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BLATTWERK AUSGABE 02*2017

BLATTWERK ist die offizielle Programm-Zeitschrift des Offenen Hauses Oberwart. Essays zu kultur- und gesellschafts-relevanten Themen, Interviews zum aktuellen Geschehen und Beiträge der im OHO ausstellenden KünstlerInnen ergänzen die vierteljährliche Programm-übersicht bzw. nehmen darauf Bezug.

BLATTWERK ist die offizielle Programm-Zeitschrift des Offenen Hauses Oberwart. Essays zu kultur- und gesellschafts-relevanten Themen, Interviews zum aktuellen Geschehen und Beiträge der im OHO ausstellenden KünstlerInnen ergänzen die vierteljährliche Programm-übersicht bzw. nehmen darauf Bezug.

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In der<br />

strengen Kammer<br />

von Katharina Tiwald<br />

Buch<br />

Statler und Waldorf. Manchmal fühle ich mich wie Statler<br />

und Waldorf. Vielleicht können Sie die Namen nicht zuordnen<br />

– aber gesehen haben Sie die beiden älteren Herren,<br />

den Schnauzbärtigen, den Hexennasigen, bestimmt: auf<br />

dem Balkon der Muppet Show. Gift versprühend.<br />

Literatur.<br />

Der Herbst will es, dass überall Literatur passiert. Literatur<br />

mit einem großen L. Wichtig, großartig, „Abenteuer im<br />

Kopf“, man pilgert nach Frankfurt, die Feuilletons platzen,<br />

Seilschaften formieren sich (es ist unmöglich, den Redaktionen<br />

Objektivität in der Auswahl der zu rezensierenden<br />

Werke zuzuschreiben: wie denn auch, wenn die Schreibtische<br />

übergehen in Leseexemplaren?) – das Publikum soll<br />

kaufen. Nach Weihnachten kommt so verlässlich wie das<br />

Ende von der Salami die zwischen Bedrücktheit und Erleichterung<br />

oszillierende Meldung aus dem Buchhandel<br />

von Umsatzzahlen, die eh noch irgendwie so zu deuten<br />

sind, dass wir in der Art von Abendland leben, auf das wir<br />

so stolz sind.<br />

Die Wirklichkeit findet wie immer anderswo statt – und ich<br />

meine gar nicht die buchlose Wirklichkeit, wie sie von den<br />

Intellektuellenhasser_innen im Land pausenlos beschworen<br />

wird und wie sie tatsächlich für jene 17,1 Prozent jener<br />

Österreicher_innen zwischen 16 und 65 aussehen mag, die<br />

als funktionale Analphabet_innen gelten.<br />

Die Wirklichkeit hat damit zu tun, dass Goethe keine Frau<br />

war, Max Frisch (zum Beispiel) einen guten Lektor hatte,<br />

der tief in die Texte eingriff; sie hat damit zu tun, die Wirklichkeit,<br />

dass auf der ganzen Erde schreibende Menschen<br />

ihre Texte immer wieder auswendig lernten, bevor sie sie<br />

verbrannten, der Sicherheit wegen; sie hat damit zu tun,<br />

dass erfolgreiche Jungautor_innen gern YouTube-Videos<br />

durchzappen und es einen Menschen namens Grimmelshausen<br />

gab, der in den Dreißigjährigen Krieg zog. Es gibt<br />

keine Menschen auf Sockeln. Jeder nachträglichen Erhabenheit<br />

geht ein echtes Leben voraus – manchmal eines, in<br />

dem um das geschriebene Wort gerungen werden musste,<br />

manchmal sogar eines, in dem es erblutet wurde.<br />

Was für ein Zirkus, sagt da der Statler in mir, wenn es wieder<br />

Herbst wird, die Facebook-Accounts von Autor_innen<br />

glühen und in Frankfurt der „Weltrekord im Bücherdomino“<br />

(sic) aufgestellt wird (so geschehen 2015). Mein Waldorf hat<br />

aufgehört, in Frankfurter-Buchmesse-Nähe Feuilletonartikel<br />

zu konsumieren.<br />

Denn „die“ Literatur ist dort, wo die fein gesponnene, echte,<br />

sternbehimmelte, stinkende, herzzerreißende Wirklichkeit<br />

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