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12-2016 Vorlesung

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HASAN PAMUK<br />

Der Geruch des Geldes


„Die Menschen trachten im Leben nicht danach, was sie für gut<br />

erkennen, sondern, dass sie möglichst viele Sachen ihr Eigen<br />

nennen.“<br />

- Leo Tolstoi -


PROLOG<br />

Ein Mann, der einen Koffer packt...<br />

Ein Schloss während eines Sonnenuntergangs...<br />

Menschen, die auf einem Friedhof stehen und einem Grab die Ehre<br />

erweisen...<br />

Ein Mann, der an einem Schreibtisch Akten sichtet...<br />

Eine Frau, die ein Handy in der Hand hält und im Gespräch lacht...<br />

Ein Auto, das einsam durch die Nacht auf einer Autobahn fährt...<br />

Die Silhouette einer Stadt, die im Zeitraffer von der Dämmerung in<br />

die Nacht wechselt...<br />

Der Mond, der von Schleierwolken bedeckt wird...<br />

Eine kreisende Vogelperspektive einer Stadt in der Nacht...


-1-<br />

Sonntag, 22.04 Uhr...<br />

„Nein du blödes Arschloch !...“, sagte die aufgebrachte Frau.<br />

Sie fuchtelte wild mit den Händen in der Luft herum.<br />

„Nein, nein, und nochmals NEIN !!!.....HÖR AUF DAMIT !“, redete sie auf den<br />

Hörer ein.<br />

Die Frau stand im Flur einer Wohnung in einem Mietshaus in einer<br />

sympathischen kleinen Universitätsstadt. Sie wohnte Parterre und das einzige<br />

was ihre, zur Zeit, bevorzugte Erholung war, erstreckte sich hinter einer<br />

Glastür draußen im Wintergarten.<br />

Verschiedenste Grünpflanzen; von der Zimmerpalme bis zu Margeriten, vom<br />

Gummibaum bis zum Bonsai-Bäumchen. Alles sah nach Urlaub im Grünen<br />

aus.<br />

Irgendwo in der Wohnung piepte es.<br />

Eine Tür schlug zu.<br />

„Du ! Ich kriege hier gleich einen Anfall ! Wenn Du mich weiter nervst,<br />

mache ich dich bald alle, Freund !“, drohte die Frau dem Zuhörer am anderen<br />

Ende.<br />

Sie kickte ihre Schuhe von den Füssen quer durch das Wohnzimmer, das sehr<br />

aufgeräumt und gepflegt aussah. Alles war modern eingerichtet, ein bisschen<br />

futuristisch eben.<br />

Holz hier, ein wenig schwarzen Marmor dort, hüben und drüben mal<br />

Milchglas und geometrisch gemusterte Glasplatten auf dem Esstisch und der<br />

Arbeitsfläche an der Diele. Alles war eingerichtet wie aus einem Katalog<br />

abgeschaut.<br />

„Ich muss gleich weg....Wir beenden das jetzt besser.....Was?... Nein, kannst<br />

Du NICHT!... WENN Du herkommst, dann, schwöre ich dir, zerschlag´ ich dir<br />

die Scheiben an deinem scheiß Benz !!! Und wenn Dir das nicht reicht, kriegst<br />

Du noch ´nen Extra-Tritt in die Eier, okay?“, diskutierte die Frau weiter und<br />

zog dabei neue Schuhe an.<br />

„Das allerletzte Mal....NEIN! TSCHÜSS...“, beendete die Frau nun das Gespräch.<br />

Sie warf das Schnurlos-Telefon wütend auf die Couch und hastete dann<br />

durch die Wohnung um ihre Sachen zusammenzusuchen. Sie hob den


schwarzen Blazer vom Boden auf, suchte ihre Wagenschlüssel und legte dabei<br />

das Handy immer wieder achtlos zur Seite. Sie spurtete mehrmals durch<br />

Wohnzimmer Flur und Arbeitszimmer und wurde immer hektischer.<br />

„Oh Mann, wo ist denn die scheiß Mappe jetzt hin ???“, ärgerte sie sich<br />

halblaut immer mehr.<br />

Dann wieder dieses Piepen.<br />

„JAAAAAA!“, rief sie und sah sich abermals nach ihrem Handy um. Sie sah es<br />

auf der Kommode. Als sie endlich alles beisammen zu haben glaubte, streifte<br />

sie den Blazer über und verließ die Wohnung. Sie eilte die Stufen hinunter in<br />

die Tiefgarage.<br />

Es piepte wieder.<br />

Jetzt blieb die Frau stehen, wühlte ungeduldig in der Tasche herum und holte<br />

ihr Handy aus der Tasche. Sie schaute auf das Display um sehen, wer sie<br />

gerade störte.<br />

Es war „Burgstädt Büro“.<br />

Die Frau legte ein Lächeln auf und nahm das Gespräch an.<br />

„Hallo?“<br />

„Frau Seiler?“<br />

„Ja?“<br />

„Hier ist Burgstädt. Wo bleiben Sie denn?? Die Herren wollen schon gehen.<br />

Bitte bringen Sie mich nicht in die Zwickmühle. Einen Faut pas können wir<br />

uns nicht leisten. Nicht jetzt!“<br />

„Entschuldigen Sie mich! Ich habe mich schon auf den Weg gemacht und bin<br />

in 5 Minuten bei Ihnen. Keine Sorge Herr Burgstädt.“<br />

Seiler, wie diese Frau wohl mit Nachnamen hieß, sprach in einem routinierten<br />

Manager-Ton.<br />

„Sabrina, wenn Sie Mist bauen, muss ich über Konsequenzen entscheiden,<br />

das wissen Sie!“<br />

Sabrina blieb plötzlich stehen und war geschockt. Ihr geschäftsmäßiger Ton<br />

änderte sich nicht.<br />

„Herr Burgstädt, bitte haben Sie Verständnis! Ich wurde aufgehalten und<br />

konnte es nicht verhindern. Es tut mir Leid.“<br />

Kurz Pause am anderen Ende.<br />

„Herr Burgstädt? Alles in Ordnung?“


Man hörte ein Räuspern und dann wieder diese warme, dunkle, väterlich<br />

anmutende Stimme.<br />

„Sabrina, eins sage ich Ihnen: Sie waren schon immer zu gewitzt, um sich<br />

austricksen zu lassen. Nun tricksen sich mich aus....Okay, ich will nicht so<br />

sein.“<br />

Wieder pausierte er. Dann setzte er neu an, diesmal etwas eindringlicher.<br />

„Ich kann dies nicht mehr aufhalten! Wenn was schief geht, geht es uns<br />

beiden an den Kragen!“<br />

„Ich verspreche, dass ich gleich da sein werde.“<br />

„Tun Sie das!“, sagte Burgstädt ruhig aber hörbar eindringlich und legte auf.<br />

Sabrina wusste genau was Burgstädt meinte mit „uns geht es an den Kragen“.<br />

Ein Hotelmagnat kaufte sich in immer mehr Städten ein, die als<br />

Touristenmagnete galten. Zwar kauften sie nicht unbedingt Hotels, um sie<br />

dann unter eigenem Namen laufen zu lassen; Aber durch die<br />

Teilhaberschaften an bestimmten Häusern, konnte eine Positionierung<br />

zugunsten des Magnaten herbeigeführt werden. Bevorzugt waren besonders<br />

Hotels, denen es nicht gut ging. Die kleineren Hotels stellten keine<br />

Konkurrenz dar. Das Problem war aber: Es gab nur drei Premium-Hotels in<br />

der Stadt: Das Marriott, den Europäischen Hof, das Crowne Plaza und eines<br />

der zum Familienbesitz einer großen wohlhabenden Adelsdynastie<br />

gehörenden Hotels. Wohl gelegen am Hang des höchst geschichtsträchtigen<br />

Schlosses dieser Stadt, das seinerzeit von einem Kurfürsten erbaut wurde, der<br />

einer der vielen deutschen Könige wurde. Diese Stadt war zugleich auch<br />

Besuchsort von Zaren, Kaisern, Königen und auch eines Präsidenten gewesen.<br />

Mitterrand kam einmal mit Kohl in die Stadt.<br />

Da dieser Hotelmagnat in der Nähe dieser Stadt Teilhaber in einem großen<br />

Hotel in einer Industriestadt an der Mündung von Rhein und Neckar war,<br />

aber in Heidelberg, wie diese Stadt hieß, noch keinen Fuß fassen konnte,<br />

wollte das Imperium sich in das Hotel „Schlosshof“ einkaufen. Da kam es der<br />

Milton-Kette auch gelegen, das dieser Betrieb schon länger kränkelte. Der<br />

bisherige Chef des Hauses, Burgstädt, war nun zu alt geworden um noch<br />

flexibel genug zu handeln, und das bemerkte der regionale Markt.<br />

Und wenn nicht bald etwas geschah, hätten die Besitzer dieses Hotel bald<br />

verloren.


Burgstädt war nun seit mehr als sechzig Jahren der erste Mann dieses Hauses<br />

gewesen. Nachdem sein Vater, ebenfalls im Dienste der Familie, verstarb,<br />

wurde er, damals noch am Anfang eines Kunststudiums, ad hoc auf den<br />

Chefsessel gesetzt. Ihm wurde in aller Kürze eine Fachausbildung zugetragen<br />

und er wurde schnell in die Firma integriert, was er mit Leib und Seele dann<br />

auch aufgegriffen hatte.<br />

Nun, da er nach so langer Zeit innerlich doch langsam einmal Schluss<br />

machen wollte, weil er sich auch nicht mehr wohl fühlte, aber die Familie<br />

Sabrina, seiner jungen Stellvertreterin, die Geschäfte nicht zutrauten, zudem<br />

aber die Kinder der Besitzer mit Jura, Journalistik und dem Militär beschäftigt<br />

waren, weigerte er sich strikt, das Hotel sich selbst zu überlassen. Aber er<br />

spürte, dass es Zeit wurde zu gehen.<br />

Auf der anderen Seite brauchten das Haus auch die Impulse, die jemand<br />

Neues erbringen musste Da das Geschäft frische Kunden brauchte, die durch<br />

das allmählich abflauende Marketing ausblieben, hatte man Schwierigkeiten.<br />

Auch weil Neukunden nicht recht über das Haus informiert waren und doch<br />

die etablierten Marken-Hotels bevorzugten.<br />

Und diese Impulse brachte nur eines: Geld.<br />

Und das musste Burgstädts Wunderwaffe Sabrina nun durch ihr beherztes<br />

Engagement beschaffen.


-2-<br />

Sonntag, 22.10 Uhr, Kurfürstenanlage...<br />

`Ich bin jetzt 28 Jahre dabei, diesen Beruf zu machen. Ich verbringe manche<br />

Tage damit, Nutten von der Straße zu fischen oder Mörder zu jagen. Ja,<br />

wahrlich manchmal eine scheiß-Jagd! Es ist Sonntag Abend, irgendwann<br />

kurz nach 22 Uhr, ich weiß es nicht genau. Ich komme sowieso erst morgen<br />

früh aus der Karre, da muss ich nicht ständig nach der Uhr sehen. Gerade<br />

esse ich hier eins dieser fettigen Frikadellenbrötchen und starre aus dem<br />

Fenster. Dass ich nicht satt davon werde, weiß ich jetzt schon. Ich sitze also<br />

hier und starre aus einem nikotinverschmierten Fenster eines völlig<br />

unauffälligen roten 2008er Passat Kombi. „Bullenschaukel“ brüllten sie mir<br />

einmal auf der Straße nach. Tja, Bulle wollte ich schon immer werden.<br />

Gangsterjagd und so. Aber in so einer Stadt wie dieser, degeneriert man<br />

schnell zum Kleinstadtsheriff. Nicht, dass mich das nicht freuen würde. Es<br />

unterfordert eben sehr den edlen Geist eines Beamten wie mich. In der<br />

Wirtschaft hieße so was dann Ressourcenverschwendung. Meine Meinung<br />

interessiert zwar nie jemanden, nur würde ich den Leuten gerne sagen, wie<br />

sehr sie mich an öden. Kommen sich vor wie sonst wer und versuchen alles<br />

zu reglementieren. Ich bin da eher der pragmatische Typ. Okay, Theorie und<br />

Praxis beißt sich etwas. Ich meine, ... naja,... Einen Typen, der in der Stadt mit<br />

60 herum fährt, oder auf gerader freier Strecke nachts 70- Was soll´s?<br />

Machen wir das anders? Oder die Leute, die im Laden was klauen, weil sie<br />

kein Geld hatten, es zu bezahlen. Solange es für mich ersichtlich ist, dass es<br />

vielleicht „nur“ etwas zu essen war, oder ähnlich Notwendiges, ist es für mich<br />

schon fast okay, diese Leute gehen zu lassen und den Geschädigten eine<br />

Anzeige auszureden. Natürlich nur indirekt. Rechtsbeugung im Amt will ich<br />

mir ja nicht anhängen lassen! Solche Dinge gehen mir hin und wieder durch<br />

den Kopf. An manchen Tagen bin ich im Außendienst stundenlang mit<br />

Herumfahren beschäftigt, begleitet von einem „Frischling“, wie wir unsere<br />

Neulinge nennen. Die denken anfangs oft noch in zahllosen Idealen. Stellen<br />

sich vor, dass alle nett sind, sofern sie nett sind. Oft werden sie angeschnauzt<br />

und verstehen nicht, dass es einfach der Lauf der Dinge ist - eine Art<br />

Frustroutine. Manche stumpfen ab, sicher. Das kann ich, ehrlich gesagt, nicht


verstehen, nur versuche ich den Leuten beizubringen, dass alles was sie tun<br />

regelrecht standardisiert sein muss und nicht abweichen darf, wenn einen<br />

etwas emotional berührt. Zugegeben, selbst halte ich mich nicht allzu oft an<br />

diese Maxime. Wenn schon die „Kleinen“ ihren Idealen frönen, kann ich das<br />

ja auch mal!<br />

Mann, heute ist es wieder einmal so richtig schön spannend! Alles ist ruhig.<br />

Gut!....Nur habe ich dann gar nichts mehr zu tun!... Ach ....scheiße,<br />

verfluchte!!!<br />

Ich denke gerade daran was wohl schöner wäre:<br />

Einen Urlaub irgendwo im Norden zu machen, oder mich zu erschießen, mit<br />

meiner schwarzen Walther P2000 in meinem Schultergürtel...oder hier<br />

weiter zu machen, und warten bis etwas passiert....<br />

Okay...fahre´ ich jetzt ins Zentrum oder....? Ach, egal, in die Stadt komme ich<br />

später auch noch. Ich fahre´ zum Bahnhof.<br />

Bei HDM scheint es ruhig wie immer zu sein. Mann, Riesenfirma und<br />

trotzdem nur ein kleines Licht im RWE-Konzern...Oh inzwischen ja nicht<br />

mehr, soweit ich weiß<br />

Was macht denn der Wachmann da? Ha! ... Der schaut sich doch glatt ´nen<br />

Porno an! Dem Typen im Hochhaus geht es bestimmt nicht besser. Soweit ich<br />

weiß hat der da keinen Fernseher. Aber wenn ich richtig informiert bin, geht<br />

der Typ sowieso ab 0 Uhr nach Hause oder zu dem anderen ins<br />

Pförtnerhäuschen.<br />

Scheiß Ampel...<br />

Wenn ich nach Hause komme gehe ich erst noch mit.....- Was zum Teufel..?!?<br />

DEN WICHSER KAUF´ ICH MIR !!!!.... ´


-3-<br />

Sonntag 22.10 Uhr, Weststadt…<br />

Sabrina schloss den BMW auf und knotete sich geschickt hinter das Lenkrad<br />

auf den Ledersitz. Sie steckte den Zündschlüssel in das Zündschloss und<br />

drehte ihn. Der Motor des M 3 Coupés röchelte die ersten tieftönigen<br />

Umdrehungen. Als Sabrina aus geparkt hatte, änderte sich das vernehmliche<br />

Blubbern in Röhren und Fauchen, das durch die Garagenwände auch noch<br />

verstärkt wurde. Sie fuhr sehr schnell aus der, allabendlich doch wieder sehr<br />

vollen Tiefgarage.<br />

Da es schon gegen 23 Uhr war, waren die Straßen wie leer gefegt, und<br />

Sabrina erschien es wie ein Traum, da sie morgens - üblicherweise<br />

stadteinwärts - immer viel Verkehr hatte. Sie freute sich, abends mal ein<br />

wenig schneller fahren zu können. Mit diesem Auto war das ja auch möglich<br />

gewesen.<br />

Die Tachonadel war schon fast bei 100, und Sabrina hatte auch schon einen<br />

einsamen roten Kombi überholt, als die Ampel an der großen Kreuzung am<br />

Bahnhof wie zum Trotz auf Rot umstellte. kurz überlegte Sabrina, ob sie noch<br />

durchrutschen sollte, verwarf dies aber dann doch und trat herzhaft auf das<br />

Bremspedal. Mit quietschenden Reifen blieb sie stehen. Als die Ampel wieder<br />

auf Grün schaltete, trat Sabrina kurz das Gaspedal durch und Tausende<br />

kleine Gummipartikel ließen schreiend ihr nacktes Leben auf dem nächtlich<br />

kalten Asphalt.<br />

Der überholte Passat hinter ihr, wurde plötzlich auch schneller und jetzt<br />

blitzte ein Magnetfußblaulicht vom Dach des Wagens. Eine Sirene schaltete<br />

sich kurz ein und wieder aus.<br />

`Na super. Ich komme zu spät und jetzt ist auch noch die Polizei hinter mir<br />

her´, dachte sich Sabrina genervt.<br />

Genau vor dem Eingang des gläsernen Bürogebäudes, in das Sabrina hinein<br />

musste, hielt das Zweiergespann.<br />

Ein Mann stieg aus dem Wagen und sah konzentriert in Richtung Sabrina´s<br />

Fahrertür. Er kam sicheren Schrittes an das Fahrerfenster und wartete bis die<br />

Scheibe unten war. Er räusperte sich.


„Ich stehe auf Auto-Rennen. Ehrlich! So was ist aber nur auf der Rennstrecke<br />

schmerzfrei zu genießen, wissen Sie das noch nicht ??“, fragte der Mann<br />

sarkastisch.<br />

Sabrina war innerlich stinksauer und hatte alle Mühe sich zu beherrschen.<br />

Sie machte sich nur Gedanken wegen des Meetings, welches sie nun<br />

wahrscheinlich verpassen würde.<br />

„Entschuldigen Sie mich bitte, ich habe es eilig! Es geht um meinen Job!“<br />

Der Polizist in Zivil schaute sich den Wagen von vorne bis hinten an, so, als<br />

wolle er in der Dunkelheit Kratzer auf dem Lack finden.<br />

„Wie alt?“, fragte der Mann ganz unvermittelt.<br />

Dass er von der Frau vor ihm angetan war, nahm Sabrina zu diesem<br />

Zeitpunkt nicht wahr. Sie war damit beschäftigt gewesen, doch noch<br />

pünktlich zum Termin zu erscheinen und wurde nun von so einem blöden<br />

Bullen festgehalten! Sabrina schaute ihn verwundert an.<br />

„Das Auto oder ich ?!?“<br />

„Na, das Auto natürlich!“<br />

„So ein bis eineinhalb Jahre etwa...Hören Sie, ich habe den größten Fehler<br />

meines Lebens gemacht abgesehen von diesem hier. Ich muss dringend<br />

weiter!“<br />

Sabrina war bemüht, ruhig zu bleiben. Dieser Mann, der völlig bizarr und gar<br />

nicht recht nach Polizist aussah, beugte sich etwas mehr zu ihr hinunter.<br />

„Fahrzeugschein und Führerschein-... Bitte.“, sagte er ruhig und routiniert.<br />

Er grinste schief.<br />

Sabrina sah auf den Beifahrersitz, wo neben der Mappe auch ihre Tasche lag,<br />

und hob die Tasche zu sich. Sie schaute mehrmals zu ihm auf und begriff<br />

immer noch nicht recht, das dieser schmuddelige Kerl vor ihr tatsächlich ein<br />

Polizist war. Ein blöder Typ, der eigentlich mehr nach jemand Obdachlosem,<br />

denn einem Polizisten aussah: Völlig unrasiert, Kapuzenpulli, extrem<br />

verwaschene Jeans, Arbeitsschuhe, womöglich noch mit Stahlkappen.<br />

Da Sabrina etwas brauchte, um alles zu finden, wurde der Polizist etwas<br />

ungeduldig. Dann zog Sabrina eine kleine Ausweismappe aus der Tasche,<br />

klappte ihn auf und holte nacheinander den rosafarbenen alten EU-<br />

Führerschein und den grün-weißen Fahrzeugschein heraus. Ihr Gegenüber<br />

schaute sich die Papiere an und machte was Sabrina schon zwanghaft ahnte -<br />

eine Bemerkung zu ihrem Namen.


„Hmmhmm... Sabrina....Das ist aber ein schöner Name.“, murmelte er vor sich<br />

hin.<br />

Sabrina lächelte flüchtig und Freundlichkeit vortäuschend.<br />

`scheiß Bulle..., lass mich doch gehen !´, dachte sie wütend und bemühte sich<br />

trotzdem, ruhig zu bleiben. Der Beamte fand sichtlich Gefallen, Sabrina<br />

zappeln zu lassen. Er fuhr einfach mit sein Procedere unbeirrt fort. Routiniert<br />

ging er um den Wagen herum und verglich das Nummernschild mit den<br />

Daten auf den Papieren und schaute sich gleich noch die HU-Plakette näher<br />

an.<br />

RH-R 3951 stand auf dem Kennzeichen. Der Rest des Wagens ließ sich so<br />

beschreiben: Dunkelgrauer Metallic-Lack, vier dicke Endrohre aus Chrom,<br />

235er vorne und 265er Reifen hinten, Lederpolster in Schwarz und zu<br />

guterletzt eine, dem Führerschein nach, 34 jährige Frau namens Sabrina<br />

Seiler, die in einem, dem Fahrzeugschein nach, ihr gehörenden Wagen saß<br />

und darauf wartete, endlich erlöst zu werden. Der Polizist grinste kaum<br />

merklich und überlegte ob er Gesetzeshüter oder Samariter spielen sollte.<br />

„Der Wagen ist in...“, der Polizist überlegte kurz „...in Roth zugelassen. Aber<br />

Sie wohnen hier. Sie wissen, dass es verboten ist, länger als 3 Monate<br />

auswärts zu wohnen, ohne Ummeldung, oder ?“<br />

Sabrina machte sich keine Mühe mehr ihre Wut zu verstecken.<br />

„Ich sage es Ihnen gerne noch einmal: Ich muss dringend in das<br />

Meetingcenter hier! Wenn ich da nicht rein kann, werde ich gefeuert! Bitte<br />

geben Sie mir einen Strafzettel, in welcher Höhe auch immer, und lassen<br />

mich dann gehen. Bitte !!!“<br />

Sabrina´s Blicke wurden getragen von Gereiztheit und Sorge zugleich.<br />

Der Polizist hielt kurz inne und schaute Sabrina genau in die Augen. Was er<br />

noch sah, war seiner Meinung nicht schlecht gewesen. Sabrina Seiler musste<br />

etwa 1,65 groß sein und um die 55-60 kg herum wiegen. Sie hatte blond<br />

gesträhnte leicht lockige Haare und graublaue Augen in einem markanten<br />

Gesicht. Sie war mit einem schwarzen Nadelstreifenanzug bekleidet und trug<br />

entweder einen BH oder gar nichts darunter. Genau schaute der Mann nicht<br />

hin. Das wäre in den Lichtverhältnissen auch nicht möglich gewesen, denn<br />

das einzige was Licht spendete, waren die Straßenlaternen und die<br />

Innenraumleuchte des Wagens von Seiler. Einem mindestens 75.000 EUR<br />

Sportwagen mit einem 343 PS Motor !


„Sagen Sie mal, wie haben Sie denn das so schnell hin gekriegt ?“, fragte er<br />

gelassen weiter und nickte dem Wagen zu. Sabrina atmete tief durch,<br />

verdrehte flüchtig die Augen und legte ein Lächeln auf, das freundlich und<br />

dennoch irgendwie künstlich aussah.<br />

„Ich bin Hotelmanagerin - Eigentlich noch nicht ganz - Aber meine<br />

Tätigkeiten gehen schon in diese Richtung.“, antwortete sie mit einem deutlich<br />

ungeduldigen Unterton in der Stimme.<br />

„Aha.“<br />

Der Polizist sah sich den Fahrzeugschein nochmals an, dann wandte er sich<br />

wieder zu Sabrina. Endlich kamen die, für Sabrina, erlösenden Worte.<br />

„Dann machen Sie, dass Sie nicht noch später kommen. Hier, Ihre Papiere.“<br />

Der Polizist gab Sabrina die Papiere, musterte sie noch einen Augenblick und<br />

sagte dann<br />

„Hoffentlich können Sie Ihren Job behalten!“<br />

Als er sich umdrehte um zu seinem Wagen zurück zu gehen, rief ihm Sabrina<br />

noch etwas hinterher.<br />

„Trotzdem noch mal danke. War nett von Ihnen!“<br />

Sie startete den Motor und fuhr, nun etwas langsamer, die restlichen Meter<br />

zum Ziel. Sabrina betete, dass man nicht ohne sie anfangen möge. Sie wollte<br />

unbedingt dabei sein, wenn etwas Unerwartetes geschah.<br />

Auf dem Schotter-Platz entdeckte sie die Firmenlimousine und stellte ihren M<br />

3 unweit von dem Wagen ab. Sie beeilte sich, ihre Sachen zusammenzutragen<br />

und hastete zum gläsernen Büroturm, der sich mächtig vor ihr breit machte.


-4-<br />

Sonntag, 22.20 Uhr, Print Media Academy am Bahnhof…<br />

Böse war Sabrina dem Polizisten nicht; Sie konnte es auch gar nicht, denn,<br />

wenn er gewollt hätte, wäre ihr Führerschein nun auf dem Weg ins Revier<br />

und sie hätte den nächsten Monat laufen müssen. Die 175 EUR für den<br />

Strafzettel hätte sie zusammen mit den drei Punkten im Flensburger<br />

Verkehrs-Zentralregister noch verschmerzen können. Das Fahrverbot wäre<br />

ihr aber eher ungelegen gewesen.<br />

Sie musste mehrmals im Monat abwechselnd nach Nürnberg und München<br />

um die Koordination mit den zwei anderen Hotels im Familienbesitz der von<br />

Auersee´s zu meistern. Was nie leicht war und auch weiterhin nicht einfach<br />

sein würde. Aber da sie die Freiheit liebte und enge Büroräume hasste, tat sie<br />

sich nicht schwer mit diesen Umständen.<br />

Sie düste lieber auf Zack durch das Leben und genoss es im Hotelgewerbe zu<br />

arbeiten und sich privat auszutoben, wie sie es gern hatte und bestimmen<br />

konnte. Freunde hatte sie bisher nur zwei feste gehabt. Den einen etwa 2<br />

Jahre, den anderen 1 ½. Aber beim Thema Abenteuer konnte man, wenn man<br />

wollte, viel von ihr ab schauen. Sie war 17 und ein Jahr in der Ausbildung<br />

gewesen, als sie sich von dem ersten Freund trennte. Als Teenager nahm sie es<br />

sich zwar zu Herzen, doch verflog der Schmerz schnell wieder, als sie sich ein<br />

wenig im Internet umsah. Es folgte dann eines ihrer ersten Abenteuer. Dieses<br />

ging aber nur kurz . Als der Auserwählte nach 2 Monaten schon eine Art<br />

Treuegelübde abverlangte, wurde es ihr zu viel und sie sagte ihm dann<br />

komplett ab. War nicht leicht für den armen Kerl gewesen, sie aber blieb<br />

beharrlich dabei. Dem anderen hatte sie jetzt erst vor kurzem, den Laufpass<br />

gegeben.<br />

Nebenbei machte sie dann auch schon das zweite Jahr Ausbildung zur<br />

Hotelfachfrau in einem nicht unedlen Hotel in München.<br />

Wohnungstechnisch kam sie bei einer netten alten Dame unter. Sie vermisste<br />

ihr Zuhause dennoch. An den Leuten und der Umgebung lag ihr viel.<br />

Ihre Eltern, ein ländlich orientiertes und auch lebendes Ehepaar, bestehend<br />

aus einer Hausfrau und einem Pensionär, der mit Leib und Seele auf dem<br />

eigenen Hof in ihrem kleinen Heimatörtchen Neuses arbeitete, fanden dies nie


prickelnd. Sie verstanden nicht, was ihre Tochter so weit weg von zu Hause<br />

zu tun hatte. Da sie es aber doch irgendwie akzeptierten, war für Sabrina alles<br />

okay gewesen.<br />

Die Ausbildung lief gut für sie. Sie hatte eine Menge sehr guter Referenzen<br />

bekommen, was ihr Führungszeugnis betraf. Sie konnte sich über 3 Urkunden<br />

für besondere Verdienste freuen. Sie schwor sich seit der Jugend, einmal im<br />

Ausland tätig zu sein. Vielleicht Österreich, Holland oder England. Das<br />

wechselte ständig, je nach ihrer derzeitigen Laune oder den kennen gelernten<br />

Leuten. Schließlich blieb sie aber im guten, alten Deutschland.<br />

Sie wurde in mehreren Hotels vorstellig, darunter auch im Schlosshof.<br />

Oberster Ansprechpartner, damals wie heute: Heinrich Burgstädt.<br />

Sie erinnert sich gerne noch an den Gesprächstermin, den sie bei ihm hatte.<br />

Damals war sie fast unvorbereitet hingegangen und hatte es dennoch<br />

geschafft, seine volle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Von ihrer frechen,<br />

aber dennoch ausgeprägt fundierten Art, Fragen zu beantworten, war<br />

Burgstädt derart angetan gewesen, dass er sie sofort einstellte. Das ganze<br />

Gespräch dauerte keine fünfzehn Minuten. Seine Berufserfahrung sollte ihm<br />

später zeigen, sich nicht getäuscht zu haben. Sie wurde innerhalb extrem<br />

kurzer Zeit einer der besten Mitarbeiter, die dieses Hotel aufbieten konnte<br />

und brachte hin und wieder den alten Mann gehörig ins Schwitzen.<br />

Einmal hatte er Zimmer und ein Büfett für eine Vorstandsgruppe eines<br />

Finanzdienstleisters organisieren sollen. Natürlich schaffte er das auch<br />

letztendlich. Das Problem war nur, dass die Banker ausdrücklich Fisch und<br />

andere Meeresspeisen zum Essen wünschten. Durch Zufall war aber beim<br />

Lieferanten für Meeresgut, DEUTSCHE SEE, ein Lieferproblem aufgetreten,<br />

dass die Küche zwang, für diesen Tag umdisponieren zu müssen. Am Ende<br />

ging die Geschichte dann so aus, dass Sabrina fast eigenhändig die ganze<br />

Küche und die Kühlhäuser auf den Kopf stellte. Sie ließ verschiedene<br />

Alternativen zusammenstellen und den Managern servieren. Etwas<br />

enttäuscht, machten sich die Leute ans Essen, was ihnen dann aber doch so<br />

sehr gefiel, dass sie spontan mit dem Haus einen Partnervertrag über 5 Jahre<br />

aushandelten, bei dem jährlich ein Kontingent von <strong>12</strong> Zimmern gebucht<br />

wurde. Das ganze war zu einem Preis veranschlagt worden, der, Dank der<br />

Bemühungen Sabrina´s, etwa 15 % über der üblichen Marge lag. Statt das


Sabrina raus flog, wurde sie mit 150 EUR mehr Gehalt und Nutzungsrechten<br />

für den Dienst-Mercedes auf dem Hof ausgestattet.<br />

Ein anderes Mal war einem Gast der Koffer abhanden gekommen. Der Gast<br />

hatte ursprünglich für eine Woche ein Zimmer gebucht und musste aber<br />

zwei Tage früher unerwartet abreisen. Er kam in die Lobby stellte den Koffer<br />

neben sich auf den Boden und telefonierte mit seinem Handy. Das Gespräch<br />

verlief offenbar so hitzig, dass er einen Wutausbruch erlitt und schnaubend<br />

das Haus verließ Er fuhr vom Parkplatz und war dabei nicht zimperlich mit<br />

seinem Wagen umgegangen. Sabrina kam gerade aus einer Besprechung mit<br />

einem Marketing-Menschen, mit dem sie die Broschüren einer Werbeaktion<br />

besprach. Sie ging am Empfang vorbei und ihr Blick fiel auf den Koffer. Dann<br />

fragte sie an der Rezeption nach, und hörte, dass er dem abgereisten Mann<br />

gehören sollte. Sie schnappte den Koffer und versuchte den Mann mit dem<br />

Firmenwagen zu erwischen. Da er zum Glück mit dem eigenen Auto aus<br />

Freiburg angereist war - Das wusste sie, weil er ihr bei einem kleinen Plausch<br />

erzählte dass er aus Freiburg kam - wusste Sabrina, dass Sie einen Audi A8<br />

mit einer Freiburger Nummer finden musste. Sie erwischte ihn dann auf dem<br />

Autobahnzubringer. Da an diesem Tag Sonntag war, trat sie wegen der leeren<br />

Straßen schon etwas sehr unorthodox auf das Gaspedal.<br />

Ja, Burgstädt hatte so seine liebe Not mit diesem Wirbelwind. Aber Sabrina<br />

war das Beste, was er seit langem weiterbilden und aufbauen durfte. Er hatte<br />

auch seit langem das „Sie-wird-mal-meine-Nachfolge-antreten“-Gefühl. Er<br />

half ihr so gut er konnte und sie erledigte, trotz Missfallen der Besitzerfamilie,<br />

immer mehr seiner Aufgaben. Bisweilen war es schon so, dass sie fast alles<br />

alleine managte und er nur noch repräsentativ und vor der Familie als<br />

Obrigkeit fungierte. Ansonsten hielt er sich zurück und ließ sein Fegefeuer<br />

weitgehend alles alleine regeln. Die anderen Angestellten störten sich nicht<br />

daran. Die Kompetenz stach so manchen Zweifler aus. Und doch gab es<br />

welche, die es Sabrina nicht vergönnten, wie ihre ehemalige Empfangschefin<br />

Brigitte Redtenbacher. Diese Frau betrieb regelrechtes Mobbing mit Sabrina.<br />

Sie achtete auf jede noch so kleine Einzelheit bei den Tätigkeiten, die Sabrina<br />

ausübte. Sie verstaute eben bereitgelegte Akten. Jeder Kuli, der eine Sekunde<br />

zu lang auf dem Schreibtisch lag, wurde weggeräumt, und zu guterletzt<br />

hetzte sie einmal fast die Herrn des Hauses auf Sabrina, da diese angeblich


nicht berechtigt war, einen Urlaub anzutreten, der ordnungsgemäß<br />

eingetragen war, die betreffende Seite aus dem Schichtbuch jedoch auf<br />

mysteriöse Weise verschwand. Doch die Frau war bald nicht mehr da<br />

gewesen. Wie Sabrina erfuhr, kündigte sie zum Beginn des Rentenalters.<br />

„Körperlich kaputt gearbeitet“, sagte ihr Burgstädt damals einmal nebenbei.<br />

Sie wollte den Teufel tun, ihm gegenüber Aussagen über manch üble Dinge,<br />

die Redtenbacher mit ihr veranstaltete, zu tätigen. Verschwiegen war sie<br />

eigentlich schon immer.<br />

Nur einen Makel hatte Sabrina: Sie konnte verdammt stur sein!<br />

Sabrina war sich dessen durchaus bewusst, glaubte aber immer, sich unter<br />

Kontrolle zu haben. Burgstädt hätte deswegen schon manches Mal ein<br />

Machtwort gesprochen, wenn da nicht eben dieser Fleiß und Ehrgeiz gewesen<br />

wäre, den sie an den Tag legte.<br />

Das war das rasante Aufsteigerleben einer Frau, die inzwischen den Rang<br />

einer Hotelmanagerin und Herrin in spe über 3 Hotels bekleidet, und im<br />

Monat eine Gehalts- und Spesenabrechnung bekam, die bar jeder Otto-<br />

Normalverdienerin diesen Alters war.<br />

Deswegen die teuren Klamotten und der Sportwagen, und zu guterletzt das<br />

lockere Verhältnis zu Geld. Das Motto dabei: Kaufe heute für 100 statt<br />

morgen für 90 und sei damit die Erste! Sie war aber niemals so oberflächlich<br />

wie sie oftmals von anderen wahrgenommen wurde. Sie hatte zwar eitle Züge<br />

an sich, war aber im Grunde sehr unkompliziert - man musste nur wissen<br />

was man nicht mit ihr tun durfte. Dann war sie eine treue Freundin, einfach<br />

ein guter Kumpel und manchem eine liebende Partnerin.


-5-<br />

Sonntag, 22.23 Uhr, Print Media Academy…<br />

Der Sicherheitsdienst saß am schwach beleuchteten Schreibtisch aus<br />

Milchglas. Die Glasplatte reflektierte die blaue Dachbeleuchtung der<br />

Fensterfront. Das ganze Haus sah nicht aus wie ein normales Gebäude.<br />

Vielmehr sah es aus wie ein Riesenaquarium. Mit vielen kleinen Fischen aber<br />

auch ganz großen Haien darin. Der rote Riesenpilz der einen Hörsaal<br />

beinhaltete, wirkte jedoch etwas deplatziert. Mit der violetten Beleuchtung<br />

sah er abends fast noch deplatzierter aus, als er es tagsüber schon tat.<br />

„Ja? Kann ich etwas für sie tun?“<br />

Der Mann vom Sicherheitsdienst sah nicht schlecht aus.<br />

„Sagen Sie mir bitte, in welchem Stockwerk das Schlosshof-Milton Meeting<br />

abgehalten wird.“<br />

„Im Kasino im <strong>12</strong>ten Stock.“<br />

„Danke.“<br />

„Bitte schön.“<br />

Eilig hastete Sabrina in den ebenfalls voll verglasten Aufzug und trommelte<br />

auf die Taste <strong>12</strong>.<br />

„Ähm. Entschuldigung!? Hallo!?“, rief der Mann und eilte Sabrina zum<br />

Aufzug hinterher.<br />

Er deutete auf den Schreibtisch.<br />

„Sie müssten sich eine Besucherkarte ausstellen lassen und bekommen dann<br />

eine Chipkarte für diesen Aufzug.“, sagte er ruhig und verständnisvoll<br />

lächelnd.<br />

Sabrina wurde innerlich rot und konnte dies bald auch äusserlich nicht<br />

verbergen. Da sie nicht oft, oder nur in Begleitung Herrn Burgstädts hier her<br />

kam, erinnerte sie sich nicht mehr an diese Gegebenheit.<br />

„Entschuldigen Sie mich bitte. Bin etwas durch den Wind!“<br />

„Macht nichts“, sagte der nette Mann und begleitete Seiler zum Schreibtisch<br />

zurück. Dort fragte er sie dann gleich standardmäßig alle nötigen Daten ab.<br />

„Wie heißen Sie noch bitte?“<br />

„Sabrina Seiler.“, sagte Sabrina hastig und lächelte.


„Okay, Sabrina. Hier Ihr Besucherausweis und die Chipkarte. Im Fahrstuhl<br />

dann auf das graue Teil zeigen. Das Ding sieht aus wie ein Lichtschalter.<br />

Dann piept es und Sie können den Knopf für den <strong>12</strong>ten drücken. Alles<br />

verstanden?“<br />

„Ja. Ich denke schon. Danke.“<br />

Sabrina wandte sich wieder in Richtung Fahrstuhl und hielt den Ausweis, wie<br />

der Wachmann ihr beschrieben hatte, an den Kartenleser. Wie zu erwarten<br />

war, piepte es dann auch. Sabrina drückte den Knopf für das Stockwerk. Als<br />

die Türen schon fast geschlossen waren, fasste sie in die Lichtschranke und<br />

fragte laut<br />

„Wie heißen Sie eigentlich?“<br />

Der Mann vom Nachtdienst lächelte Sabrina durch die Verglasung des<br />

Aufzugschachts an und rief<br />

„Ich heiße Peter. Peter Schindler.“<br />

„Also...Peter Schindler...bis später.“, sagte Sabrina während sich die Türen des<br />

Aufzugs schlossen.<br />

Gleichzeitig, woanders…<br />

`Meine Güte. Was für ´ne Frau! Ein bisschen frech für so einen netten Kerl<br />

wie mich aber trotzdem verdammt lecker.<br />

Ob die lange braucht um ihr Meeting bei diesen Leuten da drin zu machen?<br />

ABWARTEN!<br />

Schließlich haben wir erst halb elf in der Nacht und ich muss lange noch<br />

nicht nach Hause. Abgesehen davon denke ich, dass ich es dort sowieso nicht<br />

aushalte.<br />

Aber wohin sollte ich sonst hin?....Hmmm.<br />

...Haaaaaa aaaahhhh...(habe mich gerade gestreckt und überlege was ich<br />

noch tun soll, um mir die Langeweile zu vertreiben). Die scheiße ist, dass ich<br />

noch bis 7 Uhr da bleiben muss. Naja, ich gehe mir mal Kippen holen.´


-6-<br />

Montag, 01.30 Uhr, Print Media Academy...<br />

Die Runde war angespannt. Es herrschte zwar höfliche Stille, aber dies war<br />

eine trügerische Ruhe gewesen. Alle Personen am Tisch schauten einander<br />

beinahe wie beim Pokern an. Die junge Frau und der alte Mann sahen die<br />

anderen zwei Herren mit unvermindert hartem Blick an. Die Frau hieß<br />

Sabrina Seiler, der Mann Heinrich Burgstädt.<br />

„...Unter diesen Konditionen unterschreiben wir rein gar nichts! Wir lassen<br />

uns nicht wie eine billige Klitsche abspeisen!“, rief Sabrina mit bedrohlichem<br />

Ton über den Tisch hinweg. Höflich und doch aggressiv.<br />

„Ja das wäre dann ja wohl das Ende der Verhandlungen, oder?“, antwortete<br />

ihr Gegenüber.<br />

`Dieser selbstgefällige arrogante Mistkerl dachte wohl, er könne uns rein<br />

legen. Nein, mit uns nicht !´, dachte Sabrina, sagte aber laut<br />

„Das denke ich auch! Eine schöne Nacht dann die Herren.“<br />

„Wünschen wir Ihnen auch.“ Die Süffisanz in diesem Satz hörte man schon<br />

tropfen.<br />

Der dickere Ältere der beiden schaute abwechselnd zu Sabrina und Burgstädt<br />

und grinste auffällig viel sagend. Sabrina ignorierte die Herren<br />

geschäftsmäßig<br />

Sabrina und Burgstädt verließen den Konferenzraum.<br />

„Das war wohl nichts mit der Hilfe. Was machen wir jetzt?“<br />

Burgstädt sah etwas hilflos aus.<br />

„Weiß nicht. Erst mal heimgehen würde ich sagen.“<br />

Unten in der Empfangshalle, gaben Burgstädt und Sabrina die Ausweise ab<br />

und gingen zum Parkplatz. Dort angekommen, schloss Burgstädt die E-Klasse<br />

auf, was der Wagen mit einem Blinken und der eingeschalteten Innenleuchte<br />

quittierte.<br />

„Sind sie sehr enttäuscht?“<br />

„Ach nein...Du machst das schon!“<br />

Das erste Mal duzte Burgstädt Sabrina.<br />

Sie war nicht überrascht darüber, und überlegte kurz, was sie sagen sollte<br />

und entgegnete dann


„Herr Burgstädt, es ist schon in Ordnung. Seien Sie bitte nicht traurig. Ich<br />

glaube, dass wir das auch so schaffen werden. Ich bin mir da sogar sicher!“<br />

„Ich vertraue Dir schon. Nur ist das Problem: Wenn sich an den<br />

Besucherzahlen bald nichts ändert, müssen wir den Laden doch den<br />

Aasgeiern verkaufen. Das hätte Frau von Auersee und auch mein seliger<br />

Vater nicht gewollt. Und das ist nicht gerade ein schöner Gedanke!“<br />

Der alte Mann öffnete die Fahrertür und stieg in den Wagen. Sabrina sah ihn<br />

währenddessen wärmstens an und wusste nicht mehr, was sie nun sagen<br />

sollte. Zum ersten Mal verließ sie der Mut und sie fühlte sich richtig hilflos.<br />

Sie schaute Burgstädt immer noch an, als der den Wagen startete, den Knopf<br />

des Fensterhebers drückte und auf der Schaltkulisse die Fahrstufe R einlegte.<br />

Er lächelte Sabrina an.<br />

„Ich glaube an Dich! Also bis morgen dann. Und, äh, mach bitte schon mal<br />

die Buchhaltung für den Henschel fertig. Der braucht die für den<br />

Monatsabschluss. Also bis morgen.“<br />

„Mach´ ich. Gute Nacht.“, antwortete Sabrina pflichtbewusst.<br />

Der bronzefarbene Mercedes setzte auf dem Kiesbett knirschend zurück und<br />

verließ dann gemächlich den Platz. Sabrina ging zu Ihrem Wagen und<br />

überlegte dabei, ob es gut war, wie sie mit dem Männern vom Milton umging.<br />

Sie hatte sich, wie so oft, sehr weit aus dem Fenster gehängt und Sachen wie<br />

„Wir brauchen Sie nicht! Sie brauchen uns! Oder wie erklären Sie sich, dass<br />

die Stadt keine Genehmigung für ihren 20 Stockwerke hohen Klotz heraus<br />

gibt.“ gesagt.<br />

Das gefiel diesen hoch bezahlten Affen natürlich überhaupt nicht! Es war<br />

aber leider so, dass der Schlosshof Geld brauchte und Milton die einzigen<br />

willigen Gläubiger werden wollten. Aber das alles konnte man getrost auch<br />

am nächsten Morgen bei einer Tasse Kaffee und einem Stück Bienenstich, den<br />

Sabrina jedes Mal für Burgstädt frisch aus der hauseigenen Patisserie<br />

besorgte, klären. Erst einmal wollte Sabrina nur nach Hause und unter die<br />

Dusche. Sie stieg in ihren Wagen und verließ genauso schnell den Hof wie sie<br />

vor etwa 2 Stunden hier ankam.


