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Sonderteil STAHL 2016

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<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />

Orientierung in unsicheren Zeiten<br />

Foto: Dirk Heckmann


EDITORIAL<br />

Stahlindustrie diskutiert<br />

über schwieriges Jahr<br />

Ulrich Ratzek, Chefredakteur<br />

T<br />

raditionsgemäß hat sich die Stahlbranche auf der Jahrestagung <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />

getroffen, die in diesem Jahr unter dem Motto „Orientierung in unsicheren<br />

Zeiten“ stattfand. Rund 2 600 Teilnehmer aus etwa 40 Ländern nahmen teil.<br />

Im Fokus stand in diesem Jahr die Zukunft der Stahlindustrie in Deutschland<br />

und Europa in einem von großen Herausforderungen geprägten Umfeld.<br />

Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident Wirtschaftsvereinigung Stahl und Vorsitzender Stahlinstitut<br />

VDEh, gab in seiner Eröffnungsrede einen Bericht zur Lage der Stahlindustrie,<br />

forderte klare Regeln für einen fairen Wettbewerb und von der Politik, sich nicht ihrer<br />

Verantwortung zu entziehen (S. 36). Auch Vertreter der Stahlindustrie kritisierten die<br />

aktuelle Situation bezüglich der Stahlüberkapazitäten: „Von einer nachhaltigen Lösung<br />

sind wir weit entfernt“, sagte Andreas Goss, Chef der Stahlsparte von thyssenkrupp.<br />

Während der Eröffnungsveranstaltung vermittelte Jörg Wuttke, Präsident der<br />

Europäischen Handelskammer in China, einen Eindruck von der aktuellen politischen<br />

und wirtschaftlichen Lage in China und deren globaler Bedeutung (S. 40). Schließlich<br />

erläuterte Michael Ziesemer, Präsident des ZVEI, welche gegenwärtigen Herausforderungen<br />

es für den Erhalt starker Wertschöpfungsnetzwerke in Deutschland und Europa<br />

gibt (S. 42). Anlässlich <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong> wurde erneut der Young Academics‘ Steel Award<br />

des Stahlinstituts VDEh verliehen (S. 45). In diesem Jahr zeichnete Dr. Peter Dahlmann<br />

drei Nachwuchswissenschaftler aus Europa für ihre ausgezeichneten Leistungen in den<br />

Bereichen Metallurgie und Werkstofftechnik aus.<br />

Stahldialoge informierten über Topthemen. Danach wurden in acht Stahldialogen<br />

politische und technische Themen vorgestellt und diskutiert. Die Verwerfungen auf dem<br />

globalen Stahlmarkt stellen Industrie und Politik vor große Herausforderungen bei der<br />

Schaffung offener Märkte und fairer Wettbewerbsbedingungen (S. 46). Die Auswirkungen<br />

des CO 2<br />

-Emissionsrechtehandels und der Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen nach dem<br />

Abkommen von Paris und Wege zu einer nachhaltigen Klimapolitik wurden ebenfalls<br />

ausführlich diskutiert (S. 72). So warnte Frank Schulz, Deutschlandchef von ArcelorMittal,<br />

vor der geplanten Verschärfung der Klimaschutzauflagen in der Europäischen Union und<br />

sprach von einem „existenzbedrohenden Szenario”.<br />

Die Umsetzung der Digitalisierung in der Stahlindustrie ist in vollem Gange, wie man<br />

in zwei Vortragsreihen hören konnte (S. 49 u. 65). Neben Veränderungen in der Fertigung<br />

wird Industrie 4.0 auch die künftigen Kundenanforderungen beeinflussen. Die Digitalisierung<br />

gilt als Impulsgeber für Wachstum und Wandel.<br />

Bei der Eisen- und Stahlerzeugung forscht die Stahlindustrie nach neuen Wegen, um<br />

die CO 2<br />

-Emissionen zu senken. So lassen sich z. B. CO 2<br />

-Emissionen bei der integ rierten<br />

Stahlerzeugung durch Nutzung der Hüttengase für chemische Produkte absenken. Die<br />

Projekte Carbon2Chem und Steelanol wurden vorgestellt (S. 53).<br />

Werkstoffliche Leichtbaulösungen mit Stahl waren ein weiteres Topthema (S. 61). Die<br />

Forderung der Automobilindustrie nach Leichtbauwerkstoffen mit hoher Festigkeit bei<br />

gleichzeitig guter Umformbarkeit treibt die Werkstoffentwicklung an.<br />

Darüber hinaus informierte ein Stahldialog über die Industrieakzeptanz als Voraussetzung<br />

für Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand (S. 76); ein weiterer fasste die Innovationen<br />

in der Prozessmodellierung für Flachstahlprodukte zusammen (S. 81).<br />

Glück auf!<br />

34<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Titel_SP_16.indd 35 30.11.16 16:02<br />

<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong> –<br />

Orientierung in unsicheren Zeiten<br />

ERÖFFNUNG<br />

36 Hans Jürgen Kerkhoff<br />

Die Stahlindustrie braucht klare Regeln für fairen Wettbewerb<br />

40 Jörg Wuttke<br />

„Die Bedeutung Chinas ist offensichtlich“<br />

42 Michael Ziesemer<br />

Herausforderungen für starke Wertschöpfungsnetzwerke in Deutschland und Europa<br />

45 Young Academics‘ Steel Award<br />

Stahlinstitut VDEh zeichnet Wissenschaftler aus<br />

<strong>STAHL</strong>DIALOGE<br />

46 Verwerfungen auf dem globalen Stahlmarkt: Handlungsoptionen für<br />

Politik und Wirtschaft<br />

<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />

Orientierung in unsicheren Zeiten<br />

49 Industrie 4.0 – die Digitalisierung als Impulsgeber für Wachstum und Wandel<br />

53 Grenzen und Wege der Flexibilität bei der Eisen- und Stahlerzeugung<br />

61 Werkstoffliche Leichtbaulösungen mit Stahl<br />

65 Technische Aspekte der Digitalisierung in der Stahlindustrie<br />

72 Kursbestimmung nach Paris: Wege zu einer nachhaltigen Klimapolitik<br />

76 Industrieakzeptanz – Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand<br />

81 Innovation in der Prozessmodellierung ändert die Welt von Flachstahlprodukten –<br />

Virtualität wird Wirklichkeit<br />

Die Jahrestagung<br />

<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong> fand auch<br />

in diesem Jahr großen<br />

Zuspruch. Rund 2 600<br />

internationale Besucher<br />

aus Wirtschaft<br />

und Politik nahmen<br />

daran teil.<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

86 Impressionen von <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />

SAVE THE DATE:<br />

<strong>STAHL</strong> 2017<br />

wird am<br />

9. November 2017<br />

stattfinden.<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 35


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:ERÖFFNUNG<br />

Präsident Wirtschaftsvereinigung Stahl und Vorsitzender Stahlinstitut VDEh<br />

Hans Jürgen Kerkhoff<br />

Orientierung in unsicheren Zeiten<br />

Die Stahlindustrie braucht klare<br />

Regeln für fairen Wettbewerb<br />

Eröffnungsrede von Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl<br />

und Vorsitzender des Stahlinstituts VDEh, zum internationalen Stahltag am<br />

10. November in Düsseldorf<br />

Hans Jürgen Kerkhoff bei der Eröffnung von <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />

S<br />

TAHL <strong>2016</strong> steht unter<br />

dem Motto „Orientierung<br />

in unsicheren Zeiten“ und<br />

gleichzeitig sprechen wir<br />

von der „Faszination<br />

Stahl“. Wie passt das zusammen?<br />

Wir sehen gegenwärtig zwei Bilder<br />

des Stahls in Deutschland: Einerseits<br />

eine Industriebranche, die<br />

im Wettbewerb gut aufgestellt ist,<br />

an innovativen Technologien und<br />

Produkten forscht und die unverzichtbar<br />

für die industrielle Basis<br />

in Deutschland ist.<br />

Andererseits sind die Stahlunternehmen<br />

vermutlich mehr als<br />

jemals zuvor in ihren Zukunftsaussichten<br />

abhängig von externen<br />

Faktoren. Politische Entscheidungen<br />

drohen die Erfolge von Anpassungsprozessen,<br />

Modernisierung<br />

und Investitionen in die Zukunft<br />

zu entwerten, Bild 1 .<br />

Die Stärke unseres Standorts<br />

liegt gerade darin, sich rascher und<br />

konsequenter als andere an veränderte<br />

wirtschaftliche Rahmenbedingungen<br />

anzupassen. Doch<br />

solche Anstrengungen können<br />

unterlaufen werden: Europa in<br />

Unordnung, fehlende industriepolitische<br />

Orientierung oder eine<br />

Energie- und Klimapolitik mit zu<br />

hohen volkswirtschaftlichen Folgekosten.<br />

Zugleich wächst meine<br />

Sorge, dass die Tendenz zum Postfaktischen<br />

die rationale politische<br />

Meinungsbildung verdrängt.<br />

Das Wissen hat sich verbreitert,<br />

dass der Stahl zentrale Bedeutung<br />

für die industriellen Wertschöpfungsnetzwerke<br />

in Deutschland<br />

hat und faire Wettbewerbsbedingungen<br />

benötigt. Ein größeres Verständnis<br />

der Politik ist wohl vorhanden.<br />

An Taten und konkreten<br />

Beschlüssen mangelt es jedoch.<br />

Konjunkturelle Lage<br />

Die Konjunktur zeigt ein gemischtes<br />

Bild: Im bisherigen Jahresverlauf<br />

sind die Produktion und<br />

insbesondere der Umsatz zurückgegangen.<br />

Dem steht jedoch gegenüber,<br />

dass sich die Auftragslage<br />

und auch das Geschäftsklima in<br />

der Stahlindustrie – im Vergleich<br />

zu einem allerdings außerordentlich<br />

gedrückten Vorjahreszeitraum<br />

– gebessert haben, Bild 2 .<br />

Angesichts der Konjunktursignale,<br />

auch von den deutschen<br />

Stahlverarbeitern, und der aktuellen<br />

Unternehmensumfragen<br />

können wir zum aktuellen Zeitpunkt<br />

vorsichtig optimistisch auf<br />

die Stahlkonjunktur 2017 blicken.<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Wir erwarten, dass die Marktversorgung<br />

mit Walzstahl erneut<br />

leicht zulegen wird nach einem<br />

Plus von 1 % in diesem Jahr.<br />

Doch die Konjunkturrisiken<br />

sind gegenwärtig außerordentlich<br />

groß. Ich denke zum Beispiel auch<br />

an die gestiegenen Volatilitäten<br />

auf den Rohstoffmärkten. Die konjunkturellen<br />

Bewegungen dürfen<br />

nicht den Blick auf eine unverändert<br />

herausfordernde wirtschaftliche<br />

Lage der Branche verstellen.<br />

Die Strukturkrise auf dem globalen<br />

Stahlmarkt ist unverändert<br />

weit von einer Lösung entfernt.<br />

Zwar hat sich die globale Stahlproduktion<br />

stabilisiert. Die Kapazitätsauslastung<br />

liegt mit 70 %<br />

jedoch weiterhin auf einem im<br />

historischen Vergleich außergewöhnlich<br />

niedrigen Niveau.<br />

Vor dem Hintergrund der<br />

schwachen Weltwirtschaft und<br />

36<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


der weltweiten Investitionszurückhaltung<br />

ist nicht damit zu<br />

rechnen, dass das Überkapazitätsproblem<br />

auf der Nachfrageseite<br />

gelöst werden kann. Ein Kapazitätsabbau<br />

auf globaler Ebene ist<br />

unausweichlich.<br />

Die Strukturkrise stellt sich für<br />

uns als Importkrise dar. Es sind<br />

drei Herausforderungen, die sich<br />

für die Stahlindustrie in Deutschland<br />

durch unfairen Wettbewerb<br />

im internationalen Handel ergeben:<br />

▷▷<br />

Wir müssen uns aktuell bei einzelnen<br />

Produkten gegen unfaire<br />

Importe zur Wehr setzen.<br />

▷▷<br />

Eine Reform der europäischen<br />

Handelsschutzinstrumente ist<br />

zwingend erforderlich.<br />

▷▷<br />

Und es braucht eine Lösung,<br />

wie wir uns auch künftig gegen<br />

wettbewerbsverzerrende chinesische<br />

Stahlexporte aufstellen.<br />

Die Stahlindustrie ist nicht protektionistisch.<br />

Die bisher eingereichten<br />

Dumpingklagen sind<br />

gut begründet. Dies belegt auch<br />

die rasche Reaktion der Europäischen<br />

Kommission.<br />

Die in diesem Jahr erreichten<br />

Maßnahmen, zum Beispiel bei<br />

Kaltfeinblech, Grobblech und<br />

Warmbreitband, sind nur ein<br />

Teilerfolg. Eine deutliche Überforderung<br />

der europäischen Märkte<br />

durch gedumpte Importe zeigt sich<br />

auch bei anderen Stahlprodukten.<br />

Weitere Klagen können wir deshalb<br />

nicht ausschließen.<br />

Doch wir stellen fest, dass die<br />

notwendigen Instrumente der<br />

Handelspolitik in Europa nicht<br />

wettbewerbsfähig sind. Andere Regionen<br />

der Welt sind vergleichbar<br />

besser aufgestellt. Die Europäische<br />

Kommission hat Reformvorschläge<br />

vorgelegt, die momentan im Ministerrat<br />

blockiert werden.<br />

Es ist egoistisch und verantwortungslos,<br />

wenn u. a. Großbritannien<br />

in Brüssel die überfällige<br />

Reform der Handelsinstrumente<br />

1<br />

Politische<br />

Entscheidungen<br />

drohen in Zukunft<br />

die Erfolge von<br />

Anpassungsprozessen,<br />

Modernisierung und<br />

Investitionen zu<br />

entwerten<br />

2<br />

Stahlindustrie in<br />

Deutschland –<br />

hohe Auslastung,<br />

aber schwierige<br />

Geschäftslage<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 37


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:ERÖFFNUNG<br />

Präsident Wirtschaftsvereinigung Stahl und Vorsitzender Stahlinstitut VDEh<br />

blockiert, ohne die hiermit verbundenen<br />

Kosten in Form einer anhaltenden<br />

Schädigung der heimischen<br />

Industrie künftig vollumfänglich<br />

mittragen zu müssen. Ein Land,<br />

das künftig selber Gegenstand des<br />

Antidumpingrechts der EU werden<br />

könnte, sollte heute nicht mehr<br />

„Wir sind heute mehr denn je<br />

abhängig davon, wie die politischen<br />

Weichen in den kommenden<br />

Wochen und Monaten gestellt<br />

werden“<br />

über seine Ausgestaltung mitreden<br />

dürfen. Europa muss sich auch<br />

hier als Rechtsraum mit klaren<br />

Regeln begreifen.<br />

Parallel dazu läuft weiterhin<br />

die Debatte um die Anerkennung<br />

Chinas als Marktwirtschaft. Es geht<br />

darum, welche Verpflichtungen aus<br />

dem WTO-Beitrittsprotokoll für die<br />

anderen Mitglieder der Welthandelsorganisation<br />

entstehen. Eine<br />

unkonditionierte Anerkennung<br />

würde die handelspolitischen Möglichkeiten<br />

gegen das Land massiv<br />

schwächen. Der inzwischen veröffentlichte<br />

Vorschlag der Europäischen<br />

Kommission ist sicherlich ein<br />

Schritt nach vorne. Aber es bleiben<br />

Fragen, die im weiteren Verfahren<br />

zu beantworten sind. China muss<br />

weitere Schritte in Richtung Marktwirtschaft<br />

gehen.Die letzten 15<br />

Jahre haben dazu allerdings nicht<br />

ausgereicht. Marktwirtschaft wird<br />

man nicht durch Fristablauf.<br />

Unser Ziel sind klar nachweisbare<br />

Kriterien und effiziente Prozeduren,<br />

damit effektiver Handelsschutz<br />

auch nach Dezember<br />

weiterhin möglich ist.<br />

Überkapazitäten in China<br />

China steht nicht nur für die Hälfte<br />

der Weltproduktion, sondern auch<br />

für zwei Drittel der globalen Überkapazitäten<br />

von rd. 660 Mio. t. Auf<br />

China entfallen zudem 75 % des<br />

gesamten Kapazitätsauf baus, der<br />

seit 2011 weltweit beim Stahl stattgefunden<br />

hat, Bild 3 .<br />

Erfreulich ist, dass die Regierungschefs<br />

der G20-Staaten auf ihrem<br />

Gipfel Anfang September die<br />

Strukturprobleme in der globalen<br />

Stahlindustrie diskutiert und konkrete<br />

Schritte gefordert haben, um<br />

die notwendigen Anpassungsprozesse<br />

zu unterstützen. Wir hoffen,<br />

dass sich China in die Arbeit des neu<br />

gegründeten globalen Kapazitätsforums<br />

Stahl konstruktiv und verantwortungsvoll<br />

einbringen wird.<br />

EU-Kommissionspräsident<br />

Juncker forderte alle Mitgliedsstaaten<br />

und das Europäische Parlament<br />

dazu auf, die Kommission<br />

dabei zu unterstützen, die handelspolitischen<br />

Schutzinstrumente zu<br />

stärken. Das ist gut und richtig. Auf<br />

der anderen Seite ist es genau seine<br />

Kommission, deren Pläne zur Reform<br />

des Emissionsrechtehandels<br />

existenzbedrohend für uns sind. Die<br />

Politik darf sich nicht mit dem Verweis<br />

auf die globale Strukturkrise<br />

beim Stahl ihrer Verantwortung für<br />

eine faire Klimapolitik entziehen.<br />

Die Europäische Union sieht sich<br />

nach dem Klimaabkommen von<br />

Paris in ihrer Vorreiterrolle im internationalen<br />

Klimaschutz bestätigt<br />

und versucht, diese Position zulasten<br />

der Industrie noch auszubauen.<br />

Emissionsrechtehandel<br />

Die Pläne der Europäischen Kommission<br />

zur Reform des europäischen<br />

Emissionshandels würden<br />

eine wettbewerbsfähige Stahlproduktion<br />

unmöglich machen,<br />

Bild 4 . Den Korrekturbedarf haben<br />

wir benannt:<br />

▷▷<br />

Notwendig ist eine deutliche<br />

Erhöhung des Industriecaps,<br />

damit kein weiterer Korrekturfaktor<br />

erforderlich ist.<br />

▷▷<br />

Die Benchmarks müssen technisch<br />

und wirtschaftlich erreichbar<br />

ausgestaltet sein. Wir<br />

sind die einzige Branche, die<br />

3<br />

Massive<br />

Überkapazitäten<br />

der chinesischen<br />

Stahlindustrie<br />

38<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


mit schlicht falsch berechneten<br />

Benchmarks konfrontiert ist.<br />

So werden Wettbewerbsvorteile<br />

für außereuropäische Hersteller<br />

mit einer wesentlich schlechteren<br />

CO 2<br />

-Bilanz geschaffen. Notwendig<br />

wäre ein Ansatz, der Klimaschutz<br />

befördert und zugleich<br />

Stahlproduktion auch in Zukunft<br />

in Deutschland und Europa möglich<br />

macht. Wir brauchen eine<br />

Neuorientierung für eine bessere<br />

Klimaschutzpolitik. Diese muss<br />

technologieoffen und effizient<br />

sein und die Kosten im Griff haben.<br />

Kein Land der Welt wird einem<br />

Vorreiter folgen, wenn seine<br />

Volkswirtschaft Schaden nimmt.<br />

Ich hoffe zudem, dass in dieser<br />

wichtigen Frage die politische<br />

Bewirtschaftung von Gesinnungsströmungen<br />

nicht Vorrang hat<br />

vor rationalen und evidenzbasierten<br />

Entscheidungen. Wir sind<br />

nicht gegen Klimaschutz, weil<br />

wir die Pläne der Europäischen<br />

Kommission oder die Umsetzung<br />

der Energiewende in Deutschland<br />

sorgenvoll kritisieren. Bei den<br />

Stahlunternehmen wird die Sorge<br />

um die Zukunft niemals ihren<br />

Gestaltungswillen übertreffen.<br />

Eine falsche Klimapolitik, die<br />

auch Regulierung und Wachstumsbeschränkungen<br />

setzt, verkürzt<br />

jedoch die Perspektiven. Sie<br />

entzieht den Unternehmen Mittel<br />

für Zukunftsinvestitionen. Dabei<br />

sollten wir mehr punkten können<br />

mit unseren starken Forschungsanstrengungen.<br />

Industrie 4.0<br />

Die hohe Innovationskraft und<br />

-führerschaft der Stahlindustrie<br />

in Deutschland ruht auf drei<br />

Säulen:<br />

▷▷<br />

Wir arbeiten an Lösungen zur<br />

Verminderung, Vermeidung<br />

und Nutzung der CO 2<br />

-Emissionen<br />

aus der Produktion,<br />

▷▷<br />

eine internationale Vorreiterrolle<br />

bei Industrie 4.0 und<br />

▷▷<br />

die weitere Optimierung und<br />

Neuentwicklung von Stahlwerkstoffen<br />

als „Enabler“ für<br />

Innovationen in anderen Branchen.<br />

4<br />

Vorschlag der EU-Kommission: Zuteilung für Roheisen und Stahl 2030 mehr als 40 % unter dem<br />

prozessbedingten Minimum<br />

Das Wesen technischen Fortschritts<br />

in der Ära digitaler Hardware,<br />

Software und Netzwerke ist<br />

durch drei Merkmale geprägt: Es<br />

ist exponentiell, digital und kombinatorisch.<br />

Industrie 4.0 ist für<br />

den Stahl kein Fremdwort. Gerade<br />

in der Verbindung von Informationstechnologie<br />

und industriellen<br />

Produktionsprozessen wird die Digitalisierung<br />

ihre Wirkkraft erst<br />

voll entfalten können. Ein Land<br />

mit einem Industrieanteil von<br />

23 % an der Bruttowertschöpfung<br />

hat hier große Chancen.<br />

Auch bei den schnell ablaufenden<br />

Prozessen in der Stahlproduktion,<br />

wie Walzen und Veredeln,<br />

kann Industrie 4.0 seine Potenziale<br />

entfalten. Großserienproduktion<br />

und Flexibilität werden<br />

kein Widerspruch mehr sein. Die<br />

Produktion wird durch hochwertige<br />

Dienstleistungen ergänzt und<br />

neue Geschäftsmodelle beim Stahl<br />

und über den Stahl hinaus werden<br />

entstehen. Die Werkstoffentwicklung<br />

wird durch die weitere Digitalisierung<br />

auch der Innovationsprozesse<br />

dynamischer.<br />

Fazit<br />

Unsere Unternehmen brauchen<br />

für all dies von der Politik mehr<br />

Raum als Regulierung sowie eine<br />

Perspektive, dass neue Innovationen<br />

bei Produkten und Prozessen<br />

zur Anwendung kommen können.<br />

Vor allem aber brauchen sie klare<br />

Regeln für einen fairen Wettbewerb.<br />

Europa und die Politik werden<br />

nur dann höhere Zustimmung<br />

erlangen, wenn das, was gelten<br />

soll, auch Geltung hat. Wir sind<br />

heute mehr denn je abhängig davon,<br />

wie die politischen Weichen<br />

in den kommenden Wochen und<br />

Monaten gestellt werden.<br />

„Europäer sein heißt auch, für<br />

die Stahlindustrie des Kontinents<br />

einzutreten“, hat EU-Kommissionspräsident<br />

Juncker gesagt. An<br />

diesen Worten muss er sich messen<br />

lassen. An diesen Worten muss<br />

sich die Politik in Deutschland und<br />

Europa insgesamt messen lassen.<br />

Wir werden gemeinsam weiter<br />

daran arbeiten, dass die Stahlindustrie<br />

ein wichtiger Baustein für<br />

eine starke Wirtschaft unseres Landes<br />

bleiben kann. Mit dem Werkstoff<br />

Stahl und einer starken Wertschöpfung<br />

sichern wir nachhaltige<br />

Innovationen. Stahl war schon<br />

einmal Motor einer industriellen<br />

Revolution – auch für die vierte<br />

ist der Stahl unverzichtbar.<br />

Gekürzte Fassung der Rede von<br />

Hans Jürgen Kerkhoff<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 39


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:ERÖFFNUNG<br />

Präsident der Europäischen Handelskammer<br />

Antek Schwarz<br />

Fairness in den marktwirtschaftlichen Bedingungen<br />

„Die Bedeutung Chinas ist<br />

offensichtlich“<br />

Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking / China, sprach bei<br />

der Eröffnung der internationalen Jahrestagung <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong> über die wirtschaftliche<br />

Entwicklung in China und die Beziehungen zwischen China und Europa.<br />

Chinakenner Jörg<br />

Wuttke forderte,<br />

Europa und besonders<br />

Deutschland müsse<br />

seine Industrie<br />

schützen, ohne dabei<br />

in Protektionismus zu<br />

verfallen<br />

H<br />

andelskammerpräsident<br />

Jörg Wuttke<br />

gratulierte dem Organisator<br />

der Veranstaltung<br />

zum Timing<br />

für das Motto „Orientierung in unsicheren<br />

Zeiten“, das seit der amerikanischen<br />

Präsidentschaftswahl<br />

aktueller denn je sei. Er wolle einen<br />

Einblick in die Verhältnisse in China<br />

geben. Wuttke selbst habe über 20<br />

Jahre in China gearbeitet, zunächst<br />

bei ABB, nun sei er Vizepräsident<br />

und Generalbevollmächtigter bei<br />

BASF in China und sozusagen im<br />

Nebenjob Leiter der EU-Kammer.<br />

Die Bedeutung Chinas ist für den<br />

Handelskammerpräsidenten offensichtlich,<br />

wenn man bedenkt, welche<br />

Wegstrecke bisher zurückgelegt<br />

wurde und welche Verwandlungen<br />

sich in China ergeben haben. Das<br />

Wachstum im Land war bis vor<br />

Kurzem zweistellig, man dürfe aber<br />

nicht verkennen, dass China nach<br />

wie vor ein Entwicklungsland sei,<br />

trotz Shanghai, Peking oder der Ostküste,<br />

und noch großes Potenzial<br />

im Land stecke. Die Erwartungen<br />

seien nach dem Beitritt Chinas<br />

zum Welthandelsabkommen 2001<br />

extrem gestiegen. Damals hatte<br />

China 2 bis 3 % vom Welthandel,<br />

momentan seien es 12 bis 13 %.<br />

Die Enttäuschung sei im weiteren<br />

Verlauf aber groß gewesen, da die<br />

Reformen im Land stagnierten. Die<br />

wirtschaftliche Entwicklung dürfte<br />

wie in einer L-Form fallen und dann<br />

auf niedrigerem Niveau verharren.<br />

Derzeit liege das Wirtschaftswachstum<br />

bei 6,7 %, die Zeiten zweistelliger<br />

Wachstumszahlen seien aber<br />

vorbei. Wuttke warnte vor Extrapolationen<br />

bei den wirtschaftlichen<br />

Erwartungen; er habe selber die<br />

Erfahrung gemacht, dass sie irgendwann<br />

nicht mehr stimmten.<br />

Präsident Wuttke stellte anschließend<br />

die EU-Handelskammer vor.<br />

„Die EU-Kammer ist eine recht neue<br />

Organisation, gerade einmal 15 bis<br />

16 Jahre alt, wir sind komplementär<br />

zur deutschen Handelskammer und<br />

machen die Lobbyarbeit. Wir haben<br />

neun Büros mit 100 Mitarbeitern in<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

China und zeichnen uns durch unsere<br />

jährlichen Publikationen aus.“<br />

Bei den Survey-Papieren z. B.<br />

stehen die Unternehmen im<br />

Blick, die bereits in China tätig<br />

sind. In 50 Ausschüssen werden<br />

die Mitglieder der Handelskammer<br />

befragt, wie es ihnen in den<br />

verschiedenen Regionen ergeht.<br />

Dabei stelle man fest, wie unterschiedlich<br />

die Aussagen in den<br />

einzelnen Branchen seien und<br />

dass die Unternehmen es in China<br />

schwerer hätten, je größer und je<br />

länger sie in China seien. Je jünger<br />

und je kleiner die Firmen seien,<br />

umso besser gehe es ihnen. Die<br />

großen Unternehmen bekämen<br />

seit einiger Zeit Gegenwind von<br />

den Regulatoren in China, weil<br />

die Chinesen sich entschlossen<br />

hätten, in Innovation und Entwicklung<br />

der Industrie weiterzuwachsen.<br />

Außerdem wüchsen den<br />

etablierten großen Unternehmen<br />

mittlerweile sehr namhafte Konkurrenten<br />

heran.<br />

„In der im Februar neu aufgelegten<br />

Überkapazitätenstudie von<br />

2009 wird explizit auf die Stahlindustrie<br />

eingegangen. Diese Studie<br />

hat zu intensiven Diskussionen<br />

über Fairness geführt und wo man<br />

denn konkret etwas machen kann.<br />

Bereits 2009 wurden Vorschläge<br />

erarbeitet, die zu großer Rhetorik<br />

seitens der chinesischen Regierung<br />

geführt hatten. Doch sieben Jahre<br />

später müssen wir feststellen: Die<br />

Situation ist nicht besser geworden,<br />

sondern noch schlechter“, stellte<br />

der Handelskammerpräsident fest.<br />

Jetzt lägen mit der neuen Studie<br />

wieder 30 Vorschläge vor, wie man<br />

40<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


neben der Schließung von Stahlwerken<br />

z. B. das Steuersystem ändern<br />

könne.<br />

„Das jährlich erscheinende Positionspapier,<br />

das wir am 1. September<br />

herausgebracht haben, ist das<br />

Benchmark der EU-Handelskammer.<br />

Auf 400 Seiten werden hier die Themen<br />

dargestellt. Und sie werden<br />

ständig bis zur Ministerebene mit<br />

der chinesischen Regierungsseite besprochen“,<br />

führte Jörg Wuttke weiter<br />

aus. In diesem Paper werde der<br />

chinesische Kontinent mit seinen<br />

31 Mitgliedsstaaten genauer untersucht.<br />

So bekomme man ein Gefühl<br />

dafür, wie es den Unternehmen z. B.<br />

in Chengdu oder Szechuan gehe. Die<br />

Situation sei sehr unterschiedlich.<br />

Der Kontinent China entwickele<br />

sich anders, als die Außenwahrnehmung<br />

erkenne. Es gebe nicht nur das<br />

Durchschnittswachstum von 6,7 %,<br />

in der Gegend von Chongqing oder<br />

Chengdu gebe es 10 % Wachstum,<br />

im Norden Chinas dagegen liege das<br />

Wachstum bei −1 %. „Das Griechenland<br />

Chinas liegt im Nordosten des<br />

Landes, in Liaoning. Es ist also wichtig,<br />

bei der Frage, wo und mit wem<br />

man arbeitet, China als Kontinent<br />

wahrzunehmen.“<br />

Umsetzung der Reformen<br />

stagniert<br />

Die Umsetzung der Reformen in<br />

China verzögere sich, bemerkte der<br />

EU-Handelskammerpräsident. Die<br />

Reformen zielten allerdings auf den<br />

Zeitraum bis 2020, so etwas dauere<br />

halt lang, das sei in Europa nicht viel<br />

anders. Die Welt habe sich aber mittlerweile<br />

geändert. Die Investitionen<br />

von Europa nach China haben sich<br />

deutlich reduziert, die von China<br />

nach Europa stark zugenommen,<br />

so Wuttke weiter, aus einem One-<br />

Way von Europa nach China sei eine<br />

Autobahn von China Richtung Europa<br />

geworden und es gebe nur noch<br />

einen kleinen, dürren Pfad zurück.<br />

Die europäische Industrie zeige aber<br />

keine Investitionsmüdigkeit, hier<br />

müsse man nur die Investitionen in<br />

Amerika betrachten, auch die private<br />

chinesische Industrie investiere<br />

kaum mehr in die eigene Volkswirtschaft.<br />

Nur die staatseigenen Betriebe<br />

unterfütterten den Aufschwung<br />

in China.<br />

China kaufe sich derzeit in Firmen<br />

in Europa ein, erhalte damit Arbeitsplätze,<br />

das sei auch so gewollt,<br />

erklärte der Chinakenner Wuttke.<br />

Andererseits hätten die 5 000 deutschen<br />

Firmen, die in China engagiert<br />

seien, etwa 1 Mio. Jobs geschaffen.<br />

Durch den Umschwung der Investitionen<br />

von China nach Europa<br />

stelle sich jetzt die Frage der Reziprozität.<br />

Warum könne die europäische<br />

Industrie nicht genauso<br />

einfach in China investieren wie<br />

andershe rum? Die Versprechen, die<br />

man jedes Jahr in China bekomme,<br />

blieben fragwürdig, so Wuttke weiter.<br />

Das Wort Reziprozität sei in der<br />

Handelskammer immer vermieden<br />

worden, es habe einen Beigeschmack<br />

von Protektionismus. Mittlerweile<br />

werde diese Wechselseitigkeit in den<br />

Außenhandelsbeziehungen aber<br />

nicht nur von der Politik, sondern<br />

auch von den Firmen eingefordert,<br />

nach dem Motto „genug ist genug“.<br />

China habe im September letzten<br />

Jahres ein Papier zum Thema Industrie<br />

4.0 mit dem Titel „Made in China<br />

2025“ herausgegeben. Es sei visionär<br />

und detailliert, beschreibe, welchen<br />

Marktanteil China in den verschiedenen<br />

Branchen erreichen wolle –<br />

sage aber explizit, dass es die chinesischen<br />

Firmen seien sollen, also keine<br />

Joint Ventures. Im Klartext heiße das,<br />

man wolle die Entwicklung ohne die<br />

Europäer erreichen. „Deshalb hinterfragen<br />

wir das momentan. Wir<br />

stellen fest, dass sich viele Firmen<br />

genau an diese Roadmap „Made in<br />

China 2025“ halten und sich danach<br />

in Firmen in Europa einkaufen, als<br />

wäre es eine Shoppingliste. China<br />

versucht z.B. im Bereich Semiconductors,<br />

sich in die Zuliefererfirmen<br />

einzukaufen, Aixtron ist da ein Beispiel.<br />

Aber auch Firmen wie Kuka<br />

oder Robotics bewegen sich in dem<br />

Bereich, den das Visionspapier der<br />

Chinesen aufzeigt“, gab Chinaexperte<br />

Wuttke zu bedenken.<br />

„Wir stellen derzeit ein Papier<br />

zusammen, das im März nächsten<br />

Jahres vorgestellt wird. Es soll aufzeigen,<br />

was die europäische und<br />

auch die deutsche Industrie machen<br />

kann, um Fairness hinzubekommen.<br />

Fairness im Sinne, dass<br />

man nicht noch mehr staatseigene<br />

chinesische Betriebe in Deutschland<br />

hat und die marktwirtschaftlichen<br />

Bedingungen wie Wettbewerb,<br />

Transparenz etc. nicht weiter unterhöhlt<br />

werden. Ich glaube, das<br />

ist extrem wichtig, denn Fairness<br />

kommt nur durch Transparenz und<br />

gleiche Marktbedingungen zustande“,<br />

führte Jörg Wuttke weiter aus.<br />

Ausblick<br />

Chinaexperte Wuttke erläuterte, was<br />

man in Zukunft erwarten könne. Im<br />

nächsten Jahr gebe es auch in China<br />

schwierige Wahlen. Der jetzige<br />

Präsident Jinping sei zwar gestärkt,<br />

habe es aber noch nicht geschafft,<br />

die 2013 angedachten Reformen<br />

durchzuführen. Bis zum Ende des<br />

nächsten Jahres werde sich also<br />

nicht viel ändern in China. Aber<br />

für März 2018 bleibe die Hoffnung<br />

– bei allen Bedenken –, dass eine<br />

neue, stark aufgestellte wirtschaftsgetriebene<br />

Regierung die aufgestauten<br />

Reformen in die Tat umsetzen<br />

und nicht in der Rhethorikblase<br />

bleiben werde.<br />

Zurzeit habe man ein recht gutes<br />

wirtschaftliches Umfeld in China.<br />

Zu Jahresanfang seien Kreditzusagen<br />

gemacht worden, sodass die<br />

Wirtschaft wieder in Gang komme,<br />

allerdings seien dadurch auch viele<br />

Stahlfirmen, die bereits geschlossen<br />

waren, wieder aufgemacht worden.<br />

Auch die fiskalischen Anstrengungen<br />

der Regierung ergäben kein<br />

nachhaltiges Bild. Die Frage sei, wie<br />

lange China es schaffen könne, mit<br />

mehr Krediten und verschleppten<br />

Reformen die Wirtschaft anzutreiben.<br />

Die Schulden in China seien<br />

gewaltig, gerade bei Firmen und<br />

Lokalregierungen.<br />

„Für uns bleibt immer die Frage<br />

der Fairness“, konstatierte Jörg Wuttke<br />

zum Schluss. „Wir brauchen ein<br />

Level Playing Field, wir brauchen<br />

wirklich eine Art und Weise, in der<br />

Europa und besonders Deutschland<br />

es schafft, seine eigene Industrie zu<br />

schützen, ohne in Protektionismus<br />

zu verfallen. China ist komplex, aber<br />

bei einem können wir sicher sein:<br />

Extrapolation gibt es nicht mehr.“<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 41


