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Arbeit in der Crowd

Die Chancen und insbesondere die Gefahren des Erwerbslebens der Crowdworker – syndicom durchleuchtet diese wachsende Branche von Freischaffenden aus gewerkschaftlicher Sicht.

Die Chancen und insbesondere die Gefahren des Erwerbslebens der Crowdworker – syndicom durchleuchtet diese wachsende Branche von Freischaffenden aus gewerkschaftlicher Sicht.

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22 Politik<br />

Giorgio Pard<strong>in</strong>i leitet den<br />

Sektor ICT und ist Mitglied<br />

<strong>der</strong> syndicom-Geschäftsleitung.<br />

syndicom hat sich<br />

<strong>in</strong> den vergangenen Jahren<br />

vertieft mit den Folgen<br />

<strong>der</strong> Digitalisierung für die<br />

<strong>Arbeit</strong>nehmenden ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gesetzt<br />

und e<strong>in</strong>e<br />

Studie veröffentlicht, die<br />

auf unserer Website zum<br />

Download bereitsteht.<br />

Interview: Christian Capacoel<br />

Bild: Sébastien Bourqu<strong>in</strong><br />

Wir for<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e<br />

Zertifizierung<br />

Immer mehr Branchen und Unternehmen<br />

setzen auf das Pr<strong>in</strong>zip<br />

<strong>Crowd</strong>- o<strong>der</strong> Clickworker, am<br />

e<strong>in</strong>fachsten über e<strong>in</strong>e Plattform.<br />

Zum<strong>in</strong>dest ist das <strong>der</strong> E<strong>in</strong>druck,<br />

den man gew<strong>in</strong>nt, wenn man<br />

den Medienberichten <strong>der</strong> letzten<br />

Monate folgt. Der Begriff Clickworker<br />

wurde erstmals von <strong>der</strong><br />

NASA benutzt, als sie im Jahr 2000<br />

die breite Öffentlichkeit aufrief,<br />

bei <strong>der</strong> Klassifizierung von Marsaufnahmen<br />

mitzuhelfen. IBM<br />

brachte 2011 das Wort <strong>Crowd</strong>worker<br />

mit ihrem «Liquid Challenge Program»<br />

endgültig <strong>in</strong>s Bewusstse<strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> breiten Bevölkerung. Mit dem<br />

vere<strong>in</strong>facht ausgedrückten Pr<strong>in</strong>zip<br />

«mehr Freelancer, weniger Festangestellte»<br />

sollten 30 Prozent <strong>der</strong><br />

<strong>Arbeit</strong>splätze e<strong>in</strong>gespart werden.<br />

Wo stehen wir nun mit dieser<br />

Entwicklung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz, und<br />

wie wollen wir als Gewerkschaft mit<br />

dieser Herausfor<strong>der</strong>ung umgehen?<br />

Giorgio Pard<strong>in</strong>i, Leiter des Sektors<br />

ICT (Information and Communications<br />

Technology), nimmt Stellung.<br />

syndicom: Im Jahr 2011 hat die<br />

Ankündigung des «Liquid Challenge<br />

Program» bei IBM grosse Wellen<br />

geworfen. Erwartet wurde e<strong>in</strong><br />

massiver Stellenabbau und e<strong>in</strong>e<br />

immer grössere Ausdehnung des<br />

Programms. Wo steht IBM diesbezüglich<br />

heute? Setzt sie voll auf<br />

das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> <strong>Crowd</strong>worker, und<br />

reduziert sie die Stammbelegschaft<br />

immer mehr?<br />

Giorgio Pard<strong>in</strong>i: IBM setzt ständig<br />

Kostensenkungsmassnahmen um.<br />

Zum Beispiel, <strong>in</strong>dem die Stammbelegschaft<br />

restrukturiert und<br />

relokalisiert wird. Aktuell drohen<br />

bis zu 8000 Entlassungen weltweit.<br />

Damit nimmt die Gefahr zu, dass<br />

noch mehr Aufgaben ausgelagert<br />

und durch <strong>Crowd</strong>worker erledigt<br />

werden.<br />

Wie schätzen Sie die kommende<br />

Entwicklung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz e<strong>in</strong>?<br />