-7-<br />

Montag, 01.55 Uhr, Weststadt...<br />

Es war kein Verkehr mehr und der Wind säuselte leise durch die Straßen<br />

Aufgeschreckt von einem kurzen Windstoß, rannte eine Katze über die<br />

vierspurige Straße Eine Sekunde danach schwang bläulich-weißes Xenon-<br />

Licht um die Ecke.<br />

Die Schaltung rastete mühelos in den 5. Gang. Der Motor brummelte leise vor<br />

sich hin, gab aber beim Beschleunigen ein raubtierartiges Grollen von sich.<br />

Die Reifen rauschten und ließen bei Kurven ein leichtes Wimmern<br />

vernehmen. Das Polster, auf dem die Fahrerin saß, knisterte bei jedem<br />

Abbiegen. Die Frau wirkte verbissen und konzentriert. Sie bog an einer<br />

großen Kreuzung energisch ab. Nach weiteren 500 Metern erreichte sie die<br />

Straße, wo sie wohnte. Sie bog ein und fuhr bis zu ihrer Hausnummer. Dort<br />

angelangt, schwang ein Garagentor auf und der dunkelgraue BMW fuhr leise<br />

in den unterirdischen Park-Trakt.<br />

Die Farne der Zimmerpalme bewegten sich ganz leicht im Rauschen des<br />

Windes. Die Nacht war frisch aber nicht kalt. Überall roch es nach Potpourri<br />

und Garten. Die Zimmer waren aufgeräumt, das Bett frisch bezogen, alle<br />

Pflanzen gegossen und die abfallenden Blätter entfernt. Die Hausschuhe lagen<br />

zur Benutzung am Fuß des Futon-Bettes bereit. Alles wartete darauf, dass<br />

seine Besitzerin wieder zu Hause einkehrte.<br />

Das Türschloss klickte auf und jemand schaltete die Schwarzlicht bestückten<br />

Teppichleisten und den Deckenfluter im Flur ein. Alles leuchtete in<br />

geheimnisvollem Blau. Die Person bewegte sich zielstrebig zum Schlafzimmer<br />

und öffnete dort den Schrank. Dann zog sie Kleidungsstücke aus und holte<br />

neue Wäsche aus dem Schrank. Ein schwarzer Anzug wich einem Negligé<br />

und einem Slip im Leoparden-Stil. Die Person raffte alles zusammen und lief,<br />

die Sachen unter den Arm geklemmt, nackt aus dem Zimmer und direkt ins<br />

Bad. Dort schaltete sie das Wasser für die Zwei-Personen-Eckwanne an der<br />

Mischarmatur ein. Bis das Wasser Füllhöhe und die richtige Temperatur<br />

erreicht haben sollte, ging die Person in die Küche. Kühle Strenge herrschte<br />

dort vor. Alles Metall oder Glas. Die Person holte sich eine Flasche eines guten<br />

und teuren toskanischen Weinklassikers aus dem Weinkühler, der, ähnlich


eines Homidors für Zigarren nicht etwa auf +3 Grad bei trockener Luft wie<br />

bei einem Kühlschrank eingestellt war, sondern auf wein freundliche +14<br />

Grad und relative Luftfeuchte von 85%. Ein Swarovski Kristallglas fand<br />

ebenfalls den Weg aus dem Schrank. Mit allem auf ein Tablett drapiert, lief<br />

die Person zurück ins Badezimmer, zog die Hausschuhe aus und senkte ihren<br />

nackten, attraktiven und sportlichen Körper in 39 Grad warmes, mit Rosenöl<br />

veredeltes Badewasser. Sie schloss die Augen und döste vor sich hin. Ab und<br />

an schaute sie auf die Badezimmerdecke, auf der Fresken eingearbeitet waren.<br />

Wellenmuster und Vögel. Die Person richtete sich auf und goss sich dann das<br />

erste Glas Rotwein ein. Sichtlich entspannt ließ sie das leckere Gut im Glas<br />

kreisen und beobachtete wie der Wein vom Glasrand perlte. Schließlich nahm<br />

sie einen kleinen Schluck und senkte ihren Kopf wieder zur Hälfte ins Wasser.<br />

Sie schloss die Augen und war kurz darauf eingenickt. Nach einer ganzen<br />

Weile wachte die Person wieder auf. Als sie feststellte, dass sie nun ins Bett<br />

gehen sollte, stieg die Person vorsichtig aus der Wanne und nahm das Glas,<br />

das Tablett und dann die Weinflasche mit zurück in die Küche und verstaute<br />

dort alles der Reihe nach in die Spülmaschine, in den Schrank und in den<br />

Weinkühler. Zurück im Bad, ließ sie das Badewasser ab, und als dieses den<br />

Ausguss hinab schlürfte, duschte sie sich schnell ab, um das Rosenöl auch aus<br />

den Haaren zu waschen. Daraufhin trocknete sich die Person ab und zog den<br />

Leo-Slip an. Das Negligé hatte sie sich zwar mitgenommen, entschied sich<br />

aber, doch nur den Slip zu tragen. Im Zimmer angelangt, deckte die Person<br />

die dunkelblaue Satin-Bettwäsche auf und legte sich ins Bett. Sie schmiegte<br />

sich leise seufzend in die Decke. Die modische Digitaluhr mit dem blauen<br />

Ziffernfeld auf dem Nachttisch zeigte 02.45 an. In 2 Stunden würde der<br />

Wecker sich wieder einschalten und das Radio auf dem von ihr zuvor<br />

eingestellten Lieblingssender laufen lassen. Bis dahin waren es aber eben<br />

noch 2 volle Stunden. Die Person schlief ein.<br />

Eine halbe Stunde früher...<br />

Burgstädt fuhr gerade die lange Hauptverkehrsstraße zurück in Richtung<br />

Südstadt. Während der ganzen Fahrt wirkte er etwas angespannt und<br />

unruhig. Er machte sich viele Gedanken um die Zukunft des Hotels, und wie<br />

es weitergehen sollte. Insolvenz als Schlagwort wollte er in diesem<br />

Zusammenhang nicht verwenden. Das Hotel war ihm dafür zu wichtig. Er<br />

verbrachte eigentlich sein ganzes Leben in diesem Haus und alles war ihm


ans Herz gewachsen. Schöne Ereignisse wie die Hochzeiten von mehreren<br />

Kindern und Verwandten der Adelsdynastie, darunter auch die von Elisabeth<br />

von Auersee, des Oberhauptes der Familie. Eine grazile und zugleich<br />

willensstarke Persönlichkeit, die zwar bodenständig in ihrem<br />

Erscheinungsbild blieb aber doch einen gepflegten Hang zum Pompösen<br />

hatte. Burgstädt lernte sie zuvor beiläufig kennen, als sein Vater noch alles im<br />

Hause Schlosshof steuerte. Ihr Vater Wilhelm und die Mutter Gloria, selbst<br />

von einem Adelsgeschlecht, waren immer bedacht ihre Tochter noch nach<br />

den altehrwürdigen Prinzipien zu erziehen und zu behandeln. So geschah es<br />

dann auch, dass Elisabeth mit 21 nach altem Adelsbrauch einen Grafensohn<br />

heiratete. Dies alles geschah aus aktuellem Anlass jedoch in Amerika. Das<br />

Gros der Familie brachte sich wegen des drohenden Krieges in Sicherheit<br />

doch Gustav von Auersee, ihr Schwiegervater und einige wenige Onkel und<br />

Tanten hielten die Stellung zuhause. Heinrich und sein Vater Balthasar sowie<br />

seine Familie waren einfachen Verhältnissen entsprungen, die aber doch als<br />

recht gutbürgerlich anzusehen waren. Durch die Arbeit im Hotel konnte der<br />

Vater den jungen Heinrich auf ein Gymnasium schicken und ein Studium<br />

bezahlen. Aber auf einmal kam alles Schlag auf Schlag: Der Tod seines Vaters,<br />

kurz danach hintereinander Gustav und Marie von Auersee, die<br />

Schwiegereltern Elisabeths und die Überrumplung durch Elisabeth und ihren<br />

Mann Johann. Beide, selbst noch jung und unerfahren, hatten keine Ahnung,<br />

was diese Verantwortung bedeuten sollte aber sie bestellten, auch mit der<br />

Zustimmung der anderen Familienmitglieder kurzerhand einen Fachmann<br />

aus dem Hotelwesen und ließen den jungen Burgstädt ausbilden. Nur die<br />

Freundschaft zu Hilda Gruber, einer Studienkollegin Heinrichs, war in der<br />

Lage seine Trauer zu ersticken. Sie heirateten kurz darauf.<br />

`Ich weiß nicht. Was kann denn noch möglich sein? Werden wir das wirklich<br />

schaffen?´<br />

Solche und andere Gedanken, plagten ihn auf der Heimfahrt. Verbitterung<br />

machte sich in ihm breit. Im Eifer des Gefechts, fiel ihm auf, dass er im<br />

falschen Auto saß Aber da ihm sowieso alles bedingungslos zu Verfügung<br />

stand und er niemandem Rechenschaft schuldete, sorgte er sich nicht weiter<br />

um dieses Missgeschick.<br />

Rechts und links der Straße zogen Gebäude an ihm vorbei und die Laternen<br />

am Straßenrand gaben dieses in vielen Städten übliche gelbliche Licht ab. Bis


auf das Licht der riesigen Halogenstrahler, die vor dem Haupttor des Nato-<br />

Nachrichten-Hauptquartier aufgestellt waren, war die Straße gleichmäßig<br />

beleuchtet. Inzwischen war er schon fast aus der Stadt hinausgefahren und<br />

fuhr nun auf dem kurzen Stück der Bundesstraße 3 in Richtung der Stadtteile<br />

Emmertsgrund und Boxberg. Diese zwei Stadtteile waren von der Lage her<br />

genau wie das Schloss auf dem Bergzug der Bergstraße Etwa 254 m ü.N.N<br />

erstreckten sich die Stadtteile ineinander übergehend über eine Länge von<br />

etwa 3,5 km. Auf dem Emmertsgrund, dem jüngeren, 1974 besiedelten<br />

Stadtteil wohnte Burgstädt. Damals galt das Projekt „Neue Heimat“ wie der<br />

Stadtteil in der Planungsphase noch hieß, als „Beverly Hills“ Heidelbergs.<br />

Familienidyll und Lebensabend sollte hier praktiziert werden. So kaufte sich<br />

Burgstädt mit seiner Frau damals kurzerhand ein Grundstück und baute ein<br />

Haus mit einem kleinen Garten.<br />

Zuhause angekommen, stellte Burgstädt den Mercedes in die Garage und<br />

verriegelte das Tor von innen. Oben im Wohnzimmer schaltete er das Licht<br />

ein und setzte sich danach in seinen Rattan-Sessel vor den Fernseher. Er<br />

wirkte niedergeschlagen und war nachdenklich darüber, dass am Abend<br />

womöglich die Entscheidung gefallen war, alles hinzuschmeißen Er war sich<br />

trotz seiner fast sechs Jahrzehnte andauernden Berufspraxis nicht sicher ob<br />

das, was Sabrina da bewirkte, richtig war - vor allem unter dem<br />

Gesichtspunkt des Überlebens des Hotels, das Johann von Auersee als<br />

Gebäude und als seine Leidenschaft liebte und hegte und seinen Vater<br />

einspannte, alles professionell aufzuziehen. Burgstädt fühlte sich elend.. Er<br />

nahm den Hörer des Telefons in die Hand, versank aber dann wieder in<br />

Gedanken...<br />

...<br />

Rückblende ins Jahr 1976...<br />

„Ach Schatz...Es ist doch bloß eine Lungenentzündung. Ich werde´ schon<br />

wieder !“<br />

Blicke voller Sorgen trafen Hilda Burgstädt.<br />

„Ich will nicht zulassen, dass Dir etwas zustößt. Du gehst morgen mit mir<br />

zum Arzt...bitte !“<br />

Heinrich schaute seiner Frau tief in die Augen und setzte nochmal an,<br />

diesmal ruhiger.


„Du läufst mit der Entzündung schon seit unserem Urlaub im Schwarzwald<br />

herum....Ach...Hätten wir diese langen Ausflüge bloß nicht gemacht. Für das<br />

schlechte Wetter während unseres Aufenthaltes, hätten wir uns besser rüsten<br />

sollen !“<br />

Hilda zuckte nur mit den Achseln. Sie versuchte lebensfroh zu wirken.<br />

„Die Ausflüge waren doch toll! Ich habe mich lange nicht mehr so amüsiert<br />

wie damals. Außerdem hat es Dir früher doch auch viel mehr Spaß<br />

gemacht....vor allem unsere Zeiten bei Kerzenlicht...“<br />

Hilda lächelte ein Lächeln, das Heinrich noch aus den Zeiten kannte, als sie<br />

beide noch um die zwanzig waren.<br />

„Hilda....bitte...“, bat Heinrich seine Frau flehentlich.<br />

Burgstädt grub den Kopf in seine Hände und seufzte schwer.<br />

Hilda sah ihn lächelnd an, doch das Lächeln war eher plastisch als lebendig<br />

gewesen. Dann musste sie husten.<br />

Das Husten wurde immer schlimmer, besonders an kalten Tagen.<br />

Unerträglich mochte es für Heinrich gewesen sein, doch aus Liebe zu seiner<br />

Frau hörte er es nicht mehr. Er ignorierte es vielmehr.<br />

Hilda sah ihren Mann an und setzte erneut zu einem Gespräch an.<br />

„Heinrich. Ich gehe mit Dir zum Arzt. Und dann werden wir sehen, dass alles<br />

in Ordnung ist.“<br />

Heinrich sah hoffnungsvoll zu seiner Frau auf und umarmte sie dann<br />

herzlich und lange.<br />

„Ich liebe Dich doch!“, flüsterte er ihr ins Ohr.<br />

„Ich Dich auch, mein Hase.“, antwortete Hilda Burgstädt.<br />

Hilda drückte Burgstädt etwas mehr an sich und spürte seine wohlige,<br />

angenehme Wärme und Nähe und genoss es, bei und mit ihm zu sein.<br />

Die beiden lösten nach einer langen Zeit die Umarmung und Hilda zeigte auf<br />

das Regal gegenüber.<br />

„Schau mal was die Franzi aus Hamburg mitgebracht hat. Die Bilderrahmen<br />

da. Sind die nicht schön? Ich hatte ganz vergessen, sie Dir zu zeigen. Jetzt<br />

haben wir endlich mal Bilder von uns drei zusammen auf einem Ehrenplatz.“<br />

„Ich fand es schön, als sie da war. Es ging aber so schnell um. Semesterferien<br />

haben immer ein grausames Ende, meinst Du nicht ?“, warf Heinrich<br />

lächelnd ein.<br />

Heinrich schweifte wehmütig mit dem Blick über...


...<br />

Wieder Sonntag Nacht...<br />

...die Bilder auf dem Regal.<br />

Der Hörer lag nun schräg auf der Gabel und das Freizeichen schwebte wie<br />

ein Geist in der Luft.<br />

Bei all den Gedanken an seine Frau, die nach einem langen Lungenleiden<br />

1978 verstarb, überkam es nun Burgstädt und er musste weinen. Er tat es<br />

dennoch leise. Sein Stolz und sein Respekt vor der spirituellen Gegenwart<br />

seiner Frau gebot es ihm, sich angemessen zu verhalten. Heinrich erhob sich<br />

von dem Sessel und machte sich auf in die Küche. Dort wollte er sich seinen<br />

und Hildas Lieblingstee zubereiten. Einen Earl Grey mit Milch und wenig<br />

Zucker. Nachdem der frische Aufguss fertig war, nahm er die Kanne, eine<br />

Zuckerdose, einen Teelöffel und eine Tasse aus dem Küchenschrank und ging<br />

zurück in das Wohnzimmer.<br />

Er machte es sich auf dem Sofa bequem und goss sich die erste Tasse ein.<br />

Burgstädt nippte schluckweise, setzte ab, dachte nach und nippte wieder, bis<br />

die Tasse leer war. So geschah es bis die Kanne halb leer geworden war.<br />

Heinrich Burgstädt stellte die Tasse auf dem Wohnzimmertisch ab und hatte<br />

nun keine Lust mehr weiter zu trinken. Er wollte in sein Bett und nur noch<br />

schlafen.


-8-<br />

Montag, 04.33 Uhr, Parkplatz Heidelberg Druckmaschinen AG...<br />

`Ich rauche zuviel!... Und langweile mich immer noch zu Tode. Dieser<br />

beschissene Nachtdienst! Aber macht ja sonst kaum einer. Helmut krank,<br />

Daniel im Urlaub, Rolf im Krankenhaus...Jaaa, der Rolf mal wieder. Dieser<br />

Depp ist doch tatsächlich bei ‘ner Verfolgung von so einem Ladendieb bei<br />

Nässe auf den Schienen der Straßenbahn ausgerutscht. Hat jetzt zwei<br />

Schrauben im Fußgelenk und eine gerissene Achilles-Sehne...Dummkopf!<br />

Und Ich? Ich darf wieder alles ausbaden...Danke Jungs!<br />

Naja. Was sagt die Uhr? Hmm..Aha...04.34 Uhr...cool, nur noch 2 ½ Stunden<br />

dann darf ich nach Hause und ins Bettchen...Vorher aber noch Mike ärgern,<br />

meinen klugen Hund. Oh scheiße! Ich hab´ dem Sack heute nichts Frisches<br />

hingestellt...Mist!... Naja.<br />

Hmm was diese Sabrina jetzt wohl macht? Schlafen wahrscheinlich. Sah ja<br />

wohl nicht schlecht aus, die Gute. Alter Schalter, was die für einen Wagen die<br />

hatte. Ich gurke in diesem Passat herum, der nicht mir gehört. MEIN Baby<br />

steht ja im Revier...So ein Uralt-Gestein. Ein rappeliger Polo II von 84. Der<br />

Knaller hat 45 PS. Wenn’s schä macht. Also dann, mal schauen, was so im<br />

Radio läuft....´<br />

„Haaach schön!“ (Ich habe gerade den Sitz zurückgedreht und genieße diese<br />

sanfte Enya-Melodie.)


-9-<br />

Aus dem Funkverkehr im Streifenwagen…<br />

„5/24-14 von 1/26. Bitte kommen.2414? Mann Rainer...Rainer??“<br />

(Statisches Rauschen und knackende Laute)<br />

„1/26 von 5/24-21.“<br />

„Kommen.“<br />

(Sendeklingel)<br />

„Der ist bestimmt wieder eingenickt...Wisst ihr wo der jetzt steckt. Dann<br />

schaue ich mal nach ihm.“<br />

(Sendeklingel)<br />

„5/24-21. Holger...Der wollte sich am Ufer ein bisschen umsehen.“<br />

„24-30 Hör auf! Der wollte sich unter Garantie bestimmt ´nen Joint klauen<br />

und rauchen.“<br />

(Gelächter)<br />

„1/26 an alle: Wenn Ihr mit dem scheiß nicht aufhört, bekommt Ihr alle<br />

Kaffeedienst, damit das klar ist! Wir sind hier nicht im Kindergarten. In der<br />

Direktion warten die Jungs und Mädels immer gerne auf neue<br />

Aktensortierer... ENDE.“<br />

(Statisches Rauschen)<br />

„1/26 von 5/24-21. Verstanden. Ende.“<br />

„1/26 von 5/24-30. Verstanden. Ende.“<br />

Gleichzeitig, woanders...<br />

Ein Handy klingelt.<br />

Ich wache schlagartig auf und realisiere das Handyklingeln. Das Gesicht<br />

reibend, um wach zu werden, drücke ich das Annahmesymbol.<br />

„Was ist denn, Mann !!!“


-10-<br />

Montag 04.41 Uhr, Auf den Straßen.<br />

Der Verkehr an der Straße nahm langsam zu. Die ganzen Frühaufsteher, wie<br />

zum Beispiel die Bäcker oder die Fabrikarbeiter in der Frühschicht waren nun<br />

auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz. An den Taxiständen standen vereinzelt<br />

Wagen und ihre Fahrer gähnten müde am Steuer. An manchen Plätzen<br />

standen sie um die Wagen und unterhielten sich lachend. An einer Tankstelle<br />

kamen nach und nach die Frühaufsteher zum Zeitung kaufen.<br />

In einer Wohnung in der Nähe schaltete sich leise summend ein Kühlschrank<br />

ein. Gleichzeitig tickte irgendwo eine Wanduhr leise vor sich hin.<br />

Ein Digitalwecker leuchte in tiefem blau in die Dunkelheit. Der Schein des<br />

Weckers beleuchtete das Gesicht einer Frau, die schlief.<br />

Die Digitaluhr zeigte 04.44.<br />

Sabrina wandte sich nach rechts und trat nun die Decke vollends von ihrem<br />

Körper. Sie schmiegte die Hand an ihr Gesicht und atmete tief durch. Ihr<br />

halbnackter Körper lag nun frei und glänzte im Schein des Zwielichtes der<br />

aufgehenden Sonne.<br />

Sie träumte...<br />

...<br />

„...Ja, mache ich, Schatz. Ich bringe nur noch schnell den Müll heraus und<br />

dann können wir gehen.“<br />

Sabrina ging hinaus zum Mülleimer, der am Garagenplatz war, und kippte<br />

den Hausmüll hinein. Durch den Herbstwind und ihre lockere<br />

Hausbekleidung, begann sie schnell zu frieren. Ihr Schatz drinnen würde sich<br />

jetzt bestimmt anziehen und dann könnten sie beide endlich einmal wieder<br />

zu einem gemeinsamen Abend in der Stadt aufbrechen. Nur sie und er.<br />

Zurück im Haus ihres Freundes, stellte sie fest, dass das Wohnzimmer, wo<br />

eben noch ihr Freund mit ihr auf dem Sofa saß, vollkommen menschenleer<br />

war.<br />

Sie rief nach ihm.<br />

„Schatz?...Schaaatz?“<br />

`Mann, wo ist denn dieser Schnösel?´, dachte sie sich.<br />

Im Obergeschoss hörte sie ihn telefonieren.


Sie lächelte und folgte seiner Stimme ins obere Stockwerk...<br />

...<br />

Ihr Freund war Eventmanager einer großen Medienfirma. Er organisierte<br />

Konzerte, Messen, und Fun-Events; Alles, was die Leute so von ihm<br />

verlangten. Er war wie Sabrina selbst ständig auf Achse. 35.000 Kilometer<br />

halbjährlich waren ein Klacks für ihn. Da Sabrina selbst viel zu tun hatte, und<br />

beide viel Freiraum wünschten, war alles locker und unaufgeregt geregelt.<br />

Manchmal dachte sie daran, dass Hotel hinzuschmeißen und mit ihrem<br />

Freund auf Reisen zu gehen. Er sagte dann immer<br />

„Süße, für mich brauchst Du das alles nicht aufzugeben. Denke lieber mehr<br />

an Dich, damit Du nicht unglücklich wirst.“<br />

Sie liebte ihren Ronny über alles. Das erste Mal hatte sie das Gefühl<br />

`Der ist iss es´<br />

Er hatte dennoch einen anderen Schatz. Seinen Mercedes SL 7,4 Kompressor<br />

V<strong>12</strong> von Brabus mit über 600 PS.<br />

Der Wagen war sein Heiligstes! Niemand durfte ihn fahren, selbst Sabrina<br />

nicht. Aber, da sie selbst nicht schlecht versorgt war, kümmerte sie dieser<br />

Umstand nicht. Für sie musste ein Auto gut aussehen und fahren können. Für<br />

andere Belange interessierte sie sich weniger - Außer wenn sie es eilig hatte!<br />

Da war natürlich der M 3 erste Wahl.<br />

…<br />

Als Sabrina die Stufen hinauf zum 1.Stock ging, versuchte sie herauszuhören,<br />

wo Ronny war und mit wem er telefonierte. Sie wollte ihn um etwas Eile<br />

bitten.<br />

Sie fand ihn im Arbeitszimmer.<br />

Sabrina schubste die Zimmertür leicht auf und der Anblick der sich ihr dann<br />

bot, sollte ihre Gedanken um Ronny bald verwischen.<br />

Ronny lümmelte sich mit aufgeknöpftem Hemd und loser Krawatte auf dem<br />

schwarzen Lederstuhl. Er hatte sich das Telefon ans Ohr geklemmt und<br />

streichelte mit den freien Händen einen dunklen Damen-BH aus Spitze und<br />

Seide.<br />

So zärtlich wie ein Katzenliebhaber seine Tiere streichelt, berührte er den<br />

Stoff auf den Cups.<br />

In Sabrinas Kopf begann sich alles zu drehen, und ihr Herz pochte wie ein<br />

Presslufthammer. Das war nicht ihr eigener BH gewesen!


Als Sabrina dann auch noch hörte, wie er zu der Person am Telefon sagte<br />

„Ja? Ich bringe die Alte jetzt zum Essen und dann rufst Du mich in etwa 3<br />

Stunden an und ich sage, dass im Geschäft nach mir verlangt wird, okay? Bis<br />

dann, Sonja.“, wurde es schwarz in ihrer Seele.<br />

Ronny drehte sich zum Aufstehen um und erschrak von Sabrinas Anblick so<br />

sehr, dass er zurück in den Stuhl fiel und beinahe die Tasse auf dem<br />

Schreibtisch umwarf. Sabrina war inzwischen so wütend, dass sie ihren<br />

Hausschuh vom Fuß streifte und ihn direkt in den 2x3 Meter großen LED-<br />

Bildschirm des Heimkinos schmiss, der in der hinteren Ecke des Zimmers<br />

stand. Es funkte und zischte aus dem Gerät, bis es mit Rauchzeichen seinem<br />

Leben ein Ende setzte. Sabrina schrie nur noch.<br />

„DU SCHEISSKERL...DU ELENDER SCHEISSKERL.....!“<br />

Ronny stand auf und versuchte die Situation zu retten.<br />

Er ging auf sie zu und berührte sie am Arm.<br />

„Lass mich los !!!“, zischte Sabrina...<br />

...<br />

Die Digitaluhr zeigte 04.44.<br />

Die Digitaluhr sprang um und die leuchtend blauen Ziffern zeigten nun für<br />

eine ganze Minute 04.45.<br />

Sabrina drehte den Kopf noch ein, zweimal herum, bis ihre Hand endlich den<br />

Weg zur Weckstop-Taste fand und sofort stand Sabrina mit einem Ruck auf.<br />

Sie kniff die Augen zusammen und streckte sich laut gähnend in alle<br />

Richtungen. Den Schlaf aus den Augen reibend, tapste sie aus dem<br />

Schlafzimmer. Sabrina sah aus wie jeder andere Mensch der Welt, der gerade<br />

aus einem zweistündigen Schlaf gerissen wurde und zudem noch schlecht<br />

geträumt hatte...Beschissen!<br />

`Mist! Eigentlich sollte das Rosenöl erholsame Wirkungen auf mich<br />

haben...Ach was rege ich mich auf. Wird heute hoffentlich besser.´ dachte sie<br />

sich, als sie in der Küche die Kaffeemaschine anwarf und diese daraufhin<br />

röchelnd Wasser durch den Filter schickte, den sie vorher mit Kaffee befüllt<br />

hatte.<br />

Sabrina schaute an sich herunter und stellte fest, dass sie immer noch nichts<br />

angezogen hatte. Sie kratzte sich am Nacken und lief genauso schlaftrunken<br />

wie sie in der Küche ankam, zurück ins Schlafzimmer. Dort kramte sie ein<br />

paar Kleidungsstücke aus dem Schrank. Nach einigen Minuten hatte sie sich


inzwischen angezogen und auch schon die Tasse Kaffee mitsamt einem<br />

Croissant und einem kleinen Schälchen Müsli gekillt.<br />

Sie blätterte in einem Weinführer und suchte nach einem neuen Wein für das<br />

Sortiment des Hotels. Irgendwann sah sie über ihre Schulter hinweg zur<br />

gelben Uhr an der Wand und stellte fest, dass es schon 05.30 Uhr geworden<br />

war. Zeit zu gehen. Sie belud die Spülmaschine mit dem Geschirr und suchte<br />

ihre Sachen zusammen. Die Mappe vom Vortag klemmte sie unter den Arm,<br />

das Smartphone ließ sie in die Tasche fallen, und ging dann hinaus in die<br />

Garderobe. Dort nahm sie diesmal das jagdgrüne Jackett das wunderbar zu<br />

ihrer heutigen Kleidung passte: Weißes Hemd, pistaziengrüne Stretch-Hosen<br />

die ab dem Knöchel einen leichten Schlag aufwiesen. Zuletzt zog sie die<br />

halbhohe Pumps in pastellgrün an.<br />

Sabrina schloss hinter sich die Haustür, und machte sich auf den Weg in die<br />

Tiefgarage in UG 2.<br />

Das Auto war im Inneren noch warm, und Sabrina machte genau dasselbe,<br />

was sie am Abend zuvor tat. Sie stieg ein, legte die Tasche auf den<br />

Beifahrersitz, steckte den Funkschlüssel in das Zündschloss, drehte herum, bis<br />

von der ABS-Kontrollleuchte bis zum roten SRS-Symbol der Airbags alles<br />

aufleuchtete. Sie drehte den Schlüssel weiter und der Motor begann wie<br />

immer mit einem vernehmlichen Blubbern zu erwachen.<br />

Sabrina legte den Rückwärtsgang ein und setzte zügig zurück. Das Auto<br />

verließ die Garage mit Fauchen und Brüllen.<br />

Auf der Straße ärgerte sie sich wieder über den allmorgendlichen Verkehr.<br />

Sie erreichte das Hotel um 05.53 Uhr.<br />

Auf dem Vorplatz stellte Sabrina Seiler ihren M 3 in die kleine Parknische, die<br />

reserviert war für die Haus-Angehörigen. Sie öffnete vorsichtig die Tür um<br />

den Jaguar, der nebenan stand, nicht zu beschädigen. Es war der Wagen vom<br />

Sohn der Auersee´s gewesen.<br />

Marcel von Auersee war ein 60 jähriger Mann, der in der Armee arbeitete. Er<br />

forcierte seinen Werdegang erheblich und landete schließlich auf einem<br />

recht hohen Posten auf einer Kaserne. Dort übernahm er die<br />

Stabskommandantur. Welchen Rang er bekleidete, wusste Sabrina zwar,<br />

vergaß es aber immer wieder, da sie sich da sowieso nicht auskannte.<br />

Sie schloss die Wagentür ab und ging über den Platz in das große Haupthaus.


Die Rezeption war besetzt mit Heiko und Maria, zwei der Angestellten des<br />

Hauses. Gleich neben ihnen war auch Lara zugegen. Lara war die 17 jährige<br />

Auszubildende gewesen, die der Schlosshof für die kommenden 2 ½ Jahre zur<br />

Hotelfachfrau ausbilden sollte.<br />

„Hallo Ihr drei. Alles klar bei euch.?“<br />

Sabrina ging zügig an den dreien vorbei.<br />

„Guten Morgen Sabrina“, entgegneten Maria und Heiko.<br />

Lara sagte etwas förmlicher<br />

„Guten Morgen, Frau Seiler.“<br />

Sabrina erreichte das Bürozimmer und öffnete die Tür.<br />

Das Bürozimmer war hell erleuchtet durch die frei hängenden Halogen-<br />

Einzelstrahler, die durch Kabel an allen Seitenwänden und an der Decke<br />

befestigt waren. An der Fensterfront stand ein großer<br />

Vogelaugenahornschreibtisch bestückt mit 4 Schubladen, einer Ablage und<br />

einem abschließbaren Seitenfach. Alles war aus einer Mischung dunkler und<br />

heller Hölzer eingerichtet. Die Decke und die Wände waren klassisch weiß<br />

Marcel von Auersee blätterte gerade in den Firmenunterlagen des Hauses. Er<br />

war gerade dabei die Ausgaben der Monate Oktober bis Dezember des<br />

Vorjahres mit dem Anfang diesen Jahres zu vergleichen. Er studierte<br />

gründlich jede Spalte und las gewissenhaft die Vergleichswerte der anderen<br />

Monate aus. Dann drehte er sich zur Fensterseite und sah zurückgelehnt im<br />

Stuhl, in die Ferne. Das Ende des Neckartals und die Rhein-Ebene lagen ihm<br />

aus dieser Perspektive direkt zu Füssen. Diese Stadt war eine schöne Stadt.<br />

Die Stille im Raum nahm ein jähes Ende, durch Sabrinas Öffnen der Bürotür.<br />

„Guten Morgen, Herr Burgstädt.“<br />

„Guten Morgen, Sabrina.“<br />

Sabrina war einen Moment lang irritiert, bis sie verstand, dass es nur Marcel<br />

sein konnte, da sie seine Stimme nun erkannte. Wie auf ein Kommando,<br />

drehte Marcel den Stuhl in Richtung Zimmer ein und sah Sabrina mit einem<br />

sympathischem Blick an.<br />

„Oh. Hallo Marcel, wie gehts ?“<br />

„Mir gehts gut. Na was liegt an?“, antwortete Marcel auf Sabrina´s Begrüßung<br />

„Nichts besonderes. Alles bestens.“<br />

„Ja..“, Marcel überlegte kurz .


„..Der Burgstädt hat heute morgen bei mir angerufen. Er bat mich, Dir<br />

auszurichten, dass er die nächsten 2 Wochen nicht da sein wird. Er sagte so<br />

etwas wie, dass es ihm nicht gut geht.“<br />

„Oh, das klingt aber nicht gut“, entgegnete Sabrina besorgt.<br />

„Tja, in nächster Zeit werde ich wohl öfter vorbei schauen und Dir unter die<br />

Arme greifen müssen“, kündigte Marcel an.<br />

„Danke, das ist lieb von Dir.“<br />

Sabrina setzte sich auf den anderen Bürostuhl und legte ihre Sachen ab.<br />

Gleichzeitig stand Marcel auf und ging auf die Kaffeemaschine zu, die auf der<br />

Kommode gegenüber stand.<br />

„Willst Du auch einen?“, fragte er Sabrina.<br />

„Ja. Gerne.“<br />

„Und? Was hast Du vor? Ich muss die Buchhaltung noch fertig machen<br />

Würde es Dir etwas ausmachen, wenn Du mir ein wenig zu Hand gehst?“,<br />

fragte nun Sabrina.<br />

„Du meinst den Abschluss vom letzten Monat? Ja natürlich...Sag´ mal, ist es<br />

denn so schlimm mit dem Geschäft?“<br />

Sabrina sah die Unterlagen, die sie zuvor ansprach, vor Marcel auf dem<br />

Schreibtisch liegen und feixte nun.<br />

„Willst Du mich veräppeln?“. Sie grinste.<br />

„Ach nein. Im Ernst: Ich habe schon in den Büchern gesehen, dass hier einiges<br />

nicht mehr so recht läuft. Ist echt schade.“, bedauerte Marcel.<br />

Sabrina behielt ihr Lächeln bei und entgegnete nur<br />

„Na na, Unternehmergeist sieht aber anders aus...Wir schaffen das schon.<br />

Keine Sorge, ihr werdet schon nicht arm sterben.“<br />

„Ha-ha. Das weiß ich auch!“, entgegnete Marcel gespielt entrüstet.<br />

Der Kaffee war fertig und die Maschine piepte rhythmisch.<br />

Sabrina stand auf und nahm die Tasse entgegen, die Marcel für sie<br />

bereitstellte. Wieder saßen sich beide gegenüber und kurze Zeit war wieder<br />

Stille in den Raum eingekehrt, bis es an diesem Morgen das zweite Mal<br />

klopfte.<br />

„Herein.“, riefen Marcel und Sabrina im Chor, sahen sich kurz danach an<br />

und lächelten über diesen kleinen Zufall. Es war Maria, gegenwärtig<br />

Empfangschefin des Hauses, die etwas wissen wollte. Nach etwa drei Minuten<br />

Konversation bot Sabrina ihr an, mit hinaus zu gehen. Sie stand auf und nahm


zügig den letzten Schluck Kaffee aus ihrer Tasse zu sich. Nachdem Sabrina die<br />

Tasse auf ein Tablett auf der Eckkommode abstellte, verließen sie und Maria<br />

das Büro.<br />

„So... Was ist denn noch mal genau das Problem?“, wollte Sabrina nochmals<br />

zur Bestätigung von Maria wissen.<br />

„Also: Diese Callista Waynewhright von der Collins-Stiftung hat gerade<br />

angerufen, um uns zu bitten, den Reservierungstermin aufzuschieben. Sie<br />

sagte, sie könne das mit einem anderen Termin, der dazwischen kam, nicht in<br />

Einklang bringen.“<br />

„...Und Ihr habt die nächsten zwei Wochen nichts Freies gefunden, richtig?“,<br />

ergänzte Sabrina Maria.<br />

„Genau.“<br />

„Okay. Ich schau mal was ich da machen kann, ja?“, kündigte Sabrina ihr<br />

Vorgehen an.<br />

„Super! Ich geh´ dann mal zu den anderen. Ach ja, stell Dir vor: Gestern hatte<br />

Heiko die Lara an den Computer gelassen. Die hat dann aus Versehen zwei<br />

Buchungen der nächsten Woche aus dem System gehauen.“, erzählte Maria.<br />

Sabrina schmunzelte kurz und wurde dann ernst.<br />

„Maria, schau bitte, dass das wieder in Ordnung kommt. Ich möchte nicht,<br />

dass das noch mal passiert. Lass sie in nächster Zeit auch nicht mehr an den<br />

PC, okay?“, unterwies Sabrina Maria.<br />

„Ist doch schon passiert, Sabrina. Wir haben das gleich wieder in Ordnung<br />

gebracht, da die Buchungen ja auch im Reservierungsprotokoll im Schrank<br />

stehen. Ist alles wieder in Ordnung.“, warf Maria beschwichtigend ein.<br />

„Stimmt ja. Das Reservierungsprotokoll...Tut mir Leid. Ich meinte ja nur.“,<br />

entschuldigte sich Sabrina. Die Wege von Maria und Sabrina trennten sich<br />

nach einem gemeinsamen Gang zurück bis an die Theke. Maria lächelte<br />

wieder ihr Berufs-Lächeln und nahm an der Theke angekommen, nochmals<br />

Lara beiseite. Sabrina indes kam an der Haupttheke vorbei um die<br />

Reservierungs- und Buchungsmappe aus der Ablage zu holen. Sie sah sich die<br />

Daten der nächsten Tage an und entschied sich dafür, die Reisegruppe ganz<br />

oben auf die Prioritätenliste, quasi die VIP-Liste, zu setzen. Damit war nun<br />

gesichert, dass die Reisegruppe auf jeden Fall frei werdende Zimmer<br />

bekommen würde. Normalerweise wäre diese Eilreservierung nur für<br />

exklusive Kunden, die unverhofft aber doch stetig kamen, möglich gewesen.


Da Sabrina Mrs. Waynewhright gut kannte, und auch wusste, dass diese zwar<br />

selten, aber eben auch stetig kam, machte sie eine Ausnahme. Sie las die<br />

Namen vom Notiz-Zettel ab: MRS. Callista Waynewhright, MR. William<br />

Murtaugh, MR. Billy Johnson, MRS. Arielle Sutter. Sabrina trug die Namen in<br />

die Liste ein, klappte die Mappe zu und stellte sie wieder zu den anderen<br />

Unterlagen in die Ablage. Maria Heiko und Lara berieten sich, wer nun was<br />

zu tun hatte, und stimmten ab, wer mit wem mitgehen sollte. Man entschloss<br />

sich, Heiko an der Rezeption zu belassen. Maria und Lara machten sich auf<br />

den Weg in den großen Ballsaal, wo das Frühstück und auch das Mittag- und<br />

Abendessen serviert wurde. Hin und wieder gab es auch kleinere Konzerte bei<br />

denen unter anderem der Steinway Flügel in der Mitte des Raumes genutzt<br />

wurde. Maria wollte Lara heute die Belange und Besonderheiten beim<br />

Servieren des Frühstücks zeigen. Lara sollte das zuvor Erlernte vertiefen und<br />

ausbauen. Als die beiden im Ballsaal ankamen machten sie sich gleich daran<br />

den Gästen die Getränke zu servieren, wobei Maria zwischendurch immer<br />

wieder, mit der Tageskarte in den Händen, die Runde drehte. Heute gab es<br />

zum Einstand des Tages ein Büfett mit allerlei Früchten und Pasteten. Als<br />

Warmspeise gab es heute Eierflambée mit dem Nachtisch Roquefort-Birne.<br />

Auch Sabrina kümmerte sich um die Magenbelange der Gäste. Sie war<br />

inzwischen in der Küche und machte mit Bernd Hackford, dem Küchenchef,<br />

die Hauptspeisen der nächsten Woche klar. Alles sollte unter dem Motto<br />

Weltreise angepriesen werden. Heraus kam eine Liste, wie sie schöner nicht<br />

hätte sein können.<br />

„So. Das gefällt mir wirklich sehr gut. Da haben Sie sich aber wirklich schöne<br />

Sachen einfallen lassen, Herr Hackford.“, freute sich Sabrina über das<br />

Ergebnis.<br />

„Na klar. Diese Gerichte sind alle irgendwie meine Leibspeisen. Besonders auf<br />

das Hähnchen-Curry freue ich mich. Schmeckt richtig lecker.“, strahlte<br />

Hackford geradezu.<br />

„Bernd, Sie können mir doch sicher sagen was sie heute anstellen wollen.<br />

Oder soll ich selbst nach schauen ?“, fragte Sabrina den kleinen dicken Koch<br />

etwas schnippisch. Der lachte nur und machte eine Geste, die „lecker“ zu<br />

bedeuten hatte.<br />

„Heute haben wir Kalbfleisch an Morchelsauce. Dazu einen Ruccola-Trüffel<br />

Salat.“


„Also dann viel Spaß noch. Ich muss wieder hoch...Geschäfte...“, grinste<br />

Sabrina den Koch an und verließ wieder die Küche. Oben angekommen, warf<br />

sie im Ballsaal einen Blick auf das Büfett und nahm sich dann ein Schälchen<br />

von dem Fruchtsalat, der mit dem Weinschaum sehr schmackhaft aussah.<br />

-11-


Freitag, <strong>12</strong>.00 Uhr, Steuerbüro Henschel&Partner...<br />

Sabrina hatte mit Marcel die Ausarbeitung der Monatsabrechnung<br />

fertiggestellt und machte sich jetzt alleine auf den Weg zum Steuerberater.<br />

Dort angekommen, betrat sie das Haus in dem in den einzelnen Räumen ihr<br />

Steuerberater und andere Kollegen saßen Den einen kannte sie noch flüchtig<br />

irgendwo her, konnte sich aber nicht mehr an seinen Namen erinnern. Der<br />

Steuerberater ließ Sabrina gleich in sein Büro eintreten, wo sie sich dann<br />

gleich hinsetzte.<br />

„Hallo Sabrina. Schön Sie hier wieder einmal begrüßen zu dürfen.“<br />

„Ich komme doch gerne zu Ihnen“, antwortete Sabrina auf seine Begrüßung<br />

„So. Dann schauen wir mal, was es da noch zu holen gibt.“<br />

„Ich habe diverse Papiere gebracht die nützlich sein könnten. Hier ist der<br />

Kaufvertrag des Autos und noch ein paar Rechnungen bezüglich kleinerer<br />

Reparaturen im oder am Haus.“<br />

Sabrina reichte dem Mann die Unterlagen, die dieser dann gründlich ansah.<br />

Er blätterte alles durch und ab und an kam ein `Hmmhmm´ oder andere<br />

nachdenkliche Laute.<br />

Dann war er fertig und sah Sabrina strahlend an, die sich auf den Hocker vor<br />

seinem Schreibtisch setzte.<br />

„Das müsste gehen! Den Wagen hauen wir gleich raus. Das wären dann etwa<br />

7700 EUR. Und der Rest lässt sich auch deichseln.“<br />

Der Steuerberater legte die Sachen beiseite und faltete die Hände ineinander.<br />

Einen kleinen Moment musterte er Sabrina und wartete ab. Sabrina wusste<br />

einen Moment nicht recht und sagte dann einfach irgend etwas.<br />

„Wir denken über neue Werbemaßnahmen nach.“<br />

„Das ist doch was! Das klappt schon noch. Keine Sorge, ich finde noch ein<br />

wenig Geld.“<br />

Sabrina stand vom Hocker auf und reichte dem Mann die Hand.<br />

„Ich weiß nicht genau, was ich tun soll. Ich bin ein wenig unschlüssig, was<br />

die Zukunftsinvestitionen angeht. Den Ausbau des Schwimmbades habe ich<br />

ins Auge gefasst, aber weiter bin ich auch noch nicht gekommen. Am Dach<br />

muss auch einiges saniert werden.“


„Wissen Sie, ich kann ihnen das nicht abnehmen. Sie müssen nur sehen, dass<br />

Ihre Ausgaben ihre Einnahmen nicht zu sehr überflügeln. Sehen Sie sich das<br />

hier mal an.“<br />

Henschel reichte Sabrina einen Abschnitt aus dem Ordner der Buchführung.<br />

Er sah in das Verzeichnis und fand die Seiten, die er Sabrina zeigen wollte.<br />

Sabrina sah konzentriert auf das Blatt und folgte dabei seinen Worten und<br />

Ausführungen.<br />

„Ja, ich weiß das. Daran werde ich arbeiten. Wir haben ein Problem mit der<br />

Rentabilität, aber ich muss investieren. Sonst kommt bald niemand mehr zu<br />

uns.“ ärgerte sich Sabrina.<br />

„Na, dann.“, antwortete Henschel knapp und stand nun ebenfalls auf.<br />

Sabrina gab Henschel nochmals die Hand.<br />

„Herr Henschel. Schön dass es so gut klappt. Ich denke auch, dass wir wieder<br />

in Ordnung kommen. Ich werde dann wieder. Bis dann.“<br />

Sie drehte sich um und schritt zur Tür. Henschel, ganz Kavalier, eilte voraus<br />

und öffnete Sabrina die Tür.<br />

„Also dann. Bleiben Sie frisch und schön wie immer.“<br />

Sabrina verdrehte, ungesehen von Herrn Henschel, die Augen und sang ihre<br />

Antwort regelrecht.<br />

„Mach ich, Danke.“<br />

Auf dem Weg zum Auto zurück ging ihr etwas durch den Kopf, das mit<br />

Henschel zu tun hatte.<br />

`Wir denken zwar über neue Maßnahmen nach, aber wer soll das bezahlen?<br />

Die einzigen, die das können, sind Marcel und seine Mutter. Obwohl, Marcel<br />

ist irgendwie ein Geizhals. Der hat doch sowieso seine Mutter im Griff.<br />

Hmm..nicht, dass ich ihn nicht mag, er hat nur keinen guten Geschäftssinn.<br />

Und der alte Henschel da drinnen. Der kann mir gleich gestohlen bleiben.<br />

Der bringt doch eh nichts! Der macht nur das Allernötigste und „erlaubt sich“<br />

blabla zu berechnen. Fast wie ein Spielautomat: In eine Richtung rein und fast<br />

nie einen Cent wieder raus. Wechseln will ja keiner. Ist ja ein<br />

Vertrauensmann...Ja-ja-ja. Außerdem ist der Typ ein Idiot. Ha! Wenn der<br />

damals weitergemacht hätte, wäre er jetzt womöglich impotent.´<br />

(Sabrina wurde einmal bei einem Empfang im Hotel von Henschel, der sehr<br />

betrunken gewesen war, bedrängt und unsittlich angefasst. Sie wurde ihn<br />

schwer los.)


`Hoffentlich wird das Hotel nicht zu einem maroden Altbau und verliert<br />

dadurch an Exklusivität. Wäre echt schade. Ich will unbedingt das Ding<br />

sanieren...aber wie? Naja...´<br />

Die Maisonne strahlte förmlich. Sabrina öffnete das Fenster ihres M3 und ließ<br />

sich den Wind um die Nase wehen. Der Verkehr war recht dicht gewesen und<br />

Sabrina hatte ein wenig Mühe, durch all die Autos und dazwischen<br />

Straßenbahn und Busse zu kommen. Hin und wieder nutzte sie den Schub des<br />

starken Motors. An der Kreuzung auf der Czerny-Brücke, die über die<br />

Bahngleise des Hauptbahnhofes führte, musste sie wegen der roten Ampel<br />

halten. Neben ihr ein dunkelgrüner Alfa 159. Es war ein 3.0 T-Spark<br />

gewesen. Drinnen saß ein Mann mit einer Sonnenbrille. Eigentlich war es ein<br />

junger Kerl gewesen. Und die Musik aus seinen Lautsprechern war kaum zu<br />

überhören. Basstöne und Trance-Beats dröhnten durch sein ganzes Auto. Als<br />

er bemerkte, dass Sabrina neben ihm gehalten hatte, musterte er sie, nachdem<br />

er ganz cool die Brille mit dem Zeigefinger von der Nase tippte.<br />

`Der ist ja so was von blöde!´, dachte sich Sabrina.<br />

Dann kam etwas, was wohl unweigerlich zu jedem Mann in dieser<br />

Altersklasse gehören musste, ja sogar unterstrichen wurde: Er zwinkerte ihr<br />

zu. Nicht, dass das schlimm gewesen wäre. Nur war es so, dass er dabei auf<br />

eine merklich zwiespältige Art grinste. Die Ampel wurde grün und beide<br />

fuhren los. Sabrina war nicht unbedingt auf ein Spiel aus. Der Typ in dem<br />

Auto ließ keinen Zweifel, dass sein Auto das beste der Welt sei. Sabrina drehte<br />

sich nicht nach ihm um, als er mehrmals dicht hinter ihr fuhr und dann<br />

wieder Abstand ließ Sie wusste jedoch, dass er noch da war. Dann kam das<br />

Gleisdreieck am Betriebshof des örtlichen Verkehrsbetriebes. Sabrina drückte<br />

eine Zehntelsekunde auf das Gaspedal und der Motor bellte heiser ein zwei<br />

Takte. So passierte sie die Kreuzung vor der Straßenbahn, die schon an der<br />

Ecke los fuhr Der Mann im Alfa zog, scheinbar gedemütigt, mit ihr gleich und<br />

drückte ebenfalls drauf, um Sabrina noch zu erwischen....<br />

Sabrina lachte sich halbtot und fuhr mit einem breiten Grinsen weiter.<br />

Was war passiert ?<br />

...was er jedoch nicht schaffte. Statt dessen machte er die Bekanntschaft mit<br />

der 4,7 Millionen EUR teuren MGT6D Stadtbahn. Er krachte mit einem lauten


Knall in die Flanke des Wagens und zerschmetterte dabei die Scheibe einer<br />

Eingangstür.<br />

`Zum Glück war an dieser Tür gerade keiner gestanden.´, dachte sich Sabrina.<br />

Endlich im Hotel angekommen, wollte Sabrina Burgstädt anrufen, um zu<br />

fragen wie es ihm nun erging. Sie versuchte es mehrmals. Am Ende gab sie<br />

auf, da sie ihn nicht erreichte.<br />

Der restliche Arbeitstag lief einigermaßen normal, bis auf die üblichen Dinge<br />

die immer wieder anfielen wie, das Birnen aus einer Lampe ausgetauscht<br />

werden mussten, und ein Gast- In diesem Fall eine Frau im Bademantel, die<br />

im Zimmer stand und erklärte, sie habe die Tür des Bades im Dunklen kaum<br />

erreicht und sei zudem fast hingefallen. Ansonsten kamen noch ein Ehepaar.<br />

Der Mann wollte ein Meeting in der Stadt abhalten und brachte seine Frau,<br />

zwecks anhängigem Urlaub, gleich mit. Sie erklärten, sie würden sich dann<br />

mal das schöne Neckartal näher ansehen.<br />

Um 19.30 Uhr wollte Sabrina Schluss machen. Lara, Heiko und Maria waren<br />

schon seit 16 Uhr außer Haus. Nach 13 ½ Stunden fand Sabrina, dass sie sich<br />

den Feierabend nun auch langsam verdiente. Marcel im Übrigen, ging schon<br />

um halb drei. Sabrina verabschiedete sich von Silke und Marco die, die Nacht<br />

über für die Gäste zur Verfügung standen. Dann verließ sie erschöpft das<br />

Haus.<br />

-<strong>12</strong>-


Samstag, 19.55 Uhr, Sabrina´s Wohnung…<br />

Zuhause angekommen, war wieder dasselbe Ritual wie abends zuvor<br />

angesagt, nur war dieses Mal kein Wein dabei. Und Sabrina legte sich diesmal<br />

auch nicht zum Schlafen hin - Es war auch noch nicht so spät. Sie entschied<br />

sich, mit dem Fahrrad eine kleine Runde durch die Stadt zu drehen. Sie<br />

schnappte sich ihren Rucksack und etwas zu trinken. Auch das Portemonnaie<br />

nahm sie für alle Fälle mit.<br />

Sabrina holte das weiße Mountainbike aus dem Fahrradschuppen hinter dem<br />

Haus und machte sich auf den Weg zur Stadtmitte, genauer zum Bismarck-<br />

Platz. Beim Chinesen an der Ecke Bergheimer und Rohrbacher Straße machte<br />

sie eine kurze Pause. Dann radelte sie weiter. Sie fuhr schnell durch die<br />

Neuenheimer Straßen und entschloss sich kurzerhand, auf die Thingstätte zu<br />

fahren. Die Thingstätte war ein steinernes Publikumskonstrukt, erbaut auf<br />

einem 300m hohen Hügel. Es erinnerte ein wenig an ein altes Amphitheater.<br />

Sabrina war wieder hellwach und trat kräftig in die Pedale um dort hinauf zu<br />

kommen.<br />

Auf der Thingstätte verbrachte sie dann etwa eine Stunde. Sie beobachtete die<br />

untergehende Sonne und genoss die laue Luft. Sie sah sich die Sterne an und<br />

schwelgte ein wenig in einsamer Romantik.<br />

Irgendwann erhob sie sich wieder von einem dieser steinernen Sitze und<br />

machte sich auf den Heimweg. Am Bismarck-Platz machte sie nochmals eine<br />

kleine Rast und traf dabei zufällig auf zwei ihrer Bekannten: Ihre Freundin<br />

und einen alten Klassenkameraden. Mit dem Klassenkamerad unterhielt sie<br />

sich nicht lange, da dieser auf dem Sprung zur Straßenbahn war. Man betrieb<br />

Smalltalk und dann war er auch schon weg gewesen.<br />

Die Freundin blieb hingegen etwas länger. Sie redeten über den neuesten<br />

Tratsch und verabredeten sich zu einem gemütlichen Abend. Man beriet sich,<br />

eventuell ins Kino zu gehen. Danach fuhr Sabrina weiter nach Hause.<br />

Vor der Haustür lud sie ihre Sachen ab, und brachte ihr Fahrrad zurück in<br />

den Fahrradschuppen. Die Sachen vertraute sie dabei etwa fünf Minuten der<br />

Haustür an. Zurück in der Wohnung stellte sie sich unter die Dusche und<br />

stellte fest, dass sie nun wirklich platt war. Ein wohliges Gefühl durchströmte<br />

sie dabei trotzdem. Als sie fertig war, zog sie ihre bereit gelegten Sachen an.


Sie streifte das frische T-Shirt über den nackten Oberkörper und zog einen<br />

hellblauen Slip an. Gut gelaunt, überlegte sie wieder etwas zu tun, wozu sie<br />

schon lange keine Zeit mehr gehabt hatte: Sie entschloss sich, ihr altes Diary-<br />

Buch aus dem Schrank zu holen und etwas darin zu blättern. Inhalt waren<br />

Notizen und Gedichte. Zum einen Teil von ihr verfasst, zum anderen Teil von<br />

Freunden eingetragen. Das Buch war schon über 20 Jahre alt und zerfiel<br />

schon etwas. Sie legte es an, um dort ihre geistigen Ergüsse zu sammeln, als<br />

sie noch in die siebte Klasse ging und Herzschmerz noch ein großes Thema<br />

bei ihr waren- vermutlich wie bei jedem pubertierenden Mädchen. Manche<br />

Verse gefielen ihr heute noch und sie bekam wieder diesen Wunsch, einen<br />

Freund zu haben. Sie fand jedoch, dass es natürlich leichter gesagt als getan<br />

war, jemanden zu finden der ihr gefiel, vor allem mit diesem schnelllebigen<br />

Lebensstil. Richtig betrübt war sie deswegen jedoch nie. Sie liebte es eben wie<br />

ein Vogel frei zu fliegen.<br />

Irgendwann kam Sabrina auf eine neue Idee und legte das abgeschranzte<br />

Buch zur Seite. Ihr fiel ein, dass sie lange nicht mehr bei ihren Eltern<br />

angerufen hatte. Sie wurde richtig heimelig. Den Hörer schon in der Hand,<br />

wählte sie die Nummer ihrer Eltern.<br />

Es meldete sich niemand, so, dass Sabrina es nochmals versuchte.<br />

„Mist.“, sagte sie laut.<br />

Sie überlegte, ob sie ihren Bruder anrufen sollte und tat es dann auch.<br />

„01...Hmm...8..4..5 ääh 44....5......4....Sooo...“, wählte sie laut sprechend die<br />

Nummer.<br />

Freizeichen...<br />

Freizeichen...<br />

„Mann. Du Sack! Geh´ ran.....“, schimpfte Sabrina halb ernst<br />

Freizeichen........Klick<br />

„Joa? Woas gibts ?“, meldete sich endlich ihr Bruder mit seinem<br />

unvergleichlichen Dialekt, den Sabrina selbst nicht mochte und ihn deswegen<br />

mied. Sie zog es vor hochdeutsch zu sprechen.<br />

„Tag Frank....Hier ist Sabrina! Na was machst du ?“, fragte ihn Sabrina gleich<br />

zum Einstieg.<br />

„Ich? I sitz doa rrumm und gugg ma ´nen Film an !“, berichtete Frank sein<br />

gegenwärtiges Tun.<br />

„Aha.“, sagte Sabrina Seiler und stellte eine neue Frage.


