Sonderteil STAHL 2016
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Sonderteil STAHL 2016
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<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />
Orientierung in unsicheren Zeiten<br />
Foto: Dirk Heckmann
EDITORIAL<br />
Stahlindustrie diskutiert<br />
über schwieriges Jahr<br />
Ulrich Ratzek, Chefredakteur<br />
T<br />
raditionsgemäß hat sich die Stahlbranche auf der Jahrestagung <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />
getroffen, die in diesem Jahr unter dem Motto „Orientierung in unsicheren<br />
Zeiten“ stattfand. Rund 2 600 Teilnehmer aus etwa 40 Ländern nahmen teil.<br />
Im Fokus stand in diesem Jahr die Zukunft der Stahlindustrie in Deutschland<br />
und Europa in einem von großen Herausforderungen geprägten Umfeld.<br />
Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident Wirtschaftsvereinigung Stahl und Vorsitzender Stahlinstitut<br />
VDEh, gab in seiner Eröffnungsrede einen Bericht zur Lage der Stahlindustrie,<br />
forderte klare Regeln für einen fairen Wettbewerb und von der Politik, sich nicht ihrer<br />
Verantwortung zu entziehen (S. 36). Auch Vertreter der Stahlindustrie kritisierten die<br />
aktuelle Situation bezüglich der Stahlüberkapazitäten: „Von einer nachhaltigen Lösung<br />
sind wir weit entfernt“, sagte Andreas Goss, Chef der Stahlsparte von thyssenkrupp.<br />
Während der Eröffnungsveranstaltung vermittelte Jörg Wuttke, Präsident der<br />
Europäischen Handelskammer in China, einen Eindruck von der aktuellen politischen<br />
und wirtschaftlichen Lage in China und deren globaler Bedeutung (S. 40). Schließlich<br />
erläuterte Michael Ziesemer, Präsident des ZVEI, welche gegenwärtigen Herausforderungen<br />
es für den Erhalt starker Wertschöpfungsnetzwerke in Deutschland und Europa<br />
gibt (S. 42). Anlässlich <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong> wurde erneut der Young Academics‘ Steel Award<br />
des Stahlinstituts VDEh verliehen (S. 45). In diesem Jahr zeichnete Dr. Peter Dahlmann<br />
drei Nachwuchswissenschaftler aus Europa für ihre ausgezeichneten Leistungen in den<br />
Bereichen Metallurgie und Werkstofftechnik aus.<br />
Stahldialoge informierten über Topthemen. Danach wurden in acht Stahldialogen<br />
politische und technische Themen vorgestellt und diskutiert. Die Verwerfungen auf dem<br />
globalen Stahlmarkt stellen Industrie und Politik vor große Herausforderungen bei der<br />
Schaffung offener Märkte und fairer Wettbewerbsbedingungen (S. 46). Die Auswirkungen<br />
des CO 2<br />
-Emissionsrechtehandels und der Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen nach dem<br />
Abkommen von Paris und Wege zu einer nachhaltigen Klimapolitik wurden ebenfalls<br />
ausführlich diskutiert (S. 72). So warnte Frank Schulz, Deutschlandchef von ArcelorMittal,<br />
vor der geplanten Verschärfung der Klimaschutzauflagen in der Europäischen Union und<br />
sprach von einem „existenzbedrohenden Szenario”.<br />
Die Umsetzung der Digitalisierung in der Stahlindustrie ist in vollem Gange, wie man<br />
in zwei Vortragsreihen hören konnte (S. 49 u. 65). Neben Veränderungen in der Fertigung<br />
wird Industrie 4.0 auch die künftigen Kundenanforderungen beeinflussen. Die Digitalisierung<br />
gilt als Impulsgeber für Wachstum und Wandel.<br />
Bei der Eisen- und Stahlerzeugung forscht die Stahlindustrie nach neuen Wegen, um<br />
die CO 2<br />
-Emissionen zu senken. So lassen sich z. B. CO 2<br />
-Emissionen bei der integ rierten<br />
Stahlerzeugung durch Nutzung der Hüttengase für chemische Produkte absenken. Die<br />
Projekte Carbon2Chem und Steelanol wurden vorgestellt (S. 53).<br />
Werkstoffliche Leichtbaulösungen mit Stahl waren ein weiteres Topthema (S. 61). Die<br />
Forderung der Automobilindustrie nach Leichtbauwerkstoffen mit hoher Festigkeit bei<br />
gleichzeitig guter Umformbarkeit treibt die Werkstoffentwicklung an.<br />
Darüber hinaus informierte ein Stahldialog über die Industrieakzeptanz als Voraussetzung<br />
für Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand (S. 76); ein weiterer fasste die Innovationen<br />
in der Prozessmodellierung für Flachstahlprodukte zusammen (S. 81).<br />
Glück auf!<br />
34<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Titel_SP_16.indd 35 30.11.16 16:02<br />
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong> –<br />
Orientierung in unsicheren Zeiten<br />
ERÖFFNUNG<br />
36 Hans Jürgen Kerkhoff<br />
Die Stahlindustrie braucht klare Regeln für fairen Wettbewerb<br />
40 Jörg Wuttke<br />
„Die Bedeutung Chinas ist offensichtlich“<br />
42 Michael Ziesemer<br />
Herausforderungen für starke Wertschöpfungsnetzwerke in Deutschland und Europa<br />
45 Young Academics‘ Steel Award<br />
Stahlinstitut VDEh zeichnet Wissenschaftler aus<br />
<strong>STAHL</strong>DIALOGE<br />
46 Verwerfungen auf dem globalen Stahlmarkt: Handlungsoptionen für<br />
Politik und Wirtschaft<br />
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />
Orientierung in unsicheren Zeiten<br />
49 Industrie 4.0 – die Digitalisierung als Impulsgeber für Wachstum und Wandel<br />
53 Grenzen und Wege der Flexibilität bei der Eisen- und Stahlerzeugung<br />
61 Werkstoffliche Leichtbaulösungen mit Stahl<br />
65 Technische Aspekte der Digitalisierung in der Stahlindustrie<br />
72 Kursbestimmung nach Paris: Wege zu einer nachhaltigen Klimapolitik<br />
76 Industrieakzeptanz – Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand<br />
81 Innovation in der Prozessmodellierung ändert die Welt von Flachstahlprodukten –<br />
Virtualität wird Wirklichkeit<br />
Die Jahrestagung<br />
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong> fand auch<br />
in diesem Jahr großen<br />
Zuspruch. Rund 2 600<br />
internationale Besucher<br />
aus Wirtschaft<br />
und Politik nahmen<br />
daran teil.<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
86 Impressionen von <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />
SAVE THE DATE:<br />
<strong>STAHL</strong> 2017<br />
wird am<br />
9. November 2017<br />
stattfinden.<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 35
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:ERÖFFNUNG<br />
Präsident Wirtschaftsvereinigung Stahl und Vorsitzender Stahlinstitut VDEh<br />
Hans Jürgen Kerkhoff<br />
Orientierung in unsicheren Zeiten<br />
Die Stahlindustrie braucht klare<br />
Regeln für fairen Wettbewerb<br />
Eröffnungsrede von Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl<br />
und Vorsitzender des Stahlinstituts VDEh, zum internationalen Stahltag am<br />
10. November in Düsseldorf<br />
Hans Jürgen Kerkhoff bei der Eröffnung von <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />
S<br />
TAHL <strong>2016</strong> steht unter<br />
dem Motto „Orientierung<br />
in unsicheren Zeiten“ und<br />
gleichzeitig sprechen wir<br />
von der „Faszination<br />
Stahl“. Wie passt das zusammen?<br />
Wir sehen gegenwärtig zwei Bilder<br />
des Stahls in Deutschland: Einerseits<br />
eine Industriebranche, die<br />
im Wettbewerb gut aufgestellt ist,<br />
an innovativen Technologien und<br />
Produkten forscht und die unverzichtbar<br />
für die industrielle Basis<br />
in Deutschland ist.<br />
Andererseits sind die Stahlunternehmen<br />
vermutlich mehr als<br />
jemals zuvor in ihren Zukunftsaussichten<br />
abhängig von externen<br />
Faktoren. Politische Entscheidungen<br />
drohen die Erfolge von Anpassungsprozessen,<br />
Modernisierung<br />
und Investitionen in die Zukunft<br />
zu entwerten, Bild 1 .<br />
Die Stärke unseres Standorts<br />
liegt gerade darin, sich rascher und<br />
konsequenter als andere an veränderte<br />
wirtschaftliche Rahmenbedingungen<br />
anzupassen. Doch<br />
solche Anstrengungen können<br />
unterlaufen werden: Europa in<br />
Unordnung, fehlende industriepolitische<br />
Orientierung oder eine<br />
Energie- und Klimapolitik mit zu<br />
hohen volkswirtschaftlichen Folgekosten.<br />
Zugleich wächst meine<br />
Sorge, dass die Tendenz zum Postfaktischen<br />
die rationale politische<br />
Meinungsbildung verdrängt.<br />
Das Wissen hat sich verbreitert,<br />
dass der Stahl zentrale Bedeutung<br />
für die industriellen Wertschöpfungsnetzwerke<br />
in Deutschland<br />
hat und faire Wettbewerbsbedingungen<br />
benötigt. Ein größeres Verständnis<br />
der Politik ist wohl vorhanden.<br />
An Taten und konkreten<br />
Beschlüssen mangelt es jedoch.<br />
Konjunkturelle Lage<br />
Die Konjunktur zeigt ein gemischtes<br />
Bild: Im bisherigen Jahresverlauf<br />
sind die Produktion und<br />
insbesondere der Umsatz zurückgegangen.<br />
Dem steht jedoch gegenüber,<br />
dass sich die Auftragslage<br />
und auch das Geschäftsklima in<br />
der Stahlindustrie – im Vergleich<br />
zu einem allerdings außerordentlich<br />
gedrückten Vorjahreszeitraum<br />
– gebessert haben, Bild 2 .<br />
Angesichts der Konjunktursignale,<br />
auch von den deutschen<br />
Stahlverarbeitern, und der aktuellen<br />
Unternehmensumfragen<br />
können wir zum aktuellen Zeitpunkt<br />
vorsichtig optimistisch auf<br />
die Stahlkonjunktur 2017 blicken.<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Wir erwarten, dass die Marktversorgung<br />
mit Walzstahl erneut<br />
leicht zulegen wird nach einem<br />
Plus von 1 % in diesem Jahr.<br />
Doch die Konjunkturrisiken<br />
sind gegenwärtig außerordentlich<br />
groß. Ich denke zum Beispiel auch<br />
an die gestiegenen Volatilitäten<br />
auf den Rohstoffmärkten. Die konjunkturellen<br />
Bewegungen dürfen<br />
nicht den Blick auf eine unverändert<br />
herausfordernde wirtschaftliche<br />
Lage der Branche verstellen.<br />
Die Strukturkrise auf dem globalen<br />
Stahlmarkt ist unverändert<br />
weit von einer Lösung entfernt.<br />
Zwar hat sich die globale Stahlproduktion<br />
stabilisiert. Die Kapazitätsauslastung<br />
liegt mit 70 %<br />
jedoch weiterhin auf einem im<br />
historischen Vergleich außergewöhnlich<br />
niedrigen Niveau.<br />
Vor dem Hintergrund der<br />
schwachen Weltwirtschaft und<br />
36<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
der weltweiten Investitionszurückhaltung<br />
ist nicht damit zu<br />
rechnen, dass das Überkapazitätsproblem<br />
auf der Nachfrageseite<br />
gelöst werden kann. Ein Kapazitätsabbau<br />
auf globaler Ebene ist<br />
unausweichlich.<br />
Die Strukturkrise stellt sich für<br />
uns als Importkrise dar. Es sind<br />
drei Herausforderungen, die sich<br />
für die Stahlindustrie in Deutschland<br />
durch unfairen Wettbewerb<br />
im internationalen Handel ergeben:<br />
▷▷<br />
Wir müssen uns aktuell bei einzelnen<br />
Produkten gegen unfaire<br />
Importe zur Wehr setzen.<br />
▷▷<br />
Eine Reform der europäischen<br />
Handelsschutzinstrumente ist<br />
zwingend erforderlich.<br />
▷▷<br />
Und es braucht eine Lösung,<br />
wie wir uns auch künftig gegen<br />
wettbewerbsverzerrende chinesische<br />
Stahlexporte aufstellen.<br />
Die Stahlindustrie ist nicht protektionistisch.<br />
Die bisher eingereichten<br />
Dumpingklagen sind<br />
gut begründet. Dies belegt auch<br />
die rasche Reaktion der Europäischen<br />
Kommission.<br />
Die in diesem Jahr erreichten<br />
Maßnahmen, zum Beispiel bei<br />
Kaltfeinblech, Grobblech und<br />
Warmbreitband, sind nur ein<br />
Teilerfolg. Eine deutliche Überforderung<br />
der europäischen Märkte<br />
durch gedumpte Importe zeigt sich<br />
auch bei anderen Stahlprodukten.<br />
Weitere Klagen können wir deshalb<br />
nicht ausschließen.<br />
Doch wir stellen fest, dass die<br />
notwendigen Instrumente der<br />
Handelspolitik in Europa nicht<br />
wettbewerbsfähig sind. Andere Regionen<br />
der Welt sind vergleichbar<br />
besser aufgestellt. Die Europäische<br />
Kommission hat Reformvorschläge<br />
vorgelegt, die momentan im Ministerrat<br />
blockiert werden.<br />
Es ist egoistisch und verantwortungslos,<br />
wenn u. a. Großbritannien<br />
in Brüssel die überfällige<br />
Reform der Handelsinstrumente<br />
1<br />
Politische<br />
Entscheidungen<br />
drohen in Zukunft<br />
die Erfolge von<br />
Anpassungsprozessen,<br />
Modernisierung und<br />
Investitionen zu<br />
entwerten<br />
2<br />
Stahlindustrie in<br />
Deutschland –<br />
hohe Auslastung,<br />
aber schwierige<br />
Geschäftslage<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 37
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:ERÖFFNUNG<br />
Präsident Wirtschaftsvereinigung Stahl und Vorsitzender Stahlinstitut VDEh<br />
blockiert, ohne die hiermit verbundenen<br />
Kosten in Form einer anhaltenden<br />
Schädigung der heimischen<br />
Industrie künftig vollumfänglich<br />
mittragen zu müssen. Ein Land,<br />
das künftig selber Gegenstand des<br />
Antidumpingrechts der EU werden<br />
könnte, sollte heute nicht mehr<br />
„Wir sind heute mehr denn je<br />
abhängig davon, wie die politischen<br />
Weichen in den kommenden<br />
Wochen und Monaten gestellt<br />
werden“<br />
über seine Ausgestaltung mitreden<br />
dürfen. Europa muss sich auch<br />
hier als Rechtsraum mit klaren<br />
Regeln begreifen.<br />
Parallel dazu läuft weiterhin<br />
die Debatte um die Anerkennung<br />
Chinas als Marktwirtschaft. Es geht<br />
darum, welche Verpflichtungen aus<br />
dem WTO-Beitrittsprotokoll für die<br />
anderen Mitglieder der Welthandelsorganisation<br />
entstehen. Eine<br />
unkonditionierte Anerkennung<br />
würde die handelspolitischen Möglichkeiten<br />
gegen das Land massiv<br />
schwächen. Der inzwischen veröffentlichte<br />
Vorschlag der Europäischen<br />
Kommission ist sicherlich ein<br />
Schritt nach vorne. Aber es bleiben<br />
Fragen, die im weiteren Verfahren<br />
zu beantworten sind. China muss<br />
weitere Schritte in Richtung Marktwirtschaft<br />
gehen.Die letzten 15<br />
Jahre haben dazu allerdings nicht<br />
ausgereicht. Marktwirtschaft wird<br />
man nicht durch Fristablauf.<br />
Unser Ziel sind klar nachweisbare<br />
Kriterien und effiziente Prozeduren,<br />
damit effektiver Handelsschutz<br />
auch nach Dezember<br />
weiterhin möglich ist.<br />
Überkapazitäten in China<br />
China steht nicht nur für die Hälfte<br />
der Weltproduktion, sondern auch<br />
für zwei Drittel der globalen Überkapazitäten<br />
von rd. 660 Mio. t. Auf<br />
China entfallen zudem 75 % des<br />
gesamten Kapazitätsauf baus, der<br />
seit 2011 weltweit beim Stahl stattgefunden<br />
hat, Bild 3 .<br />
Erfreulich ist, dass die Regierungschefs<br />
der G20-Staaten auf ihrem<br />
Gipfel Anfang September die<br />
Strukturprobleme in der globalen<br />
Stahlindustrie diskutiert und konkrete<br />
Schritte gefordert haben, um<br />
die notwendigen Anpassungsprozesse<br />
zu unterstützen. Wir hoffen,<br />
dass sich China in die Arbeit des neu<br />
gegründeten globalen Kapazitätsforums<br />
Stahl konstruktiv und verantwortungsvoll<br />
einbringen wird.<br />
EU-Kommissionspräsident<br />
Juncker forderte alle Mitgliedsstaaten<br />
und das Europäische Parlament<br />
dazu auf, die Kommission<br />
dabei zu unterstützen, die handelspolitischen<br />
Schutzinstrumente zu<br />
stärken. Das ist gut und richtig. Auf<br />
der anderen Seite ist es genau seine<br />
Kommission, deren Pläne zur Reform<br />
des Emissionsrechtehandels<br />
existenzbedrohend für uns sind. Die<br />
Politik darf sich nicht mit dem Verweis<br />
auf die globale Strukturkrise<br />
beim Stahl ihrer Verantwortung für<br />
eine faire Klimapolitik entziehen.<br />
Die Europäische Union sieht sich<br />
nach dem Klimaabkommen von<br />
Paris in ihrer Vorreiterrolle im internationalen<br />
Klimaschutz bestätigt<br />
und versucht, diese Position zulasten<br />
der Industrie noch auszubauen.<br />
Emissionsrechtehandel<br />
Die Pläne der Europäischen Kommission<br />
zur Reform des europäischen<br />
Emissionshandels würden<br />
eine wettbewerbsfähige Stahlproduktion<br />
unmöglich machen,<br />
Bild 4 . Den Korrekturbedarf haben<br />
wir benannt:<br />
▷▷<br />
Notwendig ist eine deutliche<br />
Erhöhung des Industriecaps,<br />
damit kein weiterer Korrekturfaktor<br />
erforderlich ist.<br />
▷▷<br />
Die Benchmarks müssen technisch<br />
und wirtschaftlich erreichbar<br />
ausgestaltet sein. Wir<br />
sind die einzige Branche, die<br />
3<br />
Massive<br />
Überkapazitäten<br />
der chinesischen<br />
Stahlindustrie<br />
38<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
mit schlicht falsch berechneten<br />
Benchmarks konfrontiert ist.<br />
So werden Wettbewerbsvorteile<br />
für außereuropäische Hersteller<br />
mit einer wesentlich schlechteren<br />
CO 2<br />
-Bilanz geschaffen. Notwendig<br />
wäre ein Ansatz, der Klimaschutz<br />
befördert und zugleich<br />
Stahlproduktion auch in Zukunft<br />
in Deutschland und Europa möglich<br />
macht. Wir brauchen eine<br />
Neuorientierung für eine bessere<br />
Klimaschutzpolitik. Diese muss<br />
technologieoffen und effizient<br />
sein und die Kosten im Griff haben.<br />
Kein Land der Welt wird einem<br />
Vorreiter folgen, wenn seine<br />
Volkswirtschaft Schaden nimmt.<br />
Ich hoffe zudem, dass in dieser<br />
wichtigen Frage die politische<br />
Bewirtschaftung von Gesinnungsströmungen<br />
nicht Vorrang hat<br />
vor rationalen und evidenzbasierten<br />
Entscheidungen. Wir sind<br />
nicht gegen Klimaschutz, weil<br />
wir die Pläne der Europäischen<br />
Kommission oder die Umsetzung<br />
der Energiewende in Deutschland<br />
sorgenvoll kritisieren. Bei den<br />
Stahlunternehmen wird die Sorge<br />
um die Zukunft niemals ihren<br />
Gestaltungswillen übertreffen.<br />
Eine falsche Klimapolitik, die<br />
auch Regulierung und Wachstumsbeschränkungen<br />
setzt, verkürzt<br />
jedoch die Perspektiven. Sie<br />
entzieht den Unternehmen Mittel<br />
für Zukunftsinvestitionen. Dabei<br />
sollten wir mehr punkten können<br />
mit unseren starken Forschungsanstrengungen.<br />
Industrie 4.0<br />
Die hohe Innovationskraft und<br />
-führerschaft der Stahlindustrie<br />
in Deutschland ruht auf drei<br />
Säulen:<br />
▷▷<br />
Wir arbeiten an Lösungen zur<br />
Verminderung, Vermeidung<br />
und Nutzung der CO 2<br />
-Emissionen<br />
aus der Produktion,<br />
▷▷<br />
eine internationale Vorreiterrolle<br />
bei Industrie 4.0 und<br />
▷▷<br />
die weitere Optimierung und<br />
Neuentwicklung von Stahlwerkstoffen<br />
als „Enabler“ für<br />
Innovationen in anderen Branchen.<br />
4<br />
Vorschlag der EU-Kommission: Zuteilung für Roheisen und Stahl 2030 mehr als 40 % unter dem<br />
prozessbedingten Minimum<br />
Das Wesen technischen Fortschritts<br />
in der Ära digitaler Hardware,<br />
Software und Netzwerke ist<br />
durch drei Merkmale geprägt: Es<br />
ist exponentiell, digital und kombinatorisch.<br />
Industrie 4.0 ist für<br />
den Stahl kein Fremdwort. Gerade<br />
in der Verbindung von Informationstechnologie<br />
und industriellen<br />
Produktionsprozessen wird die Digitalisierung<br />
ihre Wirkkraft erst<br />
voll entfalten können. Ein Land<br />
mit einem Industrieanteil von<br />
23 % an der Bruttowertschöpfung<br />
hat hier große Chancen.<br />
Auch bei den schnell ablaufenden<br />
Prozessen in der Stahlproduktion,<br />
wie Walzen und Veredeln,<br />
kann Industrie 4.0 seine Potenziale<br />
entfalten. Großserienproduktion<br />
und Flexibilität werden<br />
kein Widerspruch mehr sein. Die<br />
Produktion wird durch hochwertige<br />
Dienstleistungen ergänzt und<br />
neue Geschäftsmodelle beim Stahl<br />
und über den Stahl hinaus werden<br />
entstehen. Die Werkstoffentwicklung<br />
wird durch die weitere Digitalisierung<br />
auch der Innovationsprozesse<br />
dynamischer.<br />
Fazit<br />
Unsere Unternehmen brauchen<br />
für all dies von der Politik mehr<br />
Raum als Regulierung sowie eine<br />
Perspektive, dass neue Innovationen<br />
bei Produkten und Prozessen<br />
zur Anwendung kommen können.<br />
Vor allem aber brauchen sie klare<br />
Regeln für einen fairen Wettbewerb.<br />
Europa und die Politik werden<br />
nur dann höhere Zustimmung<br />
erlangen, wenn das, was gelten<br />
soll, auch Geltung hat. Wir sind<br />
heute mehr denn je abhängig davon,<br />
wie die politischen Weichen<br />
in den kommenden Wochen und<br />
Monaten gestellt werden.<br />
„Europäer sein heißt auch, für<br />
die Stahlindustrie des Kontinents<br />
einzutreten“, hat EU-Kommissionspräsident<br />
Juncker gesagt. An<br />
diesen Worten muss er sich messen<br />
lassen. An diesen Worten muss<br />
sich die Politik in Deutschland und<br />
Europa insgesamt messen lassen.<br />
Wir werden gemeinsam weiter<br />
daran arbeiten, dass die Stahlindustrie<br />
ein wichtiger Baustein für<br />
eine starke Wirtschaft unseres Landes<br />
bleiben kann. Mit dem Werkstoff<br />
Stahl und einer starken Wertschöpfung<br />
sichern wir nachhaltige<br />
Innovationen. Stahl war schon<br />
einmal Motor einer industriellen<br />
Revolution – auch für die vierte<br />
ist der Stahl unverzichtbar.<br />
Gekürzte Fassung der Rede von<br />
Hans Jürgen Kerkhoff<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 39
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:ERÖFFNUNG<br />
Präsident der Europäischen Handelskammer<br />
Antek Schwarz<br />
Fairness in den marktwirtschaftlichen Bedingungen<br />
„Die Bedeutung Chinas ist<br />
offensichtlich“<br />
Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking / China, sprach bei<br />
der Eröffnung der internationalen Jahrestagung <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong> über die wirtschaftliche<br />
Entwicklung in China und die Beziehungen zwischen China und Europa.<br />
Chinakenner Jörg<br />
Wuttke forderte,<br />
Europa und besonders<br />
Deutschland müsse<br />
seine Industrie<br />
schützen, ohne dabei<br />
in Protektionismus zu<br />
verfallen<br />
H<br />
andelskammerpräsident<br />
Jörg Wuttke<br />
gratulierte dem Organisator<br />
der Veranstaltung<br />
zum Timing<br />
für das Motto „Orientierung in unsicheren<br />
Zeiten“, das seit der amerikanischen<br />
Präsidentschaftswahl<br />
aktueller denn je sei. Er wolle einen<br />
Einblick in die Verhältnisse in China<br />
geben. Wuttke selbst habe über 20<br />
Jahre in China gearbeitet, zunächst<br />
bei ABB, nun sei er Vizepräsident<br />
und Generalbevollmächtigter bei<br />
BASF in China und sozusagen im<br />
Nebenjob Leiter der EU-Kammer.<br />
Die Bedeutung Chinas ist für den<br />
Handelskammerpräsidenten offensichtlich,<br />
wenn man bedenkt, welche<br />
Wegstrecke bisher zurückgelegt<br />
wurde und welche Verwandlungen<br />
sich in China ergeben haben. Das<br />
Wachstum im Land war bis vor<br />
Kurzem zweistellig, man dürfe aber<br />
nicht verkennen, dass China nach<br />
wie vor ein Entwicklungsland sei,<br />
trotz Shanghai, Peking oder der Ostküste,<br />
und noch großes Potenzial<br />
im Land stecke. Die Erwartungen<br />
seien nach dem Beitritt Chinas<br />
zum Welthandelsabkommen 2001<br />
extrem gestiegen. Damals hatte<br />
China 2 bis 3 % vom Welthandel,<br />
momentan seien es 12 bis 13 %.<br />
Die Enttäuschung sei im weiteren<br />
Verlauf aber groß gewesen, da die<br />
Reformen im Land stagnierten. Die<br />
wirtschaftliche Entwicklung dürfte<br />
wie in einer L-Form fallen und dann<br />
auf niedrigerem Niveau verharren.<br />
Derzeit liege das Wirtschaftswachstum<br />
bei 6,7 %, die Zeiten zweistelliger<br />
Wachstumszahlen seien aber<br />
vorbei. Wuttke warnte vor Extrapolationen<br />
bei den wirtschaftlichen<br />
Erwartungen; er habe selber die<br />
Erfahrung gemacht, dass sie irgendwann<br />
nicht mehr stimmten.<br />
Präsident Wuttke stellte anschließend<br />
die EU-Handelskammer vor.<br />
„Die EU-Kammer ist eine recht neue<br />
Organisation, gerade einmal 15 bis<br />
16 Jahre alt, wir sind komplementär<br />
zur deutschen Handelskammer und<br />
machen die Lobbyarbeit. Wir haben<br />
neun Büros mit 100 Mitarbeitern in<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
China und zeichnen uns durch unsere<br />
jährlichen Publikationen aus.“<br />
Bei den Survey-Papieren z. B.<br />
stehen die Unternehmen im<br />
Blick, die bereits in China tätig<br />
sind. In 50 Ausschüssen werden<br />
die Mitglieder der Handelskammer<br />
befragt, wie es ihnen in den<br />
verschiedenen Regionen ergeht.<br />
Dabei stelle man fest, wie unterschiedlich<br />
die Aussagen in den<br />
einzelnen Branchen seien und<br />
dass die Unternehmen es in China<br />
schwerer hätten, je größer und je<br />
länger sie in China seien. Je jünger<br />
und je kleiner die Firmen seien,<br />
umso besser gehe es ihnen. Die<br />
großen Unternehmen bekämen<br />
seit einiger Zeit Gegenwind von<br />
den Regulatoren in China, weil<br />
die Chinesen sich entschlossen<br />
hätten, in Innovation und Entwicklung<br />
der Industrie weiterzuwachsen.<br />
Außerdem wüchsen den<br />
etablierten großen Unternehmen<br />
mittlerweile sehr namhafte Konkurrenten<br />
heran.<br />
„In der im Februar neu aufgelegten<br />
Überkapazitätenstudie von<br />
2009 wird explizit auf die Stahlindustrie<br />
eingegangen. Diese Studie<br />
hat zu intensiven Diskussionen<br />
über Fairness geführt und wo man<br />
denn konkret etwas machen kann.<br />
Bereits 2009 wurden Vorschläge<br />
erarbeitet, die zu großer Rhetorik<br />
seitens der chinesischen Regierung<br />
geführt hatten. Doch sieben Jahre<br />
später müssen wir feststellen: Die<br />
Situation ist nicht besser geworden,<br />
sondern noch schlechter“, stellte<br />
der Handelskammerpräsident fest.<br />
Jetzt lägen mit der neuen Studie<br />
wieder 30 Vorschläge vor, wie man<br />
40<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
neben der Schließung von Stahlwerken<br />
z. B. das Steuersystem ändern<br />
könne.<br />
„Das jährlich erscheinende Positionspapier,<br />
das wir am 1. September<br />
herausgebracht haben, ist das<br />
Benchmark der EU-Handelskammer.<br />
Auf 400 Seiten werden hier die Themen<br />
dargestellt. Und sie werden<br />
ständig bis zur Ministerebene mit<br />
der chinesischen Regierungsseite besprochen“,<br />
führte Jörg Wuttke weiter<br />
aus. In diesem Paper werde der<br />
chinesische Kontinent mit seinen<br />
31 Mitgliedsstaaten genauer untersucht.<br />
So bekomme man ein Gefühl<br />
dafür, wie es den Unternehmen z. B.<br />
in Chengdu oder Szechuan gehe. Die<br />
Situation sei sehr unterschiedlich.<br />
Der Kontinent China entwickele<br />
sich anders, als die Außenwahrnehmung<br />
erkenne. Es gebe nicht nur das<br />
Durchschnittswachstum von 6,7 %,<br />
in der Gegend von Chongqing oder<br />
Chengdu gebe es 10 % Wachstum,<br />
im Norden Chinas dagegen liege das<br />
Wachstum bei −1 %. „Das Griechenland<br />
Chinas liegt im Nordosten des<br />
Landes, in Liaoning. Es ist also wichtig,<br />
bei der Frage, wo und mit wem<br />
man arbeitet, China als Kontinent<br />
wahrzunehmen.“<br />
Umsetzung der Reformen<br />
stagniert<br />
Die Umsetzung der Reformen in<br />
China verzögere sich, bemerkte der<br />
EU-Handelskammerpräsident. Die<br />
Reformen zielten allerdings auf den<br />
Zeitraum bis 2020, so etwas dauere<br />
halt lang, das sei in Europa nicht viel<br />
anders. Die Welt habe sich aber mittlerweile<br />
geändert. Die Investitionen<br />
von Europa nach China haben sich<br />
deutlich reduziert, die von China<br />
nach Europa stark zugenommen,<br />
so Wuttke weiter, aus einem One-<br />
Way von Europa nach China sei eine<br />
Autobahn von China Richtung Europa<br />
geworden und es gebe nur noch<br />
einen kleinen, dürren Pfad zurück.<br />
Die europäische Industrie zeige aber<br />
keine Investitionsmüdigkeit, hier<br />
müsse man nur die Investitionen in<br />
Amerika betrachten, auch die private<br />
chinesische Industrie investiere<br />
kaum mehr in die eigene Volkswirtschaft.<br />
Nur die staatseigenen Betriebe<br />
unterfütterten den Aufschwung<br />
in China.<br />
China kaufe sich derzeit in Firmen<br />
in Europa ein, erhalte damit Arbeitsplätze,<br />
das sei auch so gewollt,<br />
erklärte der Chinakenner Wuttke.<br />
Andererseits hätten die 5 000 deutschen<br />
Firmen, die in China engagiert<br />
seien, etwa 1 Mio. Jobs geschaffen.<br />
Durch den Umschwung der Investitionen<br />
von China nach Europa<br />
stelle sich jetzt die Frage der Reziprozität.<br />
Warum könne die europäische<br />
Industrie nicht genauso<br />
einfach in China investieren wie<br />
andershe rum? Die Versprechen, die<br />
man jedes Jahr in China bekomme,<br />
blieben fragwürdig, so Wuttke weiter.<br />
Das Wort Reziprozität sei in der<br />
Handelskammer immer vermieden<br />
worden, es habe einen Beigeschmack<br />
von Protektionismus. Mittlerweile<br />
werde diese Wechselseitigkeit in den<br />
Außenhandelsbeziehungen aber<br />
nicht nur von der Politik, sondern<br />
auch von den Firmen eingefordert,<br />
nach dem Motto „genug ist genug“.<br />
China habe im September letzten<br />
Jahres ein Papier zum Thema Industrie<br />
4.0 mit dem Titel „Made in China<br />
2025“ herausgegeben. Es sei visionär<br />
und detailliert, beschreibe, welchen<br />
Marktanteil China in den verschiedenen<br />
Branchen erreichen wolle –<br />
sage aber explizit, dass es die chinesischen<br />
Firmen seien sollen, also keine<br />
Joint Ventures. Im Klartext heiße das,<br />
man wolle die Entwicklung ohne die<br />
Europäer erreichen. „Deshalb hinterfragen<br />
wir das momentan. Wir<br />
stellen fest, dass sich viele Firmen<br />
genau an diese Roadmap „Made in<br />
China 2025“ halten und sich danach<br />
in Firmen in Europa einkaufen, als<br />
wäre es eine Shoppingliste. China<br />
versucht z.B. im Bereich Semiconductors,<br />
sich in die Zuliefererfirmen<br />
einzukaufen, Aixtron ist da ein Beispiel.<br />
Aber auch Firmen wie Kuka<br />
oder Robotics bewegen sich in dem<br />
Bereich, den das Visionspapier der<br />
Chinesen aufzeigt“, gab Chinaexperte<br />
Wuttke zu bedenken.<br />
„Wir stellen derzeit ein Papier<br />
zusammen, das im März nächsten<br />
Jahres vorgestellt wird. Es soll aufzeigen,<br />
was die europäische und<br />
auch die deutsche Industrie machen<br />
kann, um Fairness hinzubekommen.<br />
Fairness im Sinne, dass<br />
man nicht noch mehr staatseigene<br />
chinesische Betriebe in Deutschland<br />
hat und die marktwirtschaftlichen<br />
Bedingungen wie Wettbewerb,<br />
