Hinz&Kunzt 294 August 2017
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Das Hamburger<br />
Straßenmagazin<br />
Seit 1993<br />
N O <strong>294</strong><br />
Aug.17<br />
2,20 Euro<br />
Davon 1,10 Euro<br />
für unsere Verkäufer<br />
Sascha:<br />
Mit elf das<br />
erste Mal<br />
obdachlos<br />
Bosse:<br />
„Ich kann<br />
viel bewirken,<br />
viel helfen.“
ART<br />
MUSIC<br />
TATTOO<br />
12. & 13. AUGUST <strong>2017</strong><br />
KULTURWERKSTATT ALTONA<br />
www.taste-hh.de<br />
tastefestderkuenste<br />
taste_festderkuenste
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Editorial<br />
Vom Sylvias Geburtstagskuchen<br />
ist so gut wie nichts<br />
mehr übrig. Die 58-Jährige<br />
ist unsere dienstälteste<br />
Hauswirtschafterin.<br />
Gerne steht sie mit Frank,<br />
genannt „Spinne“, hinter<br />
dem Kaffeetresen. Aber der<br />
Hauptjob von Sylvia, Elena<br />
(links) und Carmen ist<br />
Putzen. Auf Teilzeit –<br />
und fest angestellt.<br />
TITELBILD: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Hamburgs Zentraler<br />
Omnibusbahnhof (ZOB) ist<br />
nicht jedem vertraut –<br />
obwohl er mitten in der City<br />
liegt. Was dort innerhalb<br />
von 24 Stunden passiert,<br />
wer wohin reist und wer was<br />
erlebt, lesen Sie ab S. 6<br />
Bosse kommt:<br />
Im <strong>August</strong> spielt der<br />
Sänger ein Konzert auf der<br />
Trabrennbahn Bahrenfeld.<br />
Wir haben den 37-Jährigen<br />
gefragt, wieso er sich neben<br />
der Musik für Obdachlose<br />
stark macht. S. 48<br />
Geschichten<br />
aus unserem Alltag<br />
Irgendwie sitzt uns allen noch der G20-Gipfel in den<br />
Knochen. Die Gewalt, die martialischen Bilder, die<br />
Geräusche. Im Vorfeld hatten wir einen offenen<br />
Brief an die Senatoren Melanie Leonhard und Andy<br />
Grote geschrieben und an Bürgermeister Olaf<br />
Scholz (alle SPD). Wir hatten gefordert, dass die Obdachlosen<br />
ein Ausweichquartier bekommen. Keine<br />
Antwort. Während des G20 waren viele Obdachlose<br />
einfach verschwunden. Und die, die blieben, gaben<br />
sich betont cool. Obwohl sie zwischen die Fronten<br />
von Polizei und Demonstranten gerieten (Seite 16).<br />
Da tut etwas Alltag gut. Sylvia, unsere dienstälteste<br />
Hauswirtschafterin, wurde 58 und hat für uns<br />
Kuchen gebacken. Sie liebt es, unsere Büros mit<br />
Blumen zu schmücken, Wäsche zu waschen, mit<br />
„Spinne“ am Kaffeetresen zu stehen oder eben zu<br />
backen. Aber ihr Hauptjob ist natürlich Putzen. Bei<br />
um die 500 aktiven Hinz&Künztlern nicht gerade<br />
einfach. Inzwischen hat sie noch zwei Kolleginnen:<br />
Elena und Carmen, beide aus Rumänien, und beide<br />
haben zunächst Zeitungen verkauft.<br />
Für Elena ist der Schritt in die Festanstellung<br />
besonders groß. Sie ging in Rumänien nur kurze Zeit<br />
in die Schule. Und war noch nie richtig im Urlaub.<br />
Aber im vergangenen Jahr war sie mit uns beim<br />
Papst. „Schön!“, sagt sie und legt ihre Hand ans<br />
Herz. Die drei kommen indirekt auch in unserem<br />
Jahresbericht 2016 (Seite 42) vor. Sie sind drei von 22<br />
Festangestellten, die früher wohnungslos waren. •<br />
Ihre Birgit Müller<br />
Chefredakteurin<br />
(Wir freuen uns über Post von Ihnen.<br />
Schreiben Sie uns doch an info@hinzundkunzt.de)<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
Das Thema: Unser<br />
Hamburg. Das Werkzeug:<br />
eine Kamera.<br />
Hinz&Künztler machten<br />
sich auf Motivsuche.<br />
Die Resultate sehen<br />
Sie ab S. 28<br />
Inhalt<br />
Stadtgespräch<br />
04 Gut&Schön<br />
06 24 Stunden am ZOB<br />
12 Winternotprogramm 2018<br />
14 Zahlen des Monats<br />
16 G20-Rückblick<br />
42 Jahresbericht 2016<br />
Hinz&Künztler<br />
24 Saschas neues Zuhause<br />
28 Verkäufer-Fotowettbewerb<br />
Lebenslinien<br />
34 Autor: Günter Märtens<br />
38 Live bei Oriental Karaoke<br />
Freunde<br />
44 Wettbewerb AudiYou<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
48 Musik: Bosse-Interview<br />
52 12 Tipps für den <strong>August</strong><br />
56 Comic mit Dodo Dronte<br />
58 Momentaufnahme<br />
Rubriken<br />
05 Kolumne<br />
22 Meldungen<br />
46 Leserbriefe<br />
57 Rätsel, Impressum
Russland<br />
Sehnsuchtsort<br />
Datscha<br />
Evgeny Makarov war noch Kind, als er<br />
mit seiner Familie von Russland nach<br />
Hamburg zog. Nun ist der Fotograf, der<br />
auch für Hinz&<strong>Kunzt</strong> arbeitet, noch<br />
einmal auf die Datscha seiner Kindheit<br />
zurückgekehrt und hat die Bewohner<br />
und ihren Alltag porträtiert. Zum<br />
Beispiel Anna, die ihren Kraftort unter<br />
ihrem Kirschbaum hat. Entstanden ist<br />
ein warmherziger Bildband, durchzogen<br />
von einer sanften Wehmut. FK<br />
•<br />
Einblicke in das Buch 600 M² Glück<br />
gibt es unter www.evgenymakarov.com
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Gut&Schön<br />
Korrekt einkaufen<br />
„Markthalle<br />
mit Flair“<br />
Andreas Achtziger mag es pur – ohne<br />
Plastikverpackungen oder Kartons.<br />
FOTOS: EVGENY MAKAROV, (S.4), JULIA SCHWENDNER (OBEN),<br />
ANDRE KRAMER (UNTEN), WWW.HELPHERE.DE, KOLUMNE: CHRISTOPHER KOCH<br />
Engagement<br />
Unermüdlich für die Demokratie unterwegs<br />
Sie bleibt jung und unangepasst – Esther Bejarano.<br />
Trotz ihrer 92 Lebensjahre tritt die Auschwitz-<br />
Überlebende weiterhin mit der Kölner „Microphone<br />
Mafia“ auf – wie hier in Hamburg. Geehrt wurde<br />
sie jetzt mit dem „Hildegard Hamm-Brücher-<br />
Förderpreis“ für Demokratie. FK<br />
•<br />
Protest hilft Obdachlosen<br />
Es war der Hit im Internet: der<br />
Comedien Andre Kramer und sein<br />
Schild „Ich bin Anwohner und<br />
gehe nur kurz zu Edeka“ vor aufmarschierter<br />
Polizei beim G20.<br />
Klar, dass Edeka das Bild für seine<br />
Werbung nutzte. Was Kramer auf<br />
die nächste Idee brachte: Er bat die<br />
Lebensmittelkette um Spenden für<br />
Obdachlose. Und Edeka lieferte an Hilfe per Klick<br />
die Heilsarmee auf St. Pauli. So haben<br />
wenigstens einige Obdachlose Suchen Unterstützung beim<br />
Sie brauchen eine Bohrmaschine?<br />
vom G20-Gipfel profitiert. FK<br />
•<br />
Umzug? Viele Menschen brauchen<br />
Hilfe, viele Menschen wollen aber<br />
auch helfen. Nur: Wie kommt man<br />
schnell und unkompliziert zusammen?<br />
25 Vereine haben nun die<br />
Internetplattform „HelpHere“<br />
eingerichtet: ein soziales Schwarzes<br />
Brett. Anklicken, Hilfe suchen,<br />
Hilfe posten, geordnet nach Postleitzahlen.<br />
Einfach. Und klasse. FK<br />
Alles unter: www.helphere.de<br />
•<br />
Sie sammeln für eine „Zero-Waste-<br />
Markthalle“. Was wird das?<br />
Eine Markthalle, wie man<br />
sie aus Madrid oder Paris<br />
kennt, haben wir in Hamburg<br />
nicht. Ich möchte ein<br />
wenig von deren Flair zu<br />
uns bringen: eine Halle mit<br />
vielen Ständen, mit viel Leben<br />
und das verbunden mit<br />
einem verpackungsfreien<br />
Einkaufen. Auch ein verpackungsfreier<br />
Supermarkt<br />
gehört dazu.<br />
Gegen Konsum sind Sie aber nicht?<br />
Es gibt die einen, die einen<br />
minimalistischen Lebensstil<br />
pflegen, und es gibt die, die<br />
gerne konsumieren, aber<br />
Müll und Abfall vermeiden<br />
möchten. Ich möchte beide<br />
Gruppen ansprechen, möchte<br />
nicht dogmatisch sein.<br />
Was wird noch anders sein?<br />
Es soll auch ein kultureller<br />
Ort werden mit genügend<br />
Freiflächen für Theaterprojekte,<br />
für Lesungen und<br />
Ausstellungen. Mein Traum<br />
ist es, dass die Leute nach<br />
dem Einkaufen an einer<br />
langen Tafel zusammensitzen<br />
und miteinander besprechen,<br />
wie man diese<br />
Welt vielleicht ein wenig<br />
besser machen kann. FK<br />
•<br />
Crowdfunding noch bis zum<br />
17.8.: www.startnext.com/<br />
zerowaste-markthalle<br />
5
Jahrzehntelang war der ZOB eine<br />
richtige Schmuddelecke.<br />
2003 dann die Renovierung –<br />
für 16 Millionen Euro. Und er wurde<br />
wegen seines futuristischen<br />
Glasdaches „Bauwerk des Jahres“.
Drehkreuz in<br />
die Welt<br />
Busse kommen an und fahren ab,<br />
Menschen verabschieden sich,<br />
winken, warten, wuseln geschäftig umher:<br />
Hamburgs Zentraler Omnibusbahnhof<br />
(ZOB) ist ein spannender Ort.<br />
Frank Keil (Text) und Mauricio Bustamante<br />
(Fotos) haben sich 24 Stunden<br />
lang umgeschaut.
Für Christoph geht es gleich nach Darmstadt. Der Student mag die gelassene<br />
Atmosphäre auf dem ZOB: „Du hast hier keine Schlipsträger, die in ihr Handy brüllen“,<br />
sagt er. Und zum Reisen gehöre eine gewisse Langsamkeit nun mal dazu.<br />
Unser ZOB-Tag beginnt an<br />
einem Mittwochmittag. Wo<br />
um kurz vor 12 Uhr Markus<br />
und Lisa mitten auf<br />
dem Busbahnhofsplatz stehen und sich<br />
küssen. Weil Markus gleich nach Berlin<br />
fährt, und Lisa bleibt zurück. Einen Tag<br />
außer der Reihe haben sie miteinander<br />
verbracht, es musste einfach sein. Sie<br />
versuchen sich jedes Wochenende zu sehen,<br />
in Hamburg oder in Berlin. Lisa<br />
nimmt manchmal das Auto, Markus<br />
fast immer den Bus. Die Fahrt: neun<br />
Euro. „Fantastischer Preis!“, sagt der<br />
umschlungene Markus, den wir jetzt in<br />
Ruhe lassen, damit er sich von Lisa<br />
verabschieden kann, sein Bus geht in<br />
wenigen Minuten. Und danach sind die<br />
beiden wieder allein.<br />
Den Hamburger ZOB gibt es seit<br />
den 1950er-Jahren. Damals fuhren vorzugsweise<br />
die Busse der Bahn und der<br />
Post durchs Land. Doch mit dem Aufkommen<br />
des Individualverkehrs wurde<br />
Busfahren etwas für die, die sich kein<br />
Auto leisten konnten. Der ZOB war<br />
schließlich eine schwer einsehbare<br />
Ecke, die der Hamburger besser mied.<br />
Mit dem Ende des Ostblocks begann<br />
sich das Reisen per Bus langsam zu beleben.<br />
2003 wurde der Bahnhof grundlegend<br />
modernisiert. Der Schub kam<br />
„Man erzählt<br />
sich aus seinem<br />
Leben, man hat<br />
ja Zeit.“ MILA Z.<br />
8<br />
2014: mit der Liberalisierung des Fernbusmarktes,<br />
der die Zahl der Passagiere<br />
so gut wie verdoppelte. Dieser Trend<br />
hält an. Und auch wenn es länderübergreifende<br />
Touren nach Frankreich gibt,<br />
nach Spanien und Portugal, es dominieren<br />
die Verbindungen nach Ost- und<br />
nach Südosteuropa, weil die von dort<br />
kommenden Arbeitsmigranten, die bei<br />
uns auf dem Bau, in der Gastronomie<br />
und in der Pflege arbeiten, ihr Geld<br />
nicht für vergleichsweise teure Bahnoder<br />
Flugtickets gleich wieder ausgeben<br />
wollen.<br />
So ist der Bus, der um 14 Uhr nach<br />
Belgrad geht, nicht der einzige, der<br />
Hamburg mit Serbien verbindet. Am<br />
Rand steht Mila Z. Sie hat ihre Nichte<br />
zum Bus gebracht. Sie selbst hat lange<br />
bei der Deutschen Bahn gearbeitet, hat<br />
die Bahncard 100, fährt umsonst. Aber<br />
Frau Z. nimmt gern den Bus, will sie ihr<br />
altes Zuhause besuchen. Weil ganz<br />
schnell eine Gemeinschaft entstünde,<br />
eine vertraute Reisegesellschaft für<br />
24 Stunden: „Man macht zusammen<br />
Pause, man lernt sich ein wenig kennen,<br />
man erzählt sich aus seinem Leben,<br />
man hat ja Zeit.“<br />
Um 15 Uhr ist es richtig voll: Junge<br />
Leute mit Luftmatratzen und Wasser-
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
pistolen, die auf Rockfestivals wollen,<br />
bestimmen kurzzeitig das Bild. Am<br />
Rande eine Gruppe junger Architekturstudenten<br />
aus Istanbul. Mit dem Flieger<br />
sind sie nach Rotterdam gekommen,<br />
von dort ging es per Bus nach Köln,<br />
„Auch die<br />
Straßenmusiker<br />
nehmen unsere<br />
Busse.“<br />
IULIANA-VIOLETA MOSBERGER<br />
nach Hamburg und nun geht es nach<br />
Berlin. Pro Stadt zwei Tage. Klar, Hamburg<br />
sei toll! Das Chilehaus, die Elbphilharmonie<br />
– super. Was ihnen auch<br />
gefallen hat und was sie unbedingt sehen<br />
wollten: die Rote Flora.<br />
Gegen 18 Uhr packt Iuliana-Violeta<br />
Mosberger langsam ihre Sachen. Ihr<br />
Reisebüro im ersten Stock der Wartehalle<br />
bietet Fahrten nach Rumänien an.<br />
Das aktuelle Angebot: für 95 Euro geht<br />
es hin. Will man wieder zurück, kostet<br />
das insgesamt 170 Euro. „98 Prozent<br />
unserer Fahrgäste sind Rumänen. Und<br />
zwei Prozent sind mit Deutschen Verheiratete“,<br />
sagt sie. „Auch die Straßenmusiker,<br />
die Bettler, sie nehmen alle<br />
unsere Busse.“ Nicht nur, weil die Fahrt<br />
so günstig ist – sondern weil man im<br />
Bus so viel Gepäck mitnehmen darf wie<br />
man tragen kann. „Und diese Menschen<br />
nehmen auch mit, was sie hier in<br />
Deutschland auf der Straße gefunden<br />
haben, was aber bei uns noch etwas<br />
wert ist“, sagt sie.<br />
21 Uhr: Dichtes Gedränge vor zwei<br />
Bussen, die nach Polen gehen. Kein<br />
Durchkommen. Kein Durchkommen?<br />
Patricya schüttelt den Kopf: Ehrlich –<br />
das sei gar nichts! Wir sollten mal am<br />
Freitag schauen! Oder an Ostern! „Da<br />
sieht man, wie viele Polen heute in<br />
Deutschland arbeiten“, sagt sie. Sie<br />
pendelt seit den 1990er-Jahren zwischen<br />
Deutschland und Polen. Sie muss<br />
in die Nähe von Kattowitz. „Okay, man<br />
hat im Bus nicht so viel Platz, die Sitze<br />
sind schmal, aber wenn man eine<br />
ruhige Nachbarschaft hat, dann kann<br />
Lisa und Markus führen wie viele Paare eine vernünftige Wochenend-Fernbeziehung<br />
zwischen Hamburg und Berlin. Doch diesmal mussten sie sich einfach mitten in der<br />
Woche sehen! Am Nachmittag füllt sich kurzzeitig die Wartehalle. Es geht nach München,<br />
ins Baltikum, nach Serbien oder etwas schlichter in die Lüneburger Heide.<br />
9
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>294</strong>/AUGUST <strong>2017</strong><br />
Linienbus gefahren, habe hier manchmal<br />
Pause gemacht, aber ich habe den<br />
ZOB gar nicht richtig wahrgenommen<br />
und mir nie Gedanken gemacht, wie<br />
viele Leute hier täglich ankommen und<br />
abfahren“, erzählt er.<br />
Eine Gruppe<br />
Jugendlicher<br />
zieht lärmend<br />
vorbei.<br />
Mehrmals am Tage werden die wichtigsten polnischen Städte angefahren. Weit im<br />
Voraus buchen muss man in der Woche nicht. Jens, der Flaschensammler, wartet auf seinen<br />
Feierabend. In ein paar Tagen ist auch er unterwegs: nach Wien. Natürlich mit dem Bus.<br />
man gut schlafen“, sagt sie. „Aber das<br />
letzte Mal saß eine Oma neben mir, also<br />
eine alte Frau. Und sie hat erzählt,<br />
die ganze Zeit – sie hatte Reisefieber.“<br />
Kurz nach 23 Uhr tritt Herr Gamm<br />
vor die Tür. Sein Arbeitsplatz ist oben<br />
in der Leitstelle im ersten Stock, wo sie<br />
auf Monitoren die An- und Abfahrten<br />
der Busse verfolgen und diese notfalls<br />
einweisen. Er will sich mal kurz die<br />
Beine vertreten. „Dieses Ostern waren<br />
64 zusätzliche Busse eingesetzt, um die<br />
Polen nach Hause zu bringen“, bestätigt<br />
er Patricyas Auskunft. Ruhe sei nie:<br />
Es komme immer ein Bus an, es fahre<br />
immer einer ab. „Ich bin selbst lange<br />
Jens, der Flaschensammler, hat seinen<br />
Spätkaffee ausgetrunken und etwas<br />
gegessen. Gekonnt räumt er nun vorm<br />
Café „Soulfood“ Stühle und Tische zusammen<br />
und kettet sie an. Er hilft und<br />
wird dafür verpflegt, das ist der Deal.<br />
Eine Gruppe Jugendlicher zieht lärmend<br />
vorbei, unterwegs in eines der<br />
neuen Hostels Richtung Steindamm,<br />
Sechslingspforte.<br />
Tiefdunkel ist es geworden, jedenfalls<br />
für Stadtverhältnisse. In einer der<br />
unteren Bustaschen, wie man die Haltebuchten<br />
fachmännisch nennt, steht um<br />
1.30 Uhr ein Bus mit abgeblendeten<br />
Scheinwerfern. Ziel: Lago di Garda.<br />
Ältere Leute drängen in den Bus. „Die<br />
vorderen Plätze sind alle reserviert, aber<br />
weiter hinten ist alles frei“, versucht der<br />
Busbegleiter die aufgeregten Fahrgäste<br />
zu dirigieren. Wie – reserviert? Und die,<br />
die nicht reserviert haben? Das geht<br />
doch nicht! Das gibt’s doch nicht! Und<br />
sie schieben und schubsen und erobern<br />
sich einen Sitzplatz. Hier werden sie<br />
sitzen bleiben und nicht weichen, bis<br />
die Koffer wieder ausgeladen werden.<br />
Mäuse huschen über den Platz.<br />
Der Himmel ist um 5.15 Uhr noch<br />
gräulich, fast fahl. Wird licht, mit rosa<br />
Tupfen durchsetzt, die bald Schlieren<br />
ziehen. Die Wartehalle ist noch geschlossen,<br />
obwohl sie seit einer Viertelstunde<br />
geöffnet sein müsste. Niemand<br />
mag reden. Die Ruhe ist ganz angenehm.<br />
Um 5.45 Uhr fährt ein Bus nach<br />
Berlin, der Bus aus Mannheim, der für<br />
4.45 Uhr angekündigt war, wird um<br />
5.20 Uhr erwartet. Man könnte um<br />
10
Stadtgespräch<br />
6.30 Uhr auch nach Bratislava reisen. Acht Busse<br />
stehen auf der Parkspur.<br />