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:ERÖFFNUNG<br />

Präsident des ZVEI<br />

Michael Ziesemer<br />

Digitalisierung als Wachstumschance nutzen<br />

Herausforderungen für starke<br />

Wertschöpfungsnetzwerke in<br />

Deutschland und Europa<br />

Michael Ziesemer, Präsident des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektronikindustrie<br />

(ZVEI), sprach bei der Eröffnung der internationalen Jahrestagung <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong> über die<br />

Herausforderungen der Digitalisierung und ihre Chancen als Impulsgeber für Wachstum.<br />

D<br />

er Titel der diesjährigen<br />

Stahltagung<br />

„Orientierung in unsicheren<br />

Zeiten“ ist<br />

passend gewählt. Wir<br />

leben politisch, wirtschaftlich, aber<br />

auch gesellschaftlich tatsächlich in<br />

bewegten Zeiten. Was gestern noch<br />

als gesichert gelten konnte, kann<br />

sich morgen schon als diametral<br />

anders darstellen. Oder hatten Sie<br />

wirklich mit dem Wahlausgang<br />

in den USA so gerechnet? Was bedeutet<br />

ein Präsident Trump für die<br />

trans atlantischen Beziehungen und<br />

den wirtschaftlichen Austausch?<br />

Die USA sind für unsere Branche<br />

beispielsweise der wichtigste Handelspartner.<br />

Auch der Brexit hat uns überrascht.<br />

Er zeigt, wie fragil der europäische<br />

Einigungsgedanke, wie<br />

verwundbar unser Heimatkontinent<br />

ist. Das Partikularinteresse<br />

steht über dem Gemeinschaftsanliegen.<br />

Mit Blick auf die europäische<br />

Geschichte ist das eine ungute<br />

Entwicklung. Oder blicken wir auf<br />

die Flucht von hunderttausenden<br />

von Flüchtlingen nach Deutschland<br />

im vergangenen Jahr zurück.<br />

Sie hat unser Land vor eine große<br />

Bewährungsprobe gestellt und stellt<br />

es immer noch. Politisch durch das<br />

Aufkommen einer rechtspopulistischen<br />

Partei, gesellschaftlich durch<br />

die weithin ungelöste Frage, wie<br />

es mit den Flüchtlingen unter uns<br />

weitergeht.<br />

Und noch etwas erregt Besorgnis:<br />

die Digitalisierung, die sich mit<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

ZVEI-Präsident Michael Ziesemer ist überzeugt, dass wir in Deutschland<br />

und Europa weiterhin starke Wertschöpfungsnetzwerke und eine hohe<br />

Wertschöpfungstiefe brauchen<br />

Macht ihre Bahn bricht. Geschäftsmodelle,<br />

die sich über Jahrzehnte<br />

und länger bewährt hatten, werden<br />

förmlich hinweggespült. Denken<br />

Sie nur daran, was HRS oder<br />

booking.com mit der Hotelwirtschaft<br />

angestellt haben. Viele weitere<br />

Beispiele ließen sich anfügen.<br />

Damit bin ich beim Thema meiner<br />

Rede angekommen, „dem Erhalt<br />

starker Wertschöpfungsnetzwerke<br />

in Deutschland und Europa“ im<br />

Zeitalter der digitalen Transformation.<br />

Tatsächlich befinden wir uns<br />

mitten im Umbruch, sind Zeitzeugen<br />

gravierender Veränderungen.<br />

Die digitale Transformation<br />

durchdringt mit großer Kraft und<br />

Geschwindigkeit alle Sphären.<br />

Und das Bezeichnende ist, dass sie<br />

keine Grenzen kennt. Keine Branchengrenzen,<br />

keine Nationalstaatsgrenzen.<br />

Die Digitalisierung erfolgt<br />

weltumspannend. Sie ist irreversibel<br />

und potenziell disruptiv. Sie ist<br />

daher die große Herausforderung,<br />

vor der die deutsche und die europäische<br />

Industrie stehen.<br />

Auf dem ZVEI-Jahreskongress<br />

<strong>2016</strong> betonte Bundeskanzlerin<br />

Merkel, die Digitalisierung sei<br />

eine Schicksalsfrage für die Elektroindustrie.<br />

Das sehen wir in der<br />

Elektroindustrie genauso. Und dennoch<br />

möchte ich die Aussage der<br />

Kanzlerin erweitern: Die Digitalisierung<br />

ist eine Schicksalsfrage für die<br />

gesamte deutsche und europäische<br />

Industrie.<br />

42<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Für die deutsche Elektroindustrie<br />

kann ich sagen, dass unsere Unternehmen<br />

sich immer besser auf<br />

die Digitalisierung einstellen. Eine<br />

brandaktuelle Studie von Fraunhofer<br />

und IW consult im Auftrag<br />

des ZVEI zeigt sogar, dass sich unsere<br />

Branche in einer Schlüsselstellung<br />

befindet. Sie ist mit Blick auf<br />

die Digitalisierung weiter als andere<br />

Branchen und zudem wichtiger<br />

Impulsgeber für andere Industriezweige.<br />

Die vollständigen Ergebnisse<br />

werden wir nächste Woche vor<br />

dem IT-Gipfel veröffentlichen.<br />

Trotz dieses an sich erfreulichen<br />

Ergebnisses zeigt die Studie, dass<br />

es auch bei unseren Unternehmen<br />

noch viel Luft nach oben gibt. Und<br />

gesamtwirtschaftlich tröstet es auch<br />

nicht, nur etwas besser als die anderen<br />

zu sein. Denn Digitalisierung<br />

funktioniert nicht „autistisch“. Es<br />

geht vielmehr um die durchgängige<br />

Digitalisierung kompletter<br />

Wertschöpfungsnetzwerke, die<br />

vom Lieferanten bis zum Kunden<br />

reichen. Wir haben es mit einer Entwicklung<br />

zu tun, die alle Grenzen<br />

sprengt – unwiderruflich. Lassen<br />

Sie mich das mit einem weiteren<br />

Beispiel verdeutlichen.<br />

Die Digitalisierung verändert auf<br />

radikale Art und Weise etablierte<br />

Rollen und Wertschöpfungsstrukturen,<br />

indem sie althergebrachte und<br />

durchaus erfolgreiche Geschäftsmodelle<br />

zerlegt und neu zusammensetzt.<br />

Zum Sinnbild disruptiver<br />

Marktumbrüche – und damit ein<br />

weiteres Beispiel – ist mittlerweile<br />

das US-Unternehmen Uber geworden,<br />

das durch seine Vermittlung<br />

privater Fahrten per App die Taxibranche<br />

revolutioniert. Uber besitzt<br />

keine klassischen Produktionsmittel,<br />

verfügt aber über eine neue<br />

datenbasierte Geschäftsidee. Das<br />

ist Disruption erster Klasse.<br />

Digitalwirtschaft<br />

Mitunter werden wir gefragt, ob<br />

unsere Anstrengungen in Deutschland<br />

und Europa ausreichen, um<br />

der – mit Schumpeter gesprochen<br />

– „schöpferischen Zerstörung“ der<br />

amerikanischen Digitalwirtschaft<br />

begegnen zu können. Setzen die<br />

amerikanischen Internettitanen<br />

nicht tatsächlich Standards, an<br />

denen letztlich kein Vorbeikommen<br />

ist?<br />

Zwar ist richtig, dass die amerikanische<br />

Internetwirtschaft uns<br />

bei der Entwicklung von datenbasierten<br />

Geschäftsmodellen voraus<br />

ist, es besser versteht, aus<br />

Daten Werte zu schaffen. Gerade<br />

die deutschen Unternehmen sind<br />

dagegen spitze bei den „Dingen“.<br />

Unsere Ausgangslage ist dort exzellent,<br />

wo die Welt der IT mit der realen<br />

Welt zusammenkommt – in<br />

Antrieben, Steuerungen, Sensoren<br />

und Maschinen. In diesen Bereichen<br />

sind deutsche Unternehmen<br />

Weltmarktführer. Das eigentlich<br />

„Revolutionäre“ an Industrie 4.0<br />

ist jedoch die Entstehung neuer<br />

Geschäftsmodelle. Hier müssen<br />

wir noch zulegen.<br />

In Summe betrachtet, sieht es<br />

für uns jedoch gar nicht schlecht<br />

aus. Erst kürzlich hieß es im Handelsblatt,<br />

die Deutschen könnten<br />

beim Thema Digitalisierung doch<br />

wesentlich selbstbewusster sein.<br />

Es hieß, die gute alte deutsche Ingenieurskunst<br />

entwickle sich zu<br />

einer Marke namens Industrie 4.0.<br />

Und ich kann Ihnen sagen, dass<br />

sich Deutschland beim Thema Industrie<br />

4.0 de facto in einer sehr<br />

guten Position befindet. Unsere industrielle<br />

Basis ist exzellent und<br />

sucht weltweit ihresgleichen. Der<br />

Industrieanteil am Bruttoinlandsprodukt<br />

liegt bei fast 23 %. Zum<br />

Vergleich: In den USA sind es nur<br />

etwa 13 %.<br />

Diese gute Ausgangslage wurde<br />

gestärkt, weil wir – die Politik,<br />

die Verbände, Gewerkschaften und<br />

auch wissenschaftlichen Einrichtungen<br />

– industriepolitisch gut<br />

vorangekommen sind. Die einst<br />

von Bitkom, VDMA und ZVEI aufgestellte<br />

Plattform Industrie 4.0 ist<br />

eine feste Referenzgröße und vertritt<br />

kompetent die führende Rolle<br />

Deutschlands bei Industrie 4.0. Das<br />

erkennen auch die Amerikaner.<br />

Die Zusammenarbeit mit dem Industrial<br />

Internet Consortium (IIC)<br />

konnte während der zurückliegenden<br />

Hannover Messe initiiert werden<br />

und trägt inzwischen Früchte.<br />

Mit dem im ZVEI entwickelten<br />

Referenzarchitekturmodell RAMI<br />

4.0 führen wir die internationale<br />

Debatte um Industrie 4.0 an. Im<br />

„Labs Network Industrie 4.0“ bringen<br />

wir Unternehmen und Testumgebungen<br />

zusammen, und im<br />

„Standardization Council Industrie<br />

4.0“ initiieren wir Standards für<br />

die digitale Produktion. Das alles<br />

geschieht seit der Hannover Messe<br />

„Die Digitalisierung ist nicht nur<br />

eine Herausforderung, sondern vor<br />

allem Impulsgeber für Wachstum“<br />

und macht Mut, dass wir uns mehr<br />

und mehr aufs digitale Zeitalter<br />

einlassen.<br />

Und wir haben ein weiteres<br />

„Asset“, worum uns die Welt beneidet:<br />

„The German Mittelstand“.<br />

Bei Industrie 4.0 sind es beileibe<br />

nicht nur die Großen, die die Entwicklungen<br />

vorantreiben. Auch<br />

viele Mittelständler gehören dazu,<br />

darunter zahlreiche sogenannte<br />

Hidden Champions, also Weltmarktführer,<br />

die außerhalb ihrer<br />

Branche eher unbekannt sind.<br />

Für die Elektroindustrie kann ich<br />

sagen, dass gut 90 % der Unternehmen<br />

mittelständisch geprägt<br />

sind; das heißt, sie zählen weniger<br />

als 500 Beschäftigte. Durch<br />

die konsequente Ausrichtung auf<br />

Innovationen haben sich gerade<br />

viele Mittelständler starke Marktpositionen<br />

erarbeitet. Sie sind das<br />

Rückgrat unserer Industrie und<br />

genießen weltweit einen hervorragenden<br />

Ruf.<br />

Sie sehen also, wir brauchen<br />

uns nicht zu verstecken. Und<br />

ich bin optimistisch, dass wir<br />

noch mehr Aufmerksamkeit auf<br />

„Industrie 4.0“ werden lenken<br />

können. Schon zur Hannover<br />

Messe wurde ich positiv überrascht.<br />

Meine Forderung nach<br />

100 konkreten Industrie-4.0-Anwendungsbeispielen<br />

wurde weit<br />

übertroffen. Am Ziel sind wir allerdings<br />

noch lange nicht, denn<br />

der digitale Wandel in Wirtschaft<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 43


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:ERÖFFNUNG<br />

Präsident des ZVEI<br />

und Gesellschaft ist Weg und Ziel<br />

zugleich. Zusammenarbeit ist einer<br />

der Schlüssel für die Digitalisierung.<br />

Genau an dieser Stelle<br />

sehe ich auch viele Anknüpfungspunkte<br />

zur Ihrer Branche. Auch<br />

Ihre Branche stellt sich ja den<br />

Herausforderungen der Digitalisierung,<br />

ist sogar beispielgebend,<br />

wenn es darum geht, Liefer- und<br />

Leistungsketten durchgängig zu<br />

digitalisieren (Klöckner-Werke)<br />

und neue Dienste anzubieten.<br />

Hier können wir viel voneinander<br />

profitieren.<br />

Zusammenarbeit im<br />

Wettbewerb<br />

Zusammenarbeit im Wettbewerb<br />

ist in Umbruchsituationen wie dieser<br />

eminent wichtig. Der ZVEI und<br />

die Unternehmen der deutschen<br />

Elektroindustrie setzen dabei auf<br />

Europa. Die Politik ist hier ein<br />

wichtiger Partner: Sie muss endlich<br />

den digitalen Binnenmarkt in<br />

Europa durchsetzen. Wir brauchen<br />

eine europäische digitale Strategie,<br />

weil jeder der 28 bzw. leider bald<br />

nur noch 27 Mitgliedsstaaten für<br />

sich allein zu wenig Gewicht hat,<br />

um im internationalen Wettbewerb<br />

mithalten zu können. Nötig<br />

ist ein einheitlicher Markt wie in<br />

den USA oder in China.<br />

Es geht darum, die digitale Binnenmarktstrategie<br />

von EU-Kommissar<br />

Günther Oettinger zu<br />

unterstützen. Das bedeutet, dass<br />

wir erstens für einen besseren Zugang<br />

für Verbraucher und Unternehmen<br />

zu digitalen Waren und<br />

Dienstleistungen in ganz Europa<br />

sind. Dass wir zweitens gleiche<br />

Voraussetzungen für florierende<br />

digitale Netze und innovative<br />

Dienste schaffen. Und drittens<br />

das große Wachstumspotenzial<br />

der digitalen Wirtschaft bestmöglich<br />

ausschöpfen. Wir brauchen<br />

auch das 5G-Netz. Wir müssen in<br />

der Lage sein, europaweit große<br />

Datenmengen in kürzester Zeit zu<br />

übertragen. Dafür müssen wir in<br />

Europa gemeinschaftlich handeln.<br />

Und auch in Deutschland benötigen<br />

wir die Unterstützung der<br />

Politik. Das betrifft mehrere Themen:<br />

Mit dem aktuellen Ziel der<br />

Bundesregierung von 50 Megabit<br />

pro Sekunde droht Deutschland<br />

als Industriestandort abgehängt<br />

zu werden. Wer wie Deutschland<br />

die Nummer eins bei Industrie 4.0<br />

sein will, kann nicht Nummer 22<br />

in der Welt sein, was die durchschnittliche<br />

Surfgeschwindigkeit<br />

im Internet angeht. Noch immer<br />

sind Gewerbegebiete, etwa in ländlichen<br />

Gebieten, nicht ans schnelle<br />

Internet angeschlossen. Das muss<br />

sich ändern.<br />

Ich sehe viele Gemeinsamkeiten<br />

und gemeinsame Anliegen<br />

von Stahl- und Elektroindustrie.<br />

Unser Anliegen ist, den Standort<br />

Deutschland zu stärken und unseren<br />

Heimatmarkt Europa auszubauen.<br />

Essenziell sind hierfür<br />

starke Wertschöpfungsnetzwerke<br />

und eine hohe Wertschöpfungstiefe.<br />

Das hat uns in der Vergangenheit<br />

stark gemacht und das muss<br />

auch Schlüssel für die Zukunft<br />

sein. Um es deutlich zu sagen:<br />

Wir brauchen eine starke hiesige<br />

Grundstoffindustrie. Hierfür<br />

ist wichtig, dass die europäische<br />

Industrie weiterhin wirkungsvoll<br />

vor gedumpten Waren aus China<br />

geschützt bleibt. China muss zu<br />

seinen WTO-Verpflichtungen stehen.<br />

Gleichzeitig dürfen wir nicht<br />

die wirtschaftlichen Beziehungen<br />

zu China gefährden. Im Gegenteil,<br />

wir müssen sie intensivieren und<br />

China muss sich weiter öffnen.<br />

Wir und ebenso andere Branchen<br />

stehen im Wettbewerb mit<br />

China. Daher fordern wir faire<br />

Wettbewerbsbedingungen und<br />

sehen die EU in der Pflicht, dafür<br />

einzutreten.<br />

Fazit<br />

Das Unschöne an Veränderungsprozessen<br />

ist, dass wir nie sicher<br />

sagen können, wie sie sich konkret<br />

entwickeln. Fest steht: Die<br />

Digitalisierung ist nicht nur eine<br />

He rausforderung, sondern vor allem<br />

Impulsgeber für Wachstum.<br />

Und sie bietet enormes Potenzial<br />

für die Industrie in Deutschland<br />

und Europa. Es gilt jetzt, diese<br />

Chance zu nutzen.<br />

Lassen Sie mich kurz resümieren:<br />

▷▷<br />

Die digitale Transformation<br />

durchdringt alle Lebensbereiche,<br />

alle Branchen, weltumspannend<br />

und grenzüberschreitend.<br />

Wer sie nicht mitgestaltet,<br />

der wird von ihr gestaltet. Wir<br />

haben es mit einer einschneidenden<br />

Entwicklung zu tun,<br />

die potenziell disruptiv ist. In<br />

der datenorientierten Wirtschaft<br />

müssen die Unternehmen<br />

umlernen. Es gelten neue<br />

Spielregeln. Zusammenarbeit<br />

und Wettbewerb gewinnen an<br />

Bedeutung.<br />

▷▷<br />

Es geht um nichts Geringeres<br />

als die Zukunftsfähigkeit des<br />

Standorts Deutschland. Die<br />

deutsche Industrie muss sich im<br />

internationalen Vergleich nicht<br />

verstecken, aber auch strecken.<br />

Ein „Weiter so“ kann es nicht<br />

geben. Wir müssen uns darüber<br />

im Klaren sein, dass es eine<br />

Herausforderung sein wird, uns<br />

auf dem globalen Markt zu behaupten<br />

– dafür brauchen<br />

wir auch die Unterstützung<br />

der Politik, auf nationaler und<br />

europäischer Ebene.<br />

▷▷<br />

Die Digitalisierung mischt die<br />

Karten zwar neu. Das ändert jedoch<br />

nichts daran, dass unsere<br />

Wirtschaft weiterhin über starke<br />

Wertschöpfungsnetzwerke<br />

verfügen muss. Von der Grundstoffindustrie<br />

bis zur Mikroelektronik:<br />

Unser Erfolg ist unsere<br />

große Wertschöpfungstiefe.<br />

Der digitale Wandel stellt uns alle<br />

vor große Aufgaben, zwingt uns<br />

zum Handeln und bietet uns eine<br />

Vielzahl von neuen Möglichkeiten.<br />

Nur gemeinsam, unternehmens-,<br />

branchen- und grenzübergreifend,<br />

können wir dieses Potenzial für<br />

Deutschland und Europa umsetzen.<br />

Für die deutsche Industrie<br />

besteht die Chance, den nächsten<br />

Sprung der industriellen Entwicklung<br />

aus einer führenden Position<br />

heraus zu gestalten. Nutzen wir sie<br />

gemeinsam.<br />

Michael Ziesemer, Präsident des<br />

Zentralverbands Elektrotechnikund<br />

Elektronikindustrie e. V.<br />

(ZVEI), Frankfurt a. M.<br />

44<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Preisverleihung<br />

Young Academics‘ Steel Award<br />

Stahlinstitut VDEh zeichnet<br />

Wissenschaftler aus<br />

Das Stahlinstitut VDEh zeichnete auf der Jahrestagung <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong> am 10. November <strong>2016</strong><br />

in Düsseldorf drei junge Wissenschaftler mit dem Young Academics‘ Steel Award aus.<br />

D<br />

er Preis wurde nach<br />

der gelungenen Premiere<br />

im letzten Jahr<br />

an Nachwuchswissenschaftler<br />

aus Europa<br />

in den Bereichen Metallurgie und<br />

Werkstofftechnik Stahl in den Kategorien<br />

„Beste Bachelorarbeit“,<br />

„Beste Masterarbeit“ und „Beste<br />

Dissertation“ vergeben. Die Ergebnisse<br />

der Arbeiten müssen innovativ<br />

und in der Industrie umsetzbar<br />

sein. Ein weiteres Kriterium zur<br />

Preisvergabe ist der Erkenntnisfortschritt<br />

der erbrachten wissenschaftlichen<br />

Leistung.<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Beste Bachelorarbeit<br />

Die ausgezeichnete Bachelorarbeit<br />

von Julian Spee von der TU<br />

Dortmund trägt den Titel „Auslegung<br />

eines Temperatursensors im<br />

Feuerfestmaterial von Stahlwerkspfannen<br />

unter Verwendung thermodynamischer<br />

Berechnungen“.<br />

Er führte seine Arbeit am VDEh-Betriebsforschungsinstitut<br />

(BFI)<br />

durch. Ein Ergebnis seiner Arbeit<br />

ist, dass der Einsatz des entwickelten<br />

Temperatursensors auch im<br />

Rahmen von Industrie 4.0 genutzt<br />

werden kann. Wärmeverluste können<br />

damit genauer vorhergesagt,<br />

die Temperatur der Stahlschmelze<br />

optimiert und auf diese Weise<br />

Energie eingespart werden.<br />

Beste Masterarbeit<br />

Sieger in der Kategorie „Beste<br />

Masterarbeit“ wurde Marc Ackermann<br />

vom Institut für Eisenhüttenkunde<br />

der RWTH Aachen. Seine<br />

Abschlussarbeit mit dem Titel<br />

„Small angle neutron scattering<br />

investigation on the kappa phase<br />

precipitation in Fe-30Mn-8Al-1.2C<br />

steel“ untersucht die Ausscheidungsentwicklung<br />

mittels der experimentellen<br />

Methode der Neutronenkleinwinkelstreuung<br />

an einem<br />

austenitischen, hochmanganhaltigen<br />

Stahl. Die erzielten Erkenntnisse<br />

leisten einen innovativen Beitrag zur<br />

Entwicklung von Leichtbaustählen.<br />

Beste Dissertation<br />

Dr. Francesco Maresca von der Technischen<br />

Universität Eindhoven erhielt<br />

den Preis für seine Dissertation<br />

zum Thema „Multi-scale modeling<br />

of plasticity and damage of lath<br />

martensite in multi-phase steels“.<br />

Er identifizierte die wesentlichen<br />

Mechanismen, die das plastische<br />

Verhalten sowie das Bruchverhalten<br />

in Multiphasenstählen bestimmen.<br />

Außerdem entwickelte er ein Modell,<br />

das diese Mechanismen vorhersagt.<br />

Das Modell ist bereits im Einsatz,<br />

um Herstellprozesse optimal<br />

auf die gewünschten Eigenschaften<br />

einzustellen.<br />

Gemeinschaftsarbeit<br />

Das Stahlinstitut VDEh trägt<br />

mit der Preisvergabe an die<br />

Nachwuchs ingenieure neben der<br />

Nachwuchsförderung auch dem<br />

Gedanken der technisch-wissenschaftlichen<br />

Gemeinschaftsarbeit<br />

auf europäischer Ebene Rechnung.<br />

Die ausgezeichnete Bachelorarbeit<br />

wurde mit 1 000 € honoriert, die<br />

beste Masterarbeit mit einem Preisgeld<br />

in Höhe von 2 500 € ausgezeichnet,<br />

während der Preisträger<br />

in der Kategorie „Beste Dissertation“<br />

5 000 € erhielt. „Wir werden<br />

auch im nächsten Jahr den Preis<br />

ausschreiben und hoffen auf viele<br />

Vorschläge auf ähnlich hohem<br />

Niveau wie in diesem Jahr“, so<br />

Dr.-Ing. Peter Dahlmann.<br />

Stahlinstitut VDEh<br />

Hans Jürgen Kerkhoff<br />

(links) und Dr. Peter<br />

Dahlmann (rechts)<br />

mit den Preisträgern<br />

Julian Spee<br />

(2. v. rechts),<br />

Marc Ackermann<br />

(Mitte) und Dr.<br />

Francesco Maresca<br />

(2. v. links)<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 45


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Verwerfungen auf dem globalen Stahlmarkt: Handlungsoptionen für Politik und Wirtschaft<br />

Cathrin Hesseler<br />

Globale Verwerfungen<br />

bedrohen Stahlhersteller und<br />

den Standort Deutschland<br />

Die Stahlindustrie steckt weltweit in der Krise. Produktionsüberschüsse – vor allem aus<br />

China – drücken auf die Preise, unfaire Handelspraktiken und zunehmender staatlicher<br />

Einfluss prägen das Bild. Maßnahmen der EU-Kommission vor allem gegen die Importflut<br />

sollen schneller greifen, um die Unternehmen wirksam schützen zu können. Brüssel setzt<br />

allerdings zudem auf langfristig wirksame Instrumente, um die Krise an der Wurzel zu<br />

packen.<br />

E<br />

in großes Problem,<br />

das sich an einer kleinen<br />

Menge an Zahlen<br />

ablesen lässt: So stellt<br />

sich die Stahlkrise für<br />

Andreas J. Goss dar. Der Vorstandsvorsitzende<br />

der thyssenkrupp<br />

Steel Europe AG zeichnete zu<br />

Beginn des von ihm moderierten<br />

Stahldialogs zu den Verwerfungen<br />

auf dem globalen Stahlmarkt mit<br />

wenigen Strichen ein Bild der Lage:<br />

Überkapazitäten in der globalen<br />

Stahlindustrie von rd. 660 Mio. t,<br />

davon etwa zwei Drittel aus China;<br />

gewaltige Verschiebungen in den<br />

Außenhandelsströmen, wozu wiederum<br />

vor allem China mit mehr<br />

als verdoppelten Stahlexporten<br />

in den letzten drei Jahren beigetragen<br />

hat, und ein Drittel der<br />

weltweit aktuellen Antidumpingmaßnahmen<br />

gegen China. „Die<br />

Verwerfungen bedrohen Stahlhersteller<br />

weltweit und natürlich<br />

auch den sehr wettbewerbsfähigen<br />

Stahlstandort Deutschland“,<br />

sagte Goss in Düsseldorf. Für die<br />

Industrie seien wirksame Instrumente<br />

gegen unfairen Handel von<br />

existenzieller Bedeutung, zumal<br />

der Zugang zum Stahlmarkt in der<br />

EU weder durch Zölle noch durch<br />

nichttarifäre Handelshemmnisse<br />

beschränkt wird. „So wichtig es<br />

ist, wehrhaft in der Handelspolitik<br />

zu sein, so wünschenswert<br />

wäre es, wenn Konflikte hier gar<br />

nicht erst entstünden, indem auf<br />

unfaire Verhaltensweisen von<br />

vorneherein verzichtet würde“,<br />

meinte Goss.<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Während des Stahldialogs wurden die aktuelle Lage und die Auswirkungen von Überkapazitäten und unfairen Handelspraktiken diskutiert<br />

46<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Multilaterale Instrumente<br />

zur Eindämmung der<br />

internationalen Stahlkrise<br />

Eine der Herausforderungen sei<br />

die Beantwortung der Frage, welche<br />

Instrumente zur Verfügung<br />

stehen, um die globale Stahlkrise<br />

einzudämmen. Univ.-Professor<br />

Dr. Marc Bungenberg widmete<br />

sich dieser Thematik aus rechtswissenschaftlicher<br />

Sicht. „Es geht<br />

um Einbettung der deutschen<br />

und europäischen Stahlindustrie<br />

in den Regelrahmen des Europarechts“,<br />

sagte der Lehrstuhlinhaber<br />

für Öffentliches Recht, Völkerrecht<br />

und Europarecht der<br />

Universität des Saarlandes und<br />

Direktor des Europa-Instituts.<br />

Bungenberg hält nur die Welthandelsorganisation<br />

(WTO) und<br />

deren Instrumentarium für geeignet,<br />

um die Stahlkrise in den<br />

Griff zu bekommen. „Sie hat<br />

als einzige einen verbindlichen<br />

Streitbeilegungsmechanismus<br />

auf multilateraler Ebene, an dem<br />

sowohl die Europäische Union als<br />

auch Amerika, China, Russland<br />

und Indien beteiligt sind“, führte<br />

Bungenberg aus. „Es geht darum,<br />

auszutesten, wie weit man in<br />

diesem völkerrechtlich verbindlichen<br />

Ansatz gehen kann“, sagte<br />

er mit Blick auf die Ausgestaltung<br />

nationalen Rechts. Die WTO biete<br />

dabei einen Regelrahmen, der<br />

Wettbewerb vorsehe und gleichzeitig<br />

unfairen Handelspraktiken<br />

begegne – aus Sicht von Bungenberg<br />

das effektivste multinationale<br />

Instrumentarium. „Es gilt, die<br />

WTO zu hegen und zu pflegen“,<br />

meinte Bungenberg.<br />

Foto: Mourad ben Rhouma Foto: Mourad ben Rhouma<br />

te OECD-Mitglieder zusammengeschlossen,<br />

um die grundsätzlichen<br />

Bekenntnisse zu fairen Wettbewerbsbedingungen<br />

in konkrete<br />

Politik umzusetzen. Das Forum<br />

ziele darauf ab, stärker Informathyssenkrupp-Stahlchef<br />

Andreas J. Goss erklärte<br />

deutlich, warum die Verwerfungen auf dem<br />

globalen Stahlmarkt eine Bedrohung für die<br />

Stahlhersteller und den sehr wettbewerbsfähigen<br />

Stahlstandort Deutschland darstellen<br />

Dass Regierungen ihre WTO-Verpflichtungen<br />

erfüllen und politischen<br />

Einfluss reduzieren – das<br />

sieht auch die EU-Kommission<br />

als Möglichkeit, das Unwesen der<br />

Subventionen in den Griff zu bekommen.<br />

Signe Ratso, Director<br />

for Trade Strategy and Analysis,<br />

Market Access, DG Trade der Europäischen<br />

Kommission in Brüssel/<br />

Belgien, fand es besonders wichtig,<br />

dass sich die Staaten in ein neues<br />

globales Forum einbringen, das<br />

sich derzeit konstituiert. Darin<br />

haben sich die G20 und interessier-<br />

Foto: Mourad ben Rhouma Foto: Mourad ben Rhouma<br />

Universitätsprofessor Dr. Marc Bungenberg<br />

stellte multilaterale Instrumente zur<br />

Eindämmung der internationalen Stahlkrise vor<br />

Faire<br />

Wettbewerbsbedingungen<br />

schaffen — aber wie?<br />

EU-Kommissions-Direktorin Signe Ratso<br />

erläuterte Möglichkeiten, um faire Wettbewerbsbedingungen<br />

zu schaffen<br />

Eurofer-Präsident Geert Van Poelvoorde<br />

verdeutlichte die Herausforderungen für die<br />

EU-Stahlindustrie<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 47


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Verwerfungen auf dem globalen Stahlmarkt: Handlungsoptionen für Politik und Wirtschaft<br />

B20-Vorsitzender Jürgen Heraeus gab einen Ausblick,<br />

was die G20 gegen die Verzerrungen im internationalen<br />

Wettbewerb leisten kann<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

tionen über die Entwicklung von<br />

Kapazitäten auszutauschen, denn<br />

Stahlüberkapazitäten seien derzeit<br />

das größte Problem. China dabei in<br />

eine aktive Rolle zu lenken, habe<br />

einiger Anstrengungen bedurft,<br />

berichtete Ratso.<br />

Das Land habe bislang behauptet,<br />

die Überkapazitäten seien<br />

auf einen Einbruch der Nachfrage<br />

zurückzuführen. Tatsächlich<br />

habe die schwache Konjunktur<br />

das Problem aber nur überlagert,<br />

sagte Ratso. 350 bis 400 Mio. t<br />

überschüssiger chinesischer Stahl<br />

haben im vergangenen Jahr in<br />

der EU zu einer Importsteigerung<br />

um 25 % geführt. Um dem kurzfristig<br />

zu begegnen, hat die EU<br />

insgesamt 17 Antidumping- und<br />

Antisubventionsmaßnahmen gegen<br />

China verhängt – das war<br />

annähernd die Hälfte aller solcher<br />

Schutzmaßnahmen.<br />

Nur kurze Zeit nach dem Vortrag<br />

Ratsos in Düsseldorf gab die<br />

EU in Brüssel weitere Schritte<br />

gegen die chinesische Importflut<br />

bekannt. So wurden Stahlrohre<br />

verschiedener Spezifikationen<br />

vorläufig mit Antidumpingzöllen<br />

belegt.<br />

Herausforderungen für<br />

die EU-Stahlindustrie<br />

Die Stahlindustrie spreche mit<br />

Blick auf ihre aktuelle Lage gerne<br />

von „Herausforderungen“. Das<br />

Wort sei noch nie so oft benutzt<br />

worden wie im vergangenen Jahr,<br />

meinte Geert Van Poelvoorde,<br />

Präsident von Eurofer in Brüssel<br />

und CEO ArcelorMittal Europe<br />

– Flat Products and Purchasing,<br />

Luxemburg. Er sehe die Krise darin<br />

begründet, dass es keine gemeinsame<br />

Vision in Europa gebe.<br />

Das allerdings gelte nicht nur für<br />

die Stahlindustrie. „Das Problem,<br />

mit dem wir kämpfen, ist, wie<br />

Europa funktioniert. Wenn sich<br />

28 Mitgliedsstaaten entscheiden<br />

und zustimmen müssen, ist das<br />

Ergebnis selten klar formuliert<br />

und daher interpretierbar.“ Die<br />

umfangreichen Abstimmungen<br />

seien auch Grund dafür, dass<br />

Schutzinstrumente nicht so<br />

schnell umgesetzt werden könnten<br />

wie gewünscht. „Ich möchte<br />

unterstreichen, dass wir als Branche<br />

nichts gegen Wettbewerb haben.<br />

Wir begrüßen ihn. Denn wir<br />

in Europa haben sehr effiziente<br />

Anlagen und wir sind weltweit<br />

konkurrenzfähig. Da gibt’s überhaupt<br />

keinen Zweifel“, betonte<br />

Van Poelvoorde. „Der Motor für<br />

die Stahlindustrie sollte der Wettbewerb<br />

sein.“ Die Anträge gegen<br />

China lägen ausschließlich darin<br />

begründet, dass China noch über<br />

keine konkurrenzfähige Industrie<br />

verfüge und sich fairem Wettbewerb<br />

versage. „In letzter Zeit hat<br />

es sich herausgestellt, dass es naiv<br />

und unverantwortlich ist, keine<br />

Handelszölle zu fordern“, glaubte<br />

Van Poelvoorde. Das Problem<br />

sehe er darin, dass es bei den Zusagen<br />

Chinas, Überkapazitäten<br />

abzubauen, bislang bei reinen Absichtserklärungen<br />

geblieben sei.<br />

„China hat vor Kurzem bewiesen,<br />

wie schnell sie Überkapazitäten<br />

abbauen können, und zwar bei<br />

Kohle. Die Kohlepreise haben sich<br />

daraufhin verfünffacht.“<br />

Van Poelvoorde war sich sicher:<br />

Wenn man über Dumping<br />

rede, dürfe man nicht vergessen,<br />

dass man selbst wettbewerbsfähig<br />

bleiben müsse. Um das zu garantieren,<br />

versuche man in Europa,<br />

den Stromverbrauch stetig zu reduzieren.<br />

„Wir sind nah dran an<br />

der Grenze des technisch Machbaren“,<br />

sagte Van Poelvoorde.<br />

Und das System des Emissionsrechtehandels<br />

(ETS) verkenne<br />

die harte Realität, dass CO 2<br />

für<br />

die Stahlindustrie ein Prozessgas<br />

ist. „Das Produkt Stahl ist umweltfreundlich<br />

und recycelbar.<br />

Entscheidender Vorteil ist der<br />

geringe CO 2<br />

-Fußabdruck.“ Van<br />

Poelvoorde kritisierte, dass das<br />

im ETS nicht berücksichtigt sei.<br />

Verzerrungen im<br />

internationalen<br />

Wettbewerb<br />

Dr. Jürgen Heraeus, Vorsitzender<br />

des Bündnisses Business 20 (B20)<br />

und Aufsichtsratsvorsitzender,<br />

Heraeus Holding GmbH, Hanau,<br />

appellierte an die Stahlindustrie,<br />

die Hoffnungen nicht allein auf<br />

die Politik zu setzen. „Darauf,<br />

dass Regierungen, G20, B20 oder<br />

Brüssel das in Ordnung bringen,<br />

sollte man sich nicht verlassen“,<br />

sagte er. Das Bündnis B20 berät die<br />

Gruppe der zwanzig wichtigsten<br />

Industrie- und Schwellenländer<br />

in Wirtschaftsfragen. Die Stahlindustrie,<br />

so war Heraeus überzeugt,<br />

könne Probleme aus eigener Kraft<br />

lösen, habe sie doch schon oft bewiesen,<br />

dass sie kreativ genug sei.<br />

„Die Überkapazitäten müssen<br />

bereinigt werden, ohne dass das<br />

nur zulasten der europäischen<br />

oder amerikanischen Industrie<br />

gehen darf“, sagte Heraeus auf<br />

Nachfrage. „B20 kann nichts<br />

durchsetzen, das kann auch G20<br />

nicht“, erklärte er die Rolle des<br />

Bündnisses in der Stahlkrise. „Wir<br />

können aber Aufmerksamkeit erregen.“<br />

20 Nationen bringen bei<br />

B20 in unterschiedlichen Arbeitsgruppen<br />

ihre Wünsche ein, wie die<br />

Politik gestaltet werden sollte. Auf<br />

der Agenda stehen Themen wie<br />

Klimaschutz oder Digitalisierung.<br />

Cathrin Hesseler, Freie Journalistin,<br />

Köln.<br />

48<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Industrie 4.0 − die Digitalisierung als Impulsgeber für Wachstum und Wandel<br />