Transparenz etc. nicht weiter unterhöhlt<br />
werden. Ich glaube, das<br />
ist extrem wichtig, denn Fairness<br />
kommt nur durch Transparenz und<br />
gleiche Marktbedingungen zustande“,<br />
führte Jörg Wuttke weiter aus.<br />
Ausblick<br />
Chinaexperte Wuttke erläuterte, was<br />
man in Zukunft erwarten könne. Im<br />
nächsten Jahr gebe es auch in China<br />
schwierige Wahlen. Der jetzige<br />
Präsident Jinping sei zwar gestärkt,<br />
habe es aber noch nicht geschafft,<br />
die 2013 angedachten Reformen<br />
durchzuführen. Bis zum Ende des<br />
nächsten Jahres werde sich also<br />
nicht viel ändern in China. Aber<br />
für März 2018 bleibe die Hoffnung<br />
– bei allen Bedenken –, dass eine<br />
neue, stark aufgestellte wirtschaftsgetriebene<br />
Regierung die aufgestauten<br />
Reformen in die Tat umsetzen<br />
und nicht in der Rhethorikblase<br />
bleiben werde.<br />
Zurzeit habe man ein recht gutes<br />
wirtschaftliches Umfeld in China.<br />
Zu Jahresanfang seien Kreditzusagen<br />
gemacht worden, sodass die<br />
Wirtschaft wieder in Gang komme,<br />
allerdings seien dadurch auch viele<br />
Stahlfirmen, die bereits geschlossen<br />
waren, wieder aufgemacht worden.<br />
Auch die fiskalischen Anstrengungen<br />
der Regierung ergäben kein<br />
nachhaltiges Bild. Die Frage sei, wie<br />
lange China es schaffen könne, mit<br />
mehr Krediten und verschleppten<br />
Reformen die Wirtschaft anzutreiben.<br />
Die Schulden in China seien<br />
gewaltig, gerade bei Firmen und<br />
Lokalregierungen.<br />
„Für uns bleibt immer die Frage<br />
der Fairness“, konstatierte Jörg Wuttke<br />
zum Schluss. „Wir brauchen ein<br />
Level Playing Field, wir brauchen<br />
wirklich eine Art und Weise, in der<br />
Europa und besonders Deutschland<br />
es schafft, seine eigene Industrie zu<br />
schützen, ohne in Protektionismus<br />
zu verfallen. China ist komplex, aber<br />
bei einem können wir sicher sein:<br />
Extrapolation gibt es nicht mehr.“<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 41
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:ERÖFFNUNG<br />
Präsident des ZVEI<br />
Michael Ziesemer<br />
Digitalisierung als Wachstumschance nutzen<br />
Herausforderungen für starke<br />
Wertschöpfungsnetzwerke in<br />
Deutschland und Europa<br />
Michael Ziesemer, Präsident des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie<br />
(ZVEI), sprach bei der Eröffnung der internationalen Jahrestagung <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong> über die<br />
Herausforderungen der Digitalisierung und ihre Chancen als Impulsgeber für Wachstum.<br />
D<br />
er Titel der diesjährigen<br />
Stahltagung<br />
„Orientierung in unsicheren<br />
Zeiten“ ist<br />
passend gewählt. Wir<br />
leben politisch, wirtschaftlich, aber<br />
auch gesellschaftlich tatsächlich in<br />
bewegten Zeiten. Was gestern noch<br />
als gesichert gelten konnte, kann<br />
sich morgen schon als diametral<br />
anders darstellen. Oder hatten Sie<br />
wirklich mit dem Wahlausgang<br />
in den USA so gerechnet? Was bedeutet<br />
ein Präsident Trump für die<br />
trans atlantischen Beziehungen und<br />
den wirtschaftlichen Austausch?<br />
Die USA sind für unsere Branche<br />
beispielsweise der wichtigste Handelspartner.<br />
Auch der Brexit hat uns überrascht.<br />
Er zeigt, wie fragil der europäische<br />
Einigungsgedanke, wie<br />
verwundbar unser Heimatkontinent<br />
ist. Das Partikularinteresse<br />
steht über dem Gemeinschaftsanliegen.<br />
Mit Blick auf die europäische<br />
Geschichte ist das eine ungute<br />
Entwicklung. Oder blicken wir auf<br />
die Flucht von hunderttausenden<br />
von Flüchtlingen nach Deutschland<br />
im vergangenen Jahr zurück.<br />
Sie hat unser Land vor eine große<br />
Bewährungsprobe gestellt und stellt<br />
es immer noch. Politisch durch das<br />
Aufkommen einer rechtspopulistischen<br />
Partei, gesellschaftlich durch<br />
die weithin ungelöste Frage, wie<br />
es mit den Flüchtlingen unter uns<br />
weitergeht.<br />
Und noch etwas erregt Besorgnis:<br />
die Digitalisierung, die sich mit<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
ZVEI-Präsident Michael Ziesemer ist überzeugt, dass wir in Deutschland<br />
und Europa weiterhin starke Wertschöpfungsnetzwerke und eine hohe<br />
Wertschöpfungstiefe brauchen<br />
Macht ihre Bahn bricht. Geschäftsmodelle,<br />
die sich über Jahrzehnte<br />
und länger bewährt hatten, werden<br />
förmlich hinweggespült. Denken<br />
Sie nur daran, was HRS oder<br />
booking.com mit der Hotelwirtschaft<br />
angestellt haben. Viele weitere<br />
Beispiele ließen sich anfügen.<br />
Damit bin ich beim Thema meiner<br />
Rede angekommen, „dem Erhalt<br />
starker Wertschöpfungsnetzwerke<br />
in Deutschland und Europa“ im<br />
Zeitalter der digitalen Transformation.<br />
Tatsächlich befinden wir uns<br />
mitten im Umbruch, sind Zeitzeugen<br />
gravierender Veränderungen.<br />
Die digitale Transformation<br />
durchdringt mit großer Kraft und<br />
Geschwindigkeit alle Sphären.<br />
Und das Bezeichnende ist, dass sie<br />
keine Grenzen kennt. Keine Branchengrenzen,<br />
keine Nationalstaatsgrenzen.<br />
Die Digitalisierung erfolgt<br />
weltumspannend. Sie ist irreversibel<br />
und potenziell disruptiv. Sie ist<br />
daher die große Herausforderung,<br />
vor der die deutsche und die europäische<br />
Industrie stehen.<br />
Auf dem ZVEI-Jahreskongress<br />
<strong>2016</strong> betonte Bundeskanzlerin<br />
Merkel, die Digitalisierung sei<br />
eine Schicksalsfrage für die Elektroindustrie.<br />
Das sehen wir in der<br />
Elektroindustrie genauso. Und dennoch<br />
möchte ich die Aussage der<br />
Kanzlerin erweitern: Die Digitalisierung<br />
ist eine Schicksalsfrage für die<br />
gesamte deutsche und europäische<br />
Industrie.<br />
42<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Für die deutsche Elektroindustrie<br />
kann ich sagen, dass unsere Unternehmen<br />
sich immer besser auf<br />
die Digitalisierung einstellen. Eine<br />
brandaktuelle Studie von Fraunhofer<br />
und IW consult im Auftrag<br />
des ZVEI zeigt sogar, dass sich unsere<br />
Branche in einer Schlüsselstellung<br />
befindet. Sie ist mit Blick auf<br />
die Digitalisierung weiter als andere<br />
Branchen und zudem wichtiger<br />
Impulsgeber für andere Industriezweige.<br />
Die vollständigen Ergebnisse<br />
werden wir nächste Woche vor<br />
dem IT-Gipfel veröffentlichen.<br />
Trotz dieses an sich erfreulichen<br />
Ergebnisses zeigt die Studie, dass<br />
es auch bei unseren Unternehmen<br />
noch viel Luft nach oben gibt. Und<br />
gesamtwirtschaftlich tröstet es auch<br />
nicht, nur etwas besser als die anderen<br />
zu sein. Denn Digitalisierung<br />
funktioniert nicht „autistisch“. Es<br />
geht vielmehr um die durchgängige<br />
Digitalisierung kompletter<br />
Wertschöpfungsnetzwerke, die<br />
vom Lieferanten bis zum Kunden<br />
reichen. Wir haben es mit einer Entwicklung<br />
zu tun, die alle Grenzen<br />
sprengt – unwiderruflich. Lassen<br />
Sie mich das mit einem weiteren<br />
Beispiel verdeutlichen.<br />
Die Digitalisierung verändert auf<br />
radikale Art und Weise etablierte<br />
Rollen und Wertschöpfungsstrukturen,<br />
indem sie althergebrachte und<br />
durchaus erfolgreiche Geschäftsmodelle<br />
zerlegt und neu zusammensetzt.<br />
Zum Sinnbild disruptiver<br />
Marktumbrüche – und damit ein<br />
weiteres Beispiel – ist mittlerweile<br />
das US-Unternehmen Uber geworden,<br />
das durch seine Vermittlung<br />
privater Fahrten per App die Taxibranche<br />
revolutioniert. Uber besitzt<br />
keine klassischen Produktionsmittel,<br />
verfügt aber über eine neue<br />
datenbasierte Geschäftsidee. Das<br />
ist Disruption erster Klasse.<br />
Digitalwirtschaft<br />
Mitunter werden wir gefragt, ob<br />
unsere Anstrengungen in Deutschland<br />
und Europa ausreichen, um<br />
der – mit Schumpeter gesprochen<br />
– „schöpferischen Zerstörung“ der<br />
amerikanischen Digitalwirtschaft<br />
begegnen zu können. Setzen die<br />
amerikanischen Internettitanen<br />
nicht tatsächlich Standards, an<br />
denen letztlich kein Vorbeikommen<br />
ist?<br />
Zwar ist richtig, dass die amerikanische<br />
Internetwirtschaft uns<br />
bei der Entwicklung von datenbasierten<br />
Geschäftsmodellen voraus<br />
ist, es besser versteht, aus<br />
Daten Werte zu schaffen. Gerade<br />
die deutschen Unternehmen sind<br />
dagegen spitze bei den „Dingen“.<br />
Unsere Ausgangslage ist dort exzellent,<br />
wo die Welt der IT mit der realen<br />
Welt zusammenkommt – in<br />
Antrieben, Steuerungen, Sensoren<br />
und Maschinen. In diesen Bereichen<br />
sind deutsche Unternehmen<br />
Weltmarktführer. Das eigentlich<br />
„Revolutionäre“ an Industrie 4.0<br />
ist jedoch die Entstehung neuer<br />
Geschäftsmodelle. Hier müssen<br />
wir noch zulegen.<br />
In Summe betrachtet, sieht es<br />
für uns jedoch gar nicht schlecht<br />
aus. Erst kürzlich hieß es im Handelsblatt,<br />
die Deutschen könnten<br />
beim Thema Digitalisierung doch<br />
wesentlich selbstbewusster sein.<br />
Es hieß, die gute alte deutsche Ingenieurskunst<br />
entwickle sich zu<br />
einer Marke namens Industrie 4.0.<br />
Und ich kann Ihnen sagen, dass<br />
sich Deutschland beim Thema Industrie<br />
4.0 de facto in einer sehr<br />
guten Position befindet. Unsere industrielle<br />
Basis ist exzellent und<br />
sucht weltweit ihresgleichen. Der<br />
Industrieanteil am Bruttoinlandsprodukt<br />
liegt bei fast 23 %. Zum<br />
Vergleich: In den USA sind es nur<br />
etwa 13 %.<br />
Diese gute Ausgangslage wurde<br />
gestärkt, weil wir – die Politik,<br />
die Verbände, Gewerkschaften und<br />
auch wissenschaftlichen Einrichtungen<br />
– industriepolitisch gut<br />
vorangekommen sind. Die einst<br />
von Bitkom, VDMA und ZVEI aufgestellte<br />
Plattform Industrie 4.0 ist<br />
eine feste Referenzgröße und vertritt<br />
kompetent die führende Rolle<br />
Deutschlands bei Industrie 4.0. Das<br />
erkennen auch die Amerikaner.<br />
Die Zusammenarbeit mit dem Industrial<br />
Internet Consortium (IIC)<br />
konnte während der zurückliegenden<br />
Hannover Messe initiiert werden<br />
und trägt inzwischen Früchte.<br />
Mit dem im ZVEI entwickelten<br />
Referenzarchitekturmodell RAMI<br />
4.0 führen wir die internationale<br />
Debatte um Industrie 4.0 an. Im<br />
„Labs Network Industrie 4.0“ bringen<br />
wir Unternehmen und Testumgebungen<br />
zusammen, und im<br />
„Standardization Council Industrie<br />
4.0“ initiieren wir Standards für<br />
die digitale Produktion. Das alles<br />
geschieht seit der Hannover Messe<br />
„Die Digitalisierung ist nicht nur<br />
eine Herausforderung, sondern vor<br />
allem Impulsgeber für Wachstum“<br />
und macht Mut, dass wir uns mehr<br />
und mehr aufs digitale Zeitalter<br />
einlassen.<br />
Und wir haben ein weiteres<br />
„Asset“, worum uns die Welt beneidet:<br />
„The German Mittelstand“.<br />
Bei Industrie 4.0 sind es beileibe<br />
nicht nur die Großen, die die Entwicklungen<br />
vorantreiben. Auch<br />
viele Mittelständler gehören dazu,<br />
darunter zahlreiche sogenannte<br />
Hidden Champions, also Weltmarktführer,<br />
die außerhalb ihrer<br />
Branche eher unbekannt sind.<br />
Für die Elektroindustrie kann ich<br />
sagen, dass gut 90 % der Unternehmen<br />
mittelständisch geprägt<br />
sind; das heißt, sie zählen weniger<br />
als 500 Beschäftigte. Durch<br />
die konsequente Ausrichtung auf<br />
Innovationen haben sich gerade<br />
viele Mittelständler starke Marktpositionen<br />
erarbeitet. Sie sind das<br />
Rückgrat unserer Industrie und<br />
genießen weltweit einen hervorragenden<br />
Ruf.<br />
Sie sehen also, wir brauchen<br />
uns nicht zu verstecken. Und<br />
ich bin optimistisch, dass wir<br />
noch mehr Aufmerksamkeit auf<br />
„Industrie 4.0“ werden lenken<br />
können. Schon zur Hannover<br />
Messe wurde ich positiv überrascht.<br />
Meine Forderung nach<br />
100 konkreten Industrie-4.0-Anwendungsbeispielen<br />
wurde weit<br />
übertroffen. Am Ziel sind wir allerdings<br />
noch lange nicht, denn<br />
der digitale Wandel in Wirtschaft<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 43
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:ERÖFFNUNG<br />
Präsident des ZVEI<br />
und Gesellschaft ist Weg und Ziel<br />
zugleich. Zusammenarbeit ist einer<br />
der Schlüssel für die Digitalisierung.<br />
Genau an dieser Stelle<br />
sehe ich auch viele Anknüpfungspunkte<br />
zur Ihrer Branche. Auch<br />
Ihre Branche stellt sich ja den<br />
Herausforderungen der Digitalisierung,<br />
ist sogar beispielgebend,<br />
wenn es darum geht, Liefer- und<br />
Leistungsketten durchgängig zu<br />
digitalisieren (Klöckner-Werke)<br />
und neue Dienste anzubieten.<br />
Hier können wir viel voneinander<br />
profitieren.<br />
Zusammenarbeit im<br />
Wettbewerb<br />
Zusammenarbeit im Wettbewerb<br />
ist in Umbruchsituationen wie dieser<br />
eminent wichtig. Der ZVEI und<br />
die Unternehmen der deutschen<br />
Elektroindustrie setzen dabei auf<br />
Europa. Die Politik ist hier ein<br />
wichtiger Partner: Sie muss endlich<br />
den digitalen Binnenmarkt in<br />
Europa durchsetzen. Wir brauchen<br />
eine europäische digitale Strategie,<br />
weil jeder der 28 bzw. leider bald<br />
nur noch 27 Mitgliedsstaaten für<br />
sich allein zu wenig Gewicht hat,<br />
um im internationalen Wettbewerb<br />
mithalten zu können. Nötig<br />
ist ein einheitlicher Markt wie in<br />
den USA oder in China.<br />
Es geht darum, die digitale Binnenmarktstrategie<br />
von EU-Kommissar<br />
Günther Oettinger zu<br />
unterstützen. Das bedeutet, dass<br />
wir erstens für einen besseren Zugang<br />
für Verbraucher und Unternehmen<br />
zu digitalen Waren und<br />
Dienstleistungen in ganz Europa<br />
sind. Dass wir zweitens gleiche<br />
Voraussetzungen für florierende<br />
digitale Netze und innovative<br />
Dienste schaffen. Und drittens<br />
das große Wachstumspotenzial<br />
der digitalen Wirtschaft bestmöglich<br />
ausschöpfen. Wir brauchen<br />
auch das 5G-Netz. Wir müssen in<br />
der Lage sein, europaweit große<br />
Datenmengen in kürzester Zeit zu<br />
übertragen. Dafür müssen wir in<br />
Europa gemeinschaftlich handeln.<br />
Und auch in Deutschland benötigen<br />
wir die Unterstützung der<br />
Politik. Das betrifft mehrere Themen:<br />
Mit dem aktuellen Ziel der<br />
Bundesregierung von 50 Megabit<br />
pro Sekunde droht Deutschland<br />
als Industriestandort abgehängt<br />
zu werden. Wer wie Deutschland<br />
die Nummer eins bei Industrie 4.0<br />
sein will, kann nicht Nummer 22<br />
in der Welt sein, was die durchschnittliche<br />
Surfgeschwindigkeit<br />
im Internet angeht. Noch immer<br />
sind Gewerbegebiete, etwa in ländlichen<br />
Gebieten, nicht ans schnelle<br />
Internet angeschlossen. Das muss<br />
sich ändern.<br />
Ich sehe viele Gemeinsamkeiten<br />
und gemeinsame Anliegen<br />
von Stahl- und Elektroindustrie.<br />
Unser Anliegen ist, den Standort<br />
Deutschland zu stärken und unseren<br />
Heimatmarkt Europa auszubauen.<br />
Essenziell sind hierfür<br />
starke Wertschöpfungsnetzwerke<br />
und eine hohe Wertschöpfungstiefe.<br />
Das hat uns in der Vergangenheit<br />
stark gemacht und das muss<br />
auch Schlüssel für die Zukunft<br />
sein. Um es deutlich zu sagen:<br />
Wir brauchen eine starke hiesige<br />
Grundstoffindustrie. Hierfür<br />
ist wichtig, dass die europäische<br />
Industrie weiterhin wirkungsvoll<br />
vor gedumpten Waren aus China<br />
geschützt bleibt. China muss zu<br />
seinen WTO-Verpflichtungen stehen.<br />
Gleichzeitig dürfen wir nicht<br />
die wirtschaftlichen Beziehungen<br />
zu China gefährden. Im Gegenteil,<br />
wir müssen sie intensivieren und<br />
China muss sich weiter öffnen.<br />
Wir und ebenso andere Branchen<br />
stehen im Wettbewerb mit<br />
China. Daher fordern wir faire<br />
Wettbewerbsbedingungen und<br />
sehen die EU in der Pflicht, dafür<br />
einzutreten.<br />
Fazit<br />
Das Unschöne an Veränderungsprozessen<br />
ist, dass wir nie sicher<br />
sagen können, wie sie sich konkret<br />
entwickeln. Fest steht: Die<br />
Digitalisierung ist nicht nur eine<br />
He rausforderung, sondern vor allem<br />
Impulsgeber für Wachstum.<br />
Und sie bietet enormes Potenzial<br />
für die Industrie in Deutschland<br />
und Europa. Es gilt jetzt, diese<br />
Chance zu nutzen.<br />
Lassen Sie mich kurz resümieren:<br />
▷▷<br />
Die digitale Transformation<br />
durchdringt alle Lebensbereiche,<br />
alle Branchen, weltumspannend<br />
und grenzüberschreitend.<br />
Wer sie nicht mitgestaltet,<br />
der wird von ihr gestaltet. Wir<br />
haben es mit einer einschneidenden<br />
Entwicklung zu tun,<br />
die potenziell disruptiv ist. In<br />
der datenorientierten Wirtschaft<br />
müssen die Unternehmen<br />
umlernen. Es gelten neue<br />
Spielregeln. Zusammenarbeit<br />
und Wettbewerb gewinnen an<br />
Bedeutung.<br />
▷▷<br />
Es geht um nichts Geringeres<br />
als die Zukunftsfähigkeit des<br />
Standorts Deutschland. Die<br />
deutsche Industrie muss sich im<br />
internationalen Vergleich nicht<br />
verstecken, aber auch strecken.<br />
Ein „Weiter so“ kann es nicht<br />
geben. Wir müssen uns darüber<br />
im Klaren sein, dass es eine<br />
Herausforderung sein wird, uns<br />
auf dem globalen Markt zu behaupten<br />
– dafür brauchen<br />
wir auch die Unterstützung<br />
der Politik, auf nationaler und<br />
europäischer Ebene.<br />
▷▷<br />
Die Digitalisierung mischt die<br />
Karten zwar neu. Das ändert jedoch<br />
nichts daran, dass unsere<br />
Wirtschaft weiterhin über starke<br />
Wertschöpfungsnetzwerke<br />
verfügen muss. Von der Grundstoffindustrie<br />
bis zur Mikroelektronik:<br />
Unser Erfolg ist unsere<br />
große Wertschöpfungstiefe.<br />
Der digitale Wandel stellt uns alle<br />
vor große Aufgaben, zwingt uns<br />
zum Handeln und bietet uns eine<br />
Vielzahl von neuen Möglichkeiten.<br />
Nur gemeinsam, unternehmens-,<br />
branchen- und grenzübergreifend,<br />
können wir dieses Potenzial für<br />
Deutschland und Europa umsetzen.<br />
Für die deutsche Industrie<br />
besteht die Chance, den nächsten<br />
Sprung der industriellen Entwicklung<br />
aus einer führenden Position<br />
heraus zu gestalten. Nutzen wir sie<br />
gemeinsam.<br />
Michael Ziesemer, Präsident des<br />
Zentralverbands Elektrotechnikund<br />
Elektronikindustrie e. V.<br />
(ZVEI), Frankfurt a. M.<br />
44<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Preisverleihung<br />
Young Academics‘ Steel Award<br />
Stahlinstitut VDEh zeichnet<br />
Wissenschaftler aus<br />
Das Stahlinstitut VDEh zeichnete auf der Jahrestagung <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong> am 10. November <strong>2016</strong><br />
in Düsseldorf drei junge Wissenschaftler mit dem Young Academics‘ Steel Award aus.<br />
D<br />
er Preis wurde nach<br />
der gelungenen Premiere<br />
im letzten Jahr<br />
an Nachwuchswissenschaftler<br />
aus Europa<br />
in den Bereichen Metallurgie und<br />
Werkstofftechnik Stahl in den Kategorien<br />
„Beste Bachelorarbeit“,<br />
„Beste Masterarbeit“ und „Beste<br />
Dissertation“ vergeben. Die Ergebnisse<br />
der Arbeiten müssen innovativ<br />
und in der Industrie umsetzbar<br />
sein. Ein weiteres Kriterium zur<br />
Preisvergabe ist der Erkenntnisfortschritt<br />
der erbrachten wissenschaftlichen<br />
Leistung.<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Beste Bachelorarbeit<br />
Die ausgezeichnete Bachelorarbeit<br />
von Julian Spee von der TU<br />
Dortmund trägt den Titel „Auslegung<br />
eines Temperatursensors im<br />
Feuerfestmaterial von Stahlwerkspfannen<br />
unter Verwendung thermodynamischer<br />
Berechnungen“.<br />
Er führte seine Arbeit am VDEh-Betriebsforschungsinstitut<br />
(BFI)<br />
durch. Ein Ergebnis seiner Arbeit<br />
ist, dass der Einsatz des entwickelten<br />
Temperatursensors auch im<br />
Rahmen von Industrie 4.0 genutzt<br />
werden kann. Wärmeverluste können<br />
damit genauer vorhergesagt,<br />
die Temperatur der Stahlschmelze<br />
optimiert und auf diese Weise<br />
Energie eingespart werden.<br />
Beste Masterarbeit<br />
Sieger in der Kategorie „Beste<br />
Masterarbeit“ wurde Marc Ackermann<br />
vom Institut für Eisenhüttenkunde<br />
der RWTH Aachen. Seine<br />
Abschlussarbeit mit dem Titel<br />
„Small angle neutron scattering<br />
investigation on the kappa phase<br />
precipitation in Fe-30Mn-8Al-1.2C<br />
steel“ untersucht die Ausscheidungsentwicklung<br />
mittels der experimentellen<br />
Methode der Neutronenkleinwinkelstreuung<br />
an einem<br />
austenitischen, hochmanganhaltigen<br />
Stahl. Die erzielten Erkenntnisse<br />
leisten einen innovativen Beitrag zur<br />
Entwicklung von Leichtbaustählen.<br />
Beste Dissertation<br />
Dr. Francesco Maresca von der Technischen<br />
Universität Eindhoven erhielt<br />
den Preis für seine Dissertation<br />
zum Thema „Multi-scale modeling<br />
of plasticity and damage of lath<br />
martensite in multi-phase steels“.<br />
Er identifizierte die wesentlichen<br />
Mechanismen, die das plastische<br />
Verhalten sowie das Bruchverhalten<br />
in Multiphasenstählen bestimmen.<br />
Außerdem entwickelte er ein Modell,<br />
das diese Mechanismen vorhersagt.<br />
Das Modell ist bereits im Einsatz,<br />
um Herstellprozesse optimal<br />
auf die gewünschten Eigenschaften<br />
einzustellen.<br />
Gemeinschaftsarbeit<br />
Das Stahlinstitut VDEh trägt<br />
mit der Preisvergabe an die<br />
Nachwuchs ingenieure neben der<br />
Nachwuchsförderung auch dem<br />
Gedanken der technisch-wissenschaftlichen<br />
Gemeinschaftsarbeit<br />
auf europäischer Ebene Rechnung.<br />
Die ausgezeichnete Bachelorarbeit<br />
wurde mit 1 000 € honoriert, die<br />
beste Masterarbeit mit einem Preisgeld<br />
in Höhe von 2 500 € ausgezeichnet,<br />
während der Preisträger<br />
in der Kategorie „Beste Dissertation“<br />
5 000 € erhielt. „Wir werden<br />
auch im nächsten Jahr den Preis<br />
ausschreiben und hoffen auf viele<br />
Vorschläge auf ähnlich hohem<br />
Niveau wie in diesem Jahr“, so<br />
Dr.-Ing. Peter Dahlmann.<br />
Stahlinstitut VDEh<br />
Hans Jürgen Kerkhoff<br />
(links) und Dr. Peter<br />
Dahlmann (rechts)<br />
mit den Preisträgern<br />
Julian Spee<br />
(2. v. rechts),<br />
Marc Ackermann<br />
(Mitte) und Dr.<br />
Francesco Maresca<br />
(2. v. links)<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 45
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Verwerfungen auf dem globalen Stahlmarkt: Handlungsoptionen für Politik und Wirtschaft<br />
Cathrin Hesseler<br />
Globale Verwerfungen<br />
bedrohen Stahlhersteller und<br />
den Standort Deutschland<br />
Die Stahlindustrie steckt weltweit in der Krise. Produktionsüberschüsse – vor allem aus<br />
China – drücken auf die Preise, unfaire Handelspraktiken und zunehmender staatlicher<br />
Einfluss prägen das Bild. Maßnahmen der EU-Kommission vor allem gegen die Importflut<br />
sollen schneller greifen, um die Unternehmen wirksam schützen zu können. Brüssel setzt<br />
allerdings zudem auf langfristig wirksame Instrumente, um die Krise an der Wurzel zu<br />
packen.<br />
E<br />
in großes Problem,<br />
das sich an einer kleinen<br />
Menge an Zahlen<br />
ablesen lässt: So stellt<br />
sich die Stahlkrise für<br />
Andreas J. Goss dar. Der Vorstandsvorsitzende<br />
der thyssenkrupp<br />
Steel Europe AG zeichnete zu<br />
Beginn des von ihm moderierten<br />
Stahldialogs zu den Verwerfungen<br />
auf dem globalen Stahlmarkt mit<br />
wenigen Strichen ein Bild der Lage:<br />
Überkapazitäten in der globalen<br />
Stahlindustrie von rd. 660 Mio. t,<br />
davon etwa zwei Drittel aus China;<br />
gewaltige Verschiebungen in den<br />
Außenhandelsströmen, wozu wiederum<br />
vor allem China mit mehr<br />
als verdoppelten Stahlexporten<br />
in den letzten drei Jahren beigetragen<br />
hat, und ein Drittel der<br />
weltweit aktuellen Antidumpingmaßnahmen<br />
gegen China. „Die<br />
Verwerfungen bedrohen Stahlhersteller<br />
weltweit und natürlich<br />
auch den sehr wettbewerbsfähigen<br />
Stahlstandort Deutschland“,<br />
sagte Goss in Düsseldorf. Für die<br />
Industrie seien wirksame Instrumente<br />
gegen unfairen Handel von<br />
existenzieller Bedeutung, zumal<br />
der Zugang zum Stahlmarkt in der<br />
EU weder durch Zölle noch durch<br />
nichttarifäre Handelshemmnisse<br />
beschränkt wird. „So wichtig es<br />
ist, wehrhaft in der Handelspolitik<br />
zu sein, so wünschenswert<br />
wäre es, wenn Konflikte hier gar<br />
nicht erst entstünden, indem auf<br />
unfaire Verhaltensweisen von<br />
vorneherein verzichtet würde“,<br />
meinte Goss.<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Während des Stahldialogs wurden die aktuelle Lage und die Auswirkungen von Überkapazitäten und unfairen Handelspraktiken diskutiert<br />
46<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Multilaterale Instrumente<br />
zur Eindämmung der<br />
internationalen Stahlkrise<br />
Eine der Herausforderungen sei<br />
die Beantwortung der Frage, welche<br />
Instrumente zur Verfügung<br />
stehen, um die globale Stahlkrise<br />
einzudämmen. Univ.-Professor<br />
Dr. Marc Bungenberg widmete<br />
sich dieser Thematik aus rechtswissenschaftlicher<br />
Sicht. „Es geht<br />
um Einbettung der deutschen<br />
und europäischen Stahlindustrie<br />
in den Regelrahmen des Europarechts“,<br />
sagte der Lehrstuhlinhaber<br />
für Öffentliches Recht, Völkerrecht<br />
und Europarecht der<br />
Universität des Saarlandes und<br />
Direktor des Europa-Instituts.<br />
Bungenberg hält nur die Welthandelsorganisation<br />
(WTO) und<br />
deren Instrumentarium für geeignet,<br />
um die Stahlkrise in den<br />
Griff zu bekommen. „Sie hat<br />
als einzige einen verbindlichen<br />
Streitbeilegungsmechanismus<br />
auf multilateraler Ebene, an dem<br />
sowohl die Europäische Union als<br />
auch Amerika, China, Russland<br />
und Indien beteiligt sind“, führte<br />
Bungenberg aus. „Es geht darum,<br />
auszutesten, wie weit man in<br />
diesem völkerrechtlich verbindlichen<br />
Ansatz gehen kann“, sagte<br />
er mit Blick auf die Ausgestaltung<br />
nationalen Rechts. Die WTO biete<br />
dabei einen Regelrahmen, der<br />
Wettbewerb vorsehe und gleichzeitig<br />
unfairen Handelspraktiken<br />
begegne – aus Sicht von Bungenberg<br />
das effektivste multinationale<br />
Instrumentarium. „Es gilt, die<br />
WTO zu hegen und zu pflegen“,<br />
meinte Bungenberg.<br />
Foto: Mourad ben Rhouma Foto: Mourad ben Rhouma<br />
te OECD-Mitglieder zusammengeschlossen,<br />
um die grundsätzlichen<br />
Bekenntnisse zu fairen Wettbewerbsbedingungen<br />
in konkrete<br />
Politik umzusetzen. Das Forum<br />
ziele darauf ab, stärker Informathyssenkrupp-Stahlchef<br />
Andreas J. Goss erklärte<br />
deutlich, warum die Verwerfungen auf dem<br />
globalen Stahlmarkt eine Bedrohung für die<br />
Stahlhersteller und den sehr wettbewerbsfähigen<br />
Stahlstandort Deutschland darstellen<br />
Dass Regierungen ihre WTO-Verpflichtungen<br />
erfüllen und politischen<br />
Einfluss reduzieren – das<br />
sieht auch die EU-Kommission<br />
als Möglichkeit, das Unwesen der<br />
Subventionen in den Griff zu bekommen.<br />
Signe Ratso, Director<br />
for Trade Strategy and Analysis,<br />
Market Access, DG Trade der Europäischen<br />
Kommission in Brüssel/<br />
Belgien, fand es besonders wichtig,<br />
dass sich die Staaten in ein neues<br />
globales Forum einbringen, das<br />
sich derzeit konstituiert. Darin<br />
haben sich die G20 und interessier-<br />
Foto: Mourad ben Rhouma Foto: Mourad ben Rhouma<br />
Universitätsprofessor Dr. Marc Bungenberg<br />
stellte multilaterale Instrumente zur<br />
Eindämmung der internationalen Stahlkrise vor<br />
Faire<br />
Wettbewerbsbedingungen<br />
schaffen — aber wie?<br />
EU-Kommissions-Direktorin Signe Ratso<br />
erläuterte Möglichkeiten, um faire Wettbewerbsbedingungen<br />
zu schaffen<br />
Eurofer-Präsident Geert Van Poelvoorde<br />
verdeutlichte die Herausforderungen für die<br />
EU-Stahlindustrie<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 47
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Verwerfungen auf dem globalen Stahlmarkt: Handlungsoptionen für Politik und Wirtschaft<br />
B20-Vorsitzender Jürgen Heraeus gab einen Ausblick,<br />
was die G20 gegen die Verzerrungen im internationalen<br />
Wettbewerb leisten kann<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
tionen über die Entwicklung von<br />
Kapazitäten auszutauschen, denn<br />
Stahlüberkapazitäten seien derzeit<br />
das größte Problem. China dabei in<br />
eine aktive Rolle zu lenken, habe<br />
einiger Anstrengungen bedurft,<br />
berichtete Ratso.<br />
Das Land habe bislang behauptet,<br />
die Überkapazitäten seien<br />
auf einen Einbruch der Nachfrage<br />
zurückzuführen. Tatsächlich<br />
habe die schwache Konjunktur<br />
das Problem aber nur überlagert,<br />
sagte Ratso. 350 bis 400 Mio. t<br />
überschüssiger chinesischer Stahl<br />
haben im vergangenen Jahr in<br />
der EU zu einer Importsteigerung<br />
um 25 % geführt. Um dem kurzfristig<br />
zu begegnen, hat die EU<br />
insgesamt 17 Antidumping- und<br />
Antisubventionsmaßnahmen gegen<br />
China verhängt – das war<br />
annähernd die Hälfte aller solcher<br />
Schutzmaßnahmen.<br />
Nur kurze Zeit nach dem Vortrag<br />
Ratsos in Düsseldorf gab die<br />
EU in Brüssel weitere Schritte<br />
gegen die chinesische Importflut<br />
bekannt. So wurden Stahlrohre<br />
verschiedener Spezifikationen<br />
vorläufig mit Antidumpingzöllen<br />
belegt.<br />
Herausforderungen für<br />
die EU-Stahlindustrie<br />
Die Stahlindustrie spreche mit<br />
Blick auf ihre aktuelle Lage gerne<br />
von „Herausforderungen“. Das<br />
Wort sei noch nie so oft benutzt<br />
worden wie im vergangenen Jahr,<br />
meinte Geert Van Poelvoorde,<br />
Präsident von Eurofer in Brüssel<br />
und CEO ArcelorMittal Europe<br />
– Flat Products and Purchasing,<br />
Luxemburg. Er sehe die Krise darin<br />
begründet, dass es keine gemeinsame<br />
Vision in Europa gebe.<br />
Das allerdings gelte nicht nur für<br />
die Stahlindustrie. „Das Problem,<br />
mit dem wir kämpfen, ist, wie<br />
