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2015-12 KulturFenster Nr.6 - Dezember 2015

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Das Thema<br />

schrieben. Der Weihnachtsmann (Morgen<br />

kommt der Weihnachtsmann) und naturromantische<br />

Elemente (Leise rieselt der<br />

Schnee) sind weitere Motive, die im 19.<br />

Jahrhundert hinzukamen.<br />

Entchristlichung des<br />

Weihnachtsliedes<br />

So konnte im 20. Jahrhundert der Nationalsozialismus<br />

in seinem Bestreben, das<br />

Weihnachtslied von christlichen Elementen<br />

zu „befreien“, auf eine bürgerliche Tradition<br />

einer weltlichen Weihnacht aufbauen,<br />

etwa bei Hans Baumann mit Hohe Nacht<br />

der klaren Sterne, das in der damit aufgewachsenen<br />

Generation sehr beliebt geblieben<br />

ist. Im Dritten Reich betrieb die Hitlerjugend<br />

Bestrebungen hin zur Entchristlichung<br />

und Mythisierung des Weihnachtsfests,<br />

was sich auch in vielen Umdichtungen<br />

niederschlägt, die explizit theologische Inhalte<br />

weglassen. Ein Beispiel für eine bekannte<br />

Umdichtung ist Es ist für uns eine<br />

Zeit angekommen: Das Schweizer Sternsingerlied<br />

erzählt ursprünglich die Weihnachtsgeschichte,<br />

1939 wurde daraus ein<br />

„Winterlied“, in dem nicht mehr von der<br />

Freude über Christi Geburt und Gottes<br />

Gnade, sondern von der die Freude über<br />

den Winterwald die Rede ist. Von den vielen<br />

Fassungen dieses bekannten Liedes<br />

heute wird bei uns meist eine gemäßigte<br />

Fassung gesungen, die auf die religiösen<br />

Wahrheiten Bezug nimmt, wenn auch nicht<br />

mehr die ganze Weihnachtsgeschichte erzählt.<br />

Auch in der DDR gab es mit Liedern<br />

wie Sind die Lichter angezündet neue Beispiele<br />

nichtchristlicher Weihnachtslieder.<br />

Diese Tendenz zur „weltlichen“ Weihnacht<br />

hält bis heute an – der Konsum ist an die<br />

Stelle der alten Ideologien getreten. Umso<br />

mehr erlangt die Pflege des christlichen Advents-<br />

und Weihnachtslied an Bedeutung.<br />

Eines dieser Lieder, das den christlichen<br />

Kern des Advents nicht verleugnet, ist Maria<br />

durch ein Dornwald ging. Das Lied wirkt<br />

alt und die Geschichte, die es erzählt, wirkt<br />

mystisch: Die schwangere Maria geht durch<br />

einen verdorrten Wald und aus den Dornen<br />

wachsen Rosen. Eine schlichte Metapher<br />

der christlichen Hoffnung in einer<br />

einfachen Sprache, wie sie im Mittelalter<br />

entstanden sein könnte. Auch das „Kyrie<br />

eleison“ erinnert an die mittelalterlichen<br />

Lieder, ebenso die Melodie. Doch man findet<br />

dieses Lied in keiner mittelalterlichen<br />

Quelle – auch in den alten Kirchengesangbüchern<br />

ist es nicht enthalten: Denn Maria<br />

durch ein Dornwald ging ist vielleicht nicht<br />

einmal 200 Jahre alt. Abgedruckt wurde es<br />

zum ersten Mal 1850 in den „Geistlichen<br />

Volksliedern“, das den Untertitel trug: „mit<br />

ihren ursprünglichen Weisen gesammelt<br />

aus mündlicher Tradition und seltenen Gesangbüchern“.<br />

„Maria durch ein Dornwald ging“<br />

Herausgeber des Liederbuches war<br />