Industrie 4.0 — die Zukunft<br />

hat bereits begonnen<br />

Die vierte Industrielle Revolution ist in vollem Gange – und auch die Stahlindustrie<br />

steckt mittendrin. Industrie 4.0 wird zu massiven Veränderungen in der Fertigung<br />

führen und erhebliche ökonomische Effekte mit sich bringen. Wie kann die deutsche<br />

Industrie ihre bisherigen Stärken auch in einer zunehmend digitalisierten Welt nutzen?<br />

Wie wird die Digitalisierung die Wertschöpfungsketten insgesamt und damit das Umfeld<br />

der Stahlindustrie im Speziellen beeinflussen? Welchen Herausforderungen muss sich<br />

die Stahlindustrie stellen, um auf künftige Kundenanforderungen eine Antwort zu<br />

finden? Diese Fragen diskutierten Experten aus Stahlindustrie, Unternehmensberatung,<br />

Verbänden und Kompetenznetzwerken.<br />

Karin Hardtke<br />

E<br />

s gebe neben Industrie<br />

4.0 zurzeit wohl kaum<br />

ein anderes Thema, das<br />

in der Presse, bei Kongressen,<br />

in Forschung<br />

und Strategierunden aktuell mehr<br />

an Bedeutung gewinnt. Industrie<br />

4.0 und Digitalisierung seien zurzeit<br />

die Schlagworte schlechthin<br />

– mit diesen Worten eröffnete<br />

Prof. Dr. Michael Süß, Vorsitzender<br />

der Geschäftsführung der<br />

Georgsmarienhütte GmbH, den<br />

Stahldialog. Letztendlich gehe es<br />

aber um die Frage: Will Deutschland<br />

auch in Zukunft ein Industriestandort<br />

sein? Denn die Herausforderungen,<br />

vor denen die<br />

deutsche Industrie − und insbesondere<br />

auch die Stahlindustrie −<br />

stehe, seien immens. Michael Süß<br />

machte dies an einigen Beispielen<br />

deutlich. Allein die Energiewende<br />

belaste deutsche Stahlunternehmen<br />

bekanntermaßen jährlich<br />

in Milliardenhöhe. Viele andere<br />

Stahl produzierende Länder mit<br />

weit weniger anspruchsvollen<br />

Umweltzielen und -auflagen −<br />

und damit auch geringeren Kosten<br />

− hätten da einen deutlichen<br />

Wettbewerbsvorteil. Man müsse<br />

allerdings auch feststellen, dass<br />

die Energiewende von weiten Teilen<br />

der Bevölkerung gewünscht<br />

sei, betonte Süß. Auch das Thema<br />

„Elektromobilität“ werde an<br />

Bedeutung gewinnen. In den<br />

kommenden 10 bis 15 Jahren<br />

Foto: thyssenkrupp Hohenlimburg<br />

Beim Mittelbandspezialisten thyssenkrupp Hohenlimburg in Hagen können Kundenwünsche mithilfe<br />

von Industrie-4.0-Lösungen bereits heute schneller umgesetzt werden<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 49


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Industrie 4.0 − die Digitalisierung als Impulsgeber für Wachstum und Wandel<br />

Der Moderator des Stahldialogs, Prof. Dr. Michael Süß,<br />

Vorsitzender der Geschäftsführung, Georgsmarienhütte<br />

GmbH, erläuterte die Bedeutung von Industrie 4.0 für den<br />

Stahlstandort Deutschland<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

Wirtschaftsexpertin Dr. Vera Demary verdeutlichte die<br />

Erfolgspotenziale und Risikofaktoren von Industrie 4.0<br />

für den Industriestandort Deutschland<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

werde es einen deutlichen Ausbau<br />

der „Elektromobilität“ geben,<br />

prognostizierte Süß. Dies werde<br />

nicht zu unterschätzende Auswirkungen<br />

auf die zukünftige Stahlnachfrage<br />

haben. Und zu guter<br />

Letzt müsse sich die Stahlbranche<br />

damit auseinandersetzen,<br />

dass neue Herstellungsverfahren<br />

auf den Markt drängten und die<br />

Produktion revolutionierten. Klassische<br />

Verfahren wie Schmieden,<br />

Zerspanen oder Schweißen würden<br />

überflüssig und durch innovative<br />

Verfahren wie das adaptive<br />

Drucken ersetzt. „Stecken wir also<br />

gleich den Kopf in den Sand oder<br />

nehmen wir als Stahlindustrie die<br />

Herausforderungen an?“, fragte<br />

Michael Süß in die Runde. Seine<br />

Empfehlung: „Lassen Sie uns alle<br />

Möglichkeiten von Industrie 4.0<br />

nutzen, um Wettbewerbsvorteile<br />

daraus ziehen zu können.“ Allerdings:<br />

Nur, wenn man auch von<br />

Anfang an die Mitarbeiter auf<br />

diesem Weg mitnehme, werde<br />

man als Unternehmen erfolgreich<br />

sein. Denn die Mitarbeiter seien<br />

es, die Industrie 4.0 letztendlich<br />

umsetzten. Er freue sich ganz besonders<br />

auf diesen Stahldialog, da<br />

die Redner Chancen, Risiken und<br />

Herausforderungen von Industrie<br />

4.0 aus ganz unterschiedlichen<br />

Blickwinkeln beleuchten würden.<br />

Wer nicht mit der Zeit<br />

geht, geht mit der Zeit<br />

Den Anfang machte Dr. Vera Demary.<br />

Die Leiterin Kompetenzfeld Strukturwandel<br />

und Wettbewerb am<br />

Institut der deutschen Wirtschaft<br />

e. V. in Köln ging in ihrer Rede auf<br />

die Erfolgspotenziale und Risikofaktoren<br />

von Industrie 4.0 und Digitalisierung<br />

für den Industriestandort<br />

Deutschland ein. Ihr erstes Fazit: Im<br />

Vergleich mit 23 weiteren Industrienationen<br />

stehe Deutschland in<br />

Sachen Digitalisierung gar nicht so<br />

schlecht da – „gutes Mittelfeld mit<br />

einigem Entwicklungspotenzial“.<br />

Nachholbedarf bestehe vor allem<br />

im Ausbau des Breitbandnetzes. Auf<br />

Unternehmensebene sei allerdings<br />

ein anderer Punkt wichtig, um Industrie<br />

4.0 voranzubringen: Das virtuelle<br />

Abbild von Produkten und<br />

Prozessen sei Voraussetzung, dass<br />

man überhaupt vernetzen könne.<br />

„Wenn man eine Maschine nicht digital<br />

beschreiben kann, dann kann<br />

man sie auch nicht vernetzen.“<br />

Mehr als die Hälfte der Unternehmen<br />

des verarbeitenden Gewerbes<br />

mit über 20 Mitarbeitern habe bisher<br />

noch keinerlei Erfahrungen mit<br />

Industrie 4.0. Kleinere Betriebe seien<br />

häufiger darunter als große. Was<br />

hält Unternehmen ab, verstärkt auf<br />

Industrie 4.0 und Digitalisierung<br />

zu setzen? Die Auswertung einer<br />

umfangreichen Unternehmensbefragung<br />

ergab: Unsicherheiten in<br />

Hinblick auf die Funktionszuverlässigkeit,<br />

auf die Definition von<br />

Schnittstellen sowie Befürchtungen<br />

in Sachen Datensicherheit sind die<br />

Hauptgründe für die bisherige Zurückhaltung.<br />

Aber auch der „Faktor<br />

Mensch“ spiele eine entscheidende<br />

Rolle, so Dr. Demary. Qualifiziertes<br />

Personal zu finden und somit das<br />

benötigte Fachwissen bereitzustellen,<br />

stelle fast die Hälfte der befragten<br />

Unternehmen vor große Herausforderungen.<br />

Die mit Industrie<br />

4.0 verbundenen Kosten hingegen<br />

sehe der Großteil der Unternehmen<br />

nicht als primäres Risiko. Chancen<br />

sähen Unternehmen insbesondere<br />

in einer höheren Produktivität, der<br />

besseren Kontrolle der Wertschöpfungskette<br />

sowie der Möglichkeit,<br />

innovative Geschäftsmodelle entwickeln<br />

zu können. Auffällig sei,<br />

so Dr. Demary weiter, dass Unternehmen,<br />

die Industrie 4.0 als einen<br />

kontinuierlichen Prozess wahrnähmen<br />

und selbst schon erste Erfahrungen<br />

gesammelt hätten, eher die<br />

Chancen für ihr Unternehmen im<br />

Blick hätten − im Gegensatz zu Unternehmen<br />

ohne diese Erfahrung,<br />

die dann meist nur die Risiken von<br />

Industrie 4.0 sähen.<br />

Neben der fehlenden Breitbandversorgung<br />

seien es vor allem fehlende<br />

Normen und Standards, die<br />

Unternehmen vor Investitionen<br />

zurückschrecken ließen. Diese<br />

Standards zu setzen, ist auch eine<br />

unternehmerische Aufgabe, sich in<br />

Standardisierungsprozesse einzumischen.<br />

Mischen Sie sich ein.“ Im<br />

Hinblick auf die Verbesserung der<br />

Datensicherheit seien Qualitätssiegel<br />

eine Option. Datensicherheit sei<br />

immer nur so gut wie das schwächste<br />

Glied im Netzwerk. „Wer nicht<br />

mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.“<br />

− Dr. Demary beschloss ihren Vortrag<br />

mit einem Zitat von Karl-Josef<br />

Neckermann. Es sei viel in Bewegung<br />

in Sachen Industrie 4.0. Aber<br />

die Zeit dränge und es gelte, keine<br />

weitere Zeit zu verlieren. Insbesondere<br />

in der Stahlindustrie gebe es<br />

− anders als in anderen Branchen<br />

− große Potenziale.<br />

50<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


In Szenarien denken –<br />

um eine unsichere<br />

Zukunft mit Sicherheit zu<br />

bestehen<br />

Als nächster Referent folgte Dipl.-<br />

Ing. Thomas Rinn, Partner bei<br />

der Unternehmensberatung Roland<br />

Berger und Leiter der dortigen<br />

Task Force Industrie 4.0. Der<br />

Berater gestand gleich zu Beginn,<br />

dass er den Schwerpunkt seines<br />

Vortrages am Morgen neu gesetzt<br />

habe, nachdem zur Eröffnung der<br />

Jahrestagung <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong> bereits<br />

viel über die Probleme der Branche<br />

gesprochen worden sei. Er<br />

wolle mit seinem Vortrag einen<br />

Kontrapunkt setzen und aufzeigen,<br />

was Stahlunternehmen<br />

konkret selbst tun könnten. „Unternehmen<br />

müssen Prozesse vom<br />

Kunden her denken“, so Thomas<br />

Rinn. Wie verändern sich die Bedürfnisse<br />

der Stahlkunden? Mehr<br />

Flexibilität, kleinere Losgrößen<br />

sowie die Individualisierung der<br />

Produkte seien nur einige Veränderungen,<br />

sagte Rinn. In welchen<br />

Branchen wird der Bedarf an Stahl<br />

in Zukunft voraussichtlich steigen<br />

und in welchen sinken? Wird es<br />

Qualitätsveränderungen geben?<br />

Weiterhin drängten durch die Digitalisierung<br />

zunehmend auch neue<br />

Unternehmen in die Schnittstelle<br />

zum Kunden.<br />

Thomas Rinn verwies auf eine<br />

Studie zur „Digitalen Transformation<br />

der Industrie“, die der BDI<br />

zusammen mit Roland Berger<br />

durchgeführt hat. Das Ergebnis<br />

sei ermutigend: Wenn die digitale<br />

Transformation in die richtigen<br />

Bahnen gelenkt werde, winke<br />

Deutschland ein enormes zusätzliches<br />

Wertschöpfungspotenzial.<br />

Insbesondere in der Stahlindustrie<br />

gebe es enorme Digitalisierungspotenziale.<br />

Denn ihre komplexe<br />

Wertschöpfungskette sei prädestiniert<br />

für eine Digitalisierung. In<br />

der Stahlindustrie passiere auch<br />

viel in dieser Richtung. Aber:<br />

„Oftmals fehlt ein strukturierter<br />

Umgang mit diesem Thema“, beschrieb<br />

Thomas Rinn seine Wahrnehmung.<br />

Um seine Einschätzung<br />

vor Ort direkt einmal zu untermauern,<br />

befragte er kurzerhand<br />

die Anwesenden. Das Ergebnis:<br />

Nur eine Handvoll Unternehmensvertreter<br />

gingen die digitalen Herausforderungen<br />

strategisch und<br />

geplant an.<br />

Natürlich sei die Zukunft<br />

schwierig vorhersehbar. Auch er<br />

habe keine Glaskugel. Dennoch ermutigte<br />

Thomas Rinn die Zuhörer,<br />

in Szenarien zu denken und es zu<br />

wagen, zehn bis fünfzehn Jahre in<br />

die Zukunft zu blicken, „um eine<br />

unsichere Zukunft mit hoher Sicherheit<br />

zu bestehen.“ Rinn empfahl<br />

den Unternehmensvertretern,<br />

zwei bis vier unterschiedliche<br />

Szenarien durchzuspielen und<br />

heraus zuarbeiten, was diese für<br />

den eigenen Entscheidungsrahmen<br />

bedeuteten. Digitalisierung<br />

sei nie nur ein IT-Thema, Digitalisierung<br />

müsse im Unternehmen<br />

zur Chefsache erklärt werden.<br />

„Denken Sie in Risiken. Machen Sie<br />

auch einmal einen Fehler. Wichtig<br />

ist: Fangen Sie einfach an.“ Denn<br />

allein schon die Beschäftigung mit<br />

dem Thema Industrie 4.0 und Digitalisierung<br />

gebe Sicherheit. Dem<br />

Einwand von Moderator Prof.<br />

Michael Süß, dass beispielsweise<br />

Shareholder und Aufsichtsrat<br />

einer solch langfristigen Planung<br />

oftmals eher skeptisch gegenüberstünden,<br />

widersprach Thomas<br />

Rinn und ermutigte zum Schluss<br />

noch einmal: Einfach anfangen.<br />

Das „Highlander-Prinzip“:<br />

Ein einziger Datenbestand<br />

schafft Klarheit<br />

Nach der Theorie ging es nun in<br />

die Praxis. Dipl.-Inform. Ulrich<br />

Schneppe, Leiter Informatik des<br />

Mittelbandspezialisten thyssenkrupp<br />

Hohenlimburg GmbH, ging<br />

in seinem Vortrag darauf ein, wie<br />

die Stahlindustrie den künftigen<br />

Businesanforderungen ihrer Kunden<br />

gerecht werden könne. Im Werk<br />

in Hagen, das zur thyssenkrupp<br />

Steel Europe AG gehört, werden<br />

über 200 Qualitäten für die Kaltwalz-<br />

und die Automobilindustrie<br />

produziert. Die thyssenkrupp-Strategie<br />

„Industrie 4.0“ umfasse drei<br />

wesentliche Elemente, erklärte<br />

Berater Thomas Rinn referierte über die Digitalisierung und<br />

den Einfluss auf die Wertschöpfungsketten<br />

Industrie-4.0-Pionier Ulrich Schneppe erklärte, wie die Stahlindustrie<br />

künftigen Businessanforderungen ihrer Kunden gerecht<br />

wird<br />

Ulrich Schneppe: Cross Factory<br />

Exchange – die Zusammenarbeit<br />

in unternehmensübergreifenden<br />

Wertschöpfungsketten −, Production<br />

Control − die Zusammenführung<br />

kaufmännischer, technischer und<br />

qualitativer Daten zu einer Einheit<br />

unter dem Aspekt der Konnektivität<br />

− sowie das Product Life Cycle Management.<br />

„Industrie 4.0 darf kein<br />

Hype sein, sondern muss belastbar<br />

werden. Denn der Kunde steht im<br />

Mittelpunkt“, betonte Schneppe.<br />

Qualität sei heute zwar notwendig,<br />

aber längst nicht mehr hinreichend,<br />

um am Markt bestehen zu<br />

können. Kleine Losgrößen, kurze<br />

Lieferzeiten und Liefertermintreue<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 51


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Industrie 4.0 − die Digitalisierung als Impulsgeber für Wachstum und Wandel<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

Cluster-Spezialist Günter Korder stellte Deutschlands<br />

Spitzencluster „it‘s OWL“ vor<br />

seien heutzutage gefragt. Dies könne<br />

nur im abgestimmten Dreiklang<br />

von Technologie, Mitarbeitern und<br />

IT gelingen, wobei die IT-Systeme<br />

stets den Geschäftsprozessen folgen<br />

müssten. Zudem seien heutzutage<br />

Mitarbeiter gefragt, die über Unternehmensgrenzen<br />

hinausdenken<br />

könnten. Industrie 4.0 stehe bei<br />

thyssenkrupp Hohenlimburg im<br />

Mittel- und Wirkungspunkt aller<br />

drei oben genannten Faktoren.<br />

Ulrich Schneppe erläuterte die<br />

Umsetzung von Industrie 4.0 im<br />

Warmwalzwerk in Hohenlimburg<br />

anhand einiger Beispiele.<br />

So können Kunden ihre Aufträge<br />

− mehr als 60 % sind Losgröße 1<br />

− inzwischen direkt in das hauseigene<br />

IT-System buchen. Innerhalb<br />

kürzester Zeit erhalten sie<br />

die Terminierung ihres Auftrages.<br />

Die Kunden können den Walzstart<br />

mit einem Vorlauf von 48 bis 72<br />

Stunden selbst bestimmen sowie<br />

Materialspezifikationen in einem<br />

bestimmten Umfang ändern. Die<br />

Terminierung gehe bis auf Einzelbrammenebene,<br />

so Schneppe. Bis<br />

zu acht Stunden vor Walzbeginn<br />

könne die Bramme umgewidmet<br />

und neu zugeordnet werden. Man<br />

selbst habe wiederum die Möglichkeit,<br />

die Stranggießanlage des Vorlieferanten<br />

HKM vollumfänglich<br />

anzusteuern. „Wir geben gießfertige<br />

Sequenzen an HKM.“ Um auf<br />

den immer wichtiger werdenden<br />

Aspekt der Mobilität zu reagieren,<br />

gebe es seit Neuestem eine App für<br />

Smartphones, über die der Kunde<br />

unter anderem „Bestellungen mit<br />

einem Click“ aufgeben könne, so<br />

Schneppe. Der Datenbestand laufe<br />

bei thyssenkrupp Hohenlimburg<br />

inzwischen in einem einzigen<br />

SAP-basierten System zusammen.<br />

Nachdem man im eigenen<br />

Hause die „Herausforderung“<br />

mit Mehrfachdatenbeständen gemacht<br />

habe, verfolge man heute<br />

das „Highlander-Prinzip“: „Es kann<br />

nur einen geben.“ Man müsse die<br />

Informatik nutzen, um neue Wege<br />

zu gehen. Neue Geschäftsprozesse<br />

auf Basis neuer Technologien führten<br />

schließlich auch zu neuen Geschäftsmodellen,<br />

schloss Schneppe<br />

seinen Vortrag.<br />

Gemeinsam sind wir stark:<br />

Technologienetzwerke<br />

erfolgreich nutzen<br />

Als Schlussredner stellte Günter<br />

Korder Deutschlands Spitzencluster<br />

und Technologienetzwerk „it’s<br />

OWL“ vor und verriet, welche Zutaten<br />

den Erfolg dieses Clusters<br />

begründen. Korder ist Geschäftsführer<br />

Operations der it’s OWL<br />

Clustermanagement GmbH in<br />

Paderborn. „It’s OWL“ stehe für<br />

„Intelligente Technische Systeme<br />

OstWestfalen Lippe“, lüftete Korder<br />

das Geheimnis. Das Technologienetzwerk<br />

„it‘s OWL“ wurde<br />

2012 vom Bundesministerium für<br />

Bildung und Forschung (BMBF) als<br />

Spitzencluster ausgezeichnet. „It‘s<br />

OWL“ sei der einzige Cluster im<br />

Bereich „Old Economy“ in Deutschland.<br />

Ein starker Mittelstand sowie<br />

leistungsfähige Universitäten und<br />

Forschungseinrichtungen prägten<br />

diesen Landstrich. Ziel des Clusters<br />

sei es, Innovationssprünge zu<br />

initiieren und Innovation, Wertschöpfung<br />

und Beschäftigung in<br />

den stark vertretenen Branchen<br />

Maschinenbau, Elektro- und<br />

Elektronikindustrie sowie der<br />

Automobilindustrie langfristig sicherzustellen.<br />

Der Cluster ist mit<br />

100 Mio. € ausgestattet – mit rd.<br />

60 Mio. € beteiligen sich die ostwestfälischen<br />

Unternehmen. Ziel<br />

sei es, eine Technologieplattform<br />

für kleine und mittelständische<br />

Unternehmen zu bieten und somit<br />

eine Stärkung der gesamten<br />

Wertschöpfungskette zu erreichen.<br />

Was sind Themen und Problemfelder,<br />

die Unternehmen in<br />

der Region perspektiv beschäftigen?<br />

Wo macht es Sinn, Lösungen<br />

im Cluster zu erarbeiten und sie<br />

anschließend allen Unternehmen<br />

zur Verfügung zu stellen?<br />

Mehr als 30 Innovationsprojekte,<br />

fünf Querschnittsprojekte und<br />

acht Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit<br />

seien so in den vergangenen<br />

Jahren im Cluster erarbeitet<br />

worden. „Wir ziehen wichtige Projekte<br />

quasi vor die Klammer und erarbeiten<br />

generelle Lösungen − und<br />

zwar nur Lösungen für solche Probleme,<br />

die auch existieren“, erklärte<br />

Günter Korder. So seien sämtliche<br />

Innovationsprojekte industriegeführt<br />

– ob die intelligente Diagnoseplattform<br />

zur Erkennung<br />

von Prozessanomalien in Produktionslinien<br />

oder die automatische<br />

Konfiguration verteilter Druckluftsysteme.<br />

Alle Beteiligten profitierten<br />

vom Cluster – Wissenschaft,<br />

Unternehmen und der Cluster gleichermaßen.<br />

Ziel von „it’s OWL“ sei<br />

es, eine Spitzenposition im Bereich<br />

intelligenter technischer Systeme<br />

zu erreichen. Die bisher erreichten<br />

Teilziele könnten sich sehen<br />

lassen: 120 erfolgreiche Transferprojekte,<br />

6 500 neue Arbeitsplätze<br />

und 30 neue Unternehmen in der<br />

Region. Die Vernetzung mit anderen<br />

deutschen Spitzenclustern sowie<br />

internationale Kooperationen<br />

unterstützten die Strategie, der<br />

Region Ostwestfalen-Lippe eine<br />

globale Spitzenposition zu sichern.<br />

„Die Region nimmt inzwischen die<br />

Rolle eines Enablers für Industrie<br />

4.0 ein.“ Die nationale und internationale<br />

Wahrnehmung für die<br />

Region und die dort vorhandenen<br />

Kompetenzen sei deutlich gestiegen.<br />

„Wenn man will, dass etwas<br />

passiert, muss man es halt einfach<br />

tun“, so die Empfehlung von Günter<br />

Korder. Eine starke Kooperationskultur<br />

sei die beste Basis.<br />

Karin Hardtke, Freie Journalistin,<br />

Ratingen.<br />

52<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Grenzen und Wege der Flexibilität bei der Eisen- und Stahlerzeugung<br />

Flexibilität bei der Eisen- und<br />

Stahlherstellung zur Minderung<br />

von CO 2<br />

und Effizienzsteigerung<br />

Zur Erfüllung der klimapolitischen Vorgaben in Europa geht die Stahlindustrie sowohl<br />

bei den Herstellungsprozessen als auch bei den Prozessgasen alternative Wege für einen<br />

wesentlichen Beitrag zur Effizienzsteigerung und Emissionsminderung. Allerdings<br />

sind massive Verringerungen beim Energieverbrauch und der CO 2<br />

-Emissionen bei<br />

den in Europa betriebenen hocheffizienten Anlagen und Verfahren zur Eisen- und<br />

Stahlerzeugung zurzeit nicht zu erwarten. Eine nachhaltige Absenkung der CO 2<br />

-<br />

Emissionen bei der Stahlherstellung der integrierten Route lässt sich möglicherweise<br />

durch Nutzen der Hüttengase für die Produktion chemischer Produkte erreichen. Dies<br />

erfolgt in enger Zusammenarbeit von Stahlindustrie und Partnern in den Projekten<br />

Carbon2Chem und Steelanol. Bei der Stahlherstellung über die Primärroute werden<br />

die Direktreduktion von Eisenerzen mit Erdgas und der Einsatz des produzierten<br />

direktreduzierten Eisens im Hochofen beschrieben. Damit kann der Verbrauch an<br />

kohlenstoffintensiven Reduktionsmitteln im Hochofen gesenkt werden. Bei der<br />

Sekundärroute der Stahlerzeugung auf Schrottbasis wird der Elektrolichtbogenofen<br />

immer weiter optimiert.<br />

Hans Bodo Lüngen<br />

und Marten Sprecher<br />

Foto: voestalpine<br />

D<br />

as Motto der Jahresveranstaltung<br />

lautet<br />

„Orientierung in unsicheren<br />

Zeiten“, in<br />

denen sich die Stahlindustrie<br />

Deutschlands und Europas<br />

zweifellos befindet. Politische<br />

Rand- und Rahmenbedingungen<br />

sowie insbesondere der Klimaschutz<br />

spielen dabei eine zentrale<br />

Rolle. Orientierung beinhaltet die<br />

Diskussion über technische Möglichkeiten<br />

bestehender Verfahrensrouten,<br />

die Forschungs- und Entwicklungsarbeit<br />

an veränderten<br />

oder neuen Lösungen in gleicher<br />

Weise wie die Diskussion der politischen<br />

Rand- und Rahmenbedin-<br />

Direktreduktionsanlage<br />

der voestalpine in<br />

Corpus Christi, Texas,<br />

USA<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 53


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Grenzen und Wege der Flexibilität bei der Eisen- und Stahlerzeugung<br />

Dr.-Ing. Dietmar Ringel, Vorsitzender des Stahldialogs<br />

„Grenzen und Wege der Flexibilität bei der Eisen- und<br />

Stahlerzeugung“<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

gungen, die dafür erforderlich<br />

sind. Die Stahlindustrie bekennt<br />

sich eindeutig zum Klimaschutz.<br />

„In der modernen Industriegesellschaft<br />

ist Stahl aufgrund seines<br />

breiten Spektrums gezielt einstellbarer<br />

Eigenschaften, seines günstigen<br />

Preis-Leistungs-Verhältnisses<br />

sowie seiner guten Recyclingmöglichkeiten<br />

der Basiswerkstoff für<br />

eine nachhaltige Entwicklung<br />

der Gesellschaft. Wir in Europa<br />

müssen alles daransetzen, uns<br />

eine moderne, konkurrenzfähige,<br />

vollständige Wertschöpfungskette<br />

Stahl zu erhalten. Für eine<br />

nachhaltige Entwicklung unserer<br />

Gesellschaft ist der Werkstoff Stahl<br />

unverzichtbar“, so der Vorsitzende<br />

des Stahldialoges „Grenzen und<br />

„Wir brauchen politische Rahmenbedingungen,<br />

die es der Stahlindustrie in<br />

Deutschland und Europa ermöglichen,<br />

ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten<br />

und ihr weder die Innovations- und<br />

Investitionskraft entziehen noch die<br />

Möglichkeit nehmen, wirtschaftlich und<br />

wettbewerbsfähig Stahl zu erzeugen“<br />

Dr.-Ing. Dietmar Ringel, Vorsitzender des Vorstandes,<br />

ArcelorMittal Bremen GmbH<br />

Wege der Flexibilität bei der Eisen-<br />

und Stahlerzeugung“, Dr.-Ing.<br />

Dietmar Ringel, Vorsitzender des<br />

Vorstandes, ArcelorMittal Bremen<br />

GmbH.<br />

Die dominante Verfahrensroute<br />

zur Herstellung von Stahl in Europa<br />

ist die Roheisenerzeugung<br />

im Hochofen und das anschließende<br />

Frischen des Roheisens zu<br />

Rohstahl im Sauerstoffkonverter.<br />

Die Erzeugung von festem Eisenschwamm,<br />

auch als DRI (Direct<br />

Reduced Iron) bezeichnet, und<br />

Schmelzen des DRI im Elektrolichtbogenofen<br />

erfolgt in einer Anlage<br />

in Deutschland. Bei diesen Routen<br />

werden als metallische Einsatzstoffe<br />

Eisenerze eingesetzt, denen mit<br />

den Reduktionsmitteln CO und H 2<br />

der Sauerstoff entzogen wird.<br />

Die in den Prozessen Kokerei,<br />

Hochofen und Konverter eines integrierten<br />

Hüttenwerkes zwangsläufig<br />

entstehenden Kuppelgase<br />

werden heute effizient und intelligent<br />

in den unterschiedlichen<br />

Fertigungsstufen und zur Eigenstromerzeugung<br />

genutzt. Integrierte<br />

Hüttenwerke sind auf dieser<br />

Basis hinsichtlich der Strom- und<br />

Energieversorgung weitestgehend<br />

autark. Dabei entstehen zwangsläufig<br />

CO 2<br />

-Emissionen.<br />

Die Reduktionsmitteleinsätze<br />

der deutschen Hochöfen seit 1945<br />

sind durch zahlreiche unterschiedlichste<br />

Maßnahmen von 1 000 kg/t<br />

Roheisen Anfang der 1950er-Jahre<br />

bis zu Beginn der 1990er-Jahre auf<br />

unter 500 kg/t RE verringert worden.<br />

Die Verbrauchszahlen bestätigen,<br />

dass in den letzten Jahren<br />

trotz erheblicher Bemühungen der<br />

Betreiber kein weiterer Fortschritt<br />

mehr erzielt werden konnte. Diese<br />

Entwicklung bei technischen<br />

Vorgängen ist durchaus plausibel:<br />

Der Prozess wird so lange<br />

optimiert, bis sich die Reaktionen<br />

zunehmend thermodynamischen<br />

und chemischen Gleichgewichten<br />

nähern.<br />

Der Hochofenprozess läuft in<br />

Deutschland und Europa mit einem<br />

„Wirkungsgrad“ von rd. 93 %;<br />

das heißt, der Prozess hat bis auf einen<br />

7 %igen Abstand den Gleichgewichtszustand<br />

erreicht. Eine weitere<br />

Annäherung an Gleichgewichte<br />

ist nicht möglich. Und trotzdem<br />

wird in Europa und insbesondere<br />

in Deutschland von den politisch<br />

handelnden Personen angestrebt,<br />

die Hochofenbetreiber weiter zu<br />

pönalisieren. Es wird eine Hürde<br />

aufgestellt, die allein aus den bestehenden<br />

Naturgesetzen heraus<br />

nicht übersprungen werden kann.<br />

Eine Vielzahl technischer Einzelmaßnahmen<br />

hat beim Elektrolichtbogenofen<br />

in den vergangenen<br />

Jahrzehnten dazu geführt,<br />

dass die Effizienz der Elektrostahlerzeugung<br />

entscheidend verbessert<br />

wurde. Es konnte an einzelnen<br />

Anlagen der Stromverbrauch<br />

um 45 %, die Zeit zwischen zwei<br />

Abstichen um 78 % und der Verbrauch<br />

an Elektroden um 83 %<br />

reduziert werden. Dies ist nur ein<br />

weiteres Beispiel für den hohen<br />

Stand der Effizienz bei der Stahlerzeugung.<br />

Strukturelle Veränderungen in<br />

der Stahlerzeugung, energiewirtschaftliche,<br />

verfahrens- und anlagentechnische<br />

Optimierungen<br />

und Innovationen am Beispiel der<br />

deutschen Stahlindustrie führten<br />

in den letzten Jahrzehnten zu drastischen<br />

Minderungen des spezifischen<br />

Primärenergiebedarfs und<br />

der spezifischen CO 2<br />

-Emissionen.<br />

Allein seit 1990 konnte der Primärenergiebedarf<br />

um 13 % und der<br />

CO 2<br />

-Ausstoß um 12,4 Mio. t/a<br />

gesenkt werden. Das entspricht<br />

einem Äquivalent von 4,9 Mio.<br />

Fahrzeugen der Mittelklasse.<br />

54<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Dass die Fortschritte bei der<br />