Europa funktioniert. Wenn sich<br />
28 Mitgliedsstaaten entscheiden<br />
und zustimmen müssen, ist das<br />
Ergebnis selten klar formuliert<br />
und daher interpretierbar.“ Die<br />
umfangreichen Abstimmungen<br />
seien auch Grund dafür, dass<br />
Schutzinstrumente nicht so<br />
schnell umgesetzt werden könnten<br />
wie gewünscht. „Ich möchte<br />
unterstreichen, dass wir als Branche<br />
nichts gegen Wettbewerb haben.<br />
Wir begrüßen ihn. Denn wir<br />
in Europa haben sehr effiziente<br />
Anlagen und wir sind weltweit<br />
konkurrenzfähig. Da gibt’s überhaupt<br />
keinen Zweifel“, betonte<br />
Van Poelvoorde. „Der Motor für<br />
die Stahlindustrie sollte der Wettbewerb<br />
sein.“ Die Anträge gegen<br />
China lägen ausschließlich darin<br />
begründet, dass China noch über<br />
keine konkurrenzfähige Industrie<br />
verfüge und sich fairem Wettbewerb<br />
versage. „In letzter Zeit hat<br />
es sich herausgestellt, dass es naiv<br />
und unverantwortlich ist, keine<br />
Handelszölle zu fordern“, glaubte<br />
Van Poelvoorde. Das Problem<br />
sehe er darin, dass es bei den Zusagen<br />
Chinas, Überkapazitäten<br />
abzubauen, bislang bei reinen Absichtserklärungen<br />
geblieben sei.<br />
„China hat vor Kurzem bewiesen,<br />
wie schnell sie Überkapazitäten<br />
abbauen können, und zwar bei<br />
Kohle. Die Kohlepreise haben sich<br />
daraufhin verfünffacht.“<br />
Van Poelvoorde war sich sicher:<br />
Wenn man über Dumping<br />
rede, dürfe man nicht vergessen,<br />
dass man selbst wettbewerbsfähig<br />
bleiben müsse. Um das zu garantieren,<br />
versuche man in Europa,<br />
den Stromverbrauch stetig zu reduzieren.<br />
„Wir sind nah dran an<br />
der Grenze des technisch Machbaren“,<br />
sagte Van Poelvoorde.<br />
Und das System des Emissionsrechtehandels<br />
(ETS) verkenne<br />
die harte Realität, dass CO 2<br />
für<br />
die Stahlindustrie ein Prozessgas<br />
ist. „Das Produkt Stahl ist umweltfreundlich<br />
und recycelbar.<br />
Entscheidender Vorteil ist der<br />
geringe CO 2<br />
-Fußabdruck.“ Van<br />
Poelvoorde kritisierte, dass das<br />
im ETS nicht berücksichtigt sei.<br />
Verzerrungen im<br />
internationalen<br />
Wettbewerb<br />
Dr. Jürgen Heraeus, Vorsitzender<br />
des Bündnisses Business 20 (B20)<br />
und Aufsichtsratsvorsitzender,<br />
Heraeus Holding GmbH, Hanau,<br />
appellierte an die Stahlindustrie,<br />
die Hoffnungen nicht allein auf<br />
die Politik zu setzen. „Darauf,<br />
dass Regierungen, G20, B20 oder<br />
Brüssel das in Ordnung bringen,<br />
sollte man sich nicht verlassen“,<br />
sagte er. Das Bündnis B20 berät die<br />
Gruppe der zwanzig wichtigsten<br />
Industrie- und Schwellenländer<br />
in Wirtschaftsfragen. Die Stahlindustrie,<br />
so war Heraeus überzeugt,<br />
könne Probleme aus eigener Kraft<br />
lösen, habe sie doch schon oft bewiesen,<br />
dass sie kreativ genug sei.<br />
„Die Überkapazitäten müssen<br />
bereinigt werden, ohne dass das<br />
nur zulasten der europäischen<br />
oder amerikanischen Industrie<br />
gehen darf“, sagte Heraeus auf<br />
Nachfrage. „B20 kann nichts<br />
durchsetzen, das kann auch G20<br />
nicht“, erklärte er die Rolle des<br />
Bündnisses in der Stahlkrise. „Wir<br />
können aber Aufmerksamkeit erregen.“<br />
20 Nationen bringen bei<br />
B20 in unterschiedlichen Arbeitsgruppen<br />
ihre Wünsche ein, wie die<br />
Politik gestaltet werden sollte. Auf<br />
der Agenda stehen Themen wie<br />
Klimaschutz oder Digitalisierung.<br />
Cathrin Hesseler, Freie Journalistin,<br />
Köln.<br />
48<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Industrie 4.0 − die Digitalisierung als Impulsgeber für Wachstum und Wandel<br />
Industrie 4.0 — die Zukunft<br />
hat bereits begonnen<br />
Die vierte Industrielle Revolution ist in vollem Gange – und auch die Stahlindustrie<br />
steckt mittendrin. Industrie 4.0 wird zu massiven Veränderungen in der Fertigung<br />
führen und erhebliche ökonomische Effekte mit sich bringen. Wie kann die deutsche<br />
Industrie ihre bisherigen Stärken auch in einer zunehmend digitalisierten Welt nutzen?<br />
Wie wird die Digitalisierung die Wertschöpfungsketten insgesamt und damit das Umfeld<br />
der Stahlindustrie im Speziellen beeinflussen? Welchen Herausforderungen muss sich<br />
die Stahlindustrie stellen, um auf künftige Kundenanforderungen eine Antwort zu<br />
finden? Diese Fragen diskutierten Experten aus Stahlindustrie, Unternehmensberatung,<br />
Verbänden und Kompetenznetzwerken.<br />
Karin Hardtke<br />
E<br />
s gebe neben Industrie<br />
4.0 zurzeit wohl kaum<br />
ein anderes Thema, das<br />
in der Presse, bei Kongressen,<br />
in Forschung<br />
und Strategierunden aktuell mehr<br />
an Bedeutung gewinnt. Industrie<br />
4.0 und Digitalisierung seien zurzeit<br />
die Schlagworte schlechthin<br />
– mit diesen Worten eröffnete<br />
Prof. Dr. Michael Süß, Vorsitzender<br />
der Geschäftsführung der<br />
Georgsmarienhütte GmbH, den<br />
Stahldialog. Letztendlich gehe es<br />
aber um die Frage: Will Deutschland<br />
auch in Zukunft ein Industriestandort<br />
sein? Denn die Herausforderungen,<br />
vor denen die<br />
deutsche Industrie − und insbesondere<br />
auch die Stahlindustrie −<br />
stehe, seien immens. Michael Süß<br />
machte dies an einigen Beispielen<br />
deutlich. Allein die Energiewende<br />
belaste deutsche Stahlunternehmen<br />
bekanntermaßen jährlich<br />
in Milliardenhöhe. Viele andere<br />
Stahl produzierende Länder mit<br />
weit weniger anspruchsvollen<br />
Umweltzielen und -auflagen −<br />
und damit auch geringeren Kosten<br />
− hätten da einen deutlichen<br />
Wettbewerbsvorteil. Man müsse<br />
allerdings auch feststellen, dass<br />
die Energiewende von weiten Teilen<br />
der Bevölkerung gewünscht<br />
sei, betonte Süß. Auch das Thema<br />
„Elektromobilität“ werde an<br />
Bedeutung gewinnen. In den<br />
kommenden 10 bis 15 Jahren<br />
Foto: thyssenkrupp Hohenlimburg<br />
Beim Mittelbandspezialisten thyssenkrupp Hohenlimburg in Hagen können Kundenwünsche mithilfe<br />
von Industrie-4.0-Lösungen bereits heute schneller umgesetzt werden<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 49
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Industrie 4.0 − die Digitalisierung als Impulsgeber für Wachstum und Wandel<br />
Der Moderator des Stahldialogs, Prof. Dr. Michael Süß,<br />
Vorsitzender der Geschäftsführung, Georgsmarienhütte<br />
GmbH, erläuterte die Bedeutung von Industrie 4.0 für den<br />
Stahlstandort Deutschland<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
Wirtschaftsexpertin Dr. Vera Demary verdeutlichte die<br />
Erfolgspotenziale und Risikofaktoren von Industrie 4.0<br />
für den Industriestandort Deutschland<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
werde es einen deutlichen Ausbau<br />
der „Elektromobilität“ geben,<br />
prognostizierte Süß. Dies werde<br />
nicht zu unterschätzende Auswirkungen<br />
auf die zukünftige Stahlnachfrage<br />
haben. Und zu guter<br />
Letzt müsse sich die Stahlbranche<br />
damit auseinandersetzen,<br />
dass neue Herstellungsverfahren<br />
auf den Markt drängten und die<br />
Produktion revolutionierten. Klassische<br />
Verfahren wie Schmieden,<br />
Zerspanen oder Schweißen würden<br />
überflüssig und durch innovative<br />
Verfahren wie das adaptive<br />
Drucken ersetzt. „Stecken wir also<br />
gleich den Kopf in den Sand oder<br />
nehmen wir als Stahlindustrie die<br />
Herausforderungen an?“, fragte<br />
Michael Süß in die Runde. Seine<br />
Empfehlung: „Lassen Sie uns alle<br />
Möglichkeiten von Industrie 4.0<br />
nutzen, um Wettbewerbsvorteile<br />
daraus ziehen zu können.“ Allerdings:<br />
Nur, wenn man auch von<br />
Anfang an die Mitarbeiter auf<br />
diesem Weg mitnehme, werde<br />
man als Unternehmen erfolgreich<br />
sein. Denn die Mitarbeiter seien<br />
es, die Industrie 4.0 letztendlich<br />
umsetzten. Er freue sich ganz besonders<br />
auf diesen Stahldialog, da<br />
die Redner Chancen, Risiken und<br />
Herausforderungen von Industrie<br />
4.0 aus ganz unterschiedlichen<br />
Blickwinkeln beleuchten würden.<br />
Wer nicht mit der Zeit<br />
geht, geht mit der Zeit<br />
Den Anfang machte Dr. Vera Demary.<br />
Die Leiterin Kompetenzfeld Strukturwandel<br />
und Wettbewerb am<br />
Institut der deutschen Wirtschaft<br />
e. V. in Köln ging in ihrer Rede auf<br />
die Erfolgspotenziale und Risikofaktoren<br />
von Industrie 4.0 und Digitalisierung<br />
für den Industriestandort<br />
Deutschland ein. Ihr erstes Fazit: Im<br />
Vergleich mit 23 weiteren Industrienationen<br />
stehe Deutschland in<br />
Sachen Digitalisierung gar nicht so<br />
schlecht da – „gutes Mittelfeld mit<br />
einigem Entwicklungspotenzial“.<br />
Nachholbedarf bestehe vor allem<br />
im Ausbau des Breitbandnetzes. Auf<br />
Unternehmensebene sei allerdings<br />
ein anderer Punkt wichtig, um Industrie<br />
4.0 voranzubringen: Das virtuelle<br />
Abbild von Produkten und<br />
Prozessen sei Voraussetzung, dass<br />
man überhaupt vernetzen könne.<br />
„Wenn man eine Maschine nicht digital<br />
beschreiben kann, dann kann<br />
man sie auch nicht vernetzen.“<br />
Mehr als die Hälfte der Unternehmen<br />
des verarbeitenden Gewerbes<br />
mit über 20 Mitarbeitern habe bisher<br />
noch keinerlei Erfahrungen mit<br />
Industrie 4.0. Kleinere Betriebe seien<br />
häufiger darunter als große. Was<br />
hält Unternehmen ab, verstärkt auf<br />
Industrie 4.0 und Digitalisierung<br />
zu setzen? Die Auswertung einer<br />
umfangreichen Unternehmensbefragung<br />
ergab: Unsicherheiten in<br />
Hinblick auf die Funktionszuverlässigkeit,<br />
auf die Definition von<br />
Schnittstellen sowie Befürchtungen<br />
in Sachen Datensicherheit sind die<br />
Hauptgründe für die bisherige Zurückhaltung.<br />
Aber auch der „Faktor<br />
Mensch“ spiele eine entscheidende<br />
Rolle, so Dr. Demary. Qualifiziertes<br />
Personal zu finden und somit das<br />
benötigte Fachwissen bereitzustellen,<br />
stelle fast die Hälfte der befragten<br />
Unternehmen vor große Herausforderungen.<br />
Die mit Industrie<br />
4.0 verbundenen Kosten hingegen<br />
sehe der Großteil der Unternehmen<br />
nicht als primäres Risiko. Chancen<br />
sähen Unternehmen insbesondere<br />
in einer höheren Produktivität, der<br />
besseren Kontrolle der Wertschöpfungskette<br />
sowie der Möglichkeit,<br />
innovative Geschäftsmodelle entwickeln<br />
zu können. Auffällig sei,<br />
so Dr. Demary weiter, dass Unternehmen,<br />
die Industrie 4.0 als einen<br />
kontinuierlichen Prozess wahrnähmen<br />
und selbst schon erste Erfahrungen<br />
gesammelt hätten, eher die<br />
Chancen für ihr Unternehmen im<br />
Blick hätten − im Gegensatz zu Unternehmen<br />
ohne diese Erfahrung,<br />
die dann meist nur die Risiken von<br />
Industrie 4.0 sähen.<br />
Neben der fehlenden Breitbandversorgung<br />
seien es vor allem fehlende<br />
Normen und Standards, die<br />
Unternehmen vor Investitionen<br />
zurückschrecken ließen. Diese<br />
Standards zu setzen, ist auch eine<br />
unternehmerische Aufgabe, sich in<br />
Standardisierungsprozesse einzumischen.<br />
Mischen Sie sich ein.“ Im<br />
Hinblick auf die Verbesserung der<br />
Datensicherheit seien Qualitätssiegel<br />
eine Option. Datensicherheit sei<br />
immer nur so gut wie das schwächste<br />
Glied im Netzwerk. „Wer nicht<br />
mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“<br />
− Dr. Demary beschloss ihren Vortrag<br />
mit einem Zitat von Karl-Josef<br />
Neckermann. Es sei viel in Bewegung<br />
in Sachen Industrie 4.0. Aber<br />
die Zeit dränge und es gelte, keine<br />
weitere Zeit zu verlieren. Insbesondere<br />
in der Stahlindustrie gebe es<br />
− anders als in anderen Branchen<br />
− große Potenziale.<br />
50<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
In Szenarien denken –<br />
um eine unsichere<br />
Zukunft mit Sicherheit zu<br />
bestehen<br />
Als nächster Referent folgte Dipl.-<br />
Ing. Thomas Rinn, Partner bei<br />
der Unternehmensberatung Roland<br />
Berger und Leiter der dortigen<br />
Task Force Industrie 4.0. Der<br />
Berater gestand gleich zu Beginn,<br />
dass er den Schwerpunkt seines<br />
Vortrages am Morgen neu gesetzt<br />
habe, nachdem zur Eröffnung der<br />
Jahrestagung <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong> bereits<br />
viel über die Probleme der Branche<br />
gesprochen worden sei. Er<br />
wolle mit seinem Vortrag einen<br />
Kontrapunkt setzen und aufzeigen,<br />
was Stahlunternehmen<br />
konkret selbst tun könnten. „Unternehmen<br />
müssen Prozesse vom<br />
Kunden her denken“, so Thomas<br />
Rinn. Wie verändern sich die Bedürfnisse<br />
der Stahlkunden? Mehr<br />
Flexibilität, kleinere Losgrößen<br />
sowie die Individualisierung der<br />
Produkte seien nur einige Veränderungen,<br />
sagte Rinn. In welchen<br />
Branchen wird der Bedarf an Stahl<br />
in Zukunft voraussichtlich steigen<br />
und in welchen sinken? Wird es<br />
Qualitätsveränderungen geben?<br />
Weiterhin drängten durch die Digitalisierung<br />
zunehmend auch neue<br />
Unternehmen in die Schnittstelle<br />
zum Kunden.<br />
Thomas Rinn verwies auf eine<br />
Studie zur „Digitalen Transformation<br />
der Industrie“, die der BDI<br />
zusammen mit Roland Berger<br />
durchgeführt hat. Das Ergebnis<br />
sei ermutigend: Wenn die digitale<br />
Transformation in die richtigen<br />
Bahnen gelenkt werde, winke<br />
Deutschland ein enormes zusätzliches<br />
Wertschöpfungspotenzial.<br />
Insbesondere in der Stahlindustrie<br />
gebe es enorme Digitalisierungspotenziale.<br />
Denn ihre komplexe<br />
Wertschöpfungskette sei prädestiniert<br />
für eine Digitalisierung. In<br />
der Stahlindustrie passiere auch<br />
viel in dieser Richtung. Aber:<br />
„Oftmals fehlt ein strukturierter<br />
Umgang mit diesem Thema“, beschrieb<br />
Thomas Rinn seine Wahrnehmung.<br />
Um seine Einschätzung<br />
vor Ort direkt einmal zu untermauern,<br />
befragte er kurzerhand<br />
die Anwesenden. Das Ergebnis:<br />
Nur eine Handvoll Unternehmensvertreter<br />
gingen die digitalen Herausforderungen<br />
strategisch und<br />
geplant an.<br />
Natürlich sei die Zukunft<br />
schwierig vorhersehbar. Auch er<br />
habe keine Glaskugel. Dennoch ermutigte<br />
Thomas Rinn die Zuhörer,<br />
in Szenarien zu denken und es zu<br />
wagen, zehn bis fünfzehn Jahre in<br />
die Zukunft zu blicken, „um eine<br />
unsichere Zukunft mit hoher Sicherheit<br />
zu bestehen.“ Rinn empfahl<br />
den Unternehmensvertretern,<br />
zwei bis vier unterschiedliche<br />
Szenarien durchzuspielen und<br />
heraus zuarbeiten, was diese für<br />
den eigenen Entscheidungsrahmen<br />
bedeuteten. Digitalisierung<br />
sei nie nur ein IT-Thema, Digitalisierung<br />
müsse im Unternehmen<br />
zur Chefsache erklärt werden.<br />
„Denken Sie in Risiken. Machen Sie<br />
auch einmal einen Fehler. Wichtig<br />
ist: Fangen Sie einfach an.“ Denn<br />
allein schon die Beschäftigung mit<br />
dem Thema Industrie 4.0 und Digitalisierung<br />
gebe Sicherheit. Dem<br />
Einwand von Moderator Prof.<br />
Michael Süß, dass beispielsweise<br />
Shareholder und Aufsichtsrat<br />
einer solch langfristigen Planung<br />
oftmals eher skeptisch gegenüberstünden,<br />
widersprach Thomas<br />
Rinn und ermutigte zum Schluss<br />
noch einmal: Einfach anfangen.<br />
Das „Highlander-Prinzip“:<br />
Ein einziger Datenbestand<br />
schafft Klarheit<br />
Nach der Theorie ging es nun in<br />
die Praxis. Dipl.-Inform. Ulrich<br />
Schneppe, Leiter Informatik des<br />
Mittelbandspezialisten thyssenkrupp<br />
Hohenlimburg GmbH, ging<br />
in seinem Vortrag darauf ein, wie<br />
die Stahlindustrie den künftigen<br />
Businesanforderungen ihrer Kunden<br />
gerecht werden könne. Im Werk<br />
in Hagen, das zur thyssenkrupp<br />
Steel Europe AG gehört, werden<br />
über 200 Qualitäten für die Kaltwalz-<br />
und die Automobilindustrie<br />
produziert. Die thyssenkrupp-Strategie<br />
„Industrie 4.0“ umfasse drei<br />
wesentliche Elemente, erklärte<br />
Berater Thomas Rinn referierte über die Digitalisierung und<br />
den Einfluss auf die Wertschöpfungsketten<br />
Industrie-4.0-Pionier Ulrich Schneppe erklärte, wie die Stahlindustrie<br />
künftigen Businessanforderungen ihrer Kunden gerecht<br />
wird<br />
Ulrich Schneppe: Cross Factory<br />
Exchange – die Zusammenarbeit<br />
in unternehmensübergreifenden<br />
Wertschöpfungsketten −, Production<br />
Control − die Zusammenführung<br />
kaufmännischer, technischer und<br />
qualitativer Daten zu einer Einheit<br />
unter dem Aspekt der Konnektivität<br />
− sowie das Product Life Cycle Management.<br />
„Industrie 4.0 darf kein<br />
Hype sein, sondern muss belastbar<br />
werden. Denn der Kunde steht im<br />
Mittelpunkt“, betonte Schneppe.<br />
Qualität sei heute zwar notwendig,<br />
aber längst nicht mehr hinreichend,<br />
um am Markt bestehen zu<br />
können. Kleine Losgrößen, kurze<br />
Lieferzeiten und Liefertermintreue<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 51
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Industrie 4.0 − die Digitalisierung als Impulsgeber für Wachstum und Wandel<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
Cluster-Spezialist Günter Korder stellte Deutschlands<br />
Spitzencluster „it‘s OWL“ vor<br />
seien heutzutage gefragt. Dies könne<br />
nur im abgestimmten Dreiklang<br />
von Technologie, Mitarbeitern und<br />
IT gelingen, wobei die IT-Systeme<br />
stets den Geschäftsprozessen folgen<br />
müssten. Zudem seien heutzutage<br />
Mitarbeiter gefragt, die über Unternehmensgrenzen<br />
hinausdenken<br />
könnten. Industrie 4.0 stehe bei<br />
thyssenkrupp Hohenlimburg im<br />
Mittel- und Wirkungspunkt aller<br />
drei oben genannten Faktoren.<br />
Ulrich Schneppe erläuterte die<br />
Umsetzung von Industrie 4.0 im<br />
Warmwalzwerk in Hohenlimburg<br />
anhand einiger Beispiele.<br />
So können Kunden ihre Aufträge<br />
− mehr als 60 % sind Losgröße 1<br />
− inzwischen direkt in das hauseigene<br />
IT-System buchen. Innerhalb<br />
kürzester Zeit erhalten sie<br />
die Terminierung ihres Auftrages.<br />
Die Kunden können den Walzstart<br />
mit einem Vorlauf von 48 bis 72<br />
Stunden selbst bestimmen sowie<br />
Materialspezifikationen in einem<br />
bestimmten Umfang ändern. Die<br />
Terminierung gehe bis auf Einzelbrammenebene,<br />
so Schneppe. Bis<br />
zu acht Stunden vor Walzbeginn<br />
könne die Bramme umgewidmet<br />
und neu zugeordnet werden. Man<br />
selbst habe wiederum die Möglichkeit,<br />
die Stranggießanlage des Vorlieferanten<br />
HKM vollumfänglich<br />
anzusteuern. „Wir geben gießfertige<br />
Sequenzen an HKM.“ Um auf<br />
den immer wichtiger werdenden<br />
Aspekt der Mobilität zu reagieren,<br />
gebe es seit Neuestem eine App für<br />
Smartphones, über die der Kunde<br />
unter anderem „Bestellungen mit<br />
einem Click“ aufgeben könne, so<br />
Schneppe. Der Datenbestand laufe<br />
bei thyssenkrupp Hohenlimburg<br />
inzwischen in einem einzigen<br />
SAP-basierten System zusammen.<br />
Nachdem man im eigenen<br />
Hause die „Herausforderung“<br />
mit Mehrfachdatenbeständen gemacht<br />
habe, verfolge man heute<br />
das „Highlander-Prinzip“: „Es kann<br />
nur einen geben.“ Man müsse die<br />
Informatik nutzen, um neue Wege<br />
zu gehen. Neue Geschäftsprozesse<br />
auf Basis neuer Technologien führten<br />
schließlich auch zu neuen Geschäftsmodellen,<br />
schloss Schneppe<br />
seinen Vortrag.<br />
Gemeinsam sind wir stark:<br />
Technologienetzwerke<br />
erfolgreich nutzen<br />
Als Schlussredner stellte Günter<br />
Korder Deutschlands Spitzencluster<br />
und Technologienetzwerk „it’s<br />
OWL“ vor und verriet, welche Zutaten<br />
den Erfolg dieses Clusters<br />
begründen. Korder ist Geschäftsführer<br />
Operations der it’s OWL<br />
Clustermanagement GmbH in<br />
Paderborn. „It’s OWL“ stehe für<br />
„Intelligente Technische Systeme<br />
OstWestfalen Lippe“, lüftete Korder<br />
das Geheimnis. Das Technologienetzwerk<br />
„it‘s OWL“ wurde<br />
2012 vom Bundesministerium für<br />
Bildung und Forschung (BMBF) als<br />
Spitzencluster ausgezeichnet. „It‘s<br />
OWL“ sei der einzige Cluster im<br />
Bereich „Old Economy“ in Deutschland.<br />
Ein starker Mittelstand sowie<br />
leistungsfähige Universitäten und<br />
Forschungseinrichtungen prägten<br />
diesen Landstrich. Ziel des Clusters<br />
sei es, Innovationssprünge zu<br />
initiieren und Innovation, Wertschöpfung<br />
und Beschäftigung in<br />
den stark vertretenen Branchen<br />
Maschinenbau, Elektro- und<br />
Elektronikindustrie sowie der<br />
Automobilindustrie langfristig sicherzustellen.<br />
Der Cluster ist mit<br />
100 Mio. € ausgestattet – mit rd.<br />
60 Mio. € beteiligen sich die ostwestfälischen<br />
Unternehmen. Ziel<br />
sei es, eine Technologieplattform<br />
für kleine und mittelständische<br />
Unternehmen zu bieten und somit<br />
eine Stärkung der gesamten<br />
Wertschöpfungskette zu erreichen.<br />
Was sind Themen und Problemfelder,<br />
die Unternehmen in<br />
der Region perspektiv beschäftigen?<br />
Wo macht es Sinn, Lösungen<br />
im Cluster zu erarbeiten und sie<br />
anschließend allen Unternehmen<br />
zur Verfügung zu stellen?<br />
Mehr als 30 Innovationsprojekte,<br />
fünf Querschnittsprojekte und<br />
acht Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit<br />
seien so in den vergangenen<br />
Jahren im Cluster erarbeitet<br />
worden. „Wir ziehen wichtige Projekte<br />
quasi vor die Klammer und erarbeiten<br />
generelle Lösungen − und<br />
zwar nur Lösungen für solche Probleme,<br />
die auch existieren“, erklärte<br />
Günter Korder. So seien sämtliche<br />
Innovationsprojekte industriegeführt<br />
– ob die intelligente Diagnoseplattform<br />
zur Erkennung<br />
von Prozessanomalien in Produktionslinien<br />
oder die automatische<br />
Konfiguration verteilter Druckluftsysteme.<br />
Alle Beteiligten profitierten<br />
vom Cluster – Wissenschaft,<br />
Unternehmen und der Cluster gleichermaßen.<br />
Ziel von „it’s OWL“ sei<br />
es, eine Spitzenposition im Bereich<br />
intelligenter technischer Systeme<br />
zu erreichen. Die bisher erreichten<br />
Teilziele könnten sich sehen<br />
lassen: 120 erfolgreiche Transferprojekte,<br />
6 500 neue Arbeitsplätze<br />
und 30 neue Unternehmen in der<br />
Region. Die Vernetzung mit anderen<br />
deutschen Spitzenclustern sowie<br />
internationale Kooperationen<br />
unterstützten die Strategie, der<br />
Region Ostwestfalen-Lippe eine<br />
globale Spitzenposition zu sichern.<br />
„Die Region nimmt inzwischen die<br />
Rolle eines Enablers für Industrie<br />
4.0 ein.“ Die nationale und internationale<br />
Wahrnehmung für die<br />
Region und die dort vorhandenen<br />
Kompetenzen sei deutlich gestiegen.<br />
„Wenn man will, dass etwas<br />
passiert, muss man es halt einfach<br />
tun“, so die Empfehlung von Günter<br />
Korder. Eine starke Kooperationskultur<br />
sei die beste Basis.<br />
Karin Hardtke, Freie Journalistin,<br />
Ratingen.<br />
52<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Grenzen und Wege der Flexibilität bei der Eisen- und Stahlerzeugung<br />
Flexibilität bei der Eisen- und<br />
Stahlherstellung zur Minderung<br />
von CO 2<br />
und Effizienzsteigerung<br />
Zur Erfüllung der klimapolitischen Vorgaben in Europa geht die Stahlindustrie sowohl<br />
bei den Herstellungsprozessen als auch bei den Prozessgasen alternative Wege für einen<br />
wesentlichen Beitrag zur Effizienzsteigerung und Emissionsminderung. Allerdings<br />
sind massive Verringerungen beim Energieverbrauch und der CO 2<br />
-Emissionen bei<br />
den in Europa betriebenen hocheffizienten Anlagen und Verfahren zur Eisen- und<br />
Stahlerzeugung zurzeit nicht zu erwarten. Eine nachhaltige Absenkung der CO 2<br />
-<br />
Emissionen bei der Stahlherstellung der integrierten Route lässt sich möglicherweise<br />
durch Nutzen der Hüttengase für die Produktion chemischer Produkte erreichen. Dies<br />
erfolgt in enger Zusammenarbeit von Stahlindustrie und Partnern in den Projekten<br />
Carbon2Chem und Steelanol. Bei der Stahlherstellung über die Primärroute werden<br />
die Direktreduktion von Eisenerzen mit Erdgas und der Einsatz des produzierten<br />
direktreduzierten Eisens im Hochofen beschrieben. Damit kann der Verbrauch an<br />
kohlenstoffintensiven Reduktionsmitteln im Hochofen gesenkt werden. Bei der<br />
Sekundärroute der Stahlerzeugung auf Schrottbasis wird der Elektrolichtbogenofen<br />
immer weiter optimiert.<br />
Hans Bodo Lüngen<br />
und Marten Sprecher<br />
Foto: voestalpine<br />
D<br />
as Motto der Jahresveranstaltung<br />
lautet<br />
„Orientierung in unsicheren<br />
Zeiten“, in<br />
denen sich die Stahlindustrie<br />
Deutschlands und Europas<br />
zweifellos befindet. Politische<br />
Rand- und Rahmenbedingungen<br />
sowie insbesondere der Klimaschutz<br />
spielen dabei eine zentrale<br />
Rolle. Orientierung beinhaltet die<br />
Diskussion über technische Möglichkeiten<br />
bestehender Verfahrensrouten,<br />
die Forschungs- und Entwicklungsarbeit<br />
an veränderten<br />
oder neuen Lösungen in gleicher<br />
Weise wie die Diskussion der politischen<br />
Rand- und Rahmenbedin-<br />
Direktreduktionsanlage<br />
der voestalpine in<br />
Corpus Christi, Texas,<br />
USA<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 53
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Grenzen und Wege der Flexibilität bei der Eisen- und Stahlerzeugung<br />
Dr.-Ing. Dietmar Ringel, Vorsitzender des Stahldialogs<br />
„Grenzen und Wege der Flexibilität bei der Eisen- und<br />
Stahlerzeugung“<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
gungen, die dafür erforderlich<br />
sind. Die Stahlindustrie bekennt<br />
sich eindeutig zum Klimaschutz.<br />
„In der modernen Industriegesellschaft<br />
ist Stahl aufgrund seines<br />
breiten Spektrums gezielt einstellbarer<br />
Eigenschaften, seines günstigen<br />
Preis-Leistungs-Verhältnisses<br />
sowie seiner guten Recyclingmöglichkeiten<br />
der Basiswerkstoff für<br />
eine nachhaltige Entwicklung<br />
der Gesellschaft. Wir in Europa<br />
müssen alles daransetzen, uns<br />
eine moderne, konkurrenzfähige,<br />
vollständige Wertschöpfungskette<br />
Stahl zu erhalten. Für eine<br />
nachhaltige Entwicklung unserer<br />
Gesellschaft ist der Werkstoff Stahl<br />
unverzichtbar“, so der Vorsitzende<br />
des Stahldialoges „Grenzen und<br />
„Wir brauchen politische Rahmenbedingungen,<br />
die es der Stahlindustrie in<br />
Deutschland und Europa ermöglichen,<br />
ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten<br />
und ihr weder die Innovations- und<br />
Investitionskraft entziehen noch die<br />
Möglichkeit nehmen, wirtschaftlich und<br />
wettbewerbsfähig Stahl zu erzeugen“<br />
Dr.-Ing. Dietmar Ringel, Vorsitzender des Vorstandes,<br />
ArcelorMittal Bremen GmbH<br />
Wege der Flexibilität bei der Eisen-<br />
und Stahlerzeugung“, Dr.-Ing.<br />
Dietmar Ringel, Vorsitzender des<br />
Vorstandes, ArcelorMittal Bremen<br />
GmbH.<br />
Die dominante Verfahrensroute<br />
zur Herstellung von Stahl in Europa<br />
ist die Roheisenerzeugung<br />
im Hochofen und das anschließende<br />
Frischen des Roheisens zu<br />
Rohstahl im Sauerstoffkonverter.<br />
Die Erzeugung von festem Eisenschwamm,<br />
auch als DRI (Direct<br />
Reduced Iron) bezeichnet, und<br />
Schmelzen des DRI im Elektrolichtbogenofen<br />
erfolgt in einer Anlage<br />
in Deutschland. Bei diesen Routen<br />
werden als metallische Einsatzstoffe<br />
Eisenerze eingesetzt, denen mit<br />
den Reduktionsmitteln CO und H 2<br />
der Sauerstoff entzogen wird.<br />
Die in den Prozessen Kokerei,<br />
Hochofen und Konverter eines integrierten<br />
Hüttenwerkes zwangsläufig<br />
entstehenden Kuppelgase<br />
werden heute effizient und intelligent<br />
in den unterschiedlichen<br />
Fertigungsstufen und zur Eigenstromerzeugung<br />
genutzt. Integrierte<br />
Hüttenwerke sind auf dieser<br />
Basis hinsichtlich der Strom- und<br />
Energieversorgung weitestgehend<br />
autark. Dabei entstehen zwangsläufig<br />
CO 2<br />
-Emissionen.<br />
Die Reduktionsmitteleinsätze<br />
der deutschen Hochöfen seit 1945<br />
sind durch zahlreiche unterschiedlichste<br />
Maßnahmen von 1 000 kg/t<br />
Roheisen Anfang der 1950er-Jahre<br />
bis zu Beginn der 1990er-Jahre auf<br />
unter 500 kg/t RE verringert worden.<br />
Die Verbrauchszahlen bestätigen,<br />
dass in den letzten Jahren<br />
trotz erheblicher Bemühungen der<br />
Betreiber kein weiterer Fortschritt<br />
mehr erzielt werden konnte. Diese<br />
Entwicklung bei technischen<br />
Vorgängen ist durchaus plausibel:<br />
Der Prozess wird so lange<br />
optimiert, bis sich die Reaktionen<br />
zunehmend thermodynamischen<br />
und chemischen Gleichgewichten<br />
nähern.<br />
Der Hochofenprozess läuft in<br />
Deutschland und Europa mit einem<br />
„Wirkungsgrad“ von rd. 93 %;<br />
das heißt, der Prozess hat bis auf einen<br />
7 %igen Abstand den Gleichgewichtszustand<br />
erreicht. Eine weitere<br />
Annäherung an Gleichgewichte<br />
ist nicht möglich. Und trotzdem<br />
wird in Europa und insbesondere<br />
in Deutschland von den politisch<br />
handelnden Personen angestrebt,<br />
die Hochofenbetreiber weiter zu<br />
pönalisieren. Es wird eine Hürde<br />
aufgestellt, die allein aus den bestehenden<br />
Naturgesetzen heraus<br />
nicht übersprungen werden kann.<br />
Eine Vielzahl technischer Einzelmaßnahmen<br />
hat beim Elektrolichtbogenofen<br />
in den vergangenen<br />
Jahrzehnten dazu geführt,<br />
dass die Effizienz der Elektrostahlerzeugung<br />
entscheidend verbessert<br />
wurde. Es konnte an einzelnen<br />
Anlagen der Stromverbrauch<br />
um 45 %, die Zeit zwischen zwei<br />
Abstichen um 78 % und der Verbrauch<br />
an Elektroden um 83 %<br />
reduziert werden. Dies ist nur ein<br />
weiteres Beispiel für den hohen<br />
Stand der Effizienz bei der Stahlerzeugung.<br />
Strukturelle Veränderungen in<br />
der Stahlerzeugung, energiewirtschaftliche,<br />
verfahrens- und anlagentechnische<br />
Optimierungen<br />
und Innovationen am Beispiel der<br />
deutschen Stahlindustrie führten<br />
in den letzten Jahrzehnten zu drastischen<br />
