741 verlorenen Dörfern wieder
zurück.
RUNDBLICK Sommer 2017
19
113 Jahre Arbeit für Heimat und Umwelt
Geschichte des „Vereins für Niedersächsisches Volkstum von 1904“*)
Dieser Verein wurde im November 1904
in Bremen gegründet und benannte sich
nach dem damals übergeordneten Begriff
Niedersachsen. Das Land Niedersachsen
gab es noch nicht. Bremens Nachbarn
waren die preußische Provinz Hannover
und das Großherzogtum Oldenburg.
In der Zeit um 1900 fand infolge der
Industrialisierung ein beängstigender Ausverkauf
von Natur, Tradition, Kunst und
Kultur statt, bürgerliche und bäuerliche
Werte verblassten und verschwanden.
Dem galt es entgegenzuwirken, „die
Heimat im weitesten Sinne vor zerstörenden
Eingriffen zu schützen“, die Heimatschutzbewegung
entstand.
Am 30. März 1904 gründete sich in
Dresden der „Bund Heimatschutz“ als
reichsweiter Verband der regionalen Heimatschutzorganisationen.
Der Zweck
wurde „im Schutz der deutschen Heimat
in ihrer natürlichen und geschichtlich
gewordenen Eigenart“ gesehen. Dazu
zählte Denkmalpflege, das Landschaftsbild
einschl. der Ruinen, die überlieferte ländliche
und bürgerliche Bauweise, die einheimische
Tier- und Pflanzenwelt sowie die
geologischen Eigentümlichkeiten, die
Volkskunst auf dem Gebiete der beweglichen
Gegenstände, die Sitten, Gebräuche,
Feste und Trachten.
Einer der ältesten Naturschutzorganisationen
1914 benannte sich der Verband in
„Deutscher Bund Heimatschutz“ um,
1937 in „Deutscher Heimatbund“ und
1998 in „Bund Heimat und Umwelt in
Deutschland (BHU)“. Der BHU ist somit
eine der ältesten deutschen Naturschutzorganisationen.
Vor der Gründung eines diesbezüglichen
Bremer Vereins fand am 24./ 25.Sept.
1904 das „Niedersächsische Trachtenfest“
in Scheeßel statt. Mit Vorträgen, Ausstellungen
und Festaufführungen sollte
gezeigt werden, welche Ausdrucksformen
des bäuerlichen Lebens vom Aussterben
bedroht waren. Initiiert hatte dieses Fest
die „Niedersachsenrunde von 1900“,
„eine illustre Honoratiorenrunde zur Heimatpflege,
die auch heute noch besteht“
(Tacke) und die sich der „“Pflege niedersächsischer
Kulturgeschichte und niedersächsischer
Art“ verschrieben hatte.
Nach dem Erfolg des Festes in Scheeßel
gründete sich am 9. Nov.1904 in Bremen
der „Verein für Niedersächsisches Volkstum“.
Beteiligt waren 28 Männer, darunter
Hans am Ende, Artur Fitger, Johann Focke,
Eduard Gildemeister, Otto Modersohn,
Ernst Müller-Scheeßel, Christian Roselius,
Hugo Schauinsland, Heinrich Vogeler. Darüber
hinaus bekundeten 26 weitere ihre
schriftliche Zustimmung. Heinrich Vogeler
lieferte das erste Logo des Vereins, das bis
1960 Bestand hatte.
Vorsitzer wurde Emil Högg, Direktor des
Gewerbemuseums, sieben Arbeitsgruppen
konstituierten sich: Architektur und
Baupflege / Kunstgewerbe / Landschaftspflege,
Schutz des Landschaftsbildes / Sitten,
Trachten und Gebräuche, Erhaltung
und Neubelebung / Schutz der Tier- und
Pflanzenwelt / Urgeschichte und Altertumskunde
/ Volkskunde, Sprache und Literatur.
Arbeit in Architektur
und Baupflege sowie
Landschaftspflege
Die Arbeit in den ersten Jahren des Vereinsbestehens
lag zum einen in der Architektur
und Baupflege, zum anderen in der
Landschaftspflege, da in diesen Bereichen
die Eingriffe in die Umwelt am augenscheinlichsten
waren. Bauberatung, Baudenkmalpflege,
Meisterkurse für Bauhandwerker,
Bauunternehmen und Baumeister,
heimatkundliche Sammlungen und Forschungen
wurden zu einem wichtigen
Betätigungsfeld. So hat der Verein u.a.
beim Bau des „Lloydgebäudes“, von Kaufund
Warenhäusern an der Obernstraße,
des „Ratscafes“ (das heutige „Deutsche
Haus“) mitgewirkt. Es wurden viele geborgene
Teile abgebrochener bremischer
Häuser wiederverwendet und wieder eingebaut.
Wilhelm Tacke beschreibt anschaulich,
detailreich, belegt mit vielen Fotos und
Dokumenten in einem ausführlichen
ersten Abschnitt „Der Anfang“ die
Geschichte und das Wirkens des Vereins in
den Anfangsjahren ab 1904 bis zum
Beginn der 1930er Jahre. Besonders
gewürdigt werden die Verdienste der
jeweiligen Vorsitzer und einzelner Mitglieder
im Vorstand. Wobei die Nähe zur Heimatschutzbewegung
in diesen Jahren
mehr als deutlich wird, hingegen die
Berührungspunkte zur Völkischen Bewegung
nur punktuell Beachtung erfahren.