Minderung des Energieverbrauchs<br />

besonders in den letzten Jahren vergleichsweise<br />

gering sind, ist beispielsweise<br />

auf die Verschlechterung der<br />

Einsatzstoffqualität zurückzuführen.<br />

Auch die gestiegenen Anforderungen<br />

an die Qualität der Produkte und<br />

die zunehmende Verarbeitungstiefe<br />

sowie die Maßnahmen zum Umweltschutz,<br />

wie z. B. hocheffiziente<br />

Filteranlagen, schlagen sich im Energieverbrauch<br />

nieder.<br />

Die Stahlindustrie bekennt sich<br />

seit Langem zum Klimaschutz. Es<br />

wurde und wird an Techniken zur<br />

Verminderung der CO 2<br />

-Emissionen<br />

bei der Stahlerzeugung gearbeitet.<br />

Einige Beispiele:<br />

▷▷<br />

Das ULCOS-Projekt<br />

▷▷<br />

HIsarna-Schmelzreduktionsverfahren,<br />

an dem in Pilotversuchen<br />

gearbeitet wird<br />

▷▷<br />

Direktreduktion von Eisenerzen<br />

mit Erdgas im Schachtofenverfahren,<br />

das sich in Ländern<br />

mit preiswertem Erdgas<br />

durchgesetzt hat und dessen<br />

Wirtschaftlichkeit auch bei uns<br />

intensiv diskutiert wird<br />

▷▷<br />

Auf der Prozessseite die Entwicklung<br />

Direktreduktion mit<br />

reinem Wasserstoff.<br />

Ein weiterer Eckpfeiler ist die Nutzung<br />

des entstehenden CO 2<br />

zur<br />

Herstellung wertvoller Rohstoffe.<br />

Beispiele dafür sind Carbon2Chem<br />

und Steelanol.<br />

Anhand dieser wenigen Beispiele<br />

wird sowohl der hohe technische<br />

Stand der Verfahren als<br />

auch das klare Bekenntnis der<br />

Stahlindustrie zum Klimaschutz<br />

im Sinne nachhaltiger Arbeit an<br />

Techniken zur Verringerung der<br />

CO 2<br />

-Emissionen deutlich. Für die<br />

entsprechende Forschung und Entwicklung<br />

sind enorme Kapitalaufwendungen<br />

erforderlich, die durch<br />

politische Rahmenbedingungen<br />

und Auflagen nicht aufgezehrt<br />

werden dürfen. Notwendige öffentliche<br />

Förderung ist dabei ein<br />

weiteres wichtiges Element.<br />

Damit schließt sich der Kreis<br />

zu den politischen Rand- und<br />

Rahmenbedingungen, die uns<br />

nicht den „Boden unter den Füßen“<br />

wegziehen dürfen. Das Abkommen<br />

von Paris ist ein Erfolg.<br />

Die positiven Elemente dürfen<br />

jedoch nicht darüber hinwegtäuschen,<br />

dass für die Stahlindustrie<br />

in Deutschland und Europa eine<br />

entscheidende Aufgabenstellung<br />

ungelöst bleibt. Notwendige verbindliche<br />

und vergleichbare Ziele<br />

als Basis für reale und nachhaltige<br />

Verbesserungen und den Erhalt<br />

der Wettbewerbsfähigkeit wurden<br />

nicht festgelegt.<br />

Die EU-Kommission hat im<br />

vergangenen Juli einen Vorschlag<br />

für den Emissionsrechtehandel<br />

in der vierten Handelsperiode<br />

vorgelegt, der momentan intensiv<br />

beraten wird. Er sieht massive<br />

Verschärfungen vor: Die Zuteilungsbenchmarks<br />

sollen im Durchschnitt<br />

um 22 % bis zum Jahr 2030<br />

pauschal verringert werden. Hinzu<br />

kommt der sogenannte sektorübergreifende<br />

Korrekturfaktor. Die<br />

EU-Kommission hat sich damit von<br />

ihren guten Vorsätzen, Wachstum,<br />

Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit<br />

zu unterstützen, weit<br />

entfernt.<br />

Schon heute liegt die Zuteilung<br />

der Stahlindustrie weit unterhalb<br />

des erreichbaren Minimums der<br />

Anlagen. Die EU-Kommission will<br />

nicht akzeptieren, dass etwa die<br />

Verwertung von Kuppelgasen zur<br />

Eigenstromerzeugung untrennbar<br />

mit dem Stahlerzeugungsprozess<br />

verbunden ist und daher<br />

eine volle Zuteilung benötigt. Die<br />

Benchmarks für die Zuteilung<br />

von CO 2<br />

-Rechten müssen aber<br />

wirtschaftlich und technisch erreichbar<br />

sein, sie müssen sich<br />

deshalb an den Emissionen der<br />

effizientesten Anlagen bemessen.<br />

Den Unternehmen darf durch politische<br />

finanzielle Belastungen aus<br />

dem Emissionsrechtehandel nicht<br />

Substanz für weitere Entwicklung<br />

genommen werden.<br />

Chemische Verwertung<br />

von Hüttengasen<br />

„Bei thyssenkrupp haben wir<br />

uns mit der Frage befasst, welchen<br />

wirtschaftlichen Weg zur<br />

CO 2<br />

-Minderung die Industrie bei<br />

der Stahlherstellung unter den<br />

Dr.-Ing. Reinhold Achatz, Experte für die chemische<br />

Verwertung von Hüttengasen<br />

gegebenen Randbedingungen gehen<br />

kann. Wenn Umweltfreundlichkeit<br />

unwirtschaftlich ist, kann<br />

kein Unternehmen überleben und<br />

innovative Verfahren setzen sich<br />

nicht durch“, sagt Dr.-Ing. Reinhold<br />

Achatz, Head of Corporate<br />

Function Technology, Innovation<br />

& Sustainability von thyssenkrupp<br />

in Essen, bei der Einführung zu<br />

seinem Vortrag.<br />

Deutschland befindet sich<br />

mitten in der Energiewende. Der<br />

Anteil grüner Energien liegt mittlerweile<br />

bei 32 %, ein Wert, der<br />

lange Zeit als unerreichbar galt.<br />

In Deutschland und Europa wird<br />

zur Lösung des CO 2<br />

-Problems von<br />

Dekarbonisierung gesprochen. Der<br />

Begriff Dekarbonisierung ist aber<br />

zumindest unpräzise, da ohne<br />

Kohlenstoff Leben nicht möglich<br />

ist und alle Gebrauchsgüter des<br />

täglichen Lebens einen gewissen<br />

Anteil an Kohlenstoff haben. Über<br />

viele Millionen Jahre haben sich<br />

natürliche Rohstoffe wie Öl, Gas<br />

und Kohle aufgebaut, die in den<br />

letzten 150 Jahren in extrem kurzer<br />

Zeit genutzt bzw. verbrannt<br />

wurden. Dadurch entstand ein<br />

Ungleichgewicht, das nur wieder<br />

ausgeglichen werden kann, wenn<br />

genau so viel CO 2<br />

umgewandelt<br />

wie erzeugt wird.<br />

Bei den Verfahren der Stahlerzeugung<br />

sind die Optimierungen<br />

weitgehend ausgeschöpft. Das<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 55


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Grenzen und Wege der Flexibilität bei der Eisen- und Stahlerzeugung<br />

Ziel war es, ein neues Verfahren<br />

zu entwickeln, das wirtschaftlich<br />

und sozial akzeptiert wird. Hierzu<br />

wurden die Systemgrenzen neu definiert<br />

und branchenübergreifende<br />

Lösungen gewählt. Dies war die<br />

Geburt von „Carbon2Chem“. Es<br />

ist ein Fehler, zu glauben und zu<br />

erklären, CO 2<br />

sei ein Abfallstoff.<br />

CO 2<br />

ist vielmehr eine wertvolle<br />

Ressource für neue Produkte.<br />

Die Hüttengase eines integrierten<br />

Hüttenwerkes bestehen aus<br />

43 % Stickstoff, 25 % Kohlenmonoxid,<br />

21 % Kohlendioxid sowie 8 %<br />

Wasserstoff und kleinen Mengen<br />

Methan. Diese Hüttengase können<br />

zur Energie-und zur Stromerzeugung<br />

genutzt werden, was heute<br />

gängige Praxis ist. Dabei entsteht<br />

zwangsläufig CO 2<br />

, das in die Atmosphäre<br />

gelangt. Man kann allerdings<br />

die Hüttengase auch in<br />

Kooperation zwischen den Branchen<br />

Stahl, Chemie und Energie<br />

als Rohstoff nutzen. Hierfür wird<br />

aber weiterer Wasserstoff benötigt,<br />

der über die Elektrolyse von Wasser<br />

gewonnen werden soll. Der erforderliche<br />

elektrische Strom muss<br />

natürlich mit grüner Energie erzeugt<br />

werden. Andernfalls wäre der<br />

CO 2<br />

-Footprint des erzeugten Wasserstoffes<br />

so hoch, dass es zu keiner<br />

CO 2<br />

-Reduzierung kommen würde.<br />

Eine weitere Voraussetzung für die<br />

Machbarkeit dieses Projektes ist die<br />

Notwendigkeit einer branchenübergreifenden<br />

digitalen Steuerung. Mit<br />

Ir. Carl de Maré, Fachmann für Kohlenstoffabscheidung und<br />

Wiederverwendung bei der Stahlerzeugung<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

entsprechenden Softwaresystemen<br />

können die verschiedenen Technologien<br />

so geregelt werden, dass das<br />

ganzheitliche Systemoptimum besser<br />

als die Summe der Einzeloptima<br />

der beteiligten Branchen ist.<br />

Die chemischen Grundlagen<br />

sind seit mehr als 100 Jahren<br />

bekannt. Es stellt sich die Frage,<br />

was zusätzlich verändert werden<br />

muss: Zum einen sind Hüttengase<br />

Gasgemische, die gereinigt werden<br />

müssen. Zum anderen sind Katalysatoren<br />

sehr empfindlich bei<br />

Verunreinigungen. Es müssen robustere<br />

Katalysatoren entwickelt<br />

werden. Beim Einsatz von grünem<br />

Strom, der volatil anfällt, müssen<br />

die Anlagen entsprechend flexibel<br />

betrieben werden können.<br />

Neben der Erzeugung von Energie<br />

und Strom aus den Hüttengasen<br />

(Koksofengas, Hoch ofengas<br />

und Konvertergas), wobei CO 2<br />

emittiert wird, sollen bei Carbon-<br />

2Chem Methanol, synthetischer<br />

Alkohol, Düngemittel und Polymere<br />

erzeugt werden, wobei kein<br />

CO 2<br />

emittiert wird. Man wird zwischen<br />

der Nutzung der Gase im<br />

Kraftwerk und als Chemierohstoff<br />

je nach Verfügbarkeit an grünem<br />

Strom wechseln. Hierfür muss ein<br />

Energiesystem vorhanden sein,<br />

das die Verfügbarkeit an Strom<br />

mit einer Woche Vorlaufzeit vorhersagt.<br />

Das Projekt „Carbon2Chem“<br />

besteht aus den Teilprojekten<br />

Wasserstofferzeugung (thyssenkrupp),<br />

Methanolerzeugung (AkzoNobel),<br />

Gasreinigung (Linde),<br />

Alkohole (Evonik), Polymere (covestro)<br />

und Oxymethylenether<br />

(BASF). Die Gesamtprojektleitung<br />

hat thyssenkrupp zusammen<br />

mit dem Max Planck Institut für<br />

Energiekonversion (MPI-CEC) und<br />

Fraunhofer UMSICHT.<br />

Im März <strong>2016</strong> wurde mit einem<br />

anwendungsnahen Forschungsprojekt<br />

begonnen. thyssenkrupp<br />

investiert über 34 Mio. € in<br />

Duisburg in den Bau eines Technikums.<br />

Hinzu kommen rd.<br />

10 Mio. € aus der Fördersumme von<br />

insgesamt 60 Mio. €, mit der das<br />

Bundesministerium für Bildung<br />

und Forschung das Gesamtprojekt<br />

fördert. Der erste Spatenstich<br />

erfolgte Anfang November <strong>2016</strong>.<br />

Carbon2Chem hat einen Etat von<br />

120 Mio. €, wobei thyssenkrupp<br />

mit 60 Mio. € Projektkosten den<br />

größten Anteil trägt.<br />

Die Forschungsarbeiten zu dem<br />

Projekt werden voraussichtlich<br />

zehn Jahre in Anspruch nehmen.<br />

Eine industrielle Umsetzung wird<br />

erst nach 2030 möglich sein, da der<br />

Bau einer Anlage nach erfolgreichem<br />

Abschluss der Forschungsarbeiten<br />

mit allen Genehmigungen<br />

mindestens weitere acht Jahre<br />

dauern wird. Um solche Projekte<br />

zu finanzieren, muss die Stahlindustrie<br />

auch Geld verdienen und<br />

darf nicht mit entsprechenden<br />

CO 2<br />

-Abgaben belastet werden.<br />

Kohlenstoffabscheidung<br />

und Wiederverwendung<br />

bei der Stahlerzeugung<br />

„CCU (Carbon Capture and Usage)<br />

ist das Kernthema des Projektes<br />

Steelanol“, so Ir. Carl de Maré,<br />

Head of Technology Strategy,<br />

Group CTO, ArcelorMittal Group<br />

Luxembourg. ArcelorMittal erzeugt<br />

weltweit 93 Mio. t Rohstahl<br />

pro Jahr. Dabei werden 207 Mio. t<br />

CO 2<br />

emittiert. Für ArcelorMittal ist<br />

die Verminderung dieser Emissionen<br />

ein Schlüsselthema und eine<br />

Herausforderung. Die Gesellschaft<br />

verbindet Stahl direkt mit<br />

CO 2<br />

-Emissionen. Dabei hat die<br />

Stahlerzeugung an den gesamten<br />

weltweiten CO 2<br />

-Emissionen nur einen<br />

Anteil von 6 %. Im Sinne von<br />

„Life Cycle Analysis“ (LCA) muss erwähnt<br />

werden, dass diese 6 % vom<br />

Stahl bei der Wiederverwendung<br />

des Stahls als Schrott weitgehend<br />

CO 2<br />

-neutral sind, und das macht<br />

Stahl so einzigartig. Stahl hat in<br />

seinem Lebenszyklus im Vergleich<br />

zu allen produzierten Materialien<br />

und Werkstoffen die geringsten<br />

CO 2<br />

-Emissionen. Milch hat z. B.<br />

spezifisch 50 % höhere CO 2<br />

-Emissionen<br />

als Stahl.<br />

Kurzfristig gibt es keine Alternative<br />

zum Stahl und man wird<br />

weiterhin auch auf den Einsatz<br />

von Kohlenstoff für die Stahlerzeugung<br />

angewiesen sein. Eine<br />

56<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Ablösung der Kohlenstoffmetallurgie<br />

durch Wasserstoffmetallurgie<br />

bedeutet auch eine Verdoppelung<br />

des Primärenergiebedarfes. Auch<br />

müsste für solch ein Szenario eine<br />

Überkapazität an grüner Energieerzeugung<br />

vorhanden sein.<br />

Elektrische Energie, erzeugt mit<br />

dem CO-Anteil des Hochofengases,<br />

hat eine hohe CO 2<br />

-Intensität. Die<br />

Nutzung des Gases, anstatt es abzufackeln,<br />

ist ökonomisch wertvoll.<br />

Wenn allerdings auf dem Markt<br />

elektrische Energie mit einer CO 2<br />

-<br />

Last von 0,1 t CO 2<br />

/MWh verfügbar<br />

ist und elektrische Energie aus<br />

Hochofengas eine CO 2<br />

-Last von<br />

1,7 t CO 2<br />

/MWh aufweist, dann<br />

muss man das CO des Hochofengases<br />

anders nutzen. Eine Lösung<br />

ist CCUS (Carbon Capture, Use<br />

and Storage). Allgemein werden<br />

Befürworter von CCUS als Träumer<br />

kritisiert, weil die Techniken<br />

als nicht realistisch und zu teuer<br />

gewertet werden.<br />

ArcelorMittal war auf der Suche<br />

nach einer kurzfristigen Lösung und<br />

begann mit der Biotechnologie. Die<br />

Natur der katalytischen Chemie ist<br />

das Recycling von Kohlenmon oxid<br />

in Ethanol, wie es schon seit Millionen<br />

Jahren erfolgt, vergleichbar<br />

mit der Umwandlung von Zucker<br />

und Sauerstoff beim Menschen in<br />

Energie für die Muskeln.<br />

In Zusammenarbeit mit Lanzatech<br />

wurde die Gasfermentation<br />

von Hochofengas mit Mikroben in<br />

Ethanol erfolgreich demonstriert.<br />

Lanzatech wurde 2005 gegründet.<br />

Die Technologie wurde zunächst<br />

im Labor entwickelt, 2008 in einem<br />

kleinen Stahlwerk in Neuseeland<br />

und ab 2008 in verschiedenen<br />

größeren Pilotanlagen getestet.<br />

ArcelorMittal baut derzeit mit<br />

Lanzatech eine industrielle Anlage<br />

zur Erzeugung von Ethanol aus<br />

Hochofengas in Gent. Das Projekt<br />

wird mit 10 Mio. € von der EU<br />

gefördert. Weitere Projektpartner<br />

sind Primetals und E4tech.<br />

Die Anlagengröße ist noch<br />

moderat. Aus 100 000 m 3 (S.T.P.)/h<br />

Hochofengas, aus dem das CO 2<br />

ausgewaschen<br />

wird, werden mit dem<br />

CO des Gases, Mikroben und Wasser<br />

8 t/h Ethanol oder 80 Mio. l/a<br />

erzeugt. Das Hochofengas muss<br />

nicht gereinigt werden. Die Mikroben<br />

können in der Atmosphäre<br />

des Hochofengases überleben. Der<br />

Nachteil von Biotech ist der Aufwand<br />

für die Wasseraufbereitungsanlage.<br />

Die Mikroben leben in dem<br />

Wasser mit einer Temperatur von<br />

37 °C. Das Ethanol muss aus dem<br />

Wasser ausdestilliert werden, was<br />

einen hohen Kapitalaufwand erfordert.<br />

Das Projekt begann im<br />

Herbst 2015 und das Engineering<br />

ist weitgehend abgeschlossen. Die<br />

Anlage wird in den nächsten Wochen<br />

bestellt, sobald von der EU<br />

der Status des erzeugten Kraftstoffs<br />

anerkannt ist.<br />

Die Wirtschaftlichkeit des Projektes<br />

ist eng mit dem Markt für<br />

Ethanol in Europa verbunden. Zur<br />

Erfüllung der Ziele für erneuerbare<br />

Energien besteht der Bedarf an<br />

7 Mrd. l Ethanol, die nicht aus der<br />

Lebensmittelindustrie stammen.<br />

Die Umwandlung des CO der<br />

Gase der EU-Stahlindustrie wird<br />

den Markt für Biokraftstoffe nicht<br />

beeinträchtigen. Steelanol hat eine<br />

sehr gute Life Cycle Analysis und<br />

liefert einen großen Beitrag zur<br />

Energieeffizinz im Vergleich zur<br />

Nutzung des Hochofengases für die<br />

Stromerzeugung. Bei der geplanten<br />

industriellen Demonstrationsanlage<br />

in Gent werden jährlich 150 000 t<br />

CO 2<br />

-Emission vermieden. Nach der<br />

Erstinvestition werden 80 Mio. l<br />

Ethanol erzeugt; das entspricht<br />

einer CO 2<br />

-Einsparung äquivalent<br />

zu der von 100 000 auf dem Markt<br />

eingeführten Elektroautos.<br />

Direktreduktion als<br />

Brückentechnologie zur<br />

Entkarbonisierung der<br />

integrierten<br />

Stahlherstellung<br />

„Wir haben bei den bestehenden<br />

Prozessen der Eisen- und Stahlerzeugung<br />

ein Potenzial für den<br />

Einsatz von Wasserstoff von 10 %<br />

bei der klassischen Hochofen-Konverter-Route<br />

bis zu 100 % bei der<br />

Direktreduktion“, so Dipl.-Ing.<br />

Thomas Bürgler, Leiter Forschung<br />

und Entwicklung Roheisen,<br />

voestalpine Stahl GmbH, Linz, Österreich,<br />

bei der Einführung zu seinem<br />

Vortrag. Es gab schon Direktreduktionsverfahren,<br />

die mit 100 %<br />

Wasserstoff gearbeitet haben. Diese<br />

haben sich aber nicht durchgesetzt,<br />

nicht zuletzt aus wirtschaftlichen<br />

Gründen. Aber grundsätzlich hat<br />

die Direktreduktion von Eisenerzen<br />

ein Potenzial für 100 % H 2<br />

-Einsatz<br />

als Reduktionsmittel für die Reduktion<br />

der Eisenerze. Direktreduktionsschachtöfen<br />

der betrieblichen<br />

Praxis arbeiten heute schon mit<br />

Wasserstoffanteilen im Reduktionsgas<br />

von über 60 %. Wenn Wasserstoff<br />

künftig in ausreichenden<br />

Mengen und zu wirtschaftlichen<br />

Konditionen verfügbar werden<br />

könnte, dürfte er eine bedeutendere<br />

Rolle für die Stahlerzeugung<br />

auf Basis Eisenerze spielen. Bei<br />

den heutigen Randbedingungen<br />

ist die Reduktion der Eisenerze<br />

mit Wasserstoff im Vergleich zum<br />

Kohlenstoff wirtschaftlich jedoch<br />

weder weltweit noch in Europa<br />

darstellbar.<br />

Vergleicht man die CO 2<br />

-Emissionen<br />

der integrierten Hochofen-Konverter-Route<br />

mit der Direktreduktion-Elektrolichtbogenofen-Route<br />

(DR/EAF) mit Schachtofen als Reduktionsaggregat<br />

und Heißeinsatz<br />

des DRI im EAF unter Annahme<br />

einer CO 2<br />

-Last des elektrischen<br />

Stroms von 200 g/kWh, so hat die<br />

DR/EAF-Route einen Vorteil von rd.<br />

35 %. Die CO 2<br />

-Emissionen bei der<br />

Dipl.-Ing. Thomas Bürgler, Experte für die Direktreduktion<br />

als Brückentechnologie zur Entkarbonisierung der<br />

integrierten Stahlherstellung<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 57


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Grenzen und Wege der Flexibilität bei der Eisen- und Stahlerzeugung<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Dr.-Ing. Henning Schliephake, Fachmann für Effizienzsteigerung<br />

in der Elektrostahlerzeugung<br />

Erzeugung des Direct Reduced Iron<br />

(DRI) kommen vom Kohlenstoffgehalt<br />

des Erdgases. Wenn es gelingt,<br />

das Erdgas bei der DRI-Erzeugung<br />

durch H 2<br />

zu ersetzen und Strom aus<br />

grünen Energien zu verwenden,<br />

dann könnte diese Route weitgehend<br />

CO 2<br />

-frei Stahl erzeugen. Das<br />

wird kurzfristig nicht möglich<br />

sein, längerfristig könnte aber<br />

der Weg in diese Richtung gehen.<br />

Kohlenstoff wird allerdings immer<br />

benötigt werden, allein schon als<br />

Legierungselement für die Stahlwerkstoffe.<br />

Das Thema CO 2<br />

-Minderung im<br />

Allgemeinen und H 2<br />

-Einsatz im<br />

Besonderen gewinnt vor allem aufgrund<br />

der angestrebten Entkarbonisierung<br />

sowohl auf globaler Ebene<br />

als auch in der EU zunehmend an<br />

Bedeutung.<br />

So sieht die „Klima-Roadmap“<br />

der EU-Kommission die Senkung<br />

der CO 2<br />

-Emissionen bis 2050 um<br />

über 80 % im Vergleich zu 1990<br />

vor. Unter Beibehaltung der heute<br />

betriebenen Verfahrensrouten wird<br />

man dieses Ziel nicht erreichen.<br />

Dafür sind Verfahrenswechsel von<br />

Kohlenstoffmetallurgie auf Wasserstoffmetallurgie<br />

und ein grundlegender<br />

Transfer der Energiesysteme<br />

erforderlich. Was dafür an Investitionsaufwand<br />

in die Energiewirtschaft<br />

und die Stahlerzeugungsanlagen<br />

fließen muss, lässt sich heute<br />

noch nicht seriös beziffern.<br />

voestalpine leistet mit dem<br />

Einsatz von Erdgas als Reduktionsmittel<br />

einen Beitrag zu<br />

einer CO 2<br />

-reduzierten Stahlerzeugung.<br />

Die neue DRI-Anlage<br />

in Corpus Christi, Texas, USA,<br />

ist eine Midrex-Schachtofenanlage<br />

mit einer Kapazität von<br />

2 Mio. t Hot Briquetted Iron (HBI)<br />

pro Jahr. HBI ist ein sehr flexibler<br />

Einsatzstoff. Man kann es in<br />

einem Elektrolichtbogenofen zu<br />

Rohstahl verarbeiten, im Hoch ofen<br />

einsetzen, wo es dazu beiträgt,<br />

die CO 2<br />

-Emission zu senken und<br />

die Leistung zu steigern, oder als<br />

Schrottersatz im Konverter für die<br />

Rohstahlerzeugung verwenden.<br />

Beim Einsatz von 100 kg HBI/t<br />

Roheisen (RE) im Hochofen werden<br />

rd. 30 kg Koksäquivalent/t RE eingespart<br />

und die Schmelzleistung<br />

steigt, weil im Reaktor mehr Prozessvolumen<br />

für Eisenträger ist.<br />

Der Einsatz von HBI im Hochofen<br />

muss immer wirtschaftlich bewertet<br />

werden. Nur wenn Roheisen<br />

im Werk eine knappe Ressource<br />

ist, macht der Einsatz von HBI im<br />

Hochofen zur Leistungssteigerung<br />

Sinn. Die klassische Hochofen-Konverter-Route<br />

ist in Europa derzeit<br />

noch die wirtschaftlichste Stahlerzeugungsroute<br />

auf Eisenerzbasis.<br />

Energetisch gibt es bei einem<br />

Vergleich von klassischer integrierter<br />

Route zu einem Verfahren mit<br />

HBI-Einsatz im Hochofenprozess<br />

keine Unterschiede, auch wenn<br />

man den Energieverbrauch für<br />

die HBI-Erzeugung berücksichtigt.<br />

Nach fünf Jahren Studien, Planung<br />

und Bau hat die Direktreduktionsanlage<br />

am 28 September<br />

<strong>2016</strong> das erste HBI erzeugt. Technologiepartner<br />

bei dem Projekt sind<br />

die Firmen Primetals, Midrex und<br />

Köppern. Die Schachtofenanlage<br />

ist mit einer Höhe von 137 m das<br />

höchste Bauwerk in Südtexas.<br />

Laufende FuE-Projekte für „grünen“<br />

Wasserstoff sollen langfristig<br />

eine CO 2<br />

-reduzierte Stahlerzeugung<br />

ermöglichen. Bei ausreichender<br />

Verfügbarkeit von „grünem“ Wasserstoff<br />

könnte dieser künftig zumindest<br />

teilweise als Reduktionsgas<br />

anstelle von Erdgas im Direktreduktionsprozess<br />

eingesetzt werden und<br />

so eine CO 2<br />

-reduzierte Herstellung<br />

von HBI und Stahl ermöglichen.<br />

Effizienzsteigerung in der<br />

Elektrostahlerzeugung<br />

„Eine erfolgreiche kontinuierliche<br />

Verbesserung von Prozessen hängt<br />

stets von motivierten Kolleginnen<br />

und Kollegen ab, die letztlich die<br />

Prozesse am besten kennen. Haben<br />

wir dieses Wissen ausreichend aktiv<br />

abgefragt bzw. haben wir die<br />

richtigen Fragen gestellt? Letztlich<br />

sind gerade Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter unsere wesentlichen<br />

Erfolgsgaranten und keine FTE,<br />

Full Time Equivalents, wie diese<br />

heute in der Beratersprache entpersonalisiert<br />

werden“, so Dr.-Ing.<br />

Henning Schliephake, Mitglied der<br />

Geschäftsführung, Georgsmarienhütte<br />

GmbH.<br />

In einer entwickelten Volkswirtschaft,<br />

die seit vielen Jahrzehnen<br />

die industrielle Wertschöpfung als<br />

Eckpfeiler für ihre wirtschaftliche<br />

Prosperität betrachtet, ergibt sich<br />

durch die große Verfügbarkeit von<br />

Schrotten, sei es als Neuschrott<br />

aus der Stahlverarbeitung oder<br />

als Altschrott aus Abrissen und<br />

Sammlungen, ein Verhältnis zwischen<br />

integrierter Stahlerzeugung<br />

und Elektrostahlerzeugung von<br />

etwa 2 : 1. Dieses Verhältnis zeigt<br />

sich sehr schön in der Verteilung<br />

der beiden Verfahrenswege in<br />

Deutschland. In einem Land, das<br />

erst vor gut 15 Jahren in die Massenstahlproduktion<br />

eingestiegen<br />

ist, wie es sich bei China als inzwischen<br />

weltgrößtem Stahlerzeuger<br />

darstellt, gibt es bei Weitem proportional<br />

noch nicht so viel Rücklaufschrotte<br />

wie in Deutschland.<br />

So beträgt im Reich der Mitte der<br />

Anteil der integrierten Stahlerzeugung<br />

in 2015 stolze 93,9 %. Der<br />

Rest wird in den Elektrolichtbogenöfen<br />

erschmolzen, wobei anzumerken<br />

ist, dass ein sehr großer<br />

Anteil dieser Öfen mit flüssigem<br />

Roheisen beschickt wird. In Summe<br />

ergibt sich weltweit ein Verhältnis<br />

von 75 zu 25 %. Europa<br />

als Ganzes zeichnet sich infolge<br />

der überproportional hohen Elektrostahlerzeugung<br />

in Italien und<br />

58<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Spanien (ca. 30 : 70) mit einem<br />

recht hohen Anteil von 39 %<br />

bei der Stahlerzeugung im Elektrolichtbogenofen<br />

aus.<br />

Aus den naturgemäß vorgegebenen<br />

thermodynamisch technischen<br />

Grundgesetzen weisen beide Verfahrenswege<br />

deutlich unterschiedliche<br />

CO 2<br />

-Emissionen aus. Bei der integrierten<br />

Produktion fallen 1 718 kg<br />

CO 2<br />

/t Rohstahl und bei der Elektrostahlerzeugung<br />

428 kg CO 2<br />

/t Rohstahl<br />

an. In Deutschland ergibt sich bei<br />

dem herrschenden Verhältnis beider<br />

Prozessrouten nach sechsmaligem<br />

Recycling eines Stahlvolumens<br />

eine CO 2<br />

-Emission von ca. 1 000 kg<br />

CO 2<br />

/t Rohstahl. Deutschland hat<br />

es gut gegenüber China, das noch<br />

lange mit dem aktuellen Prozessverhältnis<br />

leben muss, d. h., dass<br />

es noch längerfristig mit einer<br />

CO 2<br />

-Emission von gut 1 700 kg/t<br />

Rohstahl leben muss. Eine Aufgabe<br />

der Stahlerzeugung in Deutschland<br />

und Verlagerung nach China<br />

erscheint daher auch im Weltmaßstab<br />

umweltpolitisch wenig sinnvoll<br />

zu sein.<br />

Seit Mitte der 1960er-Jahre ist<br />

die Produktivität und damit einhergehend<br />

die Kosteneffizienz<br />

in der Elektrostahlerzeugung<br />

dramatisch verbessert worden.<br />

Die ausgewiesenen Kenngrößen<br />

elektrischer Energieverbrauch in<br />

kWh/t Flüssigstahl, Zeitverbrauch<br />

in min/t Flüssigstahl und Elektrodenverbrauch<br />

in kg/t Flüssigstahl<br />

zeigen dies überdeutlich. Der<br />

Einsatz elektrischer Energie reduzierte<br />

sich um 44 %, der Zeitverbrauch<br />

um 83 % und der Elektrodenverbrauch<br />

ebenfalls um 83 %.<br />

Auch beim Verbrauch feuerfester<br />

Materialien dürften sich ähnlich<br />

hohe Verbrauchsminderungen<br />

eingestellt haben. Nicht umsonst<br />

stöhnen die Kollegen der Feuerfest-<br />

und Elektrodenhersteller.<br />

Die Linien nähern sich langsam<br />

der Horizontalen an, denn, vergleichbar<br />

zum an thermodynamisch-physikalischen<br />

Grenzen betriebenen<br />

Hochofen, werden auch<br />

die Elektrostahlwerke bestimmte<br />

Grenzen nicht unterschreiten<br />

können. Dies scheinen bisweilen<br />

weniger naturwissenschaftlich<br />

belastete Entscheidungsträger und<br />

Meinungsbildner zu ignorieren.<br />

Hinter jedem Schritt der kontinuierlichen<br />

Verbesserungen<br />

stecken die Ideen von Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern. Dabei<br />

kam es durchaus vor, dass mehrere<br />

Personen an unterschiedlichen<br />

Stellen die Originalität<br />

desselben Gedankens für sich<br />

beanspruchten. So verlief z. B.<br />

der Beanspruchungsstreit um die<br />

Idee der Schaumschlackenfahrweise<br />

recht intensiv. Aber gerade<br />

diese Prozessveränderung ist<br />

ein sehr gutes Bespiel dafür, dass<br />

nicht immer nur teure Investitionen<br />

notwendig sind, um große<br />

Fortschritte zu erreichen. Viele<br />

kleine, nicht immer so kostenaufwendige<br />

Schritte können zu<br />

ansehnlichen Erfolgen führen.<br />

Neben dem Schlackenschäumen<br />

sind drei weitere Verbesserungsschritte<br />

zu nennen: Pfannenmetallurgie,<br />

Flüssigsumpffahrweise<br />

und Lanzenmanipulator.<br />

Alles drei Ideen, die ohne großen<br />

Kostenaufwand umgesetzt<br />

werden konnten. Die Annäherung<br />

an die Prozessgrenzen kann jedoch<br />

zunehmend kostenintensiver werden.<br />

Nicht unerwähnt darf bleiben,<br />

dass zahlreiche begleitende<br />

Schritte zur Optimierung der gesamten<br />

Prozesskette einhergingen.<br />

Als Stichworte seien an dieser<br />

Stelle genannt: Minimierung<br />

von Nutzungsnebenzeiten und<br />

Störungszeiten, Optimierung der<br />

Einsatzstoffe, Mitarbeiterweiterbildung<br />

etc.<br />

Georgsmarienhütte GmbH<br />

stand wie alle Elektrostahlwerke<br />

vor der Notwendigkeit, das Energiemanagement<br />

einzuführen. In<br />

Anlehnung an das bereits gelebte<br />

Qualitäts- und Umweltmanagement<br />

etablierte die Georgsmarienhütte<br />

GmbH eine Abteilung<br />

Energiemanagement, die direkt<br />

der Geschäftsführung unterstellt<br />

ist. Alle Mitglieder dieser Abteilung<br />

brannten für dieses Thema. Neben<br />

der zu leistenden Überzeugungsarbeit<br />

im gesamten Unternehmen<br />

galt es, parallel ein geeignetes<br />

Mess- und Informationssystem<br />

für alle Medienströme aufzubauen.<br />

Die ersten Schritte der Überzeugungsarbeit<br />

waren letztlich<br />

recht einfach. Der Verbrauch an<br />

Pressluft, der teuersten aller Energieformen<br />

in einem Unternehmen,<br />

lässt sich sehr wohl durch die Mitarbeiter<br />

selbst beeinflussen. „Wer<br />

von uns ist nicht schon einmal<br />

während eines Produktionsstillstandes<br />

durch eine Werkshalle<br />

gegangen, in der sich zwar kaum<br />

Mitarbeiter aufhielten, jedoch ein<br />

lautes Pfeifen aus einer defekten<br />

„Die Georgsmarienhütte verfolgt die<br />

Vision NoWASTE, d. h. in Zukunft<br />

nur noch werthaltige Stoffe über<br />

die Grenzen des Unternehmens<br />

hinweg zu transportieren und so<br />

wenig wie möglich Deponieraum zu<br />

beanspruchen“<br />

Dr.-Ing. Henning Schliephake, Mitglied der Geschäftsführung,<br />

Georgsmarienhütte GmbH<br />

bzw. nicht korrekt gekoppelten<br />

Pressluftschlauchverbindung zu<br />

vernehmen war?“ so Schliephake.<br />

Auf einem Handwagen wurde eine<br />

Vorrichtung mit verschiedenen typischen<br />

Defekten des Pressluftsystems<br />

sowie eines Luftmengenmessers,<br />

der die vergeudete Pressluft<br />

in Euros umrechnen konnte, installiert.<br />

So etwas bewirkt Wunder.<br />

Inzwischen lebt das Energiemanagement<br />

durch die Einbindung<br />

von Multiplikatoren in den<br />

einzelnen Betrieben in Person<br />

von Energiepaten und der Verfügbarkeit<br />

bzw. Auswertbarkeit<br />

aller aktuellen und historischen<br />

Medienströme für alle Betriebsverantwortlichen.<br />

Das gelebte<br />

Energiemanagement hat es ermöglicht,<br />

aus dem Stand heraus die<br />

Anforderungen als Klimaschutzunternehmen<br />

zu erfüllen. Diese<br />

Auszeichnung hilft der Georgsmarienhütte,<br />

ihr Image in der Bevölkerung<br />

nachhaltig zu verbessern.<br />

Die Erfolgsgeschichte der kleinen<br />

Schritte in der Periode von<br />

2010 bis <strong>2016</strong> ist durchaus bemerkenswert<br />

und überzeugend. Der<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 59


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Grenzen und Wege der Flexibilität bei der Eisen- und Stahlerzeugung<br />