E<strong>in</strong>e neue Studie, die von syndicom<br />

mitf<strong>in</strong>anziert wurde (siehe Seite 14<br />

und Dossier) , zeigt aufgrund e<strong>in</strong>er<br />

Internetumfrage e<strong>in</strong>e hohe Teilnahme<br />

<strong>der</strong> Schweizer<strong>in</strong>nen und<br />

Schweizer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Plattformökonomie.<br />

Knapp e<strong>in</strong> Drittel <strong>der</strong> Befragten<br />

haben im vergangenen Jahr versucht,<br />

<strong>Arbeit</strong> über Onl<strong>in</strong>e-Plattformen<br />

zu erhalten. Von den Befragten<br />

haben 18,2 Prozent tatsächlich e<strong>in</strong>e<br />

solche <strong>Arbeit</strong> gefunden. Von diesen<br />

<strong>Crowd</strong>workern haben 12,5 Prozent<br />

geantwortet, dass dies ihre e<strong>in</strong>zige<br />

E<strong>in</strong>kommensquelle sei. Die häufigsten<br />

<strong>Arbeit</strong>en, die <strong>Crowd</strong>worker <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Schweiz verrichteten, waren das<br />

Erledigen von Kle<strong>in</strong>staufträgen und<br />

Click work<strong>in</strong>g. Aufgrund des<br />

leistungsfähigen Bildungssystems<br />

und <strong>der</strong> ausgezeichneten Infrastruktur<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz ist davon auszugehen,<br />

dass <strong>Crowd</strong>work<strong>in</strong>g künftig<br />

e<strong>in</strong>e noch bedeuten<strong>der</strong>e Rolle<br />

spielen wird.<br />

Swisscom betreibt mit MILA<br />

bereits e<strong>in</strong>e Plattform. Was s<strong>in</strong>d<br />

die Erfahrungen da?<br />

MILA verb<strong>in</strong>det den Endnutzer –<br />

z. B. e<strong>in</strong>e Swisscom-Kund<strong>in</strong> – mit<br />

e<strong>in</strong>em Service- Erbr<strong>in</strong>ger – z. B.<br />

e<strong>in</strong>em Swisscom-Servicetechniker,<br />

Elektro <strong>in</strong>stallationsbetrieb o<strong>der</strong><br />

«Swisscom-Friend». Die Kund<strong>in</strong><br />

kann auf MILA auswählen, von wem<br />

sie den Service beziehen will. Am<br />

meisten bezahlt sie für den Swisscom-Techniker,<br />

am wenigsten<br />

üblicherweise für den «Swisscom-<br />

Friend», also den hilfsbereiten<br />

Swisscom-Kunden.<br />

Dies ist nichts an<strong>der</strong>es als e<strong>in</strong><br />

Out sourc<strong>in</strong>g von Aufgaben an die<br />

MILA- <strong>Crowd</strong>. Die Risiken, die sich<br />

mit e<strong>in</strong>em solchen <strong>Crowd</strong>sourc<strong>in</strong>g<br />

ergeben, s<strong>in</strong>d vielfältig: mangelhafte<br />

Qualität <strong>der</strong> Dienstleistung,<br />

Lohn- und Sozialdump<strong>in</strong>g, Schwarzarbeit<br />

und so weiter.<br />

Wo liegen die grossen gewerkschaftlichen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>in</strong> diesen<br />