Um 8 Uhr dann die Tour nach Sofia. Was es<br />
so gar nicht gibt, sind Fahrgäste mit Hunden.<br />
Langsam füllt sich der ZOB. Wenn die Fahrer<br />
aussteigen und sich recken, rutschen ihnen ihre<br />
meist blütenweißen Hemden aus der Hose. Im<br />
Gehen, zur Toilette oder zu einem der Cafés,<br />
stecken sie die wieder zurück.<br />
9 Uhr: Gleich steige ich auch in so einen Bus.<br />
Fahre irgendwohin! Es muss toll sein, morgen um<br />
diese Zeit irgendwo auszusteigen, vom langen Sitzen<br />
zerschlagen und aufgekratzt, müde und wach<br />
zugleich. Ich ringe mein Fernweh nieder. Beim<br />
nächsten Bus steht „Gostiver“ auf der Anzeigetafel.<br />
„Das ist in Makedonien!“, ruft der Busfahrer.<br />
„Unsere Heimat, was sollen wir machen?“, er<br />
wirft seine Zigarette weg, springt in den Bus. 30<br />
Stunden werden er und sein Beifahrer mindestens<br />
unterwegs sein. Zehn Minuten später hält der Bus<br />
aus Kiew. Eine Gruppe schweigender Männer<br />
stellt sich eng in einem Kreis auf, wie Pinguine.<br />
Alle rauchen. Dann steigen sie wortlos wieder ein<br />
und es geht weiter, wohin auch immer.<br />
Um 11 Uhr wird es langsam warm. Christa<br />
Graf hält uns ihren rechten Arm hin, zieht den Ärmel<br />
hoch: Ob wir die Gänsehaut sehen könnten?<br />
Sie ist ja sowas von begeistert von ihrer ersten Fernbusfahrt,<br />
die sie von Aachen nach Hamburg gebracht<br />
hat. „Als ich zu Hause einstieg, dachte ich:<br />
Für die paar Euro diese Strecke, das kann ja eine<br />
lustige Fahrt werden.“ Sie muss jetzt noch eine<br />
Bekannte anrufen und ihr davon vorschwärmen.<br />
Draußen fahren drei Busse nach Berlin nahezu<br />
zeitgleich ab, und der Platz ist plötzlich sehr<br />
leer. Er wird sich in der kommenden halben Stunde<br />
wieder füllen. Dann geht es nach Mainz, nach<br />
Novi Pazar und wieder nach Berlin. Was Markus<br />
und Lisa wohl machen? •<br />
abasto<br />
ökologische Energietechnik<br />
Für mehr soziale Wärme<br />
und eine klimaschonende<br />
Strom- und Wärmeversorgung.<br />
www.abasto.de<br />
FAMILIENFEST AUF DEM BERT-KAEMPFERT-PLATZ<br />
Samstag,<br />
26. <strong>August</strong> <strong>2017</strong><br />
ab 14 Uhr<br />
Museum der Arbeit<br />
Kontakt: frank.keil@hinzundkunzt.de<br />
Hamburgs Zentraler Busbahnhof<br />
Hamburgs Zentraler Omnibusbahnhof liegt im<br />
Stadtteil St. Georg, gleich neben dem Hauptbahnhof.<br />
Der ZOB ist eine GmbH, fast 70 Prozent<br />
der Anteile gehören der Hamburger Hochbahn.<br />
Die Fahrgastzahlen steigen Jahr für Jahr.<br />
Zunehmend finden sich auch junge Familien<br />
unter den Fahrgästen. Der ZOB ist rund um<br />
die Uhr geöffnet. Nur die Wartehalle<br />
schließt um 23 Uhr und öffnet wieder um 5 Uhr<br />
morgens. Diverse Reisebüros verkaufen<br />
vor Ort Tickets, auch wenn Online-Buchungen<br />
immer beliebter werden.<br />
11<br />
Live-Musik ab 18 Uhr:<br />
EARLY BIRDS<br />
SWINGSCHMELZE<br />
SYLVIA VRETHAMMAR<br />
& ACK VAN ROOYEN<br />
Eintritt tt<br />
kostenlos!<br />
Mehr Infos unter:<br />
www.museum-der-arbeit.de
Ab November<br />
öffnet erneut<br />
das Winternotprogramm<br />
seine Türen.<br />
Nächste Notlage<br />
mit Ansage<br />
Wie in den Vorjahren wird die Stadt mehr als 800 Plätze im kommenden Winternotprogramm<br />
anbieten. Die Probleme für Obdachlose aber bleiben bestehen, sagt<br />
Dirk Hauer von der Diakonie: Es gibt für sie leider zu wenige ganzjährige Unterkünfte.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER<br />
FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Trotz warmer Temperaturen hat man<br />
sich in der Sozialbehörde und beim<br />
städtischen Unterkunftsbetreiber fördern<br />
und wohnen (f&w) im Juli viele Gedanken<br />
um Schnee und Kälteschutz<br />
machen müssen. Seit mehr als 25 Jahren<br />
bietet die Stadt Obdachlosen von November<br />
bis Ende März im Winternotprogramm<br />
Schutz. Doch f&w musste<br />
eine der bestehenden Unterkünfte<br />
schließen. Das Gebäude im Münzviertel<br />
weicht dem Wohnungsbau. Ein Verlust<br />
von etwa 425 Schlafplätzen.<br />
Inzwischen ist man fündig geworden.<br />
In der Friesenstraße in Hammerbrook<br />
wird eine Flüchtlingsunterkunft<br />
12<br />
zur Notschlafstätte für bis zu 460 Obdachlose<br />
umgebaut. Der Vertrag gilt für<br />
zehn Jahre. Darüber hinaus öffnet auch<br />
die Unterkunft im Schaarsteinweg wieder<br />
ihre Türen. Insgesamt stehen dann<br />
mehr als 800 Plätze zur Verfügung. Darüber<br />
hinaus gibt es etwa 130 Plätze in<br />
Containern auf Kirchengeländen.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
„Ende 2016 gab<br />
es erste positive<br />
Signale aus<br />
der Sozialbehörde.<br />
Aber jetzt?“ DIRK HAUER<br />
ANKER<br />
DES<br />
LEBENS<br />
FOTO: DIAKONIE HAMBURG<br />
Trotz aller Erleichterung offenbart die<br />
hohe Anzahl der Notschlafplätze die<br />
Probleme der Wohnungslosenhilfe. „Es<br />
hat doch eigentlich niemand Interesse<br />
an einem überbordenden Winternotprogramm“,<br />
sagt Dirk Hauer. Der<br />
58-Jährige leitet den Fachbereich Migration<br />
und Existenzsicherung bei der Diakonie<br />
Hamburg. Statt Notschlafplätze<br />
herzurichten, müsse man den Menschen<br />
endlich Plätze in dauerhaften<br />
Unterkünften anbieten. „Es gab Ende<br />
des Jahres positive Signale aus der Sozialbehörde,<br />
aber leider hat man davon<br />
nichts mehr vernommen.“<br />
1500 dauerhafte<br />
Plätze sollten<br />
allein in diesem<br />
Jahr entstehen.<br />
Ursprünglich wollte die Stadt nämlich<br />
1500 neue Plätze in diesem Jahr schaffen.<br />
Im ersten Halbjahr wurden aber<br />
erst 580 Wohnungslose untergebracht.<br />
„Es müssten deutlich mehr Plätze in<br />
Unterkünften auch für Obdachlose entstehen.<br />
Dann benötigen wir nicht so<br />
viele Betten in den Notunterkünften“,<br />
sagt Hauer. Das Winternotprogramm<br />
sei „leider ein Nadelöhr auf dem Weg<br />
aus der Obdachlosigkeit“.<br />
Wirklich zur Ruhe kommen die<br />
Obdachlosen in den Notunterkünften<br />
allemal nicht. Denn das Winternotprogramm,<br />
so die Linie der Behörde, ist lediglich<br />
ein Erfrierungsschutz. Selbst bei<br />
deutlichen Minustemperaturen dürfen<br />
die Obdachlosen erst gegen 17 Uhr rein<br />
und müssen um 9 Uhr wieder raus.<br />
Seit Jahren fordert die gesamte<br />
Wohnungslosenhilfe eine Tagesöffnung<br />
des Notprogramms. Hinz&<strong>Kunzt</strong> hatte<br />
Sozialsenatorin Melanie Leonhard sogar<br />
eine Online-Petition mit 55.896<br />
Unterschriften übergeben. Vergeblich.<br />
Stattdessen schlug man eine andere<br />
Gangart ein: Erstmals wurden Obdachlose<br />
abgewiesen. Und das, obwohl es<br />
sich um einen Erfrierungsschutz handelte.<br />
Es waren Osteuropäer, die meisten<br />
Bettler, die in der Regel für ein paar<br />
Monate in Hamburg leben. Weil sie in<br />
der Heimat noch eine Wohnung haben,<br />
sollen sie dorthin zurückkehren.<br />
Einige abgelehnte Obdachlose verblieben<br />
aber nach Angaben von Straßensozialarbeitern<br />
in der Stadt. Sie hätten<br />
anschließend draußen in der Kälte<br />
genächtigt. „Auch die müssen untergebracht<br />
werden, dafür ist Erfrierungsschutz<br />
schließlich da“, sagt Hauer. „Es<br />
geht nicht an, dass man das Winternotprogramm<br />
dadurch entlastet, indem<br />
man die Zugangshürden erhöht.“ •<br />
Kontakt: jonas.fuellner@hinzundkunzt.de<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> bietet obdachlosen<br />
Menschen Halt. Eine Art<br />
Anker für diejenigen, deren<br />
Leben aus dem Ruder<br />
gelaufen ist. Möchten Sie<br />
uns dabei unterstützen und<br />
gleichzeitig den Menschen,<br />
die bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> Heimat und<br />
Arbeit gefunden haben, helfen?<br />
Dann hinterlassen Sie etwas<br />
Bleibendes – berücksichtigen<br />
Sie uns in Ihrem Testament! Als<br />
Testamentsspender wird Ihr<br />
Name auf Wunsch auf unserem<br />
Gedenk-Anker in der Hafencity<br />
graviert.<br />
Ein maritimes Symbol für<br />
den Halt, den Sie den sozial<br />
Benachteiligten<br />
mit Ihrer Spende geben.<br />
Wünschen Sie ein persönliches<br />
Gespräch? Kontaktieren<br />
Sie den Geschäftsführer<br />
Dr. Jens Ade.<br />
Tel.: 040/32 10 84 03 oder<br />
Mail: jens.ade@hinzundkunzt.de<br />
13
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Zahlen des Monats<br />
Geldbußen<br />
wegen Leerstand<br />
12<br />
Mal haben Hamburgs Bezirksämter seit Verschärfung des Wohnraumschutzgesetzes<br />
vor vier Jahren eine Geldbuße verhängt, weil Eigentümer Wohnungen leer stehen<br />
lassen oder sie zweckentfremdet haben. In fünf Fällen ging es um ungenehmigten<br />
Leerstand, in drei um gewerbliche Nutzung etwa als Büro und in vier Fällen<br />
um eine unerlaubte Vermietung als Ferienwohnung, so die Stadtentwicklungsbehörde<br />
auf Nachfragen von Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Die Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum<br />
bis Ende 2016, neuere Daten liegen der Behörde nicht vor.<br />
Seit Juni 2013 müssen Eigentümer eine Genehmigung beantragen, wenn sie Wohnungen<br />
länger als vier Monate leer stehen lassen oder für anderes als zum Wohnen nutzen.<br />
Der Senat hatte die Verschärfung mit der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt<br />
begründet. Bei Verstößen gegen das Gesetz können die zuständigen Bezirke eine<br />
Geldbuße bis 50.000 Euro verhängen. In den 12 oben genannten Fällen ging es um insgesamt<br />
32.864 Euro. Welcher Anteil dieses Geldes bezahlt wurde, wird laut Behörde nicht erfasst.<br />
Der Erfolg des Gesetzes beruhe „vor allem auf seiner präventiven Wirkung“, erklärte die<br />
Stadtentwicklungsbehörde. Ziel sei in erster Linie, Zweckentfremdung und Leerstand zu beenden.<br />
978<br />
Wohnungen seien allein 2015 und 2016 wieder vermietet worden, nachdem die<br />
Wohnraumschützer Eigentümer – teils auf deren eigene Anfrage hin – auf ihre Pflichten<br />
hinwiesen. Das zeige, „dass viele Betroffene nach Aufklärung rechtmäßige Zustände herstellen“.<br />
Zuletzt erregte der Bezirk Mitte mediale Aufmerksamkeit über die<br />
Landesgrenzen hinweg: Er hat für ein seit Langem fast vollständig leer stehendes<br />
Mehrfamilienhaus in Hamm einen Treuhänder eingesetzt. Die Maßnahme gilt als<br />
schärfstes Schwert der Wohnraumschützer und wird nun erstmals angewandt.<br />
Laut Bezirksamt sollen in dem Haus sechs Wohnungen saniert und anschließend<br />
vermietet werden. Die Kosten will das Amt dem Eigentümer in Rechnung stellen.<br />
Ob dieser das in diesem Fall verhängte Zwangsgeld in Höhe von 18.000 Euro bezahlt hat,<br />
das ihn zu einer Vermietung bewegen sollte, ist nicht bekannt. Die beteiligten<br />
Behörden verweigern dazu die Auskunft mit Hinweis auf den Datenschutz. •<br />
TEXT: ULRICH JONAS<br />
ILLUSTRATION: GRAFIKDEERNS<br />
Mehr Infos unter www.huklink.de/wohnraumschutz<br />
Kontakt: ulrich.jonas@hinzundkunzt.de<br />
15
G20-Rückblick<br />
„Bitte raus aus unserm<br />
Wohnzimmer!“<br />
Hamburg versank im G20-Chaos – und viele Obdachlose waren mittendrin.<br />
Zig Schlafplätze gingen während der Gipfeltage verloren und einige Obdachlose<br />
gerieten zwischen die Fronten von Polizei und Demonstranten. Dass niemand<br />
verletzt wurde, ist reiner Zufall. Wir haben die Obdachlosen besucht.<br />
TEXT UND FOTOS: BIRGIT MÜLLER, BENJAMIN LAUFER, ANNABEL TRAUTWEIN, JONAS FÜLLNER<br />
16
Stadtgespräch<br />
Eine individuelle<br />
Lösung gibt<br />
es tatsächlich.<br />
Leider hatten wir recht. Der G20 war<br />
alles andere als ein Hafengeburtstag. Im<br />
Vorfeld hatten wir gefordert, dass die<br />
Obdachlosen zur Entspannung aller<br />
und zu ihrem Schutz in der City und<br />
auf St. Pauli ein Ausweichquartier bekommen.<br />
Wir befürchteten, dass sie<br />
sonst vertrieben würden oder in die<br />
Auseinandersetzungen zwischen Polizisten<br />
und Demonstranten geraten<br />
könnten. Als „hysterisch“ wurden wir<br />
von unseren Ansprechpartnern bezeichnet.<br />
Wie alle, die sich Sorgen<br />
An Hartmuths Platte brausen Polizeifahrzeuge vorbei.<br />
Kurze Zeit später muss er seinen Platz räumen,<br />
weil der Sportladen die Schaufenster vernagelt.<br />
machten. Die Behörde hatte gesagt, im<br />
Notasyl Pik As seien genug Plätze frei.<br />
Und ansonsten werde man „individuelle<br />
Lösungen“ finden. Daran haben wir<br />
nicht geglaubt, weil man sich mit gesundem<br />
Menschenverstand vorstellen<br />
kann, dass es unter Stress keine Zeit für<br />
„individuelle Lösungen“ gibt.<br />
In den Tagen vor und während des<br />
Gipfels waren wir deshalb unterwegs<br />
und haben Obdachlose besucht. Ein<br />
Rückblick. Viele normalerweise belebte<br />
Straßen sind schon ab dem 6. Juli wie<br />
leer gefegt. Manche Geschäfte haben<br />
sich regelrecht verbarrikadiert. Damit<br />
fallen einige Schlafplätze weg. Es sind<br />
deutlich weniger Obdachlose zu sehen<br />
als üblich. Von maximal 25 Obdachlosen<br />
in der Innenstadt spricht Straßensozialarbeiter<br />
Johan Graßhof. „Viele<br />
Obdachlose gehen in ruhige Bereiche,<br />
wo sie denken, dass sie von dort nicht<br />
vertrieben werden oder zwischen die<br />
Fronten geraten“, sagt er. Sie seien in<br />
Außenbezirke, Parks oder unter Brücken<br />
ausgewichen. Und: Im Pik As schlafen<br />
90 Menschen mehr als Anfang Juli.<br />
Eine individuelle Lösung gibt es tatsächlich:<br />
Die Obdachlosen unter der<br />
Kennedybrücke sind quasi evakuiert<br />
worden. Schon Wochen vorher hatten<br />
die Männer erzählt, dass Ordnungshüter<br />
ihnen mitgeteilt hätten, sie müssten<br />
zum G20 weg. Aber Polizei und Bezirk<br />
hatten das immer wieder dementiert.<br />
Bezirksamtsleiter Falko Droßmann<br />
hat deshalb versprochen, sich persönlich<br />
um die acht Männer zu kümmern,<br />
falls sie die Brücke räumen müssten.<br />
Und er hält Wort: Sie werden mit ihren<br />
ganzen Klamotten in eine Unterkunft<br />
nach Bergedorf gebracht – mit dem<br />
Versprechen, nach dem Gipfel wiederkommen<br />
zu dürfen.<br />
17
Rubrik<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>294</strong>/AUGUST <strong>2017</strong><br />
Eigentlich verstehen sich die Bewohner der Kersten-Miles-Brücke gut mit den Polizisten.<br />
Trotzdem geraten sie in Scharmützel zwischen Polizei und Demonstranten.<br />
Unter der Kersten-Miles-Brücke auf<br />
St. Pauli dürfen die Obdachlosen bleiben.<br />
Könnte nur sein, dass sie für ein<br />
paar Stunden wegmüssten, hat ihnen<br />
die Polizei gesagt. Trotzdem geraten sie<br />
zwischen die Fronten. Einmal fliehen<br />
Demonstranten vor der Polizei direkt<br />
durch ihr Lager, und es riecht nach<br />
Bengalos und Tränengas. Zum Glück<br />
wird keiner von ihnen verletzt. Am<br />
nächsten Morgen geht es gleich weiter:<br />
Direkt vor der Platte, auf der der Obdachlose<br />
Thorsten untergekommen ist,<br />
drängen sich Demonstranten. „Es ist<br />
schon ein komisches Gefühl, wenn man<br />
morgens um sieben aufwacht und plötzlich<br />
überall um sich herum Schuhe<br />
sieht“, sagt er.<br />
Er sei aus seinem Schlafsack gesprungen<br />
und habe sich mit ausgebreiteten<br />
Armen vor die Gruppe gestellt. „Ich<br />
hab denen gesagt: ‚Bitte raus aus unserm<br />
Wohnzimmer!‘“, erzählt Thorsten. „Das<br />
wurde auch größtenteils respektiert.“<br />
Einige Demonstranten seien jedoch mitten<br />
über ihre Platte gerannt. Später<br />
kommt es zu Gewaltszenen. „Wir hatten<br />
eine Rauchbombe hier“, sagt Thorsten<br />
und zeigt auf die obere Ecke der Platte.<br />
Zwei weitere trafen den unteren Rand<br />
ihrer Schlafstätte. Er nimmt die Situation<br />
mit demonstrativer Gelassenheit.<br />
Wenige Meter entfernt ist auch<br />
Krzysztof zwischen die Fronten geraten.<br />
Er wird frühmorgens von Demonstranten<br />
und Polizisten geweckt, die an<br />
seinem Schlafsack vorbei in den Park<br />
Hinter Krzysztofs<br />
Platte brennt<br />
ein BMW.<br />
Gregor sitzt unter der Brücke beim S-Bahnhof Sternschanze. Die Polizei hat ihm<br />
geraten, wegzugehen. Dass er ins Pik As gehen könnte, habe ihm niemand gesagt.<br />
stürmen. „Scheiß G20“, sagt er. Und<br />
dann wird auch noch zehn Meter weiter<br />
ein BMW angezündet.<br />
Krzysztof kann von seinem Schlafplatz<br />
nicht alleine weg, dazu ist er zu<br />
krank. Eigentlich hätte er ein Bett im<br />
Krankenhaus an der Hohen Weide,<br />
18
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Krzysztof ist krank. Eigentlich hätte<br />
er einen Platz im Krankenhaus, aber<br />
der Krankenwagen kam nicht durch.<br />
Und dann auch noch das:<br />
Ein paar Meter hinter seiner Platte<br />
wurde ein BMW angezündet.<br />
Jens hat am Rande von Demonstrationen<br />
Flaschen gesammelt. Zum Schluss musste er<br />