„Und schon eine neue Freundin in Sicht?“, fragte sie und gluckste leise aber<br />

hörbar.<br />

„Woooo? Ich? Nach diesär blödän Kuh? Neee !! I mog jetzt net.“, antwortete<br />

Frank nun etwas trotzig.<br />

„Wieso? ....Äh...Was war jetzt eigentlich mit der Sabrina noch mal?“, erinnerte<br />

sich Sabrina an seine, ihr bisher bekannten Freundin, von der sie nur hörte,<br />

dass sie sehr hübsch aber eben auch sehr zickig war.<br />

„Die koann mich jetzt mal völlig kreuzweise. Nachdem die mitm´ Michael<br />

abgehaut iss´ hoab i jetzt bloß Terror mit ihr. Sie will fast olles aus der<br />

Wohnung. Die spinnt. Die kriegt goarnix!“<br />

„Und. Was meinst Du zu diesem Michael?“, fragte Sabrina jetzt.<br />

„Michael? Dem Arsch hau ich nächstes Mal oans rein. Der hat sich letztens<br />

so was von mokiert! Des glaubst net!!! Der war mal mein bester Freund. Der<br />

Sack der Elende!“, ärgerte sich Frank über seinen Freund, der dieser nun nicht<br />

mehr war.<br />

„Wenn Du meinst.“, antwortete Sabrina resigniert und gelangweilt von diesen<br />

ständigen Sprüchen, dass ihr Bruder dem hier was macht, und dem da, und so<br />

weiter.<br />

„Was macht die Mama und der Papa?“, fragte Sabrina nach dem<br />

Wohlergehen ihrer Eltern.<br />

„Haaach. Dena geht’s gut! Kühe melken und Stall putzen. Müsli mit Honig<br />

und Früchten... Alles wie immer. Du! Des Schoinänvorrdach iss scho fertig<br />

gworden. Des iss so richtig schön jetzt. Bald mach mer hier mitm Andy den<br />

Motorradladen auf.“, antwortete Frank und schnalzte dabei für Sabrina zu<br />

hören zweimal mit der Zunge.<br />

Sabrina rollte die Augen, lächelte jedoch.<br />

„Hey? Hallo ? Bist Du 35 oder 5, hä?“, fragte sie ihn dann laut.<br />

Diese kindischen Auswüchse mochte sie an ihm gar nicht. Da er zwar älter<br />

aber manchmal nicht unbedingt reifer schien, ärgerte sie so was hin und<br />

wieder.<br />

„Was macht Andreas?“, fragte Sabrina wieder.<br />

„Andreas studiert immer noch.“, kam die kurze prägnante Antwort prompt.<br />

„Ha-ha-ha. Das weiß ich auch....Aber sonst?...“, zog Sabrina Frank auf.<br />

„Weiß ich net. Bin ich in München? Du stellst Fragen.“, trotzte Frank zurück.


Nach einer kurzen Pause und einem Räuspern beantwortete er noch die letzte<br />

mögliche Frage, die Sabrina noch gar nicht gestellt hatte.<br />

„Aki ist auch noch fit....“<br />

„Ach du scheiße. Aki!....Den Hund hab ich vergessen. Echt?“, fiel es Sabrina<br />

nun auch ein.<br />

„Ich bin net scheiße....“, zog Frank sie jetzt auf.<br />

„Ja ja....Aki ist jetzt wie viel Jahre alt? Neun? Zehn?....“, stellte sie Frank wieder<br />

eine Frage.<br />

„Er ist Neun. Mann....Wie bei einem Verhör! Wie geht’s Dir denn so?“, drehte<br />

Frank nun den Spieß um.<br />

„Ganz normal.. Alles bestens.“<br />

„Du! I muss jetzt aber los. Der Papa hoat mir gsagt, dass ich die Kreissäge<br />

vom Sigi holen muss. Unsere hat die Scheibe beim Sägen verzogen, und das<br />

Getriebe zerdeppert. Also, mach’s gut. Servus...“, erzählte Frank zu Ende und<br />

verabschiedete sich von Sabrina.<br />

Sabrina brachte noch einen Gruß an die Eltern aus und beendete dann das<br />

Gespräch. Das Telefon legte sie auf den Tisch und machte es sich auf der<br />

Couch bequem. Dann schaltete sie den Fernseher ein und zappte durch die<br />

Kanäle...Nichts, was Sabrina momentan interessierte, kam auf der<br />

Mattscheibe. Sie wurde plötzlich so müde, dass sie einfach auf dem Sofa<br />

liegen blieb und sich die Wolldecke, die immer am Lehnen-Ende lag, überzog.<br />

Die hellbraune Decke bot ihr eine wohlige Wärme und sie schlief fast ein, bis<br />

ihr einfiel, dass sie die Handyuhr noch stellen musste, wollte sie nicht<br />

verschlafen. Der Wecker im Zimmer war zur Not ja auch noch an gewesen.<br />

Sie schlief schnell ein.


-13-<br />

Sonntag, 10.45 Uhr, Hotel Schlosshof...<br />

Sabrina war nun schon wieder seit 6 Stunden auf den Beinen und kümmerte<br />

sich wie immer um die Gäste.<br />

„...Und mit dem Telefon können Sie selbstverständlich auch auswärts<br />

telefonieren. Drücken Sie dafür einfach die R-Taste und dann die<br />

Rufnummer. Für Gespräche ins Ausland, bitte ich Sie, sich jedoch an der<br />

Rezeption im Voraus anzumelden. Das Freischalten übernehmen wir dann für<br />

Sie. Haben Sie noch Fragen?“<br />

Sabrina erklärte somit alle nötigen Dinge, die ein Gast in einem Hotel wissen<br />

muss, um einen normalen Aufenthalt zu bestehen. Der Mann, der sich zuvor<br />

als Sicherheitsberater vorstellte, wollte nun einige Details des Tagesablaufes<br />

erfahren. Sabrina schritt mit dem Sicherheitsmann alle Stockwerke ab und<br />

zeigte jeden Fluchtweg und erläuterte gleichzeitig, dass alle Fluchtwege<br />

gekennzeichnet wären und in jedem Zimmer, in jeder Suite eine<br />

Informationsbroschüre bereitliegen würde. Als letztes wurde noch eine<br />

Begehung der Suite gemacht, bei der gesichert wurde, dass das Zimmer in<br />

Ordnung war.<br />

„Ja...Dann bedanke ich mich. Mrs. Witherspoon wird es hier hoffentlich<br />

genauso gefallen wie mir. Wir melden uns dann, wenn wir sie vom Flughafen<br />

abgeholt haben, ja? Sagen sie mir bitte nochmals den Namen, den wir uns<br />

beide ausgedacht hatten?“, fragte Herr Kunz Sabrina.<br />

„Frau Gesine Herzog war das.“<br />

„Richtig.. Genau.... Also dann bis später. Auf Wiedersehen.“, verabschiedete<br />

sich Ingo Kunz von Sabrina. Beide gingen wieder hinunter in das Foyer und<br />

Sabrina sah Herrn Kunz nach, als dieser draußen in diesen dunkelgrünen<br />

Bunker, einer Panzerlimousine mit verdunkelten, kugelsicheren Scheiben<br />

einstieg.<br />

Sabrina wandte sich nun an die Kollegen an der Haupttheke und erläuterte<br />

nochmals das spätere Vorgehen wenn diese Reese Witherspoon auftauchen<br />

würde.<br />

„Okay, nur noch mal zur Wiederholung: Wenn Frau Witherspoon kommt,<br />

macht Ihr alles mit dem Personenschützer aus. Der wird als Einziger mit Euch


eden. Fragt auch besser nicht direkt bei ihr nach, wenn eine Unstimmigkeit<br />

auftaucht. Mrs. Witherspoon wird sich darum nicht kümmern wollen oder<br />

können. Uns kann das ja egal sein. Jedenfalls ist es wichtig, dass ihr die Frau<br />

eben nicht nerven solltet. Sie will nicht auffallen, und das ermöglichen<br />

wir...Alles klar ?“<br />

Maria, die heute wieder „im Team“ war, fragte Sabrina nun ob die<br />

Unauffällige dann nicht besser mit einem Hubschrauber vorbeikommen<br />

sollte, da der Wagen, mit dem Kunz da war, nicht gerade sehr unauffällig<br />

schien.<br />

„Sabrina, mit dem Auto könnte mein kleiner Bruder kommen und die Leute<br />

würden denken, er sei der Sohn eines Milliardärs.“<br />

„Ich habe keine Ahnung, wie die das machen wollen. Wer weiß? Vielleicht<br />

kommen die ja in einer Schrottkarre an und das Auto ist nur eine Ablenkung<br />

für die Fotografen. Ist ja auch egal...Leute? Los gehts !“, beendete Sabrina die<br />

Unterredung.<br />

Der Rest des Arbeitstages gestaltete sich als Routine für Sabrina. Sie machte<br />

wieder gegen 19 Uhr Feierabend, und war froh wieder nach Hause zu fahren.<br />

Als nächtlicher Gegenpart war heute Marcel von Auersee gekommen, um<br />

unter anderem auch den besonderen Gast zu betreuen und um das Hotel `Mal<br />

in Ruhe zu inspizieren´, wie er Sabrina sagte.<br />

Sabrina kam zügig zu Hause an, und hatte beim Aufschließen der<br />

Wohnungstür eine Idee. kurz darauf machte sich Sabrina in der Küche eine<br />

Tassensuppe, nachdem sie bemerkte, dass sie einen Höllenhunger hatte.<br />

`Wenn man eine Frau ist kommt das ja alle 28 Tage vor, ne?´, spöttelte sie mit<br />

sich selbst. Mit der Suppe und etwas gemütlicheren Alltagsklamotten<br />

gekleidet, setzte sie sich im Wintergarten auf einen Sonnenstuhl und genoss<br />

den Sonnenuntergang.<br />

Sie ließ sich die Tomatensuppe schmecken und schloss die Augen ein wenig.<br />

Das Telefon klingelte.<br />

`...Und schon wieder eine Störung...Keine Minute hat man mal für sich!´,<br />

dachte sich Sabrina, die sich auf dem Weg zum Telefon im Wohnzimmer<br />

machte.<br />

„Hallo?“, fragte sie in den Hörer.


„Hi. Ich bin es, Martina. Ich wollte Dich nur an morgen erinnern.“, meldete<br />

sich die Freundin, die Sabrina bei ihrer abendlichen Radtour im Stadtzentrum<br />

angetroffen hatte.<br />

Sabrina grinste.<br />

„Ich hab’s nicht vergessen. Mann, Du kannst nerven! Ich hatte es mir gerade<br />

gemütlich gemacht.“<br />

„Entschuldigung Frau Prinzessin auf der Erbse. Ich habe ja selbst so wenig zu<br />

tun, stimmt’s?“, zog Martina sie auf.<br />

„Ja ja..Wolltest Du was Bestimmtes?“, beschwichtigte Sabrina und fragte nach<br />

Martinas Ansinnen.<br />

„Ja. Ich wollte fragen, ob Du Lust hast zu mir zu kommen. Die Ina und der<br />

Manfred sind da und feiern bei mir Manfreds Geburtstag. Ein paar Leute von<br />

denen kommen zwar auch, aber mehr als sieben sind wir nicht. Und da die<br />

beiden gerade renovieren, habe ich mich geopfert um ihnen eine kleine Party<br />

zu gönnen. Kommst Du?“<br />

„Hm .. Weiß nicht...Ich wollte eigentlich nicht weg...Wie lange wollt ihr fei....“,<br />

wollte Sabrina fragen, als sie ein Kreischen und ein Klicken hörte. Es klang so,<br />

als würde sich Martina dagegen wehren, den Hörer abzugeben. Dann war<br />

eine Männer-Stimme zu hören.<br />

„Huhu, Sabrina... Jetzt komm halt her...Ich würde mich echt freuen!“ Es war<br />

Manfred gewesen.<br />

Im Hintergrund war Lachen zu hören und eine weibliche Stimme, die etwas<br />

unverständliches schrie und wieder lachte.<br />

„Mann ist das laut bei Euch.. Ist ja wie auf einem Kindergeburtstag!“,<br />

wunderte sich Sabrina.<br />

„Gschmarri. Martina ärgert sich bloß, weil sie keine Kraft in den Armen hat.<br />

Fühlst Du dich etwa nicht blutjung?", fragte Manfred, der, wie Sabrina selbst,<br />

auch aus Franken kam.<br />

„Haha. Machst Du Witze? Ich schau jeden Tag in den Spiegel und habe Schiss<br />

zu früh alt zu werden.“, rechtfertigte sich Sabrina mit einem nicht ernst<br />

klingenden Unterton.<br />

„Also?...Was ist nun?“, wollte Manfred ungeduldig wissen.<br />

„.....Hoooooach. Ja ich komm!“, gab Sabrina gespielt entnervt auf.<br />

„Heheee.. Also bis gleich. Tschööö...“, verabschiedete sich Manfred und legte<br />

gleich auf, ehe Sabrina noch irgend etwas sagen konnte.


Sie lief in das Schlafzimmer und suchte sich ein paar, nicht so strenge Sachen<br />

aus, und am Ende hatte sie eine Jeans, einen hellgrauen Kapuzenpulli und als<br />

Schuhwerk grau-pinkfarbene flache Nike Damensportschuhe an.<br />

Es war kurz vor 21 Uhr, als Sabrina bei Martina ankam. Sie klingelte und<br />

wurde von Martina eingelassen. Die beiden Frauen begrüßten sich mit einer<br />

kleinen Umarmung und dem obligatorischen Kuss an die Wange.<br />

„Na? Wie gehts ?“, fragte Martina.<br />

„Habe ich doch vorhin schon gesagt, oder? Bin etwas müde aber eigentlich<br />

gehts.“, antwortete Sabrina.<br />

„Na denn....Komm rein. Wir schauen uns gerade „Wer wird Millionär“ im<br />

Fernsehen an. Ist ganz lustig gerade.“<br />

Martina ging im Gefolge mit Sabrina in das Wohnzimmer, wo Sabrina dann<br />

nacheinander Ina, Manfred und Robert, den Freund von Martina ausmachte.<br />

Die anderen Personen kannte sie nicht gut. Ihre Gesichter hatte sie aber schon<br />

öfter gesehen. Sie wollte die glotzende Runde nicht stören und setzte sich<br />

neben Martina und ihren Freund. Der Fernseher übertönte alles im Raum.<br />

„Für 250.000 EUR beantworten Sie mir bitte folgende Frage: Welcher Begriff<br />

stammt aus dem Türkischen. Ist es A: Kefir, B: Joghurt, C: Feta oder D:<br />

Quark?“, fragte Günther Jauch eine Kandidatin. Die Frau trug eine ratlose<br />

Miene zur Schau.<br />

Günther Jauch indes grinste und setzte eine lockere verschmitzte Miene auf,<br />

und als die Frau anfing wahllos auszusuchen, machte er einen Scherz, bei<br />

dem das Publikum anfing zu lachen und dann klatschte.<br />

„Mensch. Ist doch klar!“, grölte Robert.<br />

Martina sah ihren Freund an und fragte ihn nach seiner Meinung.<br />

„Na Schatz. Was ist es denn? Quark oder wie?“, sagte sie und grinste dann.<br />

„Ha ha ha. Nee. Ich sag jetzt einfach mal: Kefir.“, antwortete Robert<br />

selbstsicher.<br />

Die anderen schauten ratlos und einer der, Sabrina unbekannten Gesichter,<br />

die andere Frau, sagte dann etwas.<br />

„Robert? Was wetten wir, dass Joghurt stimmt?“<br />

„Ha! Ute, mit Dir wette ich bestimmt nimmer! Auf der Messe letztes Jahr kam<br />

ich fast ins Krankenhaus wegen Dir!“, frotzelte Robert zurück.<br />

„Ach Du Armer !“, zog ihn Martina auf.


Sabrina schaute ihn etwas misstrauisch an.<br />

„Wegen dem verstauchten Finger? Willst Du mich verarschen? Du bist ja ´ne<br />

Memme...“<br />

Robert schaute etwas beleidigt und alle waren nun gespannt auf die richtige<br />

Antwort.<br />

„Frau Michels. Sagen Sie was.“, reizte Jauch die Kandidatin.<br />

„Ich nehme jetzt einfach Feta. C: Feta.“<br />

„....Aber Sie wissen es nicht.“<br />

„Nein.“<br />

„Dann hören Sie auf. <strong>12</strong>5.000 EUR sind eine Menge Geld.“<br />

So ging das noch eine Weile bis die Kandidatin das Handtuch warf und<br />

aufhörte.<br />

Martina schaltete, nachdem die Sendung vorbei war, den Fernseher ab und<br />

alle machten es sich gemütlich. Jeder hatte entweder eine Tasse oder ein Glas<br />

mit einem Getränk in der Hand, und Martina schaute Sabrina an, bis sie dann<br />

einen kleinen Schreck bekam.<br />

„Magst Du was trinken? Ich habe einiges da: Bailey´s, Cola, Wodka Lemon.<br />

Die Ute hat Korea gemischt. Sekt ist auch noch da.“<br />

„Hm... Hast Du Mineralwasser?“, überlegte Sabrina.<br />

„Ach Sabrina. Magst Du nicht mit mir anstoßen?“, fragte Manfred<br />

schmollend.<br />

„Ist ja gut... Martina, ein Glas Sekt, ja ?“, revidierte Sabrina ihre Entscheidung.<br />

Martina war in der Küche verschwunden und kam mit einem Sektglas<br />

zurück. Sie gab es Sabrina, die dann ein wenig von der Flasche in das Glas<br />

füllte.<br />

„So... Habt ihr alle was drin? Dann stoßen wir mal mit an... Also! Prost<br />

Manfred.“, forderte Robert die anderen auf, mit zu trinken.<br />

„Prost Manfred !“ schallte es aus allen Mündern.<br />

Nachdem Sabrina ihren Schluck genommen hatte, schaute sie in Richtung<br />

dieser Ute und fragte sie dann direkt, wo sie sie schon mal gesehen hatte.<br />

Diese erzählte dann von Martinas Geburtstag, der im Februar gewesen war.<br />

Da wären sie beide das erste Mal auf einander getroffen. Sabrina erinnerte<br />

sich wieder.<br />

Die anderen zwei kannte sie nicht.<br />

Der eine stellte sich mit Jens vor, der andere mit Jeff.


Den ganzen Abend lang wurde gelacht und geredet. Zwischendurch ärgerte<br />

Robert mal Ute, mal Martina, mal Sabrina. Irgendwann später war Sabrina<br />

mit Jens etwas ins abseits getreten und unterhielt sich etwas ernsthafter mit<br />

ihm.


-14-<br />

Montag, 01.25 Uhr, Martina´s Wohnung...<br />

Inzwischen waren Ina, Manfred und Ute gegangen. Nur noch Jens, Jeff,<br />

Martina, Robert und Sabrina waren mehr oder weniger in der Wohnung<br />

verteilt gewesen. Jeff sprach mit Robert und Martina in der Küche. Sie hatten<br />

so spät noch Lust auf Hawaii-Toast gehabt und waren gerade dabei die Toasts<br />

herzurichten. Sabrina hatte es sich inzwischen gemütlich gemacht und war<br />

mit Jens auf der Couch gesessen. Gelegen wäre die bessere Beschreibung<br />

gewesen, denn Jens hatte Sabrina, die schräg vor ihm lag, zwischen seine<br />

Arme genommen und beide genossen die Stille, bis Jens etwas sagte.<br />

„Sag´ mal, wollen wir Nummern tauschen?“<br />

„Na klar, warum nicht?“, antwortete Sabrina. Beide tippten die Nummer des<br />

anderen in die Handys. Jetzt sah Jens Sabrina lächelnd an.<br />

„Du bist süß. Ehrlich!“<br />

„Danke.“<br />

„Du,... Hättest Du Lust, mal mit mir auszugehen?“, fragte Jens Sabrina<br />

verlegen. Sabrina zögerte mit einer Antwort und brachte nur ein Nicken<br />

zustande.<br />

Sie merkte, wie Jens sie etwas mehr an sich drückte und genoss es sichtlich,<br />

von jemandem umgarnt zu werden. Nach der Sache mit Ronny hatte sie<br />

einmal mehr das Gefühl, dass wohl doch nicht alle Männer nur auf das Eine<br />

aus waren.<br />

Sabrina überlegte, was Jens nun tun würde und war sich trotz ihres Befindens<br />

sicher, dass sie eigentlich damit aufhören sollte, so eng mit Jens zu liegen, da<br />

sie ihn zwar nett fand, aber eben nur nett. Sie schaute ihn an. Ihre Blicke<br />

trafen sich eine lange Zeit und Sabrina fasste den Entschluss, sich nun doch<br />

von der Umarmung zu lösen.<br />

„Jens....Ich will Dir ni...“, wollte Sabrina ihr Vorhaben ankündigen, doch Jens<br />

unterbrach sie mit einem Kuss auf den Mund.<br />

Einen Moment lang war Sabrina verwirrt. Sie wusste nicht, was sie jetzt tun<br />

sollte und ihr Kopf und der Bauch stritten sich um die richtige Entscheidung.<br />

Es wurde in ihrem Bauch kribbelig und letztendlich gewann er die Oberhand.<br />

Sie gab sich dem Kuss vollkommen hin. Die beiden merkten nicht, wie


Martina, Robert und Jeff schon längst aus der Küche zurück gekommen<br />

waren und nun im Wohnzimmer vor einer Kulisse, wie aus Liebesfilmen<br />

standen und sich ein wenig darüber amüsierten, was sie da sahen. Martina<br />

bedeutete den zwei Jungs, dass sie drei besser wieder hinausgehen sollten.<br />

Sabrina wurde aus ihrem tranceartigen Zustand wieder klar und registrierte<br />

die sechs neugierigen Augen. Sie schreckte hoch und schob Jens von sich.<br />

„Ich....Äh....Ich glaube ich gehe jetzt besser! Ich muss bald wieder aufstehen.<br />

Sorry Jens- Martina?“, verhaspelte sich Sabrina in Ausflüchte.<br />

„Ich bringe Dich noch zur Tür.“, sagte Martina.<br />

An der Tür verabschiedete sich Sabrina und bevor sie das Treppenhaus hinab<br />

stieg, wollte Martina noch etwas von ihr wissen.<br />

„Der Jens gefällt Dir, stimmts?“, fragte sie und grinste dabei.<br />

„Ja,äh... Schon, aber....Ich finde ihn einfach nur nett....Mehr nicht.“, versuchte<br />

sich Sabrina zu erklären.<br />

„Wieso? Was ist den mit dem?“, roch Martina den Braten.<br />

„Er ist niedlich. Das ist es ja gerade. Eher so ein Brudertyp. Nicht mein Fall,<br />

weißt Du?“, erklärte Sabrina das genaue Problem.<br />

„Okay, okay. Kein Problem. Aber Sabrina? Eins noch: Sag es ihm bitte früher<br />

als später okay?“, bat Martina dann Sabrina, die Sache ins Reine zu bringen.<br />

„Ja....Mach ich.“, versprach Sabrina ihrer Freundin.<br />

„Ehrenwort!“, setzte sie noch nach.<br />

„Also....Gute Nacht dann Euch Vier.“, verabschiedete sich Sabrina von<br />

Martina.<br />

Sabrina stieg das Treppenhaus hinab und Martina machte die Wohnungstür<br />

leise zu.<br />

Sabrina hatte das ungute Gefühl, dass diese Nacht nicht sehr erholsam sein<br />

würde. Für sie nicht, und bestimmt auch für diesen Jens nicht.<br />

Sie sollte recht behalten, denn als sie zu Hause im Bett lag, konnte sie sehr<br />

lange nicht einschlafen.<br />

`Oh mein Gott ....Ich bin so was von blöde! Eigentlich hätte ich mit Jens<br />

jemanden, der endlich mal nicht so ein machtgeiler, selbstgefälliger Arsch ist,<br />

und dann reicht der mir nicht. Verdammt nochmal !!! Ich hab´s satt. Echt<br />

satt! Ich muss da langsam echt was ändern! Mann, Mann, Mann... Ich glaube,<br />

ich schreibe ihm ´ne SMS.´


Hallo Jens. Es war wirklich nett, Dich<br />

kennenzulernen,aber ich merke, dass zwischen uns nichts<br />

laufen kann! Das gestern Abend war mir irgendwie zu viel<br />

und erdrückt mich und damit habe ich ein Problem!<br />

Respektiere das bitte...Sabrina<br />

Sabrina fühlte sich nach der getippten SMS deutlich besser und sah nun auf<br />

ihren Wecker neben sich. Es war 02.55 Uhr.<br />

Bald schlief sie ein.<br />

Gleichzeitig woanders...<br />

Franziska Bayer war in Sorge. Sie erreichte ihren Vater seit Stunden nicht und<br />

machte sich Sorgen. Dann war sie in ihren Wagen gestiegen und einfach<br />

losgefahren. Ihrem Mann musste eine einsilbige Erklärung reichen. Ihre<br />

Tochter war nicht einmal zu Hause. Wie so oft. Also hatte Franziska den Kopf<br />

frei für ihren Vater.<br />

Sie raste förmlich die A5 hinunter nach Heidelberg und scheuchte jeden<br />

Störer mit der Lichthupe von der Überholspur- eine Untat, die sie<br />

normalerweise hasste. Heute machte sie sich eine Ausnahme.<br />

`Mensch Vati. Bitte lass´ Dir nichts passiert sein. bitte!´, ging es ihr ständig<br />

durch den Kopf.<br />

Später verpasste sie beinahe die Auffahrt zu den beiden Stadtteilen am Hang,<br />

rettete sich aber mit einem beherzten Dreh am Lenkrad, und das Auto fuhr<br />

mit quietschenden Reifen um die Ecke. Es war niemand auf der Straße, was<br />

Franziska mehr als Recht war. Ihre Anspannung erdrückte sie regelrecht und<br />

sie wollte sich keinen Fehler erlauben. Sie krallte ihre Hand so fest in das<br />

Lenkrad, dass sich die Beschichtung oberflächlich löste und auf ihren<br />

Handflächen verteilte wie Schmutz.<br />

Endlich erreichte sie das Haus. Sie schloss die Tür unten auf, rannte die Stufen<br />

hinauf in den Wohnbereich. Die Luft roch seltsam. Sie bemerkte es,<br />

verdrängte es aber, da sie an ihren Vater dachte. Sie eilte in die Küche und das<br />

Büro. Sie sah sich überall um. Auf der Toilette, im Bad, Im Keller, in der<br />

Abstellkammer.<br />

Nichts.<br />

Alles aufgeräumt und sauber. Sie hastete durch den langen Korridor ins<br />

Wohnzimmer. Warum sie sich das Wohnzimmer bis zuletzt aufsparte, konnte<br />

sich Franziska Bayer nie erklären. Bei dem, was sie sah, erschrak sie so sehr,


dass sie zurückschreckte, und fast über eine Kommode gefallen war. Sie<br />

kniete sich hin, schüttelte den leblosen Körper und zitterte überall.<br />

Dann schrie sie, wie sie noch nie geschrien hatte.<br />

Im Haus nebenan...<br />

„Um Himmels willen, was ist denn da los ?!?“, murmelte die Frau, noch im<br />

Halbschlaf. Ihr Mann hatte heute die Nachtschicht- Ihn konnte sie leider<br />

nicht losschicken, um nachzusehen, was da los war.<br />

Also zwang sie sich selbst, aufzustehen und warf sich den Morgenmantel<br />

über. An der Tür holte sie Schlüssel aus einem Schlüsselkästchen in Gestalt<br />

eines Bildes.<br />

Sie öffnete die Tür und trat hinaus auf die Straße.<br />

Der Schrei war so laut, dass man sich selbst auf der Straße schon die Ohren<br />

zuhalten wollte. Sie hämmerte an die Haustür, an der ein Messingschild vom<br />

Bewohner namens H. Burgstädt kündete. Die Tür schwang, wie von<br />

Geisterhand auf. Die Frau, die draußen den Wagen bemerkt hatte, wusste,<br />

wen sie erwarten würde, wenn sie rufen musste<br />

„Frau Bayer?? Hallo??? Ist da jemand? Hallo ?!?“, rief die Frau mit<br />

unverkennbarer Nervosität. Die Uhrzeit war ihr absolut nicht genehm für<br />

einen Besuch bei Fremden. Immerhin war es erst halb 4 morgens!


-15-<br />

Montag, 04.03 Uhr, Aus dem Funkverkehr...<br />

„Status A. 107. Hab da was für euch... in der Bothestrasse13...Heinrich<br />

Burgstädt...Seht euch da mal um.“<br />

„Zentrale von 5/24-30, kommen...“<br />

„30, kommen.“<br />

„Bin in der Nähe. Fahre gerade aus dem Gewerbegebiet Süd raus. Ich fahre da<br />

jetzt hin.“<br />

„30 von Zentrale. Ich schicke noch jemanden hin. 5/24-10, kommen. Rainer<br />

wo bist Du gerade?“<br />

„Hier 10. bin gerade bei den Kollegen von der Bundespolizei am<br />

Hauptbahnhof. Habe mitgehört. Ich fahre sofort los.“<br />

„Zentrale für 10, verstanden. Ende.“<br />

Wenig später nach dem Funkruf waren auch zwei Einsatzfahrzeuge des roten<br />

Kreuzes zur Adresse unterwegs. Sirenen tönten zwischen den Häusern laut<br />

hallend, durch die Stadtteile in Richtung Süden. kurz danach eilte der<br />

Notarzt-Audi, unter den Rotkreuzlern „Heidelberg10“ genannt, die Auffahrt<br />

hinauf und überholte spektakulär ein Taxi. Ein Krankenwagen war dem<br />

Notarzt schon voraus gefahren und in den Hochhausschluchten des<br />

Emmertsgrund verschwunden.<br />

Bald darauf stand die kleine schmale Bothestraße im Schein mehrerer<br />

Blaulichter der Einsatzfahrzeuge. Nachbarn waren herausgekommen und<br />

begutachteten den „Tatort“. Sanitäter stürmten in das Treppenhaus. In der<br />

Wohnung sahen sie einen Mann auf dem Boden liegen. Sie fühlten<br />

gleichzeitig nach Puls und Atmung als der Dritte auf das, durch die<br />

hochgerutschte Hose, entblößte Bein sah. Er hielt inne und fasste nun seinen<br />

Kollegen am Arm an.<br />

„Lasst es Jungs, der ist hinüber. Totenflecken- Hier, hier und hier.“<br />

Alle stoppten gleichzeitig und sahen zusammen auf das Bein auf dem<br />

bodenseitig ein tief roter Fleck, der ein wenig wie ein verlaufenes Muttermal<br />

aussah, zu sehen war. Sofort gab man draußen Bescheid. Währenddessen lief<br />

Holzmann umher und sprach mit verschiedenen Kollegen.


„Hey, Kolcu, was ist denn los?“<br />

„Also wir haben hier ´nen alten Mann, der in seiner Wohnung liegt und tot<br />

ist. Mehr weiß ich nicht.“<br />

„Warum wurden wir eigentlich herbestellt? dass es ein Mord war, steht doch<br />

überhaupt nicht fest.“<br />

„Das sagt ja keiner. Aber als Bulle, und weil Du in der Nähe warst, darfst du<br />

auch zu so was hinfahren.“, antwortete Kolcu mit sarkastischem Unterton.<br />

„Hast ja Recht. Ich denke auch , dass wir uns ein wenig umsehen sollten. Der<br />

ist schon ´ne Weile tot und keiner hat es mitbekommen.“<br />

„Das denke ich auch und deswegen sind wir hier.“, gab Kolcu Holzmann<br />

Recht.<br />

„Und was meinst Du?“ Holzmann sah in die Menge hinter der Absperrung,<br />

die nun aufgestellt wurde.<br />

Mustafa Kolcu sah ihn nachdenklich an. er zog an seiner Zigarette und<br />

dachte kurz nach.<br />

„Naja… Ich weiß nicht. Wir sollten mal nachsehen, ob der alte Herr vielleicht<br />

gesundheitlich nicht in Ordnung war.“, antwortete Kolcu, wenig überzeugt,<br />

dass es etwas anderes hätte sein können.<br />

„Ich gehe mal rein und schau mir die Wohnung an. Vielleicht findet sich<br />

etwas.“<br />

In der Wohnung angekommen, sah sich Holzmann im Wohnzimmer um.<br />

Eine Tasse und eine Kanne standen nebeneinander auf dem<br />

Wohnzimmertisch. Holzmann trat näher heran und begutachtete den<br />

Teebeutel dessen Fähnchen aus der Kanne hing. Earl Grey. Er zog sich einen<br />

Latexhandschuh an und fasste die Kanne an. Sie war zimmer-warm gewesen.<br />

Er roch den Inhalt. Der Frische Teeduft war schon lange verflogen. Er stellte<br />

die Kanne wieder ab und leuchtete mit seiner UV-Taschenlampe jeden<br />

Bereich um den Tisch und notierte sich den Zustand der umstehenden Dinge,<br />

dabei leuchtete er auch über die Gardinen.<br />

Währenddessen mutmaßten Jugendliche auf der Straße, wem denn da etwas<br />

passiert sein könnte.<br />

Die Jugendlichen sahen Taschenlampenlichter umher wandern. Manchmal<br />

sahen sie auch einen gleißend blauen Lichtstrahl. Was dieser Strahl bedeutete,<br />

wusste sie nicht sicher. Sie dachten nur an Schwarzlicht aus der Disko.


Im Haus...<br />

Die Sanitäter packten ihre Geräte ein und verabschiedeten sich kurz<br />

angebunden. Sie wurden von einem Polizisten nach draußen zur<br />

Nachbarwohnung gerufen. Dort solle eine Frau sein, die unter Schock stand<br />

und von der Nachbarin getröstet wurde. Der Notarzt, der bei ihnen war,<br />

hatte, nachdem er Anweisung zum Aufhören gab, noch etwa 30 Minuten<br />

gewartet. Dann prüfte er nochmals alle Lebenszeichen nach Vorschrift durch<br />

und schrieb auf. Holzmann sah sich im Schlafzimmer um und entdeckte<br />

Arzneimittel die Bluthochdruck vermindern sollten. Er schrieb sich die<br />

Namen auf und hatte vor, herauszufinden, welcher Arzt sie diesem Mann, der<br />

wohl Burgstädt hieß, verordnete. Kardiolan retard und ein anderes Herzmittel<br />

lagen auf der Kommode. Auch fanden sich eine Schachtel Aspirin und ein<br />

Vitamin-Präparat.<br />

„Alle Pillen halfen Dir nicht. Schade.“, murmelte Holzmann vor sich hin, als<br />

er alles aufgenommen hatte und gemeinsam mit den Kollegen und den<br />

Sanitätern die Wohnung verließ. Draußen angelangt, zündete sich Holzmann<br />

eine Zigarette an und sah in den Nachthimmel hinauf. Er war müde und<br />

wollte nach Hause.<br />

Das musste noch warten.<br />

Er dachte sich im Stillen, dass er wieder einen beschissenen Tag hatte und ihn<br />

hoffentlich bald beenden konnte.<br />

Die Geräusche von schließenden Autotüren, knackenden und rauschenden<br />

Funkgeräten, sprechenden Leuten, und wegfahrenden Wagen vermischten<br />

sich kurzzeitig in seinem Kopf. Er schweifte mit den Gedanken ab.<br />

Nach und nach leerte sich die Straße. Der Notarzt, der Krankenwagen und die<br />

Polizei verließ nach und nach die Wohngegend. Der herbeigerufene<br />

Bestattungswagen brachte den Leichnam zur Pathologie. Holzmann und ein<br />

paar andere waren schon wieder zu einer Kneipe gerufen worden. Dort soll<br />

eine Schlägerei zwischen Motorradrockern im Gange sein.<br />

Im Konvoi fuhren vier Streifen- und zwei Zivilfahrzeuge zu der gemeldeten<br />

Adresse.<br />


Es herrschte höfliche Stille. Die Runde war angespannt...<br />

„ Heinrich, ich gehe mit Dir zum Arzt und Du wirst sehen...“<br />

Sabrina sah ihrem Chef warmherzig an...<br />

„ Eine Schöne Nacht dann, die Herren...“<br />

Burgstädt fühlte sich schuldig, ließ es sich aber nicht anmerken...<br />

`Sie starren uns an wie Tiere.´, dachte Burgstädt als sie ihn und Sabrina<br />

verabschiedeten...<br />

Earl Grey, seiner und Hilda´s Lieblingstee mit wenig Milch und Zucker...<br />

Fauliger Geruch. Eine blau angelaufene Fratze starrt ins Leere...


Aus dem Polizeibericht und dem Krankenblatt...<br />

Name: Franziska Bayer geb. Burgstädt<br />

Wohnhaft: Klingenstraße 3,60388 Bergen-Enkheim<br />

Geboren am: 24.10.1958 Familienstand: Verheiratet<br />

DZA: Montag, 26.05.2014 UZA: 04:21<br />

Bemerkungen: Tochter des Verstorbenen/ Erste am Fundort<br />

AKZ.: STA/64773JS2014 Dienststelle: 1/26/1<br />

Vernehmung durch: PHK Heiler<br />

Am Abend des gestrigen Tages (Sonntag, 25.05.), hatte ich meinen Vater<br />

angerufen um ihn nach seinem Befinden zu fragen, und zu wissen ob ihm<br />

was fehlte. Als ich es schon vier Stunden mehrmals vergeblich versuchte, fing<br />

ich an mir Sorgen zu machen. Es war ja schon dunkel und weil ich wusste,<br />

dass er so spät üblicherweise nicht fortging, entschloss ich mich, zu ihm zu<br />

fahren. Gegen 02.58 Uhr (Mo, 26.05) kam ich in Heidelberg in der<br />

Bothestraße 14, PLZ 691/26, an und schloss die Haustür auf. Als ich im Haus<br />

war fiel mir sofort ein seltsamer Gestank auf...(Aussage wird unterbrochen, da<br />

Zeugin einen Zusammenbruch erleidet)<br />

UZA 05:08: (Zeugin fährt auf eigenes Verlangen mit der Aussage fort.)<br />

Da mein Vater für gewöhnlich an Essen nichts liegen ließ, was dann schlecht<br />

werden konnte und auch sonst sehr penibel war, war es seltsam das es nach<br />

verdorbenem Fleisch roch. Erst dachte ich mir nichts dabei, da man ja in 24<br />

Jahren Single-Haushalt als alter Mann doch schon das eine oder andere Essen<br />

wegschmeißen muss. Aber dann entdeckte ich, dass die Küche sauber und<br />

aufgeräumt war. Im Wohnzimmer wollte ich nachsehen, ob er eingeschlafen<br />

war, und sah dort was passiert war: Er lag bäuchlings gekrümmt, den Kopf in<br />

Richtung Eingang. Er lag so da, als hätte er einen Krampf gehabt. Ich bin noch<br />

völlig fertig. Ich schrie mir die Seele hinaus und Frau Wirczewski (Nachbarin,<br />

Bothestraße 11) kam herbei und alles was ich noch weiß ist, dass sie mir die<br />

Hand hielt.<br />

GEZ. Franziska Bayer Dienstsiegel


RUPRECHT-KARLS-UNIVERSITÄT<br />

UNIVERSITÄTSKLINIKUM HEIDELBERG<br />

-Innere Medizin-<br />

ERSTAUFNAHMEPROTOKOLL<br />

TAG: 26.05.2014 ZEIT: 04.31 Uhr<br />

ARZT: Fiedel<br />

Patientin ist eine 58 jährige Frau mit einer guten physischen Grundkondition.<br />

Festzustellen war, dass sie infolge eines schweren Traumas einen<br />

hochgradigen Sauerstoffmangel erlitten hatte. Durch diese eingetretene<br />

Hypoxie konnte der Organismus nicht mehr ausreichend versorgt werden,<br />

wodurch es dann kardial zu hypertonischen Reaktionen kam. Durch die<br />

Anstrengungen kehrte sich das Krankheitsbild schließlich in Hypotonie um<br />

und daraus resultierend Bradykardie-Erscheinungen. (Blutdruck: Systolisch<br />

100 Diastolisch 58). Veranlasst wird ein Hypoxietest.<br />

Anbei Werte des Sauerstoff-Respirogrammes.<br />

¢ Befund ; Blutwert ¢ Befund ; ¢ Erbrechen ¢ Übelkeit.<br />

Zur stabilisierenden Beobachtung wird eine stationäre Aufnahme für<br />

mindestens einen Tag angeordnet. Medikation: 150 mg Kalium (Oral)<br />

¢ sonstige Maßnahmen<br />

SIG: Fiedel<br />

STATIONSSIEGEL<br />

PN: 0048-887-32 UKH..09/93<br />

Vordruck 61/02


-16-<br />

Montag, 04:45 Uhr, Sabrina´s Wohnung...<br />

Der Wecker klingelte erbarmungslos und Sabrina fügte sich murrend ihrem<br />

Schicksal, nun doch aufzustehen. Sie schaltete den Wecker aus und stand<br />

seufzend auf. Sabrina stöhnte schlaftrunken und dachte nur daran, dass sie<br />

eigentlich noch schlafen wollte.<br />

`Mann....Ich Idiot! Warum bin ich nicht früher weg!?´, dachte sie.<br />

Sie zog sich an und machte die allmorgendliche Wanderung in ihr Bad. Dort<br />

angekommen, musterte sie sich im Spiegel und war zu der Ansicht gelangt,<br />

dass sie heute morgen wie diese braun-weiß gescheckten Hunde aussah. So<br />

ein richtig drollig-blöd dreinschauender Beagle!<br />

Sabrina versuchte sich einzureden, was sie denn für eine gute Laune hatte.<br />

„Hey Super! Ich bin ja so fit. Ich könnte glatt senkrecht die Wände hoch<br />

klettern! Ich brauche auch wirklich wenig Schlaf !“, sagte sie sich zynisch.<br />

„Ist mir recht, dass ich arbeiten muss. Habe ja sonst so viel Freizeit. Da kann<br />

man getrost auch mal bis in die Morgenstunden bei irgend jemand<br />

abhängen- Einfach nicht nachdenken, scheiß drauf.... Ach Mann. Fuck you!“,<br />

fluchte Sabrina und nahm sich ein Q-Tipp um die Wimperntusche vom<br />

Vorabend abzuwischen. Danach putzte sie sich noch die Zähne mit ihrer<br />

elektrischen Bürste.<br />

`Ich hätte da nicht so lange hingehen dürfen. Wir treffen uns doch sowieso<br />

bald wieder. Wann war das doch gleich? ..Ach egal.´, dachte sie sich, als sie<br />

wieder zurück im Schlafzimmer war und sich inzwischen umgezogen hatte.<br />

Danach war sie wie automatisiert, schon dabei, das Frühstück zu sich zu<br />

nehmen, welches sie dann vorbereitet hatte. Eine Schüssel Müsli, eine Tasse<br />

Kaffee, ein Vollkornbrötchen- kurzum, alles wie immer.<br />

Kurze Zeit später streifte Sabrina einen Blazer über, schnappte sich die<br />

Mappe und ihr Handy, und zum Schluss nahm sie die Wagenschlüssel von<br />

der Kommode. Sie öffnete die Wohnungstür, hielt kurz inne, um gedanklich<br />

zu prüfen, ob sie alles bei sich hatte und auch alles ausgeschaltet war. Dann<br />

ging sie, wie jeden Tag, in das zweite Untergeschoss und stand schließlich vor<br />

ihrem Wagen. Die Tür aufgeschlossen und schon nach dem Griff tastend,<br />

bemerkte Sabrina eine Schramme etwa in der Mitte der Tür.


„So ein Mist!!!“, ärgerte sie sich laut. `Wie ist das denn schon wieder passiert?<br />

´, dachte sie, als sie in den Wagen stieg. Brüllend verließ RH-R 3951 die<br />

Tiefgarage und fuhr, genau wie wenige andere Frühaufsteher, Richtung<br />

Stadtzentrum.<br />

Sabrina sah auf die Uhr und stellte fest, dass es kurz nach halb Sechs<br />

geworden war. Die Frische-Fuhre, die jeden Mittwoch angeliefert wurde,<br />

musste schon angekommen sein, und das Küchenpersonal würde es gerade<br />

entgegen nehmen. Sabrina machte es sich wegen der Qualitätssicherung zur<br />

Aufgabe, einmal jeden Monat in die Küche hinunter zu gehen und den<br />

Wareneingang zu prüfen. Als sie am Hotel ankam, machte sie sich sofort auf<br />

den Weg.<br />

In der Küche war geschäftiges Treiben zu beobachten. Das Frühstück stand<br />

gerade an, und das Personal war mit dem Service für die zahlreich erschienen<br />

Hotelgäste, beschäftigt. Außerdem wurde schon die Mis en pláce für das<br />

Mittagessen getätigt.<br />

Ohne den Chefkoch lange aufzuhalten, gab Sabrina ihm durch einen kurzen<br />

Wink „Hallo“ zu verstehen und ging an der Küchenzeile vorbei in Richtung<br />

Kühlhaus. Sabrina zog den dick gepolsterten Parka an, der an dem<br />

Kleiderhaken neben den Mänteln von Hackford und Burgstädt hing, und ging<br />

in die Kühlzelle hinein. Drinnen schaltete sie das Licht ein und schaute in die<br />

Regale. Dabei achtete sie auf die richtige Ablage der einzelnen Lebensmittel.<br />

Unter anderem achtete sie auch auf die entsprechenden Daten auf den<br />

Kartons, zum Beispiel auch auf das Haltbarkeitsdatums jedes einzelnen<br />

Produktes. Im Fleischhaus schaute sie ob alle kleineren Fleischportionen<br />

sauber verschweißt waren und ob die großen Teile wie auch die Keulen alle<br />

mit den Stempeln versehen waren, die auf die Herkunft, das Alter des Tieres<br />

und das Schlachtdatum schließen ließen. In einem Separée warf Sabrina kurz<br />

noch einen Blick auf die Meeresfrüchte und Fische, die hier lagerten. Die<br />

Langusten und die Hummer hatten alle die richtige Farbe und aufgrund der<br />

dicken Panzerung konnte Sabrina von ihrem gewohnten Standard ausgehen.<br />

Als es ihr nun ein wenig zu kalt wurde, beeilte sie sich noch, schnell ins<br />

Gemüseregal zu schauen, um dann wieder aus diesen kalten Kühlzellen zu<br />

verschwinden.


Die Jacke hängte Sabrina an den Haken und machte sich fröstelnd auf den<br />

Weg in den Speisesaal um auch dort nach dem Rechten zu sehen.<br />

Im Speisesaal grüßte sie kopfnickend oder „Guten Morgen“ sagend jeden<br />

Gast, der Augenkontakt mit ihr hatte. Sie schaute aufmerksam nach, ob alle<br />

Tische getreu der Gegebenheiten der Gastronomie eingedeckt waren. Sie<br />

stellte auch zufrieden fest, dass neben den Kerzenleuchtern auf den einzelnen<br />

Tische, diesmal auch wieder die Leuchten am Buffet und die an der<br />

Eingangstür zum Saal angezündet worden waren, nachdem sie vergangene<br />

Woche mehrmals gelöscht und dann vergessen wurden.<br />

Stunden später...<br />

Inzwischen war es 16.37 Uhr geworden und Sabrina hatte noch viele andere<br />

Dinge erledigt wie Unterlagen sortieren, Kassenbelege abheften und- was<br />

ganz wichtig für diese Woche war- die Geldkassette für den Geldtransporter<br />

fertig zu richten. Es kam vor, dass gewisse Kunden, mit welchem Hintergrund<br />

auch immer, die Rechnungen mal eben mit großen Scheinen bezahlten. Und<br />

bei solchen Aktionen kamen Dutzende Euro in diese Geldkassette, die Sabrina<br />

bald nicht mehr so gerne in ihrem Büro hatte. Den Safe in dem kleinen<br />

Unterredungszimmer nebenan, mochte sie ja schon nicht, aber auch noch die<br />

Geldkassette im Büro - Nein, das tat sie sich wirklich nicht gerne an!<br />

Sabrina füllte den Schein für den Geldtransporter aus und kreuzte aus der<br />

Gewohnheit heraus das Unterschriftenfeld für den Fahrer an. Dann fiel ihr<br />

wieder ein, dass sie noch bei dem Elektriker anrufen musste, dessen Firma im<br />

Haus die Deckenbeleuchtung während der Renovierung Ende März montiert<br />

hatte. Dabei war es zu mehreren Zwischenfällen gekommen, die diese Firma<br />

auf eigene Kosten beseitigen musste Es entstand durch Schlamperei und<br />

dadurch der Verzögerungen ein Schaden um die 45.000 EUR.<br />

Die Eingangstür des Hotels öffnete sich und drei Männer betraten das Hotel.<br />

Zwei von ihnen waren der Kleidung nach offensichtlich Polizisten gewesen.<br />

Der Mann in Zivil schaute sich kurz um und bedeute dem einen<br />

Uniformierten, er möge sich im Foyer einmal umschauen, ob er den Manager<br />

des Hauses auftreiben konnte. Der Mann selbst ging mit seinem Kollegen an<br />

die Rezeption und sprach den Angestellten an.<br />

„Entschuldigen Sie uns bitte. Wir suchen den stellvertretenden Hotelmanager<br />

des Hauses. Können sie mir sagen wo wir den Herrn finden können?“


Heiko Schmidt, der an diesem Tag auch an der Rezeption eingeteilt war,<br />

lächelte und korrigierte den Mann.<br />

„Sie finden...Der zweite Hotelmanager ist eine Sie.“<br />

„Oh Entschuldigung, das wussten wir nicht. Danke, nichts für ungut“;<br />

antwortete der Zivilbeamte verlegen auf diese Berichtigung.<br />

Heiko nahm den Hörer des Telefons vor ihm ab und wählte eine dreistellige<br />

Nummer.<br />

Gleichzeitig woanders...<br />

Sabrina war gerade dabei Burgstädt anzurufen. Sie wunderte sich inzwischen<br />

schon sehr, da sie ihn schon langem nicht erreichen konnte. Sie konnte sich<br />

zwar nicht vorstellen, dass er blau machen und verreisen würde, war aber<br />

inzwischen etwas besorgt, was da los sein mochte. Gerade als sie nach langem<br />

Freizeichen aufgeben wollte, und den Freisprechknopf zum Auflegen drückte,<br />

klingelte das Telefon gleich wieder. Sie nahm den Hörer ab.<br />

„Ja? Gibt es Probleme?....Aha......Ich komme sofort....Ja...Bis gleich.“<br />

Sabrina stand vom Sessel auf und begab sich nach draußen, um die Polizisten<br />

in Empfang zu nehmen, die sie schon an der Tür zum Büro erwarteten. Sie<br />

nickte Heiko zu, dass alles okay sei, und bat die drei – Der eine Polizist war<br />

inzwischen auch wieder dabei- zu sich in das Büro. Sie bemerkte nicht sofort,<br />

dass einer der drei ihr schon einmal über den Weg gelaufen war. Im Büro bot<br />

sie den Besuchern einen Sitzplatz und einen Kaffee an. Alle lehnten letzteres<br />

ab, setzten sich jedoch jeder auf einen Stuhl. Auch Sabrina setzte sich.<br />

„Ich heiße sie willkommen im Schlosshof. Mein Name ist Sabrina Seiler. Was<br />

kann ich für sie tun?“<br />

Sabrina lächelte freundlich und war insgeheim neugierig auf das, was die<br />

Herren ihr nun sagen würden. Sie wartete ruhig auf eine Antwort und faltete<br />

ihre Hände ineinander.<br />

„Mein Name ist Rainer Holzmann, das hier ist Robin Höffler und dieser nette<br />

junge Mann ist Steffen Münzer. Wir sind gekommen um ihnen eine leider<br />

schlechte Nachricht mitzuteilen und möchten gerne ein paar Dinge<br />

besprechen.“<br />

Sabrina wurde innerlich immer unruhiger. Der Gedanke, dass sie Holzmann<br />

nun erkannte, tröstete längst nicht darüber hinweg, dass sie ein sehr ungutes<br />

Gefühl hatte. Erst tagelang niemand bei Burgstädt zuhause zu erreichen und<br />

nun das....