Druckluftverbrauch sank um 28 %.<br />

Hierzu trugen vor allem die Leckagenbeseitigung,<br />

die Bedarfsanpassungen<br />

sowie die Absenkung des<br />

Netzdruckes bei. Noch dramatischer<br />

waren die Einsparungen<br />

beim Trinkwasser. Die Anpassung<br />

von Mengen und Wasserqualität<br />

an die technischen Erfordernisse<br />

sowie Abschaltungen bei Stillständen<br />

führten zu Minderverbräuche<br />

von 66 % (0,50 auf 0,17 m³/t<br />

Rohstahl flüssig).<br />

Die Umstellung der Heizungen<br />

von Erdgas- auf Dampfwärme sowie<br />

der Einsatz modernster Brennertechnologie<br />

reduzierte den Erdgasverbrauch<br />

um 10 % (54,9 auf<br />

49,3 m³ (S.T.P.)/t Rohstahl flüssig).<br />

Trotz eines ansteigenden Bedarfes<br />

von +2,5 % durch die zuwachsende<br />

Anzahl von elektrischen Verbrauchern<br />

konnte der spezifische<br />

Bedarf an Allgemeinstrom, d. h.,<br />

Schmelzstrom fließt hier nicht<br />

ein, um 2,2 % abgesenkt werden.<br />

Großen Anteil daran hat die konsequente<br />

und inzwischen auch automatisierte<br />

Abschaltung von nicht<br />

benötigten Verbrauchern während<br />

allfälliger Stillstandsperioden. Anstelle<br />

einer „Stillstandsleistung“ für<br />

die gesamte Hütte von 7,8 MW beträgt<br />

diese heute nur noch 3,6 MW.<br />

Die gesamte Prozesskette des<br />

Unternehmens Georgsmarienhütte<br />

musste sich in der vergangenen<br />

Dekade mannigfaltigen, nicht nur<br />

marktgetriebenen Herausforderungen<br />

stellen. Kundenseitig stiegen<br />

die Anforderungen an die Qualität<br />

sowie an die Flexibilität und auch<br />

durch die Verringerung der Losgrößen.<br />

Dies führte im Verlauf der Jahre<br />

zu einem Absinken des Gesamtausbringens.<br />

Eine Vielzahl kleinerer<br />

Verbesserungsschritte, seien diese<br />

in jedem Gewerk für sich oder in<br />

bereichsübergreifenden Arbeitsgruppen<br />

erarbeitet und umgesetzt<br />

worden, konnte den Trend nachhaltig<br />

umkehren. Alle Verbesserungen<br />

wurden durch Optimierung von Prozessschritten<br />

erreicht.<br />

Aus der großen Anzahl der<br />

Verbesserungsschritte sollen hier<br />

nur einige Beispiele benannt werden.<br />

Zum einen standen auf dem<br />

Arbeitsprogramm die Optimierung<br />

der Prozesse hinsichtlich der<br />

Verbesserung der Oberfläche zur<br />

Verringerung des Nacharbeitsaufwandes<br />

sowie die Verfeinerung der<br />

metallurgischen Prozesse zur Minimierung<br />

der Anzahl und Größe<br />

der nichtmetallischen Einschlüsse.<br />

Hierbei kamen auch Methoden aus<br />

der Simulationstechnik sowie dem<br />

Datamining zum Einsatz. Verbesserungen<br />

im Bereich der Instandhaltung<br />

führten zu geringeren<br />

Störquoten und damit bedingt zu<br />

weniger instationären Zuständen<br />

der Anlagen.<br />

Die detailliertere Betrachtung<br />

der unterschiedlichen physikalischen<br />

Kennwerte der verschiedenen<br />

Stahlqualitäten, wie z. B.<br />

Schrumpfung oder auch Metergewicht,<br />

führte zu einer deutlich verbesserten<br />

logistischen Vernetzung<br />

über die gesamte Fertigungskette.<br />

Die bei der Stahlerzeugung<br />

entstehenden Stahlwerksschlacken<br />

waren bisher ein anerkannter<br />

Baustoff, wenngleich dies in<br />

den einzelnen Bundesländern<br />

durchaus unterschiedlich gehandhabt<br />

wird. Seit weit über<br />

einem Jahrzehnt wird an der<br />

Mantelverordnung gearbeitet,<br />

deren dritter Referentenentwurf<br />

in absehbarer Zeit vorliegen soll.<br />

Trotz all unserer Versuche, unseren<br />

Schlacken eine nachhaltige<br />

Anerkennung als hochqualitativer<br />

Baustoff zu sichern, werden<br />

an die Stahlindustrie zusätzliche<br />

Anforderungen gestellt werden,<br />

die unweigerlich zu erhöhten Kosten<br />

führen werden. Aus unserer<br />

Sicht widerspricht die Mantelverordnung<br />

ganz klar dem Gedanken<br />

einer Kreislaufwirtschaft.<br />

Ausgehend von der Geisteshaltung,<br />

dass Stahlwerker nicht nur<br />

Stahlwerker, sondern auch Hochtemperaturverfahrenstechniker<br />

sind – denn wer beherrscht sonst<br />

noch im Tagesgeschäft feuerflüssige<br />

Massen wie Stahl und Schlacken<br />

mit Temperaturen von über 1 500 °C<br />

–, entwickelte die Georgsmarienhütte<br />

die Vision NoWASTE, d. h.<br />

in Zukunft nur noch werthaltige<br />

Stoffe über die Grenzen des Unternehmens<br />

hinweg zu transportieren<br />

und so wenig wie möglich<br />

Deponieraum zu beanspruchen,<br />

wenngleich es Bundesländer geben<br />

soll, die grundsätzlich alle Stahlerzeugungsschlacken<br />

in Zukunft<br />

dort unterbringen wollen.<br />

Dieser Ansatz führte zunächst<br />

zu einer vollumfänglichen Aufnahme<br />

und Validierung aller internen<br />

Massenströme von Schlacke, Zunder,<br />

Filterstaub und sonstigen Reststoffen<br />

sowie deren interner bzw.<br />

externen Verwendung. In Zusammenarbeit<br />

zwischen den verschiedenen<br />

internen Abteilungen sowie<br />

mehreren externen Partnern, wie<br />

z. B. FEhS, Uni Duisburg, Stahlwerke<br />

Benteler und KME, wurden<br />

mehrere verschiedene Verfahren<br />

auch im Rahmen von Förderungsmaßnahmen<br />

entwickelt. So wird<br />

heute der größte Teil der sekundärmetallurgischen<br />

Schlacke als<br />

Schlackenbildner im Elektrolichtbogenofen<br />

eingesetzt. Dies belastet<br />

keinen Deponieraum und erspart<br />

den Einsatz von Primärrohstoffen.<br />

Auch die sonstigen Reststoffe werden<br />

intern aufgearbeitet und als<br />

Schlackenbildner eingesetzt. All<br />

dies führt heute bereits zu einem<br />

Kostenvorteil in einem hohen sechsstelligen<br />

Euro-Bereich. Hinsichtlich<br />

der schwarzen Elektroofenschlacke<br />

zeichnet sich auch eine mögliche,<br />

wenngleich recht unkonventionelle<br />

Problemlösung ab.<br />

Schlussbemerkungen zum<br />

Stahldialog<br />

Abschließend bemerkte Dr. Dietmar<br />

Ringel, dass in vier hochkarätigen<br />

Vorträgen unterschiedliche<br />

Ansätze und Wege zur Flexibilität<br />

bei der Eisen- und Stahlerzeugung<br />

auch im Hinblick auf die weiteren<br />

Verminderungen der CO 2<br />

-Emissionen<br />

vorgestellt wurden und es<br />

damit Ansätze für eine nachhaltige<br />

CO 2<br />

-Minderung bei der Stahlerzeugung<br />

gibt. Er dankte den<br />

Vortragenden und all denjenigen,<br />

die an der Erarbeitung der Berichte<br />

beteiligt waren. Dem Auditorium<br />

dankte er für das gezeigte Interesse.<br />

Dr.-Ing. Hans Bodo Lüngen,<br />

M. Sc. Marten Sprecher,<br />

Stahlinstitut VDEh, Düsseldorf<br />

60<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Werkstoffliche Leichtbaulösungen mit Stahl<br />

Fortschrittliche<br />

Leichtbau lösungen mit neuen<br />

Stahlwerkstoffen<br />

Neuentwicklungen von Flach- und Langerzeugnissen für automobile Leichtbauanwendungen<br />

war das Thema eines Stahldialoges in Düsseldorf. Aufgezeigt wurde dabei, dass<br />

fortschrittliche Leichtbauwerkstoffe auch neue Anforderungen an die Bauteilauslegung und<br />

Weiterverarbeitung stellen − etwa bei den Fügeverfahren für Materialmix-Konzepte.<br />

Edgar Lange<br />

D<br />

er Moderator des<br />

Stahldialoges, Dipl.-<br />

Ing. Hubert Zajicek,<br />

Mitglied des Vorstandes<br />

der voestalpine<br />

Stahl GmbH, Linz/Österreich,<br />

betonte eingangs, dass nur<br />

Stahl effektiv in der Lage sei, den<br />

Leichtbau kostengünstig darzustellen.<br />

Stahl sei zudem als einziger<br />

Werkstoff zu 100 % recyclingfähig<br />

und ermögliche eine positive Symbiose<br />

beim Leichtbau-Materialmix<br />

etwa mit CFK/GFK und Aluminium.<br />

Neue Flacherzeugnisse<br />

verringern<br />

Fahrzeuggewicht<br />

Nico Langerak, Department Manager<br />

bei Tata Steel Research,<br />

IJmuiden/Niederlande, berichtete<br />

über die Neuentwicklung von<br />

Flacherzeugnissen für automobile<br />

Anwendungen. Diese stünden heute<br />

stets im Spannungsverhältnis<br />

zwischen Gewicht, Leistung und<br />

Wirtschaftlichkeit. „Aufgabe der<br />

Stahlindustrie ist es, diese Anforderungen<br />

zusammenzubringen“,<br />

so Langerak. Dies gelinge nur mit<br />

neuen Produkten und Langerak<br />

führte als Lösungsbeispiele die<br />

kalt umgeformten Dualphasenstähle<br />

mit verbesserter Umform-<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Hochfeste Stahlsorten mit guter<br />

Umformbarkeit ermöglichen innovative<br />

Leichtbaulösungen im Automobilbau<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 61


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Werkstoffliche Leichtbaulösungen mit Stahl<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Moderator Hubert Zajicek stellte klar, dass nur Stahl effektiv<br />

in der Lage sei, den Leichtbau kostengünstig darzustellen<br />

Stahlexperte Nico Langerak stellte neu entwickelte Flacherzeugnisse<br />

von Tata Steel für automobile Anwendungen vor<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

barkeit (DP800 bis 1200 Hyper-<br />

Form) an, etwa für den Einsatz<br />

in Automobilrohkarosserien. Mit<br />

diesen fielen die Gesamtbetriebskosten<br />

gegenüber gängigen HSLAoder<br />

TRIP-Stählen günstiger aus.<br />

HyperForm verfüge über eine um<br />

4 bis 5 % höhere Dehnung gegenüber<br />

konventionellen Dualphasenstählen.<br />

Für die Nutzung<br />

habe Tata Steel aktuell alleine 35<br />

Strukturteile im Automobil identifiziert.<br />

So biete ein deformierbares<br />

Frontaufprallelement mit 160 MPa<br />

deutlich höhere Festigkeiten als<br />

ein klassisches DP800-Bauteil,<br />

was sich entsprechend in 17 %<br />

Gewichtseinsparung umsetzen<br />

ließe. Beim C-Segment einer Automobilkarosserie<br />

mit insgesamt 18<br />

Teilen aus HyperForm machten die<br />

Gewichtseinsparungen immerhin<br />

rd. 6 kg aus.<br />

Weiterhin stellte Langerak<br />

verbesserte Zink-Magnesium-Beschichtungen<br />

für Automobilaußenbleche<br />

vor. „Magizinc auto“<br />

erhöhe den Korrosionsschutz gegenüber<br />

klassischer Feuerverzinkung<br />

um 200 %. Somit ließe sich<br />

die Lebensdauer erhöhen oder aber<br />

die Dicke entsprechend reduzieren.<br />

Einsatzgebiete sieht Langerak<br />

etwa bei Heckklappen, Türen oder<br />

Motorhauben. Zweiter angenehmer<br />

Nebeneffekt der ZM-Beschichtung<br />

sei das verbesserte Verhalten<br />

in den Pressen: nämlich eine gute<br />

Formbarkeit, und vor allem sinke<br />

die Verschmutzung und Abnutzung<br />

der Pressen und damit deren<br />

Ausfallzeiten. Die Effizienz<br />

im Presswerk steige. Dies alles<br />

zusammen führe zu 15 % geringeren<br />

Teilekosten.<br />

Als drittes neues Flacherzeugnis<br />

führte Langerak Tatas neue XPF-Familie<br />

an: Ein warmgewalzter Stahl<br />

mit einer einphasigen Ferrit-Mikrostruktur<br />

und einer nanopartikelverstärkten<br />

Matrix, was zur<br />

verbesserten Balance zwischen<br />

der Dehnung im Grundwerkstoff<br />

und der Kantendehnung führe.<br />

Gerade bei Frontchassisrahmen<br />

bzw. Federungen gehe es bei den<br />

verwendeten hochfesten Mehrphasenstählen<br />

auch um Ermüdungsbrüche<br />

etwa durch Lochaufweitungen<br />

und Kantenrisse. Hier schneide<br />

XPF besser ab als die gängigen<br />

CP- oder DP-Stähle und dies bei<br />

vergleichbarer Schweißbarkeit.<br />

Fallstudien zeigten überdies 10 %<br />

Gewichtseinsparungspotenzial<br />

gegenüber gängigen warmgewalzten<br />

AHSS-Typen für Chassisanwendungen<br />

bei vergleichbarer<br />

Steifigkeit.<br />

Lufthärtende Bainit-Stähle<br />

haben Zukunft<br />

„Neue bainitische Langprodukte<br />

− Sackgasse oder Erfolgsgeschichte?“<br />

war das Thema von Dr. sc. nat.<br />

Hans Roelofs. Der R&D-Manager<br />

der Swiss Steel AG, Emmenbrücke/Schweiz,<br />

trat dem Eindruck<br />

entgegen, auf diesem Gebiet gebe<br />

„Innovative<br />

Flacherzeugnisse<br />

können die<br />

Anforderungen an<br />

Gewicht, Leistung<br />

und Kosten im<br />

Automobilbau<br />

zusammenbringen“<br />

Nico Langerak, Tata Steel Research<br />

es eigentlich schon alle Werkstofflösungen.<br />

Aktuell arbeite man an<br />

Weiterentwicklungen mit dem<br />

Ziel, die Kosten weiter zu reduzieren.<br />

Dazu zählten etwa lufthärtende<br />

bainitische Stahlsorten, bei<br />

denen sich nicht nur die Wärmebehandlung<br />

erübrige und die<br />

damit Energie eingespart werde.<br />

Hinzu komme, dass gleichzeitig<br />

der Anteil an teuren Legierungselementen<br />

wie Nickel und Molybdän<br />

deutlich reduziert werde. Im<br />

Ergebnis verbesserten sich zudem<br />

Duktilität, Dehngrenzen und Kerbschlagzähigkeit<br />

gegenüber den<br />

Konkurrenzprodukten AFP-Stahl<br />

oder z. B. 34CrNiMo8.<br />

Je nach Abkühlkurve bildeten<br />

sich verschiedene Bainit-Morphologien<br />

aus. Bei der vorteilhaften<br />

Luftkühlung bekomme Bainit<br />

ein eigenschaftsgebendes Gefügegemisch.<br />

Die Frage aus dem<br />

Auditorium nach der Möglichkeit<br />

zur Restwärmenutzung aus<br />

vorhergehenden Prozessschritten<br />

beantwortete Roelofs damit,<br />

dass es durchaus auch möglich<br />

sei, etwa Schmiedebauteile im<br />

Ofen isotherm zu halten, dort ein<br />

gleichmäßigeres bainitisches Gefüge<br />

mittels Restwärme ausbilden zu<br />

lassen und anschließend an Luft<br />

weiter abzukühlen.<br />

Als Anwendungsbeispiele für<br />

bainitische Produkte führte Roelofs<br />

einen kaltmassiv umgeformten<br />

62<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


7MnB8-Stahl für Verbindungselemente<br />

an, wie etwa für Leichtbaumuttern<br />

mit 30 % Gewichtseinsparung<br />

von der Fa. Hewi, die bei<br />

Querlenkern/Radaufhängungen<br />

zum Einsatz kommen. Zudem wurde<br />

ein geschmiedeter Diesel-Commonrail<br />

von Ascometal mit 30 % höherer<br />

Langzeitfestigkeit gegenüber<br />

AFP-Stählen gezeigt. Bei Langstählen<br />

wie z. B. aus 23MnCrSiMoS6-5<br />

belegten laut Roelofs Fallstudien,<br />

dass im Optimalfall bis zu 85 %<br />

weniger Herstellungskosten durch<br />

reduzierte nachgelagerte Prozesse<br />

wie der Wärmebehandlung zu realisieren<br />

sind.<br />

Aktueller Stand der Technik bei<br />

bainitischen Langprodukten sei allerdings<br />

auch, dass durch Luftabkühlung<br />

bei dicken Produkten das<br />

Gefüge immer grobkörniger werde<br />

und Dehngrenzen sowie Kerbschlagszähigkeit<br />

abnähmen. Eine<br />

praktische Grenze sehe Roelofs bei<br />

Dicken von 80 bis max. 200 mm:<br />

„Jede Stahlsorte hat eben ihr Limit,<br />

daher sind bainitische Langproduktanwendungen<br />

begrenzt!“<br />

Trotzdem gingen in Europa schon<br />

15 000 t/a in die Nutzung – überwiegend<br />

im Automobilbereich.<br />

Weitere Gründe dafür seien bessere<br />

Spanbarkeit und eine bessere<br />

Ermüdungsfestigkeit. Auch eine<br />

Werkstoffstandardisierung sei<br />

derzeit in Arbeit. Vor dem Hintergrund<br />

sinkender Emissionsvorgaben<br />

(Energie und CO 2<br />

) sehe Roelofs<br />

für die lufthärtenden Bainit-Stähle<br />

eine gute Zukunft.<br />

Fügetechnik folgt<br />

Materialentwicklung<br />

„Werkstoffliche Materialmix-Leichtbaulösungen<br />

mit Stahl – artverschieden<br />

und doch verbunden.“<br />

Damit setzte sich beim Stahldialog<br />

Dr.-Ing. Dominik Teutenberg vom<br />

Laboratorium für Werkstoff- und<br />

Fügetechnik (LWF) der Universität<br />

Paderborn auseinander. Der Tatsache,<br />

bis 2020 Flottenwerte von<br />

95 g CO 2<br />

/km erreichen zu müssen,<br />

verbunden mit einer Reduktion des<br />

Fahrzeuggewichtes und der Emissionen,<br />

begegneten die Automobilhersteller<br />

mit stahlintensiven<br />

Mischbaukonzepten im Leichtbau.<br />

„Fahrzeuge der Zukunft werden intelligente<br />

Kombinationen verschiedener<br />

Werkstoffe beinhalten“, war<br />

Teutenberg überzeugt. Dies erfordere<br />

den richtigen Werkstoff an der<br />

richtigen Stelle. Die verschiedenen<br />

Bereiche einer Fahrzeugstruktur<br />

„Vor dem Hintergrund<br />

sinkender<br />

Emissionsvorgaben<br />

(Energie und CO 2<br />

)<br />

haben lufthärtende<br />

Bainit-Stähle gute Zukunftsperspektiven“<br />

Dr. sc. nat. Hans Roelofs,<br />

Swiss Steel AG<br />

unterlägen unterschiedlichen<br />

Anforderungen und Belastungen,<br />

sodass beanspruchungsgerechte<br />

Leichtbaukonstruktionen aus artverschiedenen<br />

Werkstoffen zur<br />

Realisierung der Ziele in Frage<br />

kämen. Herausforderungen lägen<br />

laut Teutenberg dabei in der unterschiedlichen<br />

Wärmeausdehnung,<br />

nur einseitigen Fügemöglichkeiten<br />

sowie der Vermeidung von Kontaktkorrosion<br />

des Materialmixes.<br />

Für die erfolgreiche und wirtschaftliche<br />

Umsetzung einer effizienten<br />

Mischbauweise sei aber die Verfügbarkeit<br />

geeigneter Fügetechnologien<br />

unerlässlich. „Die Fügetechnik<br />

folgt hier der Materialentwicklung“,<br />

brachte es Teutenberg auf<br />

den Punkt und nannte als Beispiel<br />

eine Injektionsmethode beim Carbon-Core<br />

des 7er BMW G11.<br />

Der Experte präsentierte exemplarisch<br />

einige wesentliche der ungefähr<br />

ein Dutzend Fügeverfahren,<br />

die zur Verbindung artverschiedener<br />

Leichtbauwerkstoffe im stahlintensiven<br />

Mischbau moderner Karosseriestrukturen<br />

dienen: So etwa<br />

das Halbhohlstanznieten, das mit<br />

den Arbeitsschritten: Positionieren<br />

− Fixieren − Stanzen − Umformen/<br />

Verspreizen − Zurückfahren ein<br />

weit verbreitetes Fügeverfahren<br />

beim Audi Q7 sei. 2 215 Halbhohlstanznieten<br />

für verschiedene Materialblechdickenkombinationen<br />

kämen hier zum Einsatz und dies<br />

passiere mittels verschiedener, neu<br />

verfügbarer Hilfsfügeteilwerkstoffe<br />

und -formen sowie einer lokalen<br />

Konditionierung im Bereich der<br />

pressgehärteten Stähle. Der Clou:<br />

Eine Wärmebehandlung setze dabei<br />

die gefügebedingte Härte an der<br />

betreffenden Stanzstelle herab, sodass<br />

das Fügen dieser Werkstoffe im<br />

Rahmen des konventionellen Halbhohlstanznietens<br />

möglich werde.<br />

Ein weiteres Fügetechnikbeispiel<br />

waren das Bolzensetzen so-<br />

FuE-Manager Hans Roelofs erläuterte die Potenziale und<br />

Marktchancen für neue bainitische Langprodukte<br />

Fügeexperte Dr. Dominik Teutenberg berichtete über Erfolge<br />

beim stahlintensiven Mischbau<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 63


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Werkstoffliche Leichtbaulösungen mit Stahl<br />

Forscher Rüdiger Heim berichtete über lebensdauer- und<br />

gewichtsorientierte Bemessung von Stahlbauteilen unter<br />

dynamischen Belastungen<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

wie die Nutzung fließlochformender<br />

Schrauben. Letzteres biete sich<br />

etwa bei einseitiger Zugänglichkeit<br />

zur Fügestelle an, wie sie bei steifigkeitsoptimierten<br />

Karosseriekonzepten<br />

mit profilintensiven Konstruktionen<br />

vorkämen. Beim Einsatz<br />

fließlochformender Schrauben<br />

umfasse der Prozess die Schritte<br />

Erwärmen − Durchdringen − Durchzugformen<br />

− Gewindefurchen −<br />

Durchschrauben − Anziehen. Dieser<br />

Prozess komme etwa beim Audi A8<br />

schon rd. 600-mal zum Einsatz. Verfahrensgrenzen<br />

gebe es jedoch bei<br />

höchstfesten Stählen. Zudem erläuterte<br />

Teutenberg das Schneid-Clinchen,<br />

das das vorlochfreie Fügen<br />

von Aluminiumwerkstoffen mit<br />

pressgehärteten Stählen gestatte.<br />

Hierbei werde kein Hilfsfügeteil benötigt,<br />

was die Kosteneffizienz des<br />

Verfahrens steigere. Auch das Widerstandselement-Schweißen<br />

sowie<br />

das Reibelement-Schweißen stellten<br />

innovative thermomechanische Fügeverfahren<br />

dar, die das Spektrum<br />

fügegeeigneter Werkstoffkombinationen<br />

im Bereich der Schweißtechnik<br />

deutlich erweiterten.<br />

Bei intelligenter Kombination<br />

elementarer Fügeverfahren könnten<br />

laut Teutenberg Synergieeffekte<br />

von mechanischen, thermischen<br />

sowie klebtechnischen Fügeverfahren<br />

gewinnbringend genutzt werden.<br />

Hierzu sei die Uni Paderborn<br />

auch mit Verbindungssimulationen<br />

aktiv. „Generell gilt, dass bei<br />

modernen Multimaterialdesigns<br />

im Leichtbau die geeignete Fügetechnik<br />

der Schlüssel zum Erfolg<br />

ist“, schloss Teutenberg.<br />

Schadentoleranzkonzept<br />

verlängert Lebensdauer<br />

„Stahl bietet als<br />

Leichtbauwerkstoff<br />

ausgezeichnete<br />

Lösungsperspektiven“<br />

Dipl.-Ing. Rüdiger Heim,<br />

Fraunhofer-Institut für<br />

Betriebsfestigkeit und<br />

Systemzuverlässigkeit LBF<br />

Mit Lebensdauer- und gewichtsorientierter<br />

Bemessung von<br />

Stahlbauteilen unter dynamischen<br />

Belastungen befasste sich<br />

zum Abschluss des Stahldialogs<br />

Dipl.-Ing. Rüdiger Heim, stellvertretender<br />

Institutsleiter des<br />

Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit<br />

und Systemzuverlässigkeit<br />

(LBF) in Darmstadt. Er<br />

betrachtete zunächst die weltwirtschaftliche<br />

Entwicklung der kommenden<br />

Jahrzehnte und legte dar,<br />

dass sich dadurch bis 2040 die Zahl<br />

der persönlichen Fahrzeuge weltweit<br />

fast verdoppeln werde. Heim<br />

verdeutlichte die ökologischen<br />

Auswirkungen der Gewichtsreduzierung<br />

bei Fahrzeugen anhand<br />

eines Beispiels: Wenn das Gewicht<br />

jedes Fahrzeugs (PKW oder Commercial<br />

Vehicle) um nur 100 kg<br />

reduziert werden würde, könnte<br />

der Energieverbrauch eines einzelnen<br />

Fahrzeuges während dessen<br />

Lebensdauer nur vergleichsweise<br />

gering um ca. 12 GJ abgesenkt<br />

werden. Wegen der global sehr<br />

hohen Anzahl von PKW und CV<br />

sei die Wirkung auf den globalen<br />

CO 2<br />

-Fußabdruck aber außergewöhnlich<br />

groß. „Stahl bietet hier<br />

als Leichtbauwerkstoff ausgezeichnete<br />

Lösungsperspektiven. Dies<br />

gilt vor allem für Complex- und<br />

Dualphasenwerkstoffe, deutlich<br />

besser noch als z. B. bei Aluminium-Konstruktionswerkstoffen“,<br />

so<br />

Heim. Doch gab er zu bedenken,<br />

dass ein leichteres Fahrzeugdesign<br />

für einige dieser Komponenten die<br />

Lebensdauer und das Sicherheitsniveau<br />

beeinträchtigen könne,<br />

wenn es nicht richtig konstruiert<br />

sei. Der Grund: Fahrwerksbauteile<br />

etwa sind höchsten dynamischen<br />

Belastungen mit einer hohen Zahl<br />

an Schwingungsspielen ausgesetzt,<br />

die zu Ermüdungsausfällen führen<br />

könnten. „Stahlwerkstoffe bieten<br />

außergewöhnlich gute Ermüdungseigenschaften<br />

und ein großes<br />

Potenzial für den Leichtbau“,<br />

so Heim. Ein großes Plus seien<br />

die vielfach einstellbaren Eigenschaftsprofile<br />

und die Robustheit<br />

des Werkstoffs, z. B. die im Vergleich<br />

zu anderen Werkstoffen<br />

wesentlich weniger ausgeprägte<br />

Mittelspannungsempfindlichkeit.“<br />

Er empfahl insbesondere für<br />

sicherheitsrelevante Bauteile im<br />

Leichtbau den Einsatz eines dynamischen<br />

Interferenzmodells bei Konstruktion<br />

und Werkstoffauswahl, um<br />

spätere Ausfälle auszuschließen.<br />

Weitere Optimierungspotenziale<br />

ließen sich erschließen, indem bei<br />

der Produktgestaltung und -nutzung<br />

vom Konzept der sicheren<br />

Lebensdauer (Safe-Life-Methode)<br />

übergegangen werde zum Konzept<br />

der Schadenstoleranz. Dazu müssten<br />

entweder Inspektionsintervalle<br />

oder ein kontinuierliches Monitoring<br />

eingesetzt werden, um eine<br />

verbesserte Massenoptimierung<br />

ohne Beeinträchtigung der Betriebssicherheit<br />

zu erreichen. Heim stellte<br />

im Dialog ein interessantes Schadentoleranzkonzept<br />

vor, das bei<br />

Safe-Life am Ende der Lebensdauer<br />

noch reichlich Nutzungspotenzial<br />

biete: So ließen sich belastete<br />

Leichtbau-Fahrwerksbauteile länger<br />

nutzen, wenn hier etwa Sensorknoten<br />

für ein konstantes Monitoring<br />

eingebunden würden, wie sie vom<br />

LBF entwickelt wurden.<br />

Edgar Lange, Fachjournalist,<br />

Düsseldorf.<br />

64<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Technische Aspekte der Digitalisierung in der Stahlindustrie<br />

Think big, start smart —<br />

ganzheitliche Vernetzung<br />

erleichtert Nutzung von Big Data<br />

Das Thema Industrie 4.0 und dessen Potenziale beschäftigen die Stahlindustrie nun bereits<br />

seit einigen Jahren. Industrie 4.0 sollte dabei als ganzheitlicher Ansatz zur funktionalen<br />

Vernetzung von Unternehmensprozessen verstanden werden. Die Anlagen- und<br />

Prozessstrukturen in der Stahlindustrie bieten beste Voraussetzungen für die Umsetzung<br />

von Industrie 4.0 im industriellen Maßstab. Hierbei ist es von Vorteil, dass die zur<br />

Stahlerzeugung und Weiterverarbeitung verwendeten Aggregate und Verfahrensabläufe<br />

bereits gut vernetzt und modelliert sind und sich die Auswertung von Big Data leichter<br />

umsetzen lässt. Inzwischen haben viele Unternehmen den Nutzwert von vernetzten Daten<br />

als große Chance und zwingenden Schritt erkannt und für das eigene Portfolio individuelle<br />

Lösungsansätze definiert. Die innerbetriebliche Umsetzung der Digitalisierung ist spannend<br />

und aufwendig. Bei all der Technik darf man dabei die Unternehmensorganisation nicht<br />

vergessen. Ein weiterer Schritt ist die konsequente Vernetzung mit den Kunden und<br />

Zulieferern. Dabei sollten die gemeinsamen Prozesse funktional und logistisch über<br />

möglichst standardisierte Technologien nahtlos integriert werden.<br />

Ulrich Ratzek<br />

Foto: Salzgitter AG<br />

Industrie 4.0 ist auch weiterhin ein wichtiges Thema in der Stahlindustrie. Vorgestellt wurden erste Beispiele für die betriebliche<br />

Umsetzung der Digitalisierung. Das Bild zeigt eine innovative, schutzhelmintegrierte Datenbrille, das „HelmetGlass“ der Gesis GmbH,<br />

die in einem Schutzhelm integriert ist und Informationen zur Arbeitssicherheit anzeigt<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 65


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Technische Aspekte der Digitalisierung in der Stahlindustrie<br />