rennen. „Mit drei Säcken voller Flaschen.“<br />
erzählt Straßensozialarbeiter Johan<br />
Graßhoff. Doch die Sanitäter im Krankenwagen<br />
hätten gesagt, es sei zu kompliziert,<br />
durch die Straßensperren dort -<br />
hin zu gelangen.<br />
Vom Gipfel kalt erwischt wurde<br />
Gregor. Der Este sitzt unter der Brücke<br />
beim S-Bahnhof Sternschanze. „Ich<br />
wusste nicht, was G20 bedeutet“, sagt<br />
er. „Polizisten sagten mir, ich muss weg.<br />
Aber sie haben nicht gesagt, wohin.“<br />
Die meisten Obdachlosen geben<br />
sich betont unbeeindruckt vom Geschehen,<br />
haben sich mit der Zeit ein dickes<br />
Fell zugelegt. Hinz&Künztler Jens sammelt<br />
jetzt gerade am Fischmarkt und in<br />
der Schanze Flaschen. „Die Linken geben<br />
ja gerne ihre Flaschen ab“, sagt er.<br />
Und nicht nur die. Auch Polizisten wissen:<br />
Pfand gehört daneben.<br />
Die Ausschreitungen schrecken<br />
Jens jedenfalls nicht ab. „Nur am Ende<br />
musste ich rennen – mit drei Säcken<br />
voller Flaschen in der Hand.“ Viele<br />
Obdachlose blicken der Gefahr, verletzt<br />
zu werden, mit trotziger Gleichgültigkeit<br />
entgegen. Auf der Reeperbahn liegen<br />
sogar Obdachlose, während sich<br />
Demonstranten und Polizisten Scharmützel<br />
liefern.<br />
Aber sind nicht die Hamburger<br />
Politiker dafür verantworlich, dass die<br />
Obdachlosen geschützt werden? Menschen,<br />
die nicht mal nach Hause gehen<br />
können? Da kann Rolf, der in der Mönckebergstraße<br />
schnorrt, nur lachen.<br />
Den Glauben an die Politik hat der<br />
71-Jährige längst verloren. Für die<br />
Demonstranten hegt er deshalb große<br />
Sympathien. Schließlich gehöre er auch<br />
zu ihnen. „Ich demonstriere hier seit<br />
Jahren unangemeldet und illegal gegen<br />
Rolf auf der Mönckebergstraße. „Ich demonstriere hier seit Jahren<br />
gegen Altersarmut“, sagt er. „Und es interessiert keinen.“<br />
Altersarmut.“ Aber genau das interessiere<br />
die Politiker ja nicht.<br />
Und wir? Wir verstehen nicht, dass<br />
die Stadt das Risiko, dass Menschen<br />
verletzt werden, in Kauf genommen<br />
hat. Warum gab es nicht eine Ausweichlösung<br />
für alle? Zumal man die<br />
Zeit hätte nutzen können, um Obdachlose<br />
dauerhaft unterzubringen. Das hat<br />
übrigens bei einigen tatsächlich geklappt,<br />
die im Pik As oder in Bergedorf<br />
Zuflucht gefunden haben: 13 Obdachlosen<br />
wurden während der Gipfeltage<br />
vermittelt und müssen nun nicht mehr<br />
zurück auf die Straße. •<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
19
G20-Rückblick<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel beim C20-Zivilgipfel in Hamburg.<br />
Fairness und Augenhöhe mahnten die Delegierten an. Beim G20 im<br />
Juli noch nicht auf Augenhöhe: Alpha Condé war als Vertreter<br />
der Afrikanischen Union nur zweite Liga, obwohl es um Afrika ging.<br />
Was brachte der Gipfel<br />
den armen Ländern?<br />
Im Vorfeld zum G20 haben wir uns in den vergangenen Monaten mit den<br />
Themen Armut, Hunger und Klimawandel befasst – und damit, was die reichen<br />
Länder tun könnten. Klaus Seitz von Brot für die Welt zieht für uns Bilanz.<br />
INTERVIEW: BIRGIT MÜLLER<br />
Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />
(CDU) ließ es sich nicht<br />
nehmen. Zum C20, dem Gipfel<br />
der zivilgesellschaftlichen<br />
Organisationen weltweit, flog sie nach<br />
Hamburg, um die Forderungen der 450<br />
Teilnehmer aus 60 Ländern persönlich<br />
entgegenzunehmen. Aber wurden die<br />
Delegierten wirklich gehört und ihre<br />
Anliegen auf dem G20-Gipfel auch diskutiert?<br />
Wir sprachen mit Klaus Seitz.<br />
Er ist bei Brot für die Welt für Politik<br />
zuständig und war beim C20 dabei.<br />
Herr Dr. Seitz, was haben Sie beim<br />
C20 der Bundeskanzlerin für ihren Gipfel<br />
mit auf den Weg gegeben ?<br />
Wir haben vor allem die gegenwärtige<br />
Krise der Globalisierung in den Blick<br />
genommen. Diese Krise äußert sich in<br />
zunehmender sozialer Ungleichheit,<br />
den zerstörerischen Folgen des Klimawandels<br />
und der Instabilität der Finanzmärkte.<br />
Wir haben Angela Merkel und<br />
die anderen Regierenden des G20 deshalb<br />
aufgefordert, die globalen Wirtschafts-<br />
und Finanzbeziehungen neu zu<br />
20<br />
gestalten und an den Prinzipien der Gerechtigkeit<br />
und der Nachhaltigkeit<br />
auszurichten.<br />
Wurden Sie denn mit Ihren Anliegen<br />
überhaupt gehört?<br />
Immerhin hat die Bundeskanzlerin auf<br />
dem C20-Gipfel vor laufenden Fernsehkameras<br />
eingeräumt, dass die Handelsverträge<br />
mit Afrika neu verhandelt<br />
werden müssten. Wichtig war uns aber<br />
ganz besonders, deutlich zu machen,<br />
dass die Beteiligung der Zivilgesell-
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
G20-Rückblick<br />
FOTOS: REUTERS/ FABIAN BIMMER, STEFANIE VON BECKER, DPA/ DANIEL BOCKWOLDT,<br />
REUTERS/POOL_NEW, BROT FÜR DIE WELT/ HERMANN BREDEHORST<br />
schaft an der Gestaltung einer nachhaltigen<br />
Entwicklung unverzichtbar ist.<br />
Was sind die Erfolge des G20 aus<br />
Ihrer Sicht?<br />
Als Erfolg muss man schon werten, dass<br />
er nicht in einem Debakel endete. In einer<br />
Zeit, in der in manchen Industrieund<br />
Schwellenländern die Neigung<br />
wächst, sich internationalen Kooperationsverpflichtungen<br />
zu entziehen, kann<br />
man froh sein, dass sich die Mächtigen<br />
der Welt dazu bekannt haben, die bereits<br />
getroffenen Vereinbarungen zur<br />
Armuts- und Hungerbekämpfung sowie<br />
zum Klimawandel auch tatsächlich<br />
umsetzen zu wollen.<br />
„Die Handelspolitik<br />
des G20<br />
richtet viel<br />
Schaden an.“<br />
Gibt es konkrete Beschlüsse, die den<br />
Armen nützen?<br />
Der G20 unter der Präsidentschaft<br />
Deutschlands hatte einen großen<br />
Schwerpunkt auf Entwicklungsthemen.<br />
Es sind auch einige Initiativen beschlossen<br />
worden. Zum Beispiel Jugendbeschäftigung<br />
im ländlichen Raum, der<br />
insbesondere auf Afrika zielt. Oder umfangreiche<br />
G20-Afrika-Partnerschaft<br />
selbst. Es ist ein Fonds für Unternehmerinnen<br />
aufgelegt worden. Und es sollen<br />
die Gesundheitssysteme gestärkt werden<br />
gegen die Ausbreitung von Epidemien<br />
und Pandemien. Insofern gab es<br />
einige Beschlüsse und Initiativen, die<br />
die Armen im Blick hatten. Aber als<br />
sehr substantziell erachte ich diese Erfolge<br />
nicht.<br />
Warum nicht?<br />
Die Entwicklungsprogramme sollten<br />
nicht Hauptgeschäft des G20 sein. Vor<br />
allem weil sie ohne die beteiligten Staaten<br />
ausgehandelt werden, um die es ja<br />
schließlich geht. Das ist ein Top-down-<br />
Ansatz, der einem partnerschaftlichen<br />
„Die Kritik ist<br />
in der Politik<br />
angekommen.“<br />
DR. KLAUS SEITZ<br />
Ansatz völlig widerspricht. Die Afrikanische<br />
Union wurde einbezogen, aber<br />
sie saß nicht von Anfang an bei der Entwicklung<br />
der einzelnen Elemente der<br />
Partnerinitiative mit am Tisch.<br />
Was sollte denn das Hauptgeschäft<br />
des G20 sein?<br />
Das Kerngeschäft ist eigentlich die Regulation<br />
der Finanzmärkte, und da ist<br />
der Gipfel nicht wirklich vorangekommen.<br />
Man muss die Sorge haben, dass<br />
die nicht gefassten Beschlüsse zur stärkeren<br />
Regulation der Finanzmärkte in<br />
ihren Folgen für die Armen viel gravierender<br />
sind als das, was die beschlossenen<br />
Initiativen zur Armutsbekämpfung<br />
wiedergutmachen können. Die Risiken<br />
weiterer Finanz- und Schuldenkrisen<br />
sind nicht eingedämmt und den illegalen<br />
Finanzabflüssen aus den Entwicklungsländern<br />
ist genauso wenig ein<br />
Riegel vorgeschoben worden wie der<br />
Steuervermeidungspraxis vieler internationaler<br />
Konzerne.<br />
Ein Hauptthema war der Freihandel.<br />
Kann man durch Freihandel Hunger, Armut<br />
und Ungleichheit in der Welt bekämpfen?<br />
Die Handelspolitik, die der G20 verfolgt,<br />
richtet viel Schaden an. Der Handel<br />
muss fair und nachhaltig gestaltet<br />
werden, er muss in erster Linie an menschenrechtlichen<br />
und ökologischen<br />
Standards ausgerichtet sein. Aber davon<br />
ist in den Gipfeldokumenten leider<br />
kaum die Rede.<br />
Wie sähen faire Handelsverträge aus?<br />
Gibt es dafür schon Beispiele?<br />
Es gibt keine Blaupause für faire Handelsverträge.<br />
Aber die Handelspolitik<br />
müsste insgesamt auf ein anderes Niveau<br />
gehoben werden: Handel darf kein<br />
Selbstzweck sein. Er muss dazu dienen,<br />
die Ziele einer globalen nachhaltigen<br />
Entwicklung zu erfüllen, die sich die<br />
Staaten gemeinsam bis zum Jahr 2030<br />
vorgenommen haben. Immerhin gibt<br />
es bestimmte Modelle – wie den Fair<br />
Trade selbst. Wir, also Brot für die<br />
Welt, sind ja Mitbegründer der Fair-<br />
Handels-Bewegung um deutlich zu<br />
machen: Soziale und ökologische Standards<br />
werden auf dem Markt und von<br />
den Kunden honoriert. Solche Spielregeln<br />
müssten auch die internationalen<br />
Handelsverträge bestimmen.<br />
Gibt es da einen Hoffnungsschimmer?<br />
Das Bewusstsein dafür wächst bei den<br />
Regierenden. Und dazu hat auch der<br />
öffentliche Protest gegen TTIP und<br />
Ceta, aber auch gegen die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen<br />
mit Afrika<br />
beigetragen. Die Kritik ist auch in der<br />
Politik angekommen. •<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />
Civil20 – der Zivil-Gipfel<br />
Seit 2009 treffen sich zivilgesellschaftliche<br />
Organisationen weltweit,<br />
um einheitliche Forderungen zu<br />
entwickeln und den G20 kritisch zu<br />
begleiten. Die Themen: eine gerechte<br />
Globalisierung und Nachhaltigkeit.<br />
Die Haupt forderung: eine Abkehr<br />
„von einem wachstumsorientierten<br />
Wirtschafts modell, das immer mehr<br />
Verlierer zurücklässt und die ökologischen<br />
Lebensgrundlagen zerstört“.<br />
Der G20 müsse die wachsende<br />
Ungleichheit zwischen den Ländern<br />
und innerhalb der Länder stoppen,<br />
Armut und Hunger bekämpfen<br />
und Gleichberechtigung fördern.<br />
Mehr unter www.civil-20.org/german<br />
21
Stadtgespräch<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>294</strong>/AUGUST <strong>2017</strong><br />
Meldungen<br />
Politik & Soziales<br />
In den USA erscheinen seit einigen Jahren Comic-Helden wie Batman<br />
oder Spiderman im echten Leben. Die kostümierten „Real Life Superheroes“<br />
helfen Alten und Behinderten beim Einkauf oder versorgen<br />
Obdachlose mit Essen und Kleidung. Doch die von Pierre-Elie de Pibrac<br />
fotografisch dokumentierte „Bewegung“ hat ihre Schattenseite. Allzu oft<br />
führen sich ihre Vertreter auf wie eine Bürgerwehr und nehmen das<br />
Gesetz selbst in die Hand, beklagt inzwischen die Polizei.<br />
Brandanschlag an den Landungsbrücken<br />
Zeuge entlastet tatverdächtigen Obdachlosen<br />
Seit Anfang Juli steht ein Obdachloser<br />
wegen versuchten Mordes und<br />
gefähr licher Körperverletzung vor<br />
Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft<br />
dem Obdachlosen D. (29) vor, in der<br />
Nacht zum 31. Januar <strong>2017</strong> gegen<br />
2.35 Uhr unter dem Parkdeck an den<br />
Landungsbrücken die „Platte“ der<br />
beiden Obdachlosen Slawomir und<br />
Krzysztof (siehe H&K 289) angezündet<br />
zu haben. Hintergrund soll ein Streit<br />
um den Schlafplatz gewesen sein.<br />
Als Beweis dienen Videoaufzeichnungen,<br />
die ihn in der Nähe der Landungsbrücken<br />
zeigen. Zudem nahm ein<br />
Spürhund seine Fährte auf.<br />
Der Angeklagte D. bestreitet die<br />
Vorwürfe. Er kenne die Betroffenen,<br />
habe aber die Tat nicht begangen.<br />
Bei der Aufklärung helfen könnte ein<br />
Zeuge. Allerdings: Seine Beschreibung<br />
einer sehr großen und schlanken<br />
Person deckt sich nicht mit den<br />
Video-Aufzeichnungen, die den<br />
22<br />
Angeklagten zeigen. Ob der Fall<br />
jemals aufgeklärt werden kann,<br />
ist ungewiss.<br />
Der ältere der beiden<br />
Obdachlosen ist in der Zeit, die bis<br />
zum Prozess auftakt verging, verstorben.<br />
Sein Tod steht laut Gericht nicht im<br />
Zusammenhang mit dem Brand.<br />
Sein Partner Krzysztof hofft weiter<br />
auf Entschädigung. Er soll im<br />
<strong>August</strong> aussagen. Ein Urteil wird erst<br />
im September erwartet. JOF<br />
•
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Kosten der Unterkunft<br />
Hilfeempfänger<br />
Bündnis fordert<br />
Mehr Hamburger<br />
Moratorium<br />
erhalten Wohngeld<br />
Hilfeempfänger sollen nicht mehr Die Zahl der Wohngeldempfänger<br />
länger zum Umzug gedrängt werden, ist im vergangenen Jahr in Hamburg<br />
wenn ihre Mietkosten die von der um 43 Prozent angestiegen.<br />
Sozialbehörde festgelegten Höchstgrenzen<br />
überschreiten. Diese<br />
einen Zuschuss zur Miete. Der<br />
Insgesamt erhielten 13.354 Haushalte<br />
Forderung richtet ein Zusammenschluss<br />
von Mieter helfen Mietern, einer bundesweiten Anpassung des<br />
rasante Anstieg ist wohl das Ergebnis<br />
Caritas und Diakonie an die Sozialbehörde.<br />
Hintergrund: Hilfeempfän-<br />
die erste Anhebung seit 2009.<br />
Richtwerts zum Jahr 2016. Es war<br />
ger haben kaum Aussichten auf eine Die höchste Mietsumme, die jetzt<br />
günstigere Wohnung. Sie werden bezuschusst wird, stieg in Hamburg<br />
trotzdem dazu angehalten, pflichtgetreu<br />
ihre erfolglose Suche zu merhin von 407 Euro auf 522 Euro<br />
für einen Einpersonenhaushalt im-<br />
dokumentieren. Ansonsten drohen an. „Die Anpassung des Wohngelds<br />
ihnen gar eine Kürzung der<br />
war überfällig“, sagt Siegmund<br />
Zuschüsse und letztlich der Verlust Chychla, Vorsitzender des Mietervereins<br />
zu Hamburg. In Zukunft sollten<br />
der Wohnung. Damit nicht genug:<br />
Die erhöhte Nachfrage nach günstigen<br />
Miet wohnungen führe zudem Schließlich sei davon auszugehen,<br />
Anhebungen regelmäßiger erfolgen.<br />
zu steigenden Mietpreisen, befürchtet dass auch die Mieten in Hamburg<br />
der Zusammenschluss. JOF<br />
•<br />
weiterhin anziehen. JOF<br />
•<br />
JETZT<br />
SPENDEN<br />
Hamburger Sparkasse<br />
IBAN: DE5620050550<br />
1280167873<br />
BIC: HASPDEHHXXX<br />
FOTO: PIERRE-ELIE DE PIBRAC<br />
Mietpreisbremse durchgesetzt<br />
240 Euro weniger<br />
Miete pro Monat<br />
Erfolg für Mieter in Hohenfelde:<br />
Sie dürfen nach einem Urteil des<br />
Amtsgerichts St. Georg ihre Miete<br />
um 240 Euro reduzieren. Die Kläger<br />
hatten sich auf die 2015 eingeführte<br />
Mietpreisbremse berufen. Sie soll<br />
verhindern, dass bei Neuvermietungen<br />
der Preis die ortsübliche<br />
Vergleichsmiete um mehr als zehn<br />
Prozent übersteigt. Bislang hätten<br />
sich Mieter und Vermieter meist außergerichtlich<br />
einigen können, sagt<br />
Siegmund Chychla, Vorsitzender des<br />
Mietervereins zu Hamburg. Dem<br />
neuen Urteil käme große Bedeutung<br />
zu. Schließlich habe man festgestellt,<br />
dass der Wohnungsmarkt im<br />
gesamten Stadtgebiet angespannt ist<br />
und die Mietpreisbremse deswegen<br />
überall gültig ist. JOF<br />
•<br />
G20-Ausschreitungen<br />
Vier Männer ohne festen<br />
Wohnsitz in U-Haft<br />
Bei den Ausschreitungen um den<br />
G20-Gipfel im Juli sind auch vier<br />
Deutsche ohne festen Wohnsitz verhaftet<br />
worden: Den Männern zwischen<br />
19 und 40 Jahren wird Widerstand<br />
gegen Vollstreckungsbeamte<br />
und versuchte gefährliche Körperverletzung<br />
vorgeworfen. Dass es sich bei<br />
ihnen um Obdachlose handelt, sei<br />
nicht wahrscheinlich, so ein Gerichtssprecher.<br />
Weil sie keine Meldeadresse<br />
haben, bestehe Fluchtgefahr – und<br />
das sei ein Grund für die U-Haft.<br />
Soweit die Informationen zu Redaktionsschluss.<br />
Mehr dazu online. BIM•<br />
Mehr Infos und Nachrichten unter:<br />
www.hinzundkunzt.de<br />
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040/284094-0<br />
Mail:<br />
anzeigen@hinzundkunzt.de<br />
23
Rastplatz<br />
für einen<br />
Ruhelosen<br />
Sascha kennt das Leben auf der Straße, seitdem<br />
er elf Jahre alt ist. Nun hat der Hinz&Künztler in<br />
einem geschenkten Wohn wagen in Groß Borstel<br />
Zufl ucht gefunden. Auf acht Quadratmetern fühlt<br />
er sich mit Hund Jack endlich frei.<br />
TEXT: SYBILLE ARENDT<br />
FOTOS: DMITRIJ LELTSCHUK
Für Hund Jack ist in<br />
der kleinsten<br />
Hütte Platz. Ihr<br />
neues Zuhause fand<br />
Hinz&Künztler<br />
Sascha bei einem<br />
Online-Marktplatz.<br />
Richtig idyllisch sieht es bei Sascha<br />
aus. Wer hätte gedacht,<br />
dass es im Hinterhof eines<br />
Männerwohnheims so gemütlich ist?<br />
Sein Wohnwagen mit Spitzengardine<br />
und schmuckem roten Vorzelt parkt<br />
mitten im Grünen. Hund Jack, ein<br />
