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LANGSTRECKE 03 / 2017<br />

Keine Angst<br />

LESEDAUER: 16 MINUTEN<br />

Bis vor sechs Jahren hatte Eric Wrede beruflich mit<br />

Tod nur insofern zu tun, als er in der Musikindustrie<br />

arbeitete, einer Branche, die als sterbend galt, auch<br />

wenn sie immer noch lebt. Bei der Plattenfirma Motor<br />

Music betreute er Künstler wie Selig oder Polarkreis<br />

18. Mit Flake, dem Keyboarder der Band Rammstein,<br />

STERBEN<br />

Man sollte sich den Bestatter Eric Wrede<br />

als zufriedenen Menschen vorstellen.<br />

Und seine Kunden als sehr lebendig. Von einem,<br />

der gerne mit Tod und Trauer umgeht<br />

von<br />

johanna adorján<br />

machte er ein Buch. Dann wurde Eric Wrede dreissig<br />

Jahre alt.<br />

„Das fand ich immer so schrecklich an der Musikindustrie:<br />

dass dir fünfzigjährige Jungs in Sneakers<br />

erklären, was cool ist. Ich wollte einen Job, wo ich nicht<br />

mit Mitte vierzig denke, ich bin zu alt dafür. Vor allem<br />

aber wollte ich etwas machen, das mich erfüllt.“<br />

ES IST SEHR<br />

UNGEWÖHNLICH,<br />

DASS JEMAND<br />

ALS QUEREINSTEIGER<br />

DEN BERUF<br />

BESTATTER WÄHLT<br />

Problem: Er hatte keine Ahnung, was das sein könnte.<br />

Studiert hatte er Geschichte und Germanistik, aber<br />

das half ihm jetzt auch nicht weiter. Ob er noch Psychologie<br />

studieren sollte? Eine Tischlerlehre machen?<br />

Er erstellte eine Liste, was der neue Job alles mitbringen<br />

sollte. Die Top drei: Es sollte etwas sein, wo<br />

man etwas verändern konnte. Etwas, wo man anderen<br />

helfen konnte. Etwas Handwerkliches, das einen auch<br />

intellektuell forderte.<br />

Er kam auf nichts.<br />

Dann hörte er eines Tages während einer Autofahrt<br />

im Radio ein Interview mit Fritz Roth. Der war<br />

ein bekannter Bestatter – er ist 2012 gestorben – und<br />

ein mitreißender Fürsprecher für einen anderen, humaneren<br />

Umgang mit dem Tod, der am härtesten diejenigen<br />

trifft, die weiterleben, die Trauernden. Roth<br />

sprach im Zusammenhang mit Beerdigungen von so<br />

etwas Unerhörtem wie Sinnlichkeit und sagte, den<br />

Tod müsse man leben – die noch leben, müssten mit<br />

ihm leben.<br />

In Bergisch Gladbach eröffnete Roth 2006 den<br />

ersten privaten Friedhof Deutschlands, also einen<br />

Friedhof, dessen Inhaber nicht, wie gewöhnlich, eine<br />

Stadt oder eine Kirche ist. Beerdigungen dürfen dort<br />

auch außerhalb der behördlichen Dienstzeiten stattfinden,<br />

auch nachmittags oder am Wochenende, bei<br />

der Gestaltung der Gräber ist so gut wie alles erlaubt.<br />

„Dieses Interview, das war wie so ein“ – Wrede<br />

schnippt mit den Fingern – „alles klar, das ist es. Da<br />

kam alles zusammen, alles passte auf einmal.“<br />

Und die kleine Hürde, dass man es dabei mit Toten<br />

zu tun hat, die hat ihn nicht geschreckt?<br />

„Doch. Ich habe dann ein Praktikum bei einem<br />

Bestattungsinstitut gemacht, und ich hab zu meiner<br />

Freundin gesagt: In dem Moment, in dem ich davon<br />

träume, kann ich das nicht machen. Aber ich träume<br />

nicht von Toten.“<br />

Es ist höchst ungewöhnlich, dass jemand als<br />

Quereinsteiger den Beruf Bestatter wählt. Oft sind<br />

Bestattungsinstitute Familienunternehmen, die in<br />

der soundsovielten Generation geführt werden, es<br />

ist kein Beruf, der in Erwägung gezogen wird, wenn<br />

jemand darüber nachdenkt, was es überhaupt gibt<br />

heutzutage außer Fashionblogger oder Fernsehkoch.<br />

Dabei tut sich einiges auf dem Bestattungsmarkt.<br />

Die klassische (christliche) Beerdigung mit Pfarrer,<br />

Kreuz und Orgelmusik hat Konkurrenz bekommen<br />

von Discount-Anbietern, die es so billig wie möglich<br />

anbieten einerseits, und andererseits von Bestattern<br />

wie Eric Wrede – nennen wir sie „alternativ“ –, die<br />

sich als Trauerbegleiter verstehen und natürlich auch<br />

bestatten, im Mittelpunkt ihrer Arbeit aber die Lebenden<br />

sehen.<br />

Wrede ist tätowiert, hat Koteletten, er trägt Jeanshemd<br />

und Doc-Martens-Schuhe, er strahlt insgesamt<br />

eine Lässigkeit aus, die zu einem Jazz-Kontrabassisten<br />

passen würde. Wie auch immer man sich einen<br />

Bestatter vorstellt (ernst, bleich, mit schwarzem Hut?)<br />

– so wie ihn vermutlich nicht. Auch sein Hund Paul<br />

wirkt eher atypisch für einen Hund, der gerade eine<br />

Ausbildung zum Therapiehund durchläuft: Er ist ein<br />

Podenco, ein dünner, spanischer Jagdhund, ultranervös<br />

und mit hellwachen Ohren, der unermüdlich<br />

über den Hof des Geländes in Berlin-Neukölln pest,<br />

auf dem sein Herrchen seinen Arbeitssitz hat. Irgendwann<br />

bringt er stolz ein Rosinenbrötchen an.<br />

Wrede hat eine Ausbildung zum Trauer- und zum<br />

Kindertrauerbegleiter gemacht, hat sich – der Beruf<br />

Bestatter ist nicht geschützt, im Prinzip darf jeder<br />

bestatten – nach zwei Jahren staatlich anerkennen<br />

lassen.<br />

S E I T E<br />

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