So fällt auch der nächste Abschnitt „Nazizeit
und Entnazifizierung“ gegenüber dem
Text zu den Anfangsjahren „etwas dünn
aus“. Jedoch erscheint hier die Quellenlage
spärlich zu sein, was auch in den Fußnoten
deutlich wird.
Dafür liefert der nächste Abschnitt „Die
Nachkriegszeit“ wieder „mehr Stoff“ und
jeder der vier (oder fünf ?) Vorsitzer in der
Zeit bis zum heutigen Tage bekommt eine
umfangreiche Würdigung, so auch im letzten
Kapitel „Verschiedenes“.
Der Anhang gibt eine Übersicht über die
Vorsitzer, Geschäftsstellen, Publikationen
des Vereins von der Gründung bis heute
und lädt mit den 163 Fußnoten zur weiteren
Recherche ein.
Johannes Rehder-Plümpe
*) Wilhelm Tacke, Geschichte des „Vereins für
Niedersächsisches Volkstum von 1904
e.V.“
Jahrbuch des Vereins für Niedersächsisches
Volkstum -Bremer Heimatbund- 2016
2. verbesserte Auflage 79. Jahrgang, 2017,
Heft 144, Selbstverlag, Bremen 2017
Inhalt
Der Anfang S. 3
Nazizeit und Entnazifizierung S. 35
Die Nachkriegszeit S. 49
Der Vorsitzer Dr.Otto Carlsson S. 49
Der Vorsitzer Karl Dillschneider S. 54
Der Vorsitzer Wilhelm Klocke S. 59
Der Vorsitzer Wilhelm Tacke 1994 - S. 63
Verschiedenes S. 68
Anhang S. 72
Die Vorsitzer 1904 – 1994
Geschäftsstellen des Vereins 1921 – 2016
Publikationen des Vereins …
- Jahresberichte des Vereins … 1905 – 1910
- Niedersächsisches Jahrbuch 1911 – 1941
- Mitgliedsbriefe 1947 – 1952
- Mitteilungsblätter 1953 – 1956
- Mitteilungen des Vereins … 1957 – 1998
- Heimat und Volkstum-Niedersächsisches
Jahrbuch 1954 – 2016
Fußnoten S. 76
Bildernachweis S. 79
20 RUNDBLICK Sommer 2017
Pferde – Dom – Störtebecker
Ein Rundgang durch die alte Reiterstadt Verden an der Aller
Panoramaansicht von Verden
Wie oft fährt man auf der Autobahn an
der von Bremen etwa 40 km entfernten
Kreisstadt Verden vorbei, ohne sich deren
geschichtlicher Bedeutung bewusst zu
sein. Natürlich weiß man, dass der Pferdesport
diesen Ort weit über seine Grenzen
bekannt gemacht, doch das ist bei weitem
nicht alles, was Verden zu bieten hat.
Schon in den Jahren 300 bis 800 nach Chr.
sollen die ersten Bewohner nachweisbar
im Verdener Raum, die Chauken, hier
friedlich sesshaft geworden sein. Karl der
Große machte die Siedlung „Ferdie“ an
der Aller um 800 zum Sitz eines Bistums,
dem König Otto III 985 das Markt-, Münzund
Zollrecht verlieh. Am 12. März 1259
wurde Verden durch bischöfliches Privileg
das Stadtrecht nach bremischem Vorbild
zugestanden. Konrad I gilt als erster Fürstbischof
dieser Stadt, doch schon ab 849
regierte im Hochstiftsbereich die weltliche
Macht. In den folgenden Jahren wuchs die
Stadt aus zwei Siedlungen zusammen: Der
Norderstadt mit Rathaus und St. Johanniskirche
und der Süderstadt als geistiges
Zentrum und den Dom.
Königin Christina von
Schweden verbot
Hexenprozesse
Vom 11. Jhdt. bis 1648 bestand das
Fürstbistum Verden als eigenständiges Territorium,
in dem die Bischöfe, und später
die lutherischen Rechtsnachfolger als
Reichsfürsten herrschten. Das Erzbistum
Bremen und das Bistum Verden fallen nach
Verhandlungen durch den Westfälischen
Frieden 1648 an Schweden und das
bedeutet auch das Ende des Bischofsamtes
und des Domkapitels Verden. Die nun folgende
Umbenennung der beiden Bistümer
in „Herzogtümer Bremen und Verden“
war ohne weitreichende Bedeutung.
Die schwedische Königin Christina veranlasste,
dass die seit 1300 stattfindenden
Hexenprozesse verboten werden. In Verden
fallen 63 Frauen und 4 Männer den
Verurteilungen, teils durch Folter, aber
auch durch Verbrennungen, zum Opfer.
Der Name Verden an der Aller hat sich
durchgesetzt, weil im deutschen Raum der
Name Verdun für die französische Stadt
gebräuchlicherweise mit Verden verwechselt
wurde.
Nach dieser geschichtlichen Einleitung
wird es Zeit, sich einem schreibenden
Stadtführer anzuvertrauen. Wir beginnen
am spätbarocken Rathaus, das 1729
erbaut und 1732 durch die Kaufmannschaft
feierlich eingeweiht wurde. In den
Jahren 1874/1875 wurde das Gebäude
umgebaut und 1905 bekam das Rathaus
einen Turm und einen zusätzlichen Westflügel.