braun-weiß gefleckter Mischling, tobt<br />
fröhlich über den Rasen und hebt sein<br />
Bein an einem Obstbaum.<br />
Auf der gegenüberliegenden Seite<br />
endet die anheimelnde Campingplatz-<br />
Szenerie. Da steht ein Dutzend Container,<br />
sauber übereinandergestapelt. Hier<br />
im Hinterhof des Jakob-Junker-Hauses<br />
haben außer Sascha zwölf weitere Obdachlose<br />
eine Bleibe gefunden.<br />
Der Hinz&Künztler serviert frisch<br />
gebrühten Kaffee an seinem Campingtisch<br />
und lächelt entspannt. Nach Wohnungslosigkeit<br />
sieht Sascha nicht aus,<br />
eher nach Schanze: Jeans, T-Shirt, dazu<br />
derbe Boots. Stolz zeigt er auf das Beet,<br />
das er direkt neben seinem Wohnwagen<br />
gerade anlegt. Sogar einen maßstabsgetreuen<br />
Plan, wie er sich seinen zukünftigen<br />
Garten genau vorstellt, hat er gezeichnet.<br />
„Mit Zahlen bin ich gut“, sagt<br />
der 37-Jährige und setzt dann nach:<br />
„Mit Menschen weniger.“<br />
Geboren wurde Sascha 1980 in<br />
Leverkusen. Die Mutter erkrankt zum<br />
Zeitpunkt seiner Geburt an Chorea<br />
Huntington, einer neurodegenerativen<br />
Erkrankung, die unweigerlich nach<br />
rund 15 Jahren zum Tode führt. „Das<br />
hängt mit Veränderungen in den Eiweißmolekülen<br />
zusammen“, erklärt Sascha<br />
fachmännisch. „Dann setzt ein<br />
geistiger und körperlicher Verfall ein,<br />
ein bisschen wie bei Demenz.“ Ganz<br />
sachlich ist sein Ton, als ob er die Geschichte<br />
einer Fremden erzählen würde.<br />
Als Sascha sechs Jahre alt ist, kommt<br />
die Mutter ins Pflegeheim. Der Vater ist<br />
gleichgültig und noch dazu gewalttätig.<br />
26<br />
„Ich wollte<br />
so frei leben<br />
wie Pippi<br />
Langstrumpf.“<br />
Als er arbeitslos wird, beginnt er eine<br />
Umschulung in einer anderen Stadt.<br />
„Um mich konnte er sich dann angeblich<br />
nicht mehr kümmern“, sagt Sascha.<br />
„Und meine anderen Verwandten auch<br />
nicht, hat er mir gesagt.“ Sascha kommt<br />
ins Heim. Da ist er acht Jahre alt. Ein<br />
fantasievoller Junge, der Pippi Langstrumpf<br />
liebt. „Ich hatte immer den<br />
Wunsch, so wie sie zu leben, so frei.“<br />
Im Heim, „bei den Nonnen“, wie<br />
Sascha verächtlich sagt, fühlt er sich gefangen<br />
und einsam. Zwei Jahre später
Hinz&Künztler<br />
holt der Vater ihn ab. Mit einer neuen<br />
Frau und einem Stiefkind. Sascha ist<br />
jetzt zehn Jahre alt. Das Zusammenleben<br />
in der neuen Familie klappt nicht.<br />
„Die Frau hat mich geschlagen, mein<br />
Vater auch.“ Sascha denkt an Pippi<br />
Langstrumpf, setzt sich aufs Rad und<br />
fährt in einer Stunde bis nach Köln, in<br />
die große Stadt. Er geht zur Domplatte,<br />
lernt dort Punks kennen. „Die waren<br />
nett zu mir. Und sie haben auch gegenseitig<br />
aufeinander aufgepasst.“ Das gefällt<br />
Sascha. Es gibt ihm ein Heimatgefühl,<br />
das er von zu Hause nicht kennt.<br />
Immer öfter fährt er nach Köln. Wird<br />
immer mal wieder von der Polizei aufgegriffen<br />
und nach Hause gebracht.<br />
Manchmal holt ihn auch sein Vater dort<br />
ab. „Dann sprang ich an der nächsten<br />
roten Ampel aus dem Wagen und verschwand“,<br />
sagt Sascha.<br />
Als es eines Abends wieder Streit<br />
beim Abendbrot gibt, steht Sascha auf,<br />
packt ein paar Sachen und verkündet:<br />
„Ich komme nie wieder!“ Der Vater<br />
zuckt nur mit den Schultern. Sascha ist<br />
elf Jahre alt. Er verlässt sein Elternhaus<br />
und kehrt tatsächlich nie wieder zurück.<br />
Es folgen lange Jahre, die er abwechselnd<br />
auf der Straße, in Heimen und Jugendwohnungen<br />
überall verteilt in ganz<br />
Deutschland verbringt.<br />
„Mit Zahlen kann<br />
ich besser als mit<br />
Menschen.“<br />
An manchen seiner Stationen fühlt er<br />
sich sogar wohl. So zum Beispiel in dem<br />
geschlossenen Heim bei Münster, in<br />
dem er mit zwölf Jahren untergebracht<br />
wird. „Der enge Rahmen dort tat mir<br />
gut.“ In der darauf folgenden Unterbringung<br />
geht alles schief. „Der Heimleiter<br />
wollte, dass ich auf der Toilette<br />
die Tür offen lasse. Weil ich mich immer<br />
Gesprächen verweigert habe. Er<br />
hat also seinen Fuß in die Klotür gestellt.<br />
Ich habe das nicht eingesehen<br />
und ihn geschubst. Da ist er mit dem<br />
Kopf gegen die Tür geknallt.“ Sascha<br />
fliegt aus dem Heim und pendelt zwischen<br />
Straße, Hotelzimmer und Wohnung<br />
– am Ende landet er sogar im<br />
Knast. „Ich war auf Amphetaminen<br />
und wurde beim Fahren ohne Führerschein<br />
erwischt.“ Sascha wird zu einer<br />
zweijährigen Haftstrafe verurteilt.<br />
Immer wieder gerät er in Schwierigkeiten.<br />
Dass daran nicht nur die anderen<br />
schuld sind, weiß er selbst. „Ich<br />
kann nicht gut mit Menschen, bin oft<br />
auch leicht reizbar und aggressiv.“ Seine<br />
selbst verordnete Therapie dagegen ist<br />
das tägliche Kiffen. „Wenn ich nicht<br />
schon morgens etwas rauche, kriege ich<br />
keine Ruhe in meinen Kopf. Und<br />
manchmal ertrage ich die Welt nicht<br />
nüchtern, dann schäme ich mich, ein<br />
Mensch zu sein.“ Von anderen Drogen<br />
und Alkohol lässt Sascha hingegen<br />
schon lange die Finger. „Ich mag keinen<br />
Kontrollverlust.“<br />
Und er mag keine Autoritäten, kann<br />
sich nicht unterordnen. Einen Job in der<br />
27<br />
Küche schmeißt er während der Mittagspause,<br />
weil der Koch ihm Vorschriften<br />
macht. Aber Sascha kann sich auch<br />
durchbeißen: Er hat seinen Hauptschulabschluss<br />
nachgeholt, seinen Führerschein<br />
gemacht, eine Schweißerausbildung<br />
absolviert und längere Zeit im<br />
Garten- und Landschaftsbau gearbeitet.<br />
Aber das ging nie lange gut. „Ich kann<br />
einfach keinen normalen Job machen.<br />
Ich brauche ein gewisses Freiheitsgefühl“,<br />
sagt Sascha. Auch eine eigene<br />
Wohnung möchte er nicht mehr, sagt er.<br />
„Ich bin an den Verpflichtungen immer<br />
wieder gescheitert.“<br />
Es bleibt ein Rätsel, wie jemand<br />
über die Schrecken seiner Kindheit und<br />
ein Vierteljahrhundert ohne Heimat so<br />
sachlich berichten kann. Sascha selbst<br />
hat dafür eine Erklärung: „Ich habe<br />
mich eben damit abgefunden und kann<br />
deshalb auch darüber sprechen.“<br />
Mit seiner jetzigen Behausung ist<br />
der drahtige Mann mehr als zufrieden.<br />
„Im letzten Winter wusste ich nicht, wo<br />
ich schlafen sollte. Gerade mit Hund ist<br />
es schwierig, eine Unterkunft zu bekommen.<br />
Also habe ich bei eBay Kleinanzeigen<br />
eine Anzeige aufgegeben, dass<br />
ich einen Wohnwagen suche. Die Resonanz<br />
war groß.“<br />
Und der Hinz&Künztler bekam tatsächlich<br />
ein funktionstüchtiges Camping-Mobil<br />
geschenkt. Doch ein Wohnwagen<br />
ohne Stellplatz – damit hätte<br />
Sascha nichts anfangen können. Dann<br />
erlaubte das Jakob-Junker-Haus ihm<br />
den Wohnwagen in seinem Garten aufzustellen.<br />
Eine ehrenamtliche Fahrerin<br />
organisierte den Transport.<br />
Für Sascha ist das wie ein Sechser<br />
im Lotto. Fürs Erste scheint er einen<br />
Platz gefunden zu haben, an dem er<br />
länger bleibt. Vielleicht liegt es ja auch<br />
ein wenig an Hinz&<strong>Kunzt</strong>? Seit 2006<br />
verkauft Sascha das Straßenmagazin.<br />
Das tut ihm gut, sagt er. „Ich muss etwas<br />
zu tun haben, kann nicht nur<br />
herumsitzen.“<br />
Und nun hat er auch noch seinen<br />
Garten vor der Tür. Tomaten, Erdbeeren,<br />
Salat, Kohlrabi und Kräuter will<br />
Sascha dort pflanzen. Dazu eine Buchsbaumhecke.<br />
Mit Pflanzen ist Sascha<br />
nämlich genauso gut wie mit Zahlen. •<br />
Kontakt: sybille.arendt@hinzundkunzt.de
Hinz&Künztler<br />
auf Safari<br />
Oft haben sie sich getroffen. Haben Fotos geschaut, über Kameras<br />
gefachsimpelt – sind wieder losgezogen, ihr Foto von ihrem Hamburg zu machen.<br />
Nun liegen die Ergebnisse vor, die sich sehen lassen können!<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />
28
Stadtgespräch<br />
Am Ende gibt’s einen Button:<br />
„Es ist immer zu früh, um<br />
aufzugeben“, steht darauf.<br />
Fotografin Lena Maja Wöhler<br />
legt jedem Hinz&Künztler einen hin<br />
und sagt lachend: „Ich werde jetzt wandern<br />
gehen. Und wenn ich nicht mehr<br />
kann, denke ich an euch. So wie ihr euch<br />
bei dem Fotowettbewerb durchgebissen<br />
habt – das will ich auch schaffen.“<br />
1. Platz<br />
Am liebsten fotografiere ich Tiere. Vor allem Vögel.<br />
Um den Kormoran so zu erwischen, bin ich<br />
immer wieder zur Außenalster gegangen. Nur ein<br />
einziges Mal hatte ich Glück! Am Anfang habe ich<br />
immer mit meinem Handy geknipst. Aber das hat<br />
überhaupt nicht geklappt. Tiere halten ja fast nie<br />
still, und so war immer alles verwackelt. Deswegen<br />
habe ich mir eine kleine Kamera gekauft. Zuerst<br />
habe ich mit Automatik fotografiert, aber auch da<br />
waren von 300 Bildern vielleicht drei scharf.<br />
Inzwischen kann ich mit der Kamera umgehen.<br />
Vielleicht wird Fotografie noch mein Hobby!<br />
Ich habe mir jetzt sogar beigebracht, Fotos am<br />
Computer zu bearbeiten. Man kann an den Farben<br />
noch ’ne Menge machen. Aber der Kormoran,<br />
der sieht wirklich so aus!<br />
Josef (49) verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> im Einkaufszentrum<br />
Rahlstedt-Center.<br />
Tatsächlich können die zwölf Teilnehmer<br />
des zweiten Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Fotowettbewerbs<br />
unter Anleitung von Fotografin<br />
Lena Maja Wöhler stolz sein:<br />
Die Ausbeute an wirklich guten Fotos<br />
zum Thema „Mein Hamburg“ ist groß.<br />
36 Bilder waren im Rennen. 36 von<br />
Hunderten, die im Laufe der vergangenen<br />
drei Monate entstanden waren. Jeder<br />
Teilnehmer musste drei Fotos einreichen<br />
– nicht weniger, aber eben auch<br />
nicht mehr. Und so war schon die Vorauswahl,<br />
die Lena zusammen mit den<br />
Verkäufern zu treffen hatte, eine Qual.<br />
Die Jury konnte sich nun erst recht<br />
kaum entscheiden. Nur um den ersten<br />
Preis gab es keine Diskussion: Der Kormoran<br />
von Josef (Seite gegenüber)<br />
stand sofort fest. Das Motiv, die Farben,<br />
der Fokus und, wie Spinne sagte: „Dit<br />
ist doch genial, wie det Vieh da steht.“<br />
Dass so viele gute Fotos eingereicht<br />
wurden, ist nicht selbstverständlich.<br />
Denn die Ausgangsbedingungen für die<br />
Verkäufer waren sehr unterschiedlich.<br />
Sie hatten die Wahl: Einwegkamera,<br />
Digitalkamera, Handy oder die Profikamera<br />
von Fotografin Lena. „Manche<br />
haben sich für die Einwegkamera entschieden,<br />
weil sie Angst hatten, die Digitalkamera<br />
zu verlieren, sie kaputt zu<br />
machen oder auf Platte beklaut zu werden“,<br />
erzählt die 30-Jährige. Die hatten<br />
es natürlich schwerer, denn sie hatten<br />
kein Display, um das Fotografierte zu<br />
überprüfen. Und: „Mit mir hatten sie es<br />
auch nicht leicht“, ergänzt Lena. Insgesamt<br />
15-Mal hat sie sich im Zeitraum<br />
von Anfang April bis Ende Juni mit den<br />
Hinz&Künztlern getroffen. Und immer<br />
habe es geheißen: „Das kannst du besser.“<br />
Oder: „Du musst die Kamera gerader<br />
halten.“ Wer nicht zum Termin<br />
erschien, wurde gnadenlos telefonisch<br />
verfolgt. „Ich hab’ sie getriezt, aber sie<br />
haben trotzdem weitergemacht“, stellt<br />
Lena zufrieden fest.<br />
So richtig schrecklich scheinen die<br />
Hinz&Künztler Lenas Hartnäckigkeit<br />
aber auch nicht gefunden zu haben.<br />
Denn nachdem jeder Teilnehmer seinen<br />
Preis – vom Kinogutschein über<br />
die HVV-Monatskarte bis hin zum<br />
Campingstuhl und Kugelgrill – entgegengenommen<br />
hatte, applaudierten alle<br />
„ihrem“ Coach. Hinz&Künztler Jürgen<br />
fasste es zusammen: „Das hat einfach<br />
total Laune gemacht!“ •<br />
29
3. Platz<br />
Als ich diese Tür gesehen habe, dachte ich zuerst: „Da hängt ein Plakat! Das muss<br />
eine Fotomontage sein.“ Denn da steht nur die Fassade von dem Haus, und dann<br />
guckst du durch die Tür direkt in einen komplett verwilderten Innenhof. Ich bin viel<br />
unterwegs. An dieser Fassade bin ich immer wieder vorbeigekommen und<br />
habe sie mir angeschaut. Na, und irgendwann hab’ ich gedacht: „Das musst du<br />
festhalten.“ Das Bild habe ich mit meiner neuen Kamera gemacht. Auf die habe ich<br />
richtig lange gespart.<br />
Gerold (46) verkauft vor dem Hofladen an der S-Bahn-Station Kornweg.<br />
Er war unsere „Momentaufnahme“ im Juli-Heft.<br />
30
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Mich haben die Hüte<br />
fasziniert. Sie liegen in<br />
einem Schaufenster in<br />
der Steinstraße, gleich um<br />
die Ecke von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Einen von diesen Hüten<br />
hätte ich gerne.<br />
Ralf (46) verkauft in<br />
der Innenstadt.<br />
Ich habe drei Jahre lang im Auto gewohnt, direkt am Dammtor. Noch immer gehe ich<br />
dort in der Nähe regelmäßig mit meinem Hund spazieren. Besonders schön finde ich es,<br />
wenn an der Binnenalster diese gelben Frühlingsblumen blühen.<br />
Deshalb wollte ich die für den Fotowett bewerb auch gerne fotografieren. Ich habe die Fotos<br />
mit Lenas Kamera gemacht. Das war für mich gar nicht so einfach, denn für manche Bilder<br />
musste ich ganz nah an die Wasserkante gehen. Ich hatte Angst abzurutschen, denn ich<br />
kann nicht schwimmen. Als ich noch ganz klein war, in Ungarn, musste mich mein Onkel mal<br />
vor dem Ertrinken retten. Seitdem gehe ich eigentlich nicht mehr nah ans Wasser.<br />
Ferenc (37) ist seit fünf Jahren bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Momentan lebt er in einem Keller in Ochsenzoll.
Auf dem Foto sieht man ein Riesenposter. Ich<br />
habe es so fotografiert, dass man nicht sehen<br />
kann, wo ich es aufgenommen habe. Jetzt<br />
kann ich es verraten: Das Poster hing genau<br />
da, wo früher die Essohäuser standen.<br />
Damit keiner die Baustelle sieht, hängen da<br />
wechselnde Bilder. Für mich bedeutet das:<br />
Ich verstecke was, was du nicht sehen sollst.<br />
Damit du nicht mitkriegst, was da passiert.<br />
Ich kenne zwar den Architektenentwurf, aber<br />
wer weiß, ob die neuen Häuser so werden,<br />
wie der Entwurf verspricht.<br />
Erich (64) ist Hinz&Künztler und<br />
Stadtteilkünstler in Mümmelmannsberg.<br />
2. Platz<br />
Von meinem Wohnungsbalkon im 14. Stock habe ich eine geniale Sicht auf die Stadt. Da ist auch das<br />
Foto entstanden. Diese Wolkenbank hing direkt über dem Haus – als Vorbote vom Starkregen, der kurz<br />
danach eingesetzt hat. Dass mein Handy so gute Bilder macht, ist Zufall. Die anderen sind eher unscharf.<br />
Aber die Bilder, die ich mit der Profikamera von Lena gemacht habe, haben schließlich nicht gewonnen!<br />
Für mich zeigt dieses Bild, wie das Wetter in Hamburg sein kann. Wenn das Wetter wechselt, das siehst<br />
du von da oben genau. Und wenn es gießt oder blitzt – das sieht einfach geil aus.<br />
Thomas (57) ist seit Langem bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> und macht gerade eine Verkaufspause.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Stadtgespräch<br />
Eigentlich wollte ich was ganz anderes<br />
fotografieren. Kleine Tiere von ganz nah<br />
dran oder Sachen im Dunkeln. Aber das<br />
hat nicht geklappt und wäre mit der<br />
Digitalkamera wohl auch gar nicht<br />
gegangen. Die Bilder, die ich am Ende<br />
beim Wettbewerb eingereicht habe,<br />
sind alle durch Zufall entstanden.<br />
Die fliegende Frau ist ein gemaltes Bild.<br />
Ein Kunstprojekt, das ich auf der Altonale<br />
im Vorbeigehen abfotografiert habe.<br />
Daniela (45) lebt in einer<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-WG in Eidelstedt.<br />
Der Hund<br />
gehört einem<br />
Kunden von<br />
mir. Ich fand es<br />
interessant<br />
und lustig, wie<br />
er da aus dem<br />
Fenster<br />
schaut. Direkt<br />
von meinem<br />
Verkaufsplatz<br />
aus habe ich das Bild gemacht. Normalerweise<br />
fotografiere ich ganz selten. Seit<br />
zwei Monaten habe ich aber ein neues<br />
Handy, und seitdem haben die Bilder eine<br />
bessere Qualität. So macht es Spaß.<br />
Reitis (61) hat seinen Stammplatz<br />
in der Stresemannallee.<br />
Die Jury:<br />
Frank „Spinne“ Nawatzki,<br />
Meike Lehmann (Vertrieb),<br />
Sybille Arendt<br />
(Öffentlichkeitsarbeit),<br />
Annette Woywode (Redaktion)<br />
Die Bilder aller Teilnehmer<br />
finden Sie im Internet unter<br />
www.hinzundkunzt.de/fotos<strong>2017</strong><br />
Fotografin Lena Maja Wöhler:<br />
www.lenawoehler.com<br />
Danke an FC St. Pauli<br />
Merchandising GmbH & Co. KG<br />
für die Preise<br />
33
Musiker, Schauspieler<br />
und jetzt auch Buchautor:<br />
Günter Märtens erzählt<br />
in „Die Graupensuppe“<br />
von seiner bewegten Zeit<br />
als Junkie in Hamburg.