Bereichen?<br />

Wer garantiert e<strong>in</strong>e korrekte Entschädigung<br />

und stellt sicher, dass<br />

die Rechte <strong>der</strong> <strong>Crowd</strong>worker<br />

gewährt werden? Wir s<strong>in</strong>d <strong>der</strong><br />

Auffassung, dass sowohl das<br />

«Tatsächlich s<strong>in</strong>d wir besorgt über die e<strong>in</strong>seitige Ausrichtung <strong>der</strong> Strategie des Bundesrates. Wir<br />

haben zuletzt mehrmals <strong>in</strong>terveniert und nun zum Beispiel erreicht, dass syndicom im Sound<strong>in</strong>gboard<br />

für die erste Konferenz des Bundes zum Thema ‹Digitale Schweiz› vertreten ist.»<br />

«Unternehmen,<br />

die <strong>Arbeit</strong> an<br />

die <strong>Crowd</strong><br />

aus lagern,<br />

haben ebenso<br />

Ver antwortung<br />

zu übernehmen,<br />

wie die<br />

<strong>Crowd</strong> work-<br />

Plattformen.»<br />

Unternehmen, das Tätigkeiten an<br />

die <strong>Crowd</strong> auslagert, als auch<br />

die <strong>Crowd</strong>work<strong>in</strong>g-Plattform<br />

Verantwortung zu übernehmen<br />

haben. Beide haben dafür zu<br />

sorgen, dass die <strong>Arbeit</strong>enden Schutz<br />

geniessen, beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> den<br />

Bereichen <strong>Arbeit</strong>s- und Lohnbed<strong>in</strong>gungen,<br />

Sozialversicherungsansprüche,<br />

Sche<strong>in</strong>selbstständigkeit und<br />

geistiges Eigentum. Über die<br />

Zertifizierung von <strong>Crowd</strong>work<strong>in</strong>g-Plattformen<br />

und entsprechende<br />

Labels können wir dazu beitragen,<br />

dass nur solche Plattformen<br />

zum Zug kommen, die diese<br />

Kriterien erfüllen.<br />

Die Ausbreitung von <strong>Crowd</strong>work<strong>in</strong>g<br />

ist aber auch e<strong>in</strong>e Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

für uns als Gewerkschaft: Wie<br />

können wir die <strong>Crowd</strong>worker besser<br />

organisieren und vernetzen, damit<br />

sie mit unserer Unterstützung ihre<br />

<strong>in</strong>dividuellen und kollektiven<br />

Rechte geltend machen können?<br />

Und welche spezifischen Dienstleistungen<br />

können wir ihnen bieten?<br />

Der Bundesrat hat im Juni 2017<br />

die Broschüre «Digi tale Schweiz»<br />

publiziert und e<strong>in</strong>en «Dialog<br />

‹Digitale Schweiz› » e<strong>in</strong>be rufen. Es<br />

fällt auf, dass die <strong>Arbeit</strong>nehmenden<br />

und die Fragen nach <strong>der</strong> Zukunft<br />

<strong>der</strong> <strong>Arbeit</strong> dar<strong>in</strong> nur e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge<br />

Rolle spielen.<br />

Tatsächlich s<strong>in</strong>d wir besorgt über<br />

die e<strong>in</strong>seitige Ausrichtung <strong>der</strong><br />

Strategie des Bundesrates. Wir<br />

haben <strong>in</strong> den letzten Monaten<br />

mehrmals an verschiedenen Stellen<br />

<strong>in</strong>terveniert und nun erreicht, dass<br />

syndicom im Sound<strong>in</strong>gboard für die<br />

erste Konferenz des Bundes zum<br />

Thema «Digitale Schweiz» vertreten<br />

ist.<br />

Welche Themen kann man <strong>in</strong>nerhalb<br />

<strong>der</strong> Sozialpartnerschaft bzw.<br />

mit den Gesamtarbeitsverträgen<br />

regeln?<br />

Mit <strong>der</strong> Sozialpartnerschaft zwischen<br />

Gewerkschaften und Unternehmen<br />

bzw. ihren Verbänden<br />

haben wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz e<strong>in</strong> wirkungsvolles<br />