Hinter dem Rathaus befindet sich die
Bürgerkirche St. Johannis. Sie gilt als ältester
sakraler Backsteinbau im norddeutschen
Raum. Erbaut wurde diese Kirche
um 1150. Den Turm ziert seit 1697 eine
Das Rathaus von Verden
barocke Turmhaube. Die Barockkanzel
stammt aus dem Jahr 1598.
Störtebecker soll
wohltätige Spuren
hinterlassen haben
Foto: Pixabay.com
Und wer kannte ihn nicht, den sagenumwobenen
Seeräuber Klaus Störtebecker,
der der Sage nach, hier in Verden
wohltätige Spuren hinterlassen haben soll.
Darüber hat Cornelia Dressler in einer Broschüre,
die im Dom erworben werden
kann, Folgendes aufgeschrieben:
„Alljährlich, am Montag nach Lätare -
drei Wochen vor Ostern - werden vor dem
Rathaus Brot und Heringe an die Bevölkerung
verteilt. Der Sage nach drückte Störtebecker
sein Gewissen immer mal wieder,
worauf er sieben Fenster für den Verdener
Dom stiftete. Und er wollte den Armen der
Stadt etwas Gutes tun mit Hilfe von Heringen
und Roggenbrot.
Foto: Pixabay.com
RUNDBLICK Sommer 2017
21
Der Verdener Dom
Die Mär, Störtebecker stamme aus Verden
und habe diese Spuren hinterlassen,
will nicht verstummen. Die früheste
Angabe über die Lätare-Spende findet sich
in einem Verdener Rechnungsbuch von
1602. Da war der Spender bereits 200
Jahre tot. Aber das kümmert in Verden niemanden.
Denn andernfalls müsste Verden
auf zwei werbewirksame Veranstaltungen
verzichten: das Störtebeckers Heringsessen,
zu dem man illustre Gäste bittet und
dessen Erlös wohltätigen Zwecken dient,
und die Lätare-Spende. Und seit einigen
Jahren hat man die Spendenmenge verdoppelt.
Nicht, weil die Zahl der Bedürftigen
größer wurde, sondern weil es den
Leuten einfach Spaß macht, etwas von
Störtebecker geschenkt zu bekommen.“
Die Stiftung von 7 Domfenstern durch
Störtebecker ist sehr zweifelhaft und auch
die Lätarestiftung geht höchstwahrscheinlich
auf einen Domvikar zurück, der 1453
eine Speisung für Bedürftige stiftete. Dennoch
hat man dem Klaus Störtebecker im
Stadtzentrum unübersehbar ein Denkmal
gesetzt.
Und von hier gehen wir durch die
„Große Straße“. Das ist in Verden die Fußgängerzone
und eine schöne Einkaufsstraße.
Jeweils dienstags lädt hier der Obstund
Grünmarkt zum Einkauf ein. Auch für
einen Klönschnack ist so ein Marktbetrieb
gut geeignet. Dabei sollte man nicht vergessen,
entlang der zum Dom führenden
Straße die vielen unterschiedlichen Hausgiebel
zu betrachten.
Es soll 28 Brunnen in der
Innenstadt gegeben haben
In der „Großen Straße“ treffen wir auf
einen Brunnen, der bei Arbeiten in der
Fußgängerzone wieder entdeckt worden
ist. Früher soll es 28 Brunnen in der Innenstadt
gegeben haben.
Am Ende der „Großen Straße“ erhebt
sich seit 1490 der Verdener Dom in seiner
heutigen Gestalt. Bevor man vom Lugenstein
aus den Kirchenraum betritt, überquert
man einen freien Platz, der diesen
außergewöhnlichen Namen führt. Der
Überlieferung nach war der „Lugenstein“
ein ehemaliger Gerichtsplatz der Sachsen,
dem germanischen Volksstamm, der bis
zum achten Jahrhundert den Weg zum
Christentum noch nicht gefunden hatte,
aber auch nicht finden wollte. Diese den
heidnischen Germanen wichtige Stätte
war für die christlichen Franken unter
König Karl wohl als richtiger Ort gewählt
um das Kreuz aufzurichten.
Der Dom – ein Verdener
Wahrzeichen
Blick in den Verdener Dom
Foto: Pixabay.com
Foto: Pixabay.com
Der Verdener Dom ist eines der Wahrzeichen
der Stadt Verden. Der romanische
Turm wurde bereits um 1151 im Stile
norditalienischer Architektur errichtet. Die
erste Domeinweihung fand i. J. 1323 statt
und i. J. 1490 wurde das Gotteshaus nach
mehreren vorausgegangenen Bauabschnitten
zum zweiten Mal geweiht. Zuvor
standen hier vier Vorgängerkirchen, die
zwei ersten wurden aus Holz und die folgenden
aus Stein errichtet.
Berühmt ist der Hallenumgangschor
von 1490, der zu den ältesten seiner Art in
Deutschland gehört. Der Dom, als Hallenkirche
errichtet, hat mit der Turmhalle eine
Länge von 77 m und von Wand zu Wand
eine Breite von 24 m. Die Höhe bis zum
Dachfirst beträgt 35,65 m. Gemessen an
der relativ kleinen Stadt Verden hat der
Verdener Dom eine beachtliche Größe.