Minderungen des spezifischen<br />
Primärenergiebedarfs und<br />
der spezifischen CO 2<br />
-Emissionen.<br />
Allein seit 1990 konnte der Primärenergiebedarf<br />
um 13 % und der<br />
CO 2<br />
-Ausstoß um 12,4 Mio. t/a<br />
gesenkt werden. Das entspricht<br />
einem Äquivalent von 4,9 Mio.<br />
Fahrzeugen der Mittelklasse.<br />
54<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Dass die Fortschritte bei der<br />
Minderung des Energieverbrauchs<br />
besonders in den letzten Jahren vergleichsweise<br />
gering sind, ist beispielsweise<br />
auf die Verschlechterung der<br />
Einsatzstoffqualität zurückzuführen.<br />
Auch die gestiegenen Anforderungen<br />
an die Qualität der Produkte und<br />
die zunehmende Verarbeitungstiefe<br />
sowie die Maßnahmen zum Umweltschutz,<br />
wie z. B. hocheffiziente<br />
Filteranlagen, schlagen sich im Energieverbrauch<br />
nieder.<br />
Die Stahlindustrie bekennt sich<br />
seit Langem zum Klimaschutz. Es<br />
wurde und wird an Techniken zur<br />
Verminderung der CO 2<br />
-Emissionen<br />
bei der Stahlerzeugung gearbeitet.<br />
Einige Beispiele:<br />
▷▷<br />
Das ULCOS-Projekt<br />
▷▷<br />
HIsarna-Schmelzreduktionsverfahren,<br />
an dem in Pilotversuchen<br />
gearbeitet wird<br />
▷▷<br />
Direktreduktion von Eisenerzen<br />
mit Erdgas im Schachtofenverfahren,<br />
das sich in Ländern<br />
mit preiswertem Erdgas<br />
durchgesetzt hat und dessen<br />
Wirtschaftlichkeit auch bei uns<br />
intensiv diskutiert wird<br />
▷▷<br />
Auf der Prozessseite die Entwicklung<br />
Direktreduktion mit<br />
reinem Wasserstoff.<br />
Ein weiterer Eckpfeiler ist die Nutzung<br />
des entstehenden CO 2<br />
zur<br />
Herstellung wertvoller Rohstoffe.<br />
Beispiele dafür sind Carbon2Chem<br />
und Steelanol.<br />
Anhand dieser wenigen Beispiele<br />
wird sowohl der hohe technische<br />
Stand der Verfahren als<br />
auch das klare Bekenntnis der<br />
Stahlindustrie zum Klimaschutz<br />
im Sinne nachhaltiger Arbeit an<br />
Techniken zur Verringerung der<br />
CO 2<br />
-Emissionen deutlich. Für die<br />
entsprechende Forschung und Entwicklung<br />
sind enorme Kapitalaufwendungen<br />
erforderlich, die durch<br />
politische Rahmenbedingungen<br />
und Auflagen nicht aufgezehrt<br />
werden dürfen. Notwendige öffentliche<br />
Förderung ist dabei ein<br />
weiteres wichtiges Element.<br />
Damit schließt sich der Kreis<br />
zu den politischen Rand- und<br />
Rahmenbedingungen, die uns<br />
nicht den „Boden unter den Füßen“<br />
wegziehen dürfen. Das Abkommen<br />
von Paris ist ein Erfolg.<br />
Die positiven Elemente dürfen<br />
jedoch nicht darüber hinwegtäuschen,<br />
dass für die Stahlindustrie<br />
in Deutschland und Europa eine<br />
entscheidende Aufgabenstellung<br />
ungelöst bleibt. Notwendige verbindliche<br />
und vergleichbare Ziele<br />
als Basis für reale und nachhaltige<br />
Verbesserungen und den Erhalt<br />
der Wettbewerbsfähigkeit wurden<br />
nicht festgelegt.<br />
Die EU-Kommission hat im<br />
vergangenen Juli einen Vorschlag<br />
für den Emissionsrechtehandel<br />
in der vierten Handelsperiode<br />
vorgelegt, der momentan intensiv<br />
beraten wird. Er sieht massive<br />
Verschärfungen vor: Die Zuteilungsbenchmarks<br />
sollen im Durchschnitt<br />
um 22 % bis zum Jahr 2030<br />
pauschal verringert werden. Hinzu<br />
kommt der sogenannte sektorübergreifende<br />
Korrekturfaktor. Die<br />
EU-Kommission hat sich damit von<br />
ihren guten Vorsätzen, Wachstum,<br />
Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit<br />
zu unterstützen, weit<br />
entfernt.<br />
Schon heute liegt die Zuteilung<br />
der Stahlindustrie weit unterhalb<br />
des erreichbaren Minimums der<br />
Anlagen. Die EU-Kommission will<br />
nicht akzeptieren, dass etwa die<br />
Verwertung von Kuppelgasen zur<br />
Eigenstromerzeugung untrennbar<br />
mit dem Stahlerzeugungsprozess<br />
verbunden ist und daher<br />
eine volle Zuteilung benötigt. Die<br />
Benchmarks für die Zuteilung<br />
von CO 2<br />
-Rechten müssen aber<br />
wirtschaftlich und technisch erreichbar<br />
sein, sie müssen sich<br />
deshalb an den Emissionen der<br />
effizientesten Anlagen bemessen.<br />
Den Unternehmen darf durch politische<br />
finanzielle Belastungen aus<br />
dem Emissionsrechtehandel nicht<br />
Substanz für weitere Entwicklung<br />
genommen werden.<br />
Chemische Verwertung<br />
von Hüttengasen<br />
„Bei thyssenkrupp haben wir<br />
uns mit der Frage befasst, welchen<br />
wirtschaftlichen Weg zur<br />
CO 2<br />
-Minderung die Industrie bei<br />
der Stahlherstellung unter den<br />
Dr.-Ing. Reinhold Achatz, Experte für die chemische<br />
Verwertung von Hüttengasen<br />
gegebenen Randbedingungen gehen<br />
kann. Wenn Umweltfreundlichkeit<br />
unwirtschaftlich ist, kann<br />
kein Unternehmen überleben und<br />
innovative Verfahren setzen sich<br />
nicht durch“, sagt Dr.-Ing. Reinhold<br />
Achatz, Head of Corporate<br />
Function Technology, Innovation<br />
& Sustainability von thyssenkrupp<br />
in Essen, bei der Einführung zu<br />
seinem Vortrag.<br />
Deutschland befindet sich<br />
mitten in der Energiewende. Der<br />
Anteil grüner Energien liegt mittlerweile<br />
bei 32 %, ein Wert, der<br />
lange Zeit als unerreichbar galt.<br />
In Deutschland und Europa wird<br />
zur Lösung des CO 2<br />
-Problems von<br />
Dekarbonisierung gesprochen. Der<br />
Begriff Dekarbonisierung ist aber<br />
zumindest unpräzise, da ohne<br />
Kohlenstoff Leben nicht möglich<br />
ist und alle Gebrauchsgüter des<br />
täglichen Lebens einen gewissen<br />
Anteil an Kohlenstoff haben. Über<br />
viele Millionen Jahre haben sich<br />
natürliche Rohstoffe wie Öl, Gas<br />
und Kohle aufgebaut, die in den<br />
letzten 150 Jahren in extrem kurzer<br />
Zeit genutzt bzw. verbrannt<br />
wurden. Dadurch entstand ein<br />
Ungleichgewicht, das nur wieder<br />
ausgeglichen werden kann, wenn<br />
genau so viel CO 2<br />
umgewandelt<br />
wie erzeugt wird.<br />
Bei den Verfahren der Stahlerzeugung<br />
sind die Optimierungen<br />
weitgehend ausgeschöpft. Das<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 55
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Grenzen und Wege der Flexibilität bei der Eisen- und Stahlerzeugung<br />
Ziel war es, ein neues Verfahren<br />
zu entwickeln, das wirtschaftlich<br />
und sozial akzeptiert wird. Hierzu<br />
wurden die Systemgrenzen neu definiert<br />
und branchenübergreifende<br />
Lösungen gewählt. Dies war die<br />
Geburt von „Carbon2Chem“. Es<br />
ist ein Fehler, zu glauben und zu<br />
erklären, CO 2<br />
sei ein Abfallstoff.<br />
CO 2<br />
ist vielmehr eine wertvolle<br />
Ressource für neue Produkte.<br />
Die Hüttengase eines integrierten<br />
Hüttenwerkes bestehen aus<br />
43 % Stickstoff, 25 % Kohlenmonoxid,<br />
21 % Kohlendioxid sowie 8 %<br />
Wasserstoff und kleinen Mengen<br />
Methan. Diese Hüttengase können<br />
zur Energie-und zur Stromerzeugung<br />
genutzt werden, was heute<br />
gängige Praxis ist. Dabei entsteht<br />
zwangsläufig CO 2<br />
, das in die Atmosphäre<br />
gelangt. Man kann allerdings<br />
die Hüttengase auch in<br />
Kooperation zwischen den Branchen<br />
Stahl, Chemie und Energie<br />
als Rohstoff nutzen. Hierfür wird<br />
aber weiterer Wasserstoff benötigt,<br />
der über die Elektrolyse von Wasser<br />
gewonnen werden soll. Der erforderliche<br />
elektrische Strom muss<br />
natürlich mit grüner Energie erzeugt<br />
werden. Andernfalls wäre der<br />
CO 2<br />
-Footprint des erzeugten Wasserstoffes<br />
so hoch, dass es zu keiner<br />
CO 2<br />
-Reduzierung kommen würde.<br />
Eine weitere Voraussetzung für die<br />
Machbarkeit dieses Projektes ist die<br />
Notwendigkeit einer branchenübergreifenden<br />
digitalen Steuerung. Mit<br />
Ir. Carl de Maré, Fachmann für Kohlenstoffabscheidung und<br />
Wiederverwendung bei der Stahlerzeugung<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
entsprechenden Softwaresystemen<br />
können die verschiedenen Technologien<br />
so geregelt werden, dass das<br />
ganzheitliche Systemoptimum besser<br />
als die Summe der Einzeloptima<br />
der beteiligten Branchen ist.<br />
Die chemischen Grundlagen<br />
sind seit mehr als 100 Jahren<br />
bekannt. Es stellt sich die Frage,<br />
was zusätzlich verändert werden<br />
muss: Zum einen sind Hüttengase<br />
Gasgemische, die gereinigt werden<br />
müssen. Zum anderen sind Katalysatoren<br />
sehr empfindlich bei<br />
Verunreinigungen. Es müssen robustere<br />
Katalysatoren entwickelt<br />
werden. Beim Einsatz von grünem<br />
Strom, der volatil anfällt, müssen<br />
die Anlagen entsprechend flexibel<br />
betrieben werden können.<br />
Neben der Erzeugung von Energie<br />
und Strom aus den Hüttengasen<br />
(Koksofengas, Hoch ofengas<br />
und Konvertergas), wobei CO 2<br />
emittiert wird, sollen bei Carbon-<br />
2Chem Methanol, synthetischer<br />
Alkohol, Düngemittel und Polymere<br />
erzeugt werden, wobei kein<br />
CO 2<br />
emittiert wird. Man wird zwischen<br />
der Nutzung der Gase im<br />
Kraftwerk und als Chemierohstoff<br />
je nach Verfügbarkeit an grünem<br />
Strom wechseln. Hierfür muss ein<br />
Energiesystem vorhanden sein,<br />
das die Verfügbarkeit an Strom<br />
mit einer Woche Vorlaufzeit vorhersagt.<br />
Das Projekt „Carbon2Chem“<br />
besteht aus den Teilprojekten<br />
Wasserstofferzeugung (thyssenkrupp),<br />
Methanolerzeugung (AkzoNobel),<br />
Gasreinigung (Linde),<br />
Alkohole (Evonik), Polymere (covestro)<br />
und Oxymethylenether<br />
(BASF). Die Gesamtprojektleitung<br />
hat thyssenkrupp zusammen<br />
mit dem Max Planck Institut für<br />
Energiekonversion (MPI-CEC) und<br />
Fraunhofer UMSICHT.<br />
Im März <strong>2016</strong> wurde mit einem<br />
anwendungsnahen Forschungsprojekt<br />
begonnen. thyssenkrupp<br />
investiert über 34 Mio. € in<br />
Duisburg in den Bau eines Technikums.<br />
Hinzu kommen rd.<br />
10 Mio. € aus der Fördersumme von<br />
insgesamt 60 Mio. €, mit der das<br />
Bundesministerium für Bildung<br />
und Forschung das Gesamtprojekt<br />
fördert. Der erste Spatenstich<br />
erfolgte Anfang November <strong>2016</strong>.<br />
Carbon2Chem hat einen Etat von<br />
120 Mio. €, wobei thyssenkrupp<br />
mit 60 Mio. € Projektkosten den<br />
größten Anteil trägt.<br />
Die Forschungsarbeiten zu dem<br />
Projekt werden voraussichtlich<br />
zehn Jahre in Anspruch nehmen.<br />
Eine industrielle Umsetzung wird<br />
erst nach 2030 möglich sein, da der<br />
Bau einer Anlage nach erfolgreichem<br />
Abschluss der Forschungsarbeiten<br />
mit allen Genehmigungen<br />
mindestens weitere acht Jahre<br />
dauern wird. Um solche Projekte<br />
zu finanzieren, muss die Stahlindustrie<br />
auch Geld verdienen und<br />
darf nicht mit entsprechenden<br />
CO 2<br />
-Abgaben belastet werden.<br />
Kohlenstoffabscheidung<br />
und Wiederverwendung<br />
bei der Stahlerzeugung<br />
„CCU (Carbon Capture and Usage)<br />
ist das Kernthema des Projektes<br />
Steelanol“, so Ir. Carl de Maré,<br />
Head of Technology Strategy,<br />
Group CTO, ArcelorMittal Group<br />
Luxembourg. ArcelorMittal erzeugt<br />
weltweit 93 Mio. t Rohstahl<br />
pro Jahr. Dabei werden 207 Mio. t<br />
CO 2<br />
emittiert. Für ArcelorMittal ist<br />
die Verminderung dieser Emissionen<br />
ein Schlüsselthema und eine<br />
Herausforderung. Die Gesellschaft<br />
verbindet Stahl direkt mit<br />
CO 2<br />
-Emissionen. Dabei hat die<br />
Stahlerzeugung an den gesamten<br />
weltweiten CO 2<br />
-Emissionen nur einen<br />
Anteil von 6 %. Im Sinne von<br />
„Life Cycle Analysis“ (LCA) muss erwähnt<br />
werden, dass diese 6 % vom<br />
Stahl bei der Wiederverwendung<br />
des Stahls als Schrott weitgehend<br />
CO 2<br />
-neutral sind, und das macht<br />
Stahl so einzigartig. Stahl hat in<br />
seinem Lebenszyklus im Vergleich<br />
zu allen produzierten Materialien<br />
und Werkstoffen die geringsten<br />
CO 2<br />
-Emissionen. Milch hat z. B.<br />
spezifisch 50 % höhere CO 2<br />
-Emissionen<br />
als Stahl.<br />
Kurzfristig gibt es keine Alternative<br />
zum Stahl und man wird<br />
weiterhin auch auf den Einsatz<br />
von Kohlenstoff für die Stahlerzeugung<br />
angewiesen sein. Eine<br />
56<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Ablösung der Kohlenstoffmetallurgie<br />
durch Wasserstoffmetallurgie<br />
bedeutet auch eine Verdoppelung<br />
des Primärenergiebedarfes. Auch<br />
müsste für solch ein Szenario eine<br />
Überkapazität an grüner Energieerzeugung<br />
vorhanden sein.<br />
Elektrische Energie, erzeugt mit<br />
dem CO-Anteil des Hochofengases,<br />
hat eine hohe CO 2<br />
-Intensität. Die<br />
Nutzung des Gases, anstatt es abzufackeln,<br />
ist ökonomisch wertvoll.<br />
Wenn allerdings auf dem Markt<br />
elektrische Energie mit einer CO 2<br />
-<br />
Last von 0,1 t CO 2<br />
/MWh verfügbar<br />
ist und elektrische Energie aus<br />
Hochofengas eine CO 2<br />
-Last von<br />
1,7 t CO 2<br />
/MWh aufweist, dann<br />
muss man das CO des Hochofengases<br />
anders nutzen. Eine Lösung<br />
ist CCUS (Carbon Capture, Use<br />
and Storage). Allgemein werden<br />
Befürworter von CCUS als Träumer<br />
kritisiert, weil die Techniken<br />
als nicht realistisch und zu teuer<br />
gewertet werden.<br />
ArcelorMittal war auf der Suche<br />
nach einer kurzfristigen Lösung und<br />
begann mit der Biotechnologie. Die<br />
Natur der katalytischen Chemie ist<br />
das Recycling von Kohlenmon oxid<br />
in Ethanol, wie es schon seit Millionen<br />
Jahren erfolgt, vergleichbar<br />
mit der Umwandlung von Zucker<br />
und Sauerstoff beim Menschen in<br />
Energie für die Muskeln.<br />
In Zusammenarbeit mit Lanzatech<br />
wurde die Gasfermentation<br />
von Hochofengas mit Mikroben in<br />
Ethanol erfolgreich demonstriert.<br />
Lanzatech wurde 2005 gegründet.<br />
Die Technologie wurde zunächst<br />
im Labor entwickelt, 2008 in einem<br />
kleinen Stahlwerk in Neuseeland<br />
und ab 2008 in verschiedenen<br />
größeren Pilotanlagen getestet.<br />
ArcelorMittal baut derzeit mit<br />
Lanzatech eine industrielle Anlage<br />
zur Erzeugung von Ethanol aus<br />
Hochofengas in Gent. Das Projekt<br />
wird mit 10 Mio. € von der EU<br />
gefördert. Weitere Projektpartner<br />
sind Primetals und E4tech.<br />
Die Anlagengröße ist noch<br />
moderat. Aus 100 000 m 3 (S.T.P.)/h<br />
Hochofengas, aus dem das CO 2<br />
ausgewaschen<br />
wird, werden mit dem<br />
CO des Gases, Mikroben und Wasser<br />
8 t/h Ethanol oder 80 Mio. l/a<br />
erzeugt. Das Hochofengas muss<br />
nicht gereinigt werden. Die Mikroben<br />
können in der Atmosphäre<br />
des Hochofengases überleben. Der<br />
Nachteil von Biotech ist der Aufwand<br />
für die Wasseraufbereitungsanlage.<br />
Die Mikroben leben in dem<br />
Wasser mit einer Temperatur von<br />
37 °C. Das Ethanol muss aus dem<br />
Wasser ausdestilliert werden, was<br />
einen hohen Kapitalaufwand erfordert.<br />
Das Projekt begann im<br />
Herbst 2015 und das Engineering<br />
ist weitgehend abgeschlossen. Die<br />
Anlage wird in den nächsten Wochen<br />
bestellt, sobald von der EU<br />
der Status des erzeugten Kraftstoffs<br />
anerkannt ist.<br />
Die Wirtschaftlichkeit des Projektes<br />
ist eng mit dem Markt für<br />
Ethanol in Europa verbunden. Zur<br />
Erfüllung der Ziele für erneuerbare<br />
Energien besteht der Bedarf an<br />
7 Mrd. l Ethanol, die nicht aus der<br />
Lebensmittelindustrie stammen.<br />
Die Umwandlung des CO der<br />
Gase der EU-Stahlindustrie wird<br />
den Markt für Biokraftstoffe nicht<br />
beeinträchtigen. Steelanol hat eine<br />
sehr gute Life Cycle Analysis und<br />
liefert einen großen Beitrag zur<br />
Energieeffizinz im Vergleich zur<br />
Nutzung des Hochofengases für die<br />
Stromerzeugung. Bei der geplanten<br />
industriellen Demonstrationsanlage<br />
in Gent werden jährlich 150 000 t<br />
CO 2<br />
-Emission vermieden. Nach der<br />
Erstinvestition werden 80 Mio. l<br />
Ethanol erzeugt; das entspricht<br />
einer CO 2<br />
-Einsparung äquivalent<br />
zu der von 100 000 auf dem Markt<br />
eingeführten Elektroautos.<br />
Direktreduktion als<br />
Brückentechnologie zur<br />
Entkarbonisierung der<br />
integrierten<br />
Stahlherstellung<br />
„Wir haben bei den bestehenden<br />
Prozessen der Eisen- und Stahlerzeugung<br />
ein Potenzial für den<br />
Einsatz von Wasserstoff von 10 %<br />
bei der klassischen Hochofen-Konverter-Route<br />
bis zu 100 % bei der<br />
Direktreduktion“, so Dipl.-Ing.<br />
Thomas Bürgler, Leiter Forschung<br />
und Entwicklung Roheisen,<br />
voestalpine Stahl GmbH, Linz, Österreich,<br />
bei der Einführung zu seinem<br />
Vortrag. Es gab schon Direktreduktionsverfahren,<br />
die mit 100 %<br />
Wasserstoff gearbeitet haben. Diese<br />
haben sich aber nicht durchgesetzt,<br />
nicht zuletzt aus wirtschaftlichen<br />
Gründen. Aber grundsätzlich hat<br />
die Direktreduktion von Eisenerzen<br />
ein Potenzial für 100 % H 2<br />
-Einsatz<br />
als Reduktionsmittel für die Reduktion<br />
der Eisenerze. Direktreduktionsschachtöfen<br />
der betrieblichen<br />
Praxis arbeiten heute schon mit<br />
Wasserstoffanteilen im Reduktionsgas<br />
von über 60 %. Wenn Wasserstoff<br />
künftig in ausreichenden<br />
Mengen und zu wirtschaftlichen<br />
Konditionen verfügbar werden<br />
könnte, dürfte er eine bedeutendere<br />
Rolle für die Stahlerzeugung<br />
auf Basis Eisenerze spielen. Bei<br />
den heutigen Randbedingungen<br />
ist die Reduktion der Eisenerze<br />
mit Wasserstoff im Vergleich zum<br />
Kohlenstoff wirtschaftlich jedoch<br />
weder weltweit noch in Europa<br />
darstellbar.<br />
Vergleicht man die CO 2<br />
-Emissionen<br />
der integrierten Hochofen-Konverter-Route<br />
mit der Direktreduktion-Elektrolichtbogenofen-Route<br />
(DR/EAF) mit Schachtofen als Reduktionsaggregat<br />
und Heißeinsatz<br />
des DRI im EAF unter Annahme<br />
einer CO 2<br />
-Last des elektrischen<br />
Stroms von 200 g/kWh, so hat die<br />
DR/EAF-Route einen Vorteil von rd.<br />
35 %. Die CO 2<br />
-Emissionen bei der<br />
Dipl.-Ing. Thomas Bürgler, Experte für die Direktreduktion<br />
als Brückentechnologie zur Entkarbonisierung der<br />
integrierten Stahlherstellung<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 57
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Grenzen und Wege der Flexibilität bei der Eisen- und Stahlerzeugung<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Dr.-Ing. Henning Schliephake, Fachmann für Effizienzsteigerung<br />
in der Elektrostahlerzeugung<br />
Erzeugung des Direct Reduced Iron<br />
(DRI) kommen vom Kohlenstoffgehalt<br />
des Erdgases. Wenn es gelingt,<br />
das Erdgas bei der DRI-Erzeugung<br />
durch H 2<br />
zu ersetzen und Strom aus<br />
grünen Energien zu verwenden,<br />
dann könnte diese Route weitgehend<br />
CO 2<br />
-frei Stahl erzeugen. Das<br />
wird kurzfristig nicht möglich<br />
sein, längerfristig könnte aber<br />
der Weg in diese Richtung gehen.<br />
Kohlenstoff wird allerdings immer<br />
benötigt werden, allein schon als<br />
Legierungselement für die Stahlwerkstoffe.<br />
Das Thema CO 2<br />
-Minderung im<br />
Allgemeinen und H 2<br />
-Einsatz im<br />
Besonderen gewinnt vor allem aufgrund<br />
der angestrebten Entkarbonisierung<br />
sowohl auf globaler Ebene<br />
als auch in der EU zunehmend an<br />
Bedeutung.<br />
So sieht die „Klima-Roadmap“<br />
der EU-Kommission die Senkung<br />
der CO 2<br />
-Emissionen bis 2050 um<br />
über 80 % im Vergleich zu 1990<br />
vor. Unter Beibehaltung der heute<br />
betriebenen Verfahrensrouten wird<br />
man dieses Ziel nicht erreichen.<br />
Dafür sind Verfahrenswechsel von<br />
Kohlenstoffmetallurgie auf Wasserstoffmetallurgie<br />
und ein grundlegender<br />
Transfer der Energiesysteme<br />
erforderlich. Was dafür an Investitionsaufwand<br />
in die Energiewirtschaft<br />
und die Stahlerzeugungsanlagen<br />
fließen muss, lässt sich heute<br />
noch nicht seriös beziffern.<br />
voestalpine leistet mit dem<br />
Einsatz von Erdgas als Reduktionsmittel<br />
einen Beitrag zu<br />
einer CO 2<br />
-reduzierten Stahlerzeugung.<br />
Die neue DRI-Anlage<br />
in Corpus Christi, Texas, USA,<br />
ist eine Midrex-Schachtofenanlage<br />
mit einer Kapazität von<br />
2 Mio. t Hot Briquetted Iron (HBI)<br />
pro Jahr. HBI ist ein sehr flexibler<br />
Einsatzstoff. Man kann es in<br />
einem Elektrolichtbogenofen zu<br />
Rohstahl verarbeiten, im Hoch ofen<br />
einsetzen, wo es dazu beiträgt,<br />
die CO 2<br />
-Emission zu senken und<br />
die Leistung zu steigern, oder als<br />
Schrottersatz im Konverter für die<br />
Rohstahlerzeugung verwenden.<br />
Beim Einsatz von 100 kg HBI/t<br />
Roheisen (RE) im Hochofen werden<br />
rd. 30 kg Koksäquivalent/t RE eingespart<br />
und die Schmelzleistung<br />
steigt, weil im Reaktor mehr Prozessvolumen<br />
für Eisenträger ist.<br />
Der Einsatz von HBI im Hochofen<br />
muss immer wirtschaftlich bewertet<br />
werden. Nur wenn Roheisen<br />
im Werk eine knappe Ressource<br />
ist, macht der Einsatz von HBI im<br />
Hochofen zur Leistungssteigerung<br />
Sinn. Die klassische Hochofen-Konverter-Route<br />
ist in Europa derzeit<br />
noch die wirtschaftlichste Stahlerzeugungsroute<br />
auf Eisenerzbasis.<br />
Energetisch gibt es bei einem<br />
Vergleich von klassischer integrierter<br />
Route zu einem Verfahren mit<br />
HBI-Einsatz im Hochofenprozess<br />
keine Unterschiede, auch wenn<br />
man den Energieverbrauch für<br />
die HBI-Erzeugung berücksichtigt.<br />
Nach fünf Jahren Studien, Planung<br />
und Bau hat die Direktreduktionsanlage<br />
am 28 September<br />
<strong>2016</strong> das erste HBI erzeugt. Technologiepartner<br />
bei dem Projekt sind<br />
die Firmen Primetals, Midrex und<br />
Köppern. Die Schachtofenanlage<br />
ist mit einer Höhe von 137 m das<br />
höchste Bauwerk in Südtexas.<br />
Laufende FuE-Projekte für „grünen“<br />
Wasserstoff sollen langfristig<br />
eine CO 2<br />
-reduzierte Stahlerzeugung<br />
ermöglichen. Bei ausreichender<br />
Verfügbarkeit von „grünem“ Wasserstoff<br />
könnte dieser künftig zumindest<br />
teilweise als Reduktionsgas<br />
anstelle von Erdgas im Direktreduktionsprozess<br />
eingesetzt werden und<br />
so eine CO 2<br />
-reduzierte Herstellung<br />
von HBI und Stahl ermöglichen.<br />
Effizienzsteigerung in der<br />
Elektrostahlerzeugung<br />
„Eine erfolgreiche kontinuierliche<br />
Verbesserung von Prozessen hängt<br />
stets von motivierten Kolleginnen<br />
und Kollegen ab, die letztlich die<br />
Prozesse am besten kennen. Haben<br />
wir dieses Wissen ausreichend aktiv<br />
abgefragt bzw. haben wir die<br />
richtigen Fragen gestellt? Letztlich<br />
sind gerade Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter unsere wesentlichen<br />
Erfolgsgaranten und keine FTE,<br />
Full Time Equivalents, wie diese<br />
heute in der Beratersprache entpersonalisiert<br />
werden“, so Dr.-Ing.<br />
Henning Schliephake, Mitglied der<br />
Geschäftsführung, Georgsmarienhütte<br />
GmbH.<br />
In einer entwickelten Volkswirtschaft,<br />
die seit vielen Jahrzehnen<br />
die industrielle Wertschöpfung als<br />
Eckpfeiler für ihre wirtschaftliche<br />
Prosperität betrachtet, ergibt sich<br />
durch die große Verfügbarkeit von<br />
Schrotten, sei es als Neuschrott<br />
aus der Stahlverarbeitung oder<br />
als Altschrott aus Abrissen und<br />
Sammlungen, ein Verhältnis zwischen<br />
integrierter Stahlerzeugung<br />
und Elektrostahlerzeugung von<br />
etwa 2 : 1. Dieses Verhältnis zeigt<br />
sich sehr schön in der Verteilung<br />
der beiden Verfahrenswege in<br />
Deutschland. In einem Land, das<br />
erst vor gut 15 Jahren in die Massenstahlproduktion<br />
eingestiegen<br />
ist, wie es sich bei China als inzwischen<br />
weltgrößtem Stahlerzeuger<br />
darstellt, gibt es bei Weitem proportional<br />
noch nicht so viel Rücklaufschrotte<br />
wie in Deutschland.<br />
So beträgt im Reich der Mitte der<br />
Anteil der integrierten Stahlerzeugung<br />
in 2015 stolze 93,9 %. Der<br />
Rest wird in den Elektrolichtbogenöfen<br />
erschmolzen, wobei anzumerken<br />
ist, dass ein sehr großer<br />
Anteil dieser Öfen mit flüssigem<br />
Roheisen beschickt wird. In Summe<br />
ergibt sich weltweit ein Verhältnis<br />
von 75 zu 25 %. Europa<br />
als Ganzes zeichnet sich infolge<br />
der überproportional hohen Elektrostahlerzeugung<br />
in Italien und<br />
58<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Spanien (ca. 30 : 70) mit einem<br />
recht hohen Anteil von 39 %<br />
bei der Stahlerzeugung im Elektrolichtbogenofen<br />
aus.<br />
Aus den naturgemäß vorgegebenen<br />
thermodynamisch technischen<br />
Grundgesetzen weisen beide Verfahrenswege<br />
deutlich unterschiedliche<br />
CO 2<br />
-Emissionen aus. Bei der integrierten<br />
Produktion fallen 1 718 kg<br />
CO 2<br />
/t Rohstahl und bei der Elektrostahlerzeugung<br />
428 kg CO 2<br />
/t Rohstahl<br />
an. In Deutschland ergibt sich bei<br />
dem herrschenden Verhältnis beider<br />
Prozessrouten nach sechsmaligem<br />
Recycling eines Stahlvolumens<br />
eine CO 2<br />
-Emission von ca. 1 000 kg<br />
CO 2<br />
/t Rohstahl. Deutschland hat<br />
es gut gegenüber China, das noch<br />
lange mit dem aktuellen Prozessverhältnis<br />
leben muss, d. h., dass<br />
es noch längerfristig mit einer<br />
CO 2<br />
-Emission von gut 1 700 kg/t<br />
Rohstahl leben muss. Eine Aufgabe<br />
der Stahlerzeugung in Deutschland<br />
und Verlagerung nach China<br />
erscheint daher auch im Weltmaßstab<br />
umweltpolitisch wenig sinnvoll<br />
zu sein.<br />
Seit Mitte der 1960er-Jahre ist<br />
die Produktivität und damit einhergehend<br />
die Kosteneffizienz<br />
in der Elektrostahlerzeugung<br />
dramatisch verbessert worden.<br />
Die ausgewiesenen Kenngrößen<br />
elektrischer Energieverbrauch in<br />
kWh/t Flüssigstahl, Zeitverbrauch<br />
in min/t Flüssigstahl und Elektrodenverbrauch<br />
in kg/t Flüssigstahl<br />
zeigen dies überdeutlich. Der<br />
Einsatz elektrischer Energie reduzierte<br />
sich um 44 %, der Zeitverbrauch<br />
um 83 % und der Elektrodenverbrauch<br />
ebenfalls um 83 %.<br />
Auch beim Verbrauch feuerfester<br />
Materialien dürften sich ähnlich<br />
hohe Verbrauchsminderungen<br />
eingestellt haben. Nicht umsonst<br />
stöhnen die Kollegen der Feuerfest-<br />
und Elektrodenhersteller.<br />
Die Linien nähern sich langsam<br />
der Horizontalen an, denn, vergleichbar<br />
zum an thermodynamisch-physikalischen<br />
Grenzen betriebenen<br />
Hochofen, werden auch<br />
die Elektrostahlwerke bestimmte<br />
Grenzen nicht unterschreiten<br />
können. Dies scheinen bisweilen<br />
weniger naturwissenschaftlich<br />
belastete Entscheidungsträger und<br />
Meinungsbildner zu ignorieren.<br />
Hinter jedem Schritt der kontinuierlichen<br />
Verbesserungen<br />
stecken die Ideen von Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern. Dabei<br />
kam es durchaus vor, dass mehrere<br />
Personen an unterschiedlichen<br />
Stellen die Originalität<br />
desselben Gedankens für sich<br />
beanspruchten. So verlief z. B.<br />
der Beanspruchungsstreit um die<br />
Idee der Schaumschlackenfahrweise<br />
recht intensiv. Aber gerade<br />
diese Prozessveränderung ist<br />
ein sehr gutes Bespiel dafür, dass<br />
nicht immer nur teure Investitionen<br />
notwendig sind, um große<br />
Fortschritte zu erreichen. Viele<br />
kleine, nicht immer so kostenaufwendige<br />
Schritte können zu<br />
ansehnlichen Erfolgen führen.<br />
Neben dem Schlackenschäumen<br />
sind drei weitere Verbesserungsschritte<br />
zu nennen: Pfannenmetallurgie,<br />
Flüssigsumpffahrweise<br />
und Lanzenmanipulator.<br />
Alles drei Ideen, die ohne großen<br />
Kostenaufwand umgesetzt<br />
werden konnten. Die Annäherung<br />
an die Prozessgrenzen kann jedoch<br />
zunehmend kostenintensiver werden.<br />
Nicht unerwähnt darf bleiben,<br />
dass zahlreiche begleitende<br />
Schritte zur Optimierung der gesamten<br />
Prozesskette einhergingen.<br />
Als Stichworte seien an dieser<br />
Stelle genannt: Minimierung<br />
von Nutzungsnebenzeiten und<br />
Störungszeiten, Optimierung der<br />
Einsatzstoffe, Mitarbeiterweiterbildung<br />
etc.<br />
Georgsmarienhütte GmbH<br />
stand wie alle Elektrostahlwerke<br />
vor der Notwendigkeit, das Energiemanagement<br />
einzuführen. In<br />
Anlehnung an das bereits gelebte<br />
Qualitäts- und Umweltmanagement<br />
etablierte die Georgsmarienhütte<br />
GmbH eine Abteilung<br />
Energiemanagement, die direkt<br />
der Geschäftsführung unterstellt<br />
ist. Alle Mitglieder dieser Abteilung<br />
brannten für dieses Thema. Neben<br />
der zu leistenden Überzeugungsarbeit<br />
im gesamten Unternehmen<br />
galt es, parallel ein geeignetes<br />
Mess- und Informationssystem<br />
für alle Medienströme aufzubauen.<br />
Die ersten Schritte der Überzeugungsarbeit<br />
waren letztlich<br />
recht einfach. Der Verbrauch an<br />
Pressluft, der teuersten aller Energieformen<br />
in einem Unternehmen,<br />
lässt sich sehr wohl durch die Mitarbeiter<br />
selbst beeinflussen. „Wer<br />
von uns ist nicht schon einmal<br />
während eines Produktionsstillstandes<br />
durch eine Werkshalle<br />
gegangen, in der sich zwar kaum<br />
Mitarbeiter aufhielten, jedoch ein<br />
lautes Pfeifen aus einer defekten<br />
„Die Georgsmarienhütte verfolgt die<br />
Vision NoWASTE, d. h. in Zukunft<br />
nur noch werthaltige Stoffe über<br />
die Grenzen des Unternehmens<br />
hinweg zu transportieren und so<br />
wenig wie möglich Deponieraum zu<br />
beanspruchen“<br />
Dr.-Ing. Henning Schliephake, Mitglied der Geschäftsführung,<br />
Georgsmarienhütte GmbH<br />
bzw. nicht korrekt gekoppelten<br />
Pressluftschlauchverbindung zu<br />
vernehmen war?“ so Schliephake.<br />
Auf einem Handwagen wurde eine<br />
Vorrichtung mit verschiedenen typischen<br />
Defekten des Pressluftsystems<br />
sowie eines Luftmengenmessers,<br />
der die vergeudete Pressluft<br />
in Euros umrechnen konnte, installiert.<br />
So etwas bewirkt Wunder.<br />
Inzwischen lebt das Energiemanagement<br />
durch die Einbindung<br />
von Multiplikatoren in den<br />
einzelnen Betrieben in Person<br />
von Energiepaten und der Verfügbarkeit<br />