Instrument, um schnell<br />

auf Verän<strong>der</strong>ungen zu reagieren.<br />

Wenn die Sozialpartnerschaft<br />

gleichberechtigt auf Augenhöhe<br />

gelebt wird, dann können ausbalancierte<br />

Lösungen gefunden werden,<br />

die die <strong>Arbeit</strong>nehmenden stärken –<br />

ohne die Wettbewerbsfähigkeit <strong>der</strong><br />

Schweiz zu schmälern.<br />

Die Digitalisierung ist e<strong>in</strong>e Chance,<br />

die bewährte Sozialpartnerschaft<br />

zu erneuern und zu erweitern. In<br />

Gesamtarbeitsverträgen können<br />

beispielsweise das Recht auf<br />

Privatsphäre und Datenschutz<br />

am <strong>Arbeit</strong>splatz, e<strong>in</strong>e weitgehende<br />

<strong>Arbeit</strong>szeitsouveränität für die<br />

<strong>Arbeit</strong>nehmenden bis zur <strong>Arbeit</strong>szeitverkürzung<br />

sowie Mass nahmen<br />

gegen die Entgrenzung<br />

<strong>der</strong> <strong>Arbeit</strong>, wie z. B. das Recht<br />

auf Abschalten, geregelt werden.<br />

Wo müsste auf gesetz licher Ebene<br />

angesetzt werden, um auf diese<br />

Herausfor <strong>der</strong>ungen reagieren zu<br />

können? Welche Ansätze schweben<br />

syndicom vor?<br />

Der Gesetz geber hat dafür zu<br />

sorgen, dass e<strong>in</strong> wirksames Recht<br />

auf <strong>Arbeit</strong> fest geschrieben wird und<br />

allen <strong>Arbeit</strong>enden – auch jenen <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Crowd</strong> – kollektive <strong>Arbeit</strong>srechte<br />

und Sozial versicherungsansprüche<br />

gewährt werden. Da mit <strong>der</strong> fortschreitenden<br />

Digitalisierung<br />

gewisse Tätigkeiten automatisiert<br />

werden, ist es entscheidend, dass<br />

die Bildung und die <strong>Arbeit</strong>slosenversicherung<br />

entsprechend ausgerichtet<br />

werden. Möglichst viele Beschäftigte<br />

sollen die Möglichkeit haben,<br />

sich für neu entstehende Tätigkeitsprofile<br />

zu qualifizieren.<br />

Wenn <strong>Arbeit</strong>en automatisiert und<br />

nicht mehr von Lohnabhängigen<br />

erledigt werden, dann hat dies auch<br />

Folgen für das Steuersystem. Ob<br />

nun z. B. Roboter o<strong>der</strong> Daten besteuert<br />

werden – die Steuere<strong>in</strong>nahmen<br />

müssen ausreichend se<strong>in</strong>, damit<br />

alle, die kürzere o<strong>der</strong> längere Zeit<br />

aus dem <strong>Arbeit</strong>sprozess ausscheiden,<br />

e<strong>in</strong>e gesicherte Existenz <strong>in</strong><br />

Würde haben. Schliesslich müssen<br />

die Rechte <strong>der</strong> Personen an ihren<br />

Daten im Rahmen des Datenschutzes<br />

gestärkt werden: Me<strong>in</strong>e Daten<br />

gehören mir!<br />

Welche Aktivitäten hat syndicom<br />

geplant, um diese Diskussion<br />

voranzutreiben?<br />

Unser Kongress im November ist<br />

ganz <strong>der</strong> Digita lisierung gewidmet.<br />

Wir werden dort unsere Positionen<br />

und nächsten Aktivitäten diskutieren<br />

und beschliessen.<br />

Dossier und Downloads:<br />

syndicom.ch/crowdwork<strong>in</strong>g<br />

syndicom.ch/digitalisierung<br />

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