Dieser Kirchenbau diente der Bevölkerung
nicht nur für sonntägliche Gottesdienste,
sondern er entsprach auch dem Repräsentationsbedürfnis
des Verdener Bischofs.
Bemerkenswert ist die wunderbare
Akustik, die besonders bei Chorgesängen
tief beeindruckt.
Glocken stammen
aus Ostpreußen
Der Verdener Dom besitzt zwei Leihoder
auch Patenglocken genannt und
beide stammen aus Ostpreußen. Die
größte der beiden Glocken war früher in
der Steindammer Kirche in Königsberg. Sie
war die älteste Kirche in Ostpreußens
Hauptstadt und sie war dem Hl. Nikolaus
geweiht. Sie wurde 1721 gegossen und
hat ein Gewicht von 18 Ztr. Die zweite
Glocke kommt aus Engelstein bei Angerburg
in Ostpreußen und ihr Gewicht ist
mit 13 Ztr. angegeben. Beide Glocken
gelangten vor Ende des Krieges per Schiff
von Königsberg nach Hamburg, wo sich
ein Glockenlager befand. 1952 erhielten
sie ihren Platz im Geläut des Domes. Durch
glückliche Umstände entgingen sie dem
Schicksal des Einschmelzens für Kriegszwecke.
Die Legende vom
steinernen Mann …
Und dann ist da noch die Legende vom
steinernen Mann: „Es war einmal ein
Küster des Doms, der Kirchengelder veruntreut
und durchgebracht haben soll. Als
er nun vor dem Bischof Rechenschaft ablegen
sollte, schwor er, dass der Teufel ihn
holen solle, wenn er solches getan hätte.
Sofort erschien der Satan, packte den
Küster und wollte mit ihm durch die Dommauer
hinausfahren, doch seine „Beute“
blieb in der Mauer stecken und verwandelte
sich zu Stein. Zu finden ist der steinerne
Mann im Innenhof des Doms an der
Außenmauer des nördlichen Seitenschiffs.“
… erzählten früher Handwerksmeister
ihren neu
eingestellten Mitarbeitern
Der Sage nach gingen früher Handwerksmeister
mit neueingestellten Mitarbeitern
zum steinernen Mann, um zu zeigen,
was passiert, wenn jemand nicht ehrlich
ist. Handwerksburschen, die sich
andernorts um eine Anstellung bemühten
und sagten, zuvor in Verden gearbeitet zu
haben, wurden nach dem steinernen
22 RUNDBLICK Sommer 2017
Mann befragt und daran möge man sich
erinnern.
Die Reformation beeinflusste ab 1568 in
Verden das kirchliche Leben. Der Verdener
Dom trägt den Namen Maria und Cäcilia.
Im Jahre 1476 gründete Bischof
Berthold von Landsberg das Benediktinerinnen-Kloster
Mariengarten in der Norderstadt.
Später zogen in die Klosteranlage
die Jesuiten ein, sodass die Nonnen in das
Kloster Frankenberg verlegt wurden.
An der Ostseite des Domplatzes befindet
sich seit 1928 ein Reiterdenkmal, das an
das 2. Hannoversche Ulanen-Regiment
erinnern soll, das von 1873 - 1886 in Verden
in Garnison einquartiert war. 1994
endete nach 346 Jahren in Verden die Zeit
als Garnisonstadt. Unmittelbar hinter dem
Dom befindet sich die St. Andreaskirche.
Das Goldmanngrab auf dem Verdener Friedhof
Foto: Rudolf Matzner
Man geht davon aus, dass sie ursprünglich
die Hauskapelle des Bischofs war. Dieser
Kirchenbau wurde etwa um 1200 errichtet.
Zwölf Geistliche wurden hier eingesetzt,
die dem Bischof bei der Betreuung
seines Bistums helfen sollten. Diese Stiftskirche
hatte den Zweck, den Ruhm und
das Ansehen der eigentlichen Kathedrale
zu erhöhen, wie es in der Stiftsurkunden
von 1220 heißt.
Goldmanngrab soll immer
am 10. Mai geschmückt
werden
Wir verlassen den Dombezirk und besuchen
das Goldmanngrab. Dem Vermächtnis
nach hat i. J. 1821 der Vater des bei
einem Jagdunfall ums Leben gekommenen
20-jährigen Franz Goldmann bestimmt,
dass alljährlich am 10. Mai das Grab seines
Der „Sachsenhain“ bei Verden
Sohnes von einer unbescholtenen,
tugendhaften Braut geschmückt werden
solle. Dieses Ritual findet als gehegte Tradition
auch heute noch statt; vorausgesetzt
dass sich durch eine Braut dieses Vermächtnis
auch erfüllen lässt. Man kann nur
hoffen, dass ausser dem Blumenstrauß
vom Bürgermeister die Zinsen von dem
zweckgebundenen Kapital als Salär für
eine Braut noch lange reichen möge. Die
Stadtväter sollten dafür sorgen, dass dieser
schöne Brauch weitergepflegt werden
kann.