bzw. Auswertbarkeit<br />
aller aktuellen und historischen<br />
Medienströme für alle Betriebsverantwortlichen.<br />
Das gelebte<br />
Energiemanagement hat es ermöglicht,<br />
aus dem Stand heraus die<br />
Anforderungen als Klimaschutzunternehmen<br />
zu erfüllen. Diese<br />
Auszeichnung hilft der Georgsmarienhütte,<br />
ihr Image in der Bevölkerung<br />
nachhaltig zu verbessern.<br />
Die Erfolgsgeschichte der kleinen<br />
Schritte in der Periode von<br />
2010 bis <strong>2016</strong> ist durchaus bemerkenswert<br />
und überzeugend. Der<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 59
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Grenzen und Wege der Flexibilität bei der Eisen- und Stahlerzeugung<br />
Druckluftverbrauch sank um 28 %.<br />
Hierzu trugen vor allem die Leckagenbeseitigung,<br />
die Bedarfsanpassungen<br />
sowie die Absenkung des<br />
Netzdruckes bei. Noch dramatischer<br />
waren die Einsparungen<br />
beim Trinkwasser. Die Anpassung<br />
von Mengen und Wasserqualität<br />
an die technischen Erfordernisse<br />
sowie Abschaltungen bei Stillständen<br />
führten zu Minderverbräuche<br />
von 66 % (0,50 auf 0,17 m³/t<br />
Rohstahl flüssig).<br />
Die Umstellung der Heizungen<br />
von Erdgas- auf Dampfwärme sowie<br />
der Einsatz modernster Brennertechnologie<br />
reduzierte den Erdgasverbrauch<br />
um 10 % (54,9 auf<br />
49,3 m³ (S.T.P.)/t Rohstahl flüssig).<br />
Trotz eines ansteigenden Bedarfes<br />
von +2,5 % durch die zuwachsende<br />
Anzahl von elektrischen Verbrauchern<br />
konnte der spezifische<br />
Bedarf an Allgemeinstrom, d. h.,<br />
Schmelzstrom fließt hier nicht<br />
ein, um 2,2 % abgesenkt werden.<br />
Großen Anteil daran hat die konsequente<br />
und inzwischen auch automatisierte<br />
Abschaltung von nicht<br />
benötigten Verbrauchern während<br />
allfälliger Stillstandsperioden. Anstelle<br />
einer „Stillstandsleistung“ für<br />
die gesamte Hütte von 7,8 MW beträgt<br />
diese heute nur noch 3,6 MW.<br />
Die gesamte Prozesskette des<br />
Unternehmens Georgsmarienhütte<br />
musste sich in der vergangenen<br />
Dekade mannigfaltigen, nicht nur<br />
marktgetriebenen Herausforderungen<br />
stellen. Kundenseitig stiegen<br />
die Anforderungen an die Qualität<br />
sowie an die Flexibilität und auch<br />
durch die Verringerung der Losgrößen.<br />
Dies führte im Verlauf der Jahre<br />
zu einem Absinken des Gesamtausbringens.<br />
Eine Vielzahl kleinerer<br />
Verbesserungsschritte, seien diese<br />
in jedem Gewerk für sich oder in<br />
bereichsübergreifenden Arbeitsgruppen<br />
erarbeitet und umgesetzt<br />
worden, konnte den Trend nachhaltig<br />
umkehren. Alle Verbesserungen<br />
wurden durch Optimierung von Prozessschritten<br />
erreicht.<br />
Aus der großen Anzahl der<br />
Verbesserungsschritte sollen hier<br />
nur einige Beispiele benannt werden.<br />
Zum einen standen auf dem<br />
Arbeitsprogramm die Optimierung<br />
der Prozesse hinsichtlich der<br />
Verbesserung der Oberfläche zur<br />
Verringerung des Nacharbeitsaufwandes<br />
sowie die Verfeinerung der<br />
metallurgischen Prozesse zur Minimierung<br />
der Anzahl und Größe<br />
der nichtmetallischen Einschlüsse.<br />
Hierbei kamen auch Methoden aus<br />
der Simulationstechnik sowie dem<br />
Datamining zum Einsatz. Verbesserungen<br />
im Bereich der Instandhaltung<br />
führten zu geringeren<br />
Störquoten und damit bedingt zu<br />
weniger instationären Zuständen<br />
der Anlagen.<br />
Die detailliertere Betrachtung<br />
der unterschiedlichen physikalischen<br />
Kennwerte der verschiedenen<br />
Stahlqualitäten, wie z. B.<br />
Schrumpfung oder auch Metergewicht,<br />
führte zu einer deutlich verbesserten<br />
logistischen Vernetzung<br />
über die gesamte Fertigungskette.<br />
Die bei der Stahlerzeugung<br />
entstehenden Stahlwerksschlacken<br />
waren bisher ein anerkannter<br />
Baustoff, wenngleich dies in<br />
den einzelnen Bundesländern<br />
durchaus unterschiedlich gehandhabt<br />
wird. Seit weit über<br />
einem Jahrzehnt wird an der<br />
Mantelverordnung gearbeitet,<br />
deren dritter Referentenentwurf<br />
in absehbarer Zeit vorliegen soll.<br />
Trotz all unserer Versuche, unseren<br />
Schlacken eine nachhaltige<br />
Anerkennung als hochqualitativer<br />
Baustoff zu sichern, werden<br />
an die Stahlindustrie zusätzliche<br />
Anforderungen gestellt werden,<br />
die unweigerlich zu erhöhten Kosten<br />
führen werden. Aus unserer<br />
Sicht widerspricht die Mantelverordnung<br />
ganz klar dem Gedanken<br />
einer Kreislaufwirtschaft.<br />
Ausgehend von der Geisteshaltung,<br />
dass Stahlwerker nicht nur<br />
Stahlwerker, sondern auch Hochtemperaturverfahrenstechniker<br />
sind – denn wer beherrscht sonst<br />
noch im Tagesgeschäft feuerflüssige<br />
Massen wie Stahl und Schlacken<br />
mit Temperaturen von über 1 500 °C<br />
–, entwickelte die Georgsmarienhütte<br />
die Vision NoWASTE, d. h.<br />
in Zukunft nur noch werthaltige<br />
Stoffe über die Grenzen des Unternehmens<br />
hinweg zu transportieren<br />
und so wenig wie möglich<br />
Deponieraum zu beanspruchen,<br />
wenngleich es Bundesländer geben<br />
soll, die grundsätzlich alle Stahlerzeugungsschlacken<br />
in Zukunft<br />
dort unterbringen wollen.<br />
Dieser Ansatz führte zunächst<br />
zu einer vollumfänglichen Aufnahme<br />
und Validierung aller internen<br />
Massenströme von Schlacke, Zunder,<br />
Filterstaub und sonstigen Reststoffen<br />
sowie deren interner bzw.<br />
externen Verwendung. In Zusammenarbeit<br />
zwischen den verschiedenen<br />
internen Abteilungen sowie<br />
mehreren externen Partnern, wie<br />
z. B. FEhS, Uni Duisburg, Stahlwerke<br />
Benteler und KME, wurden<br />
mehrere verschiedene Verfahren<br />
auch im Rahmen von Förderungsmaßnahmen<br />
entwickelt. So wird<br />
heute der größte Teil der sekundärmetallurgischen<br />
Schlacke als<br />
Schlackenbildner im Elektrolichtbogenofen<br />
eingesetzt. Dies belastet<br />
keinen Deponieraum und erspart<br />
den Einsatz von Primärrohstoffen.<br />
Auch die sonstigen Reststoffe werden<br />
intern aufgearbeitet und als<br />
Schlackenbildner eingesetzt. All<br />
dies führt heute bereits zu einem<br />
Kostenvorteil in einem hohen sechsstelligen<br />
Euro-Bereich. Hinsichtlich<br />
der schwarzen Elektroofenschlacke<br />
zeichnet sich auch eine mögliche,<br />
wenngleich recht unkonventionelle<br />
Problemlösung ab.<br />
Schlussbemerkungen zum<br />
Stahldialog<br />
Abschließend bemerkte Dr. Dietmar<br />
Ringel, dass in vier hochkarätigen<br />
Vorträgen unterschiedliche<br />
Ansätze und Wege zur Flexibilität<br />
bei der Eisen- und Stahlerzeugung<br />
auch im Hinblick auf die weiteren<br />
Verminderungen der CO 2<br />
-Emissionen<br />
vorgestellt wurden und es<br />
damit Ansätze für eine nachhaltige<br />
CO 2<br />
-Minderung bei der Stahlerzeugung<br />
gibt. Er dankte den<br />
Vortragenden und all denjenigen,<br />
die an der Erarbeitung der Berichte<br />
beteiligt waren. Dem Auditorium<br />
dankte er für das gezeigte Interesse.<br />
Dr.-Ing. Hans Bodo Lüngen,<br />
M. Sc. Marten Sprecher,<br />
Stahlinstitut VDEh, Düsseldorf<br />
60<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Werkstoffliche Leichtbaulösungen mit Stahl<br />
Fortschrittliche<br />
Leichtbau lösungen mit neuen<br />
Stahlwerkstoffen<br />
Neuentwicklungen von Flach- und Langerzeugnissen für automobile Leichtbauanwendungen<br />
war das Thema eines Stahldialoges in Düsseldorf. Aufgezeigt wurde dabei, dass<br />
fortschrittliche Leichtbauwerkstoffe auch neue Anforderungen an die Bauteilauslegung und<br />
Weiterverarbeitung stellen − etwa bei den Fügeverfahren für Materialmix-Konzepte.<br />
Edgar Lange<br />
D<br />
er Moderator des<br />
Stahldialoges, Dipl.-<br />
Ing. Hubert Zajicek,<br />
Mitglied des Vorstandes<br />
der voestalpine<br />
Stahl GmbH, Linz/Österreich,<br />
betonte eingangs, dass nur<br />
Stahl effektiv in der Lage sei, den<br />
Leichtbau kostengünstig darzustellen.<br />
Stahl sei zudem als einziger<br />
Werkstoff zu 100 % recyclingfähig<br />
und ermögliche eine positive Symbiose<br />
beim Leichtbau-Materialmix<br />
etwa mit CFK/GFK und Aluminium.<br />
Neue Flacherzeugnisse<br />
verringern<br />
Fahrzeuggewicht<br />
Nico Langerak, Department Manager<br />
bei Tata Steel Research,<br />
IJmuiden/Niederlande, berichtete<br />
über die Neuentwicklung von<br />
Flacherzeugnissen für automobile<br />
Anwendungen. Diese stünden heute<br />
stets im Spannungsverhältnis<br />
zwischen Gewicht, Leistung und<br />
Wirtschaftlichkeit. „Aufgabe der<br />
Stahlindustrie ist es, diese Anforderungen<br />
zusammenzubringen“,<br />
so Langerak. Dies gelinge nur mit<br />
neuen Produkten und Langerak<br />
führte als Lösungsbeispiele die<br />
kalt umgeformten Dualphasenstähle<br />
mit verbesserter Umform-<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Hochfeste Stahlsorten mit guter<br />
Umformbarkeit ermöglichen innovative<br />
Leichtbaulösungen im Automobilbau<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 61
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Werkstoffliche Leichtbaulösungen mit Stahl<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Moderator Hubert Zajicek stellte klar, dass nur Stahl effektiv<br />
in der Lage sei, den Leichtbau kostengünstig darzustellen<br />
Stahlexperte Nico Langerak stellte neu entwickelte Flacherzeugnisse<br />
von Tata Steel für automobile Anwendungen vor<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
barkeit (DP800 bis 1200 Hyper-<br />
Form) an, etwa für den Einsatz<br />
in Automobilrohkarosserien. Mit<br />
diesen fielen die Gesamtbetriebskosten<br />
gegenüber gängigen HSLAoder<br />
TRIP-Stählen günstiger aus.<br />
HyperForm verfüge über eine um<br />
4 bis 5 % höhere Dehnung gegenüber<br />
konventionellen Dualphasenstählen.<br />
Für die Nutzung<br />
habe Tata Steel aktuell alleine 35<br />
Strukturteile im Automobil identifiziert.<br />
So biete ein deformierbares<br />
Frontaufprallelement mit 160 MPa<br />
deutlich höhere Festigkeiten als<br />
ein klassisches DP800-Bauteil,<br />
was sich entsprechend in 17 %<br />
Gewichtseinsparung umsetzen<br />
ließe. Beim C-Segment einer Automobilkarosserie<br />
mit insgesamt 18<br />
Teilen aus HyperForm machten die<br />
Gewichtseinsparungen immerhin<br />
rd. 6 kg aus.<br />
Weiterhin stellte Langerak<br />
verbesserte Zink-Magnesium-Beschichtungen<br />
für Automobilaußenbleche<br />
vor. „Magizinc auto“<br />
erhöhe den Korrosionsschutz gegenüber<br />
klassischer Feuerverzinkung<br />
um 200 %. Somit ließe sich<br />
die Lebensdauer erhöhen oder aber<br />
die Dicke entsprechend reduzieren.<br />
Einsatzgebiete sieht Langerak<br />
etwa bei Heckklappen, Türen oder<br />
Motorhauben. Zweiter angenehmer<br />
Nebeneffekt der ZM-Beschichtung<br />
sei das verbesserte Verhalten<br />
in den Pressen: nämlich eine gute<br />
Formbarkeit, und vor allem sinke<br />
die Verschmutzung und Abnutzung<br />
der Pressen und damit deren<br />
Ausfallzeiten. Die Effizienz<br />
im Presswerk steige. Dies alles<br />
zusammen führe zu 15 % geringeren<br />
Teilekosten.<br />
Als drittes neues Flacherzeugnis<br />
führte Langerak Tatas neue XPF-Familie<br />
an: Ein warmgewalzter Stahl<br />
mit einer einphasigen Ferrit-Mikrostruktur<br />
und einer nanopartikelverstärkten<br />
Matrix, was zur<br />
verbesserten Balance zwischen<br />
der Dehnung im Grundwerkstoff<br />
und der Kantendehnung führe.<br />
Gerade bei Frontchassisrahmen<br />
bzw. Federungen gehe es bei den<br />
verwendeten hochfesten Mehrphasenstählen<br />
auch um Ermüdungsbrüche<br />
etwa durch Lochaufweitungen<br />
und Kantenrisse. Hier schneide<br />
XPF besser ab als die gängigen<br />
CP- oder DP-Stähle und dies bei<br />
vergleichbarer Schweißbarkeit.<br />
Fallstudien zeigten überdies 10 %<br />
Gewichtseinsparungspotenzial<br />
gegenüber gängigen warmgewalzten<br />
AHSS-Typen für Chassisanwendungen<br />
bei vergleichbarer<br />
Steifigkeit.<br />
Lufthärtende Bainit-Stähle<br />
haben Zukunft<br />
„Neue bainitische Langprodukte<br />
− Sackgasse oder Erfolgsgeschichte?“<br />
war das Thema von Dr. sc. nat.<br />
Hans Roelofs. Der R&D-Manager<br />
der Swiss Steel AG, Emmenbrücke/Schweiz,<br />
trat dem Eindruck<br />
entgegen, auf diesem Gebiet gebe<br />
„Innovative<br />
Flacherzeugnisse<br />
können die<br />
Anforderungen an<br />
Gewicht, Leistung<br />
und Kosten im<br />
Automobilbau<br />
zusammenbringen“<br />
Nico Langerak, Tata Steel Research<br />
es eigentlich schon alle Werkstofflösungen.<br />
Aktuell arbeite man an<br />
Weiterentwicklungen mit dem<br />
Ziel, die Kosten weiter zu reduzieren.<br />
Dazu zählten etwa lufthärtende<br />
bainitische Stahlsorten, bei<br />
denen sich nicht nur die Wärmebehandlung<br />
erübrige und die<br />
damit Energie eingespart werde.<br />
Hinzu komme, dass gleichzeitig<br />
der Anteil an teuren Legierungselementen<br />
wie Nickel und Molybdän<br />
deutlich reduziert werde. Im<br />
Ergebnis verbesserten sich zudem<br />
Duktilität, Dehngrenzen und Kerbschlagzähigkeit<br />
gegenüber den<br />
Konkurrenzprodukten AFP-Stahl<br />
oder z. B. 34CrNiMo8.<br />
Je nach Abkühlkurve bildeten<br />
sich verschiedene Bainit-Morphologien<br />
aus. Bei der vorteilhaften<br />
Luftkühlung bekomme Bainit<br />
ein eigenschaftsgebendes Gefügegemisch.<br />
Die Frage aus dem<br />
Auditorium nach der Möglichkeit<br />
zur Restwärmenutzung aus<br />
vorhergehenden Prozessschritten<br />
beantwortete Roelofs damit,<br />
dass es durchaus auch möglich<br />
sei, etwa Schmiedebauteile im<br />
Ofen isotherm zu halten, dort ein<br />
gleichmäßigeres bainitisches Gefüge<br />
mittels Restwärme ausbilden zu<br />
lassen und anschließend an Luft<br />
weiter abzukühlen.<br />
Als Anwendungsbeispiele für<br />
bainitische Produkte führte Roelofs<br />
einen kaltmassiv umgeformten<br />
62<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
7MnB8-Stahl für Verbindungselemente<br />
an, wie etwa für Leichtbaumuttern<br />
mit 30 % Gewichtseinsparung<br />
von der Fa. Hewi, die bei<br />
Querlenkern/Radaufhängungen<br />
zum Einsatz kommen. Zudem wurde<br />
ein geschmiedeter Diesel-Commonrail<br />
von Ascometal mit 30 % höherer<br />
Langzeitfestigkeit gegenüber<br />
AFP-Stählen gezeigt. Bei Langstählen<br />
wie z. B. aus 23MnCrSiMoS6-5<br />
belegten laut Roelofs Fallstudien,<br />
dass im Optimalfall bis zu 85 %<br />
weniger Herstellungskosten durch<br />
reduzierte nachgelagerte Prozesse<br />
wie der Wärmebehandlung zu realisieren<br />
sind.<br />
Aktueller Stand der Technik bei<br />
bainitischen Langprodukten sei allerdings<br />
auch, dass durch Luftabkühlung<br />
bei dicken Produkten das<br />
Gefüge immer grobkörniger werde<br />
und Dehngrenzen sowie Kerbschlagszähigkeit<br />
abnähmen. Eine<br />
praktische Grenze sehe Roelofs bei<br />
Dicken von 80 bis max. 200 mm:<br />
„Jede Stahlsorte hat eben ihr Limit,<br />
daher sind bainitische Langproduktanwendungen<br />
begrenzt!“<br />
Trotzdem gingen in Europa schon<br />
15 000 t/a in die Nutzung – überwiegend<br />
im Automobilbereich.<br />
Weitere Gründe dafür seien bessere<br />
Spanbarkeit und eine bessere<br />
Ermüdungsfestigkeit. Auch eine<br />
Werkstoffstandardisierung sei<br />
derzeit in Arbeit. Vor dem Hintergrund<br />
sinkender Emissionsvorgaben<br />
(Energie und CO 2<br />
) sehe Roelofs<br />
für die lufthärtenden Bainit-Stähle<br />
eine gute Zukunft.<br />
Fügetechnik folgt<br />
Materialentwicklung<br />
„Werkstoffliche Materialmix-Leichtbaulösungen<br />
mit Stahl – artverschieden<br />
und doch verbunden.“<br />
Damit setzte sich beim Stahldialog<br />
Dr.-Ing. Dominik Teutenberg vom<br />
Laboratorium für Werkstoff- und<br />
Fügetechnik (LWF) der Universität<br />
Paderborn auseinander. Der Tatsache,<br />
bis 2020 Flottenwerte von<br />
95 g CO 2<br />
/km erreichen zu müssen,<br />
verbunden mit einer Reduktion des<br />
Fahrzeuggewichtes und der Emissionen,<br />
begegneten die Automobilhersteller<br />
mit stahlintensiven<br />
Mischbaukonzepten im Leichtbau.<br />
„Fahrzeuge der Zukunft werden intelligente<br />
Kombinationen verschiedener<br />
Werkstoffe beinhalten“, war<br />
Teutenberg überzeugt. Dies erfordere<br />
den richtigen Werkstoff an der<br />
richtigen Stelle. Die verschiedenen<br />
Bereiche einer Fahrzeugstruktur<br />
„Vor dem Hintergrund<br />
sinkender<br />
Emissionsvorgaben<br />
(Energie und CO 2<br />
)<br />
haben lufthärtende<br />
Bainit-Stähle gute Zukunftsperspektiven“<br />
Dr. sc. nat. Hans Roelofs,<br />
Swiss Steel AG<br />
unterlägen unterschiedlichen<br />
Anforderungen und Belastungen,<br />
sodass beanspruchungsgerechte<br />
Leichtbaukonstruktionen aus artverschiedenen<br />
Werkstoffen zur<br />
Realisierung der Ziele in Frage<br />
kämen. Herausforderungen lägen<br />
laut Teutenberg dabei in der unterschiedlichen<br />
Wärmeausdehnung,<br />
nur einseitigen Fügemöglichkeiten<br />
sowie der Vermeidung von Kontaktkorrosion<br />
des Materialmixes.<br />
Für die erfolgreiche und wirtschaftliche<br />
Umsetzung einer effizienten<br />
Mischbauweise sei aber die Verfügbarkeit<br />
geeigneter Fügetechnologien<br />
unerlässlich. „Die Fügetechnik<br />
folgt hier der Materialentwicklung“,<br />
brachte es Teutenberg auf<br />
den Punkt und nannte als Beispiel<br />
eine Injektionsmethode beim Carbon-Core<br />
des 7er BMW G11.<br />
Der Experte präsentierte exemplarisch<br />
einige wesentliche der ungefähr<br />
ein Dutzend Fügeverfahren,<br />
die zur Verbindung artverschiedener<br />
Leichtbauwerkstoffe im stahlintensiven<br />
Mischbau moderner Karosseriestrukturen<br />
dienen: So etwa<br />
das Halbhohlstanznieten, das mit<br />
den Arbeitsschritten: Positionieren<br />
− Fixieren − Stanzen − Umformen/<br />
Verspreizen − Zurückfahren ein<br />
weit verbreitetes Fügeverfahren<br />
beim Audi Q7 sei. 2 215 Halbhohlstanznieten<br />
für verschiedene Materialblechdickenkombinationen<br />
kämen hier zum Einsatz und dies<br />
passiere mittels verschiedener, neu<br />
verfügbarer Hilfsfügeteilwerkstoffe<br />
und -formen sowie einer lokalen<br />
Konditionierung im Bereich der<br />
pressgehärteten Stähle. Der Clou:<br />
Eine Wärmebehandlung setze dabei<br />
die gefügebedingte Härte an der<br />
betreffenden Stanzstelle herab, sodass<br />
das Fügen dieser Werkstoffe im<br />
Rahmen des konventionellen Halbhohlstanznietens<br />
möglich werde.<br />
Ein weiteres Fügetechnikbeispiel<br />
waren das Bolzensetzen so-<br />
FuE-Manager Hans Roelofs erläuterte die Potenziale und<br />
Marktchancen für neue bainitische Langprodukte<br />
Fügeexperte Dr. Dominik Teutenberg berichtete über Erfolge<br />
beim stahlintensiven Mischbau<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 63
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Werkstoffliche Leichtbaulösungen mit Stahl<br />
Forscher Rüdiger Heim berichtete über lebensdauer- und<br />
gewichtsorientierte Bemessung von Stahlbauteilen unter<br />
dynamischen Belastungen<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
wie die Nutzung fließlochformender<br />
Schrauben. Letzteres biete sich<br />
etwa bei einseitiger Zugänglichkeit<br />
zur Fügestelle an, wie sie bei steifigkeitsoptimierten<br />
Karosseriekonzepten<br />
mit profilintensiven Konstruktionen<br />
vorkämen. Beim Einsatz<br />
fließlochformender Schrauben<br />
umfasse der Prozess die Schritte<br />
Erwärmen − Durchdringen − Durchzugformen<br />
− Gewindefurchen −<br />
Durchschrauben − Anziehen. Dieser<br />
Prozess komme etwa beim Audi A8<br />
schon rd. 600-mal zum Einsatz. Verfahrensgrenzen<br />
gebe es jedoch bei<br />
höchstfesten Stählen. Zudem erläuterte<br />
Teutenberg das Schneid-Clinchen,<br />
das das vorlochfreie Fügen<br />
von Aluminiumwerkstoffen mit<br />
pressgehärteten Stählen gestatte.<br />
Hierbei werde kein Hilfsfügeteil benötigt,<br />
was die Kosteneffizienz des<br />
Verfahrens steigere. Auch das Widerstandselement-Schweißen<br />
sowie<br />
das Reibelement-Schweißen stellten<br />
innovative thermomechanische Fügeverfahren<br />
dar, die das Spektrum<br />
fügegeeigneter Werkstoffkombinationen<br />
im Bereich der Schweißtechnik<br />
deutlich erweiterten.<br />
Bei intelligenter Kombination<br />
elementarer Fügeverfahren könnten<br />
laut Teutenberg Synergieeffekte<br />
von mechanischen, thermischen<br />
sowie klebtechnischen Fügeverfahren<br />
gewinnbringend genutzt werden.<br />
Hierzu sei die Uni Paderborn<br />
auch mit Verbindungssimulationen<br />
aktiv. „Generell gilt, dass bei<br />
modernen Multimaterialdesigns<br />
im Leichtbau die geeignete Fügetechnik<br />
der Schlüssel zum Erfolg<br />
ist“, schloss Teutenberg.<br />
Schadentoleranzkonzept<br />
verlängert Lebensdauer<br />
„Stahl bietet als<br />
Leichtbauwerkstoff<br />
ausgezeichnete<br />
Lösungsperspektiven“<br />
Dipl.-Ing. Rüdiger Heim,<br />
Fraunhofer-Institut für<br />
Betriebsfestigkeit und<br />
Systemzuverlässigkeit LBF<br />
Mit Lebensdauer- und gewichtsorientierter<br />
Bemessung von<br />
Stahlbauteilen unter dynamischen<br />
Belastungen befasste sich<br />
zum Abschluss des Stahldialogs<br />
Dipl.-Ing. Rüdiger Heim, stellvertretender<br />
Institutsleiter des<br />
Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit<br />
und Systemzuverlässigkeit<br />
(LBF) in Darmstadt. Er<br />
betrachtete zunächst die weltwirtschaftliche<br />
Entwicklung der kommenden<br />
Jahrzehnte und legte dar,<br />
dass sich dadurch bis 2040 die Zahl<br />
der persönlichen Fahrzeuge weltweit<br />
fast verdoppeln werde. Heim<br />
verdeutlichte die ökologischen<br />
Auswirkungen der Gewichtsreduzierung<br />
bei Fahrzeugen anhand<br />
eines Beispiels: Wenn das Gewicht<br />
jedes Fahrzeugs (PKW oder Commercial<br />
Vehicle) um nur 100 kg<br />
reduziert werden würde, könnte<br />
der Energieverbrauch eines einzelnen<br />
Fahrzeuges während dessen<br />
Lebensdauer nur vergleichsweise<br />
gering um ca. 12 GJ abgesenkt<br />
werden. Wegen der global sehr<br />
hohen Anzahl von PKW und CV<br />
sei die Wirkung auf den globalen<br />
CO 2<br />
-Fußabdruck aber außergewöhnlich<br />
groß. „Stahl bietet hier<br />
als Leichtbauwerkstoff ausgezeichnete<br />
Lösungsperspektiven. Dies<br />
gilt vor allem für Complex- und<br />
Dualphasenwerkstoffe, deutlich<br />
besser noch als z. B. bei Aluminium-Konstruktionswerkstoffen“,<br />
so<br />
Heim. Doch gab er zu bedenken,<br />
dass ein leichteres Fahrzeugdesign<br />
für einige dieser Komponenten die<br />
Lebensdauer und das Sicherheitsniveau<br />
beeinträchtigen könne,<br />
wenn es nicht richtig konstruiert<br />
sei. Der Grund: Fahrwerksbauteile<br />
etwa sind höchsten dynamischen<br />
Belastungen mit einer hohen Zahl<br />
an Schwingungsspielen ausgesetzt,<br />
die zu Ermüdungsausfällen führen<br />
könnten. „Stahlwerkstoffe bieten<br />
außergewöhnlich gute Ermüdungseigenschaften<br />
und ein großes<br />
Potenzial für den Leichtbau“,<br />
so Heim. Ein großes Plus seien<br />
die vielfach einstellbaren Eigenschaftsprofile<br />
und die Robustheit<br />
des Werkstoffs, z. B. die im Vergleich<br />
zu anderen Werkstoffen<br />
wesentlich weniger ausgeprägte<br />
Mittelspannungsempfindlichkeit.“<br />
Er empfahl insbesondere für<br />
sicherheitsrelevante Bauteile im<br />
Leichtbau den Einsatz eines dynamischen<br />
Interferenzmodells bei Konstruktion<br />
und Werkstoffauswahl, um<br />
spätere Ausfälle auszuschließen.<br />
Weitere Optimierungspotenziale<br />
ließen sich erschließen, indem bei<br />
der Produktgestaltung und -nutzung<br />
vom Konzept der sicheren<br />
Lebensdauer (Safe-Life-Methode)<br />
übergegangen werde zum Konzept<br />
der Schadenstoleranz. Dazu müssten<br />
entweder Inspektionsintervalle<br />
oder ein kontinuierliches Monitoring<br />
eingesetzt werden, um eine<br />
verbesserte Massenoptimierung<br />
ohne Beeinträchtigung der Betriebssicherheit<br />
zu erreichen. Heim stellte<br />
im Dialog ein interessantes Schadentoleranzkonzept<br />
vor, das bei<br />
Safe-Life am Ende der Lebensdauer<br />
noch reichlich Nutzungspotenzial<br />
biete: So ließen sich belastete<br />
Leichtbau-Fahrwerksbauteile länger<br />
nutzen, wenn hier etwa Sensorknoten<br />
für ein konstantes Monitoring<br />
eingebunden würden, wie sie vom<br />
LBF entwickelt wurden.<br />
Edgar Lange, Fachjournalist,<br />
Düsseldorf.<br />
64<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Technische Aspekte der Digitalisierung in der Stahlindustrie<br />
Think big, start smart —<br />
ganzheitliche Vernetzung<br />
erleichtert Nutzung von Big Data<br />
Das Thema Industrie 4.0 und dessen Potenziale beschäftigen die Stahlindustrie nun bereits<br />
seit einigen Jahren. Industrie 4.0 sollte dabei als ganzheitlicher Ansatz zur funktionalen<br />
Vernetzung von Unternehmensprozessen verstanden werden. Die Anlagen- und<br />
Prozessstrukturen in der Stahlindustrie bieten beste Voraussetzungen für die Umsetzung<br />
von Industrie 4.0 im industriellen Maßstab. Hierbei ist es von Vorteil, dass die zur<br />
Stahlerzeugung und Weiterverarbeitung verwendeten Aggregate und Verfahrensabläufe<br />
bereits gut vernetzt und modelliert sind und sich die Auswertung von Big Data leichter<br />
umsetzen lässt. Inzwischen haben viele Unternehmen den Nutzwert von vernetzten Daten<br />
als große Chance und zwingenden Schritt erkannt und für das eigene Portfolio individuelle<br />
Lösungsansätze definiert. Die innerbetriebliche Umsetzung der Digitalisierung ist spannend<br />
und aufwendig. Bei all der Technik darf man dabei die Unternehmensorganisation nicht<br />
vergessen. Ein weiterer Schritt ist die konsequente Vernetzung mit den Kunden und<br />
Zulieferern. Dabei sollten die gemeinsamen Prozesse funktional und logistisch über<br />
möglichst standardisierte Technologien nahtlos integriert werden.<br />
Ulrich Ratzek<br />
Foto: Salzgitter AG<br />
Industrie 4.0 ist auch weiterhin ein wichtiges Thema in der Stahlindustrie. Vorgestellt wurden erste Beispiele für die betriebliche<br />
Umsetzung der Digitalisierung. Das Bild zeigt eine innovative, schutzhelmintegrierte Datenbrille, das „HelmetGlass“ der Gesis GmbH,<br />
die in einem Schutzhelm integriert ist und Informationen zur Arbeitssicherheit anzeigt<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 65
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Technische Aspekte der Digitalisierung in der Stahlindustrie<br />
Ulrich Grethe, Vorsitzender der Geschäftsführung der<br />
Salzgitter Flachstahl GmbH, moderierte den Stahldialog und<br />
verwies auf die Potenziale und Möglichkeiten, die sich aus<br />
der Nutzung der vernetzten Daten ergeben<br />
B<br />
ereits im Vorjahr fand<br />
der Stahldialog des Ausschusses<br />
für Anlagentechnik<br />
des Stahlinstituts<br />
VDEh zum Thema<br />
Industrie 4.0 großes Interesse.<br />
Anhand ausgewählter Beispiele<br />
aus Forschung, Anlagenbau und<br />
Stahlproduktion wurden in diesem<br />
Jahr Einblicke in die aktuellen Entwicklungen<br />
in der Stahlindustrie<br />
gegeben.<br />
Der Moderator der Stahldialogs,<br />
Dipl.-Ing. Ulrich Grethe, Vorsitzender<br />
der Geschäftsführung, Salzgitter<br />
Flachstahl GmbH, Salzgitter,<br />
verwies auf die Potenziale und<br />
Möglichkeiten, die sich aus der<br />
Nutzung der vernetzten Daten ergeben.<br />
Wesentliche Treiber sind<br />
die digitale Transformation sowie<br />
zunehmende Automatisierung<br />
und Autonomisierung der Fertigung.<br />
Digitalisierung wirkt auf<br />
Strategien, Prozesse, Strukturen<br />
und Produkte gleichermaßen und<br />
wird Unternehmen nachhaltig verändern.<br />
Menschen, Maschinen und<br />
Ressourcen werden zukünftig in<br />
Echtzeit miteinander kommunizieren.<br />
Somit entwickeln sich Wertschöpfungsketten<br />
zu dynamischen<br />
Wertschöpfungsnetzwerken. Aufgrund<br />
ihrer speziellen Eigenheiten<br />
eignet sich die Stahl industrie besonders<br />
für Industrie 4.0.<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Stahl 4.0 — Interpretation<br />
von Industrie 4.0 für die<br />
Stahlindustrie<br />
Dipl.-Ing. Heiko Bode, Bereichsleiter<br />
Geschäftsentwicklung und -betreuung,<br />
Telcat Multicom GmbH,<br />
Salzgitter, und zugleich Vorsitzender<br />
des VDEh-Querschnittsthemas<br />
„Industrie 4.0 in der Stahlindustrie“,<br />
stellte Ergebnisse der Gemeinschaftsarbeit<br />
vor.<br />
Der Begriff „Industrie 4.0“ ist<br />
der seit 2011 in der Öffentlichkeit<br />
verwendete Arbeitstitel eines von<br />
Bundesregierung und Industrie<br />
initialisierten Zukunftsprojekts,<br />
das eine konsequente und allumfassende<br />
Durchdringung der<br />
Produktionstechnik mit Informationstechnologie<br />
über ihre gesamte<br />
Wertschöpfungskette hinweg beinhaltet.<br />
Ziel ist es, intelligente Fabriken<br />
− sogenannte „Smart Factories“<br />
− und ebenso „smarte“ Prozesse zu<br />
schaffen, die sich unter effektivster<br />
Nutzung aller benötigten Ressourcen<br />
extrem flexibel auf individuelle<br />
Kundenwünsche und -anforderungen<br />
anpassen lassen.<br />
Grundlage hierfür bildet die<br />
Verfügbarkeit aller relevanten<br />
Information in Echtzeit durch<br />
die Vernetzung aller an der Wertschöpfung<br />
beteiligten Elemente.<br />
Typische technologische Kennzeichen<br />
von Industrie 4.0 sind unter<br />
anderem cyber-physische Systeme,<br />
das Internet der Dinge und die<br />
durchgängige Vernetzung aller beteiligten<br />
Systeme und Komponenten.<br />
Die Ziffer „4“ aus dem Begriff<br />
„Industrie 4.0“ leitet sich aus dem<br />
Umstand her, dass die Veränderungen,<br />
die durch den massiven und<br />
konsequenten Einsatz von Informationstechnologie<br />
herbeigeführt<br />
werden, die Epoche der vierten<br />
industriellen Revolution einläuten.<br />
So soll auch das Schlagwort<br />
des Vortragstitels „Stahl 4.0“ die<br />
Auswirkungen dieses stark IT-lastigen<br />
Technologiewandels auf die<br />
Stahlindustrie symbolisieren. Denn<br />
spätestens jetzt wird deutlich, dass<br />
IT vom einstigen Mittel zum Zweck<br />
zum Produktivitäts- und somit Erfolgsfaktor<br />
avanciert ist.<br />
Gerade für die Stahlindustrie,<br />
die − bezogen auf ihre eigenen<br />
Endprodukte − eine durchaus hohe<br />