August von Haxthausen, Gutsbesitzer<br />

und Erforscher von Volksliedern. Die Brüder<br />

Grimm und die Dichterin Annette von<br />

Droste-Hülshoff waren seine literarischen<br />

Freunde. Gemeinsam mit ihnen erstellte<br />

August von Haxthausen eine riesige Liedersammlung.<br />

Sie umfasst mehrere tausend<br />

Seiten Zettel und Hefte voll mit hingekritzelten<br />

oder sauber aufgeschriebenen<br />

Liedern. Wie es in der romantischen Tradition<br />

des 19. Jahrhunderts üblich war,<br />

dichtete man dort weiter oder dazu, wo etwas<br />

fehlte: so wohl auch bei Maria durch<br />

ein Dornwald ging. Allerdings findet sich<br />

im Andernacher Gesangbuch von 1608<br />

das Lied Jesum und seine Mutter zahrt<br />

mit dem Vermerk „nach der Melodie Maria<br />

ging durch diesen Wald“ abgedruckt,<br />

worin gelegentlich eine Keimzelle des Adventsliedes<br />

vermutet wird. Das Lied könnte<br />

aber auch auf ein „Ansingelied“ zurückgehen<br />

– ein Lied, mit dem eine Gruppe von<br />

Sängern von Tür zu Tür zog, um sich damit<br />

ein paar Groschen zu verdienen. In der<br />

Haxthausen-Sammlung ist vermerkt: „von<br />

den Frauen und Mädchen des Dorfes …<br />

unter dem Fenster oder an der Tür am<br />

Neujahrstag gesungen.“ Es könnte aber<br />

auch ursprünglich ein Wallfahrtslied gewesen<br />

sein, das sich mündlich im Bistum<br />

Paderborn verbreitete.<br />

Maria durch ein Dornwald ging gehört zu<br />

den wenigen geistlichen Liedern, die ohne<br />

kirchliche Überlieferung populär wurden<br />

– noch vor 20 Jahren fand man es in keinem<br />

kirchlichen Gesangbuch. So richtig<br />

bekannt und beliebt wurde das Lied erst<br />

im 20. Jahrhundert durch die Jugendbewegung,<br />

die das Wallfahrtslied als Adventslied<br />

etablierte: 19<strong>12</strong> findet man es im Liederheft<br />

der Wandervogel-Bewegung. Die<br />

Wandervögel waren junge Menschen aus<br />

gutem Hause, die sich auf ihrer Suche<br />

nach einem einfachen Leben mit Gleichgesinnten<br />

zu einer Bewegung zusammenschlossen<br />

und in ihrer Freizeit gemeinsam<br />

durch die Lande zogen. Das Ideal hieß: Weg<br />

vom Materialismus, hin zur Ursprünglichkeit,<br />

zur Natur, zum Guten, Wahren und<br />

Schönen. Die schlichte Sprache und Melodie<br />

von Maria durch ein Dornwald ging<br />

kam dieser Sehnsucht entgegen.<br />

Auch wenn die Entstehung nicht geklärt<br />

werden kann, so ändert dies nichts an der<br />

einfachen Kraft dieses Liedes, das für viele<br />

andere in ihrer Schlichtheit so schöne Adventslieder<br />

steht. Die Wanderung Marias<br />

mit dem Kind „unter ihrem Herzen“, die<br />

sich auf die Perikope des Besuches Marias<br />

bei Elisabeth aus dem Lukasevangelium<br />

bezieht, will dem Zuhörer sagen, dass<br />

schon der noch nicht geborene Jesus die<br />

Unfruchtbarkeit und den Tod, symbolisiert<br />

im Dornwald, fruchtbar macht als Ankündigung<br />

der Herrlichkeit. Und schlussendlich<br />

geht es dem Advent- und Weihnachtslied<br />

um diese Botschaft, egal ob es im Mittelalter<br />

oder im 19. Jahrhundert entstanden ist.<br />

20<br />

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