782 sollen 4500 Sachsen
hingerichtet worden sein
Foto: Rudolf Matzner
Dem Bericht nach soll Kaiser Karl i. J. 782
in der Nähe von Verden ein grausames
Blutgericht an den besiegten Sachsen vollzogen
haben. Nach den fränkischen Annalen
sollen dort 4500 Sachsen hingerichtet
worden sein. In neuerer Zeit wird jedoch
diese Zahl angezweifelt. Man vermutet
einen Übermittlungsfehler, und einige
Historiker argwöhnen sogar, dass sich in
der schriftlichen Überlieferung ein Schreibfehler
eingeschlichen habe. Aus dem lateinischen
Wort „delocatio“, was Umsiedlung
bedeutet, sei irrtümlich „decollatio“,
gleichbedeutend mit Enthauptung,
geworden. Dann wären die Sachsen also
ihres heidnischen Glaubens wegen nicht
getötet, sondern in eine andere Gegend
verschleppt worden. Der Ort des umstrittenen
Geschehens, der Sachsenhain, ist
heute ein idyllisches Wandergebiet. Die
4500 Findlingsblöcke, die dort den Waldweg
säumen, sollen an die vermeintlich
grausame Bluttat erinnern.
Doch es wäre sträflich, würde man in
einem Bericht über Verden die Bedeutung
als Pferdezuchtgebiet und Sitz der Pferdeausbildungs-
und Absatzzentrale des Verbandes
Hannoverscher Warmblüter-
Hengstkörung, die Pferderennen und Reitturniere
nicht in gebührender Weise
erwähnen. Hier finden jährlich mehrere
Pferdeauktionen statt.
Seit etwa 1830 wird in Verden Pferdezucht
betrieben. 1933 wurde mit viel
Pomp das Rennbahngelände eingeweiht
und mit den Tribünen ist die Anlage bis
heute beispielhaft. Zahlreiche prominente
Reiterinnen und Reiter haben in der Vergangenheit
Verdens Ruf und Ansehen als
hervorragende Reiterstadt gefestigt.
Vor dem Deutschen Pferdemuseum
steht als Bronzedenkmal die Nachbildung
des Trakehnerhengstes Tempelhüter.
Ursprünglich vor dem Landstallmeisterhaus
beim Gestüt in Trakehnen stehend,
wurde es nach dem Krieg nach Moskau
abtransportiert. Durch eine großzügige
Spende eines wohlhabenden Mannes
konnte eine Nachbildung angefertigt und
1974 den Verdenern anvertraut werden.
Welche deutsche Kleinstadt hat wohl
mehr zu bieten als die Reiterstadt Verden
an der Aller, die sogar einen bemerkenswerten
Dom hat, in dem nachweisbar 48
katholische Bischöfe, gefolgt von 4 evangelischen
Bischöfen, das kirchliche Leben
der Stadt bestimmt haben? – Ein Blick in
die Vergangenheit bereichert unser Wissen.
Möge dieser Aufsatz dazu dienen, Verdens
Vergangenheit so wahrzunehmen,
wie es diese niedersächsische Stadt verdient
hat.
Rudolf Matzner
Quellenangabe:
Stadtführer Verden
Broschüre „Verdener Dom“
HB Bildband Niedersachsen
Broschüre „Historisches Verden“
Broschüre „Kleine Stadt – viele Kirchen“
Broschüre „Das historische Geläut im Verdener
Dom“
Wikipedia – Verden Aller
Eigenes Zeitungsarchiv
Persönliche Gespräche mit Ortskundigen
RUNDBLICK Sommer 2017
23
Umstellt und entstellt
Eine äußerst „windige“ Sache
Die reich gegliederte Natur- und Naherholungslandschaft
rund um Meyenburg
droht zu einem minderwertigen Industriegelände
zu verkommen.
Von gigantischen
Industriekolossen umringt
Fakt ist, dass aktuell bereits 23 Windenergieanlagen
(WEA) im Meyenburger
Umfeld unübersehbar auf dem Hügelland
der Geest und zur Osterstader Marsch hin
mit ihren Flügelkreuzen rotieren. Weitere
17 sollen noch hinzu kommen. Damit
wäre das bis dato noch recht beschauliche
Bauerndorf von mittlerweile gigantischen
Industriekolossen regelrecht umringt.
Wohl für jeden Heimatfreund und
Naturliebhaber mutet dieser Umstand
bedrohlich und alarmierend an.
„Warum habt ihr diese Entwicklung nur
zugelassen und euch nicht rechtzeitig
gewehrt, wie anderenorts auch?“ wird
man häufig gefragt. Und wir Meyenburger
müssen eingestehen, dass wir diese Möglichkeit
gutgläubig und auch rücksichtsvoll
verschlafen haben. Weshalb sich in der
Dorfgemeinschaft und in den Nachbardörfern
Aschwarden und Uthlede erst jetzt
der Unmut über diesen folgenschweren
Eingriff regt, mag Außenstehende tatsächlich
verwundern. Warum hat hier eine bürgerliche
Einflussnahme so lange auf sich
warten lassen?