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Lebenslinien<br />
„Ich war ein<br />
überlanger,<br />
menschlicher<br />
Schrotthaufen“<br />
Als gut gelaunter Kontrabassist bei Ulrich Tukurs Rhythmus<br />
Boys spielt er oft den musikalischen Clown. Früher spielte<br />
Günter Märtens mit seinem Leben. In seinem Buch „Die<br />
Graupensuppe“ erzählt der 58-Jährige von seiner Heroinsucht.<br />
TEXT: SIMONE DECKNER<br />
FOTOS: ANDREAS HORNOFF, GÜNTER MÄRTENS<br />
Pi mal Daumen. Günter Märtens hat<br />
nicht Buch geführt. Aber eine Viertelmillion,<br />
das kommt schon hin. Für so<br />
viel Geld bekommt man heutzutage eine<br />
sonnige Einzimmerwohnung in Lohbrügge<br />
oder zwei fabrikneue 5er BMW<br />
mit Sonderausstattung. Günter Märtens<br />
besitzt weder noch. Er hat sich die<br />
ganze schöne Kohle in Form von Heroin<br />
durch Nase und Venen gejagt.<br />
35<br />
Hamburg im Sommer 1977: Die Republik<br />
fahndet nach der RAF, Märtens,<br />
den alle nur „den langen Märtens“ nennen<br />
wegen seiner stattlichen Länge von<br />
2,06 Metern, rennt seinem Traum hinterher:<br />
Er will ein erfolgreicher Musiker<br />
werden. Mit seinen langen Haaren, den<br />
markanten Wangenknochen und vollen<br />
Lippen sieht er zumindest schon mal<br />
aus wie ein Rockstar. Tagsüber macht<br />
er eine Ausbildung im Sanitärfachhandel,<br />
das beruhigt die Eltern. Nachts<br />
spielt er Bass bei der Band Headstone.<br />
Das läuft ziemlich gut: ausverkaufte<br />
Konzerte, Lob in der Lokalpresse. Auf
Lebenslinien<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>294</strong>/AUGUST <strong>2017</strong><br />
der Bühne fühlt sich der lange Günter<br />
wirklich wie ein ganz Großer.<br />
Anders als in der Reichsbundsiedlung<br />
in Blankenese, in der er mit seinen<br />
Eltern wohnt. Eine Welt, die ihm viel<br />
zu klein ist: Tür an Tür mit Kriegsversehrten,<br />
die in klobigen Rollstühlen<br />
über die Wege kurven, humpelnden<br />
Einbeinigen und einem spießigen<br />
Hausmeister – ein 18-Jähriger, der sich<br />
wie ein Fremdkörper unter Rentnern<br />
fühlt. Wo alles still steht, nur der Rasenmäher<br />
rotiert. Aber Märtens’ Träume<br />
sind so viel mehr St. Pauli als Blankenese.<br />
Die Band ist sein Ticket hinaus. Bis<br />
der Keyboarder plötzlich zu Gott findet<br />
und auf Nimmerwiedersehen verschwindet.<br />
Die Band zerbricht daran<br />
und mit ihr Märtens. „In dem Moment<br />
war da eine große Leere und Traurigkeit“,<br />
sagt er. Zu schwach und gleichzeitig<br />
zu risikofreudig sei er damals gewesen.<br />
Er schnupft zum ersten Mal<br />
Heroin. Frei nach dem Motto: „Jetzt<br />
renne ich mal gegen die Wand und gucke,<br />
ob es weh tut.“<br />
Es tat weh, und<br />
wie. Sieben Jahre<br />
lang. Ist Heroin<br />
für ihn anfangs noch<br />
„wie eine Geliebte“, bestimmt<br />
bald nur noch die<br />
Gier nach dem nächsten Schuss sein<br />
Leben. Er ist körperlich anwesend,<br />
aber nie ganz da. „Ich hatte immer im<br />
Hinterkopf: Habe ich einen Löffel dabei?<br />
Wo kann ich meinen nächsten<br />
Druck machen?“, sagt Märtens. Von<br />
Entzugserscheinungen getrieben,<br />
bricht er Apotheken auf und pfeift sich<br />
rein, was einen Rausch auslöst – inklusive<br />
Pferde-Polamidon. Selbst wohlmeinende<br />
Chefs feuern ihn reihenweise.<br />
Seine Familie glaubt ihm kein Wort<br />
mehr, zu oft hat er sie schon angelogen.<br />
Irgendwann kann und will Günter<br />
Märtens nicht mehr. Ein Selbstmordversuch<br />
scheitert – auf Fotos von früher<br />
sieht man einen zerbrechlich wirkenden<br />
jungen Mann mit Unterarmbandagen<br />
schüchtern in die Kamera lächeln.<br />
Man kann das alles<br />
nachlesen in seinem<br />
autobiografischen<br />
Roman „Die Graupensuppe“.<br />
Märtens warnt darin nicht<br />
moralinsauer vor den bösen Drogen,<br />
sondern erzählt schonungslos und humorvoll<br />
zugleich, wie es ihm als Junkie<br />
ergangen ist. Etwa wenn er sich selbst<br />
als „überlangen menschlichen Schrott-<br />
Heute braucht der 58-Jährige keine Drogen mehr, um sich gut zu fühlen.<br />
„Früher“, so Günter Märtens, „wollte ich damit die Leere in mir füllen.“
Lebenslinien<br />
haufen ohne Hoffnung auf rettendes<br />
Recycling“ bezeichnet.<br />
Er sagt, ohne seine Freunde hätte er<br />
den Ausstieg nicht geschafft. „Die haben<br />
mir tierisch den Arsch aufgerissen,<br />
denen konnte ich null vormachen.“ Er<br />
ist dankbar, dass er die Kurve gekriegt<br />
hat, anders als viele seiner damaligen<br />
Weggefährten. In dem Jahr, in dem er<br />
mit Heroin anfing, warnt der Spiegel<br />
auf seinem Titel schon vom „Mord auf<br />
Raten“. Doch auch vergangenes Jahr<br />
starben in Hamburg 75 Menschen an<br />
den Folgen von Drogenkonsum, so viele<br />
wie seit 2002 nicht mehr.<br />
zum David-Bowie-Konzert war es damals,<br />
die Günter Märtens wieder in die<br />
Spur bringen sollte. Nach Jahren des<br />
Konsums wurde ihm klar, dass er nur<br />
noch zwei Möglichkeiten hatte: weiter<br />
Heroin zu nehmen und sich selbst zu<br />
ruinieren oder aufzuhören. Als er sich<br />
im Rückspiegel sieht, passiert etwas mit<br />
ihm. Wie aus dem Nichts taucht plötzlich<br />
ein Bild vor ihm auf: der kleine<br />
Günter, lachend, unbeschwert. Es ist<br />
nur ein kurzer Moment. Als er aus dem<br />
Auto aussteigt, weiß Märtens, was er<br />
tun muss.<br />
Günter Märtens Traum mit Anfang 20: Rockstar werden. Mit seiner<br />
Band Headstone wollte er den Durchbruch schaffen (oben).<br />
Als die Band zerbrach, begann seine Drogenkarriere. Sie gipfelte<br />
in einem Suizidversuch. Das untere Foto entstand kurz danach.<br />
dauert die Therapie<br />
in einer<br />
Wohngruppe in<br />
Ahrensburg, zu<br />
der er sich freiwillig<br />
verpflichtet.<br />
Dort gelten<br />
strikte Regeln: Drogen, auch Alkohol,<br />
sind komplett tabu, er darf sechs Monate<br />
niemanden aus seiner Familie sehen.<br />
„Ich habe das damals genossen, so<br />
reglementiert zu werden. Dieses Leben<br />
wie unter einer Käseglocke war eine<br />
Riesenerleichterung für mich“, sagt er.<br />
Die Mitarbeiter der Therapiehilfe<br />
Hamburg dosieren ihn langsam herunter.<br />
„Körperlich war das gar nicht so<br />
heftig, psychisch war es schlimmer“,<br />
sagt Märtens. Nach 23 Monaten verlässt<br />
er die Einrichtung clean. „Ich bin<br />
nie wieder auch nur auf die Idee gekommen,<br />
wieder anzufangen.“<br />
Der Saal im St. Pauli Theater ist voll.<br />
Es ist der Abend, an dem Günter Märtens<br />
sein Buch vorstellt. Weil ihm seine<br />
neue Rolle als Autor noch nicht ganz geheuer<br />
ist, hat er seine eigene Band Pling-<br />
Plang als Verstärkung mitgebracht.<br />
Günter Märtens liest vor lauter Aufregung<br />
fast zwei ganze Kapitel, bevor ihm<br />
seine Verlegerin signalisiert aufzuhören.<br />
„Wir wollen ja das Buch auch noch<br />
verkaufen“, sagt Märtens und lacht.<br />
Momentan schreibt er schon an seinem<br />
zweiten. Es macht da weiter, wo<br />
das erste endet: beim Start in den Entzug.<br />
Reich wird er mit dem Verkauf der<br />
Bücher vermutlich nicht werden. Darum<br />
geht es ihm auch nicht. Er ist heil<br />
aus der Sache rausgekommen, das<br />
37<br />
zählt. Er sagt: „Ich habe über diesen<br />
radikalen Weg, den ich niemandem<br />
empfehle, zu mir selbst gefunden.“<br />
Neulich hat er wieder mit seiner<br />
92-jährigen Mutter telefoniert, die noch<br />
immer in Blankenese lebt. Günter Märtens<br />
lacht: „Die hat erst das Ende vom<br />
Buch gelesen, weil sie wissen wollte, ob<br />
es gut ausgeht.“ •<br />
Kontakt: simone.deckner@hinzundkunzt.de<br />
Die Graupensuppe,<br />
Punktum Bücher, 292 Seiten, 20 Euro.<br />
Lesung: 4.8. beim Festival<br />
A Summer’s Tale, 15.45 Uhr,<br />
Grüner Salon, Eventpark Luhmühlen,<br />
Westergellerser Heide,<br />
Westergellersen, Karten ab 74 Euro.
Wo Araber feiern,<br />
wird fast immer Dabke<br />
getanzt – oft stundenlang.<br />
Sänger Morshed<br />
hat den Nerv getroffen.<br />
Heimweh<br />
zum Mitsingen<br />
Von Herzschmerz und Widerstand handelten die Hits der Karaoke-Bars in<br />
Syrien, bevor der Krieg ausbrach. Bei Oriental Karaoke auf Kampnagel werden die<br />
alten Volksweisen und Revolutionslieder wieder gesungen – sie geben vielen<br />
gefl üchteten Arabern ein Stück Heimat zurück.<br />
TEXT: ANNABEL TRAUTWEIN<br />
FOTOS: LENA MAJA WÖHLER
Die Bühne ist für alle da:<br />
Bei Oriental Karaoke<br />
zählt pure Leidenschaft.<br />
Rubrik<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>294</strong>/AUGUST <strong>2017</strong><br />
Die alten Lieder, sie sind mit<br />
den Musikern<br />
nach Europa gekommen<br />
Das nächste Lied hat es in<br />
sich. Aber Morshed Alzouba<br />
muss da jetzt durch. Er<br />
hat sich das nicht ausgesucht,<br />
wie üblich haben ihn Freunde<br />
beim Oriental Karaoke auf Kampnagel<br />
als Sänger nominiert. Nun blicken<br />
sie zu ihm hoch und zücken ihre Handys,<br />
während Organisator Anas Aboura<br />
den Titel ankündigt: „Ich vermisse das<br />
Brot meiner Mutter.“ Morshed atmet<br />
durch und legt los. Es ist ein dramatisches<br />
Lied, er singt es voller Inbrunst.<br />
Doch kurz vor dem Refrain muss er<br />
schlucken: „Meine Mutter ... Meine<br />
Mutter ...“ Der 27-Jährige starrt auf die<br />
Verse an der Hallenwand, als wolle er<br />
sich daran festhalten. Er fasst sich und<br />
bringt das Lied mit fester Stimme zu Ende.<br />
Das Publikum jubelt. So war die<br />
Stimmung auch früher in den Karaokebars<br />
von Damaskus – vor Ausbruch des<br />
Krieges 2011, erzählt Anas Aboura. Nur<br />
die Technik war damals eine andere:<br />
Fernseher statt Beamer, die Musik kam<br />
nicht vom Laptop, sondern von CDs.<br />
Die Lieder von Heimweh und Trennungsschmerz<br />
sind nicht neu. In vielen<br />
arabischen Ländern wurden sie gesungen<br />
in Erinnerung an die Heimat und<br />
das Leid Vertriebener, etwa aus Palästina,<br />
denen sich viele Araber verbunden<br />
fühlen. „Es sind alte Volkslieder“, erklärt<br />
Anas. „Aber das Gefühl ist dasselbe geblieben.“<br />
Für die Geflüchteten werden<br />
sie nun Teil der eigenen Geschichte.<br />
„Ich konnte fast nicht weitersingen“,<br />
sagt Morshed nach seinem Auftritt.<br />
„Es war so …“ Er sucht nach dem<br />
passenden deutschen Wort. Morshed ist<br />
noch keine anderthalb Jahre in Deutschland.<br />
Aufgewachsen ist er im Nordosten<br />
40<br />
Syriens, seine Heimatstadt Al Hazaka<br />
liegt mit ihren vier großen Kirchen etwa<br />
60 Kilometer von der irakischen Grenze<br />
entfernt, viele Einwohner sind Aramäer<br />
oder Kurden. Morsheds Mutter, sein<br />
Vater, seine Geschwister – alle sind noch<br />
da. „Wir schreiben jeden Tag auf<br />
WhatsApp“, sagt er. Auf die Frage, ob<br />
seine Familie sicher ist, nickt er kurz.<br />
Sorgen macht er sich trotzdem.<br />
Ein fetziger arabischer Popsong<br />
schallt aus den Boxen, der Sänger wirft<br />
sich in Pose. Auch wenn nicht jeder singen<br />
kann wie Morshed, an Leidenschaft<br />
lässt es niemand fehlen. Schon ist die<br />
erste Dabke im Gange, so heißt ein orientalischer<br />
Folkloretanz: Schulter an<br />
Schulter tanzen Männer und Frauen in<br />
einer langen Reihe durch den Raum,<br />
der Erste gibt die Schrittfolge vor. Sie<br />
haben Platz, statt der üblichen 300 Gäs-
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Lebenslinien<br />
Sieht schottisch aus, klingt aber original nach<br />
Levante: Die Sackpfeife wird in Syrien und Palästina<br />
vor allem auf Hochzeiten gespielt. In Hamburg gründete<br />
sich die Band „Gajar“.<br />
Anas und Abeer<br />
(links) kennen<br />
sich noch aus<br />
Syrien. Viele,<br />
die beim Oriental<br />
Karaoke mitmachen,<br />
waren<br />
schon vor der<br />
Flucht nach<br />
Deutschland<br />
Freunde.<br />
te sind heute nur rund 100 da. „Normalerweise<br />
haben wir volles Haus“,<br />
sagt Anas. Aber er hat heute mit weniger<br />
Zulauf gerechnet. So wie auch Mitorganisator<br />
Rashad. „Ramadan und<br />
Champions League“, erklärt er.<br />
In Syrien wurde Karaoke vor allem<br />
in den Jahren vor der Revolution zum<br />
Trend, erzählt Anas. Die Bars verbreiteten<br />
eine neue Atmosphäre, Leute ließen<br />
am Mikro ihren Gefühlen freien<br />
Lauf. „Das hat schon mit der revolutionären<br />
Stimmung zu tun, die damals<br />
aufkam“, sagt der 31-Jährige, der sein<br />
Studium in Syrien abbrechen musste<br />
und als Oppositioneller im Gefängnis<br />
landete. Als 2011 die Rebellion offen<br />
ausbrach, wurden die Bars zu Treffpunkten,<br />
in denen sich Gruppen organisierten<br />
und Verletzte versorgten, erzählt<br />
er. Mancherorts waren Lieder mit<br />
neuem Text zu hören – umgedichtet zu<br />
Anti-Assad-Hymnen. „Auch diese Lieder<br />
haben die Leute mit nach Europa<br />
gebracht“, sagt Anas.<br />
Für ihn ist Oriental Karaoke erst<br />
der Anfang: Anas und seine Freunde<br />
planen ein Haus, das den vielfältigen<br />
Kulturen des Nahen und Mittleren Ostens<br />
eine neue Heimat in Hamburg ge-<br />
41<br />
ben soll – mit Konzerten, Bühnenkunst,<br />
Poesie, Filmabenden und gemeinsamem<br />
Essen. „Shamiram Haus“ soll es<br />
heißen. Anas Aboura träumt auch<br />
schon von einem besonderen Ort: „Unser<br />
größter Wunsch wäre, die Schilleroper<br />
zu bekommen.“ •<br />
annabel.trautwein@hinzundkunzt.de<br />
Info: Oriental Karaoke, Kampnagel,<br />
Jarrestraße 20, Sa, 19.8., 22 Uhr,<br />
Eintritt auf Spendenbasis
Freunde<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>294</strong>/AUGUST <strong>2017</strong><br />
Danke an alle<br />
Unterstützer!<br />
Unser Jahresbericht 2016: ein neues Projekt, eine Ehrung – und eine schwere<br />
Krise, die uns und unseren Verkäufern den Magazinverkauf erschwert hat.<br />
TEXT: JENS ADE<br />
FOTO: LENA MAJA WÖHLER<br />
2016 – das war eine richtige Achterbahnfahrt.<br />
Dabei fing alles so gut an.<br />
Unsere Chefredakteurin Birgit Müller<br />
wurde im Januar für ihren Einsatz mit<br />
dem Bundesverdienstkreuz geehrt.<br />
„Das ist eine Auszeichnung, die uns<br />
allen gilt – dem Team und den<br />
Hinz&Künztlern auf der Straße“, so<br />
die Mitbegründerin des Magazins.<br />
Im April gab es einen weiteren Höhepunkt:<br />
Zusammen mit der Bäckerei<br />
Junge starteten wir die „BrotRetter“,<br />
unser zweites externes Arbeitsprojekt.<br />
In Lohbrügge verkaufen fünf<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer seitdem Brot<br />
und Backwaren vom Vortag zu günstigen<br />
Preisen – Seite an Seite mit dem<br />
Team von der Bäckerei Junge. Angestellt<br />
sind sie bei uns.<br />
Wenig später war unsere Euphorie<br />
vorbei, denn ebenfalls im April tauchte<br />
das „Straßenjournal Deutschland“<br />
in Hamburg auf. Auch wenn es inhaltlich<br />
nicht vergleichbar ist, entstand<br />
für die Hinz&Künztler eine heftige<br />
Kon kurrenzsituation. Die neuen Verkäufer<br />
vertreiben das Blatt teilweise sehr<br />
offensiv. In einigen Fällen wurden die<br />
Hinz&Künztler sogar bedroht oder verdrängt.<br />
Leser riefen verwirrt oder empört<br />
an, weil sie dachten, das „Straßenjournal“<br />
hätte etwas mit uns zu tun.<br />
Der zweite Schlag folgte wenig<br />
später. Ein in Hamburg erscheinendes<br />
kostenloses Anzeigenmagazin veröffentlichte<br />
im Mai und Juni diffamierende<br />
Presseartikel über uns. Dabei ging es unter<br />
anderem um unsere Rücklagen<br />
(inzwischen rund 1,9 Millionen Euro).<br />
Wir haben versucht, mit Transparenz<br />
und Sachlichkeit dagegenzuhalten.<br />
Rücklagen brauchen wir, weil wir die<br />
Auflagenschwankungen während des<br />
Jens Ade ist seit 13 Jahren<br />
Geschäftsführer von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
42<br />
Jahres auffangen müssen, und weil nur<br />
so Projekte wie „Spende dein Pfand!“<br />
oder „BrotRetter“ überhaupt starten<br />
können. Insgesamt tragen wir Verantwortung<br />
für 38 Mitarbeiter (davon 22<br />
ehemals Wohnungslose), 20 Wohnungen,<br />
für die wir bürgen oder die wir verwalten<br />
– und für mehr als 500 Verkäufer.<br />
Und wie viele von Ihnen wissen: Wir<br />
planen mit einem Sozialinvestor ein<br />
Haus.<br />
Schließlich meldete sich der Herausgeber<br />
des Anzeigenmagazins und<br />
nahm die Anschuldigungen zurück.<br />
Trotzdem: Die Stimmung und die Auflage<br />
haben unter all dem gelitten. Statt<br />
rund 814.367 Hefte in 2015 haben wir<br />
in 2016 nur 720.402 verkauft. Aber die<br />
Krise hat auch gezeigt, wie sehr wir in<br />
Hamburg verankert sind. Gott sei<br />
Dank haben sich viele Hamburger hinter<br />
uns gestellt und uns weiterhin finanziell<br />
unterstützt. Gerade jetzt! Auch<br />
