Fine_211_Auszug
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&Joselito<br />
Dom Pérignon<br />
Ein Schinken, nicht von dieser Welt: Jamón Joselito ist<br />
ein kulinarisches Wunder und zu einem Glas Dom Pérignon<br />
Œnothèque 1969 eine überirdische Delikatesse<br />
Text: Thomas Schröder<br />
Fotos: Guido Bittner<br />
Wenn der Großvater den Enkel an die Hand nahm und mit ihm, der die damals noch<br />
Kartoffel ferien genannten schulfreien Herbsttage auf der kleinen dörflichen Landwirtschaft<br />
der Großeltern im Westfälischen verbrachte, gemächlichen Schritts die Wurst- und<br />
Schinkenkammer betrat, öffnete sich dem Kind eine ihn exotisch anmutende Genusswelt<br />
aus Düften und Geschmack. Neben den frischen Schinken aus der letzten Hausschlachtung<br />
baumelten, an derben Bindfäden aufgehängt, auch die reifen Stücke von der Decke, changierend<br />
zwischen Dunkelrotbraun und Grau. Mit einem Hakenstock holte der Alte eines<br />
von ihnen herunter: »Der ist von der Suse, weißt du noch?«, fragte er dann, und gemeinsam<br />
trugen sie das schwere Hinterbein der lange gemästeten Sau in die Wohnküche, wo es<br />
auf einem großen Holzbrett nieder gelegt wurde. Die Groß mutter hatte sie schon erwartet,<br />
hatte zuvor an einem Wetzstahl ein Messer geschärft, begann, unter nicht geringem Körpereinsatz,<br />
den Schinken anzuschneiden, bis hand teller große dicke Scheiben auf das Brett<br />
glitten. Der Großvater griff alsdann zu einer absonder lich aussehenden irdenen Flasche<br />
und gönnte sich daraus ein oder zwei Gläschen Stein häger Korn, dem auch die Großmutter<br />
(»Aber nur einen ganz kleinen«) gern zusprach. Noch sechzig Jahre, nachdem das Kind die<br />
Schinken scheibe verzehrte, ist dem mittlerweile recht erwachsenen Mann der Geschmack<br />
gegenwärtig, wenn er ihn heute auch anders einschätzt als damals: Der schreckliche Krieg lag<br />
erst wenige Jahre zurück, und da dem Kind die Erfahrung kulinarischer Entbehrung nicht<br />
bewusst war, erschien ihm der Biss in das trockene Fleisch und das weißliche (»gute«) Fett als<br />
etwas unaus denkbar Köstliches. Dabei war Suses Schinken übermäßig salzig, das Fleisch sehr<br />
fest bis zäh, selbst das Fett brauchte kräftige Zahnarbeit: Viel zu tun für den Kindermund.<br />
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F I N E 2 / 2011 F I N E G o u r m a n d i s e