Unter dem Eindruck des verheerenden
Unfalls von Fukushima und der bedrohlichen
Nähe zum KKW Esensham gab es in
der hiesigen Bevölkerung einen breiten
Konsens zum Umdenken und zum Ausbau
alternativer Energien. Ein ländliches
Grundvertrauen in die Fürsorge der Kommunalpolitik
und in die absichernde Verantwortung
behördlicher Genehmigungen
herrschte vor. So wurde leider erst zu
spät offenkundig, welche Priorität Grundeigentümer
als Antragssteller und die
Vor der Windkraft …
überaus präsenten Betreiberfirmen in
Genehmigungsverfahren genießen. Man
gewinnt den Eindruck, dass über
Raumordnungsbedingungen und Gesetzestexte
hinweg entschieden wird. Zumindest
im Blick auf Meyenburg kam man sich
vor wie beim Kartenspiel „Schwarzer
Peter.“ Bei verdeckten Karten spielte das
Glück Schicksal. Und dieses traf ausgerechnet
eines der in seiner Struktur erhaltenswürdigsten
Dörfer unserer Region mit
seiner landschaftlichen Vielfalt am Geestrand
zur Osterstader Marsch. In anderen
Gemeinden, wo auch WEA geplant waren,
hatte man wohl rechtzeitig „Wind“ von
der Sache bekommen und den
„Schwarzen Peter“ schnell noch weiterschieben
können. So zum Beispiel in Neuenkirchen.
Als bekennender Meyenburger, der über
nahezu fünf Jahrzehnte das Dorfleben in
Bildern und Texten festhält, spüre ich
angesichts dieser gravierenden Veränderungen
im vertrauten heimatlichen
Umfeld eine tiefe Resignation und Traurigkeit.
War diese über eine lange Zeit vermutlich
irreparable Maßnahme zum
Wohle einer Energiewende wirklich notwendig?
Welche Not sollte mit diesen entstellenden
Veränderungen denn tatsächlich
gewendet werden?
Vor der Windkraft –
Nach der Windkraft
Als passionierter Landschaftsfotograf
konnte ich mir in all den Jahren eine
umfangreiche Fotothek anlegen. Überall
zwischen Geest und Weserstrom sind mir
Orte eigen, wo ich je nach Tages- und Jahreszeit
meine Bildideen fotografisch
umsetze. Jetzt muss im Archiv eine harte
Zäsur erfolgen.
Ordner 1: Vor der Windkraft
Ordner 2: Nach der Windkraft
Ich vermag mir einfach nicht vorzustellen,
dass diese genormten Giganten einen
ähnlichen Gefühlswert bekommen, wie
etwa ein Kirchturm, eine Baumgruppe
oder eine Windmühle. Das abendliche
Bauernregeln
Juli – August – September
Juli
Langer Julisonnenschein
wird der Ernte nützlich sein.
Wenn gedeihen soll der Wein,
muss der Juli trocken sein.
August
Regen im August
ist des Waldes Erquickungslust.
Wenn's im August ohne Regen abgeht,
das Pferd sicher vor leerer Krippe steht.
September
Der September
ist des Herbstes Maien.
Viel Eicheln im September,
viel Schnee im Dezember.
24 RUNDBLICK Sommer 2017
Wolkentheater am Marschenhimmel gen
Westen mit seinen schier unerschöpflichen
Formen und Farben wird in Zukunft zu
einer Kulisse herabgestuft, deren natürliche
Größe und Schönheit ständigen
Störungen ausgesetzt sein wird.
Ich kann es mir nicht verkneifen, nachfolgend
meinem Unbehagen mit einem
literarischen Befreiungsschlag Ausdruck zu
geben. Frei nach Mörikes Gedicht „Septembermorgen“
verfasste ich folgende
Zeilen:
Im Nebel ruhet das Bruchfeld.
Noch träumen Fleet und Wiesen.
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
den großen Himmel ganz verstellt,
windkräftig die verdrehte Welt
in warmem Gelde fließen.
Was nur, frage ich mich immer wieder,
mag die Entscheidungsträger im Landkreis
und in der Gemeinde bewogen haben,
diese negativ nachhaltige Entwicklung für
Meyenburg zu befürworten?
Man musste doch wissen, dass bereits
mit dem Bau der A 27 ein harter Einschnitt
in das Landschaftsgefüge im Osten des
Dorfes erfolgte. Hinzu kamen die Gebietsansprüche
der Bundeswehr. Durch den
Niedergang der bäuerlichen Landwirtschaft,
die über Generationen das Bild
einer abwechslungsreichen Kulturlandschaft
prägte, traten großflächig Agrarbetriebe
an ihre Stelle. Vor allem sind es riesige
Maismonokulturen, Biogas-Anlagen
und ständiger Grünschnitt bei ganzjähriger
Stallhaltung des Milchviehs, die unserer
Umgebung augenfällig zusetzen. Das
Wirtschaftswegenetz leidet mehr und
mehr unter überdimensionierten Agrarfahrzeugen.
Und nun noch zu allem Überfluss
das „Abenteuer“ Windkraft!
Bei allem Verständnis für die Bevorzugung
einer sauberen Energie bleibt die
Feststellung, dass kein einziger Haushalt
mit Windstrom sicher versorgt werden
kann. Es sei denn, man verzichtet auf Kühlschrank
und Gefriertruhe. Momentan
haben Windräder in Deutschland einen
durchschnittlichen Ertrag von unter 20 %
vom Nennwert. So gesehen ist der ehrgeizige
Autarkie-Plan des Landkreises OHZ
eine Augenwischerei. Mit Windstrom kann
kein einziges Windrad hergestellt werden.
Unter diesen Aspekten erscheint das aktuelle
Geschehen in Meyenburg zutiefst fragwürdig.
Bevorzugt werden einige wenige Profiteure,
zu denen auch die Gemeinde
gehört. Eine große Anzahl von Verlierern
bleibt aber schlichtweg auf der Strecke.