Fertigungstiefe kennzeichnet, ergeben<br />
sich hieraus viele Potenziale<br />
für neue Märkte, höhere Umsätze<br />
sowie geringere Fertigungskosten<br />
und höhere Erträge. Der hohe Automatisierungsgrad,<br />
der insbesondere<br />
auch Kennzeichen der Stahlindustrie<br />
ist, bildet hierfür eine<br />
ideale Grundlage. Im Gegensatz<br />
zur Stückgutfertigung kann zwar<br />
in der der Stahlindustrie eigenen<br />
Fließfertigung kaum die im Kontext<br />
mit Industrie 4.0 regelmäßig<br />
zitierte „Losgröße 1“ erreicht<br />
werden. Dennoch lässt sich der<br />
Grundgedanke, der dahintersteht,<br />
durchaus auch auf die Produktion<br />
von Stahlerzeugnissen adaptieren,<br />
wenn man „eins“ als Synonym für<br />
kleinere Serien interpretiert.<br />
Der Vortrag vermittelte − basierend<br />
auf den gemeinsam erarbeiteten<br />
Erkenntnissen des VDEh-Querschnittsthemas<br />
„Industrie 4.0 in der<br />
„Digitalisierung wirkt auf Strategien,<br />
Prozesse, Strukturen und Produkte<br />
gleichermaßen und wird Unternehmen<br />
nachhaltig verändern“<br />
Dipl.-Ing. Ulrich Grethe, Vorsitzender der Geschäftsführung,<br />
Salzgitter Flachstahl GmbH<br />
Stahlindustrie“ − für die Unternehmen<br />
der Stahlbranche zum einen<br />
Handlungsempfehlungen und<br />
zum anderen Anregungen für die<br />
praktische Umsetzung im Kontext<br />
von Industrie-4.0-Aspekten. Der<br />
Themenkomplex Industrie 4.0 hat<br />
in seiner gesamten Bandbreite mit<br />
seinen vielen Facetten unzählige<br />
Treiber, vor allem jedoch nachfolgend<br />
genannte:<br />
66<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
▷▷<br />
Vernetzung von autonomen,<br />
sensorgestützten und räumlich<br />
verteilten Produktionsressourcen<br />
und der Komponenten<br />
(Antriebe, Maschinen, Roboter,<br />
Förder- und Lagersysteme, Betriebsmittel)<br />
inklusive deren Planungs-<br />
und Steuerungssysteme<br />
mit wirtschaftlichen Daten und<br />
Prozessen (z. B. bei der Auftragsabwicklung);<br />
▷▷<br />
Flexibilisierung und dynamische<br />
Gestaltung von Geschäfts- und<br />
Produktionsprozessen;<br />
▷▷<br />
Optimierte Entscheidungsfindung;<br />
▷▷<br />
Berücksichtigung von individuellen<br />
kunden- bzw. produktspezifischen<br />
Kriterien bei Entwurf,<br />
Konfiguration, Bestellung, Planung,<br />
Produktion, Betrieb und<br />
Recycling;<br />
▷▷<br />
Integration von intelligenten<br />
Produkten, die über das Wissen<br />
ihres Herstellungsprozesses und<br />
künftigen Einsatzes verfügen;<br />
▷▷<br />
Kombination mit öffentlichen<br />
bzw. allgemein zugänglichen<br />
Informationsquellen und -diensten<br />
(z. B. Abruf von im Internet<br />
hinterlegten Produktdaten, Parametrierungs-<br />
bzw. Programmier-Templates<br />
etc.);<br />
▷▷<br />
Effizientere Anwendung genutzter<br />
Ressourcen;<br />
▷▷<br />
Wertschöpfungspotenziale<br />
durch das Ermöglichen neuer<br />
Produkte und Dienstleistungen.<br />
Diese Faktoren, die sicherlich<br />
nicht für jedes Unternehmen in<br />
gleichem Maße Relevanz haben,<br />
sollten jedoch auch jedem Betrieb<br />
der Stahlbranche Anlass genug geben,<br />
das Themenspektrum rund<br />
um Industrie 4.0 entlang der<br />
gesamten Wertschöpfungskette<br />
akribisch zu durchleuchten, um<br />
die eigenen, unternehmensspezifischen<br />
Chancen auszuloten und<br />
nutzbar zu machen.<br />
Eine hohe Motivation zur Umsetzung<br />
von Industrie-4.0-Projekten<br />
sollte nicht im Widerspruch zu Investitionsschutz<br />
und Wirtschaftlichkeit<br />
stehen. Im Gegenteil: Eine<br />
durchdachte, maßvolle und schrittweise<br />
Umsetzung, die vorhandene<br />
Ressourcen und bestehende Strukturen<br />
sinnvoll einbezieht, sichert<br />
sukzessive Erfolge und dauerhafte<br />
Wettbewerbsvorteile.<br />
Umgang mit und Nutzung<br />
von Daten im Zeitalter der<br />
Digitialisierung<br />
„Digitale Daten sind heute allgegenwärtig“,<br />
so das Statement von<br />
Dr. rer. nat. Marcus Neuer, Projektleiter,<br />
VDEh-Betriebsforschungsinstitut<br />
GmbH, Düsseldorf, und<br />
er fragte: Wie muss eine digitale<br />
Infrastruktur beschaffen sein,<br />
die es erlaubt, diese Daten auch<br />
gewinnbringend zu nutzen? Sie<br />
sollte einerseits einen freien Datentransport<br />
zwischen den einzelnen<br />
Produktionsabschnitten<br />
ermöglichen. Nur so wird nämlich<br />
eine Optimierung der Prozesskette<br />
möglich, denn jeder beteiligte<br />
Prozess muss Kenntnis von den<br />
vorherigen Schritten, aber auch<br />
von den nachfolgenden Schritten<br />
haben. Andererseits muss die Infrastruktur<br />
aber zwingend auch die<br />
nötige Sicherheit bieten, dass Daten<br />
nicht durch Fremde mitgelesen<br />
oder gar absichtlich manipuliert<br />
werden können.<br />
All dies sind Mosaikstücke<br />
einer sehr umfassenden Wandlung.<br />
Sie vollzieht sich nicht nur<br />
innerhalb der Industrie, sondern<br />
ebenso in der Gesellschaft. Das<br />
Internet of Things (IoT) wird realen<br />
Gegenständen wie Fahrzeugen,<br />
Produkten, Häusern, aber<br />
auch einzelnen Komponenten<br />
wie Zahnrädern digitale Repräsentanten<br />
zuordnen und diese<br />
vernetzen. Es wird zu einer „Infrastruktur<br />
der Informationsgesellschaft“,<br />
die viele Abläufe des<br />
täglichen Lebens verändert.<br />
Dieser Wandlungsprozess führt<br />
ebenso zu einer neuen industriellen<br />
Ära − Industrie 4.0 −, an deren<br />
Schwelle wir gerade stehen. Sie bedeutet<br />
nichts anderes als die vollständige<br />
Digitalisierung von Produkten<br />
und der Produktionskette.<br />
Die damit verbundene Möglichkeit<br />
einer durchgehenden Vernetzung<br />
von Produktionsaggregaten lässt<br />
„Jedes Unternehmen der Stahlindustrie<br />
sollte das Themenspektrum rund um<br />
Industrie 4.0 entlang der gesamten<br />
Wertschöpfungskette akribisch<br />
durchleuchten, um die eigenen,<br />
unternehmensspezifischen Chancen<br />
auszuloten und nutzbar zu machen“<br />
Dipl.-Ing. Heiko Bode, Telcat Multicom GmbH<br />
neue Möglichkeiten entstehen: Die<br />
Produktion kann werksübergreifend<br />
und ganzheitlich optimiert<br />
werden.<br />
Produkte wie auch Prozesse werden<br />
„intelligent“. Jedem Produkt<br />
Heiko Bode, Vorsitzender des VDEh-Querschnittsthemas<br />
„Industrie 4.0 in der Stahlindustrie“, stellte Schwerpunkte und<br />
Ergebnisse der Gemeinschaftsarbeit zur Digitalisierung vor<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 67
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Technische Aspekte der Digitalisierung in der Stahlindustrie<br />
Datenexperte Dr. Marcus Neuer zeigte anhand von<br />
Praxisbeispielen, wie sich Big Data auswerten und nutzen<br />
lassen<br />
Anlagen- und Prozessentwickler Dr. Markus Reifferscheid<br />
erklärte, welche Möglichkeiten die Digitalisierung in der<br />
Stahlindustrie aus Sicht des Anlagenbaus bietet<br />
und jedem Prozess werden digitale<br />
Repräsentanten zugeordnet. Ein<br />
derart „intelligentes“ Coil wird in einer<br />
Abfolge von dezentral selbstoptimierenden<br />
Produktionsschritten<br />
hergestellt und stellt jedem dieser<br />
Schritte nicht nur seinen aktuellen<br />
Zustand, sondern vor allem seine<br />
Produktionshistorie zur Verfügung.<br />
„Wesentliche Änderungen im<br />
Rahmen der Digitalisierung<br />
werden zuerst die Produktions-,<br />
die Instandhaltungs- und die<br />
Qualitätsprozesse erfassen“<br />
Dr.-Ing. Markus Reifferscheid, SMS group GmbH<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Dieses intelligente Coil und Industrie<br />
4.0 sind längst keine reine<br />
Zukunftsmusik mehr. In den Projekten<br />
der Stahlindustrie wurden<br />
bereits ausgesuchte Aspekte an<br />
konkreten Anwendungsszenarien<br />
erforscht: Serviceorientierte<br />
Ansätze, miniaturisierte Computerbausteine,<br />
intelligente autonome<br />
Softwareprogramme, clevere<br />
Datenstrukturen, werksweite Optimierung<br />
– viele der nötigen<br />
Bausteine, die benötigt werden,<br />
um das ökonomische Potenzial<br />
des digitalen Wandels zu heben,<br />
stehen bereit, um zu Lösungen<br />
kombiniert zu werden.<br />
Digitalisierung in der<br />
Stahlindustrie aus Sicht<br />
des Anlagenbaus<br />
Dr.-Ing. Markus Reifferscheid,<br />
Leiter Entwicklung, SMS group<br />
GmbH, Düsseldorf, bestätigte,<br />
dass das Thema Industrie 4.0<br />
bzw. Digitalisierung scheinbar<br />
alle und jeden seit vielen Monaten<br />
beschäftigt. Alle suchen nach<br />
dem einen Ziel, dabei ist bei der<br />
Digitalisierung nur eine Richtung<br />
vorgegeben und der Weg zur Digitalisierung<br />
ist das eigentliche Ziel.<br />
Ganz nüchtern betrachtet,<br />
geht es für die SMS-Kunden um<br />
die „Smarte Stahlfabrik“, die eine<br />
intelligente, (weitgehend) autonome<br />
Produktion von Stahlprodukten<br />
ermöglicht. Das Ziel ist wohl<br />
bekannt und wird zweifelsfrei seit<br />
vielen Jahrzehnten in der Branche<br />
konsequent verfolgt. Auch ganz<br />
ohne Digitalisierung wird es in<br />
Zukunft vor allem erst mal darum<br />
gehen,<br />
▷▷<br />
den Werkstoff Stahl als zukunftsfähigen<br />
Werkstoff unter<br />
den gegebenen rechtlichen und<br />
finanziellen Rahmenbedingungen<br />
am Markt zu halten, d. h. die<br />
Werkstoff- und Produktentwicklung<br />
konsequent fortzuführen;<br />
▷▷<br />
die Kundenbedürfnisse zu erkennen<br />
und zu flexiblen, d. h. unter<br />
variierenden Randbedingungen<br />
bestmöglich zu befriedigen;<br />
▷▷<br />
schlanke Prozesse und Kostenstrukturen<br />
bei gleichzeitiger<br />
Schonung von Ressourcen und<br />
der Einhaltung von Umweltund<br />
Rechtsstandards sind unerlässlich.<br />
Erst in diesem Zusammenhang erhält<br />
der Begriff „Digitalisierung“<br />
seine Bedeutung. Digitalisierung<br />
ist kein Selbstzweck. Es geht daher<br />
vielmehr um die Beantwortung der<br />
Frage: „An welcher Stelle kann uns<br />
die Digitalisierung helfen, die genannten<br />
Ziele besser zu erreichen?“<br />
Was ist also Industrie 4.0 bzw.<br />
Digitalisierung? Es kann als ein<br />
Prozess definiert werden:<br />
▷▷<br />
Es ist der aktuelle Trend hin<br />
zu Digitalisierung, Automation<br />
und offenem Datenaustausch<br />
und Datenzugang in den Prozessen<br />
der produzierenden Unternehmen;<br />
▷▷<br />
Das Streben nach dem Erreichen<br />
einer starken kundenorientierten<br />
Produktion von<br />
individuellen Produkten unter<br />
den Bedingungen einer Massenfertigung;<br />
▷▷<br />
Das Verbessern der Automationssysteme<br />
durch die<br />
Einführung von Datenanalysemethoden<br />
in Richtung<br />
Selbstoptimierung, Selbstkonfiguration,<br />
Selbstdiagnose, Mustererkennung<br />
und intelligenter,<br />
unterstützender Systeme für die<br />
Mitarbeiter in den Werken;<br />
▷▷<br />
Am Ende des Prozesses steht die<br />
gleichberechtigte, kollaborative<br />
Zusammenarbeit zwischen<br />
Mensch und cyber-physischen<br />
Systemen.<br />
Das Thema Digitalisierung / Industrie<br />
4.0 geht alle an. SMS group<br />
sieht die Vorgänge eher als Evolution<br />
denn als Revolution. Einige Änderungen<br />
stellen heutige Systemlösungen<br />
und Business-Modelle<br />
infrage. Das gilt sowohl für die SMS<br />
group als Anlagenbauer als auch<br />
für die Stahlhersteller. Das Unternehmen<br />
erwartet, dass die ersten<br />
Änderungen in den Bereichen der<br />
Produktion, der Instandhaltungsprozesse<br />
und der Qualitätssicherungsprozesse<br />
stattfinden. Die<br />
wesentlichen Enabler, die diese<br />
Änderungen hervorrufen, sind Big<br />
Data Analytics, eingebettete Systeme,<br />
digitale Serviceplattformen<br />
sowie die Fähigkeit, mobile Vernet-<br />
68<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
zung in den Werken zu realisieren<br />
und die Leistungsfähigkeit von<br />
Cloud Computing. Starten, nicht<br />
Warten, heißt die Devise.<br />
Als die SMS group begonnen<br />
hat, sich mit dem Thema intensiver<br />
auseinanderzusetzen, hat man<br />
festgestellt, dass an der einen oder<br />
anderen Stelle eigentlich schon Industrie<br />
4.0 in die eigenen Prozesse<br />
Einzug gehalten hatte, ohne dass<br />
man diese unter diesem Namen<br />
adressiert hatte.<br />
Zwei interne Anwendungsbeispiele<br />
aus der Vergangenheit belegen<br />
dies. Seit mehr als 15 Jahren<br />
setzt SMS auf die sogenannte digitale<br />
Werkstatt, in der das Unternehmen<br />
seine 3-D-CAD-Konstruktionen<br />
und Engineeringleistungen virtuell<br />
überprüft. Seit vielen Jahren<br />
kommt der Integrationstest der<br />
Automation zur Anwendung, wo<br />
man die Anlagengeometrie mit<br />
den Automationslösungen und<br />
den Hardwarekomponenten gemeinsam<br />
testet. Dies verkürzt die<br />
Hochlaufkurven der Anlagen mit<br />
dem Ziel einer stabilen Produktion<br />
und einer guten Produktqualität<br />
von Anfang an.<br />
Wo wird Industrie 4.0 Prozesse<br />
bei SMS-Kunden verändern? Das<br />
reicht von der Supply Chain über<br />
den Vertrieb, über die IT-Umgebung<br />
bis hin in die Produktion, in den<br />
Bereich des Qualitätsmanagements<br />
und Procurement. Das heißt, Digitalisierung<br />
betrifft alle Prozesse in<br />
einem Unternehmen und unterwirft<br />
diese einem Transformationsprozess.<br />
Mitarbeiter aus dem Supply<br />
Chain Management erwarten einige<br />
Veränderungen, wünschen<br />
sich Simulationswerkzeuge, um<br />
die Produktion besser planen zu<br />
können, um Produktionsabläufe<br />
oder Energieverbräuche besser vorhersagen<br />
zu können. Sie erwarten<br />
kooperative Logistiklösungen zusammen<br />
mit den Lieferanten von<br />
Ersatzteilen, von Rohstoffen und<br />
Verbrauchsmitteln.<br />
Aus dem Vertrieb kommen<br />
Forderungen nach digitalen Preiswerkzeugen<br />
zur besseren Preisfindung<br />
und Lösungen zu „digitalen<br />
Fingerabdrücken“ von Produkten<br />
und Prozessen zur Dokumentation<br />
gegenüber den Kunden.<br />
Die IT- und Automationsanbieter<br />
und IT-Abteilungen stehen vor<br />
der Herausforderung, die richtigen<br />
„Industrie 4.0 ist ein ganzheitlicher<br />
Ansatz zur funktionalen Vernetzung von<br />
Unternehmensprozessen − es ist ein Weg,<br />
eine Philosophie, ein Paradigma. Denken<br />
Sie groß – starten Sie smart“<br />
Dipl.-Math. Michael Hecht, AG der Dillinger Hüttenwerke<br />
Informationen allen Beteiligten<br />
geeignet auf bereitet, sicher, jederzeit<br />
und am besten noch mobil zugänglich<br />
zu machen. Oft eine echte<br />
Herausforderung bei heterogenen<br />
Anlagen- und Automationslösungen<br />
aus den letzten zwei bis vier<br />
Jahrzehnten.<br />
Die Produktion setzt vor allen<br />
Dingen auf den Einsatz von Big<br />
Data oder Data Analytics, um die<br />
Prozesse insgesamt besser überwachen<br />
und steuern zu können. Die<br />
heute rein physikalisch basierten<br />
Modellansätze werden u. U. durch<br />
datengetriebene Modelle erweitert<br />
oder sogar ersetzt. Als Anlagenbauer<br />
sieht die SMS group, dass sich der<br />
Trend hin zu Predictive Maintenance-<br />
und Servicelösungen für Kernkomponenten<br />
beschleunigen wird.<br />
Im Vordergrund stehen beim<br />
Qualitätsmanagement die prozessstufenübergreifende<br />
Sicherstellung<br />
und Verfolgung der Produkte, der<br />
Anlagen und Prozesse. Zudem sollen<br />
die Verbräuche von Medien<br />
und Einsatzstoffen transparent gestaltet<br />
werden. Qualitätsrelevante<br />
Entscheidungen müssen frühzeitig<br />
im Prozess eingeleitet werden, um<br />
die Verarbeitungstiefe bei potenziellen<br />
Abweichungen gering zu halten<br />
oder frühzeitig Prozessabweichungen<br />
entgegenzusteuern.<br />
Ortsaufgelöstes Verfolgen von<br />
Produkten und Komponenten,<br />
aber auch von Mitarbeitern zu<br />
Sicherheitszwecken werden an<br />
Bedeutung gewinnen. Im Bereich<br />
Procurement hat die SMS group<br />
erste Warehousing-Konzepte realisiert,<br />
d. h., SMS übernimmt die Ersatzteilehaltung<br />
für den Kunden als<br />
Dienstleistung. Skaleneffekte über<br />
das Poolen von Ersatzteilportfolien<br />
eröffnen Kostensenkungspotenziale.<br />
Als Anlagenbauer erwartet das<br />
Unternehmen, dass wesentliche<br />
Änderungen im Rahmen der Digitalisierung<br />
zuerst die Produktions-,<br />
die Instandhaltungs- und die Qualitätsprozesse<br />
erfassen wird.<br />
Es wurden einige Lösungen<br />
vorgestellt, die die SMS group mit<br />
und bei diversen Kunden umgesetzt<br />
hat:<br />
▷▷<br />
Vorausschauende Instandhaltungslösung<br />
für den Einsatz in<br />
einer intelligenten Spindel in<br />
einem Warmwalzwerk;<br />
▷▷<br />
Echtzeiterfassung der Logistik<br />
des Pfannenumlaufs in einem<br />
Stahlwerk inkl. Neuzustellung,<br />
Heizen, Einsatzzeiten mit Stahlkontakt,<br />
Transportvorgänge;<br />
▷▷<br />
Softwarelösung zur Datenerfassung<br />
und -auswertung, um Dateninhalte<br />
transparent, intuitiv<br />
Mathematiker Michael Hecht erläuterte betriebliche<br />
Industrie-4.0-Anwendungen bei Dillinger<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 69
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Technische Aspekte der Digitalisierung in der Stahlindustrie<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Die beiden Anlagenplaner Dr. Gerald Wimmer (oben) und<br />
Dr. Martin Egger (unten) präsentierten Lösungen für die<br />
Digitalisierung im Schmelzbetrieb<br />
und aktuell zugänglich zu machen<br />
und den Bedienern Qualitätsentscheidungen<br />
in Echtzeit<br />
zu ermöglichen;<br />
▷▷<br />
Lösung zum schnellen und<br />
sicheren Identifizieren von<br />
Ersatzteilen und Zugriff auf<br />
Datenblätter, Wartungs- und Betriebsanweisungen<br />
sowie für die<br />
schnelle Ersatzteilbeschaffung.<br />
Industrie 4.0 —<br />
Der Dillinger Weg<br />
Dipl.-Math. Michael Hecht, Fachverantwortlicher<br />
für Industrie<br />
4.0 und Digitalisierung, AG der<br />
Dillinger Hüttenwerke, Dillingen,<br />
stellte die in seinem Unternehmen<br />
umgesetzten Industrie-4.0-Lösungen<br />
vor.<br />
Der Begriff Industrie 4.0 ist nun<br />
schon seit mehreren Jahren medial<br />
allgegenwärtig. Speziell in den<br />
Jahren 2015 und <strong>2016</strong> wurde in der<br />
deutschen Industrie der Übergang<br />
von vorsichtiger, beobachtender<br />
Zurückhaltung zu ersten konkreten<br />
Umsetzungsmaßnahmen<br />
vollzogen. Ein Großteil der präsentierten<br />
Industrie-4.0-Beispiele<br />
kam dabei aus dem Maschinenbau<br />
sowie aus der Fertigungsindustrie.<br />
Das heißt aber keinesfalls, dass<br />
Industrie 4.0 in der Prozess- bzw.<br />
Grundstoff- und damit auch der<br />
Stahlindustrie nur teilweise oder<br />
unvollständig anwendbar ist. Vielmehr<br />
bedarf es einer geeigneten<br />
Erweiterung der Interpretation<br />
verschiedener Kernaspekte, um<br />
deren volles Potenzial auch in<br />
der Stahlindustrie ausschöpfen zu<br />
können. Dass es sich bei Industrie<br />
4.0 nicht um einen vorübergehenden<br />
Hype handelt, den man<br />
gefahrlos aussitzen kann, zeigen<br />
die inzwischen in konkurrierenden<br />
Wirtschaftsräumen gestarteten<br />
Initiativen wie das Industrial<br />
Internet Consortium (USA), die<br />
Industrial Value Chain Initiative<br />
(Japan) oder „Made in China 2025“.<br />
Dillinger hat bereits im Jahr<br />
2015 damit begonnen, die Anwendbarkeit<br />
verschiedener Industrie-4.0-Konzepte<br />
auf seine Prozesse<br />
zu analysieren. Daraus entstand<br />
das unternehmensinterne „Dillinger<br />
Handbuch Industrie 4.0“, das<br />
Erklärungen und Interpretationen<br />
sowie eine Umsetzungsstrategie<br />
bereitstellt. Als Europas führender<br />
Grobblechhersteller kann Dillinger<br />
auf eine umfassend ausgebaute<br />
Automatisierungs- und Digitalisierungslandschaft<br />
− also optimale<br />
Startbedingungen − zurückgreifen.<br />
Frühzeitig war klar, dass bereits<br />
zahlreiche Industrie-4.0-konforme<br />
bzw. -teilkonforme Vernetzungslösungen<br />
im Unternehmen verfügbar<br />
sind. Diese wurden auch<br />
ohne die Berücksichtigung der<br />
durch den Begriff Industrie 4.0<br />
definierten Philosophie umgesetzt.<br />
Die neue, mit Industrie 4.0<br />
verbundene Denkweise zeigte allerdings,<br />
dass in einigen Bereichen<br />
ein koordiniertes, systematisches<br />
Vorgehen zusätzliche Potenziale<br />
ausschöpfen kann. Dabei ist es keineswegs<br />
notwendig oder sinnvoll,<br />
ausschließlich komplexe und kostenintensive<br />
Einzelprojekte umzusetzen.<br />
Vielmehr kann auch die<br />
Summe einzelner, „evolutionärer“,<br />
Industrie-4.0-konformer Maßnahmen<br />
die Prozessintegration deutlich<br />
erhöhen und harmonisieren.<br />
Mögliche Ansätze umfassen<br />
z. B. den Ausbau und die Standardisierung<br />
von Vernetzungslösungen,<br />
sowohl technisch als auch<br />
funktional, d. h. bezüglich der<br />
Inhalte und der Interaktion der<br />
beteiligten Prozesse. Hierzu müssen<br />
neue oder bereits vorhandene<br />
Industrie-4.0-konforme Lösungen<br />
als Best Practice auch in weniger<br />
umfassend vernetzte Prozesse integriert<br />
werden.<br />
Ein weiterer Schritt ist die<br />
konsequente Vernetzung mit<br />
Kunden. Es ist im ureigensten<br />
Interesse von Dillinger, so eng<br />
wie möglich an den Kunden und<br />
ihren Projekten zu agieren. Dabei<br />
sollten die gemeinsamen Prozesse<br />
funktional und logistisch über<br />
möglichst standardisierte Technologien<br />
nahtlos integriert werden.<br />
Gleiches gilt für die Prozessintegration<br />
mit Zulieferern. Als weiteres<br />
Beispiel sei die durchgängige<br />
Verwendung von Datenmodellen<br />
genannt.<br />
Erfahrene Metallurgen wissen,<br />
dass ein physikalisches Modell<br />
mit integriertem Prozesswissen<br />
im Zweifelsfall immer zu bevorzugen<br />
ist. Die massive Bereitstellung<br />
von im Prozess erfassten, heterogenen<br />
Daten (Big Data) macht<br />
es aber immer schwerer, adäquate<br />
und wissenschaftlich fundierte<br />
Modelle zu entwickeln. Hier können<br />
Datenmodelle − zumindest<br />
vorübergehend − Abhilfe schaffen.<br />
Ein tiefes Prozessverständnis<br />
vorausgesetzt, können Modelle<br />
wie z. B. Neuronale Netze (Deep<br />
Learning Netze), Support-Vektor-<br />
Maschinen, Random Forests oder<br />
allgemeiner: datengetriebene Regressions-,<br />
Klassifikations- und<br />
Assoziationsverfahren kurzfristig<br />
eine leistungsfähige Verarbeitung<br />
von Massendaten ermöglichen.<br />
Damit die Transformation<br />
zu einem Industrie-4.0-Unternehmen<br />
mit angemessener Ge-<br />
70<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
schwindigkeit bei vertretbarem<br />
Ressourcen einsatz beginnen<br />
kann, sollten am Anfang im Hinblick<br />
auf Dauer und Ressourcenbedarf<br />
überschaubare Projekte<br />
und Maßnahmen stehen. Hierbei<br />
sollte man sich nicht von zu engen<br />
Industrie-4.0-Konformitätskriterien<br />
verunsichern lassen,<br />
sondern die Konzepte realisieren,<br />
die den Digitalisierungs- und Vernetzungsgrad<br />
erhöhen und den<br />
Prozess unterstützen. Pragmatismus<br />
ist oberstes Gebot. Nach<br />
der Sammlung von ersten praktischen<br />
Erfahrungen können die<br />
Aktivitäten nach Bedarf skaliert<br />
werden. Auch wenn heute noch<br />
nicht zu 100 % offensichtlich<br />
ist, wie groß der Nutzen Industrie-4.0-konformer<br />
Prozesse für<br />
die Stahlindustrie sein wird, ist<br />
dennoch klar, dass die Systematisierung<br />
der funktionalen<br />
Prozessvernetzung die Effizienz<br />
erhöhen, den Ressourcenbedarf<br />
verringern und Prozessrisiken<br />
senken wird.<br />
Referenzprojekte in der<br />
Digitalisierung im<br />
Schmelzbetrieb<br />
Die Stahlindustrie steht weltweit<br />
vor gewaltigen Herausforderungen,<br />
allen voran Überkapazitäten,<br />
Kostendruck, Reduktion von<br />
CO 2<br />
-Emissionen, enorme Marktvolatilitäten<br />
sowie gesellschaftliche<br />
Veränderungen. Eine der Antworten<br />
auf diese Herausforderungen<br />
ist sicher in einer weiteren Optimierung,<br />
Flexibilisierung und<br />
Automatisierung der Stahlerzeugung<br />
zu finden, so Dr.-Ing. Gerald<br />
Wimmer, Vice President Converter<br />
Steelmaking, Primetals Technologies<br />
Austria GmbH, Linz, und Dr.-<br />
Ing. Martin W. Egger, Betriebsingenieur<br />
Tiegelbetrieb, voestalpine<br />
Stahl GmbH, Linz, Österreich, in<br />
ihrem Gemeinschaftsvortrag. Als<br />
einer der Marktführer bei Lösungen<br />
für die Eisen- und Stahlindustrie<br />
hat Primetals Technologies<br />
diesen Trend früh erkannt und<br />
konsequent auf die Entwicklung<br />
von Produkten für die Digitalisierung<br />
der Stahlerzeugung gesetzt<br />
wie im Folgenden an aktuellen<br />
ausgewählten Beispielen gezeigt<br />
wird.<br />
Die Entwicklungen umfassen<br />
unter anderem die Mechanisierung<br />
und Automatisierung<br />
manueller Tätigkeiten, Prozessmodelle<br />
zur Optimierung und<br />
Steuerung der metallurgischen<br />
Prozesse, übergeordnete Systeme<br />
zur Überwachung und Steuerung<br />
der Produktion und der Produktqualität<br />
entlang des gesamten<br />
Produktionsprozesses sowie Monitoringsysteme,<br />
die den Anlagenzustand<br />
überwachen und Wartungsaktivitäten<br />
steuern.<br />
Ziel der weiteren Automatisierung<br />
im Werk ist es zum einen,<br />
das Personal zu entlasten sowie die<br />
Arbeitsbedingungen sicherer zu<br />
machen, und zum anderen, einen<br />
standardisierten und optimierten<br />
Ablauf des Prozesses sicherzustellen.<br />
Ein aktuelles Beispiel dazu ist<br />
die erfolgreiche Implementierung<br />
von Robotern für das Handling der<br />
Sublanzenproben an den drei Konvertern<br />
bei voestalpine Stahl, Linz.<br />
Durch diesen Umbau konnte ein<br />
manuelles Hantieren der Proben<br />
und ein Testen des Messsystems<br />
gänzlich eliminiert und die Verfügbarkeit<br />
auf über 98,5 % gesteigert<br />
werden.<br />
Prozessmodelle für eine Onlineberechnung<br />
der metallurgischen<br />
Prozesse gehören mittlerweile<br />
zum Standard in modernen<br />
Stahlwerken. Im nächsten Entwicklungsschritt<br />
geht es darum,<br />
diese Modelle miteinander zu<br />
verknüpfen, um eine anlagenübergreifende<br />
Optimierung der<br />
Prozesse und der Qualitätssteuerung<br />
zu ermöglichen. Mit der<br />
erfolgreichen Inbetriebnahme<br />
des TPQC (Through-Process-Quality-Control<br />
System) bei einem<br />
Kunden in China ist Primetals<br />
ein weiterer Meilenstein in dieser<br />
Entwicklung gelungen. Dieses<br />
System erlaubt eine durchgängige<br />
Verfolgung der Produktqualität,<br />
erstellt Vorschläge für<br />
Korrekturen in den folgenden<br />
Prozessschritten, falls es zu Abweichungen<br />
kommt, und startet<br />
eine Analyse der Ursachen<br />
der Abweichung, um Korrekturen<br />
für die folgenden Chargen<br />
zu definieren. Im System sind<br />
dazu Regeln definiert, die im<br />
Betrieb laufend erweitert und<br />
angepasst werden können und<br />
es somit ermöglichen, Know-how<br />
aus dem Betrieb zu dokumentieren<br />
und anwendbar zu machen.<br />
Das System wertet zudem eine<br />
Vielzahl von Kennzahlen aus,<br />
um Abweichungen vom idealen<br />
Prozess rechtzeitig zu erkennen<br />
und Korrekturmaßnahmen zu<br />
ergreifen.<br />
Ein weiterer Bereich, der durch<br />
die fortschreitende Digitalisierung<br />
einen Wandel durchlaufen<br />
wird, ist die Wartung und Instandhaltung<br />
der Anlagen. Wurde<br />
früher zum Beispiel der Tausch<br />
von Verschleißkomponenten<br />
nach fixen Zeitintervallen durchgeführt,<br />
so können mittlerweile<br />
Condition Monitoring Systeme<br />
(CMS) den idealen Zeitpunkt,<br />
basierend auf den tatsächlichen,<br />
aktuellen Zuständen der Komponenten,<br />
bestimmen. Primetals<br />
Technologies hat eine eigene<br />
CMS-Plattform entwickelt, die es<br />
erlaubt, eigene Lösungen als auch<br />
Lösungen von anderen Anbietern<br />
über ein System auszuwerten<br />
und zu bedienen. Somit muss in<br />
der Instandhaltung nur ein Tool<br />
bedient werden und der Zustand<br />
der gesamten Anlage kann auf<br />
einen Blick erfasst werden. Ein<br />
aktuelles Anwendungsbeispiel<br />
dazu ist die Überwachung<br />
aller Kernkomponenten eines<br />
Konverters, wobei sogar für die<br />
langsam laufenden Traglager<br />
des Konverters eine zuverlässige<br />
Überwachungslösung gefunden<br />
wurde.<br />
Mit diesen Entwicklungen ist<br />
Primetals Technologies gemeinsam<br />
mit langjährigen Kunden<br />
und Entwicklungspartnern wieder<br />
einen Schritt weiter in der<br />
Digitalisierung der Stahlherstellung<br />
vorangekommen. Einer der<br />
Erfolgsfaktoren dabei ist sicher die<br />
enge Verknüpfung von Prozess,<br />
Equipment und Automation sowie<br />
der langjährigen Erfahrung<br />
im Anlagenbau.<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 71
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Kursbestimmung nach Paris: Wege zu einer nachhaltigen Klimapolitik<br />
Cathrin Hesseler<br />
Klimapolitik —<br />
die Auswirkungen von Paris<br />
Mit dem Klimaschutzabkommen von Paris haben sich 195 Länder verpflichtet, die durch<br />
Treibhausgase verursachte Erderwärmung zu senken. Die Vereinbarung bereitet der<br />
Stahlindustrie Sorgen, weil keine international verbindlichen Ziele festgelegt wurden.<br />
Die Branche fürchtet um ihre Konkurrenzfähigkeit. Sie fordert, dass den effizientesten<br />
Anlagen keine zusätzlichen Kosten durch den Emissionsrechtehandel auferlegt werden<br />
dürfen, um beim Umweltschutz die Wettbewerbsbedingungen nicht weiter zu verzerren.<br />
K<br />
aum ein Thema ist für<br />
die Stahlindustrie so<br />
wichtig wie die Klimapolitik.<br />
Das jedenfalls<br />
fand Dipl.-Ing.<br />
Frank Schulz, Vorsitzender der<br />
Geschäftsführung, ArcelorMittal<br />
Germany Holding GmbH, Hamburg.<br />
„Eine Orientierung an der<br />
Nachhaltigkeit ist für die Stahlindustrie<br />
sowohl Verpflichtung als<br />
auch Anspruch“, sagte Schulz in<br />
seiner Anmoderation des Stahldialogs<br />
„Kursbestimmung nach Paris:<br />
Wege zu einer nachhaltigen Klimapolitik“.<br />
Leider, so Schulz weiter,<br />
würde das in der Diskussion<br />
häufig schlicht verkannt.<br />
Einige Tage nach dem offiziellen<br />
Inkrafttreten des Pariser<br />
Klimaschutzabkommens wolle<br />
der Stahldialog Antworten finden<br />
auf die Frage, wie die Stahlindustrie<br />
zu einer nachhaltigen<br />