Rewe, Aldi, Lidl und Edeka helfen, indem<br />
sie Verkaufsplätze für unsere<br />
Hinz&Künztler reservieren.<br />
Und die Sozialarbeit ist zufrieden<br />
mit unseren Projekten: „Spende dein<br />
Pfand!“ am Flughafen mit 3,5 festen<br />
Stellen wurde um ein Jahr verlängert.<br />
Der Höhepunkt war jedoch die<br />
Reise nach Rom. Im November hatte<br />
Papst Franziskus 4000 Obdachlose, Arme<br />
und ihre Begleiter nach Rom eingeladen.<br />
Wir waren mit 21 Verkäufern<br />
und sieben Begleitern dabei. Dieses intensive<br />
Gemeinschaftserlebnis hat uns<br />
unglaublich beflügelt. Viele Obdachlose<br />
haben dadurch wieder Hoffnung<br />
geschöpft oder zu ihrem Glauben<br />
gefunden.<br />
Auch die Spendenbereitschaft ist<br />
zum Glück 2016 stabil geblieben. Ein<br />
Highlight war das Benefizkonzert mit<br />
Ulrich Tukur und seinen Rhythmus<br />
Boys im St. Pauli Theater sowie das Benefizkonzert<br />
der Hamburger Camerata<br />
in der St. Georgskirche mit der Geigerin<br />
Joanna Kamenarska. Aber auch wiederkehrende<br />
Aktionen wie das Neujahrskonzert<br />
in Wentorf und das Acando-<br />
Kickerturnier sind neben den vielen<br />
kleinen und großen Spenden überlebenswichtig<br />
für unsere Arbeit. Unser<br />
besonderer Dank gilt dem Freundeskreis<br />
mit seinen 2500 Mitgliedern. Nur<br />
durch Ihre Hilfe können wir 530 Verkäufern<br />
jeden Monat eine Beschäftigung<br />
ermöglichen, eine Heimat bieten und eine<br />
Lobby sein. Danke! •<br />
Kontakt: jens.ade@hinzundkunzt.de<br />
Mehr unter<br />
www.hinzundkunzt.de
Das Betriebsergebnis 2016<br />
ERLÖSE<br />
2016<br />
2015<br />
2014<br />
Verkaufte Exemplare<br />
Umsatzerlöse Zeitungsverkauf*<br />
Umsatzerlöse Sonderheft<br />
Umsatzerlöse Anzeigen<br />
Übrige Erlöse** (Stadtrundgänge, Veranstaltungen, Arbeitsprojekte)<br />
Umsatzerlöse Warenverkauf<br />
720.402<br />
736.000 €<br />
71.000 €<br />
100.000 €<br />
196.000 €<br />
26.000 €<br />
1.129.000 €<br />
814.367<br />
707.000 €<br />
57.000 €<br />
102.000 €<br />
51.000 €<br />
33.000 €<br />
950.000 €<br />
830.558<br />
679.000 €<br />
86.000 €<br />
109.000 €<br />
29.000 €<br />
26.000 €<br />
929.000 €<br />
Allgemeine Spenden***<br />
Erlöse Freundeskreis<br />
Sponsoring<br />
Spenden/Vermächtnisse für Sonderprojekte<br />
Zuschüsse (für Langzeitarbeitslose, bezahlt die Agentur für Arbeit)<br />
Übrige Erträge (Auflösung Rückstellung, Investitionszuschüsse)<br />
662.000 €<br />
290.000 €<br />
28.000 €<br />
87.000 €<br />
30.000 €<br />
24.000 €<br />
671.000 €<br />
257.000 €<br />
28.000 €<br />
87.000 €<br />
16.000 €<br />
40.000 €<br />
579.000 €<br />
244.000 €<br />
28.000 €<br />
41.000 €<br />
34.000 €<br />
30.000 €<br />
SUMME ALLER ERLÖSE<br />
2.250.000 €<br />
2.049.000 €<br />
1.885.000 €<br />
40% Erlöse Monatsmagazin<br />
davon 33%<br />
Magazinverkauf<br />
3 % Sonderhefte<br />
4% Anzeigen<br />
5,5% Sponsoring<br />
12,5% Übrige<br />
Im Jahre 2016 haben wir 2.250.000 Euro aufgewendet. Den Löwenanteil,<br />
55 Prozent unseres Geldes, geben wir für Personalkosten aus. 2016 hatten<br />
wir insgesamt 38 Mitarbeiter. Die meisten arbeiten in Teilzeit. Davon sind<br />
22 ehemalige Verkäufer. Mitgerechnet sind die neun Hinz&Künztler, die in<br />
unseren Kooperationsprojekten „Spende Dein Pfand!“ am Hamburger Flughafen<br />
und „BrotRetter“ in Zusammenarbeit mit der Bäckerei Junge arbeiten.<br />
55% Personalaufwand<br />
29%<br />
Spenden<br />
60 % Spenden, Sponsoring und übrige Erlöse<br />
13% Freundeskreis-<br />
Beiträge<br />
34%<br />
Personalkosten<br />
21% Personalkosten<br />
für ehemalige<br />
Verkäufer<br />
Das Heft und seine Mitarbeiter finanzieren sich aus den Erlösen aus dem<br />
Zeitungsverkauf*, den Sonderheften und Anzeigen. Durch die Preiserhöhung<br />
haben wir trotz Auflagenrückgang kein Minus gemacht. Die Spenden*** dienen<br />
der Finanzierung des Gesamtprojektes. Stark gestiegen sind die „Übrigen<br />
Erlöse“**. Das liegt an den Einnahmen aus „Spende Dein Pfand!“ und<br />
„BrotRetter“. Damit werden die Personalkosten in diesen Projekten refinanziert.<br />
2% Übrige<br />
2,5% Betreuungsaufwand<br />
22% Betriebliche<br />
Aufwendungen<br />
18,5% Herstellungskosten<br />
Zeitung<br />
45% sonstige Kosten<br />
AUFWENDUNGEN<br />
2016<br />
2015<br />
2014<br />
Personal (Gehälter, Sozialabgaben, Altersvorsorge)<br />
Betriebliche Aufwendungen (Miete, Instandhaltung, Heizung etc.)<br />
Betreuungsaufwand (Lebensmittel, Kaffee, Einzelhilfen)<br />
Honorare (freie Redakteure, Fotografen, Layout)<br />
Foto-, Belichtungs-, Druckkosten<br />
Abschreibungen<br />
Übrige Aufwendungen (Mitgliedsbeiträge, Versicherungen, Bankgebühren)<br />
1.233.000 €<br />
421.000 €<br />
57.000 €<br />
273.000 €<br />
220.000 €<br />
19.000 €<br />
27.000 €<br />
1.024.000 €<br />
363.000 €<br />
90.000 €<br />
242.000 €<br />
181.000 €<br />
18.000 €<br />
24.000 €<br />
958.000 €<br />
414.000 €<br />
42.000 €<br />
261.000 €<br />
160.000 €<br />
21.000 €<br />
12.000 €<br />
SUMME AUFWENDUNGEN<br />
2.250.000 €<br />
1.942.000 €<br />
1.868.000 €<br />
Steuern auf Einkommen und Ertrag<br />
Rücklagen-Einstellung<br />
Rücklagen-Entnahme<br />
4.000 €<br />
104.000 €<br />
108.000 €<br />
7.000 €<br />
157.000 €<br />
57.000 €<br />
16.000 €<br />
156.000 €<br />
155.000 €<br />
BILANZGEWINN<br />
0 €<br />
0 €<br />
0 €
Ein satter Händedruck<br />
muss sein: Hinz&<strong>Kunzt</strong>-<br />
Juror Rainer gratuliert<br />
Omar zu einem der Preise.<br />
Die Welt von morgen<br />
Wie klingt „Zukunft“? Diese Frage beantworteten rund 80 Schüler<br />
aus Hamburg und dem Umland beim diesjährigen Wettbewerb<br />
von Audiyou und Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Sie wünschen sich vor allem eine Welt ohne Not.<br />
TEXT: JONAS FÜLLNER, FOTO: DMITRIJ LELTSCHUK<br />
Der Bass wummert, das Keyboard<br />
quietscht und orgelt,<br />
während junge Stimmen<br />
gekonnt ihren Rap dem<br />
Beat anpassen: „Das ist die Welt von<br />
morgen, so sehen wir sie. Glückliche<br />
Menschen statt Tränen und Krieg.<br />
Hebt die Hände, wenn ihr das Leben<br />
liebt.“ Das funktioniert: Die Zuhörer<br />
reißen ihre Arme in die Höhe und jubeln,<br />
als der Song „Die Welt von morgen“<br />
durch den Verkaufsraum von<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> schallt.<br />
Dort findet an diesem Tag die<br />
Preisverleihung für den Jugend-Hörbuchpreis<br />
Audiyou statt. Gleich zu Beginn<br />
hatte Sascha Draeger eingeräumt:<br />
„Wir hatten dieses Mal die Qual der<br />
Wahl, und es war nicht leicht, sich auf<br />
einen Sieger festzulegen.“ Sascha<br />
Draeger? Den Namen des Audiyou-Jurymitglieds<br />
kannten die Kinder nicht.<br />
Im Gegensatz zu seiner Stimme. Seit<br />
vielen Jahren spricht er die Rolle des<br />
Tim in der Serie TKKG.<br />
Die etwa 80 Schüler aus Hamburg<br />
und Umland hingen aber nicht deswegen<br />
an seinen Lippen. Sie warteten gespannt<br />
darauf, welchen Platz sie mit ihrer<br />
Klasse beim Wettbewerb von<br />
Audiyou und Hinz&<strong>Kunzt</strong> belegen<br />
würden. Nicht einmal für die Chips<br />
und die große Schüssel voller Gummibären<br />
hatten die Schüler Augen – zumindest<br />
nicht, solange sie noch nicht<br />
ihren Preis eingeheimst hatten.<br />
Der Jubel unter den Schülern war<br />
groß. Denn es gibt keine Pokale, sondern<br />
professionelles Aufnahme-Equipment<br />
zu gewinnen. Schließlich will Audiyou-Initiatorin<br />
Stephanie Landa die<br />
Produktion von Hörspielen und Songs<br />
fördern. Jedes Jahr unter einem neuen<br />
Motto. In diesem Jahr sollten sich die<br />
Kinder Gedanken über die Zukunft<br />
machen. Und die sieht rosig aus,<br />
lauscht man den prämierten Beiträgen.<br />
Die Kinder träumen von einer<br />
Welt ohne Krieg, Hunger, Rassismus –<br />
und Hausaufgaben. Ein nachvollziehbarer<br />
Wunsch, für den die Kinder der<br />
Rudolf-Roß-Grundschule in der Neustadt<br />
in ihrem Hörspiel eine Lösung<br />
präsentierten: Die Protagonisten bas-<br />
Wir unterstützen Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Aus alter Freundschaft und mit neuer Energie. Hanse Werk<br />
44
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
teln heimlich an einem Roboter, der<br />
spätestens im Jahr 2217 alle Hausaufgaben<br />
für sie selbstständig erledigt.<br />
200 Jahre wollte das Team der<br />
Demokratischen Schule Infinita aus<br />
Steinhorst in der Nähe von Bad Oldesloe<br />
allerdings warten. „Kommt alle mit<br />
in die Welt von morgen, niemand<br />
macht sich um Geld noch Sorgen, der<br />
Reichtum ist gerecht verteilt und Zeitmaschinen-Songs<br />
gehen echt mal steil“,<br />
singen sie in ihrer utopischen Vorstellung<br />
in „Die Welt von morgen“.<br />
Mit vorzüglicher Soundqualität, gewitzten<br />
Reimen überzeugten sie die Jury,<br />
die sich aus Stephanie Landa, Sascha<br />
Draeger, Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer<br />
Reiner Rümke, Sybille Ahrendt<br />
(Hinz&<strong>Kunzt</strong>), Annemarie Azong (Studentin)<br />
und Jörgpeter von Clarenau<br />
(NDR Mikado) zusammensetzte. Die<br />
Mitglieder des Siegerteams waren völlig<br />
aus dem Häuschen. „Juhu, es hat sich<br />
gelohnt. Wir haben jede Woche geübt<br />
und gesungen“, sagte Jonathan freudestrahlend.<br />
Seine Mitschülerin Luzie<br />
pflichtete ihm sofort bei: „Ehrlich gesagt,<br />
den Beat konnten wir in den letzten<br />
Wochen schon nicht mehr hören.<br />
Aber jetzt bin ich ganz happy.“ •<br />
Freunde<br />
JA,<br />
ICH WERDE<br />
MITGLIED<br />
IM HINZ&KUNZT-<br />
FREUNDESKREIS.<br />
Damit unterstütze ich die<br />
Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
Meine Jahresspende beträgt:<br />
60 Euro (Mindestbeitrag für<br />
Schüler/Studenten/Senioren)<br />
100 Euro<br />
Euro<br />
Datum; Unterschrift<br />
Ich möchte eine Bestätigung<br />
für meine Jahresspende erhalten.<br />
(Sie wird im Februar des Folgejahres zugeschickt.)<br />
Meine Adresse:<br />
Name, Vorname<br />
Straße, Nr.<br />
PLZ, Ort<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Wir danken unseren Sponsoren Zoom,<br />
Hörcompany, Jumbo Verlag, Hajolt Klangschalen<br />
und der Joachim Herz Stiftung.<br />
Alle Beiträge anhören können Sie unter:<br />
www.huklink.de/audiyou<strong>2017</strong><br />
Der Newcomer-Preis ging an die Grundschule<br />
Kapellenweg (oben). Über Platz<br />
eins jubelte das Team der Schule Infinita<br />
(Mitte). Und gute Stimmung herrschte bei<br />
der Preisverleihung auch in der Jury.<br />
Beruf<br />
Geburtsjahr<br />
Einzugsermächtigung:<br />
Ich erteile eine Ermächtigung zum<br />
Bankeinzug meiner Jahresspende.<br />
Dankeschön<br />
Ich zahle: halbjährlich jährlich<br />
IBAN<br />
Wir danken allen, die im Juli an uns gespendet<br />
haben, sowie allen Mitgliedern im<br />
Freundeskreis von Hinz&<strong>Kunzt</strong> für die<br />
Unterstützung unserer Arbeit!<br />
DANKESCHÖN EBENFALLS AN:<br />
• IPHH • wk it services<br />
• Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
• Hamburger Tafel • Axel Ruepp Rätselservice<br />
• Hamburger Kunsthalle<br />
• bildarchiv-hamburg.de<br />
• Ilsabe und Hartmann Kühne, die ihren<br />
72. Doppelgeburtstag mit ihren Gästen<br />
gefeiert haben<br />
• Götz Oehlert und seinen Geburtstagsgästen<br />
• Jörg Kutzim und seinen Geburtstagsgästen<br />
• Peter Korn und seinen Gästen zur<br />
Feier zum 60. Geburtstag<br />
• „Rock die Straße“ für das Benefizkonzert<br />
mit Silvia Kohl-Stolze • Mike Manske<br />
• „Kannemann“ und Torsten Fixemer<br />
sowie Kay Hähnel<br />
NEUE FREUNDE<br />
• Maria Bleyer • Heinke Eulenschmidt<br />
• Rainer Groothuis • Joe Hartshorn<br />
• Renate Kaiser • Beate Lakotta<br />
• Ursula Lammel • Claudia Meene<br />
• Maret und Nicolas Schütz • Christoph Wenzl<br />
• Britta Wilkens • Lasse Wolter<br />
BIC<br />
Bankinstitut<br />
Wir versichern, dass Ihre Angaben nur für interne<br />
Zwecke bei Hinz&<strong>Kunzt</strong> verwendet werden. Ihre<br />
Mitgliedschaft im Freundeskreis ist jederzeit kündbar.<br />
Bitte Coupon ausschneiden und senden an:<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Freundeskreis<br />
Altstädter Twiete 1-5, 20095 Hamburg<br />
Oder online im Freundeskreis anmelden unter<br />
www.hinzundkunzt.de/freundeskreis<br />
45<br />
HK <strong>294</strong>
Buh&Beifall<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>294</strong>/AUGUST <strong>2017</strong><br />
Was unsere Leser meinen<br />
„Unbenutzte Container Obdachlosen zur Verfügung stellen!“<br />
Für eine bessere Welt<br />
H&K 293 und online, „Der Gipfel und die<br />
Obdach losen“, siehe auch Seite 16<br />
Jeder, der in diesen Tagen an Demonstrationen<br />
gegen die menschenverachtende<br />
Politik der G20 teilnimmt, tut<br />
das auch für die Rechte der Obdachlosen<br />
und für eine bessere Welt. Dass die<br />
Stadt Hamburg mal wieder vergessen<br />
hat, für diese Menschen einen Plan zu<br />
entwickeln, ist eine Sauerei. BECKY CUSTER<br />
Wenn die Stadt Hamburg noch<br />
einen Funken Anstand hat, dann stellt<br />
sie unverzüglich die unbenutzten Container<br />
Obdachlosen zur Verfügung. Dabei<br />
denke ich besonders an obdachlose<br />
Frauen und Obdachlose mit Hund.<br />
Unbenutzte Container gibt es ja genug.<br />
Jeder hat eine Chance verdient.<br />
IRMGARD TÖPELMANN<br />
An alles wird immer gedacht,<br />
aber für die Menschen auf der Straße<br />
wird nichts getan. MICHAELA HOLTMANN<br />
Bremen statt Hamburg<br />
H&K 293 und online, „Schutzlos im Gipfeltumult“,<br />
siehe auch Seite 16<br />
Laut shz.de hat der G20-Gipfel<br />
400 Millionen Euro gekostet. Dafür<br />
hätte man in Bremen für 1000 obdachlose<br />
Hamburger Eigentum kaufen können<br />
(Bremen ist die einzige Stadt in<br />
Deutschland, in der die Immobilienpreise<br />
noch akzeptabel sind, und es soll<br />
Obdachlose geben, die, um Wohnraum<br />
zu bekommen, Hamburg verlassen<br />
würden).<br />
MANUELA GERKENS<br />
Merkel soll Hinz&<strong>Kunzt</strong> lesen<br />
H&K 292, „Der G20 und die Armut“ sowie<br />
„Immer auf die Kleinen“<br />
Die Ausgabe wäre doch für das<br />
Thema Afrika beim Gipfel der G20<br />
sehr wichtig. Wie kann man Frau<br />
Merkel das Heft überbringen?<br />
Hühner – fast umsonst. Dieser Artikel<br />
müsste dort nochmals erörtert werden.<br />
Obwohl die „Entscheider“ das<br />
Problem sicher kennen, ist noch keine<br />
positive Veränderung passiert.<br />
URSEL LÜHR<br />
Leserbriefe geben die Meinung des<br />
Verfassers wieder, nicht die der Redaktion.<br />
Wir behalten uns vor, Leserbriefe zu kürzen.<br />
Wir trauern um<br />
Rainer Giordano<br />
26. <strong>August</strong> 1958 – 12. Juli <strong>2017</strong><br />
HAMBURGER NEBENSCHAUPLÄTZE<br />
DER ETWAS<br />
ANDERE<br />
STADTRUNDGANG<br />
Rainer war seit Mai 1995 bei Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Viele Jahre<br />
hatte er seinen Stammplatz in der City beim Hamburger Hof.<br />
Jetzt ist er völlig überraschend gestorben.<br />
Die Verkäufer und das Team<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Wir trauern um<br />
Peter Dickhoven<br />
19. Juni 1948 – 24. Juni <strong>2017</strong><br />
Peter war 21 Jahre lang Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Verkäufer. Seinen Festplatz hatte er<br />
bei Aldi in der Cuxhavener Straße. Im Krankenhaus ist er gestorben.<br />
Die Verkäufer und das Team<br />
von Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
Wollen Sie Hamburgs City einmal mit anderen Augen sehen?<br />
Abseits der teuren Fassaden zeigt Hinz&<strong>Kunzt</strong> Orte, die in<br />
keinem Reiseführer stehen: Bahnhofs mission statt Rathausmarkt,<br />
Drogenberatungsstelle statt Alsterpavillon, Tages aufent halts stätte<br />
statt Einkaufspassage.<br />
Anmeldung: info@hinzundkunzt.de<br />
oder Telefon: 040/32 10 83 11<br />
Kostenbeitrag: 10/5 Euro,<br />
nächste Termine: 28.8.<strong>2017</strong>, 15 Uhr<br />
mit Abschiedshaus
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Gutes tun: Musiker Bosse sammelte auf Festivals Zelte<br />
und Schlafsäcke für Obdachlose (S. 48).<br />
Gutes sehen: Das Metropolis Kino widmet sich in einer<br />
neuen Reihe Jazz- und Soulmusikern (S. 52).<br />
Gutes kochen: Hinz&Künztler Gerald ist gelernter Koch.<br />
Nach Jahren im Knast hofft er auf eine neue Chance (S. 58).<br />
Fahrt frei für Miu: Die Soul-Pop-<br />
Sängerin aus Hamburg begann<br />
ihre Karriere im New Yorker Club<br />
„The Bitter End“. Sogar in der<br />
Elbphilharmonie durfte sie schon<br />
spielen. Am 31.8. stellt sie ihr<br />
neues Album „Leaf“ im Mojo vor<br />
(S. 55) – eine runde Sache.<br />
FOTO: ELENA ZAUCKE