„Ist etwas passiert?“, fragte Sabrina freundlich aber bestimmt.<br />

„Nun...Mir fällt es nicht leicht...Heinrich Burgstädt ist heute Nacht in seiner<br />

Wohnung tot aufgefunden worden. Wir wissen selbst noch nicht genau, was<br />

passiert ist, möchten jedoch im voraus ein paar Dinge klären, wenn Sie<br />

möchten und können.“, führte Holzmann aus.<br />

Sabrina´s Kopf hätte platzen können vor lauter Pochen. Sie war tief<br />

erschüttert und wusste eine Sekunde lang, nicht mehr, wie sie sich<br />

professionell zu verhalten hatte.<br />

„Sicher dürfen Sie! Hatte er einen häuslichen Unfall? War es ein<br />

Herzinfarkt?...“<br />

Holzmann und die anderen wurden hellhöriger. Rainer dachte über den<br />

nächsten Satz nach, den er nun bringen wollte.<br />

„Hatte Herr Burgstädt schon öfter Beschwerden in diese Richtung gehabt?<br />

Was wissen Sie darüber?“, fragte Holzmann etwas zu neugierig.<br />

Sabrina dachte kurz nach und antwortete dann.<br />

„Soweit mir bekannt ist, hatte er letztes Jahr nach einer schweren Grippe<br />

Probleme bekommen, als er wieder zu arbeiten begann. Ich bat ihn, sich bei<br />

einem Arzt untersuchen zu lassen. Er wollte dies erst nicht. Nachdem ich ihn<br />

aber etwas nachdrücklicher darum ersucht hatte, machte er einen<br />

Vorsprechtermin aus. Wenn ich mich recht erinnere, sagte man ihm, er solle<br />

sich schonen. Andernfalls rechne man mit größeren Schwierigkeiten.“<br />

„Woher wissen Sie das alles?“, wollte Holzmann von Sabrina wissen.<br />

„Burgstädt und ich haben immer ein herzliches Verhältnis gehabt. Ich denke<br />

er mochte mich. Jedenfalls hatten wir, bis auf kleinere Auseinandersetzungen<br />

unwichtiger Art, nie Schwierigkeiten miteinander gehabt.“<br />

„Auseinandersetzungen? Welcher Art?“<br />

„Naja. Ich muss zugeben, dass ich ein richtiger Dickschädel sein kann, was<br />

Bedenken angeht, die ich in manchen Dingen habe. Dann waren<br />

Diskussionen gelaufen über dieses und jenes. Ich meine, Burgstädt hatte mich<br />

zwar oft schon ermahnen müssen oder einmal herausschmeißen wollen, aber<br />

unser Verhältnis war zuweilen eher familiär.“<br />

„Hatte er private Probleme? Geldsorgen? Krach mit der Familie?“<br />

„Nicht, dass ich wüsste. Es ist nur so, dass wir geschäftlich etwas Probleme<br />

haben. Wir, das heißt ich bin deswegen ziemlich arg in Sorge um das Hotel.


Burgstädt ging das alles auch sehr nahe in letzter Zeit. Er ist schon lange hier<br />

im Haus tätig, wissen Sie.<br />

„Und das hat ihm zu schaffen gemacht?“<br />

„Ja! Er zeigte es nicht öffentlich aber er litt. Zumindest sah man ihm das<br />

manchmal an. Die Sorgen beutelten ihn aber schon eine Weile so sehr, dass<br />

er, ohne es zuzugeben, die Aufgaben abgeben wollte. Er delegierte immer<br />

mehr an mich weiter...“<br />

Nach einer, noch einige Minuten andauernden Unterhaltung sah Holzmann<br />

zu den beiden Kollegen hinüber und nickte. Alle drei standen auf und<br />

Holzmann wandte sich wieder Sabrina zu.<br />

„Ich danke ihnen für diese Informationen. Wir werden uns melden, wenn wir<br />

ihre Hilfe brauchen. Ach..äh, kennen sie seine Tochter?“<br />

„Franziska? Ja, ich kenne sie flüchtig. Warum?“<br />

„Nichts. Sie sagte uns nur, dass wir Ihnen ausrichten sollten, dass sie in den<br />

nächsten Tagen vorbeikommen wollte, um Burgstädt´s Sachen abzuholen und<br />

den nötigen Papierkram mit Ihnen durchzugehen.“<br />

„Danke. Ich werde alles Nötige veranlassen und mich auch mit Frau Bayer in<br />

Verbindung setzen.“<br />

„Gut. Das wäre es dann fürs Erste. Kommt, Wir gehen.“<br />

Holzmann sah den Kollegen beim Verlassen des Büros zu. Doch bevor<br />

Holzmann selbst aus dem Büro hinaus ging, drehte er sich nochmals um.<br />

„Frau Seiler, Es tut mir Leid. Ich hätte sie liebend gerne unter anderen<br />

Umständen wieder gesehen.“<br />

Holzmann fasste sich in die Innentasche seines Jacketts, das er heute an hatte,<br />

und holte eine Visitenkarte heraus, auf der, der Name, der Dienstgrad, die<br />

Telefonnummer dienstlich und die Handynummer vermerkt war. Er<br />

schnippte die Karte auf den Schreibtisch.<br />

„Ist in Ordnung.“, entgegnete Sabrina.<br />

Sabrina musterte Holzmann kurz , dann lächelte sie ein wenig.<br />

„Hey. So sehen Sie viel besser aus.“<br />

„Ja. Stellen Sie sich vor, mein Gesicht hat schon mal so was wie einen Rasierer<br />

kennen gelernt. Also, Frau Seiler. Bis dann“<br />

Sabrina sah Holzmann nach, als der sich dann umdrehte und endgültig aus<br />

dem Raum verschwand. Dann fiel ihr der Schmerz wieder ein. Sie rieb sich,


wie morgens schon, die Schläfen und dachte nach. Als sie sich umdrehte und<br />

aus dem Fenster ins Neckartal blickte, konnte sie ihren Tränen keinen<br />

Widerstand mehr leisten.<br />

Draußen in einem Auto...<br />

„Und? Meinst Du die verkraftet das?“, fragte einer der Beamten Holzmann.<br />

Holzmann war ein wenig in seine Gedanken versunken und hörte Münzer<br />

nicht.<br />

„Hey, Mann was ist denn los mit dir?“, sagte Münzer und zog an Holzmanns<br />

Jackenärmeln.<br />

„Ja ja Jetzt mach ma´ langsam. Ich habe Dich schon gehört, okay?“<br />

„Sag´ mal: Bist Du verknallt?“, wunderte sich der andere Polizist. Eigentlich<br />

scherzte er.<br />

„Der hat die so komisch angesehen, hast Du das nicht gemerkt?“, antwortete<br />

Höffler.<br />

„Könnt´ ihr mal eure Fresse halten?“, unterbrach Holzmann die<br />

Mutmaßungen wütend und fuhr los.<br />

An der Direktion angekommen, stiegen alle drei aus und Holzmann machte<br />

sich auf den Weg in sein Büro, um den Schreibkram zu erledigen, der sich<br />

aufgetürmt hatte und er seit Tagen im Rückstand mit Berichten an seinen<br />

Vorgesetzten lag.<br />

Es klopfte.<br />

„Herein.“, murmelte Holzmann vertieft in seinen Bericht.<br />

Eine junge Frau trat ein. Sehr aufreizend gekleidet aber garantiert noch keine<br />

20.<br />

„Was wollen Sie?“ Holzmann mochte es nicht, wenn vom Revier Leute direkt<br />

hoch geschickt wurden.<br />

„Ich- ...“, fing die Frau an um dann stumm zu bleiben. Holzmann sah sie<br />

fragend an.<br />

Die Frau sah Holzmann verängstigt an und traute sich nicht, zu sprechen.<br />

Genervt, trommelte Holzmann abwartend mit den Fingern auf den<br />

Schreibtisch.<br />

„Verstehen bitte. Meine Lage. Ich schlimme Situation, Große Problem.“,<br />

begann die junge Frau wieder zu sprechen.


„Was ist das für ein Problem?“, sagte Holzmann gelangweilt. Auf die Frau<br />

hatte er gerade keine Lust. Ihn nervte, was die Kollegen im Auto sagten, und,<br />

dass er noch eine Menge zu tun hatte. Holzmann wollte gerade aufstehen, um<br />

die Frau hinaus zu bitten.<br />

„Shkodran plant etwas.“, sagte die junge Frau unerwartet. Dann fing sie an,<br />

alles zu erzählen.<br />

Gleichzeitig woanders...<br />

„Wo ist diese dreckige Fotze hin!!! ALINA!!!“, schrie der Mann im Haus<br />

herum. Die Frau, die er rief, versteckte sich zitternd auf der Toilette. Es roch<br />

überall nach Urin und Schweiß und alter Wäsche. Geputzt wurde hier schon<br />

lange nicht mehr.<br />

„Alina, Du Schlampe! Komm` raus! SOFORT !“, brüllte der hagere aber große<br />

Mann weiter. Er ging an den Zimmern vorbei und die anderen Mädchen<br />

sahen ihm ängstlich nach.<br />

Alina zitterte und krallte ihre Finger in ihr Maschenkorsett. Sie grub ihre<br />

Nagel tief in die Haut darunter. Plötzlich hörte sie stampfende Schritte in ihre<br />

Richtung. Sie fing an, auf rumänisch zu beten. Plötzlich dachte sie an ihr<br />

Zuhause. Sie fühlte Heimweh.<br />

„Ich mach dich kalt, Du Dreckstück!“, drohte der Mann. Dann entdeckte er<br />

die abgeschlossene Toilette.<br />

„Ah, da bist du ja.“, sagte er fast warmherzig und freundlich. Er lächelte und<br />

zog eine Pistole.<br />

„Sag´ mir sofort wo Natascha ist! Und mach´ die Tür auf !!!“, forderte der<br />

Mann.<br />

„Nein. Ich mache nicht. Sie weg! Zum Glück!“, traute sich Alina zu sagen und<br />

bereute es sofort. Der Mann verzog das Gesicht und trat die alte Holztür ein.<br />

Er zog Alina an den Haaren auf den Flur. Sie schrie verzweifelt um ihr Leben.<br />

Die anderen Mädchen sahen nur hilflos zu. Manche weinten.<br />

Hören konnte sie alle niemand.<br />

Der Mann lechzte wie eine Bestie und riss Alina das Korsett herunter. Dann<br />

warf er sie vornüber auf den Boden.<br />

„Jetzt bist Du fällig!“, zischte er ihr von hinten ins Ohr.<br />

Dann rammte er den Pistolenlauf grausam in ihren Unterleib.<br />

Alina erstarrte wie eine Puppe. Bald quoll Blut aus ihr heraus, aber er machte<br />

weiter. Er schob den Lauf immer tiefer hinein und heraus. Alina verdrehte


ald die Augen. Sie verlor sich in Gedanken. Weg von diesem Haus. Diesem<br />

Land. Diesem Leben. Sie wurde ohnmächtig.<br />

Der Mann sah die anderen Mädchen und lachte dämonisch.<br />

Dann drückte er ab.<br />

-17-<br />

Donnerstag, 16.53 Uhr, Sabrina´s Wohnung...


Sabrina war nun schon seit fast 24 Stunden nicht mehr in der Arbeit. Marcel<br />

von Auersee hatte sie persönlich beurlaubt, um ihr nach der harten Arbeit in<br />

den letzten Wochen und dem darauf folgenden Schock etwas Pause zu<br />

gönnen. Sabrina hielt es zeitweise zuhause nicht aus. Sie fühlte sich unnütz.<br />

Irgendwie fehl am Platz. Aber sie akzeptierte ihre Lage demütig.<br />

Sie war gerade dabei ihre Melancholie und diese Niedergeschlagenheit mit<br />

einem Kaffee zu ertränken, den sie sich zuvor gekocht hatte. Jetzt saß sie nur<br />

mit T-Shirt und Slip bekleidet und mit dem Kaffee bewaffnet auf der Terrasse.<br />

Im Moment war ihr alles scheißegal gewesen.<br />

Das Telefon klingelte.<br />

Sabrina nahm das Mobilteil in die Hand und drückte die grüne<br />

Annahmetaste.<br />

„Hallo?“<br />

„Hey Sabrina. Ich bin es, Martina. Wir wollten uns doch heute Abend<br />

bekochen und dann ins Kino gehen! Schon vergessen?“<br />

„Was? Oh mein Gott.....scheiße!!!“, fiel es Sabrina wieder ein.<br />

„Hey. Ist irgendwas?“<br />

„Du....Ich mag jetzt nicht drüber reden. Später...Ja? Wann war das noch mal<br />

mit dem Treffen?“<br />

Sabrina rieb sich den Nacken und wartete angestrengt auf die Antwort. Lust<br />

hatte sie irgendwie gar nicht darauf, nur wollte sie sich auch nicht gerade für<br />

den Rest des Urlaubs einschließen<br />

„Halb acht bei mir. Du hattest mir gesagt, dass Du sowieso einkaufen wolltest<br />

und, dass Du dann Deinen Part mitbringst, wenn Du kommst. Ich muss kurz<br />

noch auf die Bank, etwas erledigen. Falls ich noch nicht da bin, warte bitte<br />

kurz , ja? Robert ist nicht zuhause. Ist mit Jeff zum Elektroladen. Jeff wollte<br />

sich, glaube ich, ein Ipad kaufen.“<br />

„Mach´ ich dann. Also, Ciao.“<br />

„Tschüss“, sagte Martina noch und legte auf.<br />

Sabrina trottete in ihr Schlafzimmer, warf ihre Unlust über Bord und zog sich<br />

dann zügig an. Sie streifte einen grauen Kapuzenpulli über und zog eine<br />

Bluejeans an. Heute wollte und musste sie nicht fein aussehen. Dann ging sie<br />

in die Küche, um ihre Tasse an die Spülmaschine loszuwerden und überlegte,


was sie genau brauchten, zu ihrem Gemüse- Schinken-Gratin, das die beiden<br />

kochen wollten.<br />

„Okay...250 Gramm Broccoli, 200 Karotten, 200 Gramm Kartoffeln, 200<br />

Kochschinken, Mehl-Schwitze, Sahne, … Okay!“, zählte sie laut auf und<br />

schrieb gleichzeitig den Einkaufszettel. Dann streifte sie sich ihre dünne<br />

Freizeitjacke über, zog ihre Stiefel an und machte sich auf den Weg in den<br />

Supermarkt um die Ecke.<br />

Im Supermarkt angekommen, lief Sabrina zügig durch die Gänge und<br />

schnappte sich nach und nach alle Utensilien, die sie sich aufgeschrieben<br />

hatte und dazu eine Flasche Primitivo.<br />

Alles um sie herum wuselte hektisch herum wie sie selbst. Sabrina wollte<br />

vermeiden, Martina warten zu lassen, um zu riskieren, dass sie den Kinofilm<br />

verpassen, den Sabrina und sie besuchen wollten. Der Andrang im Laden war<br />

fast so, als ob alle befürchteten, der Laden mache die nächsten 2 Wochen zu.<br />

Sabrina war gerade fertig geworden mit dem Einkauf und stellte sich an der<br />

Kasse an.<br />

Heute war wieder so ein Tag, an dem eine Menge Leute fluchten, warum es<br />

nicht schneller ginge, warum nur eine Kasse geöffnet hätte, warum alles leer<br />

war und so weiter. Sabrina mochte solche aufmüpfigen Menschen nicht. Sie<br />

war der Meinung, solche Typen verbreiteten nur Unruhe. Und das nervte<br />

Sabrina ultimativ.<br />

Zwei Kunden waren noch vor ihr, ehe sie an der Reihe war.<br />

Sabrina schaute der Kassiererin zu wie sie routiniert das Geld abzählte, das<br />

Rückgeld und den Bon zurückgab und schon wieder die nächsten Artikel im<br />

Eiltempo über den Scanner zog. Als sie fertig war, sagte das rothaarige, etwas<br />

beleibte Mädchen laut den Preis auf und wartete dann auf das Geld, welches<br />

wieder zügig gegen Wechselgeld getauscht wurde. Sabrina kannte das<br />

Mädchen, seit dem sie hier wohnte. Sie fand die Kassiererin sehr nett. Diese<br />

klagte auch hin und wieder ihr Leid mit der Arbeit. Aber das tat sie nur, wenn<br />

sie Sabrina draußen begegnete. Die Kassiererin war froh, das es Leute wie<br />

Sabrina gab, die ihr trotzdem schmeichelten.<br />

Jetzt war Sabrina dran.<br />

„Hallo. Wie gehts?“, grüßte Sabrina ihre kundengeschädigte „Leidgenossin“.<br />

„Oh, Hallo....Ganz gut. Mein Rücken tut mir weh, aber es geht noch.“<br />

„Oje.. Gute Besserung.“


Die Kassiererin zog alles über den Scanner. Bei dem Hackfleisch riss das<br />

Mädchen den Bon ab und zog ihn ebenfalls über die roten dünnen Lichter des<br />

Lasers.<br />

Nichts passierte außer ein langes Piepen.<br />

„Oh.“<br />

Die Kassiererin bemerkte, dass sie so heftig am Papier gezogen hatte, dass sie<br />

damit die Hälfte des Barcodes weggerissen hatte. Sie seufzte leise und doch<br />

hörbar und tippte den Zahlenblock der unter dem Barcode aufgedruckt war,<br />

manuell ein.<br />

„Macht nichts. Ist ja nicht schlimm“, sagte Sabrina.<br />

Sabrina lächelte tröstend und schaute dem Mädchen noch zu wie sie den<br />

letzten Artikel noch über das Licht zog.<br />

„35.96 bitte“, sagte die Kassiererin den Preis an.<br />

„40“, bot Sabrina laut an, und die Kassiererin tippte 4-0-0-0 ein und wartete,<br />

bis die Schublade aufspringen sollte. Sie tat es nicht!<br />

Die Kassiererin schaute etwas verwirrt und rüttelte leicht an der Schublade,<br />

die gewöhnlich, durch eine Feder unterstützt, fast von selbst aufsprang. Alles<br />

was sie tat, half nicht und sie gab schließlich auf und rief die Marktleiterin<br />

mit dem Mikro herbei.<br />

„Frau Kalb bitte an die Kasse.“<br />

Als die Marktleiterin mit Vera, so hieß das Mädchen, die Schublade trotz<br />

mehrmaligem Versuch nicht mehr auf bekamen, überlegte sich die<br />

Marktleiterin was sie nun tun sollte.<br />

„Also, Frau Gabe. Isch hol´ jetzt den annere Schiewer und geb Ihne dann<br />

eifach meiner, ja? Isch kleb `en Zettel druff, dass mir späder noch wisse, wem<br />

der Schiewer khert. Mol schaue, ob des Ding net doch noch uffgeht. Isch<br />

denke awa, dass die Fedder klemmt.“<br />

„Okay.“<br />

Dann wandte sich diese Frau Kalb zu Sabrina.<br />

„Und Sie bekomme dann Ihr Restgeld von mir.“,<br />

Die Marktleiterin nahm dann das Mikro in die Hand und rief etwas in den<br />

Laden aus.<br />

„Frau Bay!!! Bidde mol die dritt´ Kass´ besetze!“<br />

Diese Frau Bay kam an die Kasse und bereitete alles vor, um die Kunden in<br />

Empfang zu nehmen.


Sabrina, die alles mehr oder weniger mit Humor nahm, bekam von der<br />

Marktleiterin ihr Restgeld und machte sich dann, nachdem sie alles in die<br />

Tragetaschen verstaut hatte, auf den Weg zu Martina. Sie freute sich auf das<br />

Essen.<br />

Jugendliche sahen sich gerade den BMW an, als Sabrina sie freundlich<br />

anlächelte und sie bat, etwas zurück zu treten, damit sie ausparken konnte.<br />

Der BMW fuhr aus der Parklücke und brummelte leise davon. Sabrina hatte<br />

gute Laune und entschied sich, das Radio einzuschalten.<br />

„...Look how they shine fo-or you, and everthing you do... It was called<br />

yellow...”<br />

-18-


Donnerstag, 17.41 Uhr, Mühlingstraße...<br />

Die Straße, in der Martina wohnte war relativ belebt an diesem schönen Tag.<br />

Viele Kinder spielten auf der Straße und am Gehweg. Eine Frau mit Blau-<br />

Schwarz gefärbten Haaren stand an der Eingangstür ihres Wohnhauses und<br />

sprach mit einem gut gekleideten Mann, der etwa 2 Meter weg von ihr am<br />

Straßenrand an seinem Auto stand. Der Wagen war ein teurer Sportwagen.<br />

Ein, mit seinen riesigen 20 Zoll Alurädern und anderen Feinheiten protzig<br />

wirkender SL von Mercedes. Der Mann und die Frau unterhielten sich sehr<br />

angeregt. Als Beobachter bekam man jedoch den Eindruck, dass die Frau<br />

immer wieder versuchte, den Mann abzuwimmeln.<br />

Es waren Ronny und Martina.<br />

„...Ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht. Sonja ist mir aber inzwischen<br />

egal. Ich will Sabrina zurück. Hilf´ mir bitte dabei! Du kennst sie doch schon<br />

so lange!“<br />

Ronny versuchte mit allen Mitteln, Martina zur Beihilfe zu bewegen, doch sie<br />

wehrte sich eisern dagegen.<br />

„Ronny. DU hast es verbockt und willst jetzt von MIR, dass ich Dir helfe???<br />

Sonst geht es Dir gut, oder? Ich sagte eben schon, dass Du es vergessen<br />

kannst. Sabrina wird Dir nicht mehr zuhören... Ja, Du hast Recht! Ich kenne<br />

sie schon sehr lange. Ich kann Dir deswegen auch raten, sie in Ruhe zu lassen,<br />

denn wenn Du sie auf dem falschen Fuß erwischst, möchte ich nicht dabei<br />

sein, ja? Geh´ jetzt besser! War keine gute Idee, so unangemeldet zu mir zu<br />

kommen. Du nervst mich langsam mit dem Zeug. Ich habe darauf keinen<br />

Bock mehr. Ich will endlich meine Ruhe. Robert beschwert sich auch schon.<br />

Also? Geh´jetzt bitte.“<br />

„Ja... aber... Bitte!!! Es war nur dieser Ausrutscher. Es tut mir Leid. Sonja hat<br />

mich ausgenutzt! Ich weiß auch nicht wie ich das machen konnte.“<br />

Ronny sah über Martinas Schulter hinweg, dass ein dunkelgraues Coupe sich<br />

den beiden näherte. Das musste Sabrina sein!<br />

„Da kommt sie schon.“, kündigte er siegessicher an.<br />

„Du..... Ach, mir doch egal. Aber sag´ später nicht, ich hätte Dich nicht<br />

gewarnt!“


Martina resignierte vor diesem penetranten Trottel, der es anscheinend auf<br />

einen Mega-Krach anlegte, der sich jetzt, in nicht mehr allzu ferner Zukunft,<br />

anbahnen sollte.<br />

Sabrina parkte den Wagen zwei Eingänge weiter, und war wegen dem Abend<br />

völlig in Gedanken als sie ausstieg. Sie freute sich auf den Film und fragte<br />

sich, wie er wohl ausgehen würde. Bei diesen Gedankenspielen, merkte sie<br />

gar nicht, dass sie gleich unangenehmen Besuch erwarten würde. Sie nahm<br />

die Einkaufstaschen in die Hand und drehte sich um zu Martinas Haus.<br />

Als sie Ronny mit Martina am Eingang stehen sah, ließ sie fast alles fallen, lief<br />

aber dann umso energischer los. Ihr Blick war plötzlich finster geworden. Die<br />

Hände krallten sich so fest in die Schlaufen der Tasche, dass die Knöchel weiß<br />

hervor traten. Ronny versuchte reuig auszusehen und senkte den Kopf etwas.<br />

Martina schaute sich das Ganze an und dachte nur einen Satz.<br />

`Der Sack kriegt jetzt 1000 %ig eine drauf, wetten?´<br />

Sie war schadenfroh um das bevorstehende Schauspiel und grinste innerlich.<br />

Sabrina´s Gang wurde schärfer und schneller. Sie wirkte jetzt ein wenig wie<br />

eine Science-Fiction Maschine, so ähnlich wie ein Terminator. Ronny machte<br />

sich zwar noch Hoffnung, mit ein wenig Gezeter und der entsprechenden<br />

Entschuldigung davonzukommen. Er täuschte sich gewaltig!<br />

Kinder fuhren Fahrrad in der Straße, Jungs spielten Fußball oder ärgerten ein<br />

paar Mädchen und alle bekamen das Spektakel mit, was nun folgte.<br />

Sabrina ging ohne Worte auf Ronny zu und holte so schnell und so kräftig sie<br />

konnte mit den spitzen hellbraunen Stiefeln aus. Sie traf perfekt!<br />

Ronny schrie wie ein Kind laut auf. Der Schmerz rollte den Körper<br />

tausendfach rauf und runter. Er jaulte erbärmlich. Dazu ging er auf die Knie<br />

und hielt sich das, was von seinen Hoden übrig geblieben sein musste.<br />

Die Kinder, die alles mitbekamen, zeigten sich verschieden beeindruckt: Die<br />

Kleineren schauten verschreckt und neugierig zu gleich, die älteren kicherten<br />

und Jugendliche, die mit Eistüten in den Händen gerade um die Ecke gebogen<br />

waren und gerade noch den Tritt mitbekamen, lachten Ronny regelrecht aus.<br />

Er schämte sich unendlich, so dazu sitzen und zu heulen wie ein kleines Kind.<br />

Sabrina machte keinerlei Anstalten ihm aufzuhelfen. Sie sah Martina an,<br />

nickte zur Tür und ging voran ins Treppenhaus. Martina wusste zwar, was<br />

passieren konnte, war nun aber selbst erschrocken über diese extrem heftige<br />

Reaktion ihrer Freundin. Sie gab es später auch nie zu, aber sie hatte Mitleid


mit Ronny bekommen. Sie stand noch vor ihm und sprach kein einziges Wort,<br />

ließ aber eine Millisekunde ihre Hand auf seiner Schulter ruhen. Er sah zu ihr<br />

auf und wollte etwas sagen, doch Martina drehte sich nach der Berührung<br />

um und ging Sabrina zügig nach.<br />

In der Wohnung angekommen, machten sich Sabrina und Martina, zunächst<br />

wortlos, an die Arbeit. Sabrina schnitt den Schinken in kleine Streifen und<br />

Martina putzte den Broccoli und den Rest des Gemüses. Nach ein wenig<br />

Handarbeit schob Martina die Kasserolle in den vorgewärmten Ofen. Man<br />

lachte und unterhielt sich inzwischen wieder.<br />

„Sabrina, meinst Du nicht, dass es zu hart war, wie du Ronny eben behandelt<br />

hast? Ich weiß ja, was er gemacht hat, aber...“, gab Martina zu Bedenken.<br />

„Martina, das weiß ich selbst auch! Es ist nicht gerade so, dass es mir Spaß<br />

macht. Aber ich bin stinksauer, weil ich Ronny am Wochenende am Telefon<br />

gesagt hatte, dass er sich bloß nicht blicken lassen soll. Ich habe endgültig die<br />

Schnauze voll von diesem Kerl !“, rechtfertigte Sabrina ihren Gewaltakt gegen<br />

Ronny.<br />

„Also, ich weiß nicht...“, dachte Martina laut darüber nach, was geschehen<br />

war.<br />

Nach einer Weile war alles gegessen, und Martina und Sabrina räumten das<br />

Geschirr ab.<br />

„Sag´ mal, was war denn heute eigentlich los? Was wolltest Du mir vorhin<br />

am Telefon nicht sagen?“, erinnerte sich Martina an das Telefongespräch mit<br />

Sabrina.<br />

„Mein Chef ist gestorben. Ich bin total fertig deswegen. Aber Martina...Ich<br />

mag im Moment wirklich nicht daran denken, da es mir sehr nahe geht.“,<br />

brach Sabrina das Thema ab.<br />

„Na gut. Also dann, gehen wir jetzt los?“, verstand Martina Sabrina´s Bitte.<br />

„Klar. Lass uns mal losmachen.“<br />

Drei Stunden später...<br />

„Und wie fandest Du den Film? Ich muss sagen, dass ich Seymour Hoffman<br />

immer wieder gut finde. Auch wenn der arme Kerl jetzt tot ist“, gab Martina<br />

ihre Meinung über „A Most Wanted Man“ zum Besten.


„Doch.. Ich fand diese Sache mit dem gescheiterten Agent gut gemacht. Aber<br />

natürlich waren ein paar Sachen wieder einmal typisch Hollywood. Aber<br />

sonst fand ich den Streifen okay.“<br />

Sabrina und Martina machten sich auf den Rückweg zum Bismarck-Platz<br />

und überlegten dabei, was sie nun tun sollten. Sie berieten sich. Man einigte<br />

sich auf das Café im Tannhäuser Hotel.<br />

Sabrina und Martina flanierten die schöne Einkaufsstraße entlang und<br />

unterhielten sich über alles Mögliche.<br />

„...Ja ja, die Ina. Weißt Du was ich glaube? Ina ist in dem Punkt genau wie Du.<br />

So ein wenig unersättlich was Männer angeht... Und wählerisch dazu. Sie hat<br />

jetzt schon wieder so einen Typen an der Angel. Robert hat letztens schon<br />

gesagt, Ina sei immer noch ein Männer verschlingendes Biest, so wie Du eins<br />

wärst. Naja, er machte damit nur scherzhaft eine Anmerkung. Aber irgendwie<br />

hat er, finde ich, recht damit.“<br />

Die beiden Frauen liefen gerade am Kaufhof vorbei, der am Anfang der<br />

Fußgängerzone lag, als Sabrina nach Martina´s Worten abrupt stehen blieb,<br />

und einen, wenig erfreuten, Eindruck machte.<br />

„Was? Martina! Mach´ mal langsam! Du weißt ganz genau, das ich nicht so<br />

ein Verarscher-Leben wie manch andere führe. Meinst Du vielleicht, mir<br />

hätte es Spaß gemacht, ständig die Partner zu wechseln? Okay, ein paar<br />

Männer wollten was von mir und ich lehnte ab. Aber das war, weil mir mein<br />

Beruf wichtiger war als, dass ich so ein Heimchen-am-Herd-Leben führen<br />

wollte. Ich setze andere Prioritäten. Ich bin keine Schlampe, ja? Und das mit<br />

Ronny habe ich mir garantiert nicht selbst ausgesucht. Abgesehen davon<br />

wollte ich mit ihm schon etwas länger zusammen bleiben als nur 1 ½ Jahre!“,<br />

gab Sabrina ihrem Unmut über Martina´s Aussage energisch freien Lauf.<br />

Dann gingen beide Frauen stumm weiter.<br />

Endlich waren die beiden Frauen beim Café angekommen und gingen gleich<br />

hinein.<br />

Die Atmosphäre war angenehm. Eine Menge Leute hatten sich zum Plausch<br />

eingefunden, und saßen trinkend, sprechend, rauchend und essend<br />

miteinander und genossen den Abend. An einem Tisch hinter zwei Frauen,<br />

wovon die eine gerade mit ihrem Handy jemanden anrief, nahmen Sabrina<br />

und Martina Platz. Die schönen Holztische hatten jeder für sich eine rotes<br />

Decktuch mit einer Kerze als Verzierung und einem Aschenbecher gehabt.


Eine dunkelblonde zierliche Bedienung kam gleich an ihren Tisch um die<br />

Bestellung anzunehmen.<br />

Zwei andere Gäste, ein Mann und eine Frau warteten auf einen geeigneten<br />

Sitzplatz, doch nach einigen Minuten waren sie sich offensichtlich einig<br />

wieder zu gehen, da es in dieser Lokalität schnell relativ voll geworden war.<br />

Sabrina sah Martina inzwischen wieder etwas versöhnlicher an und lächelte<br />

wieder.<br />

„Tut mir Leid, dass ich Dich eben so angefahren hatte. Ich mag es nur nicht,<br />

als Schlampe abgestempelt zu werden.“<br />

„Mir tut es Leid. Ich kenne Dich schon so lange. Ich weiß doch eigentlich,<br />

dass Du nicht so drauf bist.“<br />

Sabrina nickte dazu zustimmend und beide sahen sich stumm an, bis Martina<br />

einen Rundumblick in den Raum machte und dabei unbewusst an ein Paar<br />

mit einem Dobermann vorbei sah...


-19-<br />

Donnerstag, 17.51 Uhr, Holzmanns Wohnung...<br />

Holzmann schloss die Wohnungstür auf und warf seine Jacke geradewegs auf<br />

den Schuhschrank an der Garderobe.<br />

`Ich bin fix und fertig!´, dachte Rainer erschöpft und legte sich ohne<br />

Umschweife auf sein Sofa im Wohnzimmer um ein paar Minuten Ruhe zu<br />

finden. Es währte nicht lange und Holzmann wurde von einem Schlecken<br />

und Hecheln geweckt. Sein Hund störte ihn beim Schlafen.<br />

„Mike?!....Oh Mann!!! Du nervst. Nicht jetzt! Geh ab!“, raunte Holzmann<br />

seinem Hund zu.<br />

Der Hund gab sich unbeeindruckt und zeigte seine Freude über das<br />

Heimkommen seines Herrchens, bis Rainer ihn böse anschaute und nochmals<br />

versuchte, ihn abzuwehren. Der Hund hörte auf und verstand offensichtlich,<br />

dass er nun etwas anderes tun sollte.<br />

Mike winselte kurz und machte sich davon.<br />

„Mike? Miiike? Komm´ wieder her. Du doofer Köter. Ich meine es nicht so!“,<br />

forderte Holzmann den Hund auf, wieder zurückzukehren. Der Hund sah<br />

Rainer etwas irritiert an und schien abzuwägen, ob dies eine Falle sein sollte.<br />

Mike schien aber zu verstehen, dass es Rainer Leid tat und trug dem<br />

Rechnung.<br />

Er kam wieder an das Sofa zurück.<br />

Rainer streichelte den Hund und sagte ein paar versöhnliche Dinge. Nach<br />

einer Weile lies der Hund von ihm ab, als würde er Rainer jetzt doch die<br />

verdiente Ruhe gönnen, und ging zurück auf seinen Platz. Dort spielte Mike<br />

dann mit dem völlig zerfledderten Tennisball, den er schon als kleiner Welpe<br />

geschenkt bekommen hatte.<br />

Holzmann dachte indes über die Ereignisse von heute nach. Besonders<br />

Natascha, das Mädchen, dass ihn besuchte, machte ihm von nun an einige<br />

Probleme, die er aber schon geraume Zeit in Angriff nehmen wollte. Was sie<br />

ihm über einen gewissen Club am Güterbahnhof erzählte, reichte für eine<br />

Großaktion. Bei seinem Chef setzte er durch, Natascha vorerst mal zu<br />

verstecken, um dann ihren Aufenthaltsstatus zu klären und auch ihre<br />

Sicherheit zu garantieren. Immerhin hatte sie ihren Arbeitgeber verraten und


musste- durchaus berechtigt- um ihr Leben fürchten. Sie schien -für Rainer<br />

unbegreiflich- keine Angst zu haben. Anscheinend hatte sie schon viel<br />

durchgemacht und hatte nichts zu verlieren, wie sie ihm auch gestand. Sie<br />

sagte nur, das sie weg von dort wollte und „dieses Schwein“ nicht mehr sehen<br />

wollte.<br />

Mit diesen Gedanken beschäftigt, döste Rainer bald ein und träumte vor sich<br />

hin....<br />

Ein Telefongespräch:<br />

„...Na, du? Ich bin gerade aufgewacht. Ich mache mir gleich Kaffee.“<br />

„Ich bin gerade bei Udo. Bisschen quatschen. Ich mach doch hier den<br />

Hausflur. Und ich habe extra die Kopfhörer dabei, schön, oder?“<br />

“Oh das klingt gut. Wie lange geht das noch? Ich würde gerne später länger<br />

mit Dir telefonieren.“, freute sich Rainer auf nachher. Er liebte sie über alles.<br />

"Ich weiss nicht... huch...“, Rainers Freundin unterbrach sich.<br />

„Hey Udo, ich habe dich garnicht bemerkt.“ sagte Rainers Freundin und<br />

kicherte etwas zu anbiedernd.<br />

„Hallo? Was ist denn?“, Rainer wunderte sich.<br />

„Warte mal. Er ist gerade mit dem Hund raus.“, unterbrach Rainers Freundin<br />

jetzt ihn und wandte sich ihrem Kumpel zu. Rainer hörte wie er antworte,<br />

dass er sie nicht gesehen hätte und offensichtlich dabei feixte. Rainers<br />

Freundin kicherte nur verlegen. Dann verabschiedete sie den Mann<br />

offensichtlich.<br />

Jetzt sprach seine Freundin wieder mit ihm.<br />

„Ja, du- Ich habe hier noch so viel zu tun.... Mann, ist echt warm gerade<br />

warte mal.“ Rainers Freundin war nun raschelnd zu Gange, sich wohl etwas<br />

ausziehen. Schliesslich war es Sommer und ziemlich warm.<br />

Dann sprach sie wieder mit ihm.<br />

„Ja, also ich muss gleich weiter, einkaufen. Wie läuft es bei dir? Gehst Du<br />

gleich los? Und … ähm … ja … dann muss...ich... schauen, …. dass ich...<br />

zuhause aufräumen... bis du da ...bist. … Ist echt schlimm, wenn … man<br />

soviel... zu... tun... hat.<br />

Rainers Freundin fing an etwas atemloser zu sprechen und stockte<br />

zunehmend mehrmals mitten im Satz und Rainer fiel plötzlich ein langsames,<br />

rhytmisches Schlagen des Kabelkopfhörers seiner Freundin auf... Irgendetwas<br />

stimmte hier nicht.......


-20-<br />

Donnerstag, 22.54 Uhr, Bergheimer Straße.<br />

Rainer, Mona und Mike saßen nach der Visite an der Neckarwiese inzwischen<br />

gemütlich in einem Café in der Bergheimer Straße und unterhielten sich<br />

angeregt über Beziehungsprobleme, die Mona zur Zeit plagten.<br />

„...Du hättest mir das ruhig schon eher sagen können, dass du Stress mit Jay<br />

hast. Was ist denn bei euch eigentlich los? Ich kenne Dich schon mehr als 28<br />

Jahre. Du kannst Dich mir ruhig anvertrauen!“<br />

„Ist ja in Ordnung! Du hast ja recht.“<br />

Mona überlegte, wie sie nun die ganze Geschichte erzählen sollte. Sie schaute<br />

abwesend auf den Tisch und die Getränke, die vor ihnen standen. Rainer<br />

wartete geduldig auf eine Antwort.<br />

„Okay...okay. Also: Vorletzte Woche hat Jay mir gesagt, dass er es inzwischen<br />

nicht toll findet, wie es bei uns im Moment läuft. Ich fragte ihn warum und er<br />

sagte bloß `Ja. Ich meine, du hast seit längerem nur Deinen Scheiß-Job im<br />

Kopf. Wir haben seit langen nichts mehr unternommen, geschweige denn Sex<br />

gehabt. Ich finde es scheiße, wie es gerade läuft, weißt du?´ Ich habe mich<br />

darüber aufgeregt und sagte ihm, dass ich es unfair finden würde und, dass<br />

ich genug im Krankenhaus zu tun hätte. Jede Woche habe ich mindestens<br />

drei Nachtschichten. Eine Nachtschicht ist nicht so locker, wie es manch einer<br />

vielleicht vermuten würde. Die Leute klingeln ständig wegen jedem Scheiß.<br />

Und bis die alle dann mal endlich schlafen, habe ich den Stress, bis ich alles<br />

für die Frühschicht gerichtet habe. Dazu kommt diese Müdigkeit, die einen<br />

noch zusätzlich stresst. Jay kapierte es einfach nicht, dass bei uns im<br />

Krankenhaus Personal fehlt und jeder doppelt und fünffach arbeiten muss,<br />

um das normale Pensum abzuarbeiten. Jedenfalls ist er dann ausgeflippt.“<br />

„Und was ist dann passiert?“, fragte Rainer interessiert.<br />

„Du glaubst es nicht. Er hat die Sachen gepackt und ist abgedampft!“<br />

„Das war doch nicht alles, oder ??“, wunderte sich Rainer. Und er vertat sich<br />

damit nicht einmal.<br />

„Der ist weggeblieben bis Montag diese Woche und war auf einmal ganz still<br />

gewesen. Null Kritik, null coole Sprüche! Und weißt Du was? Er hatte<br />

kurzerhand vier Tage Urlaub genommen und war nach Pforzheim gefahren.


Dort wohnen ein paar seiner alten Kumpels. Die Jungs waren dann die<br />

ganzen Tage auf Disko-Tour und danach anscheinend in irgendwelchen<br />

Clubs. Da hat sich der gute Jay dann eine Abwechslung verschafft, hat die<br />

Jungs stehen lassen und war bis zum nächsten Tag verschollen ...“<br />

Rainer ahnte, was nun kommen würde und schüttelte den Kopf.<br />

Mona legte ein zynisches Lächeln auf und nickte. Sie wählte für ihre Antwort<br />

einen kühlen und harten Ton.<br />

„Doch. Er hat es tatsächlich nötig gehabt, sich mit einer Brünetten<br />

einzulassen, die im Moment Solo durch die Gegend streift. Rate mal...“, ließ<br />

Mona das Ende der Geschichte offen. Rainer schaute Mona ratlos an und legte<br />

für einen kleinen Moment mitfühlend seine auf ihre Hand.<br />

„Das ist wirklich ein Scheißkerl Wie hast du es herausbekommen?“<br />

„Dieser Trottel hat mir alles erzählt, nachdem ich ihn ein paar Mal<br />

angepflaumt hatte. Ich meine, dass es gut ist, wenn jemand ehrlich ist, aber<br />

als ich ihn fragte, macht er noch nicht einmal Anstalten, zu lügen. Er erzählte<br />

es schon fast stolz und unverhohlen. Und das Beste war, dass diese Tussi<br />

-Sorry für den Ausdruck- unseren Ring an seiner Hand bemerkte und<br />

trotzdem weitermachte. Manchmal brauchen wir uns wirklich nicht<br />

wundern, wenn die Kerle denken, dass auf unserer Stirn „Fick mich“ steht,<br />

wenn solche Frauen so was abziehen. Aber natürlich ist es auch seine Schuld.<br />

Er hätte es ja nicht soweit kommen lassen müssen. Ich könnte ihn<br />

schlagen!!! ... Ich habe keinen Bock mehr auf ihn.“<br />

„Ja ja, die Männer...“, versuchte Rainer die Stimmung aufzulockern,<br />

wohlwissend, dass er sich selbst damit nicht gerade einen Gefallen tat. Er<br />

wusste aber, dass nicht alle Männer dieser Welt solche sabbernden Idioten<br />

waren.<br />

„Jajaaa....Ich weiß doch wie Du es meinst. Du bist ja auch ein anständiger<br />

Mann.“<br />

„Ha-ha-ha.“, meinte Rainer und dann fiel ihm ein, dass er auch ähnliches<br />

erlebt hat.<br />

„Naja. Erinnerst Du Dich noch an diese Karina aus Köln? Du weißt doch, dass<br />

ich da auch nicht froh war...“<br />

„Rainer...Das ist jetzt schon 18 Jahre her. Klar war das scheiße. Aber es ist<br />

schon so lange her. Ihr habt euch doch danach vertragen und seit Freunde<br />

geworden, oder ?“


„Nein, was glaubst du denn? Ich meine, ich wäre schon gerne wieder mit<br />

jemandem zusammen. Es laufen eine Menge hübscher Frauen herum.“,<br />

erwiderte Rainer. Er schaute sich flüchtig um und sah sich dabei mehr oder<br />

weniger das weibliche Klientel des Café´s an.<br />

„Das Hauptproblem besteht darin, dass ich in diesem Bullen-Job alles<br />

aufgeben muss. Freizeit gleich Null.“, schloss Rainer sein Statement mit einer<br />

Hand auf dem Kopf seines Hundes Mike ab.<br />

„Außer Mikey. Den gebe ich niemals auf!“, warf Rainer noch ein und kraulte<br />

den Dobermann.<br />

„Weißt Du? Suchen ist doch nicht das Wahre. Liebe, die findet, das ist es!<br />

Alles andere ist doch wie bestellt! Aber Du bist ein guter Mensch und kriegst<br />

noch früh genug eine Chance, einer Frau auf die Nerven zu gehen.“,<br />

versuchte Mona den etwas melancholisch gewordenen Rainer wieder etwas<br />

zu ermuntern.<br />

Die Unterhaltung zog sich noch eine Weile hin, bis alle Getränke<br />

ausgetrunken waren und es nun um das Bezahlen ging. Man war inzwischen<br />

wieder guter Dinge und lachte wieder.<br />

Die blonde Kellnerin, die die beiden bedient hatte, sammelte das Geld ein und<br />

wünschte beiden einen schönen Abend. Dem Hund gab sie noch ein<br />

Stückchen Wurst und verabschiedete sich dann endgültig. Auch Rainer und<br />

Mona machten sich auf den Weg nach draußen Mona bat Rainer noch kurz<br />

auf sie zu warten, da sie noch zur Toilette musste. Rainer bot an, draußen auf<br />

sie zu warten, da er ja auch den Wagen holen musste, den sie weit weg<br />

abgestellt hatten.<br />

„...Das ist eine gute Idee! Ich will nicht so weit laufen... Ausgerechnet jetzt<br />

musste es ja regnen!“, willigte Mona ein. und beklagte sich damit über den<br />

abendlichen Platzregen, der inzwischen eingesetzt hatte. Rainer lief<br />

zusammen mit dem Hund aus der Tür in die Nässe nach draußen.<br />

Als Mona wieder von den Toiletten zurück kam, fiel ihr ein, dass sie ihre Jacke<br />

beinahe vergessen hatte. Am Sitzplatz klemmte sie die Jacke unter den Arm<br />

und sah beim Hinausgehen nochmals auf den Platz zurück. Dabei rempelte<br />

sie zwei andere Gäste an, die ebenfalls im Begriff waren zu gehen. Die Blonde<br />

entschuldigte sich sofort und ihre weibliche Begleitung lächelte flüchtig.<br />

Mona entschuldigte sich ebenfalls und ging dann aus dem Café ins Freie.<br />

Rainer war noch nicht zurück und Mona ärgerte sich darüber, dass sie nicht


darauf bestanden hatte, direkt vor der Tür zu parken, wie es andere ständig<br />

machten. Rainer lehnte jedoch kategorisch, wenn auch etwas übertrieben<br />

theatralisch ab, da er sich angeblich keinen neuen Strafzettel einhandeln<br />

wollte, den das Parkverbot hier mit sich bringen konnte.<br />

Die zwei Frauen von eben kamen jetzt auch aus dem Café. Mona erkannte<br />

beide vom Zusammenstoß. Sie stiegen eilig in einen dunkelgrauen BMW,<br />

fuhren dann quer über die Schienen der Straßenbahn, was an dieser Stelle<br />

verboten war, und bogen an der Ampel direkt in Richtung Südstadt ab. Mona<br />

stand verkrampft am Treppenabsatz und wartete ungeduldig auf Rainer, der<br />

sich etwas zu viel Zeit zu nehmen schien.<br />

Dann kam Holzmann endlich und zog für Mona den Sicherungsstift hoch,<br />

damit sie die Tür öffnen und einsteigen konnte.<br />

„Du Blödmann! Du musstest ja nicht in dieser Dusche stehen! Hättest Du dich<br />

nicht beeilen können?!?“, begann Mona mit Rainer zu schimpfen.<br />

„Ja ja Ist ja gut. Wohin fahren wir jetzt?“, wiegelte Rainer ab.<br />

„Nach Hause, würde ich sagen. Ich will ins Bett.“ Mona gab sich trotzig, was<br />

nicht lange hielt.<br />

„Okay.“, antwortete Rainer knapp.<br />

Sie wendeten in die gleiche Richtung, wie schon zuvor der BMW.