Klimapolitik kommen und dabei<br />
wettbewerbsfähig bleiben könne,<br />
sagte Schulz. Und schickte eine<br />
Bemerkung gleich vorweg: „Um<br />
die Verantwortung für den Klimaschutz<br />
wahrnehmen zu können,<br />
brauchen wir die entsprechenden<br />
politischen Rahmenbedingungen.<br />
Und das ist genau unser<br />
Problem. Denn diese sind für uns<br />
noch nicht ausreichend.“<br />
Problem des Abkommens<br />
von Paris sei, dass verbindliche<br />
und vergleichbare Ziele nicht<br />
festgelegt wurden. Von fairen<br />
Wettbewerbsbedingungen für<br />
die Stahlindustrie sei man weit<br />
entfernt, monierte Schulz. Nach<br />
Foto: thyssenkrupp<br />
Wettbewerbsfähigkeit und Investitionsperspektiven der Stahlindustrie hängen in hohem Maße davon ab, dass<br />
in der Klimapolitik gleiche Bedingungen unter den weltweiten Wettbewerbern herrschen<br />
72<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Berechnungen zweier Wissenschaftler<br />
der Universität Cambridge<br />
machten die Emissionen<br />
der weltweiten Stahlindustrie<br />
derzeit etwa 6 % des globalen<br />
CO 2<br />
-Ausstoßes aus. Gemessen<br />
an anderen Stahlregionen, setzten<br />
Stahlunternehmen in Europa<br />
dabei bei der Produktion einer<br />
Tonne Stahl weit weniger Kohlendioxid<br />
frei. Zudem habe die<br />
Branche hier die Emissionen je<br />
Tonne Fertigerzeugnis seit 1990<br />
um 20 % gesenkt, betonte Schulz.<br />
„Wir kommen mehr und mehr<br />
an die Grenzen des technisch<br />
Machbaren“, stellte er fest. Die<br />
Hauptfrage sei, wie die Industrie<br />
den Ausstoß von Klimagasen<br />
weiter verringern könne, ohne<br />
unwirtschaftlich zu produzieren.<br />
Zurzeit habe man darauf noch<br />
keine ausreichenden Antworten.<br />
Die Industrie fordere aber eine<br />
Reform des Emissionsrechtehandels,<br />
um „Luft“ für die langfristige<br />
Forschung an neuen, weniger<br />
belastenden Verfahren zu<br />
bekommen. Das Handelssystem<br />
müsse grundsätzlich überarbeitet<br />
werden, um die Branche nicht<br />
mit unzumutbaren und existenzbedrohenden<br />
Kosten zu belasten,<br />
sagte Schulz.<br />
Kohärenter Klimaschutz<br />
Pauschale Kritik am Emissionsrechtehandel<br />
hielt Dr. Götz Reichert<br />
indessen für unbegründet. Für<br />
den Fachbereichsleiter Umwelt,<br />
Energie, Klima, Verkehr beim Centrum<br />
für Europäische Politik sind<br />
Widersprüche und Verzerrungen<br />
angesichts der vielen Beteiligten<br />
mit ihren unterschiedlichen Interessen<br />
vielmehr programmiert. In<br />
seinem Beitrag „Empfehlungen für<br />
eine kohärente Klimapolitik aus<br />
wissenschaftlicher Perspektive“<br />
nannte er einige dieser Widersprüche.<br />
Problem sei zum Beispiel, dass<br />
die Klimaschutzziele Deutschlands<br />
und Europas nicht aufeinander abgestimmt<br />
seien. So wolle die EU<br />
bis 2020 mindestens 20 und bis<br />
„Von fairen Wettbewerbsbedingungen sind<br />
wir weit entfernt“<br />
Dipl.-Ing. Frank Schulz, Vorsitzender der Geschäftsführung,<br />
ArcelorMittal Germany Holding GmbH<br />
2030 mindestens 40 % der Emissionen<br />
gegenüber 1990 einsparen.<br />
Deutschland hingegen habe sich<br />
bis 2020 eine Reduzierung um<br />
mindestens 40 und bis 2030 sogar<br />
um 55 % zum Ziel gesetzt.<br />
Den Emissionsrechtehandel<br />
hielt Reichert für das wichtigste<br />
Instrument einer kohärenten<br />
Klimapolitik auf europäischer<br />
Ebene, weil nur damit der in der<br />
EU maximal zulässige Gesamtausstoß<br />
an CO 2<br />
jährlich sukzessive<br />
reduziert werden könne. Er<br />
empfahl deshalb, den Handel<br />
als bevorzugtes Instrument einzusetzen.<br />
Der aktuell niedrige<br />
Preis der Emissionszertifikate<br />
ändere nichts an der treffsicheren<br />
Reduktion des CO 2<br />
-Ausstoßes,<br />
betonte Reichert. Andere<br />
Regulierungsmaßnahmen – wie<br />
beispielsweise zur Verringerung<br />
von Emissionen durch Gebäudedämmung<br />
oder im Automobilbereich<br />
– sehe er als weniger<br />
effizient an. Vielmehr sollte der<br />
Emissionsrechtehandel auf andere<br />
Sektoren – wie zum Beispiel<br />
den Verkehr – ausgeweitet<br />
werden. „Im Gegenzug kann<br />
man auf andere nationale oder<br />
internationale Maßnahmen verzichten.“<br />
Diese beeinträchtigten<br />
die Effizienz des Handelssystems<br />
nur, trügen letztlich aber nicht<br />
dazu bei, Emissionen zu reduzieren.<br />
Seine Empfehlung sei<br />
deshalb, bei der aktuellen Reform<br />
wirksame Regelungen zur<br />
Vermeidung von Carbon Leakage<br />
auszugestalten. Um das Risiko<br />
der Verlagerung von Emissionen<br />
aus der Welt zu schaffen, müsste<br />
der Preis für den CO 2<br />
-Ausstoß<br />
weltweit identisch sein. Dann<br />
unterlägen alle Unternehmen<br />
den gleichen Wettbewerbsbedingungen.<br />
Das Abkommen von<br />
Paris biete die Möglichkeit, dass<br />
Staaten ihre Klimaschutzbemühungen<br />
verstärkten und dabei<br />
auch weiter voneinander lernten.<br />
Auch China wolle 2017 ein<br />
landesweites System einführen.<br />
Reichert erachtete es weiterhin<br />
als wichtig, die nationalen Systeme<br />
zu harmonisieren. Dann<br />
trügen alle beteiligten Staaten<br />
zum Klimaschutz bei und wür-<br />
Moderator Frank Schulz, Vorsitzender der Geschäftsführung,<br />
ArcelorMittal Germany Holding, erläuterte die Bedeutung<br />
des Klimaabkommens COP21 für die Stahlindustrie und<br />
verwies auf notwendige Änderungen beim Emissionsrechtehandel,<br />
damit Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft<br />
der Stahlindustrie erhalten bleiben<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
Umweltexperte Dr. Götz Reichert gab aus wissenschaftlicher<br />
Sicht Empfehlungen für eine kohärente Klimapolitik<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 73
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Kursbestimmung nach Paris: Wege zu einer nachhaltigen Klimapolitik<br />
Prof. Dr. Manfred Fischedick analysierte das Abkommen von<br />
Paris und erläuterte den künftigen Handlungsbedarf<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
„Es wäre Quatsch, wenn wir eine Politik<br />
machten, die dazu führt, dass Stahl nur<br />
noch außerhalb Europas produziert würde“<br />
Dr. Peter Liese MdEP, Koordinator EVP-Fraktion<br />
Europaparlamentarier Dr. Peter Liese erklärte die<br />
Europäische Klimapolitik und wie die industrielle<br />
Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden kann<br />
de CO 2<br />
dort reduziert, wo das am<br />
kostengünstigsten möglich sei.<br />
Europäische Klimapolitik<br />
und industrielle<br />
Wettbewerbsfähigkeit<br />
Auch der Koordinator der<br />
EVP-Fraktion für Umweltfragen,<br />
öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit<br />
in Brüssel,<br />
Dr. Peter Liese, hielt es für unverzichtbar,<br />
sich intensiver mit<br />
dem Thema Carbon Leakage zu<br />
befassen. Nach der Wahl Donald<br />
Trumps zum neuen Präsident der<br />
USA sei es unwahrscheinlich geworden,<br />
dass es weltweit gleiche<br />
Rahmenbedingungen geben werde,<br />
sagte er. „Wir müssen unsere<br />
klimaschutzpolitischen Instrumente<br />
in Deutschland und Europa<br />
so ausgestalten, dass es nicht zur<br />
Verlagerung von Arbeitsplätzen<br />
und Wirtschaftskraft kommt“, forderte<br />
Liese. Wichtig sei, die Zuteilung<br />
so zu bemessen, dass die 10 %<br />
modernsten Anlagen die Emissionszertifikate<br />
kostenfrei erhielten.<br />
Dieser Forderung der europäischen<br />
Stahlindustrie würde sich die EVP<br />
zu 100 % anschließen. „Wir brauchen<br />
auf absehbare Zeit den Stahl.<br />
Und deshalb wäre es Quatsch, eine<br />
Politik zu machen, die dazu führt,<br />
dass Stahl nur noch außerhalb Europas<br />
produziert würde“, machte<br />
Liese deutlich.<br />
Den Vertretern der Stahlindustrie<br />
sprach er ein Kompliment<br />
aus. Sie hätten es wie kein anderer<br />
Sektor geschafft, auf Probleme<br />
hinzuweisen. In Gremien<br />
werde bei der Diskussion über<br />
die Gefahr von Arbeitsplatzverlagerungen<br />
die Stahlindustrie<br />
immer an erster Stelle genannt.<br />
Liese zeigte sich überzeugt, dass<br />
der Kommissionsvorschlag zum<br />
Emissionsrechtehandel geändert<br />
werden müsse: Um die Industrie<br />
mit mehr kostenlosen Zertifikaten<br />
auszustatten, will er deren<br />
Menge um 5 % erhöhen. „Der<br />
Ausschuss für Industrie, Forschung<br />
und Energie des Europäischen<br />
Parlaments hat diesen<br />
Vorschlag im Wesentlichen angenommen.<br />
Leider gibt es aber<br />
im federführenden Ausschuss<br />
für Umwelt, Gesundheit, und<br />
Lebensmittelsicherheit dafür im<br />
Moment keine Mehrheit. In den<br />
nächsten Wochen müssen wir<br />
uns deshalb stark anstrengen,<br />
um bis zur Abstimmung Anfang<br />
Dezember eine entsprechende<br />
Mehrheit zu organisieren“, sagte<br />
Liese. Er betonte, dass er die Stahlindustrie<br />
als exponierte Branche<br />
von Kürzungen der kostenlosen<br />
Zertifikate verschonen wolle und<br />
forderte in dem Zusammenhang<br />
eine klare Position der deutschen<br />
Bundesregierung. Dabei solle die<br />
Industrie kompromissbereit sein,<br />
forderte Liese. „Bitte überzieht es<br />
nicht“, wandte er sich an die Teilnehmer<br />
des Stahldialogs. „Wenn<br />
wegen des Drucks aus der Industrie<br />
Deutschland nicht zu einer<br />
klaren Position kommt, ist das<br />
das Schlimmste, was uns passieren<br />
kann. Dann kann ich nicht<br />
verhandeln.“ Weiter drängte er:<br />
„Bitte sagen Sie Ihren Partnern in<br />
der Bundesregierung, dass sie sofort<br />
zu einem Ergebnis kommen<br />
müssen – nächste Woche kann<br />
es schon zu spät sein.“<br />
Die Forderung, den Emissionshandel<br />
auf andere Sektoren auszuweiten,<br />
findet Liese richtig. Dabei<br />
wünscht er sich allerdings mehr<br />
Unterstützung von der Industrie.<br />
„Ich erlebe keinen Aufschrei, dass<br />
der Flugverkehr weniger hart rangenommen<br />
wird.“ Den Hinweis darauf,<br />
dass die Flugindustrie Kunde<br />
der Stahlbranche sei und sie deshalb<br />
„verschont“ werden solle,<br />
hielt Liese für zu kurz gegriffen.<br />
„Ich glaube, es ist auch nicht im<br />
Sinne der Kunden, dass die Stahlindustrie<br />
aus Europa verschwindet“,<br />
beschied er.<br />
Das Abkommen von Paris<br />
und künftiger<br />
Handlungsbedarf<br />
In der Auffassung, die europäische<br />
Stahlindustrie trage mit<br />
ihren Innovationen schon am<br />
74<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
„Stahl ist nicht das Problem, sondern Teil<br />
der Lösung. Wir brauchen ein Abkommen,<br />
das gleiche Bedingungen, gleiche Ziele und<br />
gleiche CO 2<br />
-Preise formuliert. Anders wird<br />
Rechtehandel nicht funktionieren, für uns<br />
zumindest nicht“<br />
Axel Eggert, Generaldirektor Eurofer<br />
meisten zum Klimaschutz bei,<br />
waren die Teilnehmer des Panels<br />
sich einig. Das gelte insbesondere<br />
für die energieintensiven Sektoren<br />
wie die Stahlindustrie, so<br />
Prof. Dr. Manfred Fischedick, Geschäftsführer<br />
des Wuppertal Instituts<br />
für Klima, Umwelt, Energie.<br />
Insgesamt gesehen, gebe es jedoch<br />
weiteres Potenzial. Es bestünden<br />
„jede Menge Handlungsmöglichkeiten“<br />
für die gesamte Industrie.<br />
„Das Ziel der nächsten Dekaden<br />
ist die Dekarbonisierung“, sagte<br />
er in seinem Vortrag in Düsseldorf.<br />
Die Industrie trage weltweit<br />
zu 20 % direkt und zu gut 30 %<br />
indirekt – also über ihren Stromverbrauch<br />
– zu Emissionen bei.<br />
Die Verursacher hätten sich dabei<br />
in den letzten Jahren stark in<br />
Richtung Asien verschoben. Vor<br />
allem China als „Werkbank der<br />
Industrie“ stoße große Mengen an<br />
schädlichen Treibhausgasen aus.<br />
Um dem entgegenzuwirken, hielt<br />
Fischedick einen „Dreiklang“<br />
für notwendig: Energieeffizienz<br />
steigern, Dekarbonisierung von<br />
Strom vorantreiben und den<br />
Anteil an klimaverträglich hergestelltem<br />
Strom erhöhen. Das sei<br />
nicht zu Nullkosten zu machen<br />
und nur mit vereinten Anstrengungen<br />
für länderübergreifenden<br />
technologischen Fortschritt, stellte<br />
er fest.<br />
Der Steigerung der Energieeffizienz<br />
maß er dabei „herausragende<br />
Bedeutung“ bei. Dazu sei<br />
es notwendig, Prozesstechnologien<br />
weiterzuentwickeln und zu<br />
weniger kohlenstoffintensiven,<br />
wie zum Beispiel elektrischen,<br />
Anwendungen zu wechseln.<br />
Fischedick forderte, neue Technologien<br />
sollten das Ziel haben,<br />
mittel- bis langfristig emissionsneutral<br />
zu sein. Daneben hielt<br />
er es für unverzichtbar, die Materialien<br />
effizienter einzusetzen<br />
– zum Beispiel, indem die Kreisläufe<br />
mithilfe von Materialrecycling<br />
und „Re-Use“ von Produkten<br />
stärker geschlossen werden. Auch<br />
„intelligente Produkte“ seien<br />
eine Möglichkeit, da sie weniger<br />
Material bei der Herstellung benötigten<br />
und langlebiger seien.<br />
Produkte sollten nach Ansicht<br />
Fischedicks insgesamt effizienter<br />
eingesetzt werden – Car Sharing<br />
sei dafür ein Beispiel. Daneben<br />
sollte es mehr Industriesymbiose<br />
geben, bei der die Nebenprodukte<br />
und Reststoffe einer Branche<br />
Ausgangsstoff eines anderen Produktionszweigs<br />
seien.<br />
Eurofer fordert<br />
Nachbesserungen<br />
Um solche technischen Neuerungen<br />
entwickeln zu können, forderte<br />
Axel Eggert politische Unterstützung.<br />
Der Generaldirektor<br />
des europäischen Stahlverbandes<br />
Eurofer sieht Nachbesserungsbedarf<br />
am Emissionshandelssystem.<br />
„Natürlich brauchen wir ein globales<br />
System, das alle in die Pflicht<br />
nimmt“, unterstrich er. Auch nach<br />
dem Abkommen von Paris habe<br />
die europäische Stahlindustrie im<br />
internationalen Wettbewerb noch<br />
mit sehr unterschiedlichen Bedingungen<br />
zu kämpfen. „Im Grunde<br />
ist das eine Mogelpackung“, sagte<br />
Eggert und forderte: „Wir brauchen<br />
ein Abkommen, das gleiche<br />
Eurofer-Generaldirektor Axel Eggert forderte zum Abschluss<br />
des Stahldialogs ein Abkommen, das gleiche Bedingungen,<br />
gleiche Ziele und gleiche CO 2<br />
-Preise formuliert<br />
Bedingungen, gleiche Ziele und<br />
gleiche CO 2<br />
-Preise formuliert. Anders<br />
wird der Rechtehandel nicht<br />
funktionieren, für uns zumindest<br />
nicht.“<br />
Natürlich stehe die Stahlindustrie<br />
in der Pflicht, Klimaziele<br />
zu erfüllen. Dabei sei Stahl aber<br />
nicht das Problem, sondern Teil<br />
der Lösung. Denn die Branche<br />
könne nur durch Innovationen<br />
bestehen. Und die Klimaziele seien<br />
ohne die Stahlindustrie nicht<br />
zu erreichen.<br />
Neben der geforderten Unterstützung<br />
für technologische<br />
Weiterentwicklung brauche die<br />
Branche Entlastungen. Die effizientesten<br />
Anlagen dürften nicht<br />
weiter mit Kosten belegt werden.<br />
Zum Schutz vor Carbon Leakage<br />
sollten Benchmarks nicht willkürlich<br />
reduziert werden, das wirke<br />
wie ein zweiter Korrekturfaktor.<br />
Eggert appellierte an die EVP, bei<br />
der Festlegung der Benchmarks<br />
100 % CO 2<br />
anzurechnen. Daneben<br />
setze er sich dafür ein, die Strompreiskompensation<br />
auf europäischer<br />
Ebene zu harmonisieren,<br />
und zwar auf einem Niveau von<br />
mindestens 85 %.<br />
Cathrin Hesseler, Freie Journalistin,<br />
Köln.<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 75
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Industrieakzeptanz – Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand<br />
Karin Hardtke<br />
Stahlindustrie im Wandel —<br />
aber mit Zukunft<br />
Die Industrie steht wie kein anderer Wirtschaftszweig in Deutschland für<br />
Wirtschaftswachstum, Wohlstand, Arbeitsplätze und funktionierende<br />
Wertschöpfungsketten. Aber wie ist es heutzutage um ihre Akzeptanz – und damit<br />
auch um die Stahlindustrie – bestellt? Sind nicht mittlerweile in weiten Teilen der<br />
Bevölkerung eher zurückhaltende oder sogar industriekritische Positionen anzutreffen?<br />
Was können Gründe für diese Entwicklung sein? Und welche Strategien können dem<br />
entgegengesetzt werden?<br />
D<br />
gesellschaftlichen<br />
ie Industrie sei<br />
das Rückgrat für<br />
Wohlstand und<br />
wirtschaftlichen<br />
Erfolg − mit diesen Worten eröffnete<br />
Moderator Prof. Dr.-Ing.<br />
Heinz Jörg Fuhrmann, Vorsitzender<br />
des Vorstandes der Salzgitter<br />
AG, den Stahldialog. Seit einiger<br />
Zeit sei allerdings der Trend in<br />
der Bevölkerung zu beobachten,<br />
dass Industrie − und insbesondere<br />
die Schwerindustrie – deutlich<br />
an Akzeptanz verliere. Unbestritten<br />
sei, dass hohe Energiekosten<br />
insbesondere die Stahlbranche<br />
überproportional belasteten.<br />
Befreiungstatbestände und notwendige<br />
Sonderregelungen für<br />
energieintensive Unternehmen<br />
würden von weiten Teilen der<br />
Bevölkerung allerdings als Bevorzugung<br />
wahrgenommen<br />
und hätten zu einer nicht zielführenden<br />
Neiddebatte geführt.<br />
Fuhrmann kritisierte in diesem<br />
Zusammenhang auch die Medien,<br />
die gelegentlich das erforderliche<br />
Hintergrundwissen vermissen<br />
Foto: thyssenkrupp Steel Europe<br />
Im Stahldialog Industrieakzeptanz wurden Gründe für industriekritische Positionen und Strategien<br />
dagegen diskutiert<br />
76<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
ließen. Veränderungen seien<br />
zwar oftmals von weiten Teilen<br />
der Bevölkerung ausdrücklich<br />
gewünscht − Beispiel Energiewende<br />
−, an den Lasten wolle<br />
man sich dann allerdings nicht<br />
immer beteiligen. Dieser Not-In-<br />
My-Backyard-Effekt sei immer<br />
häufiger festzustellen, so Fuhrmann<br />
weiter. Akzeptanz sei zwar<br />
schwer messbar, aber: „Alles fängt<br />
im Kopf an und alles hängt mit<br />
allem zusammen.“ Fuhrmann<br />
forderte daher einen nachhaltigen<br />
Dialog zwischen Industrie<br />
und Gesellschaft. Industrieakzeptanz<br />
sei ein gesamtgesellschaftlicher<br />
Prozess, der von allen Beteiligten<br />
Parteien betrieben werden<br />
müsse. „Industrie ist gewollt und<br />
kein Übel.“ Herausforderungen<br />
gebe es für die deutsche Stahlindustrie<br />
zuhauf, nicht nur im Inland.<br />
Die weltweite Konkurrenz<br />
umfasse inzwischen das gesamte<br />
Alphabet – von B wie Brasilien<br />
bis U wie Ukraine, schloss Heinz<br />
Jörg Fuhrmann mit einem Schuss<br />
Ironie und übergab das Mikrofon<br />
an den ersten Referenten.<br />
Deutschland ist das<br />
industrielle Kraftwerk<br />
der EU<br />
Dr. Klaus Günter Deutsch, Abteilungsleiter<br />
Research, Industrie-<br />
und Wirtschaftspolitik beim<br />
Bundesverband der Deutschen<br />
Industrie e.V. (BDI), Berlin, wies<br />
zu Beginn seiner Ausführungen<br />
darauf hin, dass die Rolle der<br />
„Deutschland ist<br />
das industrielle<br />
Kraftwerk der EU.<br />
Innovation, Energie<br />
und Digitalisierung<br />
werden in den<br />
kommenden Jahren<br />
die größte Rolle<br />
spielen“<br />
Dr. Klaus Günter Deutsch,<br />
Bundesverband der Deutschen<br />
Industrie e. V. (BDI)<br />
Industrie an der Schaffung von<br />
Wohlstand aktuell weltweit neu<br />
überdacht werde. Die Kernfrage<br />
sei, welche Chancen neue<br />
„Industrie ist gewollt<br />
und kein Übel“<br />
Prof. Dr.-Ing. Heinz Jörg Fuhrmann,<br />
Vorsitzender des Vorstands,<br />
Salzgitter AG<br />
Prof. Dr.-Ing. Heinz Jörg Fuhrmann, Vorsitzender des<br />
Vorstands, Salzgitter AG, moderierte den Stahldialog<br />
Dr. Klaus Günter Deutsch vom Bundesverband der<br />
Deutschen Industrie erläuterte die Bedeutung eines hohen<br />
Industrieanteils für die Volkswirtschaft<br />
Technologien bieten würden.<br />
Insbesondere Deutschland habe<br />
im internationalen Vergleich in<br />
den letzten 20 Jahren eine sehr<br />
untypische Spezialisierung seiner<br />
Industrie hinter sich, die Günter<br />
Deutsch als ungewöhnliche Erfolgsstory<br />
bezeichnete. Die aktuellen<br />
Entwicklungen spielten sich<br />
allerdings vor einem schwachen<br />
weltwirtschaftlichen Hintergrund<br />
ab: „Beim Welthandel sieht es derzeit<br />
nicht gut aus“, sagte Deutsch<br />
und verwies auf Überkapazitäten<br />
und rückläufige Wachstumsraten<br />
in China, den USA und Japan, die<br />
hierzulande auf Preise und Margen<br />
drückten. Das Wachstum des<br />
gesamten weltwirtschaftlichen<br />
Handels habe sich abgeschwächt<br />
und protektionistische Tendenzen<br />
allerorten sorgten für weitere<br />
Verunsicherung. Auch der Abschluss<br />
von Handelsabkommen<br />
werde zunehmend schwierig, wie<br />
TTIP oder CETA gezeigt hätten.<br />
Die weltwirtschaftliche Entwicklung<br />
sei derzeit eher von Dienstleistungen<br />
als von der Industrie<br />
getrieben.<br />
Ein Drittel der deutschen Bruttowertschöpfung<br />
werde von der<br />
Industrie erwirtschaftet, ein Fünftel<br />
aller Beschäftigten seien in diesem<br />
Sektor beschäftigt. Unter den<br />
führenden Industrienationen der<br />
Welt nimmt Deutschland Platz 4<br />
ein. Der Anteil des deutschen<br />
verarbeitenden Gewerbes an der<br />
industriellen Wertschöpfung in<br />
Europa liege bei fast einem Drittel<br />
und damit so hoch wie die drei<br />
folgenden Länder zusammen.<br />
Im Vergleich mit anderen europäischen<br />
Ländern, in denen die<br />
Industrie seit der Finanzkrise bis<br />
heute schwächelt, habe Deutschland<br />
schnell wieder das Vorkrisenniveau<br />
erreicht. „Deutschland<br />
ist zum Hub in Europa geworden.<br />
Wir sind das Produktionszentrum,<br />
mit dem alle anderen verflochten<br />
sind.“ Rund 40 % der<br />
Verflechtungen auf der Zulieferund<br />
Weiterverarbeitungsseite<br />
konzentriere sich um Deutschland<br />
herum. „Deutschland ist das<br />
industrielle Kraftwerk der EU“,<br />
betonte Deutsch. Deutschland<br />
sei auch beim Welthandel eher<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 77
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Industrieakzeptanz – Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand<br />
Direktor und Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des<br />
VDI Dipl.-Wirtsch.-Ing. Ralph Appel verwies auf das Ingenieur-Know-how<br />
für eine leistungsfähige Industrie<br />
Innovationsexperte Dr. Heinrich Schäperkötter<br />
referierte zum Thema Zukunftsorientierung durch<br />
Innovationsmanagement<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
atypisch. Deutsche Unternehmen<br />
hätten es in den vergangenen 15<br />
Jahren geschafft, die Trends im<br />
Welthandel vollumfänglich aufzugreifen,<br />
wohingegen die USA<br />
und Japan zuletzt erheblich eingebüßt<br />
hätten.<br />
Deutschland zähle bekanntermaßen<br />
zu den größten Herkunftsund<br />
Zielländern für Direktinvestitionen.<br />
Doch die Investitionen<br />
schwächelten seit einiger Zeit.<br />
Der Kapitalstock in vielen großen<br />
Branchen stagniere. Das verarbeitende<br />
Gewerbe – und damit<br />
auch die Stahlindustrie – sei allerdings<br />
innovationsorientierter<br />
geworden. Es fließe inzwischen<br />
„Die<br />
Stahlunternehmen<br />
sitzen in der<br />
Wertschöpfungskette<br />
an einem wichtigen<br />
Platz“<br />
Dipl.-Wirtsch.-Ing. Ralph Appel, VDI<br />
Verein Deutscher Ingenieure e. V.<br />
viel Geld in Forschung und Entwicklung.<br />
Die industrielle Wertschöpfung<br />
werde in Deutschland<br />
im Trend innovationsstärker, die<br />
Internationalisierung der Wertschöpfung<br />
halte an. Innovation,<br />
Energie und Digitalisierung<br />
würden in den kommenden Jahren<br />
die größte Rolle spielen, so<br />
Deutsch. Abschließend forderte<br />
er die Wirtschaftspolitik auf, diese<br />
Randbedingungen verstärkt in<br />
den Blick zu nehmen. Der BDI<br />
selbst habe in jüngster Zeit zahlreiche<br />
Aktivitäten, Maßnahmen<br />
und Kooperationen mit Politik<br />
und Sozialpartnern initiiert, um<br />
die Industrieakzeptanz zu erhöhen.<br />
Der Ingenieur: Vom<br />
Spezialisten zum<br />
Innovationsmanager<br />
Anschließend beleuchtete Dipl.-<br />
Wirtsch.-Ing. Ralf Appel das<br />
Thema „Industrieakzeptanz“<br />
aus Sicht des Vereins Deutscher<br />
Ingenieure e. V. (VDI), Düsseldorf.<br />
Appel ist Direktor und<br />
Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied<br />
des 155 000 Mitglieder<br />
umfassenden Verbandes. Der<br />
Verband verstehe sich als „Stimme<br />
der Technik“, so Appel. Nicht<br />
über die Risiken von Technik,<br />
sondern über die Chancen von<br />
Technik müsse man verstärkt<br />
„Die Anforderungen<br />
an die Mobilität<br />
von morgen werden<br />
immer komplexer,<br />
die Lösungen auch“<br />
Dr.-Ing. Heinrich Schäperkötter,<br />
Schaeffler AG<br />
sprechen. Innovationsfähigkeit<br />
sei die wichtigste Schlüsselkompetenz<br />
des 21. Jahrhunderts.<br />
Deutschland sei nun einmal ein<br />
Hochtechnologieland. Innovationsfähigkeit<br />
sei eine der Stärken<br />
und das Kapital von Deutschland<br />
im globalen Wettbewerb. Die<br />
deutsche Stahlindustrie sei strategischer<br />
Faktor und Schlüsselindustrie<br />
zugleich, die sich der<br />
hohen Wettbewerbsintensität<br />
und dem hohen Innovationsdruck<br />
nicht entziehen könne.<br />
„Die Stahlunternehmen sitzen<br />
in der Wertschöpfungskette an<br />
einem wichtigen Platz“, betonte<br />
Appel. „Sie arbeiten stark am<br />
Kunden, aber vielleicht reicht<br />
das allein zukünftig nicht mehr<br />
aus“, gab Appel zu bedenken.<br />
Mit Industrie 4.0 entstünden<br />
neue Geschäftsmodelle und andere<br />
Formen der Interaktion mit<br />
dem Kunden. Im Vergleich zu<br />
vielen angelsächsischen Unternehmen<br />
vermisse er bei Teilen<br />
der deutschen Industrieunternehmen<br />
bisher allerdings den<br />
Mut, auch einmal radikal neue<br />
Wege zu gehen.<br />
Mit Industrie 4.0 werde sich<br />
das Berufsbild des Ingenieurs<br />
langfristig wandeln. Statt Experten<br />
brauche es zukünftig Innovationsmanager,<br />
die gemeinsam an<br />
komplexen Fragestellungen arbeiten<br />
und interdisziplinär denken.<br />
Neben der Vermittlung von<br />
technischen Qualifikationen werde<br />
es also darum gehen, die Studierenden<br />
zusätzlich mit Knowhow<br />
in Bereichen wie Marketing,<br />
Finanzen, IT und allgemeinen<br />
Soft Skills auszustatten. Hier sei<br />
auch ein Umdenken bei Univer-<br />
78<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
sitäten und Fachhochschulen erforderlich<br />
– manche Professoren<br />
sähen diese Notwendigkeit leider<br />
noch nicht. Appel forderte eine<br />
breit angelegte Grundausbildung<br />
mit späterer Spezialisierung.<br />
Derzeit gebe es mehr als 3 300<br />
ingenieurwissenschaftliche Studiengänge<br />
– diese Entwicklung<br />
sei absolut nicht zielführend. Ein<br />
Viertel der Studierenden wisse inzwischen<br />
überhaupt nicht mehr,<br />
dass sie in einem Ingenieurstudiengang<br />
ausgebildet werden. „Ich<br />
will nicht die Berufsbezeichnung<br />
„Dipl.-Ing.“ zurück. Aber ich<br />
möchte Klarheit darüber, was<br />
unter einem Ingenieur zu verstehen<br />
ist.“ Wenig zielführend<br />
sei weiterhin die Konkurrenz<br />
zwischen Fachhochschulen und<br />
Universitäten, was den Anspruch<br />
auf Wissenschaftlichkeit betrifft.<br />
Zum Schluss appellierte der Vertreter<br />
des VDI an die Zuhörer,<br />
sich verstärkt einzubringen, damit<br />
eine breite Grundausbildung<br />
gewährleistet und der Ingenieur<br />
auch in Zukunft als solcher zu<br />
erkennen sei. Ein Studium allein<br />
werde zukünftig jedoch nicht<br />
ausreichen, um die technologischen<br />
Herausforderungen zu<br />
meistern. Lebenslanges Lernen<br />
werde zum Standard werden.<br />
Hier seien insbesondere die Unternehmen<br />
gefordert, indem sie<br />
kontinuierlich in die Weiterbildung<br />
ihrer Mitarbeiter investierten.<br />
Dr.-Ing. Heinrich Schäperkötter<br />
von der Schaeffler AG in Herzogenaurach<br />
erläuterte im Anschluss,<br />
was ein erfolgreiches Innovationsmanagement<br />
aus seiner Sicht<br />
ausmacht. Dr. Schäperkötter leitet<br />
den Bereich Innovationsstrategie,<br />
Innovationsmanagement und<br />
Forschungsförderung. „Bereiten<br />
wir die richtigen Dinge vor, damit<br />
wir morgen das Richtige tun können?“,<br />
fragte er zu Beginn in die<br />
Runde. Jedes Unternehmen wolle<br />
nachhaltig und profitabel wachsen.<br />
Die Kunst und die Herausforderung<br />
sei es allerdings, aus den<br />
möglichen Strategien „Mit dem<br />
Markt wachsen“, „Optimierung<br />
der Wertschöpfungskette“, „Mit<br />
bestehenden Produkten neue<br />
Branchen und Regionen erreichen“<br />
oder „Völlig neue unternehmerische<br />
Wege gehen“ ein ausgewogenes<br />
Maßnahmen-Portfolio<br />
zu entwickeln und dann in der<br />
Konsequenz bewusste Entscheidungen<br />
zu treffen. Langfristiges<br />
Unternehmensziel müsse es sein,<br />
von einer reinen Effizienzkultur<br />
zu einer gelebten Innovationskultur<br />
zu gelangen. Für Manager sei<br />
es oftmals alles andere als einfach,<br />
einen gänzlich neuen Weg im<br />
Unternehmen durchzufechten.<br />
Unterlassung sei da oftmals die<br />
bequemere Alternative, aber im<br />
seltensten Fall die bessere Lösung.<br />
Innovation sei immer ein langer<br />
Weg – Marathon, Hürdenlauf<br />
und Mannschaftssport in einem.<br />
Innovationsmanagement müsse<br />
immer auch die Menschen auf<br />
diesem Weg mitnehmen. Gesellschaftliche<br />
und technologische<br />
Dr. Anna-Lena Schönauer, Ruhr-Universität Bochum,<br />
beschrieb die Wahrnehmung von Industrie in der<br />
modernen Gesellschaft<br />
Man beobachte ständig rd. 30<br />
Trends. Dabei komme es darauf<br />
an, sich auf die Trends zu<br />
fokussieren, die für die eigene<br />
Branche wichtig seien. Mobilität,<br />
Urbanisierung und Umwelt seien<br />
Megatrends für die kommenden<br />
Jahrzehnte. „Im Jahr 2030 werden<br />
60 % der Weltbevölkerung<br />
„Zwei Drittel der Befragten haben eine<br />
eher positive Einstellung zur Industrie<br />
− dies lässt nicht auf eine ausgeprägte<br />
Industriefeindlichkeit schließen“<br />
Dr. Anna-Lena Schönauer, Ruhr-Universität Bochum<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Zukunftsorientierung<br />
durch<br />
Innovationsmanagement<br />