Ulrich Grethe, Vorsitzender der Geschäftsführung der<br />

Salzgitter Flachstahl GmbH, moderierte den Stahldialog und<br />

verwies auf die Potenziale und Möglichkeiten, die sich aus<br />

der Nutzung der vernetzten Daten ergeben<br />

B<br />

ereits im Vorjahr fand<br />

der Stahldialog des Ausschusses<br />

für Anlagentechnik<br />

des Stahlinstituts<br />

VDEh zum Thema<br />

Industrie 4.0 großes Interesse.<br />

Anhand ausgewählter Beispiele<br />

aus Forschung, Anlagenbau und<br />

Stahlproduktion wurden in diesem<br />

Jahr Einblicke in die aktuellen Entwicklungen<br />

in der Stahlindustrie<br />

gegeben.<br />

Der Moderator der Stahldialogs,<br />

Dipl.-Ing. Ulrich Grethe, Vorsitzender<br />

der Geschäftsführung, Salzgitter<br />

Flachstahl GmbH, Salzgitter,<br />

verwies auf die Potenziale und<br />

Möglichkeiten, die sich aus der<br />

Nutzung der vernetzten Daten ergeben.<br />

Wesentliche Treiber sind<br />

die digitale Transformation sowie<br />

zunehmende Automatisierung<br />

und Autonomisierung der Fertigung.<br />

Digitalisierung wirkt auf<br />

Strategien, Prozesse, Strukturen<br />

und Produkte gleichermaßen und<br />

wird Unternehmen nachhaltig verändern.<br />

Menschen, Maschinen und<br />

Ressourcen werden zukünftig in<br />

Echtzeit miteinander kommunizieren.<br />

Somit entwickeln sich Wertschöpfungsketten<br />

zu dynamischen<br />

Wertschöpfungsnetzwerken. Aufgrund<br />

ihrer speziellen Eigenheiten<br />

eignet sich die Stahl industrie besonders<br />

für Industrie 4.0.<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Stahl 4.0 — Interpretation<br />

von Industrie 4.0 für die<br />

Stahlindustrie<br />

Dipl.-Ing. Heiko Bode, Bereichsleiter<br />

Geschäftsentwicklung und -betreuung,<br />

Telcat Multicom GmbH,<br />

Salzgitter, und zugleich Vorsitzender<br />

des VDEh-Querschnittsthemas<br />

„Industrie 4.0 in der Stahlindustrie“,<br />

stellte Ergebnisse der Gemeinschaftsarbeit<br />

vor.<br />

Der Begriff „Industrie 4.0“ ist<br />

der seit 2011 in der Öffentlichkeit<br />

verwendete Arbeitstitel eines von<br />

Bundesregierung und Industrie<br />

initialisierten Zukunftsprojekts,<br />

das eine konsequente und allumfassende<br />

Durchdringung der<br />

Produktionstechnik mit Informationstechnologie<br />

über ihre gesamte<br />

Wertschöpfungskette hinweg beinhaltet.<br />

Ziel ist es, intelligente Fabriken<br />

− sogenannte „Smart Factories“<br />

− und ebenso „smarte“ Prozesse zu<br />

schaffen, die sich unter effektivster<br />

Nutzung aller benötigten Ressourcen<br />

extrem flexibel auf individuelle<br />

Kundenwünsche und -anforderungen<br />

anpassen lassen.<br />

Grundlage hierfür bildet die<br />

Verfügbarkeit aller relevanten<br />

Information in Echtzeit durch<br />

die Vernetzung aller an der Wertschöpfung<br />

beteiligten Elemente.<br />

Typische technologische Kennzeichen<br />

von Industrie 4.0 sind unter<br />

anderem cyber-physische Systeme,<br />

das Internet der Dinge und die<br />

durchgängige Vernetzung aller beteiligten<br />

Systeme und Komponenten.<br />

Die Ziffer „4“ aus dem Begriff<br />

„Industrie 4.0“ leitet sich aus dem<br />

Umstand her, dass die Veränderungen,<br />

die durch den massiven und<br />

konsequenten Einsatz von Informationstechnologie<br />

herbeigeführt<br />

werden, die Epoche der vierten<br />

industriellen Revolution einläuten.<br />

So soll auch das Schlagwort<br />

des Vortragstitels „Stahl 4.0“ die<br />

Auswirkungen dieses stark IT-lastigen<br />

Technologiewandels auf die<br />

Stahlindustrie symbolisieren. Denn<br />

spätestens jetzt wird deutlich, dass<br />

IT vom einstigen Mittel zum Zweck<br />

zum Produktivitäts- und somit Erfolgsfaktor<br />

avanciert ist.<br />

Gerade für die Stahlindustrie,<br />

die − bezogen auf ihre eigenen<br />

Endprodukte − eine durchaus hohe<br />

Fertigungstiefe kennzeichnet, ergeben<br />

sich hieraus viele Potenziale<br />

für neue Märkte, höhere Umsätze<br />

sowie geringere Fertigungskosten<br />

und höhere Erträge. Der hohe Automatisierungsgrad,<br />

der insbesondere<br />

auch Kennzeichen der Stahlindustrie<br />

ist, bildet hierfür eine<br />

ideale Grundlage. Im Gegensatz<br />

zur Stückgutfertigung kann zwar<br />

in der der Stahlindustrie eigenen<br />

Fließfertigung kaum die im Kontext<br />

mit Industrie 4.0 regelmäßig<br />

zitierte „Losgröße 1“ erreicht<br />

werden. Dennoch lässt sich der<br />

Grundgedanke, der dahintersteht,<br />

durchaus auch auf die Produktion<br />

von Stahlerzeugnissen adaptieren,<br />

wenn man „eins“ als Synonym für<br />

kleinere Serien interpretiert.<br />

Der Vortrag vermittelte − basierend<br />

auf den gemeinsam erarbeiteten<br />

Erkenntnissen des VDEh-Querschnittsthemas<br />

„Industrie 4.0 in der<br />

„Digitalisierung wirkt auf Strategien,<br />

Prozesse, Strukturen und Produkte<br />

gleichermaßen und wird Unternehmen<br />

nachhaltig verändern“<br />

Dipl.-Ing. Ulrich Grethe, Vorsitzender der Geschäftsführung,<br />

Salzgitter Flachstahl GmbH<br />

Stahlindustrie“ − für die Unternehmen<br />

der Stahlbranche zum einen<br />

Handlungsempfehlungen und<br />

zum anderen Anregungen für die<br />

praktische Umsetzung im Kontext<br />

von Industrie-4.0-Aspekten. Der<br />

Themenkomplex Industrie 4.0 hat<br />

in seiner gesamten Bandbreite mit<br />

seinen vielen Facetten unzählige<br />

Treiber, vor allem jedoch nachfolgend<br />

genannte:<br />

66<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


▷▷<br />

Vernetzung von autonomen,<br />

sensorgestützten und räumlich<br />

verteilten Produktionsressourcen<br />

und der Komponenten<br />

(Antriebe, Maschinen, Roboter,<br />

Förder- und Lagersysteme, Betriebsmittel)<br />

inklusive deren Planungs-<br />

und Steuerungssysteme<br />

mit wirtschaftlichen Daten und<br />

Prozessen (z. B. bei der Auftragsabwicklung);<br />

▷▷<br />

Flexibilisierung und dynamische<br />

Gestaltung von Geschäfts- und<br />

Produktionsprozessen;<br />

▷▷<br />

Optimierte Entscheidungsfindung;<br />

▷▷<br />

Berücksichtigung von individuellen<br />

kunden- bzw. produktspezifischen<br />

Kriterien bei Entwurf,<br />

Konfiguration, Bestellung, Planung,<br />

Produktion, Betrieb und<br />

Recycling;<br />

▷▷<br />

Integration von intelligenten<br />

Produkten, die über das Wissen<br />

ihres Herstellungsprozesses und<br />

künftigen Einsatzes verfügen;<br />

▷▷<br />

Kombination mit öffentlichen<br />

bzw. allgemein zugänglichen<br />

Informationsquellen und -diensten<br />

(z. B. Abruf von im Internet<br />

hinterlegten Produktdaten, Parametrierungs-<br />

bzw. Programmier-Templates<br />

etc.);<br />

▷▷<br />

Effizientere Anwendung genutzter<br />

Ressourcen;<br />

▷▷<br />

Wertschöpfungspotenziale<br />

durch das Ermöglichen neuer<br />

Produkte und Dienstleistungen.<br />

Diese Faktoren, die sicherlich<br />

nicht für jedes Unternehmen in<br />

gleichem Maße Relevanz haben,<br />

sollten jedoch auch jedem Betrieb<br />

der Stahlbranche Anlass genug geben,<br />

das Themenspektrum rund<br />

um Industrie 4.0 entlang der<br />

gesamten Wertschöpfungskette<br />

akribisch zu durchleuchten, um<br />

die eigenen, unternehmensspezifischen<br />

Chancen auszuloten und<br />

nutzbar zu machen.<br />

Eine hohe Motivation zur Umsetzung<br />

von Industrie-4.0-Projekten<br />

sollte nicht im Widerspruch zu Investitionsschutz<br />

und Wirtschaftlichkeit<br />

stehen. Im Gegenteil: Eine<br />

durchdachte, maßvolle und schrittweise<br />

Umsetzung, die vorhandene<br />

Ressourcen und bestehende Strukturen<br />

sinnvoll einbezieht, sichert<br />

sukzessive Erfolge und dauerhafte<br />

Wettbewerbsvorteile.<br />

Umgang mit und Nutzung<br />

von Daten im Zeitalter der<br />

Digitialisierung<br />

„Digitale Daten sind heute allgegenwärtig“,<br />

so das Statement von<br />

Dr. rer. nat. Marcus Neuer, Projektleiter,<br />

VDEh-Betriebsforschungsinstitut<br />

GmbH, Düsseldorf, und<br />

er fragte: Wie muss eine digitale<br />

Infrastruktur beschaffen sein,<br />

die es erlaubt, diese Daten auch<br />

gewinnbringend zu nutzen? Sie<br />

sollte einerseits einen freien Datentransport<br />

zwischen den einzelnen<br />

Produktionsabschnitten<br />

ermöglichen. Nur so wird nämlich<br />

eine Optimierung der Prozesskette<br />

möglich, denn jeder beteiligte<br />

Prozess muss Kenntnis von den<br />

vorherigen Schritten, aber auch<br />

von den nachfolgenden Schritten<br />

haben. Andererseits muss die Infrastruktur<br />

aber zwingend auch die<br />

nötige Sicherheit bieten, dass Daten<br />

nicht durch Fremde mitgelesen<br />

oder gar absichtlich manipuliert<br />

werden können.<br />

All dies sind Mosaikstücke<br />

einer sehr umfassenden Wandlung.<br />

Sie vollzieht sich nicht nur<br />

innerhalb der Industrie, sondern<br />

ebenso in der Gesellschaft. Das<br />

Internet of Things (IoT) wird realen<br />

Gegenständen wie Fahrzeugen,<br />

Produkten, Häusern, aber<br />

auch einzelnen Komponenten<br />

wie Zahnrädern digitale Repräsentanten<br />

zuordnen und diese<br />

vernetzen. Es wird zu einer „Infrastruktur<br />

der Informationsgesellschaft“,<br />

die viele Abläufe des<br />

täglichen Lebens verändert.<br />

Dieser Wandlungsprozess führt<br />

ebenso zu einer neuen industriellen<br />

Ära − Industrie 4.0 −, an deren<br />

Schwelle wir gerade stehen. Sie bedeutet<br />

nichts anderes als die vollständige<br />

Digitalisierung von Produkten<br />

und der Produktionskette.<br />

Die damit verbundene Möglichkeit<br />

einer durchgehenden Vernetzung<br />

von Produktionsaggregaten lässt<br />

„Jedes Unternehmen der Stahlindustrie<br />

sollte das Themenspektrum rund um<br />

Industrie 4.0 entlang der gesamten<br />

Wertschöpfungskette akribisch<br />

durchleuchten, um die eigenen,<br />

unternehmensspezifischen Chancen<br />

auszuloten und nutzbar zu machen“<br />

Dipl.-Ing. Heiko Bode, Telcat Multicom GmbH<br />

neue Möglichkeiten entstehen: Die<br />

Produktion kann werksübergreifend<br />

und ganzheitlich optimiert<br />

werden.<br />

Produkte wie auch Prozesse werden<br />

„intelligent“. Jedem Produkt<br />

Heiko Bode, Vorsitzender des VDEh-Querschnittsthemas<br />

„Industrie 4.0 in der Stahlindustrie“, stellte Schwerpunkte und<br />

Ergebnisse der Gemeinschaftsarbeit zur Digitalisierung vor<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 67


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Technische Aspekte der Digitalisierung in der Stahlindustrie<br />

Datenexperte Dr. Marcus Neuer zeigte anhand von<br />

Praxisbeispielen, wie sich Big Data auswerten und nutzen<br />

lassen<br />

Anlagen- und Prozessentwickler Dr. Markus Reifferscheid<br />

erklärte, welche Möglichkeiten die Digitalisierung in der<br />

Stahlindustrie aus Sicht des Anlagenbaus bietet<br />

und jedem Prozess werden digitale<br />

Repräsentanten zugeordnet. Ein<br />

derart „intelligentes“ Coil wird in einer<br />

Abfolge von dezentral selbstoptimierenden<br />

Produktionsschritten<br />

hergestellt und stellt jedem dieser<br />

Schritte nicht nur seinen aktuellen<br />

Zustand, sondern vor allem seine<br />

Produktionshistorie zur Verfügung.<br />

„Wesentliche Änderungen im<br />

Rahmen der Digitalisierung<br />

werden zuerst die Produktions-,<br />

die Instandhaltungs- und die<br />

Qualitätsprozesse erfassen“<br />

Dr.-Ing. Markus Reifferscheid, SMS group GmbH<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Dieses intelligente Coil und Industrie<br />

4.0 sind längst keine reine<br />

Zukunftsmusik mehr. In den Projekten<br />

der Stahlindustrie wurden<br />

bereits ausgesuchte Aspekte an<br />

konkreten Anwendungsszenarien<br />

erforscht: Serviceorientierte<br />

Ansätze, miniaturisierte Computerbausteine,<br />

intelligente autonome<br />

Softwareprogramme, clevere<br />

Datenstrukturen, werksweite Optimierung<br />

– viele der nötigen<br />

Bausteine, die benötigt werden,<br />

um das ökonomische Potenzial<br />

des digitalen Wandels zu heben,<br />

stehen bereit, um zu Lösungen<br />

kombiniert zu werden.<br />

Digitalisierung in der<br />

Stahlindustrie aus Sicht<br />

des Anlagenbaus<br />

Dr.-Ing. Markus Reifferscheid,<br />

Leiter Entwicklung, SMS group<br />

GmbH, Düsseldorf, bestätigte,<br />

dass das Thema Industrie 4.0<br />

bzw. Digitalisierung scheinbar<br />

alle und jeden seit vielen Monaten<br />

beschäftigt. Alle suchen nach<br />

dem einen Ziel, dabei ist bei der<br />

Digitalisierung nur eine Richtung<br />

vorgegeben und der Weg zur Digitalisierung<br />

ist das eigentliche Ziel.<br />

Ganz nüchtern betrachtet,<br />

geht es für die SMS-Kunden um<br />

die „Smarte Stahlfabrik“, die eine<br />

intelligente, (weitgehend) autonome<br />

Produktion von Stahlprodukten<br />

ermöglicht. Das Ziel ist wohl<br />

bekannt und wird zweifelsfrei seit<br />

vielen Jahrzehnten in der Branche<br />

konsequent verfolgt. Auch ganz<br />

ohne Digitalisierung wird es in<br />

Zukunft vor allem erst mal darum<br />

gehen,<br />

▷▷<br />

den Werkstoff Stahl als zukunftsfähigen<br />

Werkstoff unter<br />

den gegebenen rechtlichen und<br />

finanziellen Rahmenbedingungen<br />

am Markt zu halten, d. h. die<br />

Werkstoff- und Produktentwicklung<br />

konsequent fortzuführen;<br />

▷▷<br />

die Kundenbedürfnisse zu erkennen<br />

und zu flexiblen, d. h. unter<br />

variierenden Randbedingungen<br />

bestmöglich zu befriedigen;<br />

▷▷<br />

schlanke Prozesse und Kostenstrukturen<br />

bei gleichzeitiger<br />

Schonung von Ressourcen und<br />

der Einhaltung von Umweltund<br />

Rechtsstandards sind unerlässlich.<br />

Erst in diesem Zusammenhang erhält<br />

der Begriff „Digitalisierung“<br />

seine Bedeutung. Digitalisierung<br />

ist kein Selbstzweck. Es geht daher<br />

vielmehr um die Beantwortung der<br />

Frage: „An welcher Stelle kann uns<br />

die Digitalisierung helfen, die genannten<br />

Ziele besser zu erreichen?“<br />

Was ist also Industrie 4.0 bzw.<br />

Digitalisierung? Es kann als ein<br />

Prozess definiert werden:<br />

▷▷<br />

Es ist der aktuelle Trend hin<br />

zu Digitalisierung, Automation<br />

und offenem Datenaustausch<br />

und Datenzugang in den Prozessen<br />

der produzierenden Unternehmen;<br />

▷▷<br />

Das Streben nach dem Erreichen<br />

einer starken kundenorientierten<br />

Produktion von<br />

individuellen Produkten unter<br />

den Bedingungen einer Massenfertigung;<br />

▷▷<br />

Das Verbessern der Automationssysteme<br />

durch die<br />

Einführung von Datenanalysemethoden<br />

in Richtung<br />

Selbstoptimierung, Selbstkonfiguration,<br />

Selbstdiagnose, Mustererkennung<br />

und intelligenter,<br />

unterstützender Systeme für die<br />

Mitarbeiter in den Werken;<br />

▷▷<br />

Am Ende des Prozesses steht die<br />

gleichberechtigte, kollaborative<br />

Zusammenarbeit zwischen<br />

Mensch und cyber-physischen<br />

Systemen.<br />

Das Thema Digitalisierung / Industrie<br />

4.0 geht alle an. SMS group<br />

sieht die Vorgänge eher als Evolution<br />

denn als Revolution. Einige Änderungen<br />

stellen heutige Systemlösungen<br />

und Business-Modelle<br />

infrage. Das gilt sowohl für die SMS<br />

group als Anlagenbauer als auch<br />

für die Stahlhersteller. Das Unternehmen<br />

erwartet, dass die ersten<br />

Änderungen in den Bereichen der<br />

Produktion, der Instandhaltungsprozesse<br />

und der Qualitätssicherungsprozesse<br />

stattfinden. Die<br />

wesentlichen Enabler, die diese<br />

Änderungen hervorrufen, sind Big<br />

Data Analytics, eingebettete Systeme,<br />

digitale Serviceplattformen<br />

sowie die Fähigkeit, mobile Vernet-<br />

68<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


zung in den Werken zu realisieren<br />

und die Leistungsfähigkeit von<br />

Cloud Computing. Starten, nicht<br />

Warten, heißt die Devise.<br />

Als die SMS group begonnen<br />

hat, sich mit dem Thema intensiver<br />

auseinanderzusetzen, hat man<br />

festgestellt, dass an der einen oder<br />

anderen Stelle eigentlich schon Industrie<br />

4.0 in die eigenen Prozesse<br />

Einzug gehalten hatte, ohne dass<br />

man diese unter diesem Namen<br />

adressiert hatte.<br />

Zwei interne Anwendungsbeispiele<br />

aus der Vergangenheit belegen<br />

dies. Seit mehr als 15 Jahren<br />

setzt SMS auf die sogenannte digitale<br />

Werkstatt, in der das Unternehmen<br />

seine 3-D-CAD-Konstruktionen<br />

und Engineeringleistungen virtuell<br />

überprüft. Seit vielen Jahren<br />

kommt der Integrationstest der<br />

Automation zur Anwendung, wo<br />

man die Anlagengeometrie mit<br />

den Automationslösungen und<br />

den Hardwarekomponenten gemeinsam<br />

testet. Dies verkürzt die<br />

Hochlaufkurven der Anlagen mit<br />

dem Ziel einer stabilen Produktion<br />

und einer guten Produktqualität<br />

von Anfang an.<br />

Wo wird Industrie 4.0 Prozesse<br />

bei SMS-Kunden verändern? Das<br />

reicht von der Supply Chain über<br />

den Vertrieb, über die IT-Umgebung<br />

bis hin in die Produktion, in den<br />

Bereich des Qualitätsmanagements<br />

und Procurement. Das heißt, Digitalisierung<br />

betrifft alle Prozesse in<br />

einem Unternehmen und unterwirft<br />

diese einem Transformationsprozess.<br />

Mitarbeiter aus dem Supply<br />

Chain Management erwarten einige<br />

Veränderungen, wünschen<br />

sich Simulationswerkzeuge, um<br />

die Produktion besser planen zu<br />

können, um Produktionsabläufe<br />

oder Energieverbräuche besser vorhersagen<br />

zu können. Sie erwarten<br />

kooperative Logistiklösungen zusammen<br />

mit den Lieferanten von<br />

Ersatzteilen, von Rohstoffen und<br />

Verbrauchsmitteln.<br />

Aus dem Vertrieb kommen<br />

Forderungen nach digitalen Preiswerkzeugen<br />

zur besseren Preisfindung<br />

und Lösungen zu „digitalen<br />

Fingerabdrücken“ von Produkten<br />

und Prozessen zur Dokumentation<br />

gegenüber den Kunden.<br />

Die IT- und Automationsanbieter<br />

und IT-Abteilungen stehen vor<br />

der Herausforderung, die richtigen<br />

„Industrie 4.0 ist ein ganzheitlicher<br />

Ansatz zur funktionalen Vernetzung von<br />

Unternehmensprozessen − es ist ein Weg,<br />

eine Philosophie, ein Paradigma. Denken<br />

Sie groß – starten Sie smart“<br />

Dipl.-Math. Michael Hecht, AG der Dillinger Hüttenwerke<br />

Informationen allen Beteiligten<br />

geeignet auf bereitet, sicher, jederzeit<br />

und am besten noch mobil zugänglich<br />

zu machen. Oft eine echte<br />

Herausforderung bei heterogenen<br />

Anlagen- und Automationslösungen<br />

aus den letzten zwei bis vier<br />

Jahrzehnten.<br />

Die Produktion setzt vor allen<br />

Dingen auf den Einsatz von Big<br />

Data oder Data Analytics, um die<br />

Prozesse insgesamt besser überwachen<br />

und steuern zu können. Die<br />

heute rein physikalisch basierten<br />

Modellansätze werden u. U. durch<br />

datengetriebene Modelle erweitert<br />

oder sogar ersetzt. Als Anlagenbauer<br />

sieht die SMS group, dass sich der<br />

Trend hin zu Predictive Maintenance-<br />

und Servicelösungen für Kernkomponenten<br />

beschleunigen wird.<br />

Im Vordergrund stehen beim<br />

Qualitätsmanagement die prozessstufenübergreifende<br />

Sicherstellung<br />

und Verfolgung der Produkte, der<br />

Anlagen und Prozesse. Zudem sollen<br />

die Verbräuche von Medien<br />

und Einsatzstoffen transparent gestaltet<br />

werden. Qualitätsrelevante<br />

Entscheidungen müssen frühzeitig<br />

im Prozess eingeleitet werden, um<br />

die Verarbeitungstiefe bei potenziellen<br />

Abweichungen gering zu halten<br />

oder frühzeitig Prozessabweichungen<br />

entgegenzusteuern.<br />

Ortsaufgelöstes Verfolgen von<br />

Produkten und Komponenten,<br />

aber auch von Mitarbeitern zu<br />

Sicherheitszwecken werden an<br />

Bedeutung gewinnen. Im Bereich<br />

Procurement hat die SMS group<br />

erste Warehousing-Konzepte realisiert,<br />

d. h., SMS übernimmt die Ersatzteilehaltung<br />

für den Kunden als<br />

Dienstleistung. Skaleneffekte über<br />

das Poolen von Ersatzteilportfolien<br />

eröffnen Kostensenkungspotenziale.<br />

Als Anlagenbauer erwartet das<br />

Unternehmen, dass wesentliche<br />

Änderungen im Rahmen der Digitalisierung<br />

zuerst die Produktions-,<br />

die Instandhaltungs- und die Qualitätsprozesse<br />

erfassen wird.<br />

Es wurden einige Lösungen<br />

vorgestellt, die die SMS group mit<br />

und bei diversen Kunden umgesetzt<br />

hat:<br />

▷▷<br />

Vorausschauende Instandhaltungslösung<br />

für den Einsatz in<br />

einer intelligenten Spindel in<br />

einem Warmwalzwerk;<br />

▷▷<br />

Echtzeiterfassung der Logistik<br />

des Pfannenumlaufs in einem<br />

Stahlwerk inkl. Neuzustellung,<br />

Heizen, Einsatzzeiten mit Stahlkontakt,<br />

Transportvorgänge;<br />

▷▷<br />

Softwarelösung zur Datenerfassung<br />

und -auswertung, um Dateninhalte<br />

transparent, intuitiv<br />

Mathematiker Michael Hecht erläuterte betriebliche<br />

Industrie-4.0-Anwendungen bei Dillinger<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 69


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Technische Aspekte der Digitalisierung in der Stahlindustrie<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Die beiden Anlagenplaner Dr. Gerald Wimmer (oben) und<br />

Dr. Martin Egger (unten) präsentierten Lösungen für die<br />

Digitalisierung im Schmelzbetrieb<br />

und aktuell zugänglich zu machen<br />

und den Bedienern Qualitätsentscheidungen<br />

in Echtzeit<br />

zu ermöglichen;<br />

▷▷<br />

Lösung zum schnellen und<br />

sicheren Identifizieren von<br />

Ersatzteilen und Zugriff auf<br />

Datenblätter, Wartungs- und Betriebsanweisungen<br />

sowie für die<br />

schnelle Ersatzteilbeschaffung.<br />

Industrie 4.0 —<br />

Der Dillinger Weg<br />

Dipl.-Math. Michael Hecht, Fachverantwortlicher<br />

für Industrie<br />

4.0 und Digitalisierung, AG der<br />

Dillinger Hüttenwerke, Dillingen,<br />

stellte die in seinem Unternehmen<br />

umgesetzten Industrie-4.0-Lösungen<br />

vor.<br />

Der Begriff Industrie 4.0 ist nun<br />

schon seit mehreren Jahren medial<br />

allgegenwärtig. Speziell in den<br />

Jahren 2015 und <strong>2016</strong> wurde in der<br />

deutschen Industrie der Übergang<br />

von vorsichtiger, beobachtender<br />

Zurückhaltung zu ersten konkreten<br />

Umsetzungsmaßnahmen<br />

vollzogen. Ein Großteil der präsentierten<br />

Industrie-4.0-Beispiele<br />

kam dabei aus dem Maschinenbau<br />

sowie aus der Fertigungsindustrie.<br />

Das heißt aber keinesfalls, dass<br />

Industrie 4.0 in der Prozess- bzw.<br />

Grundstoff- und damit auch der<br />

Stahlindustrie nur teilweise oder<br />

unvollständig anwendbar ist. Vielmehr<br />

bedarf es einer geeigneten<br />

Erweiterung der Interpretation<br />

verschiedener Kernaspekte, um<br />

deren volles Potenzial auch in<br />

der Stahlindustrie ausschöpfen zu<br />

können. Dass es sich bei Industrie<br />

4.0 nicht um einen vorübergehenden<br />

Hype handelt, den man<br />

gefahrlos aussitzen kann, zeigen<br />

die inzwischen in konkurrierenden<br />

Wirtschaftsräumen gestarteten<br />

Initiativen wie das Industrial<br />

Internet Consortium (USA), die<br />

Industrial Value Chain Initiative<br />

(Japan) oder „Made in China 2025“.<br />

Dillinger hat bereits im Jahr<br />

2015 damit begonnen, die Anwendbarkeit<br />

verschiedener Industrie-4.0-Konzepte<br />

auf seine Prozesse<br />

zu analysieren. Daraus entstand<br />

das unternehmensinterne „Dillinger<br />

Handbuch Industrie 4.0“, das<br />

Erklärungen und Interpretationen<br />

sowie eine Umsetzungsstrategie<br />

bereitstellt. Als Europas führender<br />

Grobblechhersteller kann Dillinger<br />

auf eine umfassend ausgebaute<br />

Automatisierungs- und Digitalisierungslandschaft<br />

− also optimale<br />

Startbedingungen − zurückgreifen.<br />

Frühzeitig war klar, dass bereits<br />

zahlreiche Industrie-4.0-konforme<br />

bzw. -teilkonforme Vernetzungslösungen<br />

im Unternehmen verfügbar<br />

sind. Diese wurden auch<br />

ohne die Berücksichtigung der<br />

durch den Begriff Industrie 4.0<br />

definierten Philosophie umgesetzt.<br />

Die neue, mit Industrie 4.0<br />

verbundene Denkweise zeigte allerdings,<br />

dass in einigen Bereichen<br />

ein koordiniertes, systematisches<br />

Vorgehen zusätzliche Potenziale<br />

ausschöpfen kann. Dabei ist es keineswegs<br />

notwendig oder sinnvoll,<br />

ausschließlich komplexe und kostenintensive<br />

Einzelprojekte umzusetzen.<br />

Vielmehr kann auch die<br />

Summe einzelner, „evolutionärer“,<br />

Industrie-4.0-konformer Maßnahmen<br />

die Prozessintegration deutlich<br />

erhöhen und harmonisieren.<br />

Mögliche Ansätze umfassen<br />

z. B. den Ausbau und die Standardisierung<br />

von Vernetzungslösungen,<br />

sowohl technisch als auch<br />

funktional, d. h. bezüglich der<br />

Inhalte und der Interaktion der<br />

beteiligten Prozesse. Hierzu müssen<br />

neue oder bereits vorhandene<br />

Industrie-4.0-konforme Lösungen<br />

als Best Practice auch in weniger<br />

umfassend vernetzte Prozesse integriert<br />

werden.<br />

Ein weiterer Schritt ist die<br />

konsequente Vernetzung mit<br />

Kunden. Es ist im ureigensten<br />

Interesse von Dillinger, so eng<br />

wie möglich an den Kunden und<br />

ihren Projekten zu agieren. Dabei<br />

sollten die gemeinsamen Prozesse<br />

funktional und logistisch über<br />

möglichst standardisierte Technologien<br />

nahtlos integriert werden.<br />

Gleiches gilt für die Prozessintegration<br />

mit Zulieferern. Als weiteres<br />

Beispiel sei die durchgängige<br />

Verwendung von Datenmodellen<br />

genannt.<br />

Erfahrene Metallurgen wissen,<br />

dass ein physikalisches Modell<br />

mit integriertem Prozesswissen<br />

im Zweifelsfall immer zu bevorzugen<br />

ist. Die massive Bereitstellung<br />

von im Prozess erfassten, heterogenen<br />

Daten (Big Data) macht<br />

es aber immer schwerer, adäquate<br />

und wissenschaftlich fundierte<br />

Modelle zu entwickeln. Hier können<br />

Datenmodelle − zumindest<br />

vorübergehend − Abhilfe schaffen.<br />

Ein tiefes Prozessverständnis<br />

vorausgesetzt, können Modelle<br />

wie z. B. Neuronale Netze (Deep<br />

Learning Netze), Support-Vektor-<br />

Maschinen, Random Forests oder<br />

allgemeiner: datengetriebene Regressions-,<br />

Klassifikations- und<br />

Assoziationsverfahren kurzfristig<br />

eine leistungsfähige Verarbeitung<br />

von Massendaten ermöglichen.<br />

Damit die Transformation<br />

zu einem Industrie-4.0-Unternehmen<br />

mit angemessener Ge-<br />

70<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


schwindigkeit bei vertretbarem<br />

Ressourcen einsatz beginnen<br />

kann, sollten am Anfang im Hinblick<br />

auf Dauer und Ressourcenbedarf<br />

überschaubare Projekte<br />

und Maßnahmen stehen. Hierbei<br />

sollte man sich nicht von zu engen<br />

Industrie-4.0-Konformitätskriterien<br />

verunsichern lassen,<br />

sondern die Konzepte realisieren,<br />

die den Digitalisierungs- und Vernetzungsgrad<br />

erhöhen und den<br />

Prozess unterstützen. Pragmatismus<br />

ist oberstes Gebot. Nach<br />

der Sammlung von ersten praktischen<br />

Erfahrungen können die<br />

Aktivitäten nach Bedarf skaliert<br />

werden. Auch wenn heute noch<br />

nicht zu 100 % offensichtlich<br />

ist, wie groß der Nutzen Industrie-4.0-konformer<br />

Prozesse für<br />

die Stahlindustrie sein wird, ist<br />

dennoch klar, dass die Systematisierung<br />

der funktionalen<br />

Prozessvernetzung die Effizienz<br />

erhöhen, den Ressourcenbedarf<br />

verringern und Prozessrisiken<br />

senken wird.<br />

Referenzprojekte in der<br />

Digitalisierung im<br />

Schmelzbetrieb<br />

Die Stahlindustrie steht weltweit<br />

vor gewaltigen Herausforderungen,<br />

allen voran Überkapazitäten,<br />

Kostendruck, Reduktion von<br />

CO 2<br />

-Emissionen, enorme Marktvolatilitäten<br />

sowie gesellschaftliche<br />

Veränderungen. Eine der Antworten<br />

auf diese Herausforderungen<br />

ist sicher in einer weiteren Optimierung,<br />

Flexibilisierung und<br />

Automatisierung der Stahlerzeugung<br />

zu finden, so Dr.-Ing. Gerald<br />

Wimmer, Vice President Converter<br />

Steelmaking, Primetals Technologies<br />

Austria GmbH, Linz, und Dr.-<br />

Ing. Martin W. Egger, Betriebsingenieur<br />

Tiegelbetrieb, voestalpine<br />

Stahl GmbH, Linz, Österreich, in<br />

ihrem Gemeinschaftsvortrag. Als<br />

einer der Marktführer bei Lösungen<br />

für die Eisen- und Stahlindustrie<br />

hat Primetals Technologies<br />

diesen Trend früh erkannt und<br />

konsequent auf die Entwicklung<br />

von Produkten für die Digitalisierung<br />

der Stahlerzeugung gesetzt<br />

wie im Folgenden an aktuellen<br />

ausgewählten Beispielen gezeigt<br />

wird.<br />

Die Entwicklungen umfassen<br />

unter anderem die Mechanisierung<br />

und Automatisierung<br />

manueller Tätigkeiten, Prozessmodelle<br />

zur Optimierung und<br />

Steuerung der metallurgischen<br />

Prozesse, übergeordnete Systeme<br />

zur Überwachung und Steuerung<br />

der Produktion und der Produktqualität<br />

entlang des gesamten<br />

Produktionsprozesses sowie Monitoringsysteme,<br />

die den Anlagenzustand<br />

überwachen und Wartungsaktivitäten<br />

steuern.<br />

Ziel der weiteren Automatisierung<br />

im Werk ist es zum einen,<br />

das Personal zu entlasten sowie die<br />

Arbeitsbedingungen sicherer zu<br />

machen, und zum anderen, einen<br />

standardisierten und optimierten<br />

Ablauf des Prozesses sicherzustellen.<br />

Ein aktuelles Beispiel dazu ist<br />

die erfolgreiche Implementierung<br />

von Robotern für das Handling der<br />

Sublanzenproben an den drei Konvertern<br />

bei voestalpine Stahl, Linz.<br />

Durch diesen Umbau konnte ein<br />

manuelles Hantieren der Proben<br />

und ein Testen des Messsystems<br />

gänzlich eliminiert und die Verfügbarkeit<br />

auf über 98,5 % gesteigert<br />

werden.<br />

Prozessmodelle für eine Onlineberechnung<br />

der metallurgischen<br />

Prozesse gehören mittlerweile<br />

zum Standard in modernen<br />

Stahlwerken. Im nächsten Entwicklungsschritt<br />

geht es darum,<br />

diese Modelle miteinander zu<br />

verknüpfen, um eine anlagenübergreifende<br />

Optimierung der<br />

Prozesse und der Qualitätssteuerung<br />

zu ermöglichen. Mit der<br />

erfolgreichen Inbetriebnahme<br />

des TPQC (Through-Process-Quality-Control<br />

System) bei einem<br />

Kunden in China ist Primetals<br />

ein weiterer Meilenstein in dieser<br />

Entwicklung gelungen. Dieses<br />

System erlaubt eine durchgängige<br />

Verfolgung der Produktqualität,<br />

erstellt Vorschläge für<br />

Korrekturen in den folgenden<br />

Prozessschritten, falls es zu Abweichungen<br />

kommt, und startet<br />

eine Analyse der Ursachen<br />

der Abweichung, um Korrekturen<br />

für die folgenden Chargen<br />

zu definieren. Im System sind<br />

dazu Regeln definiert, die im<br />

Betrieb laufend erweitert und<br />

angepasst werden können und<br />

es somit ermöglichen, Know-how<br />

aus dem Betrieb zu dokumentieren<br />

und anwendbar zu machen.<br />

Das System wertet zudem eine<br />

Vielzahl von Kennzahlen aus,<br />

um Abweichungen vom idealen<br />

Prozess rechtzeitig zu erkennen<br />

und Korrekturmaßnahmen zu<br />

ergreifen.<br />

Ein weiterer Bereich, der durch<br />

die fortschreitende Digitalisierung<br />

einen Wandel durchlaufen<br />

wird, ist die Wartung und Instandhaltung<br />

der Anlagen. Wurde<br />

früher zum Beispiel der Tausch<br />

von Verschleißkomponenten<br />

nach fixen Zeitintervallen durchgeführt,<br />

so können mittlerweile<br />

Condition Monitoring Systeme<br />

(CMS) den idealen Zeitpunkt,<br />

basierend auf den tatsächlichen,<br />

aktuellen Zuständen der Komponenten,<br />

bestimmen. Primetals<br />

Technologies hat eine eigene<br />

CMS-Plattform entwickelt, die es<br />

erlaubt, eigene Lösungen als auch<br />

Lösungen von anderen Anbietern<br />

über ein System auszuwerten<br />

und zu bedienen. Somit muss in<br />

der Instandhaltung nur ein Tool<br />

bedient werden und der Zustand<br />

der gesamten Anlage kann auf<br />

einen Blick erfasst werden. Ein<br />

aktuelles Anwendungsbeispiel<br />

dazu ist die Überwachung<br />

aller Kernkomponenten eines<br />

Konverters, wobei sogar für die<br />

langsam laufenden Traglager<br />

des Konverters eine zuverlässige<br />

Überwachungslösung gefunden<br />

wurde.<br />

Mit diesen Entwicklungen ist<br />

Primetals Technologies gemeinsam<br />

mit langjährigen Kunden<br />

und Entwicklungspartnern wieder<br />

einen Schritt weiter in der<br />

Digitalisierung der Stahlherstellung<br />

vorangekommen. Einer der<br />

Erfolgsfaktoren dabei ist sicher die<br />

enge Verknüpfung von Prozess,<br />

Equipment und Automation sowie<br />

der langjährigen Erfahrung<br />

im Anlagenbau.<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 71


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Kursbestimmung nach Paris: Wege zu einer nachhaltigen Klimapolitik<br />

Cathrin Hesseler<br />

Klimapolitik —<br />

die Auswirkungen von Paris<br />

Mit dem Klimaschutzabkommen von Paris haben sich 195 Länder verpflichtet, die durch<br />

Treibhausgase verursachte Erderwärmung zu senken. Die Vereinbarung bereitet der<br />

Stahlindustrie Sorgen, weil keine international verbindlichen Ziele festgelegt wurden.<br />

Die Branche fürchtet um ihre Konkurrenzfähigkeit. Sie fordert, dass den effizientesten<br />

Anlagen keine zusätzlichen Kosten durch den Emissionsrechtehandel auferlegt werden<br />

dürfen, um beim Umweltschutz die Wettbewerbsbedingungen nicht weiter zu verzerren.<br />