-21-<br />

Freitag, 13.28 Uhr, Bismarck-Platz...<br />

Das belebte Stadtzentrum, das um diese Uhrzeit am Freitag Nachmittag<br />

immer stark frequentiert war mit Autos und Straßenbahnen, dazwischen<br />

auch einigen Linienbussen, zeigte sich von seiner schönsten Seite. Es wehte<br />

ein lauer Wind, die Sonne schien klar und kräftig und die Menschen<br />

schienen, trotz ihres alltäglichen Mühsals, heute gut gelaunt zu sein. Auf dem<br />

Bismarck-Platz fuhr gerade eine Straßenbahn ein. Es war die Bahn in<br />

Richtung Eppelheim. Der Fahrer tastete sich nicht gerade<br />

fußgängerfreundlich durch die Menschenmenge, die die Trasse kreuzte. Er<br />

klingelte ziemlich oft und lange. Teilweise reagierten die Fußgänger nicht<br />

gerade freundlich darauf. Ein Teenager hob den Arm und zeigte dem Fahrer<br />

den Stinkefinger.<br />

Zwei Fuß-Streifen der Polizei machten sich auf den Weg in die Einkaufstrasse.<br />

Der Mann schloss den Bereitschaftscontainer zu und seine Kollegin prüfte<br />

den Polizei-Bus auf verschlossene Türen. Dann marschierten sie los.<br />

Direkt vor der „GALERIA KAUFHOF“ der mit seinen 5 Stockwerken die<br />

Südseite des Bismarck-Platzes dominierte, baute sich eine, offensichtlich<br />

südamerikanische Folklore-Gruppe mit ihren Instrumenten auf. Es wurden<br />

verschieden Xylophone, Gitarren, Panflöten, Trommeln und andere<br />

Instrumente aufgestellt. Sie spielten sehr bedächtige und ruhige Lieder. Ein<br />

junger Mann ging hastig an ihnen vorbei. Ihn interessierte die Musik<br />

überhaupt nicht. Er hatte einen Termin zu halten, den er um 13.30 Uhr<br />

haben sollte. Ihm war klar, dass er das nicht schaffen konnte. Der Mann<br />

rannte in Richtung der Straßenbahn, auf deren Zielanzeigen gelb auf schwarz<br />

„22 EPPELHEIM“ stand. Er hatte vor, an der übernächsten Haltestelle schräg<br />

gegenüber dem Ordnungsamt wieder auszusteigen. Er sollte es erst um 13.38<br />

Uhr zu dem Arzt schaffen, der in der Bergheimer Straße sein Büro hatte.<br />

Unweit von ihm entfernt, machte sich ein in weiß gekleideter Mann in einem<br />

Haus innerhalb eines riesigen Gebäude-Komplexes in der Voßstrasse an die<br />

Arbeit, verschiedene Geräte und Werkzeuge zu säubern. Er legte ganze<br />

Geschirrbatterien fein säuberlich aufgereiht auf ein Tablett, dass er zuvor mit<br />

einem neuen sterilen mintfarbenen Tuch bedeckt hatte. Dann machte er sich


auf den Weg in sein Büro. Bücher wie „Rechtsmedizin- Lehrbuch für<br />

Mediziner und Juristen“ und „Sobotta-Atlas der Anatomie“ und „Forensische<br />

Analysen“ lagen aufgereiht in einem Bücherregal. Der Mann, auf dessen Kittel<br />

ein Namensschild befestigt war, auf dem „JAKOBI,RECHTSMEDIZIN stand,<br />

setzte sich hin und schrieb etwas auf ein Blatt, das wie ein Protokoll aussah.<br />

„Schade um ihn. Aber ich denke, dass es jeden irgendwann trifft. Der Mann<br />

war nicht gerade jung.“, sagte sein Kollege, der an der Tür erschienen war<br />

und ihn jetzt beobachtete.<br />

Der Mann, der Martin Jakobi hieß, sah seinen Kollegen an, der nun<br />

offensichtlich seine Mittagspause antreten wollte.<br />

„Hmm...“, gab Jakobi abwesend von sich.<br />

„Kaffee?“<br />

„...Äh, bitte? ...Ja, danke. Und? Was meinst Du dazu: ´Herzinsuffizienz infolge<br />

myogener Hyperplasie der linken Aorta coronaria dextra und<br />

R.interventricularis post. Daraus resultierend Myomalazie und Ruptur des<br />

Ventriculus dexter.´ Der restliche Herzmuskel sah auch nicht so gut aus.“<br />

„Ja, das kann man lassen.“<br />

„Denke ich auch. Du, ich muss aber jetzt los. Ich muss die Akten vom<br />

Verkehrsunfall letzte Woche noch beim Greiner abgeben. Du weißt,<br />

Staatsanwälte sind stressig.“, sagte Jakobi und legte hastig den Stift auf den<br />

Tisch und stand auf.<br />

„Und Dein Kaffee? Ach mir doch egal.“, sagte Jakobi´s Kollege gleichgültig<br />

und biss in sein riesiges Sandwich, das mit Salat, Schinken, Ei und Senfgurken<br />

belegt war.<br />

Das Telefon klingelte.<br />

Jakobis Kollege deutete auf den Apparat und sah Jakobi an. Der winkte ab und<br />

verließ das Zimmer. Sein Kollege seufzte und nahm den Hörer ab.<br />

„Hallo? Ja?...Ja, das haben wir schon gemacht.... Nein, nichts<br />

besonderes...Ja.....Aha. Gut! Ich lass gleich den Laufburschen kommen....Halbe<br />

Stunde? ....Ist gut....Okay, mach ich...Wiederhören.“<br />

Jakobis Kollege nahm die zwei Briefe und den Autopsiebericht vor sich, und<br />

griff dann in einen Stapel C 4 Umschläge auf denen „Umlaufpost extern“<br />

stand. Dann drückte er die Lasche auf und verstaute alle Unterlagen im<br />

Kuvert. Zuletzt schreib er noch das Datum des Tages auf den Umschlag und


notierte dann noch den Bestimmungsort. Als letztes legte er den Umschlag in<br />

ein rotes Plastikfach, auf dem in verwischter Marker-Schrift „EXTERN“ zu<br />

lesen war.<br />

Dann stand Jakobis Kollege vom Bürostuhl auf und machte sich auf den Weg<br />

in die Kantine, wo er sich dann mit einigen Kollegen zum verspäteten<br />

Mittagessen hinsetzte. Sein Sandwich brachte schlicht nicht die Erfüllung, die<br />

es hätte bringen sollen.<br />

Eine halbe Stunde darauf schloss sich Jakobi auch der Gruppe an. Man aß<br />

und unterhielt sich über diesen und jenen Fall. Thema war, unter anderem<br />

auch ein Leichenfund am Neckar gewesen, den ein Passant beim Spazieren in<br />

der vorigen Woche gemacht hatte.<br />

Dann schaute eine der Frauen, die ebenfalls am Tisch saßen, aus Ihrer Lektüre<br />

hervor und berichtete, dass die Mittelkürzung des freien Etats des Institutes<br />

doch stärker ausfallen würde, als bisher angenommen.<br />

„Woher weißt Du das?“, fragte sie einer der Kollegen verdutzt.<br />

„Walter hat´s mir gesagt“, antworte die Frau ihrem Kollegen.<br />

„Das ist doch der letzte, dem ich noch einen Gefallen tue, ich schwörs.“, regte<br />

sich ihr Kollege über die Entscheidung auf, die anscheinend vom Leiter des<br />

Hauses ausging. Ein Uni-Professor aus dem Verwaltungsrat, der gleichzeitig<br />

der Onkel der Frau am Tisch war, hatte es mitbekommen.<br />

„Langsam nervt mich der Laden, das sag´ ich euch !“, blieb dem verärgerten<br />

Mann nur als Antwort.<br />

Still geworden, beendeten die restlichen Verbliebenen ihre Mittagspause und<br />

jeder ging zu seinem Arbeitsplatz zurück.<br />

Jakobi kaufte eine Zeitung am Kiosk und machte sich ebenfalls auf den Weg<br />

in sein Büro.<br />

Er war froh, dass es in Heidelberg zum Glück nicht so zuging wie bei seinen<br />

Serienhelden aus „CSI- Las Vegas“. Bei denen schien nie Ruhe einzukehren.<br />

Im wahren Leben gab es die zum Glück doch hin und wieder mal.


Institut für<br />

Rechtsmedizin<br />

Heidelberg<br />

Institut für Rechtsmedizin Heidelberg - Vossstrasse 2- 69115 Heidelberg<br />

An:<br />

Amtsgericht Heidelberg<br />

Kurfürstenanlage 19-21<br />

z.Hd. StA. Büchner<br />

69117 Heidelberg<br />

Ihre Zeichen Ihre Nachricht vom Unser Zeichen, unsere Nachricht vom Telefon, Name Datum<br />

AKZ. STA/64773JS2014 JKB/ G2 06221-561- 242 30.05.2014<br />

Autopsie d. Verstorbenen Heinrich Burgstädt (geb. 31.05.1922)<br />

Sehr geehrter Herr Büchner,<br />

Bezugnehmend auf den, von Ihnen gestellten Ermittlungsauftrag möchte ich Ihnen anbei den Autopsie-<br />

Bericht und das Formular der Sterbe-Urkunde in Kopie übersenden. Wie schon im Befund näher<br />

ausgeführt, gibt es unsererseits keinerlei forensische Ansätze, die auf einen kriminalistischen Hintergrund<br />

schließen lassen.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Institut für Rechtsmedizin<br />

Rechtsmedizinische Abteilung G2<br />

Martin Jakobi<br />

Anlagen<br />

Autopsie-Bericht<br />

Totenschein (Kopie)


-22-<br />

Freitag, 13. 44 Uhr, Polizeidirektion Heidelberg...<br />

Rainer legte nach einem Telefonat den Hörer auf das Telefongerät und<br />

überlegte kurz . Er sah sich einen Augenblick lang um. Hektisches Treiben<br />

war um in herum im Gange. Telefone klingelten ständig und uniformierte<br />

und zivile Polizeikräfte verrichteten ihr tägliches Geschäft.<br />

Rainer blätterte nochmals in den Unterlagen, die er für die Akte Burgstädt<br />

zusammengetragen hatte. Für ihn war es mehr oder weniger Routine<br />

gewesen, was da am Wochenende geschehen war. Aber insgesamt konnte die<br />

Akte Burgstädt geschlossen werden, da die zuvor angenommenen<br />

Schwierigkeiten bezüglich des Lebenswandels des Herrn Burgstädts<br />

hinreichend geklärt werden konnten. Zu diesem Zweck hatte man eigens den<br />

Internisten und die betreuende Pulmologie-Fachärztin befragt. Das Ergebnis<br />

der Befragungen und die, durch die Aufhebung der Schweigepflicht, neu<br />

gewonnenen Erkenntnisse, brachten alle Beteiligten zu dem Schluss, dass Herr<br />

Burgstädt zu überanstrengt war; dass er in letzter Zeit sehr viel psychischen<br />

und physischen Stress zu bewältigen hatte. Und, dass dies alles in der Summe,<br />

zusammen mit der altersbedingten Herzschwäche, die seit geraumer Zeit<br />

unter ärztlicher Beobachtung stand, zu seinem letztlichen Ableben führte.<br />

„Rainer. Kommst Du mal bitte?“<br />

Ein Kollege Rainer Holzmanns winkte Rainer an seinen Schreibtisch. Rainer<br />

stand von seinem Stuhl auf und ging zu seinem Kollegen hinüber, der schräg<br />

gegenüber von ihm saß. Dann klingelte plötzlich das Telefon, an diesem Tag<br />

schon das 24. Mal. Holzmann kehrte genervt zu seinem Tisch um.<br />

Diesmal war es Franziska Bayer gewesen.<br />

„Guten Tag, Frau Bayer. Was kann ich für sie tun?“<br />

„Herr Holzmann. Ich möchte sie nicht stören, aber hätten sie einen Moment<br />

Zeit für mich. Ich wollte ein paar formale Dinge mit Ihnen besprechen.“<br />

„Natürlich. Schießen Sie los.“, erwiderte Holzmann höflich.<br />

„Ich...Ich würde gerne wissen was eigentlich genau passierte. Im<br />

Krankenhaus war ich zu geschockt und konnte nicht in Erfahrung bringen,<br />

was los war.“


„Frau Bayer. Ich möchte Ihnen sagen, dass es danach aussieht, dass Ihr Vater<br />

an einem Herzinfarkt verstarb. Die näheren Umstände würde ich Ihnen aber<br />

persönlich mitteilen.“<br />

„Das ist- denke ich- auch besser so.“, sagte Frau Bayer und zögerte einen<br />

kurzen Moment, bis sie weiter sprach.<br />

„Ich muss etliche Verträge prüfen lassen und die finanziellen Gegebenheiten<br />

meines Vaters abklären. Auf der Bank sagte man mir, das eine Überprüfung<br />

ausschließlich dann erlaubt werden kann, wenn rechtliche Gegebenheiten<br />

sicher geklärt sind. Ich brauche daher die Totenscheine.“<br />

„Das sollte kein Hindernis darstellen. Ich habe vorhin mit den Behörden<br />

telefoniert, die dafür zuständig sind. Die Scheine sind fertiggestellt. Möchten<br />

Sie sie bei uns abholen oder sollen wir sie Ihnen zukommen lassen?“<br />

„Das wäre nett. Ich habe hier in der Wohnung noch viel zu tun. Ich bin noch<br />

nächste Woche hier. Wenn Sie die Papiere hierher senden könnten...?“<br />

„Ach so Sie sind in Heidelberg? Gut! Ich werde die Papiere noch heute vorbei<br />

bringen, wenn es Ihnen keine Umstände macht.“<br />

„Das wäre sehr nett von Ihnen.“, zeigte sich Frau Bayer erleichtert.<br />

„Kein Problem. Sind Sie denn im Moment zu Hause?“<br />

„Ja bin ich.“<br />

„Gut. Dann komme ich gleich vorbei.“, erklärte sich Holzmann bereit.<br />

„Herr Holzmann. Ich danke Ihnen sehr. Sie sind wirklich ein guter Mensch.“<br />

„Ich tue meine Arbeit.“, wiegelte Holzmann geschmeichelt und freundlich ab.<br />

Nach der Verabschiedung legte er auf und machte sich auf den Weg zur<br />

Bothestraße.


-23-<br />

Freitag, 13.44 Uhr, Schloss-Wolfsbrunnenweg...<br />

„Marcel. Würde es Dir etwas ausmachen heute bei mir zu bleiben? Mir<br />

ergeht es dieser Tage nicht sonderlich gut und ich möchte die Gesellschaft<br />

meines Sohnes nicht missen.“<br />

„Natürlich nicht Mutter. Ich bleibe gerne. Ich habe sowieso die nächsten Tage<br />

Urlaub.“<br />

Marcel von Auersee lächelte seiner Mutter zu und setzte sich auf den<br />

Ohrensessel ihr gegenüber.<br />

„Wie sieht es denn mit unserem Hotel aus, mein Sohn? Seit dem Ableben<br />

Heinrichs mache ich mir Sorgen, dass dieses junge Gör´ mein Haus<br />

niederwirtschaftet!“<br />

„Ich werde dafür Sorge tragen, dass sie nichts Unrechtes tut, Mutter. Sie ist<br />

noch bis Sonntag beurlaubt. Dann wird sie wieder nach München fahren. Bis<br />

dahin kann ich überprüfen, was sie so treibt.“<br />

„Tu das bitte, Marcel.“, sagte Frau von Auersee mit einem besorgten Tonfall.<br />

Seine Mutter stand auf und ging mit kleinen zittrigen Schritten auf die<br />

Terrassentür zu. Draußen auf der Terrasse angelangt, setzte sie sich in einen<br />

großen Baststuhl und sah bedächtig in die glitzernde Maisonne.<br />

„Ich werde langsam alt, mein Sohn. Ich möchte meine Ländereien nicht<br />

unbeaufsichtigt lassen.“, sprach Frau von Auersee ruhig und wissend weiter,<br />

während ihr Sohn ebenfalls auf einem Stuhl neben ihr Platz nahm.<br />

„Deine Schwester und dein Bruder werden sich nicht darum kümmern, das<br />

weiß ich! Hannah ist zu sehr in ihre Zeitung verliebt, und Holger hat bei<br />

Gericht angeblich immer viel zu tun. Du bist noch der einzige, der das Erbe<br />

Deines Vaters die Ehre erweist und auf das Hotel acht gibt.“<br />

Marcel blickte verlegen auf die Marmorfliesen, die den ganzen<br />

Terrassenboden vor dem großen Garten säumten.<br />

„Mutter...Das darfst Du nicht denken! Alle kümmern sich darum. Nur habe<br />

ich im Moment mehr Zeit als die anderen.“<br />

„Still! Nimm nicht in Schutz, was ihn nicht verdient. Ihr seid alle meine<br />

Kinder, dennoch fühle ich, das Du etwas besonderes bist.“, war sich die<br />

betagte Dame ihrer Sache sicher.


„Mutter. Ich verspreche Dir, alles zu tun, damit es uns weiterhin gut geht.<br />

Mach Dir darüber keine Gedanken mehr. Genieße Deinen Lebensabend und<br />

erfreue Dich an den Dingen des Alltags...Wie den schönen Blumen hier.“<br />

Marcel deutete auf den Rosenbusch und das imposante Blumenmeer aus allen<br />

verschiedenen Blumenarten -und- Farben, das sich bis tief in den Garten<br />

hinein erstreckte.<br />

„Ich werde nicht zulassen, dass das Hotel niedergeht, das schwöre ich.“, gab<br />

sich Marcels Mutter kämpferisch.<br />

„Ist gut, Mutter.“, antwortete Marcel von Auersee wohlwollend.<br />

Nach einer Weile stand er auf, um zu telefonieren.


-24-<br />

Sonntag, 22.43 Uhr, Weststadt...<br />

Eine abendliches Intermezzo der vorsommerlichen Boten mit den noch<br />

präsenten Frühlingszeichen kündigte sich heute Abend an. Der Wind säuselt<br />

leise und lau durch eine alleenartig mit Bäumen bepflanzte Straße. Es war<br />

nicht einer dieser scharfen stechenden Winde, die einem kalt ins Gesicht<br />

klatschten- Im Gegenteil! Es war ein Wind, der einzig mit einer zärtlichen<br />

Berührung einer warmen Hand oder eines immer-weichen Samtstoffes<br />

vergleichbar war. Der leichte Wind spielte, scheinbar willkürlich, mit den<br />

Bäumen und klein gehaltenen Büschen am Wegrand und auch an den<br />

Hauseingängen. Heute war es noch wärmer, als im Durchschnitt der ganzen<br />

vergangenen Woche. Geparkte Wagen standen einträchtig hintereinander<br />

und warteten auf ihre Besitzer, die sie vielleicht wieder aufschließen und mit<br />

ihnen zur Arbeit fahren würden. Schließlich standen Fahrräder an den<br />

Ständern bei den Hauseingängen. Verbeulte wie nagelneue.<br />

Ein Hauseingang hatte fast eine „Attraktion“ zu bieten. Ein blaues, verbeultes<br />

Fahrrad mit absolut bananenartig verformten Felgen und platten Rädern, war<br />

rücksichtslos ausgeschlachtet und an die Hauswand gelehnt worden.<br />

Offensichtlich hatte es schon eine Weile dort gestanden.<br />

Die Berührungspunkte der Felgen mit dem Asphalt - wo der Reifen durch<br />

seine Luftlosigkeit keinen Zwischenraum mehr ließ- waren umrahmt vom<br />

blutroten rostigen Flecken, die durch gelegentlichen Regen entstanden waren.<br />

Eine Hausnummer weiter, das entgegengesetzte Bild: Frisch gestrichene<br />

Fassade, neue Kunststofffenster, gestrichene Balkonbrüstungen.<br />

Durch einen Torbogen, eingelassen in das Gebäude, gelangte man in den<br />

kleinen Garten, der ebenfalls einen guten Eindruck machte. Designerisch<br />

wurde das ganze von einer Terrasse mit einem Wintergarten, der gläsern aus<br />

der Fassade in den Hof ragte, abgerundet. Die Mieter oder Eigentümer der<br />

Wohnungen konnten sich zu recht stolz fühlen, ein kleines Paradies<br />

erstanden beziehungsweise bezogen zu haben.<br />

Durch die Scheiben des Wintergartens konnte man eine Frau beobachten, die<br />

vom Wohnzimmer in Richtung Schlafzimmer lief.


Im Lauf inbegriffen, streifte sie ihre Bluse ab und knipste mit einer typischen<br />

Bewegung die Klammern an ihrem schwarzen BH auf. Im Zimmer warf sie<br />

das Knäuel in einen chromblitzenden Wäschekorb. Danach machte sie einen<br />

kleinen Satz auf ihr Bett, deckte sich zu und schaltete die silberne Halogen-<br />

Nachttischleuchte mit Schwenkkopf aus.<br />

In dieser Idylle fiel nicht auf, was nun geschah: Fast simultan zum<br />

Ausschalten der Leuchte wanderte von irgendwo her ein roter, nicht großer,<br />

aber stark leuchtender Punkt an der Glasfront entlang...<br />

Zur gleichen Zeit, gegenüber auf einem Hausdach...<br />

`Ich ärgere dich mal ein bisschen, Süße´...<br />

Eine schwarz gekleidete Person kniete auf dem Dachabsatz und hielt ein<br />

Gewehr im Anschlag. Dass es kein kleines schnuckeliges Schrotflintchen war,<br />

wäre dem geübten Betrachter sofort aufgefallen.<br />

Der Mann schaute durch sein aufgesetztes Restlichtverstärkergerät in den<br />

aufgeschraubten Okular auf dem Gewehrlauf. Er streifte mit dem<br />

Rotpunktvisier einen Teil der Fassade des Hauses, leuchtete in manche Fenster<br />

hinein. Teilweise waren die Lichter eingeschaltet und Menschen saßen,<br />

standen, oder bewegten sich in ihren Wohnungen von einem Zimmer in das<br />

nächste. An einem der Fenster hielt der Mann einen Moment inne. Hatte er<br />

doch einen gewissen Vorteil durch seine „Sehhilfe“, konnte er ein, sich<br />

liebendes Paar beobachten, das sich durch das abgestellte Licht in<br />

trügerischer Sicherheit wähnte.<br />

Er konnte sich ein schmalziges Grinsen nicht verkneifen.<br />

Zurück auf seine Aufgabe bedacht, peilte er wieder ein ganz bestimmtes<br />

Fenster an, und beobachtete.<br />

...<br />

Gedanken eines Killers:<br />

`...Schieße oder schieße ich nicht?“ Was für eine beschissene Frage!<br />

Ob das wehtun wird? Ach, mir doch egal! Einem Schweinchen tut so ein<br />

Bolzenschußgerät bestimmt auch nicht weh, haha... Die Bettwäsche da ist<br />

aber was Tolles! Schade drum. Aber die Erben kaufen glatt neue, dafür ist ja<br />

dann Geld da... Brrr...scheiße, ist das kalt heute Abend... Okay also los!...´


Der Körper:<br />

...Atmung wird ruhiger und flacher. Ausatmung erfolgt jetzt nur noch aus<br />

dem Mund. Die Pupillen verengen sich. Der Körper entspannt sich geübt,<br />

doch psychisch ist jetzt Vollgas angesagt. Jetzt reagiert er auf jede kleine<br />

Störung. Nachdem er das Dämpferelement auf den Gewehrlauf geschraubt<br />

hatte, legt er die 51 mm lange, spitze Patrone in den Direktladeschaft. Ein<br />

leises Klicken rastet den Hahn ein. Der Finger, der sich im schwarzen<br />

Handschuh nicht mehr wohl fühlt, nimmt seinen Weg in Richtung Abzug um<br />

die Fingerkuppe direkt auf dem Abzug ruhen zu lassen. Pulsfrequenz sinkt<br />

auf 70. Sein ganzer Körper ist elektrisiert und entspannt gleichzeitig, in dem<br />

Wissen, gleich etwas ausführen zu müssen. Die Atmung setzt eine Sekunde<br />

aus. Der Gliedermuskel des Zeigefingers kontrahiert und drückt den Abzug<br />

durch. Der Schuss löst sich. Jetzt! ...<br />

Gleichzeitig...<br />

...Ein riesiger Taubenkot-Klumpen landete auf dem Lauf und bespritzte auch<br />

das Zielfernrohr. Der auf jede Konsequenz hin trainierte Mann erschrak nun<br />

doch so, dass er das Gewehr veriss und der abgegebene Schuss flirrend in<br />

Richtung Fassade flog, wo er dann mit einem nicht wirklich kleinen<br />

Staubwölkchen ins Mauerwerk krachte.<br />

„Scheiße !!!“, fluchte der Mann halblaut.<br />

Ein Hund in einer der Wohnungen oberhalb, der das leise Zischen<br />

vernommen zu haben schien, fing nun an zu bellen. Um nicht noch mehr<br />

Aufsehen zu erregen, entschloss sich der Mann eilig, seinen Auftrag<br />

abzublasen und schnell zu verschwinden. Während er seine Sachen in den<br />

matt-schwarz lackierten Metallkoffer verstaute, gingen in der Wohnung mit<br />

dem nervenden Hund die Lichter im Schlafzimmer an. Eine Frau mittleren<br />

Alters lief in den Flur hinaus und wies den Hund mit lauter Stimme an, die<br />

Klappe zu halten. Nachdem sich dieser allmählich zu beruhigen schien, sah<br />

die Frau sich doch etwas verunsichert in ihrer Wohnung um. Mit dem<br />

Gefühl, keiner Gefahr ausgesetzt zu sein, begab sich die Frau wieder ins<br />

Schlafzimmer und damit ins warme Bett zurück.<br />

Der Mann auf dem Dach wischte hektisch und gezielt, den in der Dunkelheit,<br />

grau schimmernden Kot von der Waffe, schraubte eilig den Schalldämpfer<br />

aus dem Gewehrlauf, und drückte zuletzt eine Entriegelung um das<br />

Griffstück vom Lauf zu trennen. Als die beiden größeren Teile verstaut waren,


drehte er noch schnell das Zielfernrohr vom Lauf ab und steckte es in die<br />

Seitentasche. Zuletzt schmiss er entnervt das Nachtsichtgerät in den<br />

mitgebrachten Rucksack und verließ das Dach so schnell und unauffällig wie<br />

er gekommen war. Auf dem Weg nach unten rief er über Funk einen<br />

Kontaktmann an, um diesem mitzuteilen das die Aktion gescheitert war. Den<br />

Grund nannte er dem Mann jedoch nicht. Er wollte nicht ausgelacht werden,<br />

wenn die anderen erführen, dass eine Taube einem ausgebildeten<br />

Scharfschützen Schach-Matt setzen konnte.<br />

„Spatz für Adlerhorst, kommen.“<br />

„Spatz, kommen.“<br />

„Objekt nicht eliminiert. Wiederhole, Objekt n i c h t eliminiert.“<br />

Völlig genervt schloss der Mann einen anthrazitfarbenen Audi S6 auf, der<br />

etwas weiter unten an einer Kreuzung geparkt war. Die Blinkleuchten<br />

flackerten zweimal kurz und das Innenlicht schaltete sich ein. Der Mann<br />

machte die Tür hinten rechts auf und warf den Koffer und den Rucksack auf<br />

den Rücksitz. Auf dem Fahrersitz Platz genommen, startete der Mann den<br />

Wagen, fluchte in einem fort und fuhr mit hohem Tempo die Seitenstraße bis<br />

zur großen Kreuzung hinein in die laue Sommernacht.


-25-<br />

Montag, 09.15 Uhr, Autobahn A 81 bei Stuttgart...<br />

Die Autobahn war, wie erwartet voll an diesem Tag. Aus dem Radio kam<br />

Robbie Williams mit seinem neuesten Lied. Das Lied wurde jäh unterbrochen<br />

durch die Ansage des Radiosprechers.<br />

„Radio Antenne Bayern hier. Wir haben eine neue Staumeldung. Es gibt<br />

durch einen Unfall sechs Kilometer Stau zwischen Esslingen und<br />

Wendlingen. Das Teilstück ist voll gesperrt. Eine Umfahrungsmöglichkeit gibt<br />

es dennoch: Über die B 313 Richtung Nürtingen. Von dort aus dann auf die B<br />

297 Richtung Kirchheim Teck. In der Gegenrichtung fahren sie am besten die<br />

Ausfahrt Kirchheim Teck West Richtung Wendlingen um dort dann auf der<br />

313 wieder auf die Autobahn zu kommen.“<br />

Ein gelber Zafira zog gerade vor den BMW auf die Überholspur.<br />

`Mist. Ich komme wohl erst heute Nachmittag in München an!´, dachte sich<br />

Sabrina und versuchte mehrmals, den Opel von der Spur zu scheuchen,<br />

indem sie kurz und kräftig auf das Gaspedal trat und abwechselnd nah und<br />

dann wieder mit normalem Abstand zu dem vorderen Wagen fuhr. Endlich<br />

beendete der Zafira seinen Überholvorgang und Sabrina konnte wieder Gas<br />

geben. Inzwischen hatte die Musik von Robbie Williams auf ein langsameres<br />

Stück gewechselt. Nun lief „Fields of Gold“ in einer Version von Eva Cassidy.<br />

Dieses Stück gefiel Sabrina so sehr, dass sie das Radio etwas lauter stellte. Die<br />

Autobahn wurde nun etwas freier und Sabrina drückte das Gaspedal nun<br />

ganz durch. Eine ganze Weile konnte sie etwa 210 fahren, bis sie wieder von<br />

einem langsam fahrenden Mercedes aufgehalten wurde.<br />

Sie dachte nach...<br />

`Ich muss unbedingt herausfinden, wie ich den Laden wieder<br />

zusammenflicke. Ich muss mit Berger und Frau Meissner mal besprechen, ob<br />

wir nicht besser eine Werbeagentur einschalten, um noch ein wenig Publicity<br />

zu erhalten. Mist! Vom Burgstädt habe ich auch schon eine Weile nichts<br />

mehr gehört. Wo steckt der nur? ...´<br />

Sabrina sah eine Chance, um den Mercedes zu überholen.<br />

Bald kam sie an das besagte Teilstück, das gesperrt sein sollte. Sie sah auch<br />

schon mehrere Polizeiwagen mit eingeschalteten Blaulichtern. Mehrere


Verkehrsleitkegel und ein Baustellenfahrzeug mit dem großen Aufbau, der<br />

mit dem Blitzlichtpfeil „Hier rechts“ anzeigte, leitete Sabrina und die anderen<br />

Autofahrer von der Autobahn herunter. Nun folgte sie der<br />

Umleitungsbeschilderung. Nach etwa einer halben Stunde war sie wieder<br />

zurück auf der Autobahn.<br />

Sabrina überlegte angestrengt, was sie alles zu tun hatte:<br />

- Inspektion des Hauses<br />

- Prüfung der Bücher<br />

- Personalüberprüfungen<br />

- Konzeptbesprechung mit dem Leiter des Hauses<br />

- Zusammenstellung neuer Angebote<br />

- Eventuell Ferienkräfte für das Reinigungsteam organisieren...<br />

`Mann! ... Da kommt ja einiges auf mich zu! Ich muss mich ran halten, glaube<br />

ich.´, seufzte Sabrina und überholte noch mindestens 9 weitere Autos in den<br />

nächsten 5 Minuten.<br />

Irgendwann entschloss sie sich, eine Pause einzulegen.<br />

Es sollte bis gegen 17.30 Uhr andauern, bis sie das Hotel in München<br />

erreichte.


-26-<br />

Montag, 09.18 Uhr, Polizeidirektion Heidelberg....<br />

„Hey Rainer! Schon so früh auf den Beinen? Was machst Du denn hier?“<br />

Rainer schaute aus den Unterlagen hervor, die er gerade in den Händen hielt.<br />

„Frag´ mich ruhig. Ich muss den Mist hier noch einmal durchgehen. Langsam<br />

kotzt mich das echt an! Nico und die anderen bauen ständig irgendeine<br />

scheiße und ich darf sie ausbaden!“<br />

Die Kollegin, die Rainer begrüßte, klopfte Rainer verständnissvoll auf die<br />

Schulter und setzte sich neben ihren gebeutelten Kollegen.<br />

„Was haben die denn jetzt schon wieder angestellt? Nach der Sache mit Frau<br />

Wiehler müssten sie doch durch den Anschiss vom Chef etwas engagierter<br />

sein.“<br />

„Oh, du liebe Zeit! Sylvia, eins sag´ ich Dir, wenn Nico nochmal so was<br />

macht, ist mir das scheißegal! Ich halte vorm Lischner nicht nochmal den<br />

Kopf hin.“<br />

Sylvia Rösch winkte mit einer kleinen Geste ab und fragte nochmals, was<br />

denn nun eigentlich das Problem gewesen war.<br />

„Ist ja gut. Was haben die denn jetzt angestellt?“<br />

„Dieser Dummkopf hat die Anzeige wegen der Vergewaltigung vorgestern<br />

verschlampt. Das ist schlimm genug, aber: 1. Diese Buonarotti ist immer noch<br />

unter Schock im Krankenhaus. 2. Nico ist seit gestern im Urlaub, und ist auch<br />

nicht zu finden. Der Rechtsanwalt von der Frau dreht schon Schleifen beim<br />

Büchner. Dieser hat natürlich den Lischner zusammengepfiffen und ich<br />

kriege den Frack voll, weil Nico zu meiner Sektion gehört.“<br />

Sylvia zog eine Grimasse und sog scharf Luft durch die Zähne ein.<br />

„Uuuh. Das klingt nicht gut.“<br />

„Darauf kannst Du Gift nehmen. Wenn der zurück ist, kann er froh sein<br />

wenn er nicht zum Toiletten-Dienst gehen muss, das schwöre ich!“<br />

„Na, dann. Und schon was anderes spannendes erlebt?“<br />

„Nö. Das Gleiche wie sonst auch. Und Ihr? Wie laufen die Planungen zur<br />

Razzia bei euch?“, fragte Rainer interessiert.<br />

„Wir werden uns mal die kleine Disko in der Kettengasse und einen Puff im<br />

Industriegebiet Süd näher ansehen. Du weißt ja, Lagenerkundung. Ich gehe


mal davon aus, dass es wieder nicht mehr zu machen gibt, außer Arrest für<br />

Illegale. Die Frauen tun mir irgendwie Leid.“<br />

„Tja. Das ist aber leider so. Wenn die sich so entscheiden, können wir nicht<br />

viel tun. Außer natürlich, Vorsorge und Aufklärung betreiben. In der<br />

Tschechei und Polen gibt es inzwischen eine Menge Arbeit und die Mädels<br />

haben teilweise wirklich einen hohen Bildungsabschluss. Manchmal denke<br />

ich daran, einer von denen zu helfen. Aber wie hieß es doch auf der Polizei-<br />

Schule: Gefühl ist Gefühl, Arbeit ist Arbeit.“<br />

„Da hast Du leider Recht, Rainer.“gab Sylvia Rainer zu verstehen.<br />

Rainer zuckte mit den Achseln.<br />

Sylvia erhob sich wieder vom Stuhl und ging in Richtung Kaffeeautomat. Sie<br />

drehte sich nochmals um und wollte wissen, ob Rainer auch einen wollte. Er<br />

willigte ein.<br />

Das Telefon klingelte.<br />

Rainer hob ab und meldete sich.<br />

„Rainer Holzmann am Apparat.“<br />

„Kohler, Mitte hier. Hör´ mal: Wir haben Stress mit dem Verkehr am<br />

Bahnhof. Die Demo läuft aus dem Ruder. Wir mussten eben gerade alle VP<br />

´ler dahin schicken. Ausgerechnet jetzt ging ein Anruf ein. Könnt ihr kurz<br />

nachsehen was los ist.“<br />

„Spinnt ihr? Ich bin bei der K2 und kein Verkehrspolizist!“<br />

„Mann....Jetzt mach´ halt“, bettelte der Kollege der vom Erdgeschoss aus<br />

anrief. Nach kurzem Zögern fügte der Mann noch etwas hinzu.<br />

„Wenn ich jetzt auch noch gehe, ist keiner mehr hier. Das muss jetzt sein!“,<br />

redete der Beamte auf Holzmann ein.<br />

„Also gut. Aber ich hab´ bei Euch was gut. Ist das klar?“, resignierte<br />

Holzmann.<br />

„Danke. Ich werde mir etwas überlegen. Der Unfall ist in der Poststraße<br />

Genau in der T-Kreuzung gegenüber dem Café Rossi“, hörte Rainer den<br />

Kollegen noch sagen, bis dieser dann schnell auflegte.<br />

Rainer schaute auf seine Armbanduhr und stellte fest, dass es 10.05 Uhr war.<br />

Er sah aus dem Fenster und überlegte ob er eine wasserfeste Jacke mitnehmen<br />

sollte, da es nach Regen aussah. In der Garderobe im hinteren Teil des<br />

Großraumbüros holte er eilig seine dunkelblaue Gore-Tex Jacke, auf der, wie<br />

bei Polizisten üblich, in reflektierenden Buchstaben „POLIZEI“ aufgenäht war.


Rainer meldete sich schnell bei Sylvia ab und trug ihr auf, sie solle anrufen,<br />

wenn ihn jemand suchen würde. Sie schaute verdutzt, nickte aber dann. Den<br />

Kaffee, den sie ihm vorher gebracht hatte, ließ er halb getrunken auf seinem<br />

Schreibtisch stehen. Rainer ging zügig auf den Fahrstuhl zu, stieg ein und<br />

fuhr ins Untergeschoss. Im Keller angekommen, holte Holzmann den<br />

Funkschlüssel seines neuen Dienstwagens heraus. Glücklich war er über<br />

diesen Wagen wieder nicht. Der Passat war zwar schon alt, aber für dieses<br />

Auto erntete er Häme in Reinform. „Der Neue“ war eine schwarze A-Klasse,<br />

die noch dazu mit verdunkelten Scheiben hintenrum ausgestattet war.<br />

Kaum aus der Garage herausgefahren, nieselte schon der heutige erste Regen<br />

auf die Windschutzscheibe. Nach einer kurzen Fahrt kam er an die<br />

Unfallstelle.<br />

Ein Taxi und ein Sportwagen standen am Fahrbahnrand und zwei Männer<br />

diskutierten daneben. Bei genauerem Hinsehen ärgerte sich Rainer ein wenig,<br />

da es sich offensichtlich um einen Bagatellschaden handelte. Er hielt murrend<br />

an, sammelte sich und stieg aus.<br />

Gleichzeitig, Poststraße..<br />

„Sie waren viel zu schnell, junger Mann!“<br />

Der ältere Mann gestikulierte wild mit den Händen und empörte sich über<br />

sein Gegenüber.<br />

„Was soll das denn heißen? Ich war doch schon lange an der Kreuzung<br />

vorbei!“<br />

Der Fahrer des anderen Autos, eines Taxis, winkte ab und machte den<br />

Eindruck totaler Gereiztheit.<br />

„Wissen Sie was....?“<br />

Einen Moment zögerte der Taxifahrer, der innerlich kochte und nun<br />

beschäftigt war, zu seinem Recht nun nicht doch alles kaputt zu reden, indem<br />

er den Unfallgegner vielleicht noch beleidigte.<br />

„Ich lasse mich auf keine Diskussionen mehr ein. Das wird mir jetzt zu blöd!“<br />

Er drehte sich weg und zündete sich eine Zigarette an. Beide warteten nun<br />

auf die Streife, die vorbeikommen sollte.<br />

Der alte Mann versuchte nochmals auf seinen Kontrahenten einzureden und<br />

beschuldigte ihn weiterhin, Unrechtes getan zu haben.<br />

„Wenn jemand von rechts gekommen wäre, hätten Sie NIE im Leben anhalten<br />

können !“


Inzwischen bog ein schwarzes Auto um die Ecke. Die Seitenscheibe des<br />

Fahrers fuhr herunter und eine Hand streckte ein Magnetfußblaulicht mit<br />

Spiralkabel auf das Dach. Dort fing es dann an grell blau zu blitzen.<br />

„Na endlich,“ entgegnete der Ältere ungeduldig.<br />

Der Taxifahrer nickte flüchtig.<br />

Holzmann stieg aus dem Zivilfahrzeug, begrüßte die beiden und wies sich<br />

dann aus.<br />

„So. Was ist denn bitte passiert?“, wandte er sich fragend an beide<br />

Unfallgegner. Der ältere Mann preschte gleich in einem fort mit<br />

Beschuldigungen, lehrerhaften Aussprüchen und ließ keine Gelegenheit aus,<br />

seinen Gegner als unerfahren und unachtsam darzustellen. Holzmann<br />

reagierte kühl und routiniert und fragte nach den, für ihn wichtigen<br />

Aspekten.<br />

„Ich schlage vor, dass wir beide mal ins Auto steigen, und ich dann alles<br />

weitere dort aufnehme.“, versuchte Rainer die Diskussionen abzufangen, die<br />

jetzt wieder angefangen hatten. Kleinlaut gab der alte Mann nach und<br />

Holzmann war mit dem Taxifahrer in die A-Klasse gestiegen.<br />

„Okay nochmal der Reihe nach: Sie heißen Stefan Isslinger, geboren am<br />

28.4.1971, Schneegasse 1, 69<strong>12</strong>4 Heidelberg. Ist das soweit richtig?“<br />

Der Taxifahrer nickte.<br />

„Gut. Also nochmal: Was ist denn genau passiert?“<br />

„Ich bin die Poststraße Richtung Stadtbücherei gefahren. Hier an der T-<br />

Kreuzung ist mir das Auto aufgefallen, das aus der Querstraße kam. Erst<br />

dachte ich, dass der Fahrer, also der Herr Güldenhaut anhalten würde. Als ich<br />

den Kreuzungsbereich verlassen hatte, und auch der Herr Güldenhaut für<br />

mich nicht mehr zu sehen war, bemerkte ich, dass Herr Güldenhaut nicht<br />

angehalten hatte und in die hintere linke Seite fuhr. Das ist alles.“<br />

Holzmann schrieb den letzten Satz zu Ende und las schnell alles durch, um<br />

dann alles mit dem Unfallopfer durchzugehen. Rainer las dem Mann den<br />

ganzen Text vor. Zwischenzeitlich war der Regen etwas stärker geworden<br />

und der ältere Mann war ebenfalls zu den beiden ins Auto gekommen. Als er<br />

bemerkte wie der Text von Holzmann verlesen wurde, konnte man seinen<br />

steigenden Unmut bemerken. Er fing abermals an sich zu beschweren und<br />

setzte diesmal noch einen drauf.


„Es ist eine Unverschämtheit! Sie sagen dem ja alles vor !!! Unerhört! Ich<br />

finde das nicht in Ordnung !!!“<br />

Holzmann atmete kaum merklich durch und fuhr seine Lesung fort. Als der<br />

Mann nicht aufhörte, sich weiter zu beschweren und nochmals behauptete,<br />

alles würde vorgesagt, wandte sich Holzmann abrupt zu Güldenhaut.<br />

„Seien Sie mal bitte still, ja? Ich denke nicht, dass Sie seiner Aussage etwas<br />

abschätzig machen können. Ich wäre vorsichtig mit dem, was Sie sagen...!“<br />

Nochmals fing der Mann an, Holzmann zu bezichtigen, und unterbrach seine<br />

Rede regelrecht. Holzmann platzte der Kragen. Er verwies ihn mit hartem Ton<br />

des Wagens.<br />

„...Und jetzt reicht es. Steigen sie bitte aus. So geht das nicht!“<br />

Holzmann schaute mit scharfem Blick nach hinten und wartete, bis der Mann<br />

ausgestiegen war, und die Tür zuschloss. Von dem anderen Unfallbeteiligten<br />

unbemerkt, erfüllte es Rainer mit Genugtuung, den renitenten Mann draußen<br />

stehen zu lassen. Und das bei dem Platzregen, in den der Niesel jetzt<br />

übergegangen war!<br />

„Also...Dann weiter. Wie schnell waren Sie denn etwa?“<br />

„Schätzungsweise 30-35 km/h.“<br />

„Haben Sie telefoniert oder Radio gehört?“<br />

„Nein.“<br />

„Gefunkt?“<br />

„Auch nicht.“<br />

„Okay. Ich denke es ist so in Ordnung. Lesen Sie sich den Bericht nochmals<br />

durch und unterschreiben bitte hier unten.“<br />

„Ich würde sagen, dass Sie noch einen Augenblick warten. Dann habe ich die<br />

Aussage von Herrn Güldenhaut. Dann sprechen wir uns nochmal kurz ja?“<br />

Isslinger willigte ein und stieg aus der A-Klasse. Er ging in schnellen Schritten<br />

zu seinem Taxi, stieg ein und schloss schnell die Tür.<br />

kurz nachdem Isslinger ausgestiegen war, stieg Güldenhaut auf einen Wink<br />

von Rainer wieder zu ihm ins Auto. Dort wiederholte Holzmann das<br />

Programm mit der Aussage und stieg dann zusammen mit Güldenhaut aus<br />

dem Wagen. Güldenhaut schien noch verärgert über seinen Rausschmiss zu<br />

sein, unterdrückte dies aber mehr oder weniger erfolgreich.<br />

Auf der Straße schaute sich Holzmann kurz nach Reifenspuren und<br />

Ähnlichem um. Er erinnerte sich an den Straßenzustand, als der Regen noch


nicht angefangen hatte. Die beiden Wagen hatten augenscheinlich auch nicht<br />

viel zu bieten, außer, dass der Taxifahrer recht gehabt haben musste, denn die<br />

Wagen standen in einer Weise, bei der nur Güldenhaut schuld sein konnte.<br />

Dann machte er sich noch ein paar Notizen und verabschiedete dann die<br />

beiden Kontrahenten.


-27-<br />

Montag, 14.30 Uhr, Hotel Victoria, München...<br />

München war wahrlich eine großartige Stadt. Das sagten jedenfalls die<br />

Bediensteten des Hauses „Victoria“. Sabrina konnte dies trotz damaliger<br />

Ausbildung hier in derselben Stadt, bisher noch nicht überprüfen. Bis auf die<br />

Theresienwiese, dem englischen Garten und anderer wirklich einschlägiger<br />

Point-of-interests kannte sie sich in München so gut wie gar nicht aus. Die<br />

einzigen Dinge, für die sie sich interessierte, waren Dinge gewesen, die direkt<br />

das Hotel betrafen. Zumindest beauftragte sie die richtigen Leute für die<br />

richtigen Arbeiten.<br />

Maike Gärtner war hier ihre Floristin für alle Fälle gewesen, Hans Jung, ihr<br />

Chef de Cuisine in München, Empfangschef war Hubert Münzer gewesen, ein<br />

Mann auf dem Weg zum Urgestein in diesem Hotel, ähnlich wie Burgstädt es<br />

in Heidelberg bis zu seinem Tod gewesen war. Sabrina bekam auch bei<br />

diesem Abstecher nichts von der traditionellen Stadt München mit. Sie brütete<br />

gerade über diversen Papieren.<br />

„So ein Mist!“<br />

Sabrina kratzte sich am Nacken und überlegte kurz . Dann nahm sie den<br />

Hörer ab und wählte eine Nummer.<br />

Kurzes Warten.<br />

„Herr Münzer? Kommen Sie doch bitte in mein Büro. Ich finde die<br />

Abrechnungen der letzten Woche nicht. Ich wäre sie gerne nochmals<br />

durchgegangen...Ja?... Danke. Nein, nein, ist dann nicht mehr nötig... Dann<br />

brauche ich die Abrechnung doch nicht...Wie? ... Ja. Danke.“<br />

Kurze Zeit später war Sabrina inzwischen aus dem Büro gekommen, um bei<br />

der Hausfloristin Maike Gärtner das Blumengedeck zu besprechen, welches<br />

am Mittwoch Abend gebraucht wurde. Es sollte ab 19 Uhr eine Gala<br />

stattfinden, die zur Spendensammlung für ein Kinderhilfswerk diente. Der<br />

Arbeitstag zog sich noch ewig hin und Sabrina wollte endlich nach Hause.


Am späten Abend, gegen 21.00 Uhr, ging Sabrina dann endlich außer Haus.<br />

Sie beschloss, zu ihren Eltern nach Neuses zu fahren. Das Dorf war etwa 160<br />

km weit weg, aber Sabrina nahm dies, wie sonst auch, gelassen hin. Weite<br />

Strecken war sie gewohnt.<br />

Sie traf gegen 22.15 Uhr bei ihren Eltern ein, die sie zuvor angerufen hatte.<br />

Diese empfingen sie herzlich.<br />

„Na Du! Mal endlich wieder im Lande? Wie geht´s meiner großen Tochter?“;<br />

fragte Sabrina´s Mutter strahlend.<br />

„Mir geht´s gut. Im Moment läuft es nicht gut im Geschäft, aber sonst ist alles<br />

in Ordnung.“<br />

Ihr Vater kratzte sich nachdenklich am Kopf. Ihm schien etwas eingefallen zu<br />

sein.<br />

„Das mit Heinrich Burgstädt ist sehr traurig. Er war wirklich ein guter<br />

Mensch.“<br />

Vater, Mutter und Tochter waren sich einig, dass der Tod Burgstädts nicht<br />

nur ein kollegialer Verlust, sondern vor allem auch ein menschlicher war.<br />

kurz darauf setzten sich alle in das Wohnzimmer und die Mutter begann zu<br />

erzählen, was so alles im Ort passiert ist.<br />

„Der Frank ist im Moment im Urlaub. Der hat am Wochenende das Auto<br />

bepackt und ist in der Frühe ins Erzgebirge gefahren. Angerufen hat er bis<br />

jetzt zwar nicht aber eine SMS kam vorhin beim Papa an. Der ist vor kurzem<br />

dort angekommen und hat sein Zimmer in der Pension bezogen. Soll dort<br />

ganz schön sein. Der Sigi hat mit Papa das Vordach fertig gemacht, und die<br />

Planung für den Laden läuft schon auf Hochtouren. Wir hatten uns überlegt,<br />

für die Eröffnung eine kleine Band anzumieten und daneben natürlich einen<br />

DJ der euren Musikgeschmack entspricht. Die Gemeinde ist ziemlich<br />

gespannt auf das Ergebnis. Der Andreas war Freitag auf Samstag da und hat<br />

uns von seiner Klausur vor einer Woche erzählt. Er hätte den Schein ohne<br />

Mühe geschafft. Du glaubst nicht wie froh der ist, dass bald Pfingsten ist. Und<br />

dann hat er uns von einer Bekanntschaft mit einer Kommilitonin erzählt mit<br />

der er sich ab und zu in einem Internetcafé trifft. Der will sie gerne zur<br />

Freundin. Hat ununterbrochen nur von ihr geschwärmt! Ansonsten geht es<br />

ihm gut soweit.“


Nach einer kurzen Rede-Pause fügte Sabrina´s Mutter noch hinzu, dass ihr<br />

Bruder Andreas sich etwas über seine finanzielle Situation ärgerte, und mit<br />

dem jobben im Media-Markt in München nicht hin kam, was die Kosten<br />

betraf. Sabrina nahm dabei die Apfelsaftflasche vom Tisch, öffnete sie und<br />

füllte sich ihr Glas halb voll. Als sie dann ansetzte, bemerkte ihre Mutter<br />

einen Satz, den sie sich besser hätte aufsparen sollen.<br />

„Andreas meinte noch, dass, wenn das so weiterginge mit weggehen und<br />

Miete zahlen und Mädchen ausführen, er sich einen Einkaufswagen aus dem<br />

Lidl klaut und mit Schlafsack und Kofferradio im englischen Garten betteln<br />

geht, bis Heike -so heißt die junge Dame- ihn als Freund akzeptiert oder die<br />

Polizei ihn von der Straße holt. Achja, und einen Motorradladen will er jetzt<br />

auch noch aufmachen.“, beendete Sabrinas Mutter sichtlich erheitert ihre<br />

Ausführungen.<br />

Sabrina prustete den halben Schluck über die Hand, den Arm und schließlich<br />

auch auf die Hose. Vor Lachen konnte sie sich nicht halten, beruhigte sich<br />

dennoch gleich wieder. Aki, der Hund des Hauses schaute Sabrina etwas<br />

verwirrt an und fing kurz an zu fiepen, als Sabrina ihn zu sich zog und<br />

entschuldigend streichelte.<br />

„Entschuldigt mich! Dieser elendige Schmarotzer. Immer muss er von<br />

fremder Hand profitieren. Ist vielleicht mal ganz gut, dass er bluten muss. Ach<br />

nein, im Ernst: Ich gönne ihm das. Er sollte sich nur nicht hinein steigern“<br />

Sabrina stand auf, um in der Küche die Saftflecken notdürftig von der Hose zu<br />

tupfen, was ihr schließlich auch gelungen war.<br />

Der Vater, der die ganze Zeit still aber schmunzelnd das Gespräch verfolgte,<br />

meldete sich nun auch zu Wort.<br />

„Wie sieht es eigentlich bei Dir aus? Bist Du immer noch alleine?“<br />

Sabrina wollte erst ausweichen, aber als die erwartungsvollen Blicke des<br />

Vaters nicht abrissen, quälte sie sich zu einer Antwort.<br />

„Ja...Aber ich bin glücklich soweit! Wisst ihr, ich kann und will im Moment<br />

gar nicht gebunden sein. Naja...Obwohl ich mich manchmal schon alleine<br />

fühle.“<br />

Sabrina´s Vater erkannte, dass seiner Tochter das Thema nicht recht gewesen<br />

war, und wechselte es dann. Er erkundigte sich nun, ob Sabrina sich schon<br />

bei Nicole, einer Sandkastenbekanntschaft aus der gleichen Gemeinde<br />

gemeldet hatte.