Norddeutschland kann sehr grau, ungemütlich<br />
und auch kalt sein. Also rief Bosse auf dem<br />
Hurricane-Festival dazu auf, übrig gelassene<br />
Zelte und Schlafsäcke einzusammeln – die<br />
anschließend an Obdachlose verteilt wurden.<br />
Axel Bosse<br />
Ich kann<br />
viel bewirken<br />
viel helfen<br />
Seit 20 Jahren ist Axel Bosse gut im Geschäft. In seinen<br />
Songs fi nden sich eine Menge Leute wieder, auf der<br />
Bühne gibt der 37-Jährige alles. Ganz nebenbei engagiert<br />
er sich für Obdachlose, Flüchtlinge und gegen Nazis.<br />
Darüber haben wir mit dem Musiker gesprochen.<br />
TEXT UND FOTOS: LENA MAJA WÖHLER
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Bosse füllt mühelos große Hallen<br />
und Stadien. Er gilt als einer<br />
der führenden Köpfe des<br />
deutschsprachigen Pop.<br />
Wir haben ihn anlässlich seines<br />
Konzertes auf der Bahrenfelder Trabrennbahn<br />
getroffen.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>: Als wir bei deinem<br />
Management nach einem Interview anfragten,<br />
bekamen wir sofort eine Zusage.<br />
Was ist dein Bezug zur Obdachlosigkeit?<br />
AXEL BOSSE: Dass ich einen sehr guten Bekannten<br />
habe, der obdachlos ist. Im<br />
Winter wohnt er in einer WG, aber im<br />
Sommer ist er draußen. Gemeinsam<br />
mit ihm und mit der Hilfe von Hanseatic<br />
Help hatten wir letzten Sommer eine<br />
tolle Idee: Wir wollten obdachlosen<br />
Menschen helfen und gleichzeitig beschäftigten<br />
wir uns mit den unglaublichen<br />
Massen an Plastikmüll, die bei den<br />
vielen Festivals anfallen. So kam die Aktion<br />
„Dein Zelt kann ein Zuhause sein“<br />
zustande. Wir spielten an einem Sonntag<br />
auf dem Hurricane Festival. Viele<br />
junge Leute lassen am Ende des Festivals<br />
ihre Isomatten und Zelte stehen,<br />
später kommt die Müllabfuhr und alles<br />
wird weggeschmissen. Wir haben angeboten,<br />
mit einem großen Lkw auf<br />
deren Recyclingplatz zu fahren und<br />
dort die Sachen entgegenzunehmen.<br />
Die Isomatten und Zelte wurden sauber<br />
gemacht und in Hamburg, Bremen<br />
und Hannover an Obdachlose verteilt.<br />
Wir hatten so viel über, dass sogar ein<br />
Teil nach Sizilien und nach Lampedusa<br />
gegangen ist.<br />
49
Bosse kann weit<br />
mehr, als mit Verve<br />
die Rampensau sein:<br />
Im vergangenen<br />
Dezember sammelte<br />
er bei einem Konzert<br />
10.000 Wintermäntel<br />
ein und verteilte sie<br />
weiter.<br />
Auf einem Konzert in der Großen Freiheit<br />
hast du insgesamt 31.000 Euro für<br />
Hanseatic Help und Pro Asyl einspielen<br />
können. Wie kam diese Aktion zustande?<br />
Mir ist bewusst geworden, dass ich<br />
manchmal nur mit den Fingern schnipsen<br />
muss – und ich kann viel bewirken,<br />
viel helfen. Das Konzert in der Großen<br />
Freiheit war ein Zusatzkonzert, eine<br />
Hassmails<br />
voller<br />
Fehler<br />
„Sonntagssause“, also Sonntag, 15.30<br />
Uhr. Es hat normalen Eintritt gekostet,<br />
einige Künstler haben noch Bilder gemalt,<br />
die verkauft wurden. Die Band<br />
hat umsonst gespielt, die Technik und<br />
die Security haben umsonst gearbeitet,<br />
die Feuerwehr kam umsonst. Und auch<br />
die Große Freiheit selbst wurde uns kostenlos<br />
zur Verfügung gestellt, so ist es<br />
dann am Ende zu dieser Summe gekommen,<br />
die zwischen Pro Asyl und<br />
Hanseatic Help aufgeteilt wurde. Mit<br />
dem Geld passieren nun tolle und wichtige<br />
Sachen!<br />
Im Dezember haben wir etwas<br />
Ähnliches gemacht: Wir sollten in der<br />
Alsterdorfer Sporthalle spielen, und ein<br />
paar Tage vorher habe ich mir gedacht:<br />
Mann, da kommen jetzt zwischen 6000<br />
und 7000 Leute, da fahre ich wieder<br />
mit dem Lkw vor und sage diesmal:<br />
„Ich spiele ein Konzert für euch, ihr<br />
gebt mir eure Winterklamotten, dazu<br />
legt ihr einen Zettel mit eurem Namen<br />
und eurer Mailadresse drauf, ich wähle<br />
später fünf Leute von euch aus, ihr<br />
kommt dann mit all euren Freunden,<br />
und ich spiel’ umsonst noch mal ein<br />
Konzert nur für euch.“ Wir haben mit<br />
der Idee mal eben 10.000 Wintermäntel<br />
gesammelt, die weiterverteilt wurden.<br />
Ich wundere mich manchmal, warum<br />
ich das nicht schon vor fünf Jahren<br />
gemacht habe, es ist echt einfach. Du<br />
brauchst nur eine Idee und ein bisschen<br />
Organisation.<br />
Bei der Verleihung des Echo 2016 hast du<br />
auf der Bühne den Nazis symbolisch den<br />
50<br />
Stinkefinger gezeigt. Sollten generell mehr<br />
Künstler politische Stellung beziehen?<br />
Ja! Definitiv.<br />
Gehört das heutzutage zum Business dazu?<br />
Das wäre auf jeden Fall toll. Und es wäre<br />
wichtig, gerade bei der heutigen Mc-<br />
Fit-Jugend, die ihr Leben auf Instagram<br />
darstellt, für die Style alles ist und<br />
die so unpolitisch ist. Darum sollten<br />
sich Künstler, die nun mal einen Rieseneinfluss<br />
haben, das Recht rausnehmen,<br />
sich zu äußern. Gerade die, die<br />
Angst haben, Fans zu verlieren, die großen<br />
Mainstream Acts! Das würde eine<br />
ganze Menge bewegen. Wie Udo Lindenberg<br />
schon sagte: Würde sich Helene<br />
Fischer gegen Rechts und Fremdenfeindlichkeit<br />
äußern, würde das<br />
wahrscheinlich mehr bewegen, als<br />
wenn ich mich als Bosse äußere. Die<br />
meisten meiner Fans sind politisch korrekte,<br />
offene und liberale Leute.<br />
Hatte der Stinkefinger Konsequenzen<br />
für dich?<br />
Keine spürbaren. Es gab natürlich ein<br />
Echo im Netz: 20 Prozent Shitstorm, 80<br />
Prozent Zustimmung, Lob und Unterstützung.<br />
Wobei ich schon erschrocken
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
war, wie sehr ich bedroht wurde; andererseits<br />
konnte man sich auch kaputtlachen,<br />
schon wegen der vielen Rechtschreibfehler<br />
in diesen Mails.<br />
Die ersten Songs deines Albums „Kraniche“<br />
hast du während eines sechsmonatigen<br />
Aufenthalts in Istanbul geschrieben.<br />
Was hat dich an der Stadt inspiriert?<br />
Einfach alles! Meine Frau ist Türkin und<br />
so haben wir dort sehr viele Familienmitglieder.<br />
Meine Frau bekam das Angebot,<br />
vor Ort einen Film zu drehen, unsere<br />
Tochter war noch sehr jung und nicht<br />
schulpflichtig, und wir haben dann ein<br />
Die T rkei<br />
braucht<br />
noch Zeit<br />
Jahr lang die Stadt unsicher gemacht.<br />
Wir haben immer gut gegessen, haben<br />
uns alles angeguckt, haben viele Leute<br />
getroffen, haben viel Quatsch gemacht.<br />
Die Stadt ist der Wahnsinn! Es gibt so<br />
viele junge Menschen! Istanbul kam mir<br />
oft vor wie in den Erzählungen meines<br />
älteren Bruders über die frühen Zeiten<br />
in Berlin; wie das war, als man im Untergrund<br />
noch getanzt hat und als all die<br />
neuen Ideen kamen. Eine Mischung aus<br />
ungeheurer Produktivität, jeder Menge<br />
Adrenalin, dann wieder totales Chaos<br />
und die Schönheit, wenn Alt und Neu<br />
aufeinandertrifft.<br />
Ein Aufbruch, der zum Greifen nah ist?<br />
Totaler Aufbruch! 200 Prozent mehr<br />
Energie, als ich das aus Deutschland<br />
kannte! Wir haben direkt am Taksim-<br />
Platz gewohnt, da wo Tag und Nacht<br />
wie in Tokio ineinander übergehen. Ich<br />
kann jedem nur empfehlen, dahin zu<br />
fahren!<br />
51<br />
Wie fühlt es sich für dich an, wenn du hörst,<br />
was jetzt in der Türkei los ist?<br />
Schwierig. Ich wünsche dem Land Ruhe<br />
und Gerechtigkeit! Manchmal kann<br />
man sich das nicht richtig vorstellen,<br />
was dort passiert. Wir leben in einem<br />
Land, in dem jeder damit aufgewachsen<br />
ist, dass er immer sagen darf, was er<br />
möchte. Sobald das nicht mehr möglich<br />
ist, wird die Freiheit eingeschränkt.<br />
Und das kann nicht gesund sein.<br />
So wie du die Stimmung der Stadt kennengelernt<br />
hast: Glaubst du, dass sich alles doch<br />
am Ende zum Guten wenden wird?<br />
Daran glaube ich auf jeden Fall! Die<br />
Türkei braucht einfach noch Zeit! Und<br />
wir sollten bedenken, dass Istanbul<br />
nicht die Türkei ist. Man muss nur aus<br />
Istanbul raus zwei Stunden übers Land<br />
fahren, dann kann man Menschen treffen,<br />
die mit einem Esel ihr Feld bestellen.<br />
Das Land ist also noch lange nicht<br />
so entwickelt, wie man als Deutscher<br />
oder Europäer denkt, dass es normal<br />
ist. Und so wird die Türkei noch ein<br />
paar Jahrzehnte brauchen, bis dort die<br />
Gedanken und Werte selbstverständlich<br />
sind, wie wir sie in der EU kennen. Der<br />
Großteil der jungen Leute, die ich dort<br />
kennengelernt habe, denkt so: Die streben<br />
nach freien Gedanken, die wollen<br />
ein freies Internet, freie Kunst und Kultur.<br />
Und diese Generation hat Energie<br />
und wird etwas verändern. •<br />
Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Engtanz – das aktuelle Album von Bosse<br />
Auf die Frage, wie es zu dem Albumtitel<br />
Engtanz kam, sagte Bosse: „Irgendwann<br />
bin ich auf ,Engtanz‘ gekommen – für<br />
mich ein Bild von zwei Leuten, die Stirn<br />
an Stirn nach einer zerfetzten Nacht<br />
noch dastehen.“<br />
Konzert auf der Bahrenfelder Trabrennbahn:<br />
Mo, 26.8., 18 Uhr; Karten: 43 Euro<br />
<br />
M5 MEXICAN BRASS<br />
<br />
RYAN MCMULLAN<br />
<br />
BREAKING BENJAMIN<br />
<br />
MC FITTI<br />
<br />
PAPA ROACH<br />
<br />
JONAS MONAR<br />
<br />
PHOENIX<br />
<br />
TORI AMOS<br />
<br />
MIKE + THE MECHANICS<br />
<br />
MACHINE GUN KELLY<br />
<br />
PHILIPP DITTBERNER<br />
<br />
KASALLA<br />
<br />
THE KILKENNYS<br />
<br />
GIORA FEIDMAN &<br />
RASTRELLI CELLO QUARTETT<br />
<br />
ROBIN SCHULZ<br />
<br />
BRIT FLOYD<br />
<br />
NILS LANDGREN FUNK UNIT<br />
<br />
JOCO<br />
<br />
DUA LIPA<br />
<br />
CHRIS REA<br />
<br />
KASABIAN<br />
<br />
ÜBERJAZZ FESTIVAL<br />
<br />
OMD<br />
<br />
STONE SOUR<br />
<br />
ERASURE<br />
TICKETS: KJ.DE
Kult<br />
Tipps für <strong>August</strong>:<br />
subjektiv und<br />
einladend<br />
Kino<br />
Jazzfilm über Sucht und Freundschaft<br />
Dale Turner ist ein genialer Musiker,<br />
doch seine Alkoholsucht bringt ihn ans<br />
Limit. Seine Managerin hält ihn deshalb<br />
kurz: Tagsüber sperrt sie ihn ein,<br />
nur nachts zum Konzert darf der Saxofonist<br />
raus. Der mittellose Francis, der<br />
Turner glühend verehrt, kann dabei<br />
nicht zusehen. Bei einem heimlichen<br />
Drink schließen die beiden Freundschaft<br />
und nehmen den Kampf gegen<br />
die Sucht auf. Die „Hoffnungsorte<br />
Hamburg“ zeigen den Klassiker „Um<br />
„Um Mitternacht“ ist ein Klassiker<br />
unter den Jazzfilmen.<br />
Mitternacht“ zum Auftakt der neuen<br />
„Soulfood“-Filmreihe, die Armut und<br />
Sucht in der Jazzszene thematisiert. •<br />
Metropolis, Kleine Theaterstraße 10,<br />
So, 13. <strong>August</strong>, 17 Uhr, Eintritt 7,50/5 Euro,<br />
www.metropoliskino.de<br />
52
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Party<br />
Gay Pride im Nachtasyl<br />
Zum Christopher Street Day<br />
steht auch das Nachtasyl ganz im<br />
Zeichen des Regenbogens. Nach der<br />
Parade steigt die Aftershow-Party<br />
für alle, die den Abend mit Pop,<br />
Italo-Disco und Dance-Hits stilecht<br />
ausklingen lassen wollen. •<br />
Nachtasyl, Alstertor, Sa, 5.8., 22 Uhr,<br />
Eintritt 8 Euro, www.thalia-theater.de<br />
FOTOS: KINEMATHEK HAMBURG, LISA RAVE, PABLO HEIMPLATZ<br />
Tanzen befreit – das<br />
zeigt die Performance<br />
„Monument 0.4: Lores<br />
& Praxes“ im MK&G.<br />
Bühne<br />
Weltpremiere zeigt Widerstand als Tanz<br />
Protest und Befreiung kann man auch tanzen! Das zeigt die Choreografin Eszter<br />
Salamon mit einer außergewöhnlichen Tanzperformance im Museum für Kunst<br />
und Gewerbe, bei der sich das Publikum frei zwischen den Tänzern hindurch<br />
bewegen kann. Das internationale Ensemble aus zehn Darstellern zeigt moderne<br />
Interpretationen von Kriegs- und Widerstandskämpfen aus verschiedenen<br />
Krisengebieten der Welt – von Afrika und Südamerika über den Nahen Osten<br />
bis Asien. Die Performance wird als Weltpremiere im Rahmen des Kampnagel<br />
Kulturfestivals gezeigt. •<br />
Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Sa, 12.8., 10–18 Uhr,<br />
Eintritt 12/8 Euro, www.kampnagel.de<br />
Festival<br />
Schräge Vögel und jede Menge Kunst<br />
Bei denen piept’s wohl! Geschmückt mit fremden Federn treffen sich farbenfrohe<br />
Feierfreunde in Wilhelmsburg zum Vogelball. Eingeflogen wird dazu unter<br />
anderen Elektroclash-Sängerin Peaches, auch Queer Rapper Mykki Blanco legt<br />
wieder eine Show hin. Federführend ist das Team des MS Artville, das an mehreren<br />
Tagen zum Stromern einlädt:<br />
Am Tag nach dem Vogelball startet<br />
das „Kunstkucken“ mit fachlich begleiteten<br />
Spaziergängen zu den neu<br />
gestalteten Werken auf dem Gelände,<br />
abends steigt die Party „Butterland“.<br />
Zum Abschluss wird das „Burgfest“<br />
gefeiert – mit einer „Kunsthandelszone“,<br />
wo angemeldete Gäste eigene<br />
Kunstwerke feil bieten können.<br />
Danach geht es an Ort und Stelle<br />
weiter mit Musik: Am 18. <strong>August</strong><br />
startet das MS Dockville. •<br />
MS Artville, Vogelball, Alte Schleuse 23,<br />
Sa, 5.8., 16 Uhr, Eintritt 21,60 Euro<br />
plus Gebühr, www.huklink.de/vogelball<br />
Beim Vogelball am Reiherstieg feiern alle,<br />
wie ihnen der Schnabel gewachsen ist.<br />
Theater<br />
Plattfisch und Hochmut<br />
Manntje, Manntje Timpe Te, Buttje,<br />
Buttje inne See … Seit Grimms Zeiten<br />
warnt das Märchen vom Fischer<br />
und seiner Frau vor übertriebenem<br />
Ehrgeiz und seinen Folgen. Nun<br />
bringt Musikproduzent Christian<br />
Berg die Geschichte als Musical für<br />
Eltern und Kinder auf die Bühne. •<br />
Sprechwerk, Klaus-Groth-Straße 23,<br />
Fr, 4.8. – So, 6.8., 17.30 Uhr, Eintritt<br />
18–22 Euro, www.sprechwerk.hamburg<br />
Vortrag<br />
Auf den Spuren Störtebekers<br />
Er konnte einen Vier-Liter-Humpen<br />
in einem Zug leeren, war als Kapitän<br />
der Freibeuterbande Likedeeler gefürchtet<br />
und lief am Ende ohne Kopf<br />
an seinem Henker vorbei – so die<br />
Legende um Klaus Störtebeker.<br />
Was da dran ist und was es bedeutete,<br />
im 15. Jahrhundert Pirat zu sein,<br />
erläutert eine historische Führung. •<br />
Museum für Hamburgische Geschichte,<br />
Holstenwall 24, So, 6.8., 14 Uhr, Eintritt<br />
9,50/6 Euro, www.hamburgmuseum.de<br />
Kinder<br />
Trickfiguren halten zusammen<br />
Der Waisenjunge Zucchini wohnt<br />
gern im Kinderheim – vor allem seit<br />
Camille da ist. Als sie ausziehen soll,<br />
schmiedet er einen gerissenen Plan.<br />
Der Trickfilm „Mein Leben als Zucchini“<br />
läuft unter freiem Himmel. •<br />
Sommerkino, Alsterdorfer Markt,<br />
Fr, 11. <strong>August</strong>, 21.45 Uhr,<br />
Eintritt auf Spendenbasis,<br />
www.alsterdorf.de<br />
53
Festival<br />
Happy Birthday, Gängeviertel!<br />
54<br />
Die Tage sind bunt, die Nächte auch:<br />
Im Gängeviertel wird wieder Geburtstag gefeiert.<br />
Das muss gefeiert werden: Seit acht<br />
Jahren behauptet sich das Gängeviertel<br />
als kulturelle Insel in der Innenstadt.<br />
Zum Geburtstag sind wieder alle eingeladen,<br />
durch die Gänge zu stromern,<br />
kostenlos Ausstellungen und Konzerte<br />
zu besuchen und mitzufeiern. Los geht<br />
es am Freitagabend mit einer Performance<br />
von Esther Leslie und Ben<br />
Watson zum Thema Widerstand mit<br />
künstlerischen Mitteln, und feinem<br />
Gesang. Elektronische Sounds bringen<br />
die Sängerin Lila und die Band Hunger<br />
zu Gehör. Das Fest ist die beste<br />
Gelegenheit, das Gängeviertel besser<br />
kennenzulernen und über seine politische<br />
Zukunft zu diskutieren:<br />
Was läuft gut, was läuft schief bei den<br />
Verhandlungen mit der Stadt? In einer<br />
Gesprächsrunde sollen alle ihre Fragen<br />
und Ideen einbringen können. •<br />
Gängeviertel, Ecke Valentinskamp/<br />
Caffamacherreihe, ab Do, 24.8. – So, 27.8.,<br />
Eintritt frei, das-gaengeviertel.info
FOTOS: FRANZISKA HOLZ, CHARLOTTE PATMORE<br />
<strong>Kunzt</strong>&Kult<br />
Konzert<br />
Kate Nash rockt für gleiche Chancen<br />
Mädels an die Mikros! Mit ihrem schrägen, aber tanzbaren Sound und großem<br />
Engagement für benachteiligte junge Frauen hat sich Kate Nash zu einer Heldin<br />
der feministischen Popmusikszene entwickelt. Die britische Sängerin und<br />
Multi-Instrumentalistin macht nicht nur auf der Bühne gute Stimmung gegen<br />
Machokultur, sondern setzt sich als Initiatorin vom „Rock ’n’ Roll for Girls<br />
After School Music Club“ auch für faire Chancen im Musikgeschäft ein.<br />
Im <strong>August</strong> kommt sie mit ihrem Erfolgsalbum „Made of Bricks“ nach Hamburg<br />