Der versprochene Stromrabatt von 15 %
misst sich an einem hohen Tarif, den
ohnehin nur noch wenige Einwohner zahlen.
Private Immobilien werden eine deutliche
Wertminderung erfahren. Ein „Wiedergutmachungsprogramm“
zur Verbesserung
der örtlichen Infrastruktur und Förderung
von Kindergarten, Schule und Vereinen
steht zur Zeit nicht zur Debatte. Die
Attraktivität Meyenburgs als Naherholungsziel
wird vermutlich durch den allgegenwärtigen
„Windkraftgürtel“ spürbar
eingeschränkt.
Als ich kürzlich mit einem jungen Landwirt
über seinen erheblichen Zugewinn
durch Windkraftanlagen plauderte, klopfte
mir dieser schließlich sich verabschiedend
auf die Schulter und meinte: „Nun gönn“
mir das doch! Wir wollen doch alle Wachstum
und Wohlstand.“ Ich dachte später
noch lange über diese beiden Begriffe
nach, die so weich über die Lippen gehen
und gleichermaßen oft genug eine so
harte Ursache für das Elend in der Welt
sind.
Den redlichen Landwirten gönne ich von
Herzen den Zugewinn über die Windkraft,
stehen sie doch oft genug mit dem Rücken
‘n beten wat
op Platt
Redensarten unserer
engeren Heimat
Zum äußerlichen Gebrauch, sä de
Aftheker, do steek he'n Rood achtern
Speegel.
All' Doog wat Neets, sä de Katt, do
verbrenn se sick de Tung an hitte
Melk.
Wo nu hinut, sä de Voss, do seet he in
de Fall'.
Dor hebbt wi Gott's Wort swatt op
witt, sä de Buur,do seet de Pastor op'n
Schimmel.
De Bookweten is nich eh'r seker, as he
in'n Mogen is, sä de Buur, do full em
de Pankoken in de Asch'n.
Gluck mutt'n hebb'n, sä de Snieder, do
pedd he sick de Nodel, de he söchde,
in'n Foot.
De is mi to old, sä de Voss, do flög de
Hahn up'n Appelboom.
(aus „Heimatbote“, Osterholz, 1926)
Peter Richter
zur Wand und blicken in eine „milchige“
Zukunft. Eigentlich würde ich mir aber
wünschen, dass man sie wieder als „Raumpfleger
der Nation“ ansehen könnte, weil
sie unsere Kulturlandschaft mühevoll
bewirtschaften und gestalten, um bei fairen
Preisen für ihre Produkte liebevoll zur Sache
gehen können. Doch dazu wird, ähnlich
wie bei der Energiewende ein radikales
Umdenken nötig sein, das wir auf keinen
Fall wieder verschlafen dürfen.
Schließen möchte ich mit einem Text
von Rainer Maria Rilke:
Der Mensch, von sich aus, zerstört so vieles,
und etwas wiederherzustellen, ist ihm
nicht gewährt, - dagegen hat die Natur alle
Macht der Heilung, man darf sie nur nicht
belauschen oder unterbrechen wollen. -
Dies scheint mir immer noch das Wunderbarste
des Lebens, daß oft das Plumpe
und Grobe irgend eines Eingriffs, daß eine
offenkundige Verstörung zum Anlaß werden
kann, eine neue Ordnung in uns anzulegen.
Dies ist ja die vorzüglichste Leistung
der Lebenskraft, daß sie sich das Böse in
Gutes auslegt und recht eigentlich
umkehrt.
… nach der Windkraft.
Text und Fotos: Wilko Jäger
RUNDBLICK Sommer 2017
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Ein großer Bioland-Betrieb
Wo gesunde Nahrung aus ökologischem Anbau hergestellt wird
Wenn man den großen Hof betritt, fällt
das Auge auf große Edelstahltanks. In
ihnen wird die tägliche Milch zur Weiterverarbeitung
gekühlt. Neben den Tanks
befinden sich die Stallungen für ca. 240
glückliche Kühe. In einer einzigartigen Haltung
haben sie einen Liegeplatz und einen
Fressplatz pro Kuh. Wenn sie in ihren
Boxen stehen oder liegen zum Fressen,
hört man eine Geräuschkulisse der Zufriedenheit.
Es wird Silage und Grünfutter
gefüttert. Aber auch acht zertifizierte Bauern
liefern Biomilch zur Hofmolkerei Dehlwes.
Dehlwes schafft seinen eigenen Kreisdem
nicht bewusst ist, dass in seiner Nähe
ein Betrieb existiert, der Bio-Nahrung produziert,
aber auch 42 Festangestellte hat –
und ein guter Steuerzahler für die
Gemeinde ist.
Aber der Reihe nach: Als Gerhard und
Elke Dehlwes in den 90er Jahren beschlossen,
den Kunden Vorzugsmilch in Flaschen
anzubieten, ahnten sie überhaupt nicht,
welche Dimensionen ihr Betrieb noch einmal
annehmen würde. Anfangs wurde
nach der Abfüllung der Flaschen die Milch
in Schläuche abgefüllt. Der Handel wurde
aufmerksam und der Kundenkreis immer
untergebracht. In der Halle wird Sahne
von der Milch getrennt und die Biomilch in
der modernen Anlage in Tetra-Verpackungen
abgefüllt. In einem separaten Raum
findet die Sahne-Schichtkäse-Herstellung
statt. Nebenan rundet ein Hochregallager
zur schnellen Auslieferung der rund 20
Artikel die Auslieferung ab.