Sabrina schien ganz überrascht zu sein und stand sofort auf um ihre Jacke zu<br />

holen. Die Eltern blickten leicht verdutzt hinterher.<br />

„Gut, dass Du mich erinnert hast! Ich war die letzten dreimal hier und kein<br />

einziges Mal bei ihr. Ich werde mal rüber gehen.“<br />

Nachdem sie die Schuhe angezogen hatte, grinste sie noch und verabschiedete<br />

sich mit<br />

„Bin spätestens um 00.00 Uhr zurück, ja?“<br />

Ihre Eltern fühlten sich an frühere Mahnungen erinnert, winkten aber ab und<br />

riefen lächelnd<br />

„Von uns aus brauchst garnet kommen.“<br />

„Ha-ha-ha.“, war die Antwort und schon fiel die Tür ins Schloss.<br />

Nach einer kleinen Weile Fußmarsch kam Sabrina an einen schönes, breit<br />

gebautes Chalet, gestützt von Fachwerk aus dunklem Holz. Sie klingelte kurz<br />

und die, inzwischen verheiratete Freundin, machte sofort die Tür auf und<br />

umarmte ohne Zögern Sabrina lange und fest.<br />

„Du hast Glück, dass die Kinder schon schlafen. Jannik kann echt den letzten<br />

Nerv rauben. Wenn der aufgewacht wäre! Die zwei Mädels kannst du<br />

nichtmal mit ´ner Bombe wecken.“<br />

„Kann man nix machen.“, erwiderte Sabrina glücklich und sah ihre Freundin<br />

von oben bis unten an.<br />

„Siehst richtig gut aus, Frau Hertl.“<br />

„Du aber auch. Komm´, lass uns mal reingehen.“<br />

Eine 2 Stunden andauernde Zeit wurde zum Bücher füllenden Austausch<br />

genutzt und Sabrina fühlte sich wieder richtig wohl, fast heimisch an dem<br />

Ort ihrer Kindertage. Bald darauf verabschiedete sich herzlich von ihrer<br />

Freundin und machte sich wieder auf den Weg zum Elternhaus. Dort<br />

angekommen, blieb sie noch ein wenig, bis die Eltern sich schlafen legen<br />

wollten.<br />

„Fahr´ nicht so schnell, Kind!“, ermahnte kurz der Senior seine Tochter an der<br />

Haustür.<br />

„Ich??? Nee! Ich doch nicht Papa.“, tat Sabrina unbeteiligt.<br />

„Moach das hahmkummst, du narrisches Gör.“, erwiderte Sabrina´s Mutter.<br />

„Gute Nacht, Eltern.“ sagte Sabrina und verschwand in die Dunkelheit.<br />

Eine Autotür wurde geschlossen, der Motor gestartet und ein Gasstoß ließ Kies<br />

spritzen.


-28-<br />

Mittwoch, 13.20 Uhr, Polizeidirektion Heidelberg...<br />

Holzmann saß gerade auf seinem Platz im Großraumbüro Heute war mal<br />

wieder einer der Tage, an dem er keine Lust hatte zu arbeiten. Er musste da<br />

durch. Den ganzen Morgen hatte er bürotypische Dinge getan, wie zum<br />

Beispiel alte Akten sortieren und für die neuen Fälle Platz schaffen in neuen<br />

Ordnern.<br />

Dann kam Sylvia vorbei.<br />

„Na wie geht’s?“, fragte sie.<br />

„Ich bin in Ordnung. Ich habe heute nur irgendwie einen schlechten Tag<br />

erwischt.“<br />

Sylvia Rösch sah Rainer an.<br />

„Ach,... Ich weiß auch nicht. Vielleicht fehlt mir die Abwechslung. Wie geht’s<br />

Dir?“, führte er weiter aus.<br />

„Ich war gerade auf Streife. Wir haben am Bahnhof ein paar PK´s<br />

durchgeführt, aber in Heidelberg geht’s ja zum Glück nicht so zu wie in<br />

Frankfurt, oder so. Ist alles ein wenig normaler hier.“, antwortete Rösch.<br />

„Sag´ mal denkst Du, dass wir Glück haben werden mit der Sache am<br />

Güterbahnhof?“, fragte sie jetzt.<br />

„Ich weiß es nicht. Unsere Vorausplanung steht soweit. Der Lischner ist guter<br />

Dinge. Budjen und ich sind mit dem Einsatzplan fast fertig. Jetzt fehlt nur<br />

noch Shkodran.“, erwiderte Rainer.<br />

„Ist der noch nicht wieder zurück in Heidelberg?“, fragte Rösch.<br />

„Soweit wir wissen, treibt er sich gerade in Hamburg herum. Die Kollegen<br />

dort beobachten ihn. Aber, wenn ich richtig informiert bin, lassen die den<br />

dort abziehen. Lischner hat mir mal gesteckt, dass die Oberen Zehntausend<br />

insgeheim vermuten, dass oben ein paar bestechlich sind. Ein kleiner Besuch<br />

im Puff und schon gibt’s keine Razzien. Deshalb warten wir, bis er zurück in<br />

seinem Idyll ist.“<br />

„Ich weiß nicht. Was ist wenn er woanders hingeht?“, war Rösch besorgt.<br />

„Nein. Der kommt wieder. Der hat hier den Laden laufen. Seine Mädels<br />

schuften den ganzen Tag. Der wird sich die Euros nicht entgehen lassen.<br />

Außerdem hält sein Revier ohne ihn nicht ewig. Du weißt doch: Ein Hund, der


nicht immer an seine Stammlaterne pisst, verliert irgendwann sein Revier.“,<br />

erklärte Rainer.<br />

„Ja, aber wenn der Hund nirgends hin pisst, hat er auch nichts verloren. Sein<br />

Herrchen bestimmt die Route, nicht er... Shkodran ein Hund?“, sagte Rösch<br />

und grinste.<br />

„Shkodran ist, was seine Intelligenz angeht eine Ratte, was seine<br />

Vorgehensweise angeht ein Affe und was seinen Revieranspruch angeht- Ein<br />

Terrier vielleicht?“, scherzte Holzmann.<br />

„Wissen wir wann er hier ist?“ überging Rösch Rainers Scherz.<br />

„Noch nicht aber Budjen ist da dran. Er meldet sich dann.“<br />

„Das bedeutet: Warten.“, gab Sylvia Rösch resigniert von sich.<br />

„Jep.“, antwortete Rainer und Sylvia verabschiedete sich und ging in die<br />

Pause.<br />

Eine Weile beschäftigte Holzmann sich noch mit belanglosen Dingen, wie<br />

Papiere sortieren und Mitteilungen in die Ablage legen. Er stellte fest, dass es<br />

an diesem Tag sehr warm war und ärgerte sich darüber, nicht frei zu haben,<br />

um den sonnigen Tag zu genießen. Inzwischen war es kurz nach 14 Uhr und<br />

Holzmann machte sich auf den Weg in seine eigene Pause.<br />

Wenig später spazierte Holzmann die Poststraße ostwärts Richtung Café Rossi,<br />

um sich dort mit einer schäumenden Tasse Cappuccino und einer leichten<br />

Lektüre die Zeit zu vertreiben. Da er wie immer sein Handy dabei hatte,<br />

leistete er es sich auch manchmal, nicht pünktlich zurück zu sein. Der Kellner<br />

kam vorbei und nahm Rainers Bestellung auf.<br />

Dann kam er mit einer Tasse zurück, stellte sie ab und sprach noch kurz mit<br />

Holzmann.<br />

„Na? Auch mal wieder da?“<br />

„Ich muss doch meinem Stammlokal die Ehre erweisen. Wie geht´s ?“<br />

„Ganz gut. Habe Stress an der Uni.“<br />

„Na dann.“, antwortete Holzmann und ließ Ole, den Kellner wieder gehen.<br />

kurz darauf nippte Holzmann an seinem Getränk und schaute sich dabei die<br />

Gegend um das Café an. Man sah einige Leute vor dem McDonalds, der<br />

gegenüber lag. Ebenso sah man Leute aus der Richtung Poststraße kommend,<br />

die vermutlich in der hiesigen Stadtbücherei oder anderswo in der Nähe<br />

ihren alltäglichen Dingen nachgegangen waren.<br />

Holzmann genoss seine Pause sichtlich und sah zufrieden aus.


-29-<br />

Mittwoch, 10.03 Uhr, Neckarwiese...<br />

Sabrina wunderte sich nun schon das zweite Mal in dieser Woche über<br />

Marcel von Auersee.<br />

Er hatte ihr abermals für heute einen freien Tag aufgetragen, um sich „wieder<br />

etwas mehr um den Laden kümmern zu dürfen“, wie er sagte. Sabrina konnte<br />

dies nur recht sein, dennoch wunderte sie sich über diese, sich zuweilen<br />

anhäufenden, „großen Gesten“. Sie besann sich heute auf einen ruhigen<br />

Fortgang des Tages. Morgens schon hatte sie im Halbschlaf mit Freuden den<br />

Wecker ausgeschaltet, der sie wie immer um dreiviertel 5 weckte. Nach dem<br />

Frühstück hatte sie sich lockere Sportsachen angezogen und war dann ein<br />

wenig im Kirchheimer Feld radeln gewesen. Bepackt mit einer Radlerflasche<br />

Wasser, ihrem Geldbeutel und einem MP3-Player machte sie sich danach auf<br />

den Weg in die Stadt. Die Route die sie wählte, entsprach in Teilen der<br />

Radtour, die sie beim letzten Mal unternahm. Das hieß, sie kam wieder am<br />

Bismarck-Platz vorbei und verweilte dann eine kurze Zeit wieder an der<br />

Neckarwiese um sich die Schwäne und Gänse anzuschauen, die sich<br />

allmorgendlich aus ihrem Schlaf aufrafften und ihrem Tagesgeschäft<br />

nachgingen. Schwimmen, schnattern, in der Sonne im Gras hocken. Sabrina<br />

sah zu, als ein Kiesfrachter den Neckar flussabwärts Richtung Mannheim<br />

fuhr.<br />

„IDA DOLLING“ verschaffte sich durch mehrmaliges kurzweiliges Tuten, die<br />

nötige Aufmerksamkeit, um sich dann ihren Weg zwischen dem Federvolk zu<br />

bahnen. Ein paar der Gänse schwammen frech vor dem Schiffskiel her und<br />

machten nur wenig Anstalten, den Weg freizumachen, aber der große<br />

Frachter fuhr unablässig weiter und die renitenten Tiere gewannen an<br />

Respekt gegenüber dem langen Schiff. Mit lautem Geschnatter, als würden sie<br />

sich über die Belästigung auslassen, flogen sie ein paar Meter zur Seite, um<br />

dort dann weiter im Bummeltempo umher zu rudern.<br />

Sabrina beobachtete die ganze Szene und amüsierte sich über das Verhalten<br />

der Tiere gegenüber dem „Eindringling“. Eine Weile saß Sabrina noch, bis sie<br />

dann- im Gegensatz zur Radtour am vorigen Tag- nicht in Richtung


Neuenheim beziehungsweise Handschuhsheim, sondern, den Fluss begleitend,<br />

in Richtung Mannheim auf den Weg machte.<br />

Sie fuhr mit lockerem Tempo und sah sich dabei die Gegend an. Dann<br />

beschleunigte Sabrina um in Neuenheim schnell auf die Ernst-Walz-Brücke<br />

zu kommen, die Bergheim und Neuenheim verband. Dort wechselte sie die<br />

Flussufer, da hier die Neckarwiese nicht mehr so breit angelegt war, und sie<br />

noch etwas vorhatte. In Höhe Wieblingen teilte sich der Fluss in die Fahrrinne<br />

der Schiffe und in den unbegradigten Flusslauf. Sabrina zog es vor, den<br />

Leinenpfad zu verlassen, um im hiesigen Stadtteil eine kleine Rast zu machen,<br />

und sich für den weiteren Weg nach Mannheim neu mit Proviant<br />

einzudecken. Vor allem wollte sie Wasser kaufen, um nicht zu verdursten.<br />

Nach dem Einkauf fuhr sie in zügigem Tempo weiter und dachte nach.<br />

`Heute ist wirklich ein schöner Tag. Eigentlich kann ich ja froh sein, in letzter<br />

Zeit soviel Arbeit abgenommen zu kriegen. Aber komisch ist das schon... Ich<br />

frage mich echt was Marcel vorhat. Der denkt sich wohl wie die Alte, dass ich<br />

den Laden nicht im Griff habe. Dabei wissen die doch ganz genau, dass ich<br />

das Ding seit fast 2 Jahren schon selbst schmeiße ! Hhhhhm... Was soll ich<br />

nur machen??? Mich kotzt es langsam an, was zur Zeit in Heidelberg los ist.<br />

Kein Mensch will mehr großartig weggehen, geschweige denn ein Hotel<br />

besuchen. Naja, wenigstens die Touristen eben. Aber die kommen ja auch<br />

nicht mehr! Das Marriott hat seine Steffi Graf und wir bluten langsam aus.<br />

Ich muss mich so langsam mal mehr anstrengen. Sonst kann ich es vergessen,<br />

und die von Auersee´s bekommen Recht mit der Annahme, dass ich nur so<br />

eine kleine Tussi mit Null-Ahnung bin. Dabei hat der gute Burgstädt doch so<br />

oft positiv von mir gesprochen. Ich meine, die bekamen doch nie einen<br />

Grund, wirklich zu glauben, ich sei zu blöd und zu jung für den Kasten..Ich<br />

glaube ich werde mal mit dem Marketing reden. Die Prospekte von uns kann<br />

man wirklich den Hasen geben, und der Internet-Auftritt sollte mal<br />

überarbeitet werden. Ich glaub´ wir sollten noch mehr Aktionen bringen, so<br />

mit Live-Musik und so. Das ganze sollte „Castle-Dinner“ oder so heißen..<br />

Aber was bieten wir an...mal nachdenken.....´<br />

Inzwischen war Sabrina in Seckenheim, einem Mannheimer Vorstadt-<br />

Trabanten, angelangt und dachte darüber nach, nun doch zurückzukehren,<br />

um ihrem Ideenfluss freien Lauf zu geben und alles zu Papier zu bringen. Sie<br />

nahm sich vor, ein Meeting mit allen Beteiligten abzuhalten und alles zu


erläutern. Im Eiltempo fuhr sie zurück und war sehr schnell wieder in<br />

Wieblingen und hatte es nun nicht mehr weit bis zu sich nach Hause. Am<br />

Wieblinger Rathaus nahm sie die ganze Kraft zusammen und strampelte<br />

schwitzend um jeden Meter. Da sie länger nicht mehr so gefahren war, und<br />

nun übereilt fuhr, merkte sie zunächst nicht, wie es langsam in ihren Waden<br />

zu wummern anfing. Der Magnesium-Mangel und das Ausgehen des<br />

Sauerstoffumsatzes in den Muskeln verkrampfte das ganze Bein.<br />

Sabrina war körperlich ausgepumpt.<br />

Wie zu erwarten war, stach es plötzlich durch ihre Oberschenkel. Sabrina<br />

war so konzentriert gefahren, dass sie mit einem Schlag aus der Trance kam<br />

und sofort an einer Bushaltestelle am Ortsende anhielt und zwangsweise eine<br />

Pause einlegte.<br />

Sie stellte fest, dass sie nicht mehr konnte.<br />

Sabrina blieb sitzen und beobachtete den frühabendlichen Feierabendverkehr<br />

auf der Mannheimer Straße.<br />

Inzwischen war es kurz nach 16 Uhr geworden und Sabrina ärgerte es, dass<br />

ihr Körper nicht wie ihr Geist auf Top-Speed war. Sie wollte nur nach Hause.<br />

Sabrina versuchte aufzustehen und stützte sich am Fahrrad ab. Erneut stach<br />

es ins Bein und Sabrina gab auf. Mit schmerzverzerrtem Gesicht, ließ sie sich<br />

wieder auf die Holzbank im dunkelblauen, verglasten Wartehäuschen sinken.<br />

Sie fluchte vor sich hin als plötzlich eine schwarze A-Klasse in die<br />

Haltestellen-Bucht einbog.<br />

Die vordere Seitenscheibe des Wagens fuhr surrend herunter und ein<br />

gutgelaunter Holzmann musterte Sabrina von oben bis unten und konnte sich<br />

das Grinsen nicht verkneifen.<br />

„Ich wollte mal nachsehn´ ob alles klar ist bei Ihnen. Man sieht Sie schon von<br />

weitem hier herum hinken. So wird das nix! Vielleicht sollten Sie nach<br />

Hause.“, stellte Holzmann sichtlich vergnügt fest.<br />

Sabrina zog eine missbilligende Grimasse und wandte sich leicht ab. Ihre<br />

Trotzigkeit verbot es ihr, in diesem Moment weiter auf Holzmann<br />

einzugehen.<br />

„Ach....Jetzt haben Sie sich doch nicht so! Ich will Ihnen helfen.“, sagte<br />

Holzmann gutmütig.<br />

Holzmann stieg aus dem Auto und ging auf Sabrina zu. Er setzte sich direkt<br />

neben sie und zündete sich eine Zigarette an. Sabrina schielte auf die Kippe,


aber Holzmann, der dies bemerkte, spielte Sabrina´s Spiel mit und verneinte<br />

mit dem Oberlehrer-Zeigefinger.<br />

„Neeeein. Sie kriegen keine von mir. Wäre ja noch schöner! Ein Bulle mit ´ner<br />

Kippe als Erste Hilfe. Merken sie eigentlich nicht, wie sie schnaufen?“, wollte<br />

Holzmann wissen.<br />

Sabrina sondierte ihren Zustand und stellte fest, dass sie immer noch wie eine<br />

Dampflok schnaubte. Sie nickte flüchtig zustimmend und starrte den Boden<br />

an.<br />

„Ich kenne das. Wenn man sich so auspowert, denkt man am Ende<br />

buchstäblich gar nichts mehr. Nur Schlaf- Den will man dann !“<br />

Sabrina schien aus ihrer gegenwärtigen Abwesenheit aufzuwachen und sagte<br />

endlich etwas.<br />

„Sie Witzbold! Wie, meinen Sie, soll ich jetzt nach Hause kommen? Laufen<br />

oder was ???“<br />

Sabrina´s Bitterkeit tat Holzmann Leid, doch beschloss er, Sabrina noch ein<br />

wenig mehr zu triezen.<br />

„Sie sind wirklich nicht gerade nett zu mir. Ich will- nein- ich muss Ihnen<br />

helfen. Als Bulle sowieso. Und außerdem sollten Sie froh sein, dass ich das<br />

vorletzte Mal alles hab durchgehen lassen.“ Holzmann machte einen Versuch<br />

ernst zu wirken, doch dieser scheiterte kläglich mit einem Lächeln, das dann<br />

wieder folgte. Sabrina schien sich zu erinnern, was er meinte und sah<br />

verschämt weg. Holzmann genoss es, wie bei der nächtlichen Kontrolle,<br />

Sabrina ein bisschen leiden zu lassen, und beschloss, vorerst nicht anzubieten,<br />

sie zu fahren.<br />

„Wissen Sie schon was Neues wegen Burgstädt?“, fragte Sabrina.<br />

„Darüber darf ich nicht sprechen.“, entgegnete Holzmann trocken.<br />

„Schon gut. Ähm...Könnten Sie mir vielleicht helfen? Ich kann echt nicht<br />

mehr und muss noch bis in die Weststadt.“, gab Sabrina plötzlich kleinlaut<br />

von sich.<br />

„Mehringer Straße 4 a, stimmt´s ?“<br />

Sabrina´s genervter aber nun auch erstaunter Blick war wieder da. Sie war<br />

überrascht.<br />

„Äh...Ja...Woher wissen Sie das denn wieder?“<br />

„Senil bin ich noch nicht.“


Sabrina überlegte kurz und es fiel Ihr die nächtliche Kontrolle von vor etwa<br />

2 Wochen ein.<br />

„Ich werde Sie nach Hause bringen- Versprochen.“, bot Holzmann gütig an.<br />

Holzmann stand auf um Sabrina, der er die Hand reichte, zum Auto zu<br />

führen. Sabrina zögerte kurz, ließ sich aber dann anstandslos aufhelfen.<br />

Holzmann stützte sie mit einem Griff um die Hüfte und Sabrina humpelte mit<br />

ihm zur Beifahrertür.<br />

„Einen kleinen Moment. Ich muss erst die Tür aufmachen.“, bat Holzmann<br />

um Geduld. Als er die Tür geöffnet hatte, half er Sabrina ins Auto und Sabrina<br />

war froh, wieder weich zu sitzen. Im Gegensatz zu dem sehr hart<br />

aufgeschäumten Sattel des Mountainbikes zog sie den weicheren Sitz mit<br />

Freuden vor. Ihr Unterleib tat ihr nach der unvorbereiteten Tour auch schon<br />

weh.<br />

Holzmann ging an das Fahrrad zurück und lud es durch die Heckklappe ein,<br />

nachdem er die beiden Rücksitze mit einem Handgriff an den Hebeln<br />

umgelegt hatte. Dann stieg er zu Sabrina in den Wagen und startete gleich.<br />

Auf dem Weg unterhielten sich die beiden sehr angeregt über die<br />

Polizeiarbeit und was in einem Hotel alles schief gehen konnte.<br />

Dann kamen sie vor der Haustür an und das gleiche Spiel fing von neuem an.<br />

Sabrina zuerst raus, dann ihr Fahrrad. Eine Weile standen sich beide still<br />

gegenüber und Sabrina dachte darüber nach, Holzmann für seine getane<br />

Arbeit zu sich zu einem Kaffee einzuladen.<br />

„Wollen Sie mit hinein? Ich möchte Sie zu einem Kaffee einladen.“<br />

Holzmann schaute kurz auf die Uhr und stellte fest, dass es 18.33 Uhr war.<br />

Zeit für den Dienstschluss. Er willigte ein.<br />

„Den Wagen vermisst im Moment sowieso niemand. 1. Ist mir der sowieso<br />

zugeteilt 2. Habe ich Stress mit meinem Auto. Der Motor zickt ein bisschen<br />

herum.“<br />

Sabrina sah Rainer desinteressiert an.<br />

„Aha.“, war ihre Antwort.


-30-<br />

Mittwoch, 20.45 Uhr, Sabrina´s Wohnung...<br />

„...Sie sind gar nicht so ein Scheißkerl, wie ich anfangs dachte.“, traute sich<br />

Sabrina Holzmann abzuurteilen, nachdem dieser über sich, seine Arbeit und<br />

ein wenig von seinem Privatleben erzählt hatte und inzwischen schon die<br />

dritte Kanne Kaffee aufgesetzt war. Von Holzmann.<br />

Sabrina war das zwar unangenehm gewesen, doch genoss sie es sichtlich, so<br />

umsorgt zu werden. Sie gefiel sich darin, auch einmal etwas zu leiden.<br />

„Warum sollte ich ein Scheißkerl sein? Nur weil ich manchmal ein wenig<br />

hart zu meinen `Kunden´ bin? Der Dummkopf, den ich eben erwähnt hatte,<br />

hat meiner Kollegin voll auf die Nuss gehauen. Wahrscheinlich unabsichtlich,<br />

aber ich hatte dem Typ vorher noch gesagt, er soll die Hände am Bauzaun<br />

lassen. So was lass ich dann nicht durchgehen. Obwohl ich dann, wie gesagt,<br />

nach der Unterredung mit Yildiz angeboten hatte, die Körperverletzung nicht<br />

mit in den Tatbestand mit aufzunehmen. Der arme Kerl war sowieso durch<br />

den Wind gewesen, weil er als Iraner sich von einer Frau durchsuchen lassen<br />

musste Und das nur mit Unterhose! Yildiz meinte nur `Du hast Glück,<br />

Kumpel. Ich war vorhin gut drauf gewesen.´<br />

„Sagen Sie mal, gibt es denn noch mehr ausländische Polizisten hier in<br />

Heidelberg als diese Yildiz?“<br />

„Ja klar, wir haben noch weitere Leute. Einen bei uns in der Kripo. Einen<br />

Italiener und zwei Amis in der Sektion Personenschutz und Sicherheit. Und<br />

dann noch einen halben Chinesen bei der Bereitschaft.“<br />

„Kommt das eigentlich oft vor? Ich meine....Äh....“ Sabrina traute sich nicht so<br />

locker über das zu sprechen, was Holzmann manchmal untersuchen musste<br />

Rainer half ihr auf die Sprünge und sprach genau das an, was Sabrina meinte.<br />

„Sie meinen Mord oder so? Nein, hier in Heidelberg ist das zum Glück noch<br />

nicht so schlimm. Ich meine, es ist etwa so: Natürlich habe ich mit Mordfällen<br />

zu tun, aber schon in Fällen wie ... naja...bei ihrem Chef müssen wir mit raus.<br />

Nur nach Vorschrift. Muss aber nicht gleich was bedeuten.“ Holzmann endete<br />

und ärgerte sich danach über die Erwähnung Burgstädts. Er merkte sofort wie<br />

Sabrina nun etwas abwesend wirkte.


„Entschuldigung. Ich hätte das nicht so sagen dürfen. Sie mochten den Mann<br />

wirklich sehr, stimmt´s?“<br />

Sabrina strich sich eine Träne aus den Augen und antwortete wider erwarten<br />

in einem gefassten Ton.<br />

„Der Mann hat mir viel bedeutet. Ich meine...Sehen sie mich an. Bin ich etwa<br />

mit 34 Jahren schon richtig mit dem Posten im Hotel? Das habe ich nur<br />

durch sein Vertrauen geschafft!“<br />

„Ist die Besitzerin nicht auch so vertrauensvoll zu Ihnen ?“<br />

Sabrina brauchte nicht lange um dies zu beantworten.<br />

„Nein. Sie und ihr Sohn waren schon bei meiner Einstellung sehr skeptisch.“<br />

„Verstehe.“<br />

Holzmann versuchte Trauerarbeit zu leisten und tätschelte flüchtig Sabrina´s<br />

Schulter.<br />

„Schon in Ordnung. Ich bin nicht am Heulen. Es ist nur ziemlich<br />

niederschmetternd. Ich arbeite jetzt seit 8 Jahren hier. Fühle mich hier<br />

zuhause, und arbeite gerne täglich fast 10 Stunden, oft auch mehr.“<br />

Holzmann sah Sabrina an, als würde sie ihm nichts Neues erzählen.<br />

„Mir geht es genauso, glauben Sie mir!“<br />

„Natürlich. Ich meine, Sie als Polizist haben auch eine Menge zu tun.“<br />

„Wieso liegt Ihnen denn soviel an dem Haus? Ich denke mir, dass Sie mit<br />

Leichtigkeit etwas Neues zum arbeiten finden würden. Woran liegt es, dass<br />

Sie sich für den Schlosshof so hergeben?“<br />

„Eins kann ich Ihnen sagen: Der Schlosshof, seine Mitarbeiter und allen voran<br />

Heinrich Burgstädt haben mich so weit gebracht. Das möchte ich dem Haus<br />

danken. Ich will nicht unhöflich sein, aber seit längerem schon hatte ich, wie<br />

man so schön sagt „alle Fäden in der Hand“. Burgstädt konnte nicht mehr und<br />

wollte nur noch aufhören. Gesagt hatte er das nie. Ich bitte Sie, das merkt<br />

man doch aber. Oder? Außerdem konnte ich mir viel Neues leisten, von dem<br />

ich mal geträumt hatte.“, beendete Sabrina ihre Ausführungen.<br />

Holzmann nickte zustimmend, hatte aber den letzten Satz besonders<br />

wahrgenommen. Im Moment war es ihm nicht wichtig erschienen, aber ein<br />

wenig war es so, als ob auf einem Text rot markierte stellen aufgetaucht<br />

waren. Er beschloss, es sich für alle Fälle mal zu merken. Dann antwortete er<br />

wieder ein wenig stichelnd.


„Das sie auf Kohle stehen, konnte ich schon erkennen. Die ganze Wohnung<br />

sieht nach einem Life-Style-Schuppen aus. Bei mir ist alles noch zünftig echt.“<br />

„Danke für das Kompliment.“, konterte Sabrina bissig. Eine Weile sprach<br />

niemand.<br />

„Ich gehe mich mal umziehen. Das durchgeschwitzte Zeug halte ich nicht<br />

mehr aus.“, sagte Sabrina plötzlich und stand auf.<br />

Holzmann musste sich einfach nochmal diese hübsche Frau ansehen. Er<br />

konnte sich einfach nicht satt sehen. Man merkte ihm es nicht an, aber er<br />

fühlte sich wieder reif für zweisame Stunden. Sabrina humpelte aus der<br />

Küche und ging in ihr Schlafzimmer. Holzmann hörte wie die Tür zugemacht<br />

wurde. Abgeschlossen hatte Sabrina nicht.<br />

Holzmann sah sich in der Küche um und bestätigte sich selbst, dass hier alles<br />

-typisch Frau- blitzblank gewesen war. Nicht wie bei ihm, Ablagen voller<br />

Papierkram und allgemeine Unordnung. Er hatte auch keine Spülmaschine,<br />

wie Sabrina offensichtlich eine hatte. Holzmann stand auf und lief in den<br />

Flur.<br />

„Darf ich ins Wohnzimmer? Ich würde gerne mal wissen, was Sie so für<br />

Musik hören.“<br />

Sabrina rollte die Augen, hatte aber nichts dagegen.<br />

„Wenn es Sie glücklich macht. Ist aber nichts für Sie dabei, denke ich.“, rief<br />

sie durch die Tür.<br />

Holzmann sah sich den CD-Ständer durch und blickte auf Hip-Hop, Klassik,<br />

Jungle, Techno und alle anderen CD´s. Bei einer CD hielt er inne und fragte<br />

sich ob ihm das nicht gefallen könnte. Er nahm die CD aus dem Schlitz und<br />

las das Cover. `Solitudes of Nature. The Whales´ las er da. kurz überlegte er<br />

ob er die CD einlegen durfte, entschied dann aber, es ungefragt zu tun, da er<br />

Freches mit Frechem vergelten wollte.<br />

Rainer brauchte nicht viel darüber nachzudenken, dass diese Seiler es ihm<br />

übel nehmen könnte. War ja nur eine CD.<br />

Schließlich legte er die CD in den Wechsler der Pioneer Anlage und kurz<br />

darauf war im Wohnzimmer Meeresrauschen und Walgesang zu hören.<br />

Dazu kamen Klavier und Syntisizerklänge. Sabrina, die gerade mit neuem<br />

Oberteil, einer Leinenhose und Hausschuhen aus dem Badezimmer kam,<br />

wunderte sich, welches Geplätscher da zu hören war, bis ihr klar wurde, dass


sich Holzmann bei ihren CD´s vergriffen hatte. Sie ärgerte sich und ging mit<br />

schnellen Schritten ins Wohnzimmer.<br />

„Sie sind echt ein blöder Kerl! Habe ich Ihnen erlaubt einfach eine CD<br />

einzulegen?“<br />

Rainer ging, ohne zu wissen warum, auf Sabrina zu und machte einen<br />

entschuldigende Geste. Sabrina zuckte plötzlich zusammen, zog ihr rechtes<br />

Bein an und fiel in Holzmanns Richtung. Rainer, der ihr gerade so gegenüber<br />

stand, fing sie auf, konnte sich aber durch den ungünstigen Fallwinkel, selbst<br />

nicht mehr halten und beide fielen der Länge nach hin.<br />

Holzmann der halb auf und halb unter Sabrina lag, rappelte sich verlegen auf<br />

und half auch Sabrina wieder auf die Beine. Sabrina jedoch bemerkte, dass es<br />

diesmal nicht so leicht war, sich zu halten. Der Muskel schien gezerrt zu sein.<br />

Ende für heute. Sie knickte um.<br />

„Meine Güte. Haben Sie sich nicht vorbereitet? Sie sind wirklich nicht gerade<br />

gut zu sich.“, bemerkte Holzmann kurz und nahm Sabrina ungefragt auf die<br />

Arme, um sie zum Sofa zu tragen.<br />

„Jetzt bringe ich Sie auf die Couch und dann gehe ich. Sie haben sie echt<br />

nicht mehr alle!““, traute sich Holzmann noch zu kritisieren und erntete<br />

sogleich eine sehr kräftige Ohrfeige von Sabrina.<br />

„Hey .... Lassen Sie mich sofort runter!!!! Das gibt´s doch nicht! Hallo ?!?“<br />

„Ist mir egal. Couch und tschüss.“, gab sich Holzmann nicht mehr mit Sabrina<br />

ab.<br />

„Moment mal ....“, flehte Sabrina unvermittelt.<br />

Holzmann stand bei der Couch, Sabrina auf Händen, und hielt inne.<br />

„Bitte?“, tat er verdutzt.<br />

„Wenn Sie so scharf drauf sind, mich zu tragen, dann bitte in diese Richtung.<br />

Ich möchte ins Bett und alleine schaffe ich das wohl nicht mehr.“, gab Sabrina<br />

kleinlaut von sich und ließ den fremden Mann gewähren. Er wurde ihr<br />

absurderweise immer sympathischer, trotz dieser ärgerlichen Auswüchse. Sie<br />

deutete in Richtung des Flurs und ließ sich bis ans Bett im Schlafzimmer<br />

tragen. Kurz davor, an der Türschwelle, fing Holzmann an, zu lachen und<br />

Sabrina meinte zu hören, wie er leise<br />

„Tam taa taa-taaa. Tam-diii daa-daaa...“, vor sich hin sang.<br />

„Ich habe es mir anders überlegt. Sie sind doch ein Arschloch!“, sagte Sabrina<br />

verärgert über diese albernen Gesten. Beide schauten sich an.


Es fühlte sich an wie Stunden. Tatsächlich waren es etwa 30 Sekunden<br />

gewesen, als Ihre Augen seine trafen und es mit einem Mal warm im Zimmer<br />

wurde.<br />

Sie küssten sich.<br />

Ohne es richtig mitbekommen zu haben, tat Holzmann nichts um Sabrina<br />

abzuwehren und ließ sie langsam ins Bett sinken. Der Kuss dauerte mehrere<br />

Sekunden und wurde dann immer intimer.<br />

Holzmann streifte mit seinem Blick die Uhr mit den blauen Ziffern und sah,<br />

dass es nach halb elf geworden war. Er wollte sich höflich lösen, als er<br />

merkte, dass Sabrina ihm leise etwas sagte.<br />

„Wenn Du jetzt gehst, komme ich hier morgen nicht raus.“<br />

„Seit wann duzen wir uns?“, fragte Holzmann keck.<br />

„Idiot.“, antwortete Sabrina.<br />

Gegenüber auf dem Hausdach...<br />

„Mann o Mann. Die ist scharf auf den!“<br />

Das Funkgerät rauschte hin und wieder. Bedingt durch die engen<br />

Häuserschluchten war der Empfang nicht der beste gewesen.<br />

„Halt die Klappe und sieh´ zu, wann dieser Penner verschwindet! Ich will<br />

dass Du sie umlegst! Wenn er nicht geht, haben wir ein Problem.“<br />

„...Mann, sieht die geil aus!!! Die hat echt ´ne Mörder-Figur.“<br />

Der dunkel gekleidete Mann hielt mit dem mitgebrachten Heckler&Koch MR<br />

308 Scharfschützengewehr direkt auf das anvisierte Ziel drauf, und wartete.<br />

Dabei grinste er und genoss es, seinen Zielpersonen beim Sex zuzusehen. Das<br />

leicht geöffnete Fenster erleichterte es ihm, ohne laut klirrende Scheiben<br />

auszukommen. Das machte Krach und hinderte ihn daran schnell zu<br />

verschwinden. Zudem konnte er, bedingt durch die abendliche Ruhe auch<br />

etwas von ihren Stöhnlauten hören. Widerwärtig kam er sich dabei<br />

überhaupt nicht vor.<br />

„Adlerhorst, kommen?“, sprach der Mann in sein Headset.<br />

„Hört!“<br />

„Warum kann ich den nicht gleich mit umlegen?“, fragte der Mann jetzt.<br />

„ZUM LETZTEN MAL: WENN BEIDE DRAUFGEHEN IST IN HEIDELBERG<br />

MORGEN AUSNAHMEZUSTAND... Nur diese Schlampe. WARTE !!!“, schrie<br />

jemand in sein Ohr.


„Die geht ab wie Otto!“ Der dunkel gekleidete Mann freute sich wie ein Kind.<br />

„Marc, halt endlich die Klappe! Es ist noch viel zu früh. Eine Menge Leute<br />

sind noch wach.“<br />

„Ich will warten bis sie heissläuft und...Oh Mann…Die muss verdammt heiß<br />

sein.“, bestätigte Marc.<br />

Scheinbar überrascht darüber, dass man überhaupt auf die Idee kommen<br />

könnte, vor dem Finale den Vorhang zu senken, sah er weiter fasziniert zu.<br />

Er merkte nicht wie, er vor lauter Erregung über die Spannerei, seine<br />

Konzentration verlor. Dadurch achtete er nicht sonderlich darauf, nicht<br />

gesehen zu werden, sondern schaute schräg nach unten zu dem silbernen<br />

VW-Caravelle T5 mit den schwarzen Scheiben hinten. Er lächelte, erwartete<br />

aber nicht unbedingt, von seinen Leuten gesehen zu werden.<br />

„Beim Burgstädt hast Du auch nur Scheiße gebaut, Du Idiot! Und jetzt halt´<br />

Dich unten, Mann!“, sprach der Mann im Ohr weiter zu ihm.<br />

Der Mann auf dem Dach zog seinen Kopf vom elektronisch gestützten Visier<br />

des Gewehres zurück und verzog die Mundwinkel zu einer Grimasse.<br />

Scheiß Spiel !<br />

`Halt bloß die Fresse, sonst kannst Du gleich alles alleine machen.´, dachte er<br />

sich im Stillen.


-31-<br />

Donnerstag, 02.38 Uhr, Sabrina´s Wohnung...<br />

Rainer lag mit dem Rücken zu Sabrina, die ihn mit dem rechten Arm umfasst<br />

hatte. Er war erst kürzlich eingenickt, sie schlief jedoch noch nicht. Durch die<br />

Schmerzen in den Beinen, die jetzt ein kleinen wenig heftiger ausfielen,<br />

konnte sie auch nicht. Aber das war es ihr wert gewesen. Holzmann gefiel ihr<br />

immer besser, dennoch fand sie ihn etwas wirsch. Er war schlichtweg ein<br />

Chaot. Er hatte aber irgendwie etwas Gutes an sich. Wieder dachte sie nach.<br />

Darüber, wie es weitergehen sollte mit ihrem Beruf und, vor allem, mit dem<br />

neuen Umstand. Dem Umstand , der neben ihr lag und –typisch Mann–<br />

wohlig schnarchend schlief.<br />

`Den kriege ich nicht mehr aus dem Bett. Ob der morgen arbeiten muss, weiß<br />

ich auch nicht. Wenn der zu spät kommt, ist mir das Schnuppe. Ist ja nicht<br />

mein Freund!´, dachte sich Sabrina, während sie seine dunkelbraunen Haare<br />

auf dem Kopf leicht kraulte. Sabrina fiel auf dass sie duschen sollte. Sie fühlte<br />

sich etwas klebrig. Kurzerhand löste sie die Umarmung und stieg vorsichtig<br />

aus dem Bett. Sie verzog eine Miene und stützte sich am Bett ab. Jeden Schritt<br />

wohl überlegt setzend, humpelte sie langsam aus dem Schlafzimmer. Im Bad<br />

stieg sie sofort in die Dusche und ließ sich das kühle Nass über den Körper<br />

laufen. Sie entspannte sich und merkte, wie auch die Schmerzen in den<br />

Beinen merklich nachließen Nach dem Duschen trocknete sich Sabrina<br />

vorsichtig ab, um nicht wieder hinzufallen. Als sie fertig war, nahm sie den<br />

Bademantel vom Ständer und warf ihn sich über.<br />

Rainer machte die Augen auf und merkte sofort, dass Sabrina nicht da war.<br />

Sein schläfriger Augenaufschlag wechselte sofort zu einem hellwachen<br />

Augenaufschlag. Er setzte sich ruckartig auf und ließ seinen Blick über das<br />

schwach erleuchtete Zimmer schweifen. Dann lauschte er einem fernen<br />

Rauschen und stellte fest, dass Sabrina im Bad sein musste. Rainer entspannte<br />

sich sofort wieder und blickte ein wenig ins Leere.<br />

Ein kalter Windzug fuhr durch das Zimmer und Rainer überlegte ob er das<br />

Fenster schließen sollte. Er stand auf und verschloss es sofort. Dann setzte er<br />

sich auf die Bettkante und überlegte, ob er nun gehen, oder doch noch auf<br />

Sabrina warten sollte, um sich noch zu verabschieden und sich für den


schönen Abend zu bedanken. Als er sich das Zimmer näher anschaute und<br />

feststellte, dass fast alles im Schlafzimmer in hellem Holz gehalten war, die<br />

Wände Beige-braun und der Fussboden aus Laminat mit Landhausoptik, kam<br />

Sabrina gerade wieder zurück ins Zimmer. Sie hatte einen hellblauen<br />

Bademantel aus Frottee an, der nicht wirklich fest zu gebunden war. Man<br />

konnte die Wölbungen der Brüste mehr als nur erahnen.<br />

Sabrina ging an den Schrank und suchte sich Kleidung für den nächsten Tag<br />

aus. Während sie im Schrank stöberte, sah sie über die Schulter und<br />

bemerkte, das Rainer sie beobachtete. Sie zuckte zurück.<br />

„Gott, hast du mich erschreckt! Ich such´ nur schnell noch Kleidung raus,<br />

dann komm´ ich, ja?“<br />

„Lass´ Dir Zeit. Ich werde vielleicht nicht mehr hier drin sein, wenn du<br />

kommst.“<br />

Sabrina unterbrach ihre Suche abrupt und wandte sich zu Rainer.<br />

„Was?“ fragte sie verstört.<br />

„Nein. Schon okay“, wehrte Rainer ab. Er schien genervt zu sein.<br />

„Okay...?“, stellte Sabrina, mehr fragend, fest. Sie sah Rainer an und warte auf<br />

eine Reaktion oder zumindest eine Antwort. Rainer sah Sabrina nachdenklich<br />

an und schien nicht entschlossen, irgendetwas zu sagen. Eine Weile zögerte<br />

er, aber dann sagte er doch noch etwas.<br />

„Ich weiß nicht. Normalerweise bin ich nicht jemand, der sich einfach so aus<br />

dem Staub macht. Aber andererseits mag ich Dir auch nicht auf den Wecker<br />

gehen. Ich kenne Dich ja auch überhaupt nicht. Also? Was tun?“<br />

Sabrina lächelte gewinnend und schien sich entschieden zu haben.<br />

„Also mir ist es egal. Bleib oder geh´. Alles gut.“<br />

Sabrina humpelte in Erinnerung des Schmerzes in der Wade, vorsichtig zu<br />

Rainer hinüber und legte ihre Hand auf Rainers Kopf, um ihn dann zu<br />

streicheln.<br />

„Ich weiß nicht... Also dann.“ Rainer schien ratlos zu sein.<br />

„Ja? Was `Also dann´?“<br />

„Okay ich bleibe hier. Aber wirklich nur, wenn Du das auch willst.“<br />

„Nein. Ich habe nichts dagegen. Mach´ Dir keine Sorgen, ich sage Dir schon,<br />

wenn mir was nicht passt. Lass´ uns wieder schlafen.“ Sabrina schien sich zu<br />

freuen.


Holzmann legte sich wieder hin. Sabrina streifte den Bademantel ab und<br />

gesellte sich dazu. Sie schlang ihre Beine um ihn und schmiegte sich an seine<br />

Brust. Rainer streichelte ihren Rücken und sah sie stumm an. Er nickte weg.<br />

Dann schlief auch Sabrina ein.<br />

...<br />

„Warum haben wir uns denn dann getroffen? Ich bin extra 210 km weit nur<br />

wegen Dir gefahren! Niemand hat Dich gezwungen. Das ist wirklich so<br />

unfair!“ schrie er.<br />

„Hör auf damit. Es wird mir einfach zu viel Versteh´ das doch!!!“, rief Sabrina<br />

verzweifelt.<br />

„Nein! Es ist zum Kotzen! Ich komme mir richtig verarscht vor! Du hast<br />

gesagt `Bis Donnerstag ist okay´ und jetzt darf ich schon Dienstags gehen.<br />

Warum machst Du das? Bin ich nicht nett zu Dir? Habe ich nicht freundlich<br />

auf Deine Familie reagiert? Mann, Sabrina, Ich habe mir mit Deinem kleinen<br />

Bruder stundenlang Filme angesehen und Blödsinn gemacht. Ich hab´ mir<br />

von deinem Opa Kriegsgeschichten angehört. Ich war ewig mit Aki<br />

unterwegs.´<br />

Der Junge war außer sich. 21, aber kreischen konnte er! Sabrina verzog das<br />

Gesicht.<br />

„Mir geht das alles zu schnell. Du erdrückst mich. Verstehst Du das?“ Sabrina<br />

machte ernst.<br />

„Nein tu´ ich nicht.“, erwiderte er trotzig.<br />

„Meine Eltern wollen Dich nicht. Sie sind misstrauisch. Mir ist das aber egal.<br />

Mir geht es aber zu schnell. Du lebst Dich zu schnell hier ein. Das ist mir<br />

unangenehm“, erklärte sie ihm.<br />

Der Junge war traurig aber warum konnte er nicht verstehen, dass sie sich<br />

unwohl fühlte?<br />

„Das ist alles beschissen!“ schrie er Sabrina nochmals am Telefon an.<br />

Daraufhin hatte er aufgelegt.<br />

`War ich fair zu ihm?´, dachte sich Sabrina nach dem Telefonat.<br />

`Ich hätte auf Mama hören sollen. Der passt nicht zu uns!´<br />


Gleichzeitig woanders...<br />

Carmen machte die Abrechnung des Tages fertig und wurde immer wieder<br />

von Kurznachrichten unterbrochen. Missmutig antwortete sie, und<br />

verschickte lauter Smileys als Antwort. Es hörte einfach nicht auf.<br />

Sie war genervt.<br />

Wenig später, nahm sie ihre Tasche und die Autoschlüssel, und wollte gerade<br />

die Boutique abschliessen, als ihr Chef sie von hinten ansprach. Sie erschrak.<br />

„Na, Frau Schütter, geht’s endlich heim?“<br />

„Ja, ich muss schnell nach Hause.“ antwortete Carmen kurz angebunden.<br />

„Was haben Sie denn so eilig vor?“, hakte ihr Chef nach.<br />

„Ich will mit meiner Nachbarin und meinem Freund zu einem Taiko-<br />

Trommel-Konzert.“ beantwortete Carmen unwillig seine Frage.<br />

„Na dann mal viel Spass Ihnen Drei!“, verabschiedete sie ihr Chef.<br />

Draußen auf dem Parkplatz, lief Carmen mit schnellen Schritten zu ihrem<br />

roten Fiesta. Sie hatte tausend Dinge im Kopf.<br />

Sie bemerkte nicht, dass sie beobachtet wurde.<br />

Es piepte ihr Handy. Eine Kurznachricht. Sie seufzte. Dann meldete sich<br />

erneut eine Kurznachricht. Jetzt musste sie anrufen...<br />

„Hallo? … Ja, bin gerade raus... Bin total erledigt... Erst heim, dann baden...<br />

Ich muss jetzt aber los... ich ruf dich an, mein Schatz, bis später... Kussi.“<br />

Endlich konnte sie losfahren. Dann kam noch ein Anruf.<br />

„Hallo mein Herz.. Ja ich bin gleich bei dir. Wir fahren dann zu mir... okay,<br />

danke... Komm´ einfach an die Straße... Genau... Ich liebe Dich. Bis gleich.“<br />

Kurz darauf, war sie endlich angekommen, und konnte ihren Freund<br />

begrüßen. Sie freute sich auf das Konzert und auf den Abend mit ihrem<br />

Freund. Während sich später zuhause dann ihre Nachbarin mit ihrem Freund<br />

unterhielt, verschickte sie eine Kurznachricht nach der anderen.<br />

Dann ging eine Sprachnachricht ein. Jetzt musste sie mündlich antworten.<br />

Sie zwang sich regelrecht.<br />

„...Ja, Simone und ich quatschen hier noch ein bisschen. Wir trinken uns hier<br />

noch einen Sekt, und dann fahren wir zwei los. Kussi.“ Sie bedeutete ihrer<br />

Nachbarin ruhig zu sein, während sie die Nachricht aufsprach. Leider ohne<br />

Erfolg. Die Nachbarin sprach einfach weiter.<br />

Dann kam eine Sprachnachricht zurück.<br />

„Ich wünsche euch viel Spass, und wäre gern dabei. Ich liebe dich, Schatz.“


-32-<br />

Donnerstag, 19.30 Uhr, Sabrina´s Wohnung...<br />

Sabrina hatte einen langen Tag hinter sich.<br />

Mit Rainer war sie morgens aufgewacht und beide hatten im Bett<br />

gefrühstückt. Er hatte in Windeseile Brötchen organisiert und alles auf einem<br />

Tablett ins Zimmer gebracht. Dabei hatte er ihr irgendwann gesagt, dass er es<br />

wirklich für schön befand, sie kennen gelernt zu haben. Nach dem Frühstück<br />

ließ er es sich nicht nehmen, Sabrina noch zu einem Orthopäden zu fahren.<br />

In aller Hektik fuhren beide zu einem Dr. Pingel, bei dem Sabrina schon<br />

zweimal gewesen war wegen Rückenproblemen, die sie mal Kurzfristig<br />

bekommen hatte. Dieser Pingel hatte sie nun hoch offiziell für zwei Wochen<br />

krank geschrieben. Recht war es ihr zwar nicht direkt, aber gefreut hatte sie<br />

sich trotzdem darüber. Sie hatte nach dem Arztbesuch gleich im Hotel<br />

Bescheid gesagt. Marcel, der die letzten Tage immer öfter vorbei schaute,<br />

hatte ihr kurz und bündig gute Genesung und baldiges Wiederkommen<br />

gewünscht. Desweiteren hatten sie ausgemacht, dass Sabrina die<br />

Bescheinigung nicht zwingend schon heute schicken musste, da wegen dem<br />

bevorstehenden Wochenende nicht zu erwarten war, dass der Brief vor<br />

Dienstag eintraf. Nach dem Arztbesuch war Sabrina mit Rainer, der ihr nicht<br />

von der Seite wich, noch kurz einkaufen gewesen, um dann von ihm nach<br />

Hause gefahren zu werden. Als die beiden sich verabschiedeten, gab es nach<br />

dem üblichen Austausch des Dankes, verlegene Bussis, und Sabrina machte<br />

sich schnell aus dem Staub.<br />

Als sie gerade den Tag Revue passieren ließ, stellte sie fest, dass sie einen<br />

Höllenhunger hatte. Sabrina bemühte sich in die Küche und trank noch<br />

schnell eine Tasse Kaffee. Danach fing sie an, sich Essen zu machen. Gefüllte<br />

Weinblätter und Blattsalat, dazu ein Vanille-Becher mit Kirsch-Soße.<br />

Sabrina wollte es sich heute gut gehen lassen.<br />

Nachdem sie gegessen hatte, räumte sie alles in die Spülmaschine und bekam<br />

kurz darauf einen Anruf von ihrer Freundin Martina, von der sie seit dem<br />

letzten Treffen nichts mehr gehört hatte.<br />

Martina berichtete ihr das Jens, Sabrina´s abendliches Techtelmechtel von<br />

neulich, nun schon 3 Mal wegen ihr angerufen habe und wissen wolle was


sie, Sabrina, gerade mache und er nichts mehr gehört habe. Martina erinnerte<br />

Sabrina daran, dass Jens wirklich ein netter Mensch sei, und Sabrina ihm<br />

endlich sagen sollte, dass sie keinerlei Interesse an ihm hatte.<br />

„Hör mal. Der Jens ist echt ein ganz Lieber. Ich habe letztens schon gesagt,<br />

wenn Du es nicht sagst, sag´ ich es.“<br />

Sabrina war alles irgendwie zu blöd. Sie winkte nur genervt ab.<br />

„Blablabla. Ist ja gut. Martina, hör´ auf zu nerven! Ich habe dem Kerl eine<br />