K<br />

aum ein Thema ist für<br />

die Stahlindustrie so<br />

wichtig wie die Klimapolitik.<br />

Das jedenfalls<br />

fand Dipl.-Ing.<br />

Frank Schulz, Vorsitzender der<br />

Geschäftsführung, ArcelorMittal<br />

Germany Holding GmbH, Hamburg.<br />

„Eine Orientierung an der<br />

Nachhaltigkeit ist für die Stahlindustrie<br />

sowohl Verpflichtung als<br />

auch Anspruch“, sagte Schulz in<br />

seiner Anmoderation des Stahldialogs<br />

„Kursbestimmung nach Paris:<br />

Wege zu einer nachhaltigen Klimapolitik“.<br />

Leider, so Schulz weiter,<br />

würde das in der Diskussion<br />

häufig schlicht verkannt.<br />

Einige Tage nach dem offiziellen<br />

Inkrafttreten des Pariser<br />

Klimaschutzabkommens wolle<br />

der Stahldialog Antworten finden<br />

auf die Frage, wie die Stahlindustrie<br />

zu einer nachhaltigen<br />

Klimapolitik kommen und dabei<br />

wettbewerbsfähig bleiben könne,<br />

sagte Schulz. Und schickte eine<br />

Bemerkung gleich vorweg: „Um<br />

die Verantwortung für den Klimaschutz<br />

wahrnehmen zu können,<br />

brauchen wir die entsprechenden<br />

politischen Rahmenbedingungen.<br />

Und das ist genau unser<br />

Problem. Denn diese sind für uns<br />

noch nicht ausreichend.“<br />

Problem des Abkommens<br />

von Paris sei, dass verbindliche<br />

und vergleichbare Ziele nicht<br />

festgelegt wurden. Von fairen<br />

Wettbewerbsbedingungen für<br />

die Stahlindustrie sei man weit<br />

entfernt, monierte Schulz. Nach<br />

Foto: thyssenkrupp<br />

Wettbewerbsfähigkeit und Investitionsperspektiven der Stahlindustrie hängen in hohem Maße davon ab, dass<br />

in der Klimapolitik gleiche Bedingungen unter den weltweiten Wettbewerbern herrschen<br />

72<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Berechnungen zweier Wissenschaftler<br />

der Universität Cambridge<br />

machten die Emissionen<br />

der weltweiten Stahlindustrie<br />

derzeit etwa 6 % des globalen<br />

CO 2<br />

-Ausstoßes aus. Gemessen<br />

an anderen Stahlregionen, setzten<br />

Stahlunternehmen in Europa<br />

dabei bei der Produktion einer<br />

Tonne Stahl weit weniger Kohlendioxid<br />

frei. Zudem habe die<br />

Branche hier die Emissionen je<br />

Tonne Fertigerzeugnis seit 1990<br />

um 20 % gesenkt, betonte Schulz.<br />

„Wir kommen mehr und mehr<br />

an die Grenzen des technisch<br />

Machbaren“, stellte er fest. Die<br />

Hauptfrage sei, wie die Industrie<br />

den Ausstoß von Klimagasen<br />

weiter verringern könne, ohne<br />

unwirtschaftlich zu produzieren.<br />

Zurzeit habe man darauf noch<br />

keine ausreichenden Antworten.<br />

Die Industrie fordere aber eine<br />

Reform des Emissionsrechtehandels,<br />

um „Luft“ für die langfristige<br />

Forschung an neuen, weniger<br />

belastenden Verfahren zu<br />

bekommen. Das Handelssystem<br />

müsse grundsätzlich überarbeitet<br />

werden, um die Branche nicht<br />

mit unzumutbaren und existenzbedrohenden<br />

Kosten zu belasten,<br />

sagte Schulz.<br />

Kohärenter Klimaschutz<br />

Pauschale Kritik am Emissionsrechtehandel<br />

hielt Dr. Götz Reichert<br />

indessen für unbegründet. Für<br />

den Fachbereichsleiter Umwelt,<br />

Energie, Klima, Verkehr beim Centrum<br />

für Europäische Politik sind<br />

Widersprüche und Verzerrungen<br />

angesichts der vielen Beteiligten<br />

mit ihren unterschiedlichen Interessen<br />

vielmehr programmiert. In<br />

seinem Beitrag „Empfehlungen für<br />

eine kohärente Klimapolitik aus<br />

wissenschaftlicher Perspektive“<br />

nannte er einige dieser Widersprüche.<br />

Problem sei zum Beispiel, dass<br />

die Klimaschutzziele Deutschlands<br />

und Europas nicht aufeinander abgestimmt<br />

seien. So wolle die EU<br />

bis 2020 mindestens 20 und bis<br />

„Von fairen Wettbewerbsbedingungen sind<br />

wir weit entfernt“<br />

Dipl.-Ing. Frank Schulz, Vorsitzender der Geschäftsführung,<br />

ArcelorMittal Germany Holding GmbH<br />

2030 mindestens 40 % der Emissionen<br />

gegenüber 1990 einsparen.<br />

Deutschland hingegen habe sich<br />

bis 2020 eine Reduzierung um<br />

mindestens 40 und bis 2030 sogar<br />

um 55 % zum Ziel gesetzt.<br />

Den Emissionsrechtehandel<br />

hielt Reichert für das wichtigste<br />

Instrument einer kohärenten<br />

Klimapolitik auf europäischer<br />

Ebene, weil nur damit der in der<br />

EU maximal zulässige Gesamtausstoß<br />

an CO 2<br />

jährlich sukzessive<br />

reduziert werden könne. Er<br />

empfahl deshalb, den Handel<br />

als bevorzugtes Instrument einzusetzen.<br />

Der aktuell niedrige<br />

Preis der Emissionszertifikate<br />

ändere nichts an der treffsicheren<br />

Reduktion des CO 2<br />

-Ausstoßes,<br />

betonte Reichert. Andere<br />

Regulierungsmaßnahmen – wie<br />

beispielsweise zur Verringerung<br />

von Emissionen durch Gebäudedämmung<br />

oder im Automobilbereich<br />

– sehe er als weniger<br />

effizient an. Vielmehr sollte der<br />

Emissionsrechtehandel auf andere<br />

Sektoren – wie zum Beispiel<br />

den Verkehr – ausgeweitet<br />

werden. „Im Gegenzug kann<br />

man auf andere nationale oder<br />

internationale Maßnahmen verzichten.“<br />

Diese beeinträchtigten<br />

die Effizienz des Handelssystems<br />

nur, trügen letztlich aber nicht<br />

dazu bei, Emissionen zu reduzieren.<br />

Seine Empfehlung sei<br />

deshalb, bei der aktuellen Reform<br />

wirksame Regelungen zur<br />

Vermeidung von Carbon Leakage<br />

auszugestalten. Um das Risiko<br />

der Verlagerung von Emissionen<br />

aus der Welt zu schaffen, müsste<br />

der Preis für den CO 2<br />

-Ausstoß<br />

weltweit identisch sein. Dann<br />

unterlägen alle Unternehmen<br />

den gleichen Wettbewerbsbedingungen.<br />

Das Abkommen von<br />

Paris biete die Möglichkeit, dass<br />

Staaten ihre Klimaschutzbemühungen<br />

verstärkten und dabei<br />

auch weiter voneinander lernten.<br />

Auch China wolle 2017 ein<br />

landesweites System einführen.<br />

Reichert erachtete es weiterhin<br />

als wichtig, die nationalen Systeme<br />

zu harmonisieren. Dann<br />

trügen alle beteiligten Staaten<br />

zum Klimaschutz bei und wür-<br />

Moderator Frank Schulz, Vorsitzender der Geschäftsführung,<br />

ArcelorMittal Germany Holding, erläuterte die Bedeutung<br />

des Klimaabkommens COP21 für die Stahlindustrie und<br />

verwies auf notwendige Änderungen beim Emissionsrechtehandel,<br />

damit Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft<br />

der Stahlindustrie erhalten bleiben<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

Umweltexperte Dr. Götz Reichert gab aus wissenschaftlicher<br />

Sicht Empfehlungen für eine kohärente Klimapolitik<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 73


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Kursbestimmung nach Paris: Wege zu einer nachhaltigen Klimapolitik<br />

Prof. Dr. Manfred Fischedick analysierte das Abkommen von<br />

Paris und erläuterte den künftigen Handlungsbedarf<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

„Es wäre Quatsch, wenn wir eine Politik<br />

machten, die dazu führt, dass Stahl nur<br />

noch außerhalb Europas produziert würde“<br />

Dr. Peter Liese MdEP, Koordinator EVP-Fraktion<br />

Europaparlamentarier Dr. Peter Liese erklärte die<br />

Europäische Klimapolitik und wie die industrielle<br />

Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden kann<br />

de CO 2<br />

dort reduziert, wo das am<br />

kostengünstigsten möglich sei.<br />

Europäische Klimapolitik<br />

und industrielle<br />

Wettbewerbsfähigkeit<br />

Auch der Koordinator der<br />

EVP-Fraktion für Umweltfragen,<br />

öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit<br />

in Brüssel,<br />

Dr. Peter Liese, hielt es für unverzichtbar,<br />

sich intensiver mit<br />

dem Thema Carbon Leakage zu<br />

befassen. Nach der Wahl Donald<br />

Trumps zum neuen Präsident der<br />

USA sei es unwahrscheinlich geworden,<br />

dass es weltweit gleiche<br />

Rahmenbedingungen geben werde,<br />

sagte er. „Wir müssen unsere<br />

klimaschutzpolitischen Instrumente<br />

in Deutschland und Europa<br />

so ausgestalten, dass es nicht zur<br />

Verlagerung von Arbeitsplätzen<br />

und Wirtschaftskraft kommt“, forderte<br />

Liese. Wichtig sei, die Zuteilung<br />

so zu bemessen, dass die 10 %<br />

modernsten Anlagen die Emissionszertifikate<br />

kostenfrei erhielten.<br />

Dieser Forderung der europäischen<br />

Stahlindustrie würde sich die EVP<br />

zu 100 % anschließen. „Wir brauchen<br />

auf absehbare Zeit den Stahl.<br />

Und deshalb wäre es Quatsch, eine<br />

Politik zu machen, die dazu führt,<br />

dass Stahl nur noch außerhalb Europas<br />

produziert würde“, machte<br />

Liese deutlich.<br />

Den Vertretern der Stahlindustrie<br />

sprach er ein Kompliment<br />

aus. Sie hätten es wie kein anderer<br />

Sektor geschafft, auf Probleme<br />

hinzuweisen. In Gremien<br />

werde bei der Diskussion über<br />

die Gefahr von Arbeitsplatzverlagerungen<br />

die Stahlindustrie<br />

immer an erster Stelle genannt.<br />

Liese zeigte sich überzeugt, dass<br />

der Kommissionsvorschlag zum<br />

Emissionsrechtehandel geändert<br />

werden müsse: Um die Industrie<br />

mit mehr kostenlosen Zertifikaten<br />

auszustatten, will er deren<br />

Menge um 5 % erhöhen. „Der<br />

Ausschuss für Industrie, Forschung<br />

und Energie des Europäischen<br />

Parlaments hat diesen<br />

Vorschlag im Wesentlichen angenommen.<br />

Leider gibt es aber<br />

im federführenden Ausschuss<br />

für Umwelt, Gesundheit, und<br />

Lebensmittelsicherheit dafür im<br />

Moment keine Mehrheit. In den<br />

nächsten Wochen müssen wir<br />

uns deshalb stark anstrengen,<br />

um bis zur Abstimmung Anfang<br />

Dezember eine entsprechende<br />

Mehrheit zu organisieren“, sagte<br />

Liese. Er betonte, dass er die Stahlindustrie<br />

als exponierte Branche<br />

von Kürzungen der kostenlosen<br />

Zertifikate verschonen wolle und<br />

forderte in dem Zusammenhang<br />

eine klare Position der deutschen<br />

Bundesregierung. Dabei solle die<br />

Industrie kompromissbereit sein,<br />

forderte Liese. „Bitte überzieht es<br />

nicht“, wandte er sich an die Teilnehmer<br />

des Stahldialogs. „Wenn<br />

wegen des Drucks aus der Industrie<br />

Deutschland nicht zu einer<br />

klaren Position kommt, ist das<br />

das Schlimmste, was uns passieren<br />

kann. Dann kann ich nicht<br />

verhandeln.“ Weiter drängte er:<br />

„Bitte sagen Sie Ihren Partnern in<br />

der Bundesregierung, dass sie sofort<br />

zu einem Ergebnis kommen<br />

müssen – nächste Woche kann<br />

es schon zu spät sein.“<br />

Die Forderung, den Emissionshandel<br />

auf andere Sektoren auszuweiten,<br />

findet Liese richtig. Dabei<br />

wünscht er sich allerdings mehr<br />

Unterstützung von der Industrie.<br />

„Ich erlebe keinen Aufschrei, dass<br />

der Flugverkehr weniger hart rangenommen<br />

wird.“ Den Hinweis darauf,<br />

dass die Flugindustrie Kunde<br />

der Stahlbranche sei und sie deshalb<br />

„verschont“ werden solle,<br />

hielt Liese für zu kurz gegriffen.<br />

„Ich glaube, es ist auch nicht im<br />

Sinne der Kunden, dass die Stahlindustrie<br />

aus Europa verschwindet“,<br />

beschied er.<br />

Das Abkommen von Paris<br />

und künftiger<br />

Handlungsbedarf<br />

In der Auffassung, die europäische<br />

Stahlindustrie trage mit<br />

ihren Innovationen schon am<br />

74<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Foto: Mourad ben Rhouma<br />

„Stahl ist nicht das Problem, sondern Teil<br />

der Lösung. Wir brauchen ein Abkommen,<br />

das gleiche Bedingungen, gleiche Ziele und<br />

gleiche CO 2<br />

-Preise formuliert. Anders wird<br />

Rechtehandel nicht funktionieren, für uns<br />

zumindest nicht“<br />

Axel Eggert, Generaldirektor Eurofer<br />

meisten zum Klimaschutz bei,<br />

waren die Teilnehmer des Panels<br />

sich einig. Das gelte insbesondere<br />

für die energieintensiven Sektoren<br />

wie die Stahlindustrie, so<br />

Prof. Dr. Manfred Fischedick, Geschäftsführer<br />

des Wuppertal Instituts<br />

für Klima, Umwelt, Energie.<br />

Insgesamt gesehen, gebe es jedoch<br />

weiteres Potenzial. Es bestünden<br />

„jede Menge Handlungsmöglichkeiten“<br />

für die gesamte Industrie.<br />

„Das Ziel der nächsten Dekaden<br />

ist die Dekarbonisierung“, sagte<br />

er in seinem Vortrag in Düsseldorf.<br />

Die Industrie trage weltweit<br />

zu 20 % direkt und zu gut 30 %<br />

indirekt – also über ihren Stromverbrauch<br />

– zu Emissionen bei.<br />

Die Verursacher hätten sich dabei<br />

in den letzten Jahren stark in<br />

Richtung Asien verschoben. Vor<br />

allem China als „Werkbank der<br />

Industrie“ stoße große Mengen an<br />

schädlichen Treibhausgasen aus.<br />

Um dem entgegenzuwirken, hielt<br />

Fischedick einen „Dreiklang“<br />

für notwendig: Energieeffizienz<br />

steigern, Dekarbonisierung von<br />

Strom vorantreiben und den<br />

Anteil an klimaverträglich hergestelltem<br />

Strom erhöhen. Das sei<br />

nicht zu Nullkosten zu machen<br />

und nur mit vereinten Anstrengungen<br />

für länderübergreifenden<br />

technologischen Fortschritt, stellte<br />

er fest.<br />

Der Steigerung der Energieeffizienz<br />

maß er dabei „herausragende<br />

Bedeutung“ bei. Dazu sei<br />

es notwendig, Prozesstechnologien<br />

weiterzuentwickeln und zu<br />

weniger kohlenstoffintensiven,<br />

wie zum Beispiel elektrischen,<br />

Anwendungen zu wechseln.<br />

Fischedick forderte, neue Technologien<br />

sollten das Ziel haben,<br />

mittel- bis langfristig emissionsneutral<br />

zu sein. Daneben hielt<br />

er es für unverzichtbar, die Materialien<br />

effizienter einzusetzen<br />

– zum Beispiel, indem die Kreisläufe<br />

mithilfe von Materialrecycling<br />

und „Re-Use“ von Produkten<br />

stärker geschlossen werden. Auch<br />

„intelligente Produkte“ seien<br />

eine Möglichkeit, da sie weniger<br />

Material bei der Herstellung benötigten<br />

und langlebiger seien.<br />

Produkte sollten nach Ansicht<br />

Fischedicks insgesamt effizienter<br />

eingesetzt werden – Car Sharing<br />

sei dafür ein Beispiel. Daneben<br />

sollte es mehr Industriesymbiose<br />

geben, bei der die Nebenprodukte<br />

und Reststoffe einer Branche<br />

Ausgangsstoff eines anderen Produktionszweigs<br />

seien.<br />

Eurofer fordert<br />

Nachbesserungen<br />

Um solche technischen Neuerungen<br />

entwickeln zu können, forderte<br />

Axel Eggert politische Unterstützung.<br />

Der Generaldirektor<br />

des europäischen Stahlverbandes<br />

Eurofer sieht Nachbesserungsbedarf<br />

am Emissionshandelssystem.<br />

„Natürlich brauchen wir ein globales<br />

System, das alle in die Pflicht<br />

nimmt“, unterstrich er. Auch nach<br />

dem Abkommen von Paris habe<br />

die europäische Stahlindustrie im<br />

internationalen Wettbewerb noch<br />

mit sehr unterschiedlichen Bedingungen<br />

zu kämpfen. „Im Grunde<br />

ist das eine Mogelpackung“, sagte<br />

Eggert und forderte: „Wir brauchen<br />

ein Abkommen, das gleiche<br />

Eurofer-Generaldirektor Axel Eggert forderte zum Abschluss<br />

des Stahldialogs ein Abkommen, das gleiche Bedingungen,<br />

gleiche Ziele und gleiche CO 2<br />

-Preise formuliert<br />

Bedingungen, gleiche Ziele und<br />

gleiche CO 2<br />

-Preise formuliert. Anders<br />

wird der Rechtehandel nicht<br />

funktionieren, für uns zumindest<br />

nicht.“<br />

Natürlich stehe die Stahlindustrie<br />

in der Pflicht, Klimaziele<br />

zu erfüllen. Dabei sei Stahl aber<br />

nicht das Problem, sondern Teil<br />

der Lösung. Denn die Branche<br />

könne nur durch Innovationen<br />

bestehen. Und die Klimaziele seien<br />

ohne die Stahlindustrie nicht<br />

zu erreichen.<br />

Neben der geforderten Unterstützung<br />

für technologische<br />

Weiterentwicklung brauche die<br />

Branche Entlastungen. Die effizientesten<br />

Anlagen dürften nicht<br />

weiter mit Kosten belegt werden.<br />

Zum Schutz vor Carbon Leakage<br />

sollten Benchmarks nicht willkürlich<br />

reduziert werden, das wirke<br />

wie ein zweiter Korrekturfaktor.<br />

Eggert appellierte an die EVP, bei<br />

der Festlegung der Benchmarks<br />

100 % CO 2<br />

anzurechnen. Daneben<br />

setze er sich dafür ein, die Strompreiskompensation<br />

auf europäischer<br />

Ebene zu harmonisieren,<br />

und zwar auf einem Niveau von<br />

mindestens 85 %.<br />

Cathrin Hesseler, Freie Journalistin,<br />

Köln.<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 75


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Industrieakzeptanz – Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand<br />

Karin Hardtke<br />

Stahlindustrie im Wandel —<br />

aber mit Zukunft<br />

Die Industrie steht wie kein anderer Wirtschaftszweig in Deutschland für<br />

Wirtschaftswachstum, Wohlstand, Arbeitsplätze und funktionierende<br />

Wertschöpfungsketten. Aber wie ist es heutzutage um ihre Akzeptanz – und damit<br />

auch um die Stahlindustrie – bestellt? Sind nicht mittlerweile in weiten Teilen der<br />

Bevölkerung eher zurückhaltende oder sogar industriekritische Positionen anzutreffen?<br />

Was können Gründe für diese Entwicklung sein? Und welche Strategien können dem<br />

entgegengesetzt werden?<br />

D<br />

gesellschaftlichen<br />

ie Industrie sei<br />

das Rückgrat für<br />

Wohlstand und<br />

wirtschaftlichen<br />

Erfolg − mit diesen Worten eröffnete<br />

Moderator Prof. Dr.-Ing.<br />

Heinz Jörg Fuhrmann, Vorsitzender<br />

des Vorstandes der Salzgitter<br />

AG, den Stahldialog. Seit einiger<br />

Zeit sei allerdings der Trend in<br />

der Bevölkerung zu beobachten,<br />

dass Industrie − und insbesondere<br />

die Schwerindustrie – deutlich<br />

an Akzeptanz verliere. Unbestritten<br />

sei, dass hohe Energiekosten<br />

insbesondere die Stahlbranche<br />

überproportional belasteten.<br />

Befreiungstatbestände und notwendige<br />

Sonderregelungen für<br />

energieintensive Unternehmen<br />

würden von weiten Teilen der<br />

Bevölkerung allerdings als Bevorzugung<br />

wahrgenommen<br />

und hätten zu einer nicht zielführenden<br />

Neiddebatte geführt.<br />

Fuhrmann kritisierte in diesem<br />

Zusammenhang auch die Medien,<br />

die gelegentlich das erforderliche<br />

Hintergrundwissen vermissen<br />

Foto: thyssenkrupp Steel Europe<br />

Im Stahldialog Industrieakzeptanz wurden Gründe für industriekritische Positionen und Strategien<br />

dagegen diskutiert<br />

76<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


ließen. Veränderungen seien<br />

zwar oftmals von weiten Teilen<br />

der Bevölkerung ausdrücklich<br />

gewünscht − Beispiel Energiewende<br />

−, an den Lasten wolle<br />

man sich dann allerdings nicht<br />

immer beteiligen. Dieser Not-In-<br />

My-Backyard-Effekt sei immer<br />

häufiger festzustellen, so Fuhrmann<br />

weiter. Akzeptanz sei zwar<br />

schwer messbar, aber: „Alles fängt<br />

im Kopf an und alles hängt mit<br />

allem zusammen.“ Fuhrmann<br />

forderte daher einen nachhaltigen<br />

Dialog zwischen Industrie<br />

und Gesellschaft. Industrieakzeptanz<br />

sei ein gesamtgesellschaftlicher<br />

Prozess, der von allen Beteiligten<br />

Parteien betrieben werden<br />

müsse. „Industrie ist gewollt und<br />

kein Übel.“ Herausforderungen<br />

gebe es für die deutsche Stahlindustrie<br />

zuhauf, nicht nur im Inland.<br />

Die weltweite Konkurrenz<br />

umfasse inzwischen das gesamte<br />

Alphabet – von B wie Brasilien<br />

bis U wie Ukraine, schloss Heinz<br />

Jörg Fuhrmann mit einem Schuss<br />

Ironie und übergab das Mikrofon<br />

an den ersten Referenten.<br />

Deutschland ist das<br />

industrielle Kraftwerk<br />

der EU<br />

Dr. Klaus Günter Deutsch, Abteilungsleiter<br />

Research, Industrie-<br />

und Wirtschaftspolitik beim<br />

Bundesverband der Deutschen<br />

Industrie e.V. (BDI), Berlin, wies<br />

zu Beginn seiner Ausführungen<br />

darauf hin, dass die Rolle der<br />

„Deutschland ist<br />

das industrielle<br />

Kraftwerk der EU.<br />

Innovation, Energie<br />

und Digitalisierung<br />

werden in den<br />

kommenden Jahren<br />

die größte Rolle<br />

spielen“<br />

Dr. Klaus Günter Deutsch,<br />

Bundesverband der Deutschen<br />

Industrie e. V. (BDI)<br />

Industrie an der Schaffung von<br />

Wohlstand aktuell weltweit neu<br />

überdacht werde. Die Kernfrage<br />

sei, welche Chancen neue<br />

„Industrie ist gewollt<br />

und kein Übel“<br />

Prof. Dr.-Ing. Heinz Jörg Fuhrmann,<br />

Vorsitzender des Vorstands,<br />

Salzgitter AG<br />

Prof. Dr.-Ing. Heinz Jörg Fuhrmann, Vorsitzender des<br />

Vorstands, Salzgitter AG, moderierte den Stahldialog<br />

Dr. Klaus Günter Deutsch vom Bundesverband der<br />

Deutschen Industrie erläuterte die Bedeutung eines hohen<br />

Industrieanteils für die Volkswirtschaft<br />

Technologien bieten würden.<br />

Insbesondere Deutschland habe<br />

im internationalen Vergleich in<br />

den letzten 20 Jahren eine sehr<br />

untypische Spezialisierung seiner<br />

Industrie hinter sich, die Günter<br />

Deutsch als ungewöhnliche Erfolgsstory<br />

bezeichnete. Die aktuellen<br />

Entwicklungen spielten sich<br />

allerdings vor einem schwachen<br />

weltwirtschaftlichen Hintergrund<br />

ab: „Beim Welthandel sieht es derzeit<br />

nicht gut aus“, sagte Deutsch<br />

und verwies auf Überkapazitäten<br />

und rückläufige Wachstumsraten<br />

in China, den USA und Japan, die<br />

hierzulande auf Preise und Margen<br />

drückten. Das Wachstum des<br />

gesamten weltwirtschaftlichen<br />

Handels habe sich abgeschwächt<br />

und protektionistische Tendenzen<br />

allerorten sorgten für weitere<br />

Verunsicherung. Auch der Abschluss<br />

von Handelsabkommen<br />

werde zunehmend schwierig, wie<br />

TTIP oder CETA gezeigt hätten.<br />

Die weltwirtschaftliche Entwicklung<br />

sei derzeit eher von Dienstleistungen<br />

als von der Industrie<br />

getrieben.<br />

Ein Drittel der deutschen Bruttowertschöpfung<br />

werde von der<br />

Industrie erwirtschaftet, ein Fünftel<br />

aller Beschäftigten seien in diesem<br />

Sektor beschäftigt. Unter den<br />

führenden Industrienationen der<br />

Welt nimmt Deutschland Platz 4<br />

ein. Der Anteil des deutschen<br />

verarbeitenden Gewerbes an der<br />

industriellen Wertschöpfung in<br />

Europa liege bei fast einem Drittel<br />

und damit so hoch wie die drei<br />

folgenden Länder zusammen.<br />

Im Vergleich mit anderen europäischen<br />

Ländern, in denen die<br />

Industrie seit der Finanzkrise bis<br />

heute schwächelt, habe Deutschland<br />

schnell wieder das Vorkrisenniveau<br />

erreicht. „Deutschland<br />

ist zum Hub in Europa geworden.<br />

Wir sind das Produktionszentrum,<br />

mit dem alle anderen verflochten<br />

sind.“ Rund 40 % der<br />

Verflechtungen auf der Zulieferund<br />

Weiterverarbeitungsseite<br />

konzentriere sich um Deutschland<br />

herum. „Deutschland ist das<br />

industrielle Kraftwerk der EU“,<br />

betonte Deutsch. Deutschland<br />

sei auch beim Welthandel eher<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 77


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Industrieakzeptanz – Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand<br />

Direktor und Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des<br />

VDI Dipl.-Wirtsch.-Ing. Ralph Appel verwies auf das Ingenieur-Know-how<br />

für eine leistungsfähige Industrie<br />

Innovationsexperte Dr. Heinrich Schäperkötter<br />

referierte zum Thema Zukunftsorientierung durch<br />

Innovationsmanagement<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

atypisch. Deutsche Unternehmen<br />

hätten es in den vergangenen 15<br />

Jahren geschafft, die Trends im<br />

Welthandel vollumfänglich aufzugreifen,<br />

wohingegen die USA<br />

und Japan zuletzt erheblich eingebüßt<br />

hätten.<br />

Deutschland zähle bekanntermaßen<br />

zu den größten Herkunftsund<br />

Zielländern für Direktinvestitionen.<br />

Doch die Investitionen<br />

schwächelten seit einiger Zeit.<br />

Der Kapitalstock in vielen großen<br />

Branchen stagniere. Das verarbeitende<br />

Gewerbe – und damit<br />

auch die Stahlindustrie – sei allerdings<br />

innovationsorientierter<br />

geworden. Es fließe inzwischen<br />

„Die<br />

Stahlunternehmen<br />

sitzen in der<br />

Wertschöpfungskette<br />

an einem wichtigen<br />

Platz“<br />

Dipl.-Wirtsch.-Ing. Ralph Appel, VDI<br />

Verein Deutscher Ingenieure e. V.<br />

viel Geld in Forschung und Entwicklung.<br />

Die industrielle Wertschöpfung<br />

werde in Deutschland<br />

im Trend innovationsstärker, die<br />

Internationalisierung der Wertschöpfung<br />

halte an. Innovation,<br />

Energie und Digitalisierung<br />

würden in den kommenden Jahren<br />

die größte Rolle spielen, so<br />

Deutsch. Abschließend forderte<br />

er die Wirtschaftspolitik auf, diese<br />

Randbedingungen verstärkt in<br />

den Blick zu nehmen. Der BDI<br />

selbst habe in jüngster Zeit zahlreiche<br />

Aktivitäten, Maßnahmen<br />

und Kooperationen mit Politik<br />

und Sozialpartnern initiiert, um<br />

die Industrieakzeptanz zu erhöhen.<br />

Der Ingenieur: Vom<br />

Spezialisten zum<br />

Innovationsmanager<br />

Anschließend beleuchtete Dipl.-<br />

Wirtsch.-Ing. Ralf Appel das<br />

Thema „Industrieakzeptanz“<br />

aus Sicht des Vereins Deutscher<br />

Ingenieure e. V. (VDI), Düsseldorf.<br />

Appel ist Direktor und<br />

Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied<br />

des 155 000 Mitglieder<br />

umfassenden Verbandes. Der<br />

Verband verstehe sich als „Stimme<br />

der Technik“, so Appel. Nicht<br />

über die Risiken von Technik,<br />

sondern über die Chancen von<br />

Technik müsse man verstärkt<br />

„Die Anforderungen<br />

an die Mobilität<br />

von morgen werden<br />

immer komplexer,<br />

die Lösungen auch“<br />

Dr.-Ing. Heinrich Schäperkötter,<br />

Schaeffler AG<br />

sprechen. Innovationsfähigkeit<br />

sei die wichtigste Schlüsselkompetenz<br />

des 21. Jahrhunderts.<br />

Deutschland sei nun einmal ein<br />

Hochtechnologieland. Innovationsfähigkeit<br />

sei eine der Stärken<br />

und das Kapital von Deutschland<br />

im globalen Wettbewerb. Die<br />

deutsche Stahlindustrie sei strategischer<br />

Faktor und Schlüsselindustrie<br />

zugleich, die sich der<br />

hohen Wettbewerbsintensität<br />

und dem hohen Innovationsdruck<br />

nicht entziehen könne.<br />

„Die Stahlunternehmen sitzen<br />

in der Wertschöpfungskette an<br />

einem wichtigen Platz“, betonte<br />

Appel. „Sie arbeiten stark am<br />

Kunden, aber vielleicht reicht<br />

das allein zukünftig nicht mehr<br />

aus“, gab Appel zu bedenken.<br />

Mit Industrie 4.0 entstünden<br />

neue Geschäftsmodelle und andere<br />

Formen der Interaktion mit<br />

dem Kunden. Im Vergleich zu<br />

vielen angelsächsischen Unternehmen<br />

vermisse er bei Teilen<br />

der deutschen Industrieunternehmen<br />

bisher allerdings den<br />

Mut, auch einmal radikal neue<br />

Wege zu gehen.<br />

Mit Industrie 4.0 werde sich<br />

das Berufsbild des Ingenieurs<br />

langfristig wandeln. Statt Experten<br />

brauche es zukünftig Innovationsmanager,<br />

die gemeinsam an<br />

komplexen Fragestellungen arbeiten<br />

und interdisziplinär denken.<br />

Neben der Vermittlung von<br />

technischen Qualifikationen werde<br />

es also darum gehen, die Studierenden<br />

zusätzlich mit Knowhow<br />

in Bereichen wie Marketing,<br />

Finanzen, IT und allgemeinen<br />

Soft Skills auszustatten. Hier sei<br />

auch ein Umdenken bei Univer-<br />

78<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


sitäten und Fachhochschulen erforderlich<br />

– manche Professoren<br />

sähen diese Notwendigkeit leider<br />

noch nicht. Appel forderte eine<br />

breit angelegte Grundausbildung<br />

mit späterer Spezialisierung.<br />

Derzeit gebe es mehr als 3 300<br />

ingenieurwissenschaftliche Studiengänge<br />

– diese Entwicklung<br />

sei absolut nicht zielführend. Ein<br />

Viertel der Studierenden wisse inzwischen<br />

überhaupt nicht mehr,<br />

dass sie in einem Ingenieurstudiengang<br />

ausgebildet werden. „Ich<br />

will nicht die Berufsbezeichnung<br />

„Dipl.-Ing.“ zurück. Aber ich<br />

möchte Klarheit darüber, was<br />

unter einem Ingenieur zu verstehen<br />

ist.“ Wenig zielführend<br />

sei weiterhin die Konkurrenz<br />

zwischen Fachhochschulen und<br />

Universitäten, was den Anspruch<br />

auf Wissenschaftlichkeit betrifft.<br />

Zum Schluss appellierte der Vertreter<br />

des VDI an die Zuhörer,<br />

sich verstärkt einzubringen, damit<br />

eine breite Grundausbildung<br />

gewährleistet und der Ingenieur<br />

auch in Zukunft als solcher zu<br />

erkennen sei. Ein Studium allein<br />

werde zukünftig jedoch nicht<br />

ausreichen, um die technologischen<br />

Herausforderungen zu<br />

meistern. Lebenslanges Lernen<br />

werde zum Standard werden.<br />

Hier seien insbesondere die Unternehmen<br />

gefordert, indem sie<br />

kontinuierlich in die Weiterbildung<br />

ihrer Mitarbeiter investierten.<br />

Dr.-Ing. Heinrich Schäperkötter<br />

von der Schaeffler AG in Herzogenaurach<br />

erläuterte im Anschluss,<br />

was ein erfolgreiches Innovationsmanagement<br />

aus seiner Sicht<br />

ausmacht. Dr. Schäperkötter leitet<br />

den Bereich Innovationsstrategie,<br />

Innovationsmanagement und<br />

Forschungsförderung. „Bereiten<br />

wir die richtigen Dinge vor, damit<br />

wir morgen das Richtige tun können?“,<br />

fragte er zu Beginn in die<br />

Runde. Jedes Unternehmen wolle<br />

nachhaltig und profitabel wachsen.<br />

Die Kunst und die Herausforderung<br />

sei es allerdings, aus den<br />

möglichen Strategien „Mit dem<br />

Markt wachsen“, „Optimierung<br />

der Wertschöpfungskette“, „Mit<br />

bestehenden Produkten neue<br />

Branchen und Regionen erreichen“<br />

oder „Völlig neue unternehmerische<br />

Wege gehen“ ein ausgewogenes<br />

Maßnahmen-Portfolio<br />

zu entwickeln und dann in der<br />

Konsequenz bewusste Entscheidungen<br />

zu treffen. Langfristiges<br />

Unternehmensziel müsse es sein,<br />

von einer reinen Effizienzkultur<br />

zu einer gelebten Innovationskultur<br />

zu gelangen. Für Manager sei<br />

es oftmals alles andere als einfach,<br />

einen gänzlich neuen Weg im<br />

Unternehmen durchzufechten.<br />

Unterlassung sei da oftmals die<br />

bequemere Alternative, aber im<br />

seltensten Fall die bessere Lösung.<br />

Innovation sei immer ein langer<br />

Weg – Marathon, Hürdenlauf<br />

und Mannschaftssport in einem.<br />

Innovationsmanagement müsse<br />

immer auch die Menschen auf<br />

diesem Weg mitnehmen. Gesellschaftliche<br />

und technologische<br />

Dr. Anna-Lena Schönauer, Ruhr-Universität Bochum,<br />

beschrieb die Wahrnehmung von Industrie in der<br />

modernen Gesellschaft<br />

Man beobachte ständig rd. 30<br />

Trends. Dabei komme es darauf<br />

an, sich auf die Trends zu<br />

fokussieren, die für die eigene<br />

Branche wichtig seien. Mobilität,<br />

Urbanisierung und Umwelt seien<br />

Megatrends für die kommenden<br />

Jahrzehnte. „Im Jahr 2030 werden<br />

60 % der Weltbevölkerung<br />

„Zwei Drittel der Befragten haben eine<br />

eher positive Einstellung zur Industrie<br />

− dies lässt nicht auf eine ausgeprägte<br />

Industriefeindlichkeit schließen“<br />

Dr. Anna-Lena Schönauer, Ruhr-Universität Bochum<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Zukunftsorientierung<br />

durch<br />

Innovationsmanagement<br />

Entwicklungen bedingten sich<br />

gegenseitig und beide wiederum<br />

den wirtschaftlichen Erfolg eines<br />

Unternehmens, so Schäperkötter.<br />

Wie man bei der Schaeffler<br />

AG, einem Automobilzulieferer<br />

und Maschinenbaukonzern,<br />

vom Bedarf zum Geschäftsmodell<br />

kommt, erläuterte Heinrich<br />

Schäperkötter im zweiten Teil seines<br />

Vortrages. Problemstellungen<br />

identifizieren, Ideen generieren,<br />

Innovationsvorhaben evaluieren<br />

und schließlich die beste Lösung<br />

umsetzen – dies seien die Schritte<br />

des Innovationsprozesses bei<br />

Schaeffler. Die Trendanalyse sei<br />

dabei ein wichtiges Instrument.<br />

in Städten leben.“ Die Herausforderungen<br />

der urbanen Mobilität<br />

seien vielfältig. Bei Schaeffler<br />

habe man sich daher entschlossen,<br />

das Thema „Mikromobilität“<br />

in den Fokus zu rücken und zu<br />

überlegen, welches Segment es in<br />

Zukunft zwischen Fahrrad und<br />

Auto geben könne. Diverse Fallstudien<br />

hätten ein wachsendes<br />

Marktpotenzial mit vielfältigen<br />

Nutzungsmöglichkeiten ergeben.<br />

In einem nächsten Schritt entwickelten<br />

die Experten unterschiedliche<br />

Fahrzeugspezifikationen<br />

und Fahrzeugfeatures sowie verschiedene<br />

Ausstattungsvarianten.<br />

Das Ergebnis dieser Design- und<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 79