Hofladen gehört
zum Betrieb
Zum Betrieb der Bio-Hofmolkerei Dehlwes
gehört auch ein angenehm gestalteter
Blick auf die Milchtanks
Die Familie präsentiert einen reifen Käse
lauf. Die Silage wird selbst hergestellt. Hinter
den Stallungen ist Grünland, so weit
das Auge reicht. Auch dorthin dürfen die
Kühe, bis das Gras abgefressen ist. Zur einzigartigen
Haltung gehört es auch, dass
Kälber von guten Kühen bis zur Milchgabe
großgezogen werden.
Guter Steuerzahler
für Lilienthal
Es soll ja wohl noch den einen oder
anderen Mitbürger in Lilienthal geben,
größer. Heute beliefern 9 LKW als Regionalvermarktung
nur in den Lebensmitteleinzelhandel
der Regionen Bremen, Hannover
und Hamburg.
Schweift der Blick über den Hof, entdeckt
man eine große Halle. Hier ist das
Revier von Schwiegersohn Thomas, der als
Landwirtschaftsmeister das technische
Gerät pflegt und repariert.
Neben dem offenen Kuhstall steht das
Schmuckstück des gesamten Betriebes:
Die Abfüll-, Lager- und Abfertigungshalle.
Auch das Büro und Sozialräume sind dort
Hofladen. Soll doch die Bevölkerung aus der
näheren und weiteren Umgebung Anteil
haben an diesem Betrieb, der in seiner Konzeption
einmalig in Norddeutschland ist.
Dort ersteht man Backwaren vom
Mühlen-Bäcker, Bio-Obst, -Gemüse,
-Getreide und andere Dinge, die man zur
gesunden Ernährung braucht. In Lilienthal
existiert die Kaffeerösterei De Koffiemann.
Auch deren Kaffee kann man kaufen. Aber
zwei Dinge sind hier der Clou. Einmal der
Wandschrank, gefüllt mit den wunderbaren
Produkten, die in der Hofmolkerei herge-
Glückliche Kühe mit viel Platz
Milch- und Sahne-Abfüllung
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Hochregallager
Großzügiger Verkaufsraum im Hofladen
stellt werden. Zum anderen fällt der Blick
durch eine Scheibe. Hier kann man, wann
es immer so weit ist, der Käseproduktion
zuschauen. Einmalig. Die Tochter Mareike,
Käse-Meisterin, stellt eigenen Hofkäse her.
Zum Betrieb des Hofladens gehört auch
ein fahrbarer Hühnerstand. Die Hühner
laufen frei auf bester Klee- und Kräuterwiese
und versorgen auch den Laden mit
frischen Eiern.
Im Landkreis Osterholz gibt es vier Melkhüser.
Und eines – wie schön – steht bei
Dehlwes vor der Tür an der Straße Trupe.
So mancher Wanderer und Radwanderer
hat sich schon mit einem Glas Milch oder
einem Joghurt aus der Hofmolkerei
erfrischt. Es ist vom 1. April bis zum 31.
Oktober geöffnet.
Text: Manfred Simmering
Fotos: Erwin Duwe
Die Hühner haben sehr viel Auslauf
Lesenswert
Beliebt: das Melkhus
Björn Bischoff
Worpswede
Das Künstlerdorf A–Z
168 Seiten, 178 Abbildungen
Taschenbuch, Format 14 x 20 cm
9,90 Euro
ISBN 978-3-95494-113-1
Das Künstlerdorf im Teufelsmoor ist
weltbekannt für seine Alten Meister. Doch
Worpswede samt der einzigartigen Landschaft
umzu hat auch im 21. Jahrhundert
nichts von seiner faszinierenden Anziehungskraft
verloren. Seit über 125 Jahren
gibt es hier eine aktive Kunst- und Kulturszene,
in der sich Künstlerinnen und Künstler,
Kunsthandwerkerinnen und Kunsthandwerker
niederlassen, um in diesem
besonderen Umfeld schöpferisch tätig zu
sein.
Im ersten Teil dieses Reiseführers erhält
der Leser von A bis Z allgemeine Informationen
über Worpswede. Vorgestellt werden
neben Galerien und Museen (Alte
Molkerei, Große Kunstschau, Kunsthalle,
Museum am Modersohn-Haus, Torfschiffswerft
u.v.a.) viele Sehenswürdigkeiten u.a.
Bacchusbrunnen, Bahnhof, Barkenhoff,
Bertelsmann-Haus, Brünjeshof, Buddha,
Das Kreative Haus, Diedrichshof, Findorff-
Denkmal, Haus im Schluh, Hoetger-
Ensemble (u.a. mit dem »Kaffee Verrückt«),
Käseglocke, Mackensen-Eiche,
Mühle, Niedersachsenstein, Weyerberg,
Zionskirche.
Im zweiten Teil des Buches gibt es neben
den Porträts der Alten Worpsweder
Meister umfassende Informationen zur
aktuellen Kunstszene mit den entsprechenden
Kontaktmöglichkeiten (Rufnummern,
E-Mails, Homepages etc.) zu zahlreichen
zeitgenössischen Künstlern.
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