6 Slippery Slippery 7 Subjects Subjects Ohne zu viel zu verraten: Sie bleiben nicht am Beckenrand … (Szene aus Heute gehe ich allein nach Hause) Es gibt mehrere Gründe, die Schw<strong>im</strong>mszenen für Coming-Out-Filme attraktiv machen – und gerade deshalb sind sie so überraschend häufig. Tod und Wiedergeburt zu erwähnen. Das christliche Taufritual ist eines von vielen religiösen und mythischen Beispielen, in denen das Ein- und Wiederauftauchen aus dem Wasser als Zeichen für den Tod einer alten und die Geburt einer neuen Identität steht. Dieses Bild passt auch bestens zu Coming-out-Filmen: Wenn beispielsweise der noch ungeoutete Protagonist in <strong>Sommer</strong>sturm (2004) nach einem Streit mit seinem besten Heterofreund ins düstere Wasser springt, sieht das beinahe aus, als ob er er- trinken würde: ein symbolischer Tod. Als er dann zum Glück doch wieder auftaucht, wartet am Ufer bereits eine Gruppe schwuler Jungs, bei denen er eine neue He<strong>im</strong>at findet – als sozusagen frischgeborener Homo. ten lassen Familie, Schulkameraden und überhaupt alles Vertraute hinter sich, um irgendwo <strong>im</strong> Wald oder an einem abgelegenen Strand jenen Teil ihrer selbst ausleben können, den konservative Geister gern als widernatürlich bezeichnen: gleichgeschlechtliches Begehren. Die idyllische Umgebung solcher Schw<strong>im</strong>mszenen suggeriert nun aber, ganz <strong>im</strong> Gegenteil, dass Homosexualität weder verwerflich noch dekadent ist, sondern sich natürlich-harmonisch in eine schöne, unverfälschte Welt einfügen lässt. Der springende Punkt ist nun nicht zu behaupten, dass alle genannten Aspekte bei jeder einzelnen Coming-out-Schw<strong>im</strong>mszene relevant seien. Bei best<strong>im</strong>mten Filmen mag es pr<strong>im</strong>är um nackte Haut gehen, andere betonen vielleicht das Thema Natürlichkeit, und eine dritte Gruppe konzentriert sich womöglich auf schwebende Körper oder das Motiv von Tod und Wiedergeburt. Uns interessiert hier aber nicht der filmische Einzelfall, sondern die Häufigkeit von Schw<strong>im</strong>mszenen innerhalb eines ganzen Filmgenres. Und diese Häufigkeit lässt sich nun gut erklären: Gerade weil Schw<strong>im</strong>mszenen aus vielen verschiedenen Gründen attraktiv sind, kommen sie <strong>im</strong>mer und <strong>im</strong>mer wieder vor. Zwei Typen von Coming-out Dies lässt sich am besten zeigen, wenn man zwei Untergruppen von Coming-out-Filmen unterscheidet. Auf der einen Seite stehen Filme wie Get Real (1998) oder Der he<strong>im</strong>liche Freund (2014), in denen die Hauptfiguren noch auf der Suche nach der eigenen sexuellen Identität sind. Auf der anderen Seite ha- SEILERGRABEN 13 8001 ZÜRICH WWW.TIP-TOP-BAR.CH CRUISER <strong>Sommer</strong> <strong>2017</strong> CRUISER <strong>Sommer</strong> <strong>2017</strong> ANZEIGE Natürlich schwul Eine vierte Funktion von Schw<strong>im</strong>mszenen hat mit einem rhetorischen Gegensatzpaar zu tun. Viele Filme stellen der einengenden sozialen Umgebung ihrer Hauptfiguren die freie und befreiende Natur gegenüber. Protagonisben wir Geschichten wie Was du nicht sagst (2012), sie handeln von schwulen Protagonisten, die ein Doppelleben führen: Man(n) lebt bereits mit einem Freund, die Familie weiss aber bisher noch nichts – und nun droht sich das plötzlich zu ändern. Um es gleich vorweg zu sagen: Schw<strong>im</strong>mszenen gibt es in beiden Untergruppen. Die Häufigkeit unterscheidet sich allerdings deutlich. Während Filme über das Coming-out nur in einem von zehn Fällen eine Schw<strong>im</strong>mszene beinhalten, liegt der Anteil bei Geschichten über die sexuelle Selbstfindung bei beinahe 50 % – und ist somit rund fünf Mal höher. Dies wiederum fügt sich bestens ins entworfene Gesamtbild ein: Die Symbolik von Tod und Wiedergeburt passt nicht wirklich zum schwulen Mann mit Doppelleben, aber hervorragend zum Thema Selbstfindung; und da Filmhelden aus dieser Gruppe tendenziell noch sehr jung sind, spielt die Angst vor hohen Altersfreigaben mit Blick auf das Zielpublikum eine grössere Rolle, während es bei der anderen Gruppe um «reifere» Themen geht und man deshalb dem eher älteren Publikum die eine oder andere Sexszene durchaus zumuten kann. Spielen mit filmischen Motiven Und wie geht es in Zukunft mit Schw<strong>im</strong>mszenen weiter? FilmemacherInnen haben in der Regel ein gutes Gespür für Konventionen und Genreklischees. Wir dürfen uns also auf Filme freuen, die dieses häufige Coming-out- Motiv augenzwinkernd variieren oder auch direkt parodieren. Und wir Zuschauer dürfen Schw<strong>im</strong>mszenen gibt es in beiden Untergruppen. natürlich auch ein wenig mitspielen: Man organisiert eine Gruppe eingeweihter Freunde, wählt einen beliebigen Coming-out-Film – und versucht dann vorauszusagen, ob und wann es zu einer Schw<strong>im</strong>mszene kommt. Top, die Wette gilt! <strong>Sommer</strong>, rüchtchen und hopp hopp, zur Erfrischung ins ip op! DIENSTAGS BIS SAMSTAGS AB 18.30 UHR Martin Mühlhe<strong>im</strong> (39) wuchs <strong>im</strong> Kanton St. Gallen auf und studierte an der Universität Zürich (UZH) Englisch, Geschichte und Filmwissenschaft. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit dem Thema He<strong>im</strong>at in der englischsprachigen Literatur. Seit 2004 arbeitet er am Englischen Seminar der UZH und interessiert sich neben queeren Themen auch für Genre- und Erzähltheorie. Darüber hinaus liegen ihm Themen wie Migration und strukturelle Ungleichheit am Herzen – politisch ebenso wie akademisch. Seit 2016 lebt er in einer Beziehung, die ihn unter anderem zum Portugiesischlernen motiviert. E W H C S T H C A N R E Z I MONTAG, 31. JULI <strong>2017</strong> GEÖFFNET.