SMS geschickt!“<br />

„...Aber. Dann hat er mich ja angelogen!“, unterbrach Martina sie.<br />

„Martina, ist Gut jetzt! Was machst Du heute Abend? Hast Du Lust zu mir zu<br />

kommen?“<br />

Martina schien zu überlegen, denn es wurde am anderen Ende der Leitung<br />

kurzfristig still.<br />

„Ich weiß noch nicht. Ich schau mal. Gehst Du irgendwo hin ?“<br />

„Nein...Ach so, halt mal. Kann ich gar nicht. Ich habe Dir gar nicht gesagt, das<br />

ich mich gestern beim Radfahren verletzt hatte. Ich habe eine Muskelzerrung.<br />

Ich fühle mich nicht wohl. Es tut höllisch weh.“<br />

„Und? Wie hast Du es nach Hause geschafft?“, fragte Martina.<br />

„Da war so ein Polizist, der gerade vorbei kam. Den habe ich irgendwie schon<br />

die ganze Zeit an der Backe. Du glaubst es nicht. Zuerst ist der mir mal<br />

abends begegnet. Da war ich zu schnell gefahren, und der Typ hatte mich<br />

angehalten. Dann war er bei mir in der Arbeit, wegen dem Burgstädt.“<br />

Sabrina überlegte sich, Martina von ihrem nächtlichen Abenteuer mit<br />

Holzmann zu erzählen, besann sich jedoch darauf, es zu belassen, da sie<br />

ahnte, dass dies wieder die alte Leier vom Männermonster lostreten würde.<br />

„Du, ich muss jetzt los. Mein Freund braucht mich zum einkaufen. Du weißt<br />

ja: MÄNNER. Die können nicht einmal wohl überlegt für das Abendessen<br />

einkaufen. Der bringt dann alles mit, außer das eigentliche Essen.“<br />

„Ha-ha. So schlimm? Nein- Jetzt mal im Ernst: Was machst Du heute Abend?<br />

Gehst Du weg?“<br />

„Ja. Wahrscheinlich schon. Habe morgen frei und wollte mit Manfred und<br />

einer Kollegin weggehen. Wir wollen eventuell ins O´Reilly`s.“<br />

Sabrina tat verdutzt.<br />

„Huuuii. Ohne Robert? Wie kommt das?“


„Der pennt heute und morgen bei einem Kumpel. Die wollen sich mal wieder<br />

Männerabend-mäßig organisieren. Und Sonntag ist dann Formel 1 angesagt.<br />

Naja.“<br />

„Verstehe. Ich finde es auch langweilig. Die fahren eh nur blöd im Kreis.“,<br />

pflichtete Sabrina ihrer Freundin bei.<br />

„Also gut. Ich leg´ dann mal auf. Ich bin noch ganz groggy von gestern.<br />

Würde mich gerne hinlegen. Ich wäre ja gerne heute Abend mitgekommen,<br />

aber die Beine tun mir saumäßig weh.“<br />

„Dann mach´ mal. Tschüss, bis dann.“<br />

„Ciao.“<br />

Wie angekündigt, streckte sich Sabrina auf dem Sofa aus, und schlief ein<br />

wenig.<br />

Gleichzeitig woanders...<br />

Der Mann schwieg lange.<br />

Er und sein Gesprächspartner schlenderten in einem großen Garten mit<br />

Zierhecken und großen wunderschönen, in der Nacht silbern schimmernden<br />

Blumenbeeten.<br />

„Und überhaupt. Wenn Sie gar nichts machen, sitzen wir bald alle in der<br />

Tinte.“<br />

Der Mann brach sein Schweigen. Beide setzten sich auf die Bank auf dem<br />

Innenhof.<br />

„Hören Sie! Ich habe beschlossen ich werde mit den richtigen Leuten über die<br />

richtige Entscheidung reden.“<br />

Er sah ihn an.<br />

„Okay…“, fing er ruhig an zu sprechen.<br />

„Wenn nichts konkretes mehr passiert, war es das, Herr…Wie war Ihr Name<br />

gleich???...“<br />

Der andere Mann sah seinen Gesprächspartner erschrocken an.<br />

„Hey, Wir haben unseren Teil erfüllt. Was wollen Sie noch?“<br />

„…Aber wir haben keine Zeit mehr.“, unterbrach der Gesprächspartner den<br />

Mann eisig.<br />

„Ich werde etwas erarbeiten.“ sagte der Partner und stand wortlos auf. Mit<br />

einem Wink bedeutete er dem anderen Mann, nun zu gehen.<br />

„Ich bin müde. Wir werden uns sehen. Guten Abend.“


„Bald. Hoffentlich bald.“ erwiderte der andere Mann und wollte bewusst die<br />

Zweideutigkeit seiner Erwiderung zur Geltung bringen. Er verschwand in die<br />

Dunkelheit. Im Zwielicht sah der Mann an der Tür zu, wie die dunkle Gestalt<br />

zu einem, in der Ecke geparkten Wagen ging und einstieg. Der Motor sprang<br />

leise säuselnd an, Lichter wurden eingeschaltet und der Mann fuhr weg.<br />

Der Mann an der Tür sah zu den Sternen.<br />

„Du solltest jetzt langsam wirklich etwas tun.“ sagte eine ruhige Stimme aus<br />

den dunklen Tiefen des Gartens. Der Mann an der Tür wandte sich zu dem<br />

Schatten.<br />

„Ich weiß“, antwortete er knapp aber bestimmt.<br />

„Ich werde etwas tun. Ich weiß auch schon, was.“<br />

Der Mann an der Tür wandte sich zur Tür und schritt ins Haus zurück. Leise<br />

schloss er die mächtige Eichentür mit dem mittig angebrachten Türschäkel<br />

aus vergoldetem Messing<br />

Der andere Mann wusste, dass es nun auch für ihn Zeit war, zu gehen. Er<br />

verließ leise den Garten.<br />

Die Standuhr in der Eingangshalle tickte laut und das vergoldete Pendel<br />

schwang schwer von links nach rechts. Schuhe klapperten auf dem<br />

Steinboden. Eine schwere Holztür wurde geschlossen. Ein Bett knarrte leise.<br />

Atemgeräusche. Ausatmen, einatmen, ausatmen, ...Traumphase...<br />

…<br />

„Solltest Du das nicht weglegen?“, wies der 13 jährige Marcel seine<br />

Schwester drohend an. Jemand packte ihn fest an den Schultern.<br />

Sein Vater.<br />

Eine schallende Ohrfeige brannte jetzt auf seiner Wange.<br />

Er hasste ihn.<br />

„Verschwinde, Du Simpel!“ fauchte sein Vater....<br />


-33-<br />

Drei Wochen später, Freitag, 21.45 Uhr, Schloss-Wolfsbrunnen-Weg…<br />

Das Handy klingelte nun schon das fünfte Mal.<br />

Entnervt ging er dran.<br />

„Hallo?“<br />

„Ich habe das Gefühl, dass Sie die Sache nicht unter Kontrolle haben.“<br />

„Was soll das heißen?“ antwortete er kalt.<br />

„Das soll heißen, dass ich glaube, wir sollten uns anderweitig umsehen…Sie<br />

sind …sagen wir, nicht in der Lage, einen Missstand angemessen zu<br />

beheben.“ redete der Anrufer ruhig aber bestimmt weiter, seine Stimme klang<br />

dabei eisig aber ruhig.<br />

„Ich…“, versuchte der Mann zu antworten, doch angesichts der Wut, die sich<br />

in ihm staute, blieben ihm die Worte im Hals stecken.<br />

„Ich… Ich kümmere mich darum.“, sammelte er nun Wort für Wort seinen<br />

Satz ein. Er stotterte nicht. Aber er musste sich zwingen, zu antworten.<br />

„Bald.“<br />

Die Leitung war tot.<br />

Elisabeth von Auersee machte sich gerade auf zum Pool im Untergeschoss der<br />

Villa. Für das Baden außerhalb fand sie es ein wenig zu kalt in diesen Tagen.<br />

Der Wind hatte aufgefrischt, obwohl der Frühling schon ausklang und der<br />

Sommer, so schien es jedenfalls, schon Einzug in diesen Breiten hielt. Sie tat<br />

sich gütlich daran, seit langem endlich einmal wieder ausgiebig schwimmen<br />

zu gehen.<br />

Als sie im Keller eintraf, stellte Elisabeth akribisch sicher, dass die Heizung der<br />

mittelgroßen Schwimmhalle immer noch auf 26°C eingestellt war, als ob sie<br />

der Anlage misstrauen würde. Dabei war dies ihre ureigenste Eigenschaft<br />

gewesen:<br />

Kontrollsucht.<br />

Die alte Dame hatte zuvor die Haushälterin nach Hause geschickt, da, wie<br />

Elisabeth meinte, Frau Minkel heute sehr gute Arbeit leistete, und sich<br />

außerdem ihr Wochenende redlich verdient hatte. Elisabeth hatte ihr<br />

aufgetragen, sämtliche alten Artefakte im Dachboden zu sichten und eine


Fotosammlung zu bergen, die vor Ewigkeiten nach oben verbannt wurde.<br />

Eigentlich wurden sie nicht verbannt, Elisabeth von Auersee zog es nur vor, so<br />

zu argumentieren, wenn sie danach gefragt wurde. Sie war eigentlich selbst<br />

Urheberin dieses Vorgangs gewesen. Sie hatte nach dem Tode ihres Mannes<br />

alle Fotosammlungen, einschließlich der Hochzeitsbilder, der Ahnenportraits<br />

und natürlich des Standbildes ihres Mannes in Öl, jedes Stück auf den<br />

Speicher gebracht. Sie wollte nicht mit Schmerz an den Verlust erinnert<br />

werden. Sie zog es vor im Stillen zu trauern.<br />

Anstelle des Standbildes und der Portraits kamen noch mehr, der ohnehin<br />

schon zahlreich vertretenen Großmeister der Kunst an die Wände der<br />

Zimmer. Sie hatte keine Mühen gescheut von großen Namen wie DA VINCI,<br />

BOTICELLI, VAN GOGH und MONET Gemälde herbeizuschaffen.<br />

Elisabeth legte den mit Rosen bestickten und mit ihren Initialen E.A in Gold<br />

verzierten Bademantel ab und stieg nach einem 1 ½ stündigen Aufenthalt in<br />

der skandinavischen Sauna erneut langsam in das Becken. Das Becken<br />

entsprach in den Abmessungen 25m x 5m der Länge nach etwa der Hälfte<br />

der Sportbecken-Distanz. Um das Becken herum waren zahlreiche<br />

Farnpflanzen und Blättergewächse eingetopft in Terrakotta-Kübeln. Der<br />

Raum war ausgeleuchtet mit einem System aus Halogenpunktstrahlern, die<br />

vorigen Sommer auf Betreiben ihres Sohnes Marcel installiert worden waren<br />

neben den nostalgischen Kerzenleuchtern die seit dem Bau der Villa<br />

existierten. Abgerundet wurde alles durch ein Oberlicht das mit großen<br />

Glasflächen in Dreiecksform in die Decke eingelassen worden war und die<br />

Sicht auf Teile des Foyers ermöglichte. Umgekehrt ergab sich ein<br />

wunderschönes Panorama, wenn man, das Haus betretend auf den Boden sah<br />

und diese Eigenheit entdeckte. Elisabeth von Auersee sog die Luft ein, die<br />

durch die Pflanzungen ringsum eine angenehm süßlich herbe Note erhielt<br />

und zog gemächlich ihre Bahnen. Dabei dachte sie an die alten Zeiten mit<br />

ihrem Mann und schwelgte in Erinnerungen. Sie dachte an ihre, nun<br />

erwachsenen Kinder und fragte sich auch, was aus ihnen werden sollte, wenn<br />

sie einmal nicht mehr sein sollte. Sie fühlte ihr Alter allmählich und wusste,<br />

sie würde auch nicht mehr allzu lange leben. Die Sorge um den Erhalt der<br />

Erinnerung an die große Auersee-Dynastie trieb ihr fast Tränen in die Augen,<br />

die sie mühsam unterdrückte und stoisch weiter ihre Bahnen zog.


Sie dachte an Ihren Sohn Marcel. Ihr guter Sohn.<br />

Elisabeth merkte langsam, wie sie Kopfschmerzen bekam.<br />

`Diese Sorgen! Sie werden mich noch umbringen.´, dachte sie sich und<br />

schwamm zum Beckenrand. Sie stieg bedächtig die Aluminiumleiter hinauf<br />

und ging langsamen Schrittes auf die Liege in der Ecke zu. Wenn man sie nun<br />

ansah, bekam man den Eindruck einer gebrechlichen, alten Frau. Elisabeth<br />

ließ sich auf die Liege fallen und atmete schnell und flach. Ihr wurde flau im<br />

Magen. Wasser. Ein Glas Wasser zum Trinken.<br />

„Marcel?“, rief sie ihren Sohn.<br />

„Marcel, mein Sohn. Wo bist Du?“, rief sie erneut, nun etwas eindringlicher.<br />

Sie zitterte am ganzen Körper. Sie schwitzte und gleichzeitig war ihr kalt. Sie<br />

sah hilfesuchend zur Tür und rief nochmals ihren Sohn, diesmal<br />

unverkennbar verzweifelt.<br />

„Marcel !!!“<br />

`Oh, diese Kopfschmerzen. Ich kann nicht mehr !´, verzweifelte sie nun<br />

immer mehr.<br />

Ihr wurde schlecht. Sie übergab sich in den Schoss, da sie es nicht einmal<br />

schaffte, sich zur Seite der Liege zu beugen. Weiter atmete sie, nun nicht<br />

mehr flach, sondern schnappend. Gleichzeitig hustete Elisabeth. Sie<br />

verschluckte ihr Erbrochenes und hustete noch mehr. Es kam ihr wie ein<br />

Teufelskreis vor. Sie versuchte zu schreien aber es half nicht. Sie konnte die<br />

Stimme nicht einmal mehr erheben. Sie war stumm geworden. Zitternd<br />

wurde sie plötzlich fast ohnmächtig. Ihr Kopf wandte sich mit den, noch<br />

leicht geöffneten Augen herum und erblickte jemand schemenhaft. Nur ein<br />

Hauch von einer Gestalt, wie eine warme Brise die einem das Gesicht<br />

schmeichelt. Sie freute sich plötzlich. Ein fast nicht zu erkennendes Lächeln<br />

huschte über das Gesicht.<br />

`Ich komme zurück zu Dir.´, konnte sie noch denken, ehe sie verstarb.<br />

Elisabeth von Auersee Gräfin Ullstein zu Falkensee begegnete Ihrem Schöpfer.<br />

Früher am Abend...<br />

Rainer saß im Bürostuhl im Großraumbüro und sprach mit 9 Kollegen über<br />

eine Razzia, die gleich anstehen sollte.<br />

„...Also nochmal: Wir haben 7 Gestalten: Vier Russen, ein Pole, ein Türke und<br />

ein Albaner. Vorliegend sind Verstöße und Straftaten im Bereich BTMG,<br />

Körperverletzung, JöSchG, Verstöße im Bereich Besitzstandverletzungen wie


Diebstahl, Hehlerei, Räuberische Erpressung und so weiter. Das LKA<br />

Abteilung 5 genauer das ZIS, will unsere Hilfe deshalb, weil die den Rest der<br />

Bande dingfest machen, und schon damit schlichtweg ausgelastet sind. Quasi<br />

als Amtshilfe. Warum gerade wir da mitmachen, liegt daran, dass da mal<br />

einer von uns mit ´nem Messer fast abgestochen wurde und unser Kollege<br />

gerade auf der Intensiv-Station liegt. Schwere vorsätzliche Körperverletzung.<br />

Okay...Ähm...Das sind die Örtlichkeiten.“, sagte Rainer und deutete auf einen<br />

vorgezeichneten Plan auf einem Flipchart.<br />

„Erstens: Der Club. Da werden wir natürlich vorher noch kurz vorbei<br />

schauen. Eigensicherung ist natürlich auch angesagt. Dieser Ilir Shkodran hat<br />

beim letzten Zugriff unseren Späher erkannt und ihn mit einer Pistole<br />

angeschossen. Leider lernt dieser Junge es nicht. Die paar Jahre im Knast<br />

haben ihm nichts gebracht, fürchte ich.“ Kurze Redepause.<br />

„Sylvia und Daniel gehen normal an die Tür. Sylvia klopft an, Daniel stößt<br />

hinein. Die Nachhut bilden Yildiz, Philipp, Nico, und Markus. Pro Mann<br />

einer, sozusagen. Dann bleibt über. Er sichert die Wohnungstür und den<br />

Hausflur. Ach ja!! und Florian schaut ob die Jungs durch das Laubenfenster<br />

kommen....“<br />

Zwischendurch schaute Holzmann immer wieder in die Runde um<br />

anzutesten, ob auch alles bei seinen Kollegen angekommen war. Jetzt<br />

klatschte Rainer in die Hände und bedeutete damit, dass die Runde hiermit<br />

beendet war.<br />

„Also Mädels: AUF GEHT`S. Wir fahren mit zwei Wagen. Unsere neue 21, und<br />

den alten Bulli, den unsere Brötchengeber immer noch nicht weg haben.“<br />

Alle riefen „57!“<br />

Rainer lachte. „Genau die Schrottkarre! Wer hat die Schlüssel?“<br />

„Ich“, meldete sich Olli und warf Rainer die Schlüssel hinüber.<br />

Kurze Zeit später machten sie sich mit einer schwarzen A-Klasse und dem<br />

alten T3-Bulli auf den Weg zum Zielort. Auf der Fahrt dorthin wurde ein<br />

wenig geflachst und Sylvia, die sich gerade einen Schokoriegel gönnen wollte,<br />

bekam diesen von Olli geklaut. Olli lachte vergnügt und fand sich dabei<br />

urkomisch. Sylvia ärgerte sich nur über ihren Kollegen.<br />

„Musst nicht noch dicker werden.“, mahnte Olli im Spaß


Das diese Bemerkung ein Witz war – Sylvia wog bei einer Größe von 1,63 m<br />

gerade einmal 52 kg – lag auf der Hand.<br />

Sylvia spielte Empörung vor und lachte dann.<br />

„Mann. Du bist echt ein blöder Sack! Ich hab´seit fünf nix mehr gegessen.“<br />

Olli schaute sie ironisch grinsend an.<br />

„Musst halt mal was Gescheites zu Dir nehmen, junge Frau.“ Er konnte nicht<br />

mehr aufhören.<br />

„Ja ja Schnitzel, Pommes und Salat, stimmt’s? ... Du blöder Affe.“, wehrte sich<br />

Sylvia halb ernst weiter.<br />

„Das die jungen Damen heute alle nur auf Diät sind, liegt nur an der<br />

bescheuerten Mode.“, entgegnete Olli. Rainer beendete diese Debatte mit<br />

einem einzigen Einwurf.<br />

„Du brauchst gerade was zu sagen. Kleidergröße 58 ist auch nicht gerade<br />

normal! Aber jetzt gebt Ruhe, wir sind nämlich gleich da.“<br />

In dem Club brannten schon die Lichter, aber Gäste waren noch nicht zu<br />

sehen. Die Gruppe um Rainer verständigte sich darauf, sich aufzuteilen, um<br />

sicher zu gehen, das die, die zuhause noch sein könnten nicht gewarnt<br />

werden konnten. Einer der Subjekte hatte diesen Club mit gepachtet, und es<br />

war zu erwarten, dass sie sich erst amüsierten, bevor sie nach Hause gingen<br />

um ihre Geschäfte zu tätigen.<br />

„Sylvia, Ihr geht schon vor zur Wohnung. Haltet euch zurück. Wir sollten<br />

erst einmal sehen was die hier vorhaben und dann, wohin sie gehen. Dann<br />

sehen wir weiter.“<br />

„Verstanden.“<br />

Etwas später...<br />

„Bruno 10 von Bruno 32, kommen.“<br />

„Hört.“<br />

„Gib´ dem Rainer Bescheid, das unsere BePo-Einheit noch ein bisschen<br />

braucht. Die stecken fest in Frankfurt. Nach dem Fußballspiel hat´s übel<br />

geknallt.“<br />

„5/24-10 von Bruno 10, kommen.“<br />

„Ja, habe das mitbekommen...Offen gestanden ist das zum Kotzen!“<br />

„Habt ein wenig Geduld. Die sind gleich da.“<br />

„Wer ist heute euer Boss?“<br />

„Budjen hat das Kommando.“


Holzmann musste sich beherrschen. Diese Sache war seit drei Wochen<br />

akribisch bis auf das Letzte geplant und durchdacht, und nun drohte sie zu<br />

scheitern, weil sich ein paar Kloppsüchtige einen blöden Schaukampf mit der<br />

Polizei lieferten. Er feuerte sein Headset auf den Beifahrersitz und atmete laut<br />

zischend aus. Dann nahm er das Handy und wählte eine Nummer.<br />

„...Ja. Hallo, hier Rainer. Du, hör mal: Könnt ihr euch nicht aufteilen? Ihr seid<br />

45 Leute und die Party ist sowieso schon `rum. Wieso kannst Du dich beim<br />

Dienstgruppenführer nicht abmelden, und den anderen Schupo´s die Ehre<br />

lassen ?“ forderte Rainer vom Angerufenen.<br />

„Rainer....Mann !...Du weißt doch wie das läuft: Eine Ansammlung von 500<br />

Menschen wird von ca. 300 Bepos bewacht. Die paar Streifenpolizisten, die<br />

auch noch da sind, kannste knicken. Wenn da was anbrennt, müssen alle da<br />

sein, versteh´ das doch bitte.“<br />

„Ihr wusstet aber seit 3 ½ Wochen von unserer Razzia, verdammt<br />

nochmal !!! Ich habe echt keine Lust mit 10 Leuten in ´ne Kneipe mit 10-15<br />

zum Teil bewaffneten Personen zu kommen. Wenn da einer eine Uzi oder so<br />

was dabei hat, machen die Kleinholz aus uns.“<br />

„Rainer warte noch...Wir sind bald...“ ... Diese Art der Beschwichtigung<br />

brachte Rainer endgültig zum Kochen. Er verlor die Beherrschung und schrie<br />

in den Hörer.<br />

„...ICH KANN NICHT WARTEN !!! WENN DIE WEG SIND, KRIEGE ICH VOM<br />

LKA EINS IN DIE FRESSE. RAFFST DU DAS ??!!“ Beamte in der Nähe drehten<br />

sich jetzt nach ihm um.<br />

„Sag´ das nicht mir sondern dem Chef. Der hat uns dahin beordert.“, wehrte<br />

sich der Kollege.<br />

„Mir ist das scheißegal, wer Euch geschickt hat. Ich will in den nächsten 40<br />

Minuten mindestens 10 von Euch hier haben! Das ist doch hier kein<br />

Kindergarten, Mann !!!“ Rainer blieb hart.<br />

Budjen wollte gerade etwas sagen, als Holzmann ihn unterbrach.<br />

„ICH habe absolut NULL Bock, den Arsch zu spielen, kapiert? Ihr habt 40<br />

Minuten. Wenn nicht sind 4 Gesuchte auf der Flucht. Dann sind vielleicht<br />

wieder Auto´s im Wert von 873.000 EURO weg, und garantiert nicht mein<br />

verschissener Polo !“<br />

Budjen resignierte.<br />

„Ich schau´ mal was sich machen lässt. Ich melde mich nochmal.“


„Deinem Boss kannste gleich stecken´, dass er ein unkollegiales Egoisten-<br />

Arschloch ist!“<br />

Budjen bejahte der Form halber, beließ es dann aber auch persönlich dabei,<br />

da er nicht wollte, dass Rainer Holzmann diesmal vielleicht nicht nur den<br />

kleinen, sondern dann den Mega-Anschiss bekommt.<br />

„40 Minuten !! Tschüss.“, beendete Rainer das Gespräch und drückte die<br />

Auflege-Taste seines Handys.<br />

Die Situation war nicht erfreulich: 10 Beamte der Polizei Heidelberg stehen in<br />

einer Seitenstraße neben den Bahngleisen am Güterbahnhof und warteten auf<br />

ihre Verstärkung. Die Gefahr entdeckt zu werden, stieg von Minute zu<br />

Minute, und sie hofften alle, dass keiner der Freier kommt, die gelegentlich<br />

ihre Autos hier in der Nähe abstellten, um nicht gleich gesehen zu werden.<br />

Das zweite Problem was sich um die Polizisten auftat war, dass ab 22 Uhr die<br />

Disko in der alten Umschlaghalle des Zolls, geöffnet sein wird, und dann<br />

entsprechend die ganzen Gäste, die dann eintreffen, ihre Autos kreuz und<br />

quer stellten- auch in genau die Straße, wo jetzt ein VW-Bus und eine<br />

schwarze A-Klasse stehen und 10 Beamte in voller Montur drumherum.<br />

„Rainer? Hey, wasn´ los?“, fragte Sylvia Rösch, die zu Rainer<br />

herübergekommen war als sie hörte, dass er laut fluchend gegen eine Felge<br />

des Bulli´s trat. Rainer drehte sich, leicht erschrocken, herum und sah Sylvia<br />

verbittert an.<br />

„Das ist zum Kotzen !!!“, rief er und trat nochmals gegen den VW-Bus. Jetzt<br />

in die Tür<br />

„Hey. Beruhig´ Dich mal, und sag´ mir was los ist.“, wehrte Sylvia gleich die<br />

ungestüme Antwort ab.<br />

„Sorry. Ich bin nur stinksauer, weil Budjen mir die zugesagten SEK-Leute<br />

verweigert.“<br />

„Das wird schon wieder, warte ab!“, blieb Holzmann als Trost von Sylvia<br />

übrig.<br />

Sylvia stellte sich zu Rainer und beide schauten den anderen zu, wie die sich<br />

ebenfalls ärgerten, und miteinander darüber sprachen.<br />

Das Handy klingelte wieder und Rainer sah Sylvia fragend an, als erwarte er<br />

von ihr eine Ansage, was er zu tun hätte. Sie zuckte nur mit den Schultern<br />

und deutete auf die Stelle seiner Jacke, wo eine Melodie zu hören war.


Rainer blieb nichts anderes übrig als das Handy herauszuholen und dran zu<br />

gehen.<br />

„Ja?“<br />

„Holzmann? Ich bin´s nochmal, Budjen. Ich wollte Dir Bescheid geben, dass<br />

wir schon auf dem Weg sind. Ich hatte eben mit meinem Chef telefoniert.<br />

Wir kommen jetzt alle- mit Sondersignal. Sind jetzt kurz vor Darmstadt.“<br />

„Na super! Beeilt euch bitte.“, gab Holzmann erleichtert von sich.<br />

Nach dem Telefonat, wandte Rainer sich an die Kollegen und bat zur<br />

Kurzbesprechung des Einsatzes.<br />

„So. Mädels, wir können bald. Also wir teilen uns auf, wie besprochen.<br />

Budjens Leute gehen in den Club mit. Eventuell werden wir fünf von denen<br />

abziehen und zur Wohnung schicken. Das werden wir dann sehen. Aber<br />

Sylvia - also Team 6 - geht jetzt los. Macht euch an die Wohnung. Wenn die<br />

Schwarzen kommen geht’s hier ab....LOS.“<br />

Bald trafen zwei silberne Vito´s, 2 Sprinter mit verdunkelten Scheiben und<br />

eine schwarze Mercedes E-Klasse ein, und insgesamt 34 Personen mit<br />

schwerer SEK-Schutzkleidung stiegen aus den Wagen aus. Man sah den<br />

schwarzen bezogenen Helm mit großem Schutzvisier, die Kugelschutzweste<br />

mit der Aufschrift POLIZEI, das Pistolenhalfter, das an die Brust geheftet war,<br />

den Teleskop-Schlagstock im Gürtelclip, die Handschellen, kleinere Taschen<br />

mit Werkzeug und schließlich die hinten angehängten Beutel mit<br />

Zusatzmunition und den Blend- und Rauchgranaten sowie den<br />

Bolzenschneider, die Axt und den Rest der Ausrüstung wie zum Beispiel das<br />

Einsatzmesser und den Chronometer.<br />

Budjen lief zielstrebig auf Holzmann zu, den er in der Menge entdeckte.<br />

„Wir müssen uns beeilen, wenn wir nicht auffallen wollen.“<br />

Holzmann drückte die Sprechtaste an seinem Funkgerät und rief kurze<br />

Kommandos durch.<br />

Währenddessen verteilte sich die Meute auf die abgesprochenen Positionen.<br />

Aus dem Funkverkehr ( Budjen spricht):<br />

„Team 6 fährt jetzt los. Das Kommando hat Holzmann ab jetzt. Ich bin raus.<br />

Wenn was unklar ist, Rücksprache mit IHM. Autorisation ist jedem bekannt<br />

denke ich.“<br />

Kurze Pause dann Rainers Stimme:


„5/24-10 an alle: CODE BLAU. Aufstellung !!! Passt auf, was vor sich geht.<br />

Wenn was schief geht wisst ihr alle Bescheid. Team 1, kommen?“<br />

„ 1 hört.“<br />

„A 1 ausführen. Bei Bedarf nach Auffasspunkt. Bei Code Gelb Kontakt. Ich<br />

möchte Bescheid wissen was sich da drinnen tut !“<br />

„Verstanden. A1, nach Auffasspunkt. CG Kontakt.“<br />

„Und GO!“<br />

„Team 2 Standort?“<br />

„C 2. Eingang Süd.“<br />

„Team 3 Standort?“<br />

„C 9.Parkplatz.“<br />

„Team 4 Standort?“<br />

„C 7.Südgleis. Stellwerk. Plus 2.“<br />

„Rückmeldung bitte. Team 5 Standort?“<br />

„Weiche 6 gegenüber Haupteingang. Die sind noch ganz friedlich.“<br />

„Sooo...Die 1 passt auf, solange ihr dort steht, 5.“<br />

„Verstanden.“<br />

„10 von Team 4. +0.“<br />

Rainer sah Budjen an. Der nickte und sah wieder in seinen eigenen Lageplan.<br />

Nun sah Rainer auf seine Armbanduhr und fragte sich, ob Sylvia und der Rest<br />

schon an ihrem Bestimmungsort angekommen waren. Er musste auf den<br />

Anruf warten.<br />

„Okay..24-10 für alle:...FUNKSTILLE!!!“<br />

Eine Weile herrschte eine gespannte Stille am Vito, in dem Holzmann und<br />

sein Kollege warteten. Jeder sah abwechselnd seine Ausrüstung durch und<br />

alle waren zum zerreißen nervös. Dann kam ein Anruf.<br />

„Wir sind jetzt aufgestellt und bereit. Wie sieht´s bei euch aus? Was meinst<br />

du zu 22-24?“<br />

„Das ist okay. Sind auch bereit....UND LOS!“, kam die Antwort und schon war<br />

die Leitung tot.<br />

Gleichzeitig woanders...<br />

„Ihr habt´s gehört...auf geht´s!“, flüsterte Sylvia ihren Kollegen zu.<br />

Daniel stieß die Tür mit der Ramme auf und Sylvia lief mit gestreckter Pistole<br />

in den Wohnungsflur. Sie arbeitete sich mit Daniel schreiend bis in das<br />

Wohnzimmer vor.


„POLIZEI! HINLEGEN, HÄNDE AUF DEN RÜCKEN, NICHT BEWEGEN !!!“<br />

Während Daniel und Sylvia sich um die zentrale Figur des Ganzen, Ilir,<br />

bemühten, ergriffen die anderen den Rest der Truppe. Die Gehilfen des Bosses<br />

Besart und Bilal wurden daran gehindert durch das Fenster abzuhauen.<br />

Einzeln wurden alle Räume abgesucht.<br />

„Wohnzimmer gesichert.“<br />

„Schlafzimmer gesichert.“<br />

„Balkon gesichert.“<br />

„Küche gesichert.“<br />

„Bad gesichert.“<br />

Im Hausflur bezog Olli zusammen mit Florian Maybaum Stellung und<br />

hinderten Ilir, der drinnen durchbrechen konnte, am Abhauen.<br />

„DU bleibst hier, Freund !!!“<br />

Sie rissen ihn zu Boden. Während Olli einen Arm um Ilir legte und den<br />

linken Arm des umher schlagenden Mannes sicherte, brachte Florian den<br />

wild um sich schlagenden Mann kontrolliert zu Fall. Ilir schrie auf, konnte<br />

sich aber letzten Endes nicht dagegen wehren, Handschellen angelegt und<br />

abgeführt zu werden.<br />

„IHR VERDAMMTEN WICHSER !!! ICH MACH EUCH ALLE FERTIG!!!“<br />

Sylvia die ihre Zufriedenheit über den momentan gut laufenden Zugriff nicht<br />

leugnen konnte, grinste Ilir im Vorbeigehen an. Ilir verlor erneut die<br />

Kontrolle über sich und stemmte sich gegen Olli und Florian und versuchte<br />

nach Sylvia zu treten. In der Luft hängend und wild zappelnd wurde seine<br />

Aktion jäh gestoppt, indem Daniel, der nicht gerade zierlich war, Ilir einen<br />

Kniestoß in den Bauch rammte und ihn dann gewaltsam und schmerzhaft zu<br />

Boden drückte und als Fixierung nun das Knie gegen Ilir´s Nacken stemmte.<br />

Ilir stöhnte jäh und gab sofort auf. Die anderen wehrten sich gar nicht erst.<br />

Sie legten sich fast synchron auf den Boden und legten schon von alleine die<br />

Hände auf den Nacken. Ein älterer Herr, der wie ein harmloser alter Mann<br />

aussah, kniete sich langsam hin und verzog dabei das Gesicht. Einer der<br />

Beamten bekam dies mit, packte den Mann am Arm, zog ihn wieder hoch und<br />

nickte dabei zum Sessel. Der Mann verstand wortlos.<br />

Zur gleichen Zeit am Güterbahnhof...<br />

„Alle Teams: Code GRÜN, LOS, LOS, LOS!!!“, gab Holzmann das Startsignal für<br />

den Sturm auf den Club.


Eine Stunde später...<br />

„Wie sieht´s aus, Team 2 ? Ist da drinnen noch jemand versteckt?“<br />

„10 von Team 2: Nein sieht alles aufgeräumt aus. Wir gehen aber nochmal<br />

ins Lager im Keller. Haben vorhin nicht so richtig nachgeschaut.“<br />

„Ich hoffe das war ein Witz !!!“<br />

„Natürlich. Freddy war vorhin unten und hat nachgesehn´. Will halt<br />

nochmal schauen...“<br />

„Team 2 von 10: Habe verstanden, wenn was ist, Bescheid geben. Ende.“<br />

„Team 2, verstanden. Ende.“<br />

Holzmann streifte das Headset ab und war froh, die ganze Truppe einkassiert<br />

zu haben. Nennenswerte Schäden musste er keine melden. Das einzige Übel<br />

war nur, dass sie die Disko nebenan nachträglich doch räumen mussten, da<br />

sich die Bandenmitglieder teilweise in dieser verstecken wollten, und<br />

Holzmann keine Ballerei da drinnen haben wollte. Budjen packte ein Käse-<br />

Schinken-Brötchen aus und biss genüsslich hinein, während er und<br />

Holzmann zusahen wie die Typen in mehrere Gefangenentransporter der<br />

Bereitschaftspolizei gesteckt wurden, die jetzt nach und nach eintrafen.<br />

Mit noch vollem Mund sagte Budjen etwas.<br />

„Wa fon fool oda? If gaub fon daf die jetft awa lang eingefloffen werben.“<br />

Holzmann schaute Budjen pikiert an und winkte dann grinsend ab.<br />

Eine Weile beschäftigten sie sich nun noch mit Gesprächen über den<br />

Einsatzablauf und wogen ab, was gut, und was schlecht gelaufen war.<br />

Holzmann drehte sich nochmals nach dem Haus um, und wollte gerade die<br />

Kugelschutzweste abstreifen....<br />

„....DÖRING.......!!!!!!!!!“, schrie Jakobsen seiner Kollegin nach, als diese um die<br />

Mauerecke bog und aus der Ecke gegenüber im Schatten des Lichtes der<br />

verdreckten 40 Watt- Birne des Kellers, plötzlich ein Gewehrlauf zu<br />

erkennen war und, grob geschätzt, etwa 10-<strong>12</strong> Kugeln im Schnellfeuermodus<br />

in die Kollegin eindrangen. Als Jakobsen schon geschrien hatte und die<br />

Kugeln durch die Luft schwirrten, sah Döring ihn mit hilflosem, von<br />

Überraschung und Schmerz getragenen Blick an. Zuerst war es<br />

Überraschung, dann Entsetzen, danach.... - er konnte es nicht glauben -....<br />

war dies etwa Erleichterung gewesen ?<br />

Die meisten trafen die Kugelschutzweste aber Jakobsen- tief im Schockkonnte<br />

wie in Zeitlupe präzise verfolgen, wie sich das Aufplatzen der


Körperstellen ausbreitete. Von der Brust zu den Beinen, zurück über die<br />

Bauchdecke bis zum Hals und die letzten 3-4 Kugeln direkt in den Kopf<br />

seiner Kollegin schlugen alle erbarmungslos ein.<br />

Seine Kollegin fiel wie ein großer Mehlsack um und schlug ungedämpft mit<br />

der Stirn auf dem kalten Steinboden auf. Sie schien sich zu schütteln. Das<br />

Schütteln wurde kurz stärker, bevor Döring gurgelnd aufhörte zu atmen und<br />

sich unter ihr ein roter Teppich breit machte.<br />

„OH SHIT !!!!“, schrie Jakobsen und warf sich gleichzeitig zurück in den<br />

kleinen Gang, von wo er gerade kommen war. In aller Eile machte er seine<br />

Heckler&Koch MP5 SD wieder einsatzbereit. Er nahm das halb volle Magazin<br />

heraus, markierte hektisch eine Ecke rundherum mit einem roten Isolierband,<br />

steckte ein neues Magazin in die Waffe, lud durch und entsicherte. Obwohl<br />

schon lange dabei, merkte er, wie er zitternde Hände bekam, da er seit 15<br />

Jahren noch nie einen Kollegen sterben gesehen hatte, obwohl er auch bei<br />

Geiselnahmen wie die Sache in Gladbeck, dabei war. Ganz taub vor<br />

Konzentration und dem Schreck merkte er nicht, wie schon seit den<br />

gefallenen Schüssen eine Stimme aus dem Headset in sein Ohr schrie.<br />

„DÖÖÖRIIING, JAKOBSEN ???????!!!!!!!!?????“<br />

Er atmete schnell durch und drückte die kleine Funktaste oben am Kragen<br />

seiner Einsatzweste. Er bekam kaum Luft und quälte jedes Wort hechelnd aus<br />

dem Hals.<br />

„201, kommen. Döring ist- tot! Hier ist noch einer von diesen Arschlöchern.<br />

Wir-haben nicht-mitbekommen-wo-der-herkam! Verdammt !!“ Nach jedem<br />

Wort schluckte er Atemluft.<br />

„Team 2 ! Wir schicken Verstärkung rein. Halt einen Moment aus. Ist Döring<br />

noch zu retten?“<br />

„NEIN,VERDAMMTE SCHEISSE.. SIE IST TOT- MAUSETOT !!!“, krisch<br />

Jakobsen.<br />

Von der anderen Seite des Flures hörte er knirschende Geräusche, als würde<br />

jemand den Flur entlang gehen. Jakobsen sah blitzschnell um die Ecke, legte<br />

an und feuerte eine kurze Salve in Richtung der Geräusche und der Wand<br />

dahinter. Die Laufgeräusche verebbten urplötzlich und ein Rumpeln war zu<br />

hören. Offensichtlich hatte die Person eine der Kellertüren aufgebrochen um<br />

sich schützend zu verstecken.


Jakobsen hörte schnelles schweres Atmen und begriff, dass der Mann<br />

getroffen wurde.<br />

`Scheiße was? Du Wichser !!!´, dachte sich Jakobsen, die Genugtuung<br />

genießend.<br />

„Komm lieber gleich raus, du Arschloch.“, rief er etwas tollkühn zu der<br />

Gestalt hinüber.<br />

„Das kannst Du Dir abschminken. Da musst du mich schon selbst raus<br />

holen!“, kam postwendend die Antwort. Jakobsen wartete auf die nächste<br />

Aktion des Kriminellen. Stille.<br />

Das Funkgerät gab statische Geräusche von sich und dann...<br />

„Team 2 für 10, kommen?“<br />

Stille.<br />

„Team 2. Jakobsen, sag´ was !!!“<br />

Stille.<br />

Draußen<br />

Holzmann stand mit dem Funkgerät in der Hand vor dem silbernen Vito,<br />

überlegte, und sah dabei nicht glücklich aus.<br />

„Wann können wir jemand rein schicken, verdammt? Der verreckt mir<br />

noch.“<br />

Budjen sah auf den Lageplan und schüttelte den Kopf.<br />

„Der ganze Keller ist hermetisch abgeriegelt. Nur ein Ein- und Ausgang.<br />

Wenn diese Typen sich verschanzt haben, kommen wir nicht rein, ohne<br />

Jakobsen zu gefährden.“<br />

„Okay, Budjen, Du schnappst Dir das Funkgerät. Huber, Schneider und ich<br />

gehen da jetzt rein. Verdammt, diese Schmeißfliege sollten wir schleunigst<br />

zerquetschen!“<br />

Holzmann sah sich nach Schneider um.<br />

„SCHNEIDER....kommen Sie mal her.“ Sofort eilte Schneider im Laufschritt zu<br />

Holzmann<br />

„Ja, was ist?“<br />

„Wie viel haben Sie noch?“<br />

„Ich habe noch alle beide Magazine und noch ein halbes für die 9mm.“<br />

„Lassen Sie sich von Budjen vier weitere Magazine geben und geben Sie zwei<br />

davon Huber. Danach schnappen Sie sich ein Headset und gehen zur


Rückseite des Hauses. Dort warten Sie und machen nichts. Haben Sie<br />

verstanden- NICHTS !!!“<br />

„Alles klar!“, sagte Schneider und ging, wie ihm befohlen wurde zu Budjen.<br />

Huber, der in der Nähe ebenfalls schon am zusammenpacken gewesen war,<br />

wurde jetzt ebenfalls von Holzmann instruiert.<br />

Als alles geklärt war, liefen Huber und Holzmann in gebückter Haltung und<br />

mit schnellen Schritten zum Club hinüber. In derselben Zeit war Schneider<br />

zur Rückseite des Hauses gesprintet, wie es ihm Holzmann befohlen hatte.<br />

Huber stand rechts des Türrahmens und sah Holzmann fragend an, der ihm<br />

direkt gegenüber stand, aber keine Notiz von Huber zu nehmen schien. Er<br />

starrte abwesend auf seine Waffe und in die offene Tür des Hauses. Huber<br />

verdrehte die Augen und entschied sich, Holzmann „aufzuwecken“.<br />

„HOLZMANN, was ist denn ???“, zischte er ihn kaum hörbar aber deutlich an.<br />

Holzmann schüttelte, wie benommen, den Kopf und sah Huber mit einem<br />

entschiedenen Blick an. Er drückte auf die Funktaste und unterrichtete die<br />

Wartenden über sein Vorhaben.<br />

„Okay, Wir gehen da jetzt rein. Schneider? Du wartest auf mein Zeichen!!!“<br />

„Verstanden. Ich warte auf ein Zeichen von euch.“, antwortete Schneider<br />

pflichtgemäß.<br />

„Haben mitgehört. Alles klar.“, gab Budjen durch.<br />

Holzmann deutete eine 3 mit seiner rechten Hand an und Huber konnte<br />

sehen, wie Holzmann die Finger einzeln nacheinander einzog. Bei „1“<br />

schlüpften sie ins Foyer.<br />

Links befand sich der Kassenschalter rechts schräg gegenüber gleich die<br />

Garderobe.<br />

Holzmann blickte den verwinkelten Flur entlang und ihm fiel auf, dass bis auf<br />

einzelne NOTAUSGANG-Beleuchtungen und der Schwarzlichtröhre an der<br />

Kasse, alles dunkel war. Er sah Huber an und tippte dreimal auf seinen<br />

Restlichtverstärker am Helm. Huber verstand und beide klappten das<br />

elektronische Visier fast gleichzeitig herunter. Ein schnell immer heller<br />

werdender Intervalltyp, ähnlich des Ladens eines Blitzes eines Fotoapparates,<br />

kündete von der Betriebsbereitschaft der beiden Geräte. Geduckt und umher<br />

sehend, schlich jetzt Holzmann voraus und arbeitete sich so bis zum Eingang<br />

des Tanzraumes vor. An jeder Nische hielt er inne und ließ Huber jedes Mal<br />

an der gegenüberliegenden Seite dieser symmetrisch angeordneten Nischen


vorrücken und vorbeiziehen. Einmal Holzmann, einmal Huber. Sie spähten<br />

kurz hinein und hielten dabei die Gewehre in Richtung des Dunkel, konnten<br />

aber durch die Nachtsichtgeräte nichts Verdächtiges erkennen. Holzmann<br />

dachte schnell nach.<br />

`Der Scheißkerl ist nicht hier. Ich geh´ jetzt in den Keller. Mann! Dem Penner<br />

blas´ ich persönlich die Lichter aus!!!´<br />

„Wir gehen jetzt runter.“, gab Holzmann Huber durch Handzeichen zu<br />

verstehen.<br />

Huber hob den rechten Daumen.<br />

Zurück im Foyer gingen Huber und Holzmann mit der Waffe im Anschlag<br />

direkt auf die zweite von insgesamt vier Türen zu. Die Türen waren synchron<br />

zu einander, jeweils zwei auf einer Seite angeordnet. Die Tür rechts von der<br />

Garderobe und gegenüber der ersten Tür auf der linken Seite, auf der BÜRO<br />

ZUTRITT VERBOTEN stand, trug die Aufschrift VERSORGUNG.<br />

Vorsichtig tippte Holzmann die Tür auf und beiden sahen sich einer schmalen<br />

metallenen Treppe gegenüber, die geradezu in eine andere Zeit führte. Die<br />

Wände aus Sandstein, die Decke gewölbt und die Mauern dick und kalt.<br />

Holzmann dachte kurz an die Objekt-Information, die sie sich vom<br />

Grundbuchamt geholt hatten. Er erinnerte sich daran, dass der Keller ehemals<br />

einen anderen Oberbau besaß, und dieser später vom Krieg zerstört und<br />

ersetzt wurde.<br />

„Hallo?? Hallo Arschloch, wir sind hier um dich zu holen.“, flötete Holzmann<br />

freundlich. Er war aufgeputscht vom Adrenalin und fühlte sich gut, dennoch<br />

saß im die Anspannung tief in den Knochen. Dann gingen sie langsam die<br />

Treppe hinunter. Die Stiefel waren leise, aber man konnte, wenn man genau<br />

hinhörte das Knarzen des Stiefelschaftes hören. Schritt für Schritt setzten die<br />

Stiefel langsam auf den Stufen nach unten auf. Am Fuß der Treppe hielt<br />

Holzmann inne. Er überlegte.<br />

Holzmann deutete auf den Boden und Huber verstand. Jetzt krochen beide bis<br />

an die Gabelung, und Holzmann versuchte schnell um die Ecke zu spähen.<br />

Dann fielen Schüsse.<br />

„Ups.“, entfuhr es ihm und er zog ebenso schnell den Kopf wieder ein. Huber<br />

sah Holzmann irritiert an.<br />

Der typische salpeterne Schmauchgeruch umhüllte sie und die umliegenden<br />

Kellernischen.


Jakobsen wachte nur mühsam aus seiner kurzen Lethargie auf und verstand<br />

augenblicklich.<br />

„Hey! Seid ihr das? Das ist nur ein Einziger!“, rief er helfend hinüber zur<br />

anderen Seite.<br />

Jetzt piepte es in seinem Ohr und ein kaum hörbares Flüstern drang durch<br />

das Rauschen.<br />

„Halt dich unten. Wir haben ihn gleich!“, hörte er eine Stimme sagen.<br />

Holzmann dachte angestrengt nach.<br />

`Wenn ich raus komme, knallt er mich ab. Rufe ich Jakobsen zu mir, knallt<br />

der Wichser ihn ab... Verdammt...´<br />

Eine Gestalt huschte von ihm fast unbemerkt vorbei. Aus der Nische blitzte<br />

ein Lauf hervor.<br />

„Mit euren Kikires-Waffen kriegt Ihr mich nicht ihr Penner !“, schrie der<br />

Unbekannte.<br />

Wieder fielen mehrere Schüsse. Holzmann wartete. Er peilte die Nische an<br />

und wartete auf ein Ziel.<br />

Dann verhallte ein einzelner Schuss und plötzlich war das Klicken der Waffe<br />

des Gegners zu hören. Holzmann zählte ihm Kopf schnell durch:`20 Schuss...´<br />

Seine eigene Waffe lud er ebenfalls. Reine Vorsichtsmaßnahme, dachte er<br />

zufrieden.<br />

Schweres Atmen war von der anderen Seite zu hören.<br />

„Na? Angespannt heute?“, fragte Holzmann so leicht dahin, als würde er eine<br />

ganz normale Unterhaltung führen.<br />

„Nein, du Hurensohn.“, hörte er den anderen sagen. Dann schoss sein Gegner<br />

das ganze Magazin leer.<br />

`Reine Verschwendung.´, dachte Rainer, feuerte dann aber zurück. Es reichte<br />

ihm langsam.<br />

Holzmann zog ein rundes Behältnis aus der Tasche. Größe und Form<br />

entsprach etwa einer Limonadendose. Das metallische Ding trug die<br />

Aufschrift:<br />

ACHTUNG EXPLOSIVSTOFFE! und war mattschwarz lackiert. Ein Sicherungs-<br />

Ring stand oben ab.<br />

Es war eine Rauchbombe.<br />

Holzmann drückte den Funkknopf.


„Okay, gleich setze ich unser SNG ein, setz´ vorsichtshalber mal die IR-Brille<br />

und den Mundschutz auf.“<br />

„Okay.“, kam die Antwort schnell aus dem Funkgerät zurück. Jakobsen<br />

machte sich bereit.<br />

Er atmete durch und setzte die Gasmaske und das Infrarotnachtsichtgerät auf<br />

und wartete.<br />

Holzmann warf die Rauchbombe in die Richtung des fremden Mannes. Mit<br />

einem lauten Knall, einem grellen Blitz und einem lauten Zischen flutete die<br />

Bombe die Umgebung schnell mit Rauch. Zur gleichen Zeit nahm sich Huber<br />

die zwei nackten Deckenleuchten vor. Er zerschoss beide Glühbirnen und von<br />

nun an war alles in schwärzeste Dunkelheit verwandelt. Der Gegner war<br />

irritiert und schaute hektisch umher. Der Rauch und die Schüsse und die,<br />

plötzlich eintretende Dunkelheit machten ihn orientierungslos. Er setzte<br />

wutschnaubend an und feuerte das ganze Magazin in die Richtung in der er<br />

die Scharfschützen vermutete. Holzmann rief laut in sein Funkgerät.<br />

Währenddessen stürzte er los und hielt die MP5 SD in die Kellernische, wo<br />

sich der Mann gerade eben noch befunden hatte.<br />

RATTATATATATATATATATATATATATATATATATATATAA<br />

Nach, wie eine Ewigkeit andauernden Sekunden, war es im Kellerraum<br />

totenstill geworden. Das grünliche Bild im Visor ließ alles unheimlich und<br />

befremdlich erscheinen. Huber starrte fassungslos auf das vor ihm gebotene<br />

Szenario. Holzmann lehnte mit der MP im schlaff herunter hängenden Arm<br />

an der Wand und sah, gedankenverloren zur Leiche des Gangsters hinunter.<br />

Auch sah Huber auf den Boden. Der tote Mann lag gekrümmt in seinem Blut.<br />

Seine Arme und Beine von den Kugeln zerfetzt, die Kleidung blutdurchtränkt<br />

und die linke Gesichtshälfte grausam entstellt. Fleischfetzen hingen fast lose<br />

herunter. Huber wurde schlecht.<br />

Jakobsen lugte um die Ecke. Als er begriff, dass es vorbei war, stützte er sich<br />

auf und lief mit unsicheren Schritten zu seinen beiden Kollegen hinüber.<br />

Huber starrte immer noch entsetzt auf die Leiche und abwechselnd zu<br />

Holzmann. Er konnte nicht fassen was sich ihm hier bot.<br />

„DU ARSCHLOCH HAST IHN UMGELEGT !!!“ brüllte er seinen Boss an.<br />

Holzmann war das egal.