– unterstützt von ihren Schwestern im Geiste, der Band „Skating Polly“. •<br />
Uebel&Gefährlich, St.-Pauli-Bunker, Feldstraße 66, Fr, 18.8., 19 Uhr,<br />
Eintritt 23,70 Euro plus Gebühr, www.uebelundgefaehrlich.com<br />
Konzert<br />
Miu verzaubert das Mojo<br />
Als die Elbphilharmonie mit großem<br />
Tamtam eröffnet wurde, hatte<br />
Sängerin Miu die Akustik schon mal<br />
ausprobiert: Als Erste, die dort einen<br />
Verstärker einstöpseln durfte, spielte<br />
sie im November 2016 ein Testkonzert<br />
im offiziell noch verschlossenen<br />
großen Saal. Ebenso wundersam hört<br />
sich ihr Werdegang an: Nach einem<br />
Gig in New York, der sich zufällig ergeben<br />
haben soll, schmiss sie ihren Job<br />
als Werberin und machte die Musik<br />
zum Beruf. Auch live hält Miu es lieber<br />
fein und kunstvoll, als große Töne<br />
zu spucken: Ihre perfekt getimten<br />
Lieder haben Groove und klingen<br />
trotzdem federleicht. Beim Release-<br />
Konzert ihres neuen Albums „Leaf“<br />
dürfen Fans wieder mitträumen. •<br />
Mojo Club, Reeperbahn 1, Do, 31.8.,<br />
20 Uhr, Eintritt 20 Euro, www.mojo.de<br />
Eine starke<br />
Stimme ist nicht<br />
nur zum Singen<br />
gut: Kate Nash<br />
geigt Machos die<br />
Meinung.<br />
Literatur<br />
Hommage an eine Kiezheldin<br />
Martha ist alt, arm und allein – aber<br />
eine Kämpferin vor dem Herrn.<br />
Schauspieler Michael Weber hat auf<br />
St. Pauli unter einem Dach mit ihr<br />
gewohnt und ihr ein literarisches<br />
Denkmal gesetzt: „Martha“ ist eine<br />
Hommage an sie und all die Überlebenskünstler<br />
auf dem Kiez, die stets<br />
am Rand und dennoch über allem<br />
standen. In der Speicherstadt liest<br />
der Autor aus seinem Roman vor. •<br />
Speicherstadt Kaffeerösterei,<br />
Kehrwieder 5, Di, 29.8., 20 Uhr,<br />
Eintritt 7 Euro,<br />
www.schwarzenaechte.de<br />
Über Hinweise bis zum 10. des<br />
Monats freut sich Annabel Trautwein<br />
unter redaktion@hinzundkunzt.de<br />
Kinofilm des Monats<br />
Indien im<br />
Dilemma<br />
Gegen die Teilung der früheren<br />
britischen Kolonie Indien<br />
wirkte die in etwa zeitgleiche<br />
Teilung Deutschlands<br />
strukturiert wie eine Umsatzsteuererklärung.<br />
Als Indien<br />
unabhängig wurde, schlitterte<br />
das Land in ein echtes Dilemma:<br />
Während der Norden<br />
muslimisch dominiert<br />
war, hatten im Rest Indiens<br />
Hindus die Oberhand. Vergebens<br />
kämpften der Nationalkongress<br />
und der als Held<br />
verehrte Gandhi für den Einheitsstaat.<br />
Am Ende wurden<br />
Millionen Menschen aus ihrer<br />
Heimat vertrieben, die die<br />
„falsche“ Religion hatten.<br />
Über eine Million Menschen<br />
kamen infolge des geopolitischen<br />
Geschachers um.<br />
Nun zeichnet die Regisseurin<br />
Gurinder Chadha engagiert<br />
und kraftvoll ein Bild<br />
dieser Zeit. „Der Stern von<br />
Indien“ heißt ihr Film – und<br />
bietet Geschichtsunterricht<br />
im Kinoformat. Arrangiert<br />
ist die Story um den Lord<br />
„Dickie“ Mountbatten und<br />
seine Frau Lady Edwina. Der<br />
Lord hat den königlichen<br />
Auftrag, sicherzustellen, dass<br />
Indien reibungslos unabhängig<br />
wird. Doch bereits in<br />
seinem prunkvollen Amts -<br />
sitz merkt er, dass das mit<br />
den Hindus und Muslimen<br />
schwieriger wird als gedacht.<br />
Mountbatten taktiert und appelliert,<br />
doch die Fronten verhärten<br />
sich zusehends. Der<br />
grandios ausgestattete Film<br />
bietet anspruchsvolle Unterhaltung<br />
– und auch eine Liebesgeschichte.<br />
•<br />
André Schmidt<br />
geht seit vielen<br />
Jahren für<br />
uns ins Kino.<br />
Er arbeitet in der<br />
PR-Branche.<br />
55
<strong>Kunzt</strong>&Comic<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>294</strong>/AUGUST <strong>2017</strong><br />
56
WWW.HINZUNDKUNZT.DE<br />
Rätsel<br />
ILLUSTRATION (BLEISTIFT IM IMPRESSUM): BERND MÖLCK-TASSEL<br />
2<br />
3<br />
1<br />
7<br />
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2<br />
Lösungen an: Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
per Fax an 040 32 10 83 50 oder per E-Mail an info@hinzundkunzt.de.<br />
Einsendeschluss: 28. <strong>August</strong> <strong>2017</strong>. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Wer die korrekte Lösung für eines der beiden Rätsel einsendet, kann<br />
zwei Karten für die Hamburger Kunsthalle gewinnen oder eines von zwei<br />
Exemplaren „Wandsbek Buch“ von Katja Nicklaus (Junius Verlag).<br />
Das Lösungswort beim Kreuzworträtsel war: Buddhismus. Die Sudoku-<br />
Zahlenreihe war: 269 754 813.<br />
9<br />
1<br />
7<br />
8<br />
Füllen Sie das Gitter so<br />
aus, dass die Zahlen von<br />
1 bis 9 nur je einmal in<br />
jeder Reihe, in jeder<br />
Spalte und in jedem<br />
Neun-Kästchen-Block<br />
vorkommen.<br />
Als Lösung schicken<br />
Sie uns bitte die<br />
unterste, farbig gerahmte<br />
Zahlenreihe.<br />
Impressum<br />
Redaktion und Verlag<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH<br />
Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg<br />
Tel. 040 32 10 83 11, Fax 040 32 10 83 50<br />
Anzeigenleitung Tel. 040 32 10 84 01<br />
E-Mail info@hinzundkunzt.de, www.hinzundkunzt.de<br />
Herausgeber<br />
Landespastor Dirk Ahrens, Diakonisches Werk Hamburg<br />
Externer Beirat<br />
Prof. Dr. Harald Ansen (Armutsexperte HAW-Hamburg),<br />
Mathias Bach (Kaufmann), Dr. Marius Hoßbach (Rechtsanwalt),<br />
Rüdiger Knott (ehem. NDR 90,3-Programmchef),<br />
Olaf Köhnke (Ringdrei Media Network),<br />
Thomas Magold (BMW-Niederlassungsleiter i.R.),<br />
Beate Behn (Lawaetz-Service GmbH), Karin Schmalriede (Lawaetz-Stiftung),<br />
Dr. Bernd-Georg Spies (Russell Reynolds),<br />
Alexander Unverzagt (Medienanwalt), Oliver Wurm (Medienberater)<br />
Geschäftsführung Dr. Jens Ade<br />
Redaktion Birgit Müller (bim; v.i.S.d.P.),<br />
Annette Woywode (abi; Stellv., CvD), Frank Keil (fk; CvD)<br />
Mitarbeit Simone Deckner (sim), Jonas Füllner (jof),<br />
Ulrich Jonas (ujo), Benjamin Laufer (bela),<br />
Annabel Trautwein (atw), Uta Sternsdorff und Kerstin Weber<br />
Redaktionsassistenz Sonja Conrad, Dina Fedossova<br />
Online-Redaktion Simone Deckner, Jonas Füllner, Benjamin Laufer<br />
Artdirektion grafikdeerns.de<br />
Öffentlichkeitsarbeit Sybille Arendt, Friederike Steiffert<br />
Anzeigenleitung Sybille Arendt<br />
Anzeigenvertretung Christoph Wahring,<br />
Wahring & Company, Tel. 040 284 09 40, info@wahring.de<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 20 vom 1. Januar 2015<br />
Vertrieb Christian Hagen (Leitung), Marcus Chomse,<br />
Sigi Pachan, Jürgen Jobsen, Meike Lehmann, Sergej Machov,<br />
Frank Nawatzki, Elena Pacuraru, Reiner Rümke, Cristina Stanculescu,<br />
Marcel Stein, Cornelia Tanase, Silvia Zahn<br />
Rechnungswesen/Systemadministration Frank Belchhaus<br />
Spendenmarketing Gabriele Koch<br />
Spendenverwaltung Susanne Wehde<br />
Sozialarbeit Stephan Karrenbauer (Leitung), Ana-Maria Ilisiu, Isabel Kohler<br />
Das Stadtrundgang-Team Stephan Karrenbauer (Leitung),<br />
Chris Schlapp, Harald Buchinger<br />
Das BrotRetter-Team Stephan Karrenbauer (Leitung), Stefan Calin,<br />
Adam Csizmadia, Gogan Dorel, Alexa Ionut, Vasile Raducan<br />
Das Team von Spende Dein Pfand am Airport Hamburg<br />
Stephan Karrenbauer (Leitung), Uwe Tröger, Georgi Nikolov,<br />
Klaus Petersdorfer, Herbert Kosecki<br />
Litho PX2@ Medien GmbH & Co. KG<br />
Produktion Produktionsbüro Romey von Malottky GmbH<br />
Druck A. Beig Druckerei und Verlag,<br />
Damm 9–15, 25421 Pinneberg<br />
Umschlag-Druck Neef+Stumme premium printing GmbH & Co. KG<br />
Verarbeitung Delle und Söhne, Buchbinderei<br />
und Papierverarbeitungsgesellschaft mbH<br />
Spendenkonto Hinz&<strong>Kunzt</strong><br />
IBAN: DE56 200505501280167873<br />
BIC: HASPDEHHXXX<br />
Die Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH mit Sitz in Hamburg ist durch den aktuellen<br />
Freistellungsbescheid des Finanzamts Hamburg-Nord, Steuernummer<br />
17/414/00797, vom 15.11.2013 nach §5 Abs.1 Nr. 9<br />
des Körperschaftssteuergesetzes von der Körperschaftssteuer und nach<br />
§3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit.<br />
Geldspenden sind steuerlich nach §10 EStG abzugsfähig. Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist als<br />
gemeinnützige Verlags- und Vertriebs GmbH im Handelsregister<br />
beim Amtsgericht Hamburg HRB 59669 eingetragen. Wir bestätigen,<br />
dass wir Spenden nur für die Arbeit von Hinz&<strong>Kunzt</strong> einsetzen.<br />
Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben.<br />
Beachten Sie unsere Datenschutzerklärung, abrufbar auf www.hinzundkunzt.de.<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> ist ein unabhängiges soziales Projekt, das obdachlosen und<br />
ehemals obdachlosen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe bietet.<br />
Das Magazin wird von Journalisten geschrieben, Wohnungslose und<br />
ehemals Wohnungslose verkaufen es auf der Straße. Sozialarbeiter<br />
unterstützen die Verkäufer.<br />
Das Projekt versteht sich als Lobby für Arme.<br />
Gesellschafter<br />
Durchschnittliche monatliche<br />
Druckauflage 2. Quartal <strong>2017</strong>:<br />
70.000 Exemplare<br />
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Momentaufnahme<br />
HINZ&KUNZT N°<strong>294</strong>/AUGUST <strong>2017</strong><br />
Einst gehörte dem<br />
gelernten Koch ein<br />
Lokal in Linz. Dort<br />
kochte er nicht nur,<br />
sondern verschob<br />
auch mal Hehlerware.<br />
Das ist Geschichte.<br />
„Ich kann à la carte,<br />
ich kann Großküche“<br />
Gerald (50) verkauft Hinz&<strong>Kunzt</strong> vor der Haspa in der Spitalerstraße.<br />
TEXT: ANNETTE WOYWODE<br />
FOTO: MAURICIO BUSTAMANTE<br />
„Ich bin kein Heiliger“, sagt Gerald<br />
und zuckt mit den Schultern. Man mag<br />
es nicht glauben, denn seine Topfenknödel<br />
sind göttlich! Cremige Quarkbällchen,<br />
mit Vanillesoße und Erdbeerkompott<br />
kunstvoll serviert – eine<br />
Kalorienbombe, die der 50-Jährige<br />
zum Verkaufsstart der Juli-Ausgabe für<br />
200 Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Kollegen zubereitet<br />
hat. Wer so eine paradiesische Süßspeise<br />
zaubern kann, kann doch keinen<br />
Dreck am Stecken haben?<br />
Gerald lacht. „I bin ruhiger wor’n“,<br />
sagt der gebürtige Wiener. Aber früher<br />
habe er sich nichts sagen lassen – und<br />
ziemlich viel Mist gebaut.<br />
Elf Jahre hat Gerald, den bei<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong> viele nur „Ösi“ nennen,<br />
im Knast gesessen. Er wollte nur eine<br />
Strafe absitzen, anstatt die Geldstrafe<br />
zu zahlen. Aber dann hatte er Ausgang<br />
– und es kam zu einem heftigen Streit<br />
mit einem „Freund“, dem er für die<br />
Wochen im Gefängnis seine Wohnung<br />
überlassen hatte, erinnert er sich. Leichte<br />
Körperverletzung, unerlaubter Waffenbesitz<br />
und Freiheitsberaubung lautete<br />
das Urteil, und so wanderte Gerald<br />
für Jahre hinter Gitter. „Ich denke, die<br />
haben sich gefreut, dass sie mich endlich<br />
mal drangekriegt haben“, meint<br />
Gerald. Er sieht es fast sportlich, denn<br />
bei den vielen krummen Dingern zuvor<br />
hatte er immer großes Glück gehabt.<br />
Glück konnte Gerald gut brauchen:<br />
Als Zweijähriger kam er zu Pflegeeltern,<br />
mit zehn Jahren ins Heim. Kaum<br />
war der „Bua“ 16, schmiss die Heimleitung<br />
ihn raus. „Seitdem stehe ich auf<br />
eigenen Füßen“, sagt Gerald, der damals<br />
eine Kochlehre suchte. „Das hat<br />
mich schon immer interessiert“, erzählt<br />
er. „Ich kann à la carte, ich kann Großküche“,<br />
so Gerald, der sich nach seiner<br />
Ausbildung mit einem Lokal in Linz<br />
selbstständig machte. Und es begannen<br />
die krummen Dinger – Hehlerei, vor allem<br />
von Schmuck –, „sonst kommst net<br />
aus in dem G’schäft“, sagt er im schönsten<br />
Wiener Schmäh.<br />
Als das Haus, in dem sich Geralds<br />
Lokal befand, abgerissen wurde, eröffnete<br />
er andernorts ein Animierlokal. Bis<br />
Anfang der 1990er-Jahre lief der Laden,<br />
den Gerald aber verkaufte, als sich<br />
der Eiserne Vorhang hob – die Konkurrenz<br />
aus dem Osten schlief nicht. Die<br />
„Nebengeschäfte“ liefen weiter. Oft<br />
hatte ihn die Polizei im Visier, „aber die<br />
haben mir nie etwas nachweisen können“.<br />
Bis er wegen Beamtenbeleidigung<br />
eine Strafe hätte zahlen sollen – und<br />
aus Sturheit lieber in den Knast ging,<br />
wo er schließlich für viele Jahre blieb.<br />
Auch das hätte Gerald vermutlich<br />
einfach durchgezogen. Im Gefängnis<br />
konnte er als Koch arbeiten, hatte daher<br />
wenig auszustehen, wie er sagt.<br />
Doch dann starb seine langjährige<br />
Freundin: Hirnschlag. „Das hat Spuren<br />
hinterlassen“, sagt Gerald, „aber ich<br />
durfte sie beerdigen.“ Viel Geld hat er<br />
dafür ausgegeben. Auch die Miete für<br />
die Wohnung zahlte er weiter – viel zu<br />
lange. Hinzu kamen hohe Anwaltskosten.<br />
Als er, inzwischen 46 Jahre alt, aus<br />
der Haft entlassen wurde, waren seine<br />
Ersparnisse aufgebraucht.<br />
In Österreich hielt Gerald nichts<br />
mehr. Im Januar 2013 reiste er nach<br />
Hamburg, kam zunächst im Winternotprogramm<br />
unter. Ein Bekannter brachte<br />
ihn schließlich mit zu Hinz&<strong>Kunzt</strong>.<br />
„Ich war hoch oben und weit unten“,<br />
sagt Gerald. Dabei strahlt er absolute<br />
Ruhe aus, wie jemand, der seinen<br />
Frieden gefunden hat. In Hamburg<br />
macht er Platte unter einer Brücke.<br />
„Man kann das aushalten“, findet er.<br />
„Aber mal gucken, ob ich gegen Ende<br />
des Jahres in einer Großküche in Arbeit<br />
komme.“ Dass er’s draufhat, beweisen<br />
seine göttlichen Topfenknödel. •<br />
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KUNZT-<br />
KOLLEKTION<br />
BESTELLEN SIE DIESE UND WEITERE PRODUKTE BEI: Hinz&<strong>Kunzt</strong> gGmbH,<br />
www.hinzundkunzt.de/shop, shop@hinzundkunzt.de, Altstädter Twiete 1–5, 20095 Hamburg,<br />
Tel. 32 10 83 11. Preise zzgl. Versandkostenpauschale von 2,50 Euro bis 4 Euro,<br />
Ausland auf Anfrage. Versand ab 100 Euro Warenwert kostenlos.<br />
1. „Gegens Abstempeln“<br />
Zehn selbstklebende 70-Cent-Briefmarken mit<br />
Porträts von Hinz&Künztlern im A5-Heftchen.<br />
Konzeption: Agentur Lukas Lindemann Rosinski,<br />
Preis: 12 Euro<br />
4.<br />
2. „Macht auch wach!“<br />
Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Kaffeemischung,<br />
100% Arabica gemahlen, 250-g-Beutel<br />
oder Hinz&<strong>Kunzt</strong>-Bio-Espresso, italienische<br />
Mischung, kräftiger Geschmack,<br />
ungemahlen, 250-g-Beutel, exklusiv von der<br />
Kaffeerösterei Burg aus Hamburg.<br />
Preis: jeweils 5,95 Euro<br />
5.<br />
1.<br />
2.<br />
3. „Lesebrettchen“<br />
Exklusiv für Hinz&<strong>Kunzt</strong> aus der<br />
Serie „Schöne Aussichten“, Pension<br />
für Produkte Hamburg.<br />
Design: Wolfgang Vogler,<br />
Material: Esche geölt (aus heimischen Wäldern),<br />
lasergraviert. Jedes Brett ist ein Unikat,<br />
in Deutschland gefertigt.<br />
Preis: 15,90 Euro<br />
4. „Non urban“-Klappkarten<br />
5 verschiedene Motive mit Umschlag,<br />
DIN A6, Fotograf Dmitrij Leltschuk.<br />
Der Erlös geht zur Hälfte an den Fotografen,<br />
zur Hälfte an das Hamburger Straßenmagazin.<br />
Preis: 8 Euro<br />
6.<br />
5. „Heiße Hilfe“<br />
Bio-Rotbuschtee, aromatisiert mit<br />
Kakao-Orangen-Note. Zutaten: Rotbuschtee<br />
(k. b. A.), Kakaoschalen, Zimt, Orangenschalen,<br />
natürliches Orangenaroma<br />
mit anderen natürlichen Aromen.<br />
Dose, 75 g, abgefüllt<br />
von Dethlefsen&Balk, Hamburg,<br />
Preis: 7,50 Euro<br />
7.<br />
3.<br />
6. „Einer muss ja das Maul aufmachen“<br />
T-Shirt vom Modelabel „Fairliebt“ aus<br />
100% Biobaumwolle, sozialverträglich<br />
genäht in Bangladesch und<br />
von Hand bedruckt in Deutschland.<br />
Größen: S, M, L, XL. Farben: Petrol für Herren,<br />
Meerwassertürkis für Damen, Preis: 24,90 Euro<br />
7. „Ein mittelschönes Leben“<br />
Eine Geschichte für Kinder<br />
über Obdachlosigkeit von Kirsten Boie,<br />
illustriert von Jutta Bauer.<br />
Preis: 4,80 Euro
Eine der wichtigsten<br />
Wärmequellen für Hamburg<br />
Am Guten soll man festhalten. So halten wir es auch mit unserem<br />
Einsatz für Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Seit April 2000 unterstützt E.ON Hanse das<br />
Hamburger Straßenmagazin. Und daran wird sich nichts ändern.<br />
Auch als HanseWerk werden wir unser Engagement fortsetzen. Mehr<br />
menschliche Wärme – eine der wichtigsten Energien für den Norden.<br />
Energielösungen für den Norden