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Industrieakzeptanz – Voraussetzung für Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand<br />

Regierungs-Direktorin Ulrike Blankenfeld vom<br />

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie warb<br />

für das Bündnis „Zukunft der Industrie“<br />

Entwicklungsstudie sei ein neues<br />

und innovatives Pilotkonzept für<br />

die Mobilität von morgen. „Die<br />

Anforderungen werden immer<br />

komplexer, die Lösungen auch“,<br />

schloss Heinrich Schäperkötter.<br />

Die Digitalisierung biete hier<br />

Möglichkeiten, die Umsetzung<br />

von komplexen Lösungen zu<br />

vereinfachen.<br />

Industriefeindlichkeit<br />

lässt sich empirisch nicht<br />

belegen<br />

Mit den Worten „Gut, dass die<br />

nächste Rednerin nun keine Ingenieurin<br />

ist“ leitete Prof. Fuhrmann<br />

über auf Dr. Anna-Lena Schönauer<br />

vom Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie,<br />

Arbeit und Wirtschaft<br />

an der Ruhr-Universität Bochum.<br />

Dr. Schönauer stellte in ihrem<br />

Vortrag die Ergebnisse ihrer<br />

Dissertation vor. Sie hatte untersucht,<br />

ob sich eine industriefeindliche<br />

Einstellung in der deutschen<br />

Bevölkerung empirisch nachweisen<br />

lasse. Industriefeindlichkeit<br />

werde in Deutschland zwar<br />

beklagt; allerdings lägen bisher<br />

kaum belastbare Zahlen vor. Diese<br />

gefühlte Industriewahrnehmung<br />

werde vielmehr aus Protesten<br />

und Widerständen gegenüber<br />

einzelnen Industrieanlagen<br />

abgeleitet, erklärte Schönauer<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

weiter. Im Rahmen einer umfangreichen<br />

Studie hatte sie 1 500<br />

Personen zu ihrer Einstellung<br />

zur Industrie und industriellen<br />

Großprojekten befragt. Auf die<br />

Frage, ob Industrie eher ein Fluch<br />

oder ein Segen sei, antworteten<br />

knapp 40 %, dass Industrie für sie<br />

eher ein Segen sei. Nur für 6 % der<br />

Befragten war sie eher ein Fluch.<br />

Der Rest verhielt sich ambivalent.<br />

„Rund zwei Drittel der Befragten<br />

gaben zudem an, zur Industrie<br />

eine eher positive oder positive<br />

Einstellung zu haben“, erläuterte<br />

Dr. Schönauer die weiteren Untersuchungsergebnisse.<br />

Und für<br />

mehr als 90 % ist die Industrie<br />

wichtig für Deutschlands Wirtschaft.<br />

Mehr als zwei Drittel der<br />

Befragten waren zudem der Auffassung,<br />

dass Industriezweige wie<br />

der Maschinenbau und die Metallindustrie<br />

– und damit auch<br />

die Stahlindustrie – eine große<br />

Bedeutung für die deutsche Wirtschaft<br />

haben. „Diese Ergebnisse<br />

lassen nicht auf eine ausgeprägte<br />

Industriefeindlichkeit schließen“,<br />

fasste Schönauer zusammen.<br />

Auch sie habe in ihrer Untersuchung<br />

den bereits erwähnten<br />

Not-In-My-Backyard-Effekt feststellen<br />

können, wenn es um die<br />

Realisierung von Großprojekten<br />

gehe. Allerdings sei die fehlende<br />

Akzeptanz von Großprojekten<br />

kein originäres Problem industrieller<br />

Großanlagen. Nur jeder siebte<br />

Befragte lehnte beispielsweise<br />

ein Stahlwerk in seiner Nachbarschaft<br />

ab, fast jeder zweite<br />

hingegen einen Flughafen. Zum<br />

Schluss ihrer Ausführungen wies<br />

Dr. Schönauer nochmals darauf<br />

hin, dass in der gegenwärtigen<br />

Debatte eine Vermischung von<br />

verschiedenen Betrachtungsgegenständen,<br />

eine fehlende Trennung<br />

von Begrifflichkeiten und<br />

eine fragwürdige – zumeist<br />

induktiv hergeleitete – Argumentationsstruktur<br />

zu beobachten<br />

seien. Sie forderte zudem<br />

eine verstärkte und frühzeitige<br />

Bürgerbeteiligung bei Großprojekten<br />

und wies darauf hin, dass<br />

der Not-In-My-Backyard-Effekt auf<br />

gesamtgesellschaftlicher Ebene<br />

nicht zu einer zunehmenden<br />

Segregation und Verschärfung<br />

sozialer Ungleichheiten führen<br />

dürfe.<br />

Bündnis „Zukunft der<br />

Industrie“<br />

Moderator Heinz Jörg Fuhrmann<br />

bedankte sich für den „Mut machenden<br />

Vortrag“ und gab das<br />

Wort weiter an Regierungs-Direktorin<br />

Ulrike Blankenfeld vom Bundesministerium<br />

für Wirtschaft<br />

und Energie (BMWi) in Berlin,<br />

die kurzfristig für Staatssekretär<br />

Matthias Machnig eingesprungen<br />

„Als Bündnispartner ist es unser<br />

gemeinsames Ziel, den Industriestandort<br />

Deutschland nachhaltig zu gestalten und<br />

die industrielle Wettbewerbsfähigkeit zu<br />

stärken“<br />

Ulrike Blankenfeld, Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie<br />

war. Frau Blankenfeld richtete einige<br />

Grußworte an die Zuhörer.<br />

Zudem wies sie auf die Wichtigkeit<br />

des Bündnisses „Zukunft<br />

der Industrie“ hin, das Industrie-<br />

und Arbeitgeberverbände,<br />

Gewerkschaften sowie das BMWi<br />

vereine. „Als Bündnispartner ist<br />

es unser gemeinsames Ziel, den<br />

Industriestandort Deutschland<br />

nachhaltig zu gestalten und die<br />

industrielle Wettbewerbsfähigkeit<br />

zu stärken.“<br />

Karin Hardtke, Freie Journalistin,<br />

Ratingen<br />

80<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Innovation in der Prozessmodellierung ändert die Welt von Flachstahlprodukten – Virtualität wird Wirklichkeit<br />

Innovative Prozessmodellierung<br />

optimiert Flachstahlproduktion<br />

Prozessmodelle sind in der Walzwerkstechnik heute bereits etabliert. Auf dem Stahldialog<br />

stellten die Referenten neue Ansätze und Lösungen vor, wie sich solche Werkzeuge zur<br />

Warm-, Kaltband- oder Grobblechproduktion mittels Fortschritten in der Digitalisierung −<br />

etwa durch intelligente Ofenführung oder Kühlmodelle − weiter verbessern lassen.<br />

Edgar Lange<br />

D<br />

er Moderator des<br />

Stahldialogs, Dr.<br />

Heribert Fischer,<br />

Mitglied des Vorstandes<br />

der thyssenkrupp<br />

Steel Europe AG, Duisburg,<br />

stimmte auf das Thema ein, indem<br />

er hervorhob, dass sich die<br />

schon eingesetzten Prozessmodelle<br />

im Walzwerksbereich aktuell u. a.<br />

durch Entwicklungen bei Big Data<br />

sowie der weiter fortschreitenden<br />

Vernetzung zum Teil dramatisch<br />

in ihren Möglichkeiten verändern.<br />

Kein Prozessmodell<br />

funktioniert für alles<br />

Diesen Punkt griff auch gleich<br />

der erste Referent, Univ.-Prof.<br />

Dipl.-Ing. Dr. techn. Andreas Kugi,<br />

Vorstand des Instituts für Automatisierungs-<br />

und Regelungstechnik<br />

(ACIN) an der Technischen Universität<br />

Wien mit dem Thema „Zukunftsweisende<br />

modellbasierte<br />

Prozessregelung in der Flachstahlproduktion“<br />

auf. Laut Kugi<br />

erfordere es die gegenwärtige<br />

Marktsituation mit ihrem hohen<br />

Wettbewerbs- und Kostendruck<br />

sowie sinkenden Time-to-Market-<br />

Zeiten, einer Individualisierung<br />

von Produkten und hochflexiblen<br />

Produktionssystemen, Walzwerksanlagen<br />

im dynamischen Betrieb<br />

mit ständig wechselnden Qualitäten<br />

und Stahlsorten fahren zu können.<br />

Wachsende Rechenleistung<br />

und Datenspeicherkapazitäten in<br />

Verbindung mit den wachsenden<br />

digitalen Möglichkeiten der Echtzeitvernetzung<br />

sowie neuen fort-<br />

Foto: Tata Steel<br />

Modelle haben in der Walzwerkstechnik eine außerordentliche Bedeutung erlangt und finden heute in allen Prozessstufen Anwendung<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 81


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Innovation in der Prozessmodellierung ändert die Welt von Flachstahlprodukten – Virtualität wird Wirklichkeit<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

müssten diese Modelle um ein<br />

Vielfaches schneller rechnen als<br />

der Echtzeitprozess. Als Beispiel<br />

führte Kugi eine Säbelregelung für<br />

das Grobblechwalzen an, die bei<br />

der Dillinger Hütte realisiert wurde.<br />

Hier konnten gute Ergebnisse<br />

mit einer Nutzung der Messdaten<br />

vorgelagerter Prozessschritte in einer<br />

Vorsteuerung erzielt werden.<br />

Das mathematische Modell müsse<br />

hier sowohl die wesentlichen<br />

dynamischen Effekte als auch das<br />

erhebliche nichtlineare Verhalten<br />

abdecken. Als Istwertgeber seien<br />

bei der Dillinger Hütte Infrarotkameras<br />

im Einsatz, die die Kontur<br />

und die Geschwindigkeit der Walztafeln<br />

überaus genau erfassten. Die<br />

Werte gingen in eine modellbasierte<br />

Regelung ein, die errechne, wie<br />

die Walzen optimal angestellt werden<br />

müssten. Im Ergebnis habe die<br />

Säbelbildung signifikant reduziert<br />

werden können.<br />

„Deutliche Verbesserungen bei der<br />

Prozessmodellierung versetzen uns in die<br />

Lage, erheblich bessere Qualitäten für<br />

unsere Kunden zu produzieren und diese<br />

auch sehr wirtschaftlich darzustellen“<br />

Dr. Heribert Fischer, thyssenkrupp Steel Europe AG<br />

Moderator Dr. Heribert Fischer verwies auf die Potenziale<br />

von Prozessmodellen, für den Kunden neue Werkstoffe<br />

besser und wirtschaftlicher erzeugen zu können<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

noch keine Stahlbrammen aufheizen“,<br />

gibt Prof. Kugi zu bedenken.<br />

Eine sinnvolle Lösung in der<br />

Stahlindustrie liege etwa im<br />

Einsatz intelligenter mathematischer<br />

Prozessmodelle, in einer<br />

Kombination von datenbasierten<br />

und physikalisch basierten<br />

Modellen, zugeschnitten auf die<br />

konkrete Aufgabenstellung, die<br />

mit herausfordernden Prozesseigenschaften<br />

wie Nichtlinearitäten,<br />

starken Parameterschwankungen,<br />

Transportverzögerungen oder unterschiedlichen<br />

Zeitskalen umgehen<br />

können. Dies sei eine große<br />

Herausforderung, denn „ein Prozessmodell<br />

für alles gibt es noch<br />

nicht“, so Kugi. Für die Regelung<br />

Als weiteren Trend sah Kugi,<br />

dass sich die starren hierarchischen<br />

Automatisierungskonzepte<br />

künftig eher auflösten. Jedes Produkt<br />

bekomme einen digitalen<br />

Begleiter, mit dem dessen Daten<br />

durch die gesamte Produktionsund<br />

Lieferkette vom Halbfertigteil<br />

bis zum Kunden gingen. Generell<br />

gelte es hier, „zwar mit Ressourcen<br />

zu geizen, aber die Sensorik üppig<br />

auszugestalten“, schloss Kugi.<br />

„Mit unorganisierten Bits alleine lassen<br />

sich auch heute noch keine Stahlbrammen<br />

aufheizen. Ein Prozessmodell für alles gibt<br />

es noch nicht“<br />

Prof. Andreas Kugi, Technische Universität Wien<br />

Prof. Dr. Andreas Kugi stellte zukunftsweisende modellbasierte<br />

Prozessregelung in der Flachstahl produktion vor<br />

schrittlichen Sensortechnologien<br />

und Bildverarbeitungssystemen<br />

eröffnen laut Kugi dabei völlig<br />

neue Lösungsperspektiven. Die<br />

Industrie reagiert darauf mit der<br />

Strategie, im Rahmen von Industrie<br />

4.0 alles „smart“ machen zu<br />

wollen. „Doch mit unorganisierten<br />

Bits alleine lassen sich auch heute<br />

Sukzessive<br />

Modellverbesserung durch<br />

Praxisdaten<br />

Mit Offlinesimulationsmodellen<br />

beim Flachwalzen befasste sich auf<br />

dem Stahldialog Johannes Lohmar,<br />

Oberingenieur beim Institut für<br />

Bildsame Formgebung der RWTH<br />

Aachen. Er beschäftigte sich mit<br />

der Frage, wie Prozess- und Materialmodelle<br />

in optimaler Weise<br />

in der Praxis kombiniert werden<br />

könnten. Als Antwort präsentierte<br />

Lohmar ein schnelles analytisches<br />

Modell mit der Bezeichnung<br />

„RoCaT“, das bereits im Walzwerk<br />

der Dillinger Hütte eingesetzt<br />

82<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


werde. Mit ihm gelinge es, Walzkräfte<br />

für verschiedene Stahlsorten<br />

lediglich aus industriell<br />

ermittelten Walzdaten mit einer<br />

Handvoll Parameter mittels intelligenter<br />

Modellierungstechniken<br />

vorherzusagen. Bereits nach einer<br />

kurzen Nutzungszeit ließen sich<br />

Mit dem richtigen<br />

Kühlmodell zu perfekten<br />

Materialeigenschaften<br />

Dass die Zukunft bei innovativen<br />

Kühlmodellen schon jetzt beginnt,<br />

glaubt Dr.-Ing. Klaus Weinzierl,<br />

Senior Key Expert bei Primetals<br />

„Wichtig ist es in jedem Fall, Modelle für<br />

Prozess, Material und Produkt in einem<br />

einzigen, guten Modell zu vereinen“<br />

Johannes Lohmar, RWTH Aachen<br />

Totzeiten besonders groß seien.<br />

Zudem berücksichtige das neue<br />

Kühlmodell effizient die Anlagengrenzen.<br />

„Das muss man sich im Prinzip<br />

wie bei einem Wettervorhersagemodell<br />

vorstellen“, veranschaulichte<br />

Weinzierl, „nur dass die Berechnungen<br />

jeweils im Sekundenraster<br />

erfolgen.“ Weiterer Vorteil: Da das<br />

Kühlmodell schon früh über folgende<br />

Temperaturschwankunden<br />

des Bandes Bescheid wisse und so<br />

damit gute Vorhersagen treffen.<br />

Der Clou: Ein Rückkopplungsprozess<br />

mit den erzielten Realdaten<br />

führe dabei zu einer sukzessiven<br />

Modellverbesserung.<br />

Das zweite von Lohmar präsentierte<br />

Modell beruhe auf einer<br />

FEM-Walzprozesssimulation und<br />

diene dazu, die Bindungsbildung<br />

und das Versagen beim Walzplattieren<br />

von Aluminium zu analysieren<br />

und vorherzusagen. „Im Ergebnis<br />

führte es zu einer deutlich<br />

festeren Verbindung der Aluminiumplattierung“,<br />

sagte Lohmar. Ein<br />

drittes von ihm vorgestelltes und<br />

erfolgreich in der Praxis getestetes<br />

Modell verwende ein mikroskaliges<br />

FEM-Walzmodell, das die Texturentwicklung<br />

beim Kaltwalzen<br />

von nichtkornorientiertem Elektroband<br />

(NGO) voraussage. Diese habe<br />

einen hohen Einfluss auf die späteren<br />

physikalischen Eigenschaften<br />

des Elektrobandes, insbesondere<br />

auf die sogenannten Eisenverluste.<br />

Basierend auf experimentellen Daten<br />

zu Textur, Fließspannung und<br />

Kornverteilung gelinge es nun, mittels<br />

FEM-Modell die sich ausbildenden<br />

Kristallstrukturen durch den<br />

Walzprozess vorherzusagen. Die<br />

Simulation zeige laut Lohmar recht<br />

genaue Ergebnisse für unterschiedlichste<br />

Materialeigenschaften wie<br />

Fließspannungen, Bindungsstärken<br />

und Textur. „Wichtig ist es<br />

dabei in jedem Fall, Modelle für<br />

Prozess, Material und Produkt mit<br />

der erforderlichen Genauigkeit in<br />

einem einzigen, guten Modell zu<br />

vereinen“, endete Lohmar.<br />

Technologies Germany in Erlangen.<br />

Der Fachmann präsentierte<br />

ein cyber-physikalisches Kühlmodell<br />

für Warmbreitbandstraßen,<br />

das bereits an der Vorstraße<br />

aufsetze. Das von ihm entwickelte<br />

Modell, das u. a. die Phasenumwandlung<br />

abbilde, berechne<br />

Bandtemperatur, Phasenanteile<br />

und Gefüge auf Basis eines thermodynamischen<br />

Ansatzes vom<br />

Vorgerüst bis zur Haspel in Echtzeit.<br />

Stellgrößen dabei seien Bandgeschwindigkeit<br />

und Endwalztemperatur.<br />

Die modellprädiktive<br />

Regelung (MPC) steuert dazu nicht<br />

nur die zur Kühlung dienenden<br />

Aggregate, Vorband-, Zwischengerüst-<br />

sowie Laminarkühlung an,<br />

sondern es könnten auch Power-<br />

Cooling-Boosterpumpen sowie die<br />

Pumpen der Wasserwirtschaft in<br />

Echtzeit vom Prozessmodell aus<br />

gefahren werden.<br />

Eine weitere Besonderheit stelle<br />

die übergreifende Regelung von<br />

Endwalz- und Haspeltemperatur<br />

dar: Das Primetals-Kühlmodell prognostiziere<br />

dazu auf Basis der Vorbandtemperaturmessung<br />

hinter der<br />

Vorstraße den gesamten zukünftigen<br />

Verlauf der Endwalztemperatur<br />

und steuere mit einem optimierten<br />

Fahrdiagramm zusätzlich die Leitgeschwindigkeit<br />

der Fertigstraße. Da<br />

die künftige Bandgeschwindigkeit<br />

dem Modell bekannt sei, werde die<br />

Qualität von Endwalz- und Haspeltemperatur<br />

deutlich verbessert,<br />

was zu gleichmäßigeren Materialeigenschaften<br />

führe − insbesondere<br />

bei dicken Bändern, bei denen die<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

Walzexperte Johannes Lohmar berichtete über<br />

­Offlinesimulationsmodelle beim Flachwalzen<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

Anlagenbauer Dr. Klaus Weinzierl verwies auf die Bedeutung<br />

innovativer Kühlmodelle für zukünftige Entwicklungen<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 83


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong>:<strong>STAHL</strong>DIALOG<br />

Innovation in der Prozessmodellierung ändert die Welt von Flachstahlprodukten – Virtualität wird Wirklichkeit<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

Kimmo Kanninen stellte ein betriebsübergreifendes<br />

Kostenoptimierungsmodell für ein integriertes Stahlwerk vor<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

herauszuholen“, freute sich Weinzierl.<br />

Zudem sei die Handhabung<br />

so einfach wie bei herkömmlichen<br />

Laminarkühlsystemen. Moderator<br />

Fischer brachte es anschließend auf<br />

den Punkt: Damit werde Warmwalzen<br />

dann künftig wohl so einfach<br />

sein wie Kuchenbacken.<br />

Gesamtoptimierung<br />

integrierter Stahlwerke<br />

Mit einem betriebsübergreifenden<br />

Kostenoptimierungsmodell für ein<br />

integriertes Stahlwerk befasste sich<br />

beim Stahldialog Kimmo Kanninen,<br />

Senior Solution Architect der finnischen<br />

SW-Development. Kanninen<br />

erläuterte, dass es zwar in Theorie<br />

und Praxis in der Stahlindustrie<br />

ein breites Spektrum an Prozessmodellen<br />

für die Optimierung von<br />

Teilprozessen gebe. Der Branche<br />

Vergangenheit zurück. Anfänglich<br />

erfordere das Modell zwar einiges an<br />

Daten eingaben, dafür sei die folgende<br />

Nutzung einfach und effizient,<br />

so Kanninen.<br />

Intelligent Furnace für<br />

mehr Effizienz in Glüh- und<br />

Feuerverzinkungslinien<br />

Dipl.-Phys. C. Andreas Klein, Leiter<br />

des Fachbereichs Grundlagen und<br />

Modelle für Bandanlagen, Öfen<br />

und Wärmetechnik bei der SMS<br />

group GmbH, erläuterte in Düsseldorf<br />

das Thema „Intelligente Ofenführung<br />

in kontinuierlichen Glühund<br />

Feuerverzinkungslinien.“<br />

Bislang würden die gewünschten<br />

Materialeigenschaften hier meist<br />

noch durch Vorgabe fester Glühkurven<br />

eingestellt, so der Referent.<br />

Individuelle Anforderungen, die<br />

„Das zukünftig bei Big River Steel<br />

eingesetzte Kühlmodell wird das perfekte<br />

Werkzeug sein, um eine optimale<br />

Betriebsführung der Öfen zu gewährleisten“<br />

C. Andreas Klein, SMS group<br />

Bandspezialist C. Andreas Klein erklärte die Vorteile einer<br />

intelligenten Ofenführung in kontinuierlichen Glüh- und<br />

Feuerverzinkungslinien<br />

stets im Voraus die benötigten Wassermengen<br />

kenne, könnten große<br />

Wassermengen mit bisher unerreichter<br />

Dynamik gesteuert werden.<br />

Dadurch gelinge zudem auch eine<br />

energieeffiziente Steuerung von<br />

Pumpen und Wasser und helfe so,<br />

Produktionskosten zu senken. Dazu<br />

trage auch die Einsparung von Legierungselementen<br />

bei. Durchsatz<br />

und Qualität insgesamt stiegen.<br />

„Unsere Pilotkunden profitieren<br />

bereits heute von dieser innovativen<br />

Technik und es hilft ihnen,<br />

das Optimum aus ihren Anlagen<br />

fehle es jedoch noch an Werkzeugen,<br />

um integrierte Stahlwerke als<br />

Ganzes zu analysieren und zu optimieren.<br />

„Wichtig ist es hier, nicht<br />

nur bloße Materialparameter oder<br />

Energieverbräuche zu optimieren,<br />

sondern eine Ergebnisverbesserung<br />

unter dem Strich in Euro zu erzielen“,<br />

meinte Kanninen. In dieser<br />

Richtung hätten der schwedische<br />

Stahlhersteller SSAB und SW-<br />

Development gemeinsam Fortschritte<br />

erzielt. Das eingesetzte Modell sei<br />

in der Lage, komplexe Material- und<br />

Energiebilanzen in integrierten<br />

Stahlwerken zu berücksichtigen<br />

und zu analysieren, die Antworten<br />

gäben etwa auf Fragen wie: „Was<br />

passiert, wenn man auf eine günstigere<br />

Kohlemischung in der Kokerei<br />

umstellt?“, oder „Wie wirkt sich ein<br />

Wechsel zwischen Prozessgas- oder<br />

LNG-Einsatz aus?“ Zur Beantwortung<br />

greife das System auf mehr als<br />

2 000 Betriebskoeffizienten aus der<br />

sich durch Werkstoffabweichungen,<br />

Ungleichheiten der Bandqualität<br />

oder Schwankungen in den<br />

Vorprozessstufen ergäben, fänden<br />

hierbei regelmäßig keine Berücksichtigung.<br />

Durch Schwankungen<br />

in den Prozessbedingungen könne<br />

es dann gerade bei hochwertigen<br />

Werkstoffen zu Qualitätsmängeln<br />

kommen. Um dies zu vermeiden,<br />

werde der Prozess im Glühofen<br />

in der Praxis meist auf Kosten<br />

von höherem Ressourceneinsatz<br />

angepasst.<br />

Diesem Dilemma wolle die SMS<br />

group mit der „Intelligent-Furnace“-Lösung<br />

begegnen, die auf<br />

drei wesentlichen Komponenten<br />

basiere: einem „Annealing Microstructure<br />

Model“ (AAM), das die zu<br />

erwartenden Materialeigenschaften<br />

nach dem Glühprozess mittels<br />

datenbasierter Modellierung<br />

prognostiziere. Zweitens, einem<br />

mathematisch-physikalischen<br />

84<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Ofenmodell, das die Ofensollwerte,<br />

die optimierte Bandfolge und die<br />

Temperaturführung bei Bandübergang<br />

berechnet. Und drittens, dem<br />

Impoc-Messsystem der Firma EMG,<br />

das magnetisch zerstörungsfrei in<br />

Echtzeit die Produkteigenschaften,<br />

wie z. B. die Streckgrenze, ermittelt.<br />

Auf diese Weise ließen sich<br />

anschließend Materialeigenschaften<br />

und Prozessbedingungen im<br />

Rahmen einer statistischen Analyse<br />

mit hoher Auflösung verknüpfen.<br />

Dies biete Vorteile gegenüber<br />

der Entnahme einzelner Proben<br />

aus Prüfversuchen, so Klein.<br />

Daraus würden dann die technologisch<br />

relevanten Parameter<br />

wie Ofenzonentemperaturen,<br />

Kühlparameter und Prozessgeschwindigkeit<br />

für den optimalen<br />

Betriebspunkt des Ofens bestimmt<br />

und eingestellt. Ergebnisse bei einer<br />

Verzinkungslinie von Tata Steel mit<br />

DP800-Stahlsorten zeigten, dass es<br />

mittels „Intelligent Furnace“-Ansatz<br />

nach dem Anlernen der Algorithmen<br />

gelinge, fortschrittliche<br />

Stahlsorten einfacher und mit<br />

gleichmäßiger Qualität über die<br />

Bandlänge herzustellen. Für einzelne<br />

Stahlsorten sei es sogar gelungen,<br />

den Ofendurchsatz um 15 %<br />

zu steigern. Die mittlere Bandgeschwindigkeit<br />

habe um 10 m/min<br />

erhöht werden können und es<br />

hätten sich Energieeinsparungen<br />

ergeben. „Das Modell ist das perfekte<br />

Werkzeug, um eine optimale<br />

Betriebsführung der Öfen zu gewährleisten“,<br />

so Klein. Deswegen<br />

werde „Intelligent Furnace“ demnächst<br />

auch bei Big River Steel, dem<br />

effizientesten Stahlwerk der USA,<br />

zum Einsatz kommen.<br />

Walz- und Beschichtungsexperte Govert Kockelkoren<br />

erläuterte strategische Überlegungen zu innovativen<br />

Modellierungstechniken<br />

„Bei der Entwicklung innovativer Modelle<br />

geht es auch darum, sich der eigenen<br />

Kernkompetenzen bewusst zu sein und<br />

Know-how im Hause zu behalten“<br />

Govert Kockelkoren, Tata Steel IJmuiden<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

Neue Wege der<br />

Zusammenarbeit<br />

Mit der Frage „Make-and-Buy“<br />

anstelle von „Make-or-Buy“ bei<br />

innovativen Modellierungstechniken<br />

aus Sicht des Stahlherstellers<br />

befasste sich Govert Kockelkoren,<br />

Direktor Walzen und Beschichten<br />

bei Tata Steel IJmuiden/Niederlande.<br />

Dort würden, um den<br />

komplexen Anforderungen an<br />

Produkt und dessen Herstellung<br />

gerecht zu werden, auf den unterschiedlichen<br />

Prozessstufen<br />

eine Vielzahl unterschiedlichster<br />

Modelle eingesetzt. Beispielhaft<br />

nannte er das HIrsana-Projekt,<br />

wo die Modellierung u. a. genutzt<br />

werde, um Prozesse zu simulieren,<br />

die vorher noch nie an einer realen<br />

Schmelze erprobt worden seien. Je<br />

mehr Prozessebenen (horizontal –<br />

vertikal) hier einbezogen würden,<br />

umso größer seien die Potenziale,<br />

aber auch die Komplexität solcher<br />

Modelle, habe Kockelkoren festgestellt.<br />

Zwar zählte die Fähigkeit zur<br />

Entwicklung innovativer Modelle<br />

zu den Kernkompetenzen der<br />

Stahlhersteller, vor allem, wenn<br />

es darum gehe, Know-how im<br />

Hause zu behalten. Doch da viele<br />

europäische Stahlhersteller nicht<br />

in der Lage gewesen seien, Technologieinvestitionen<br />

auf dem gewünschten<br />

Niveau zu halten, habe<br />

die Eigenentwicklung von Modellierungssystemen<br />

im letzten Jahrzehnt<br />

eher an Bedeutung verloren.<br />

Vor diesem Hintergrund sei zwar<br />

das „Buy”, das Zukaufen von z. B.<br />

von Anlagenbauern entwickelten<br />

Modellen, eine Option. Doch<br />

Kockelkoren mahnte, dabei die<br />

Bewahrung der Unabhängigkeit,<br />

die Abnahme des eigenen Wissens<br />

sowie Fragen der Rechte an geistigem<br />

Eigentum zu berücksichtigen.<br />

Vor diesem Hintergrund sah<br />

Kockelkoren eher in „Make-andbuy“,<br />

also gemeinsamen Bemühungen<br />

von Stahlproduzenten und<br />

externen Entwicklern, einen Lösungsansatz.<br />

Im Werk IJmuiden sei<br />

dies bereits so zur Bandsteuerung<br />

der Gießwalzanlage gemeinsam mit<br />

einem Anlagenbauer gelöst worden.<br />

Vorteile seien laut Kockelkoren:<br />

Eine Verbreiterung der Wissenbasis,<br />

kürzere Entwicklungszeiten<br />

und die Kombination von Theorie<br />

und Praxis. Auf der anderen Seite<br />

stünden jedoch abfließendes Knowhow<br />

und die Frage, was passiere,<br />

wenn der Entwicklungspartner die<br />

gemeinsam entwickelte Modellierungstechnik<br />

an den Markt bringen<br />

wolle. „Make-or-Buy” werde in<br />

dieser Hinsicht in eine „Make-and-<br />

Buy”-Strategie verwandelt, bei der<br />

Stahlhersteller und Anlagenbauer<br />

künftig erst neue Wege der Zusammenarbeit<br />

erforschen müssten,<br />

schätzte Kockelkoren.<br />

Edgar Lange, Fachjournalist,<br />

Düsseldorf.<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 85


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />

Impressionen von <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />

Vor der Eröffnung: Michael Ziesemer, Präsident Zentralverband<br />

Elektrotechnik- und Elektronikindustrie<br />

e. V. (ZVEI), im Gespräch mit Edwin Eichler, Präsident<br />

des Verwaltungsrates der Schmolz + Bickenbach AG<br />

Folgen den Ausführungen von Hans Jürgen Kerkhoff: Dr. Peter Dahlmann,<br />

Geschäftsführendes Vorstandsmitglied Stahlinstitut VDEh, Dr. Oliver Picht,<br />

Vorstandsvorsitzender Outokumpu Nirosta GmbH, Geert Van Poelvoorde,<br />

Präsident Eurofer und CEO ArcelorMittal Europe – Flat Products and Purchasing,<br />

Andreas J. Goss, Vorstandsvorsitzender thyssenkrupp Steel Europe AG, und<br />

Michael Ziesemer<br />

Foto: Mourad ben Rhouma<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Ulrich Grethe, Vorsitzender der Geschäftsführung der Salzgitter Flachstahl<br />

AG, tauscht sich mit Frank Schulz, Geschäftsführer der ArcelorMittal Germany<br />

Holding GmbH, und Geert Van Poelvoorde aus<br />

Prof. Dr. Michael Süß, Vorsitzender der Geschäftsführung<br />

Georgsmarienhütte Holding GmbH, mit dem<br />

Arbeitsdirektor des Unternehmens, Harald Schartau<br />

86<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Foto: Dirk Heckmann<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Prof. Dr. Peter Schmöle von der thyssenkrupp Steel Europe AG wurde im<br />

Rahmen der Mitgliederversammlungen zum Ehrenmitglied des Hochofenausschusses<br />

ernannt<br />

Gefragter Gesprächspartner: Dr. Jürgen Heraeus von<br />

Business 20 (B20) im Kurzinterview mit Stahl-Online<br />

Dr. Oliver Picht unterhält sich mit Prof. Dr. Wolfgang<br />

Bleck von der RWTH Aachen<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Diskutieren über China: Dr. Heribert Fischer, Mitglied des Vorstands<br />

thyssenkrupp Steel Europe AG, und Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen<br />

Handelskammer in China<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 87


<strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />

Impressionen von <strong>STAHL</strong> <strong>2016</strong><br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Warten auf den Beginn eines Stahldialogs<br />

Freudiges Wiedersehen: Dr. Heinz Jörg Fuhrmann,<br />

Vorsitzender des Vorstands Salzgitter AG, und Dr. Heinrich<br />

Hiesinger, Vorstandsvorsitzender thyssenkrupp AG<br />

Foto: Dirk Heckmann Foto: Dirk Heckmann<br />

Geschmackvolle Untermalung für gute Gespräche. Die Band „Lipstick and Ties“ spielte in der Stadthalle<br />

88<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12


Foto: Dirk Heckmann<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit: Der Stahltreff bei der Jahrestagung <strong>STAHL</strong><br />

Möglichkeiten zum Netzwerken gab es auch im Foyer<br />

Foto: Dirk Heckmann<br />

Ein Foto mit Heinrich Hiesinger: Ein junger Besucher<br />

des Stahltreffs überredete den thyssenkrupp-Chef zu einem<br />

Selfie<br />

stahl und eisen 136 (<strong>2016</strong>) Nr. 12 89


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