Entwicklungen bedingten sich<br />
gegenseitig und beide wiederum<br />
den wirtschaftlichen Erfolg eines<br />
Unternehmens, so Schäperkötter.<br />
Wie man bei der Schaeffler<br />
AG, einem Automobilzulieferer<br />
und Maschinenbaukonzern,<br />
vom Bedarf zum Geschäftsmodell<br />
kommt, erläuterte Heinrich<br />
Schäperkötter im zweiten Teil seines<br />
Vortrages. Problemstellungen<br />
identifizieren, Ideen generieren,<br />
Innovationsvorhaben evaluieren<br />
und schließlich die beste Lösung<br />
umsetzen – dies seien die Schritte<br />
des Innovationsprozesses bei<br />
Schaeffler. Die Trendanalyse sei<br />
dabei ein wichtiges Instrument.<br />
in Städten leben.“ Die Herausforderungen<br />
der urbanen Mobilität<br />
seien vielfältig. Bei Schaeffler<br />
habe man sich daher entschlossen,<br />
das Thema „Mikromobilität“<br />
in den Fokus zu rücken und zu<br />
überlegen, welches Segment es in<br />
Zukunft zwischen Fahrrad und<br />
Auto geben könne. Diverse Fallstudien<br />
hätten ein wachsendes<br />
Marktpotenzial mit vielfältigen<br />
Nutzungsmöglichkeiten ergeben.<br />
In einem nächsten Schritt entwickelten<br />
die Experten unterschiedliche<br />
Fahrzeugspezifikationen<br />
und Fahrzeugfeatures sowie verschiedene<br />
Ausstattungsvarianten.<br />
Das Ergebnis dieser Design- und<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 79
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Industrieakzeptanz – Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand<br />
Regierungs-Direktorin Ulrike Blankenfeld vom<br />
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie warb<br />
für das Bündnis „Zukunft der Industrie“<br />
Entwicklungsstudie sei ein neues<br />
und innovatives Pilotkonzept für<br />
die Mobilität von morgen. „Die<br />
Anforderungen werden immer<br />
komplexer, die Lösungen auch“,<br />
schloss Heinrich Schäperkötter.<br />
Die Digitalisierung biete hier<br />
Möglichkeiten, die Umsetzung<br />
von komplexen Lösungen zu<br />
vereinfachen.<br />
Industriefeindlichkeit<br />
lässt sich empirisch nicht<br />
belegen<br />
Mit den Worten „Gut, dass die<br />
nächste Rednerin nun keine Ingenieurin<br />
ist“ leitete Prof. Fuhrmann<br />
über auf Dr. Anna-Lena Schönauer<br />
vom Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie,<br />
Arbeit und Wirtschaft<br />
an der Ruhr-Universität Bochum.<br />
Dr. Schönauer stellte in ihrem<br />
Vortrag die Ergebnisse ihrer<br />
Dissertation vor. Sie hatte untersucht,<br />
ob sich eine industriefeindliche<br />
Einstellung in der deutschen<br />
Bevölkerung empirisch nachweisen<br />
lasse. Industriefeindlichkeit<br />
werde in Deutschland zwar<br />
beklagt; allerdings lägen bisher<br />
kaum belastbare Zahlen vor. Diese<br />
gefühlte Industriewahrnehmung<br />
werde vielmehr aus Protesten<br />
und Widerständen gegenüber<br />
einzelnen Industrieanlagen<br />
abgeleitet, erklärte Schönauer<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
weiter. Im Rahmen einer umfangreichen<br />
Studie hatte sie 1 500<br />
Personen zu ihrer Einstellung<br />
zur Industrie und industriellen<br />
Großprojekten befragt. Auf die<br />
Frage, ob Industrie eher ein Fluch<br />
oder ein Segen sei, antworteten<br />
knapp 40 %, dass Industrie für sie<br />
eher ein Segen sei. Nur für 6 % der<br />
Befragten war sie eher ein Fluch.<br />
Der Rest verhielt sich ambivalent.<br />
„Rund zwei Drittel der Befragten<br />
gaben zudem an, zur Industrie<br />
eine eher positive oder positive<br />
Einstellung zu haben“, erläuterte<br />
Dr. Schönauer die weiteren Untersuchungsergebnisse.<br />
Und für<br />
mehr als 90 % ist die Industrie<br />
wichtig für Deutschlands Wirtschaft.<br />
Mehr als zwei Drittel der<br />
Befragten waren zudem der Auffassung,<br />
dass Industriezweige wie<br />
der Maschinenbau und die Metallindustrie<br />
– und damit auch<br />
die Stahlindustrie – eine große<br />
Bedeutung für die deutsche Wirtschaft<br />
haben. „Diese Ergebnisse<br />
lassen nicht auf eine ausgeprägte<br />
Industriefeindlichkeit schließen“,<br />
fasste Schönauer zusammen.<br />
Auch sie habe in ihrer Untersuchung<br />
den bereits erwähnten<br />
Not-In-My-Backyard-Effekt feststellen<br />
können, wenn es um die<br />
Realisierung von Großprojekten<br />
gehe. Allerdings sei die fehlende<br />
Akzeptanz von Großprojekten<br />
kein originäres Problem industrieller<br />
Großanlagen. Nur jeder siebte<br />
Befragte lehnte beispielsweise<br />
ein Stahlwerk in seiner Nachbarschaft<br />
ab, fast jeder zweite<br />
hingegen einen Flughafen. Zum<br />
Schluss ihrer Ausführungen wies<br />
Dr. Schönauer nochmals darauf<br />
hin, dass in der gegenwärtigen<br />
Debatte eine Vermischung von<br />
verschiedenen Betrachtungsgegenständen,<br />
eine fehlende Trennung<br />
von Begrifflichkeiten und<br />
eine fragwürdige – zumeist<br />
induktiv hergeleitete – Argumentationsstruktur<br />
zu beobachten<br />
seien. Sie forderte zudem<br />
eine verstärkte und frühzeitige<br />
Bürgerbeteiligung bei Großprojekten<br />
und wies darauf hin, dass<br />
der Not-In-My-Backyard-Effekt auf<br />
gesamtgesellschaftlicher Ebene<br />
nicht zu einer zunehmenden<br />
Segregation und Verschärfung<br />
sozialer Ungleichheiten führen<br />
dürfe.<br />
Bündnis „Zukunft der<br />
Industrie“<br />
Moderator Heinz Jörg Fuhrmann<br />
bedankte sich für den „Mut machenden<br />
Vortrag“ und gab das<br />
Wort weiter an Regierungs-Direktorin<br />
Ulrike Blankenfeld vom Bundesministerium<br />
für Wirtschaft<br />
und Energie (BMWi) in Berlin,<br />
die kurzfristig für Staatssekretär<br />
Matthias Machnig eingesprungen<br />
„Als Bündnispartner ist es unser<br />
gemeinsames Ziel, den Industriestandort<br />
Deutschland nachhaltig zu gestalten und<br />
die industrielle Wettbewerbsfähigkeit zu<br />
stärken“<br />
Ulrike Blankenfeld, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie<br />
war. Frau Blankenfeld richtete einige<br />
Grußworte an die Zuhörer.<br />
Zudem wies sie auf die Wichtigkeit<br />
des Bündnisses „Zukunft<br />
der Industrie“ hin, das Industrie-<br />
und Arbeitgeberverbände,<br />
Gewerkschaften sowie das BMWi<br />
vereine. „Als Bündnispartner ist<br />
es unser gemeinsames Ziel, den<br />
Industriestandort Deutschland<br />
nachhaltig zu gestalten und die<br />
industrielle Wettbewerbsfähigkeit<br />
zu stärken.“<br />
Karin Hardtke, Freie Journalistin,<br />
Ratingen<br />
80<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Innovation in der Prozessmodellierung ändert die Welt von Flachstahlprodukten – Virtualität wird Wirklichkeit<br />
Innovative Prozessmodellierung<br />
optimiert Flachstahlproduktion<br />
Prozessmodelle sind in der Walzwerkstechnik heute bereits etabliert. Auf dem Stahldialog<br />
stellten die Referenten neue Ansätze und Lösungen vor, wie sich solche Werkzeuge zur<br />
Warm-, Kaltband- oder Grobblechproduktion mittels Fortschritten in der Digitalisierung −<br />
etwa durch intelligente Ofenführung oder Kühlmodelle − weiter verbessern lassen.<br />
Edgar Lange<br />
D<br />
er Moderator des<br />
Stahldialogs, Dr.<br />
Heribert Fischer,<br />
Mitglied des Vorstandes<br />
der thyssenkrupp<br />
Steel Europe AG, Duisburg,<br />
stimmte auf das Thema ein, indem<br />
er hervorhob, dass sich die<br />
schon eingesetzten Prozessmodelle<br />
im Walzwerksbereich aktuell u. a.<br />
durch Entwicklungen bei Big Data<br />
sowie der weiter fortschreitenden<br />
Vernetzung zum Teil dramatisch<br />
in ihren Möglichkeiten verändern.<br />
Kein Prozessmodell<br />
funktioniert für alles<br />
Diesen Punkt griff auch gleich<br />
der erste Referent, Univ.-Prof.<br />
Dipl.-Ing. Dr. techn. Andreas Kugi,<br />
Vorstand des Instituts für Automatisierungs-<br />
und Regelungstechnik<br />
(ACIN) an der Technischen Universität<br />
Wien mit dem Thema „Zukunftsweisende<br />
modellbasierte<br />
Prozessregelung in der Flachstahlproduktion“<br />
auf. Laut Kugi<br />
erfordere es die gegenwärtige<br />
Marktsituation mit ihrem hohen<br />
Wettbewerbs- und Kostendruck<br />
sowie sinkenden Time-to-Market-<br />
Zeiten, einer Individualisierung<br />
von Produkten und hochflexiblen<br />
Produktionssystemen, Walzwerksanlagen<br />
im dynamischen Betrieb<br />
mit ständig wechselnden Qualitäten<br />
und Stahlsorten fahren zu können.<br />
Wachsende Rechenleistung<br />
und Datenspeicherkapazitäten in<br />
Verbindung mit den wachsenden<br />
digitalen Möglichkeiten der Echtzeitvernetzung<br />
sowie neuen fort-<br />
Foto: Tata Steel<br />
Modelle haben in der Walzwerkstechnik eine außerordentliche Bedeutung erlangt und finden heute in allen Prozessstufen Anwendung<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 81
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Innovation in der Prozessmodellierung ändert die Welt von Flachstahlprodukten – Virtualität wird Wirklichkeit<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
müssten diese Modelle um ein<br />
Vielfaches schneller rechnen als<br />
der Echtzeitprozess. Als Beispiel<br />
führte Kugi eine Säbelregelung für<br />
das Grobblechwalzen an, die bei<br />
der Dillinger Hütte realisiert wurde.<br />
Hier konnten gute Ergebnisse<br />
mit einer Nutzung der Messdaten<br />
vorgelagerter Prozessschritte in einer<br />
Vorsteuerung erzielt werden.<br />
Das mathematische Modell müsse<br />
hier sowohl die wesentlichen<br />
dynamischen Effekte als auch das<br />
erhebliche nichtlineare Verhalten<br />
abdecken. Als Istwertgeber seien<br />
bei der Dillinger Hütte Infrarotkameras<br />
im Einsatz, die die Kontur<br />
und die Geschwindigkeit der Walztafeln<br />
überaus genau erfassten. Die<br />
Werte gingen in eine modellbasierte<br />
Regelung ein, die errechne, wie<br />
die Walzen optimal angestellt werden<br />
müssten. Im Ergebnis habe die<br />
Säbelbildung signifikant reduziert<br />
werden können.<br />
„Deutliche Verbesserungen bei der<br />
Prozessmodellierung versetzen uns in die<br />
Lage, erheblich bessere Qualitäten für<br />
unsere Kunden zu produzieren und diese<br />
auch sehr wirtschaftlich darzustellen“<br />
Dr. Heribert Fischer, thyssenkrupp Steel Europe AG<br />
Moderator Dr. Heribert Fischer verwies auf die Potenziale<br />
von Prozessmodellen, für den Kunden neue Werkstoffe<br />
besser und wirtschaftlicher erzeugen zu können<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
noch keine Stahlbrammen aufheizen“,<br />
gibt Prof. Kugi zu bedenken.<br />
Eine sinnvolle Lösung in der<br />
Stahlindustrie liege etwa im<br />
Einsatz intelligenter mathematischer<br />
Prozessmodelle, in einer<br />
Kombination von datenbasierten<br />
und physikalisch basierten<br />
Modellen, zugeschnitten auf die<br />
konkrete Aufgabenstellung, die<br />
mit herausfordernden Prozesseigenschaften<br />
wie Nichtlinearitäten,<br />
starken Parameterschwankungen,<br />
Transportverzögerungen oder unterschiedlichen<br />
Zeitskalen umgehen<br />
können. Dies sei eine große<br />
Herausforderung, denn „ein Prozessmodell<br />
für alles gibt es noch<br />
nicht“, so Kugi. Für die Regelung<br />
Als weiteren Trend sah Kugi,<br />
dass sich die starren hierarchischen<br />
Automatisierungskonzepte<br />
künftig eher auflösten. Jedes Produkt<br />
bekomme einen digitalen<br />
Begleiter, mit dem dessen Daten<br />
durch die gesamte Produktionsund<br />
Lieferkette vom Halbfertigteil<br />
bis zum Kunden gingen. Generell<br />
gelte es hier, „zwar mit Ressourcen<br />
zu geizen, aber die Sensorik üppig<br />
auszugestalten“, schloss Kugi.<br />
„Mit unorganisierten Bits alleine lassen<br />
sich auch heute noch keine Stahlbrammen<br />
aufheizen. Ein Prozessmodell für alles gibt<br />
es noch nicht“<br />
Prof. Andreas Kugi, Technische Universität Wien<br />
Prof. Dr. Andreas Kugi stellte zukunftsweisende modellbasierte<br />
Prozessregelung in der Flachstahl produktion vor<br />
schrittlichen Sensortechnologien<br />
und Bildverarbeitungssystemen<br />
eröffnen laut Kugi dabei völlig<br />
neue Lösungsperspektiven. Die<br />
Industrie reagiert darauf mit der<br />
Strategie, im Rahmen von Industrie<br />
4.0 alles „smart“ machen zu<br />
wollen. „Doch mit unorganisierten<br />
Bits alleine lassen sich auch heute<br />
Sukzessive<br />
Modellverbesserung durch<br />
Praxisdaten<br />
Mit Offlinesimulationsmodellen<br />
beim Flachwalzen befasste sich auf<br />
dem Stahldialog Johannes Lohmar,<br />
Oberingenieur beim Institut für<br />
Bildsame Formgebung der RWTH<br />
Aachen. Er beschäftigte sich mit<br />
der Frage, wie Prozess- und Materialmodelle<br />
in optimaler Weise<br />
in der Praxis kombiniert werden<br />
könnten. Als Antwort präsentierte<br />
Lohmar ein schnelles analytisches<br />
Modell mit der Bezeichnung<br />
„RoCaT“, das bereits im Walzwerk<br />
der Dillinger Hütte eingesetzt<br />
82<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
werde. Mit ihm gelinge es, Walzkräfte<br />
für verschiedene Stahlsorten<br />
lediglich aus industriell<br />
ermittelten Walzdaten mit einer<br />
Handvoll Parameter mittels intelligenter<br />
Modellierungstechniken<br />
vorherzusagen. Bereits nach einer<br />
kurzen Nutzungszeit ließen sich<br />
Mit dem richtigen<br />
Kühlmodell zu perfekten<br />
Materialeigenschaften<br />
Dass die Zukunft bei innovativen<br />
Kühlmodellen schon jetzt beginnt,<br />
glaubt Dr.-Ing. Klaus Weinzierl,<br />
Senior Key Expert bei Primetals<br />
„Wichtig ist es in jedem Fall, Modelle für<br />
Prozess, Material und Produkt in einem<br />
einzigen, guten Modell zu vereinen“<br />
Johannes Lohmar, RWTH Aachen<br />
Totzeiten besonders groß seien.<br />
Zudem berücksichtige das neue<br />
Kühlmodell effizient die Anlagengrenzen.<br />
„Das muss man sich im Prinzip<br />
wie bei einem Wettervorhersagemodell<br />
vorstellen“, veranschaulichte<br />
Weinzierl, „nur dass die Berechnungen<br />
jeweils im Sekundenraster<br />
erfolgen.“ Weiterer Vorteil: Da das<br />
Kühlmodell schon früh über folgende<br />
Temperaturschwankunden<br />
des Bandes Bescheid wisse und so<br />
damit gute Vorhersagen treffen.<br />
Der Clou: Ein Rückkopplungsprozess<br />
mit den erzielten Realdaten<br />
führe dabei zu einer sukzessiven<br />
Modellverbesserung.<br />
Das zweite von Lohmar präsentierte<br />
Modell beruhe auf einer<br />
FEM-Walzprozesssimulation und<br />
diene dazu, die Bindungsbildung<br />
und das Versagen beim Walzplattieren<br />
von Aluminium zu analysieren<br />
und vorherzusagen. „Im Ergebnis<br />
führte es zu einer deutlich<br />
festeren Verbindung der Aluminiumplattierung“,<br />
sagte Lohmar. Ein<br />
drittes von ihm vorgestelltes und<br />
erfolgreich in der Praxis getestetes<br />
Modell verwende ein mikroskaliges<br />
FEM-Walzmodell, das die Texturentwicklung<br />
beim Kaltwalzen<br />
von nichtkornorientiertem Elektroband<br />
(NGO) voraussage. Diese habe<br />
einen hohen Einfluss auf die späteren<br />
physikalischen Eigenschaften<br />
des Elektrobandes, insbesondere<br />
auf die sogenannten Eisenverluste.<br />
Basierend auf experimentellen Daten<br />
zu Textur, Fließspannung und<br />
Kornverteilung gelinge es nun, mittels<br />
FEM-Modell die sich ausbildenden<br />
Kristallstrukturen durch den<br />
Walzprozess vorherzusagen. Die<br />
Simulation zeige laut Lohmar recht<br />
genaue Ergebnisse für unterschiedlichste<br />
Materialeigenschaften wie<br />
Fließspannungen, Bindungsstärken<br />
und Textur. „Wichtig ist es<br />
dabei in jedem Fall, Modelle für<br />
Prozess, Material und Produkt mit<br />
der erforderlichen Genauigkeit in<br />
einem einzigen, guten Modell zu<br />
vereinen“, endete Lohmar.<br />
Technologies Germany in Erlangen.<br />
Der Fachmann präsentierte<br />
ein cyber-physikalisches Kühlmodell<br />
für Warmbreitbandstraßen,<br />
das bereits an der Vorstraße<br />
aufsetze. Das von ihm entwickelte<br />
Modell, das u. a. die Phasenumwandlung<br />
abbilde, berechne<br />
Bandtemperatur, Phasenanteile<br />
und Gefüge auf Basis eines thermodynamischen<br />
Ansatzes vom<br />
Vorgerüst bis zur Haspel in Echtzeit.<br />
Stellgrößen dabei seien Bandgeschwindigkeit<br />
und Endwalztemperatur.<br />
Die modellprädiktive<br />
Regelung (MPC) steuert dazu nicht<br />
nur die zur Kühlung dienenden<br />
Aggregate, Vorband-, Zwischengerüst-<br />
sowie Laminarkühlung an,<br />
sondern es könnten auch Power-<br />
Cooling-Boosterpumpen sowie die<br />
Pumpen der Wasserwirtschaft in<br />
Echtzeit vom Prozessmodell aus<br />
gefahren werden.<br />
Eine weitere Besonderheit stelle<br />
die übergreifende Regelung von<br />
Endwalz- und Haspeltemperatur<br />
dar: Das Primetals-Kühlmodell prognostiziere<br />
dazu auf Basis der Vorbandtemperaturmessung<br />
hinter der<br />
Vorstraße den gesamten zukünftigen<br />
Verlauf der Endwalztemperatur<br />
und steuere mit einem optimierten<br />
Fahrdiagramm zusätzlich die Leitgeschwindigkeit<br />
der Fertigstraße. Da<br />
die künftige Bandgeschwindigkeit<br />
dem Modell bekannt sei, werde die<br />
Qualität von Endwalz- und Haspeltemperatur<br />
deutlich verbessert,<br />
was zu gleichmäßigeren Materialeigenschaften<br />
führe − insbesondere<br />
bei dicken Bändern, bei denen die<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
Walzexperte Johannes Lohmar berichtete über<br />
Offlinesimulationsmodelle beim Flachwalzen<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
Anlagenbauer Dr. Klaus Weinzierl verwies auf die Bedeutung<br />
innovativer Kühlmodelle für zukünftige Entwicklungen<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 83
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />
Innovation in der Prozessmodellierung ändert die Welt von Flachstahlprodukten – Virtualität wird Wirklichkeit<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
Kimmo Kanninen stellte ein betriebsübergreifendes<br />
Kostenoptimierungsmodell für ein integriertes Stahlwerk vor<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
herauszuholen“, freute sich Weinzierl.<br />
Zudem sei die Handhabung<br />
so einfach wie bei herkömmlichen<br />
Laminarkühlsystemen. Moderator<br />
Fischer brachte es anschließend auf<br />
den Punkt: Damit werde Warmwalzen<br />
dann künftig wohl so einfach<br />
sein wie Kuchenbacken.<br />
Gesamtoptimierung<br />
integrierter Stahlwerke<br />
Mit einem betriebsübergreifenden<br />
Kostenoptimierungsmodell für ein<br />
integriertes Stahlwerk befasste sich<br />
beim Stahldialog Kimmo Kanninen,<br />
Senior Solution Architect der finnischen<br />
SW-Development. Kanninen<br />
erläuterte, dass es zwar in Theorie<br />
und Praxis in der Stahlindustrie<br />
ein breites Spektrum an Prozessmodellen<br />
für die Optimierung von<br />
Teilprozessen gebe. Der Branche<br />
Vergangenheit zurück. Anfänglich<br />
erfordere das Modell zwar einiges an<br />
Daten eingaben, dafür sei die folgende<br />
Nutzung einfach und effizient,<br />
so Kanninen.<br />
Intelligent Furnace für<br />
mehr Effizienz in Glüh- und<br />
Feuerverzinkungslinien<br />
Dipl.-Phys. C. Andreas Klein, Leiter<br />
des Fachbereichs Grundlagen und<br />
Modelle für Bandanlagen, Öfen<br />
und Wärmetechnik bei der SMS<br />
group GmbH, erläuterte in Düsseldorf<br />
das Thema „Intelligente Ofenführung<br />
in kontinuierlichen Glühund<br />
Feuerverzinkungslinien.“<br />
Bislang würden die gewünschten<br />
Materialeigenschaften hier meist<br />
noch durch Vorgabe fester Glühkurven<br />
eingestellt, so der Referent.<br />
Individuelle Anforderungen, die<br />
„Das zukünftig bei Big River Steel<br />
eingesetzte Kühlmodell wird das perfekte<br />
Werkzeug sein, um eine optimale<br />
Betriebsführung der Öfen zu gewährleisten“<br />
C. Andreas Klein, SMS group<br />
Bandspezialist C. Andreas Klein erklärte die Vorteile einer<br />
intelligenten Ofenführung in kontinuierlichen Glüh- und<br />
Feuerverzinkungslinien<br />
stets im Voraus die benötigten Wassermengen<br />
kenne, könnten große<br />
Wassermengen mit bisher unerreichter<br />
Dynamik gesteuert werden.<br />
Dadurch gelinge zudem auch eine<br />
energieeffiziente Steuerung von<br />
Pumpen und Wasser und helfe so,<br />
Produktionskosten zu senken. Dazu<br />
trage auch die Einsparung von Legierungselementen<br />
bei. Durchsatz<br />
und Qualität insgesamt stiegen.<br />
„Unsere Pilotkunden profitieren<br />
bereits heute von dieser innovativen<br />
Technik und es hilft ihnen,<br />
das Optimum aus ihren Anlagen<br />
fehle es jedoch noch an Werkzeugen,<br />
um integrierte Stahlwerke als<br />
Ganzes zu analysieren und zu optimieren.<br />
„Wichtig ist es hier, nicht<br />
nur bloße Materialparameter oder<br />
Energieverbräuche zu optimieren,<br />
sondern eine Ergebnisverbesserung<br />
unter dem Strich in Euro zu erzielen“,<br />
meinte Kanninen. In dieser<br />
Richtung hätten der schwedische<br />
Stahlhersteller SSAB und SW-<br />
Development gemeinsam Fortschritte<br />
erzielt. Das eingesetzte Modell sei<br />
in der Lage, komplexe Material- und<br />
Energiebilanzen in integrierten<br />
Stahlwerken zu berücksichtigen<br />
und zu analysieren, die Antworten<br />
gäben etwa auf Fragen wie: „Was<br />
passiert, wenn man auf eine günstigere<br />
Kohlemischung in der Kokerei<br />
umstellt?“, oder „Wie wirkt sich ein<br />
Wechsel zwischen Prozessgas- oder<br />
LNG-Einsatz aus?“ Zur Beantwortung<br />
greife das System auf mehr als<br />
2 000 Betriebskoeffizienten aus der<br />
sich durch Werkstoffabweichungen,<br />
Ungleichheiten der Bandqualität<br />
oder Schwankungen in den<br />
Vorprozessstufen ergäben, fänden<br />
hierbei regelmäßig keine Berücksichtigung.<br />
Durch Schwankungen<br />
in den Prozessbedingungen könne<br />
es dann gerade bei hochwertigen<br />
Werkstoffen zu Qualitätsmängeln<br />
kommen. Um dies zu vermeiden,<br />
werde der Prozess im Glühofen<br />
in der Praxis meist auf Kosten<br />
von höherem Ressourceneinsatz<br />
angepasst.<br />
Diesem Dilemma wolle die SMS<br />
group mit der „Intelligent-Furnace“-Lösung<br />
begegnen, die auf<br />
drei wesentlichen Komponenten<br />
basiere: einem „Annealing Microstructure<br />
Model“ (AAM), das die zu<br />
erwartenden Materialeigenschaften<br />
nach dem Glühprozess mittels<br />
datenbasierter Modellierung<br />
prognostiziere. Zweitens, einem<br />
mathematisch-physikalischen<br />
84<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Ofenmodell, das die Ofensollwerte,<br />
die optimierte Bandfolge und die<br />
Temperaturführung bei Bandübergang<br />
berechnet. Und drittens, dem<br />
Impoc-Messsystem der Firma EMG,<br />
das magnetisch zerstörungsfrei in<br />
Echtzeit die Produkteigenschaften,<br />
wie z. B. die Streckgrenze, ermittelt.<br />
Auf diese Weise ließen sich<br />
anschließend Materialeigenschaften<br />
und Prozessbedingungen im<br />
Rahmen einer statistischen Analyse<br />
mit hoher Auflösung verknüpfen.<br />
Dies biete Vorteile gegenüber<br />
der Entnahme einzelner Proben<br />
aus Prüfversuchen, so Klein.<br />
Daraus würden dann die technologisch<br />
relevanten Parameter<br />
wie Ofenzonentemperaturen,<br />
Kühlparameter und Prozessgeschwindigkeit<br />
für den optimalen<br />
Betriebspunkt des Ofens bestimmt<br />
und eingestellt. Ergebnisse bei einer<br />
Verzinkungslinie von Tata Steel mit<br />
DP800-Stahlsorten zeigten, dass es<br />
mittels „Intelligent Furnace“-Ansatz<br />
nach dem Anlernen der Algorithmen<br />
gelinge, fortschrittliche<br />
Stahlsorten einfacher und mit<br />
gleichmäßiger Qualität über die<br />
Bandlänge herzustellen. Für einzelne<br />
Stahlsorten sei es sogar gelungen,<br />
den Ofendurchsatz um 15 %<br />
zu steigern. Die mittlere Bandgeschwindigkeit<br />
habe um 10 m/min<br />
erhöht werden können und es<br />
hätten sich Energieeinsparungen<br />
ergeben. „Das Modell ist das perfekte<br />
Werkzeug, um eine optimale<br />
Betriebsführung der Öfen zu gewährleisten“,<br />
so Klein. Deswegen<br />
werde „Intelligent Furnace“ demnächst<br />
auch bei Big River Steel, dem<br />
effizientesten Stahlwerk der USA,<br />
zum Einsatz kommen.<br />
Walz- und Beschichtungsexperte Govert Kockelkoren<br />
erläuterte strategische Überlegungen zu innovativen<br />
Modellierungstechniken<br />
„Bei der Entwicklung innovativer Modelle<br />
geht es auch darum, sich der eigenen<br />
Kernkompetenzen bewusst zu sein und<br />
Know-how im Hause zu behalten“<br />
Govert Kockelkoren, Tata Steel IJmuiden<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
Neue Wege der<br />
Zusammenarbeit<br />
Mit der Frage „Make-and-Buy“<br />
anstelle von „Make-or-Buy“ bei<br />
innovativen Modellierungstechniken<br />
aus Sicht des Stahlherstellers<br />
befasste sich Govert Kockelkoren,<br />
Direktor Walzen und Beschichten<br />
bei Tata Steel IJmuiden/Niederlande.<br />
Dort würden, um den<br />
komplexen Anforderungen an<br />
Produkt und dessen Herstellung<br />
gerecht zu werden, auf den unterschiedlichen<br />
Prozessstufen<br />
eine Vielzahl unterschiedlichster<br />
Modelle eingesetzt. Beispielhaft<br />
nannte er das HIrsana-Projekt,<br />
wo die Modellierung u. a. genutzt<br />
werde, um Prozesse zu simulieren,<br />
die vorher noch nie an einer realen<br />
Schmelze erprobt worden seien. Je<br />
mehr Prozessebenen (horizontal –<br />
vertikal) hier einbezogen würden,<br />
umso größer seien die Potenziale,<br />
aber auch die Komplexität solcher<br />
Modelle, habe Kockelkoren festgestellt.<br />
Zwar zählte die Fähigkeit zur<br />
Entwicklung innovativer Modelle<br />
zu den Kernkompetenzen der<br />
Stahlhersteller, vor allem, wenn<br />
es darum gehe, Know-how im<br />
Hause zu behalten. Doch da viele<br />
europäische Stahlhersteller nicht<br />
in der Lage gewesen seien, Technologieinvestitionen<br />
auf dem gewünschten<br />
Niveau zu halten, habe<br />
die Eigenentwicklung von Modellierungssystemen<br />
im letzten Jahrzehnt<br />
eher an Bedeutung verloren.<br />
Vor diesem Hintergrund sei zwar<br />
das „Buy”, das Zukaufen von z. B.<br />
von Anlagenbauern entwickelten<br />
Modellen, eine Option. Doch<br />
Kockelkoren mahnte, dabei die<br />
Bewahrung der Unabhängigkeit,<br />
die Abnahme des eigenen Wissens<br />
sowie Fragen der Rechte an geistigem<br />
Eigentum zu berücksichtigen.<br />
Vor diesem Hintergrund sah<br />
Kockelkoren eher in „Make-andbuy“,<br />
also gemeinsamen Bemühungen<br />
von Stahlproduzenten und<br />
externen Entwicklern, einen Lösungsansatz.<br />
Im Werk IJmuiden sei<br />
dies bereits so zur Bandsteuerung<br />
der Gießwalzanlage gemeinsam mit<br />
einem Anlagenbauer gelöst worden.<br />
Vorteile seien laut Kockelkoren:<br />
Eine Verbreiterung der Wissenbasis,<br />
kürzere Entwicklungszeiten<br />
und die Kombination von Theorie<br />
und Praxis. Auf der anderen Seite<br />
stünden jedoch abfließendes Knowhow<br />
und die Frage, was passiere,<br />
wenn der Entwicklungspartner die<br />
gemeinsam entwickelte Modellierungstechnik<br />
an den Markt bringen<br />
wolle. „Make-or-Buy” werde in<br />
dieser Hinsicht in eine „Make-and-<br />
Buy”-Strategie verwandelt, bei der<br />
Stahlhersteller und Anlagenbauer<br />
künftig erst neue Wege der Zusammenarbeit<br />
erforschen müssten,<br />
schätzte Kockelkoren.<br />
Edgar Lange, Fachjournalist,<br />
Düsseldorf.<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 85
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />
Impressionen von <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />
Vor der Eröffnung: Michael Ziesemer, Präsident Zentralverband<br />
Elektrotechnik- und Elektronikindustrie<br />
e. V. (ZVEI), im Gespräch mit Edwin Eichler, Präsident<br />
des Verwaltungsrates der Schmolz + Bickenbach AG<br />
Folgen den Ausführungen von Hans Jürgen Kerkhoff: Dr. Peter Dahlmann,<br />
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied Stahlinstitut VDEh, Dr. Oliver Picht,<br />
Vorstandsvorsitzender Outokumpu Nirosta GmbH, Geert Van Poelvoorde,<br />
Präsident Eurofer und CEO ArcelorMittal Europe – Flat Products and Purchasing,<br />
Andreas J. Goss, Vorstandsvorsitzender thyssenkrupp Steel Europe AG, und<br />
Michael Ziesemer<br />
Foto: Mourad ben Rhouma<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Ulrich Grethe, Vorsitzender der Geschäftsführung der Salzgitter Flachstahl<br />
AG, tauscht sich mit Frank Schulz, Geschäftsführer der ArcelorMittal Germany<br />
Holding GmbH, und Geert Van Poelvoorde aus<br />
Prof. Dr. Michael Süß, Vorsitzender der Geschäftsführung<br />
Georgsmarienhütte Holding GmbH, mit dem<br />
Arbeitsdirektor des Unternehmens, Harald Schartau<br />
86<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Foto: Dirk Heckmann<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Prof. Dr. Peter Schmöle von der thyssenkrupp Steel Europe AG wurde im<br />
Rahmen der Mitgliederversammlungen zum Ehrenmitglied des Hochofenausschusses<br />
ernannt<br />
Gefragter Gesprächspartner: Dr. Jürgen Heraeus von<br />
Business 20 (B20) im Kurzinterview mit Stahl-Online<br />
Dr. Oliver Picht unterhält sich mit Prof. Dr. Wolfgang<br />
Bleck von der RWTH Aachen<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Diskutieren über China: Dr. Heribert Fischer, Mitglied des Vorstands<br />
thyssenkrupp Steel Europe AG, und Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen<br />
Handelskammer in China<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 87
<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />
Impressionen von <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Warten auf den Beginn eines Stahldialogs<br />
Freudiges Wiedersehen: Dr. Heinz Jörg Fuhrmann,<br />
Vorsitzender des Vorstands Salzgitter AG, und Dr. Heinrich<br />
Hiesinger, Vorstandsvorsitzender thyssenkrupp AG<br />
Foto: Dirk Heckmann Foto: Dirk Heckmann<br />
Geschmackvolle Untermalung für gute Gespräche. Die Band „Lipstick and Ties“ spielte in der Stadthalle<br />
88<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12
Foto: Dirk Heckmann<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit: Der Stahltreff bei der Jahrestagung <strong>STAHL</strong><br />
Möglichkeiten zum Netzwerken gab es auch im Foyer<br />
Foto: Dirk Heckmann<br />
Ein Foto mit Heinrich Hiesinger: Ein junger Besucher<br />
des Stahltreffs überredete den thyssenkrupp-Chef zu einem<br />
Selfie<br />
stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 89
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