Huber merkte, dass ihm nicht zugehört wurde. Er packte Holzmann am<br />

oberen Teil der Kugelschutzweste und drückte in mit einem festen Ruck<br />

gegen die Kellerwand.<br />

„Hey! Ist das nicht Driton ?“, fragte Holzmann tonlos und ungerührt.<br />

Holzmann war weit weg mit seinen Gedanken.<br />

„SAG` MAL, BIST DU BESCHEUERT, ODER WAS !?“ Huber rüttelte wie wild an<br />

der Weste.Holzmann schlug sich Huber´s Arm vom Kragen und befreite sich<br />

ruckartig vom festen Griff.<br />

„Der hat es nicht anders verdient.“, antwortete Holzmann leise aber kalt auf<br />

den Vorwurf und wandte sich ab.<br />

Huber sah die Leiche an, überlegte und sah danach zu den sterblichen<br />

Überresten seiner Kollegin. Er schien zunächst unschlüssig, dann traf er eine<br />

Entscheidung.


-34-<br />

Samstag, 01.20 Uhr, Sabrina´s Wohnung…<br />

„...Ich gehe mal kurz auf die Toilette.“, bekundete Sabrina und verschwand<br />

schnell, um ihrem Bedürfnis im Sinne des Wortes, Nachdruck zu verleihen.<br />

Martina indes saß wieder, wie tags zuvor im Wohnzimmer auf der Couch<br />

und langweilte sich etwas, da Sabrina schon Ewigkeiten fort zu sein schien.<br />

Tatsächlich war es jedoch erst 3 Minuten her, das Sabrina hinausging.<br />

Martina saß da und dachte an die Gesprächsinhalte, die sie nicht losließen<br />

....„Mich wundert es sehr, dass ich in den letzten Wochen ständig irgendwie<br />

blockiert werde, wenn ich versuche die Dinge, die ich mir zur Sanierung<br />

überlegt hatte, auszuführen.“<br />

„Sabrina, meinst Du wirklich, die Alte hat Spaß daran, Dich zu schikanieren?<br />

Warum sollte sie das tun?“<br />

Sabrina sah Martina verständnislos an.<br />

„Mann, Martina. Kapierst du es nicht?!? Die Auersee will mich raus haben!<br />

Ich bin noch ´ne kleine dumme Nuss für die! Ich hab´s Dir schon so oft<br />

erklärt.“<br />

Sabrina sah auf ihre Hände auf der Armlehne. Ihre Finger schienen eigenen<br />

Gesetzen zu folgen. So kratzte sie sich unbewusst die Finger wund. Als<br />

Sabrina dies bemerkte, verschränkte sie die Hände ineinander und sah<br />

verstohlen zu Martina hinüber, die sich jedoch zu sehr auf ihre zu gebende<br />

Antwort konzentrierte. So ging es schon eine Weile, und keiner der beiden<br />

fand einen Weg, der die Unstimmigkeiten beseitigte. Sabrina war zu sehr in<br />

ihrer Wut vertieft und Martina verstand irgendwie nicht recht, wo denn<br />

eigentlich das Problem lag.<br />

Die Tür klingelte.<br />

Martina sah sich nach Sabrina um, die gerade aus der Toilette zurück zu<br />

kommen schien, und bemerkte dabei die Zeiger auf einer Uhr bei der Stereo-<br />

Anlage. Es war kurz nach halb zwei.<br />

`Ziemlich spät für Besuch, denke ich´, dachte Martina für sich und fügte<br />

grinsend halblaut hinzu<br />

„Ich bin ja selbst Besuch.“


„Martina warte, ich mache gleich auf. Sekunde!“, rief Sabrina aus dem Flur.<br />

Martina war schon mit der einen Hand am Türgriff mit der anderen auf dem<br />

Öffner-Button auf einer kleinen Konsole an der Wand. Dann hielt sie inne<br />

und besann sich darauf, vorher doch nochmal, die Haustürkamera zu<br />

benutzen. Irgendwie fand sie das Ding ziemlich cool. Sie drückte den<br />

entsprechenden Knopf unter dem Mini-LCD Schirm und der schwarze<br />

Schirm meldete<br />

„Übertragung wird aufgebaut“<br />

Dann erschien das Bild der Fläche vor der Haustür. Ein Mann war zu sehen<br />

der sich, eine Zigarette rauchend, umsah. Martina wunderte sich über seine<br />

Aufmachung. Er hatte eine schwarze Cargo-Hose an, denen beim Militär<br />

nicht unähnlich, ein Gürtelholster für eine Pistole, das… Martina versuchte es<br />

genauer zu erkennen… leer sein musste. Ein schwarzes Shirt mit einer<br />

Aufschrift.…Moment mal !!!…-POLIZEI- Stiefel und er führte eine Zigarette<br />

hin und wieder nervös zum Mund<br />

`Wer ist das?´, dachte sie.<br />

Sabrina kam um die Ecke und sah, dass Martina sich wieder einmal nicht an<br />

ihre Worte hielt. Sie ging auf die Tür zu und warf Martina einen vielsagenden<br />

Seitenblick zu. Nun schaute sie selbst nach, wer da so spät noch störte, sah<br />

wieder weg auf irgendeine Stelle neben dem Apparat, überlegte kurz und<br />

drückte auf den Türöffner. Sabrina benerkte die plötzliche Verwunderung in<br />

Martinas Gesicht. Martina, die Augen seltsam geweitet, wollte gerade etwas<br />

sagen, als es schon an der Tür leise klopfte. Martina´s Blicke wurden immer<br />

eindringlicher, sie schien etwas fragen zu wollen und stellte aber verdutzt<br />

fest, das Sabrina´s Gesichtsausdruck sich aufhellte. Sabrina schien den Typ zu<br />

kennen. Martina platzte bald vor Neugier. Sie fragte.<br />

„Sabrina, wer ist das?“<br />

Sabrina sah Martina nur müde an und antwortete trocken.<br />

„Ein Freund.“<br />

Martina hob die Augenbrauen und zog eine Grimasse. Sie war verwundert.<br />

„Sabrina…“<br />

Endlich ging die Tür auf und Martina sah den Mann nun „live“.<br />

Sabrina umarmte ihn kurz und sah ihn an.<br />

„Alles in Ordnung? Du siehst fertig aus.“, fragte Sabrina


„Bin ich auch. Entschuldigung, dass ich dich störe.“ Rainer wünschte sich<br />

plötzlich, er wäre doch nicht hier hergekommen.<br />

Martina sah beide an und schien vor Neugier zu explodieren. Sabrina<br />

bemerkte es und setzte ruhig und besonnen an.<br />

„Oh, .. äh ja…Das, Martina, das ist Rainer, und, Rainer, das ist Martina, meine<br />

„Beste Freundin“.“<br />

Martina brachte höchstens ein hörbares „Hallo“ heraus. Rainer sagte schlicht<br />

„Hi“.<br />

Sabrina streckte den Arm in Richtung Wohnzimmer und bedeutete beiden,<br />

mitzugehen. Holzmann ging Sabrina schweigend nach, während Martina<br />

sich, Rainer anstarrend, anschloss.<br />

„Also, Rainer, was ist denn passiert?“, fragte Sabrina gerade heraus.<br />

Rainer sah zu ihr auf, und machte mit einem kurzen Augenschwenk auf<br />

Martina aufmerksam. Dann sah er seine Hände an und überlegte, was er nun<br />

sagen sollte.<br />

„Heute war ich wieder arbeiten…- wie man unschwer sehen kann-…<br />

Naja...es lief nicht ganz so wie ich dachte.“, sagte Rainer knapp und hoffte,<br />

nicht ins Detail gehen zu müssen.<br />

„Okay?“, antwortete Sabrina zögerlich, mehr fragend.<br />

Martina sah Sabrina und Rainer an, dann ging ihr scheinbar ein Licht auf.<br />

„Sie sind der Polizist, der Sabrina nach Hause gefahren hatte, richtig?“<br />

„Ja, der bin ich.“ Rainer antwortete fast automatisch. Dann aber sah er<br />

Sabrina fragend an.<br />

„Stimmt.“, warf Sabrina zustimmend ein. Martina sah widerstrebend auf ihre<br />

Armbanduhr und dachte daran, zu gehen. Sie wusste, dass sie hier jetzt fehl<br />

am Platz war. Irgendwie fiel ihr ein, was Sabrina ihr beiläufig am Telefon<br />

sagte, als sie Donnerstag Abend miteinander sprachen. Martina machte es<br />

damals schon stutzig aber sie hielt den Mund.<br />

Genau wie jetzt. Es ging sie ja nichts an. Und nachdem Sabrina sie in der<br />

Altstadt so zusammengestaucht hatte wegen diesem Vorwurf, dass sie Bettgeil<br />

sei, beließ es Martina jetzt lieber dabei, still zu sein. Sie wollte Sabrina<br />

nicht nochmal ärgern. Sie wollte jetzt gehen.<br />

„Du…Sabrina, ich gehe dann mal, okay?“, sagte Martina hastig und kurz<br />

angebunden. Sabrina wunderte sich, aber ließ Martina gewähren, sonst hätte


sie es wohl selbst in die Hand nehmen müssen, Martina hinaus zu<br />

komplimentieren. Sie hatte Martina´s Nachdenken nicht bemerkt.<br />

„Ach Schade, hättest doch noch bleiben können. Okay, also dann. Warte, ich<br />

bring dich zur Tür.“<br />

Sabrina und Martina standen auf und gingen hinaus.<br />

„Du bist echt doof. Das merkt man doch auf 100 Kilometer, Sabrina. Ich habe<br />

es Donnerstag Abend schon geahnt.“ Martina war beleidigt, das war<br />

offensichtlich. Ihre beste Freundin erzählt nichts über ihren neuen Freund.<br />

Erst muss eine Überraschung passieren, damit sie, Martina, es mitbekommt.<br />

Martina war enttäuscht. Aber sie dachte auch, dass Sabrina jetzt endlich<br />

glücklich sein konnte. Man merkte ihr in letzter Zeit schließlich ihre<br />

Bedrückung an, bezüglich eines Partnerwunsches. Martina freute sich für<br />

Sabrina. Sabrina war aber überrascht.<br />

„Du hättest ruhig etwas sagen können. Ich kenne Dich jetzt schon so lange.<br />

Gemerkt habe ich es auch alleine. Also wäre es einfacher gewesen, oder? Aber<br />

egal. Jetzt geh ´rein und amüsier´ Dich. “, sagte Martina und wandte sich um.<br />

Sabrina sah Martina nach und rief etwas.<br />

„Wir telefonieren, okay?“<br />

„Jaja, schon in Ordnung. Also, viel Spaß noch. Ach...Der Kerl sieht richtig gut<br />

aus...“ erwiderte Martina die Stufen zur Garage hinabsteigend und grinste<br />

dabei, was Sabrina jedoch nicht sehen konnte. Sabrina schüttelte aber den<br />

Kopf über das, eben Gehörte.<br />

`Blöde Kuh. Ich muss ihr doch nicht alles auf die Nase binden. Ist doch noch<br />

viel zu frisch!“, dachte sie im Guten. Sabrina sammelte sich kurz und<br />

entschloss sich, in die Wohnung zurück zu gehen. Sie schloss leise die<br />

Haustür und lief dann zu Rainer ins Wohnzimmer.<br />

Im Wohnzimmer zurück, sah sie Rainer anteilnahmslos auf dem Sofa sitzen<br />

und beobachtete ihn eine Weile. Sie überlegte sich eine Frage. Ihr viel nichts<br />

passendes ein. Sie sah ihn das erste Mal so und dachte daran, dass er wirklich<br />

gut aussah. Er war eine Chance! Eine kleine Weile betrachtete sie ihn noch,<br />

dann hielt sie es nicht mehr aus.<br />

„Also Rainer…Was ist denn passiert? Du siehst nicht gut aus.“, fragte Sabrina<br />

gerade heraus.


-35-<br />

etwas früher, der gleiche Abend, Polizei-Notrufzentrale...<br />

„Polizei-Notruf.“<br />

„Hilfe. Oh, mein Gott. Meine Mutter- Sie.- ...Sie atmet nicht. Bitte kommen Sie<br />

schnell!“<br />

„Jetzt beruhigen Sie sich. Was ist passiert? Wie heißen Sie? Von wo aus rufen<br />

Sie an?“<br />

„Meine Mutter !!!!<br />

„Bitte sagen sie mir wie sie heißen!“<br />

„Ich glaube sie ist tot, verdammt.“<br />

Wie heißen sie?“<br />

So kommen Sie doch!“ Heftige Atemgeräusche sind zu hören. Rascheln.<br />

„Hilfe...BITTE.“<br />

„Ich kann Ihnen nur helfen wenn sie sagen wer Sie sind und was passiert ist,<br />

okay?“<br />

„Okay..Okay. Okay!“<br />

„Also, was ist passiert und wie heißen Sie?“<br />

„Mein Name ist Marcel von Auersee. Ich wohne am Schlosswolfsbrunnenweg<br />

51.“<br />

„Okay. Und was ist nun passiert.“<br />

„Meine Mutter...Ich weiß nicht. Sie war schwimmen. Jetzt liegt sie im Stuhl<br />

und atmet nicht mehr!“<br />

„Okay. Sind sie jetzt bei ihr?“<br />

„Ja.“<br />

„Okay, hören Sie mir jetzt gut zu, verstanden?!“<br />

„Ja, Ich versuch´s.“<br />

„Also gut: Holen sie sie vorsichtig von dem Stuhl herunter und legen sie sie<br />

flach auf den Boden.“<br />

„Hab´ ich.“<br />

„Drehen Sie den Kopf zur Seite und untersuchen sie die Mundhöhle, ob da<br />

eventuell Erbrochenes den Rachen verstopft und holen sie alles vorsichtig<br />

heraus. Passen Sie auf, die Zunge nicht in dem Gaumen einzudrehen.<br />

Überstrecken Sie jetzt den Hals. Ganz langsam.“


„Es ist alles sauber. Der Kopf ist überstreckt. Was jetzt?“<br />

„Jetzt kommt die Wiederbelebung Wenn sie ein Tuch haben, verwenden sie<br />

dieses und legen es ausgebreitet auf den Mund. Versuchen Sie nun jeweils<br />

drei Atemspenden und dann 30 Herzmassagen. Machen sie dies bis sie<br />

irgendwelche Lebenszeichen an ihr bemerken.“<br />

„Okay.“<br />

„Seien sie zügig, aber nicht zu überhastet!“<br />

„Ja....- Puh...- Ich... Kann nicht mehr!“<br />

„Sie machen das prima.“<br />

Während der Beamte in der Notrufzentrale die lebensrettenden Maßnahmen<br />

vom Anrufer durchführen ließ, alarmierte er HD/10- den Notarzt. Einen<br />

Krankenwagen bestellte er gleich dazu.<br />

„Also, schön, Hilfe kommt gleich, okay? machen sie konzentriert weiter!“<br />

Eine Weile verging, und plötzlich hörte der Beamte Hustgeräusche in seinem<br />

Kopfhörer.<br />

„Herr von Auersee?“<br />

„Sie atmet wieder!“<br />

„Okay, wie ist die Atmung? Eher flach, schnappend oder gleichmäßig ruhig?“<br />

„Ziemlich gleichmäßig, würd´ ich sagen.“<br />

„Also, dann bringen wir die Dame jetzt in eine unbequeme aber sichere<br />

Position. Bereit?“<br />

„Ja.“<br />

„Winkeln sie das rechte Bein an und versuchen sie sie am Arm packend<br />

seitwärts zu drehen. Fixieren sie dann diese Position, indem sie den linken<br />

Arm hinter den Körper bringen und leicht anwinkeln und den rechten Arm<br />

mittels der flachen Hand unter ihr Kinn zu schieben. Dabei strecken sie ihren<br />

Kopf etwas nach hinten durch.“<br />

„Ja....Okay....Ja, jetzt...“<br />

„Wunderbar. Herr Auersee, Sie können jetzt an die Tür. Der Krankenwagen<br />

ist in einer Minute da. Wenn Ihre Mutter stabil liegt, können Sie sie ruhig<br />

kurz alleine lassen. Machen wir das so?“<br />

„Okay. Ich geh jetzt an die Tür. Ja... Moment... Also die Sanitäter sind jetzt da.<br />

Auf Wiedersehen und vielen Dank.“<br />

„Ich danke Ihnen für die Kooperation. Viel Glück Ihnen beiden. Tschüss.“<br />

„Tschüss.“


-36-<br />

Samstag, 02.01 Uhr, Sabrina´s Wohnung…<br />

Sabrina hörte geduldig den Ausführungen Rainers zu, und verkniff sich dabei<br />

jede Zwischenbemerkung. Sie wollte weder unhöflich noch zu neugierig<br />

erscheinen.<br />

„…Und jetzt sitze ich hier und heule mich bei jemandem aus, den ich erst seit<br />

kurzem kenne. Ach, verfluchte Scheiße !!!“, sagte Rainer und brachte seine<br />

Ausführung so zum Ende.<br />

„Ja…Rainer, ich würde dir gerne etwas Tröstliches sagen. Da ich aber keine<br />

Polizistin bin, kann ich allerdings nicht mit den analytischen Phrasen von<br />

Euch aufwarten. Aber ich denke, ich kann Dich jetzt mal in den Arm nehmen,<br />

und einfach für Dich da sein.“<br />

Rainer sah Sabrina bedrückt an und dankte unausgesprochen Sabrinas<br />

einfühlsamer Haltung ihm gegenüber. Er schmiegte sich etwas kindhaft an<br />

Sabrinas Brust. Sabrina drückte ihn, wenn auch etwas verstört über diese<br />

Reaktion, an sich. Eine Weile dachte sie nach. Sie wusste nicht, wie sie mit der<br />

Situation umgehen sollte. Es beschlich sie ein ungutes Gefühl, da sie so etwas<br />

schon einmal erlebt hatte. Sie wollte nicht nochmal in diese Situation<br />

kommen. Dafür war ihr Rainer zu wichtig. Aber sie wollte ihn nicht<br />

verletzen. Also wehrte sie sich nicht. Rainer schien ihren Unmut nicht zu<br />

bemerken. Er konnte ja nicht ahnen, warum ihr das alles so unangenehm<br />

war. Rainer kauerte immer noch an ihrer Brust und sah ins Leere. Er wirkte<br />

richtig aufgelöst.<br />

„Das hätte mir nicht passieren sollen, verdammt! Ich hätte das nicht zulassen<br />

sollen!!!“<br />

„Ach, Rainer...Ich meine...Du hast soviel um die Ohren gehabt- Komm´ Ich<br />

mache uns eine Tasse Kaffee!“<br />

Beide standen auf und sahen sich lange an. Sabrina lächelte warmherzig und<br />

küsste Rainer.<br />

Am Fenster raschelte es plötzlich im Gebüsch. Rainer, sofort wach mit seinen<br />

Sinnen, drehte sich abrupt um und sah zum Fenster.


„Was war das?“, wunderte sich Sabrina und ging auf das Fenster zu, um<br />

hinaus zu sehen. Rainer, der sich ebenfalls fragte, was das Geräusch<br />

verursachte, ging ebenfalls zum Fenster und sah nach draußen<br />

Sabrina bemerkte ihn zuerst.<br />

Bevor sie etwas sagen konnte, übersprang Rainer aus dem Stand<br />

Fensterrahmen und Gebüsch und rannte hinter der flüchtenden Person her.<br />

Um die Häuserecke schlitternd, hastete die Person zu einem dunklen Wagen,<br />

stieg schnell ein und raste davon. Rainer erkannte gerade noch, dass das Auto<br />

ein Mercedes Sportwagen war. Warum konnte er den Typ nicht erwischen!<br />

„Mist!“, schimpfte Rainer sich selbst aus.<br />

Er wandte sich um, um zurück zu Sabrina zu gelangen.<br />

„Wer war das?“, fragte Sabrina etwas zögernd, als Rainer wieder bei ihr war.<br />

Sie, die immer etwas taff und hart schien, wirkte nun irritiert, wenn nicht<br />

sogar etwas verängstigt. Immerhin war es schon kurz vor 3 Uhr und man<br />

hatte zu so einer Zeit nicht an anderer Leute Fenster zu stehen!<br />

„Du, ich habe keine Ahnung! Ich konnte das Auto nicht erkennen. Der hatte<br />

in einem Innenhof geparkt. Das Auto war was Niedriges. Ein schwarzer<br />

Sportwagen halt.“<br />

Sabrina sah Rainer verwundert an. Sie sagte nur ein Wort.<br />

„Ronny.“<br />

„Bitte?“<br />

„Ronny!“<br />

„Wer ist das?“, fragte Rainer, nun selbst verwundert.<br />

Sabrina seufzte und antwortete trocken auf seine Frage.<br />

„Mein Ex.“<br />

„Tolle Freunde hast Du da.“, bemerkte Rainer kühl.<br />

„Hatte ich, Rainer. Wie gesagt, ein Ex.“<br />

„Und was will Dein Ex um diese Uhrzeit von Dir?“<br />

„Ich habe keinen Schimmer.“


-37-<br />

Freitag, 22.55 Uhr, Innenstadt Heidelberg...<br />

Die Fahrt vom Schlosswolfsbrunnenweg gestaltete sich fahrerisch ziemlich<br />

anspruchsvoll für den Zivi am Steuer des Mercedes Sprinters. Er steuerte den<br />

von Strobl- Sonderfahrzeugbau entwickelten Rettungswagen die enge Straße<br />

hinunter in Richtung Schloss. Ein Hefter flog vom Beifahrersitz und in<br />

Richtung Pedalerie.<br />

„Timo! Die blöde Mappe, verdammt!“, murrte der Fahrer und stieß die Mappe<br />

mit dem Fuß weg von der „Gefahrenzone“. Sie landete im Türtritt der<br />

Beifahrertür.<br />

„Sorry Sascha.“, antwortete Timo, der Sanitäter<br />

„Kannst Du Dir sparen! Pass´ mal besser auf, du...“, antwortete Sascha und<br />

hielt inne. Der andere Fahrgast hörte alles mit!<br />

Sascha´s Arme ruderten wild mit dem Lenkrad und die Augen verengten sich<br />

hinter den schwarz gerahmten Brillengläsern.<br />

„Ist ja gut, Mann.“, Timo war genervt. Ihm war es momentan egal, ob da eine<br />

Mappe herum flog<br />

Über soviel Gleichgültigkeit regte sich der Fahrer nun doch etwas auf.<br />

„Du, mir ist das Schwa....“- wieder unterbrach Sascha sich. Dann fügte er aber<br />

leise für sich<br />

„`nen dicker Kuraz ist das!“, hinzu.<br />

Obwohl schnell, fuhr der Zivi doch relativ flüssig, um die Patientin nicht zu<br />

gefährden. In Begleitung eines neuen Notarzt- Audi fuhr der Konvoi die<br />

Friedrich-Ebert-Anlage entlang. Ein Taxi-Bus bog aus der kleinen<br />

Nadlerstraße in die FEA und schnitt fast die linke Spur. Sascha drückte den<br />

Sirenen-Schalter und einen gelben Knopf daneben. Nun schallten vier<br />

Presslufthörner die Symphonie der Überlandsirenen, wie sie auch die<br />

Feuerwehr benutzt, auf die Straße Beim Überholen des Vitos sah Sascha kurz<br />

zum anderen Fahrer. Ein dicklicher Mann mit einer großen Nase schaute mit<br />

einem trottelig anmutenden Blick zurück. Die Kreuzung am Adenauer-Platz<br />

nahm der Zivi mit Vorsicht und beschleunigte danach wieder auf das alte<br />

Tempo. Am Römerkreis angelangt, klopfte es unvermittelt und stark am<br />

Schiebefenster, das den Laderaum von der Fahrerkabine teilte. Timo, der


Sanitäter rieb kreisend die Fäuste an den Knöcheln aneinander und Sascha<br />

verstand schnell. Er bremste, schaltete die Sirene aus und Griff nach dem<br />

Funkgerät.<br />

„85/1 für 10/2 kommen.“<br />

„Ich hab´s schon verstanden. Wir steigen gerade aus.“<br />

„Zentrale für 85/1. Habt ihr ein Problem?“<br />

„Weiß nicht. Timo gab das Zeichen fürs Re.“<br />

„Wir haben es vermerkt, Innere weiß Bescheid. Die warten schon auf euch.“<br />

„Jep.“ antwortete Sascha kurz , hängte das Sprachteil des Funkgerätes wieder<br />

in seine Halterung und stieg springend aus, um hinten den Mann<br />

herauszuholen.<br />

Der Begleiter sollte nicht unbedingt sehen, wie seine Mutter reanimiert wird.<br />

Zwanzig Minuten später...<br />

„...Das war´s. Wir packen ein.“, sagte der anwesende Notarzt zu seinem<br />

Kollegen.<br />

„Sascha!... Sascha? Komm´ mal kurz her.“, rief der Notarzt durch das<br />

geöffnete Schiebefenster nach draußen<br />

„Ja? Und, was ist?“, fragte Sascha erwartungsvoll als er an der Tür erschien<br />

„Der Vorhang ist endgültig gefallen. Sag dem Mann bitte noch nichts. Wir<br />

fahren mit Signal weiter und schauen dann mal.“<br />

Mit bedrückter Miene sah der Zivi den Notarzt an. Er hatte noch nie eine<br />

Leiche ins Krankenhaus gefahren.<br />

„Herr von Auersee. Es geht weiter! Kommen Sie bitte. Wegen den<br />

Komplikationen eben gerade, ist es vielleicht besser, sie würden vorne sitzen.<br />

Beim Einsteigen sah Auersee verärgert durch das Schiebefenster nach hinten.<br />

„Verstehen Sie, es ist zu ihrem Besten, da hinten kann man sie jetzt nicht<br />

brauchen, die tun alles Mögliche um Ihrer Mutter zu helfen, okay?“<br />

Auersee seufzte tief.<br />

„Ja, ist ja schon gut.“


-38-<br />

Samstag, 11.23 Uhr, Sabrina´s Wohnung...<br />

Sabrina nahm das Mobilteil in die Hand. Sie wollte im Geschäft anrufen um<br />

wenigstens aus der Ferne einen kleinen Überblick darüber bekommen, was so<br />

los war im Schlosshof, während sie frei hatte. Rainer war noch in der Nacht<br />

gegangen, und Sabrina wusste nicht was er nun tat. Eigentlich hätte sie es<br />

gern gesehen, wenn er geblieben wäre. Sie schätzte seine Nähe, besonders<br />

nach dem „Besuch“ ihres Ex-Freundes Ronny, diesem Idioten! Sabrina<br />

versuchte sogar, Rainer zu verführen, auch das klappte nur bedingt. Er war<br />

unruhig geworden und ab und an mit seinem Gedanken bei dem verpatzten<br />

Einsatz. Ganz so eigennützig wollte Sabrina nun auch nicht erscheinen und<br />

beließ es dann dabei. Sie verabschiedete ihn herzlich, wünschte eine Gute<br />

Nacht und ließ ihn ziehen.<br />

Egal. Jetzt war der Schlosshof dran.<br />

„Schlosshof. Mein Name ist Silke Hofert, was kann ich für Sie tun?“<br />

„Hi, hier ist Sabrina Seiler. Ich möchte gerne ein Hotelzimmer in diesem<br />

schäbigen Laden buchen.“<br />

„Hey, Sabrina. Na, wie ist es im Urlaub?“ Hofert erkannte ihre Chefin sofort.<br />

„Naja, so richtig Urlaub ist es ja nicht. Ich bin ja offiziell krank gemeldet!“<br />

„Ach ja, stimmt. Was treibst du so den ganzen Tag?“, wollte Silke von Ihrer<br />

Chefin wissen<br />

„Ach, Nichts Besonderes. Ich häng´ Zuhause ´rum, bekomme Besuch- Das<br />

Übliche eben. Und ihr?“<br />

„Es läuft richtig gut in den letzten Tagen. Haben ´ne Menge Leute im Haus.<br />

Du weißt ja, im Frühsommer kommen die ganzen Kongress-Heinis. Langsam<br />

ist es ja richtig warm geworden und da wollen die Leute was tun- Endlich<br />

mal!“<br />

„Was macht die Renovierung eigentlich? Als ich letztens noch da war, waren<br />

die Jungs schon fast fertig.“<br />

„Mir fällt gerade ein: Der Auersee war vorhin kurz da. Der war richtig mies<br />

gelaunt. Weiß´ nicht, was los ist mit dem. Jedenfalls hat er sich in euer Büro<br />

verzogen und war stundenlang da drin.“, unterbrach Hofert ihre Chefin.


„Keine Ahnung, was den wieder für Sorgen treiben. Mich lässt er ja nicht<br />

mehr arbeiten. Ich wüsste gerne, wo das hinführen soll.“, gab Sabrina halb im<br />

Scherz zu denken.<br />

„Irgendwann haben wir hier eine Zeltkolonie, wetten?“, gluckste Silke.<br />

Sabrina musste lachen.<br />

„Wenn Du dir bei Regen den Arsch abfrierst, willst du das bestimmt nicht<br />

mehr.“<br />

Sabrina wurde wieder ernst. Sie kritzelte mit einem Kuli auf einem leeren<br />

Schlosshof- Schreibblock herum und überlegte kurz was sie noch fragen<br />

wollte.<br />

„Wann kommst Du eigentlich wieder?“, fragte nun Silke. Ehe Sabrina<br />

antworten konnte unterbrach Silke sie.<br />

„Oh, warte mal. Das ist jemand in der Leitung. Einen Moment, ja?“<br />

„Ist gut.“<br />

Die Warteschleifenmusik nervte Sabrina sofort.<br />

„Bitte haben Sie einen Moment Geduld, wir kümmern uns gleich um Sie!-<br />

Please be patient for a moment, we immediately take care of you!- Por favor<br />

tienen pacienca. Nosotros cuidomos de usted!- ... -Bitte haben Sie ei..- Hallo?<br />

Sabrina? Noch da?”, unterbrach Silke diese lästige Ansage endlich.<br />

„Natürlich bin ich noch da. Aber diese Warteschleife ertrage ich nicht noch<br />

länger.“<br />

Silke lächelte. Sie nahm einen Kugelschreiber in die Hand und zeichnete<br />

mehrere kleine „Haus-vom-Nikolaus“-Gebilde.<br />

„Wo waren wir stehen geblieben. Ach ja-... Wann kommst Du endlich<br />

zurück?“, fragte sie dann.<br />

„Nächste Woche, denke ich.“, antwortete Sabrina nachdenklich.<br />

„Ohne Dich ist es hier langweilig ohne Ende. Seit Du nicht da bist, ist es hier<br />

ein paar Grad kälter geworden. Jeder zieht hier eine Fresse beim Arbeiten.“<br />

„Danke für das Kompliment. Ich bin ja bald wieder da.“, versöhnte Sabrina<br />

Silke auf später.<br />

„Das hoffe ich doch.“, antwortete Silke.<br />

„Aber, warum ist die Stimmung so schlecht?“, hakte Sabrina doch noch nach.<br />

„Naja, der Auersee ist mies gelaunt. Raunt die Leute ständig an, und ist, außer<br />

zum Beschweren, nie zu sehen.“, erzählte Silke nun von der Stimmung im<br />

Hotel.


„Was macht er denn den ganzen Tag?“, fragte Sabrina neugierig.<br />

„Ich weiß es nicht. Aber er geht uns allen hier furchtbar auf die Nerven.<br />

Heiko und Lara haben beide schon eine Abmahnung kassiert, weil sie beide<br />

jeweils 5 Minuten zu spät zum Dienst kamen. 5 Minuten! Sabrina, das ist<br />

Wahnsinn!“<br />

„Ja, da hast Du Recht. Erzähl mir mehr...“, forderte Sabrina, Silke auf, und<br />

hörte genau zu.<br />

„Die Alte ruft komischerweise auch nicht mehr an...“ fing Silke an alles zu<br />

erzählen.<br />

„Ach wirklich?“, gab Sabrina sich verwundert. Die Besitzerin des Hotels rief<br />

eigentlich täglich an!<br />

Silke räusperte sich und plötzlich überraschte sie Sabrina mit einer wirklich<br />

heftigen Neuigkeit.<br />

„Du, Sabrina? Hast du eigentlich mitbekommen, was Carmen gestern passiert<br />

ist?“ Carmen Schütter war seit 2010 die freundliche, überaus herzensgute<br />

Floristin im Schlosshof in Heidelberg, wohin sie - der Liebe wegen - von<br />

Rüthen in Nordrhein-Westfalen hergezogen war.<br />

Ein kleiner lebensfroher Sonnenschein.<br />

„Nein, weiß ich nicht, Was denn?“<br />

„Einer von der Putzkolonne hat sie schwerverletzt in der Boutique gefunden.<br />

Ihr ist wohl ein schwerer Blumenkübel vom Hochregal auf den Kopf gefallen.<br />

Schädelbasisbruch und schwere Rückenverletzungen. Weißt Du? Die Dinger,<br />

die wir auch für die Palmen im Schwimmbad nehmen.“<br />

„Red´ keinen Blödsinn. Das ist ja furchtbar!!!“<br />

„Nein, ehrlich!!! Es heißt, sie hätte sich kurz vorher mit einem Typen von der<br />

Dachdecker-Firma gestritten. Kurz darauf fand man sie blutüberströmt im<br />

Laden. Die anderen sagen, dass sie mit dem Typ sogar zusammen ist. Was da<br />

genau war, weiß ich aber nicht. Ihre drei Kinder waren jedenfalls fix und<br />

fertig, als sie das hörten. Jetzt ist sie in der Kopfklinik. Ich glaube sogar, dass<br />

sie auf der Intensivstation liegt“, Silke war hörbar erschüttert.<br />

„Wow, das ist ein Hammer!“<br />

„Da hast du Recht.“, Silke klang etwas besorgt.<br />

„Ich habe gehört, dass sie eventuell nicht durchkommt.“, setzte Silke noch<br />

nach. Wie befürchtet, erreichte Sabrina ein paar Tage später eine Nachricht,<br />

dass Carmen Schütter an ihren schweren Verletzungen verstorben war.


-39-<br />

Samstag, 13.00 Uhr, Poststraße, Café Rossi...<br />

Rainer trank den letzten Schluck seines Kaffees aus, und legte dem Kellnerwieder<br />

Ole - 4 Euro auf die Untertasse. Er stand auf und ging mit schnellen<br />

Schritten zurück zur Polizeidirektion. Er musste heute einiges erledigen.<br />

Der heutige Tag war etwas windiger, so, dass Rainer den Kragen seiner Jacke<br />

aufstellte. Nach der Wärme der letzten Tage eine etwas ungewohnte<br />

Handlung.<br />

Zurück im Revier, hielt Holzmann die Magnetkarte an den Kartenleser und<br />

die Tür meldete mit einem Piepton Einlass für ihn. Er grüßte den, durch die<br />

Trennscheibe sichtbaren Pförtner und ging auf die Treppe im Foyer zu. Im<br />

1.Stock wartete sein Mandant auf ihn. An unzähligen Türen musste er vorbei<br />

zum Verhör-Zimmer. Einige der Türen standen offen, manche waren<br />

angelehnt und man konnte die Stimmen von den Beamten hören, die drinnen<br />

ihren Dienst taten. Schnell schloss er sein Büro auf, warf seine Jacke über den<br />

Stuhl und lief zügig den Gang herunter in Richtung Verhör-Zimmer. Er<br />

wurde schon erwartet.<br />

Zwei Männer saßen sich an einem Tisch gegenüber. Der eine schaute hin und<br />

wieder in irgendwelche Dossiers und dann wieder zu seinem Gegenüber. Der<br />

andere Mann rieb nervös seine geröteten Knöchel, die an manchen Finger<br />

rissig waren und am Mittelfinger sogar vertrocknetes Blut zu sehen war. Der<br />

andere Mann schüttelte auffällig den Kopf und sah wieder in seine<br />

Dokumente.<br />

„Tja Herr Shkodran. Ich denke Sie sollten langsam wissen, dass die Fenster in<br />

unseren Unterbringungszellen nicht einfach nur aus Glas bestehen. Das tut<br />

dann schon mal weh, nicht wahr?“, zog der Beamte sein Gegenüber<br />

genüsslich auf.<br />

Ilir Shkodran sah düster hinüber, wohl wissend, nichts gegen die Sticheleien<br />

tun zu können.<br />

„Mein Anwalt unterhält sich noch mit Ihnen. Ich sage rein gar nichts, klar?“<br />

Der Beamte winkte lachend ab und wartete auf seine Unterstützung, die<br />

gerade eben ins Zimmer trat.


„Tag auch. Warten Sie schon lange?“, gab Holzmann freundlich von sich, als<br />

würden sie alle sich zu einem netten Plausch treffen.<br />

„Nein, nein. Es ist gerade sehr gemütlich mit Herrn Shkodran. Hinreichend<br />

kennen tun wir uns ja schon, stimmt´s?“ sagte der Beamte und sah Shkodran<br />

dabei an.<br />

„Leck mich, Arschloch.“, war nur von dem zu hören.<br />

Der Beamte verlor plötzlich seine Freundlichkeit, lehnte sich ruckartig über<br />

den Tisch und wedelte mit dem Zeigefinger.<br />

„Mal ganz Piano, mein Freund. Das hier ist nicht dein privater Bums-<br />

Schuppen, okay?“, wütete er los. Holzmann nahm sich zwischenzeitlich einen<br />

der umher stehenden Stühle, setzte sich und versuchte die Wogen zu glätten.<br />

„Ey, Leute. Können wir die Liebeleien einen Augenblick abstellen und uns auf<br />

das Wesentliche konzentrieren, bitte?“<br />

Beide Männer sahen Holzmann still an. Nun konnte es losgehen.<br />

„Also, Herr Shkodran. Ich denke Sie wissen, warum wir heute hier sind. Was<br />

können Sie mir erzählen, damit ich, und natürlich auch der Kollege Brandl<br />

hier vom LKA, wieder etwas mehr im Bilde sind über die kleine Mafia-<br />

Spilunke und dessen Tagesgeschäft?“<br />

Shkodran seufzte gelangweilt und gab wieder, fast wie angewidert darüber,<br />

mit wem er hier verkehren muss, seinen Standardsatz von sich.<br />

„Ohne meinen Anwalt sage ich gar nichts!“<br />

„Herr Shkodran, bitte. Ich habe ihnen ja nicht den Vorwurf gemacht, sich<br />

wegen irgendetwas schuldig gemacht zu haben. Ich möchte mich nur<br />

unterhalten. Aber gut.“<br />

Rainer legte eine kunstvolle Pause ein, als überlege er fieberhaft, wie er<br />

diesem Schlamassel entrinnen konnte. Dann blitzten seine Augen freundlich<br />

auf und er erhob sich von seinem Stuhl. Die beiden anderen sahen ihm zu,<br />

wie er eine Packung Gauloises aus der Hemdtasche hervor zauberte. Mit<br />

einem Feuerzeug zusammen schob er das Präsent über den Tisch zu Shkodran<br />

hinüber. Unschlüssig, was passieren würde, wenn er dies annimmt, sah<br />

Shkodran die beiden Polizisten nun etwas verdattert an und blickte fragend<br />

auf die hellbraune Gauloises-Schachtel. Holzmann hob die Augenbrauen und<br />

deutete ermunternd auf die Schachtel. Shkodran traute sich und fingerte<br />

nervös eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie hastig an. Er legte das<br />

Feuerzeug schnell wieder auf den Tisch und zog tief an der Zigarette. Es


schien beruhigend auf ihn zu wirken. Mit einem Mal wirkte er nicht mehr so<br />

angespannt.<br />

„Bei uns durften sie Ihre eigenen Zigaretten nicht mitnehmen, ich weiß<br />

Gauloises ist doch Ihre Marke oder?“, merkte Rainer beruhigend an.<br />

„Ja, schon...Danke.“ Shkodran ging auf ihn ein, endlich!<br />

„Na also. Ein wenig Freundlichkeit steht Ihnen ziemlich gut.“ Holzmann<br />

lächelte gewinnend.<br />

„Okay, über was möchten Sie sich dann unterhalten?“, fragte Holzmann mit<br />

weiterhin freundlichem Ton.<br />

„Über gar nichts. Ich weiß gar nicht, was Sie von mir wollen, Mann.“, wehrte<br />

Shkodran erneut ab.<br />

„Sie können uns beiden doch bestimmt irgendetwas über Ihre Freunde<br />

erzählen. Ich weiß nicht, aber es könnte doch sein, dass Ihnen irgendwas auf<br />

dem Herzen liegt, oder nicht?“<br />

„Nein.“<br />

An der Tür klopfte es.<br />

„Herein.“, sagte Holzmann. Er wusste dass die Zuckerbrot-Tour nichts mehr<br />

bringen würde. Der Rechtsbeistand Shkodrans war soeben eingetroffen, und<br />

das konnte noch viel Spannung mit sich bringen.<br />

Die Tür öffnete sich und eine resolut wirkende Frau im Hosenanzug betrat<br />

den Raum. Die Frau sah sich um, griff nach dem letzten freien Stuhl und<br />

setzte sich ungefragt zu den anderen. Sie strich sich geübt eine Strähne ihres<br />

dunkelblonden Haares aus der Stirn, nahm ihre Aktenmappe auf den Schoss<br />

und kramte eine graue Arbeitsmappe hervor, die wohl die Klageschrift zu<br />

diesem Fall enthielt. Dabei sprach sie monoton und offiziell klingend.<br />

„Guten Tag meine Herren. Mein Name ist Heike Sander. Ich bin der<br />

Rechtsbeistand von Herrn Shkodran und werde ihn hier heute vertreten.<br />

Zunächst einmal möchte ich wissen, mit wem ich hier spreche.“ Sie sah die<br />

beiden Beamten mit müdem Blick an.<br />

„Mein Name ist Rainer Holzmann. Ich bin der Leiter der Führungsgruppe der<br />

Kriminalinspektion 2 und einer der Verantwortlichen für die Verhaftungen<br />

im Club Saragossa und der Privatwohnung von Ilir Shkodran.“<br />

„Schön. Und wer sind Sie?“, bemerkte Sander trocken und unbeeindruckt und<br />

sah fast abschätzig zum anderen Polizisten hinüber.


„Mein Name ist Horst Brandl. Ich leite die Untersuchungen beim LKA und bin<br />

betraut mit Ermittlungen im Bereich Organisierte Kriminalität,<br />

Rauschgiftkriminalität und gehöre beim LKA zur Inspektion 510.“, antwortete<br />

Brandl, bemüht, ebenso trocken wie kühl, wie die Anwältin zu klingen.<br />

„So. Und wie lautet eigentlich der Vorwurf, der gegenüber meinem<br />

Mandanten gemacht wird?“<br />

„Es ergeben sich eine Reihe von Vorwürfen gegenüber Herrn Shkodran. Da<br />

wären Raub, Vergewaltigung, Nötigung, Anstiftung zur Prostitution,<br />

räuberische Erpressung, Hehlerei, Betrug und Betäubungsmittelgesetz-<br />

Verstöße, um nur einige der ganzen Vergehen zu nennen.“<br />

Die Anwältin sah gespielt überrascht von ihren Unterlagen auf.<br />

„Aha, das ist ja eine ganze Menge, die Sie meinem Mandanten da zumuten.<br />

Wie wollen Sie diese Vorwürfe eigentlich erhärten?“<br />

„Frau Sander, bei allen Respekt, die Beurteilung solcher Straftatbestände liegt<br />

nicht bei uns. Und, mit Verlaub gesagt: Wir sind noch nicht bei einer<br />

Gerichtsverhandlung.“<br />

Sander sah nun verärgert zu Brandl, der eben das Wort ergriffen hatte und<br />

schien nun etwas ungehalten zu sein.<br />

„Und was soll der ganze Aufstand dann?“<br />

„Ihr Mandant steht in dringenden Tatverdacht bei diesen vorgenannten<br />

Straftaten, zumindest ein kreativ eigennütziges Interesse verfolgt zu haben.<br />

kurz gesagt: Er hängt nach unserem Kenntnisstand da ganz tief mit drin.“<br />

„Was wollen Sie dann mit ihm, wenn noch gar nicht erwiesen ist, ob und<br />

inwieweit er beteiligt ist?“, fragte die Anwältin ungehalten. Sie schien genervt<br />

zu sein.<br />

Holzmann sah sie fest an, lächelte und bot eine Möglichkeit an.<br />

„Reden?“<br />

„Wir sitzen hier nicht im Bundestag und dies ist keine Koalitionsrunde. Sie<br />

verschwenden seine und meine kostbare Zeit, und wollen mir jetzt<br />

weismachen, dass Sie sich nur unterhalten wollen? Das kann nicht Ihr Ernst<br />

sein!“ Sander wurde wütend. Das sah man ihr an.<br />

Holzmann ließ Sander zu Ende sprechen und sah sie nun eine Weile still an.<br />

Sie erwiderte seinen Blick mit einem Blick, der Ungeduld ausstrahlte. Dann<br />

nahm er sich selbst eine Zigarette aus der Packung, die immer noch auf dem<br />

Tisch lag.


„Frau..äh...Sander- richtig? Also- Frau Sander- Wir verschwenden<br />

keineswegs weder Ihre noch seine Zeit. Wir wollen unser Wissen erweitern<br />

und lediglich seine Mitarbeit. Das kann doch nur im allgemeinen Interesse<br />

sein. Und- sind wir mal ehrlich- So unbescholten sind die aufgegriffenen<br />

Personen beileibe nicht, das wissen Sie selbst.“, führte Holzmann an.<br />

„Von Berufswegen gehe ich davon aus, doch.“, trotzte Sander ihm.<br />

Holzmann´s Miene wurde hart. Er hatte keine Lust mehr auf dieses sinnlose<br />

Theater.<br />

„Können wir dieses Geplänkel einstellen und jetzt mal Tacheles reden?“<br />

Überrascht, von dem nun eingeschlagenen Ton, konterte Sander überhaupt<br />

nicht und hörte Holzmanns Ausführungen erst einmal kommentarlos zu.<br />

„Ich werde Ihnen jetzt mal ein paar Fakten nennen, die Sie unbestritten zu<br />

seinen Ungunsten zur Kenntnis nehmen sollten. 1. 1996 wurde Herr<br />

Shkodran wegen Vergewaltigung festgesetzt. Er verstieß gegen 8 seiner<br />

Bewährungsauflagen, die durch das, meiner Meinung nach, zu milde Urteil,<br />

festgelegt worden waren. 2. 1997 im Frühjahr- nach erneuter Festnahme<br />

wegen versuchter Körperverletzung, Vergewaltigung, Nötigung und<br />

Anstiftung Minderjähriger zur Prostitution, hatte er eine<br />

Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht, die wegen Unhaltbarkeit abgewiesen<br />

worden war, und das hauptsächlich deswegen, weil er sich dagegen wehren<br />

wollte, das man ihm Blut abnehmen wollte, was, wie Sie sicher wissen, eine<br />

Standardsituation bei begründetem Verdacht auf Tatbegehung unter Alkoholoder<br />

Drogeneinfluss darstellt. Der Polizei-Arzt machte von dem Recht<br />

Gebrauch, einem Beschuldigten mit hoheitlicher Gewaltanwendung<br />

körpereigenes Sekret abzunehmen. Es brauchte fünf Beamte, die Shkodran<br />

ruhig stellen mussten, um überhaupt in seine Nähe zu gelangen! Nachdem<br />

auch das Verfahren selbst eingestellt wurde, weil niemand eine Aussage<br />

machte- Was sicherlich Herrn Shkodrans Verdienst sein könnte- musste man<br />

ihn wieder laufen lassen. Dann hatte man, zumindest offiziell, erst einmal<br />

Ruhe, bis 1999. Da hatte Ilir Shkodran die glorreiche Idee, sich im<br />

Gebrauchtwagenhandel eine goldene Nase zu verdienen- allerdings mit<br />

geklauten Autos! Beteiligt daran auch unser alter Bekannter Driton Ahmeti.<br />

3. Nach Observationen reichte man beim zuständigen Staatsanwalt ein<br />

Festsetzungsgesuch ein, bei dem es wegen eines Details in der Indizienkette-<br />

Eines von 8 gestohlenen Wagen wurde einem Vorbesitzer und nicht dem


aktuellen zugeordnet- nie zu einer Anklage kam. Herr Shkodran und der<br />

damalige Anwalt hatten den Besitzer erfolgreich mit Hilfe von zwei seiner,<br />

sagen wir Angestellten- Brandl, wie hießen die doch gleich? Ach ja Besart<br />

Berisha, genannt „Die Bestie“ und sein Ganovenkollege Bilal Salehi- der eine<br />

ein Albaner, der andere Iraker- daran gehindert, den Sachverhalt<br />

aufzuklären. Sie haben dem Mann damals beide Beine gebrochen. Seitdem<br />

sitzt er im Rollstuhl, meine Liebe! Damit hatte man bis heute verstärkte<br />

Aktivitäten im Drogenhandel und Warenschmuggel beobachtet-<br />

Hauptsächlich Zigaretten und Schmuckfälschungen, aber auch Waffen für<br />

das Biker-Milieu waren dabei. Ach, in der Prostitution sah er offensichtlich<br />

sein Heil. Da bescherte er einmal einer Pseudo-Angestellten, wie hieß es im<br />

Bericht? Ach ja: „Perforation der Scheidenwand und akute Läsionen des<br />

Gebärmutterhalses einhergehend mit einer infektiösen Entzündung.“ Die<br />

andere arme Gestalt erlitt eine Nasenfraktur und musste 4 Mal an der linken<br />

Brust operiert werden da durch seine „Behutsamkeit“ die Brustmuskulatur<br />

riss, unbehandelt vernarbte und zudem das Drüsengewebe so schwer<br />

beschädigt wurde, dass es entfernt werden musste. Was das bedeutet wissen<br />

Sie vielleicht besser als ich.“<br />

Stumm und bedrückt sah Sander ihn nun an. Sie schien förmlich zu spüren,<br />

was Holzmann eben beschrieb.<br />

`Das saß!´, dachte Rainer. Natürlich wusste er, dass sie alles, was er erzählte,<br />

kennen musste, da Shkodrans komplette Akte vor ihr auf dem Tisch lag, und<br />

sie als Anwältin ja über die Mandanten immer Bescheid wissen musste.<br />

„Von dem Angriff auf einen Beamten mit einem Messer, will ich gar nicht<br />

reden!“, fügte Holzmann zufrieden hinzu.<br />

Sander sah Brandl und Holzmann an. Still, überlegt und ruhig, sondierte sie<br />

offensichtlich die Lage. Mit der „Der-arme-kleine-Mandant-ist-doch-nichtselbst-Schuld-das-sind-die-anderen“-Tour<br />

kam sie hier nicht durch.<br />

Schadensbegrenzung.<br />

„Ja, also...“, sie räusperte sich.<br />

„Ich weiß natürlich, wovon Sie geredet haben. Ich muss ja schließlich die<br />

Akte eines Mandanten auswendig kennen. Dazu muss ich aber einwenden,<br />

dass trotz scheinbarer Fakten und Umstände nicht alles nachgewiesen werden<br />

konnte und mein Mandant somit in Teilen als schuldfrei anzusehen ist.“


„Ganz klar! Sie haben völlig Recht. Ich mache meinen Job, Sie Ihren. Undwissen<br />

Sie- Er macht mir Spaß. Ehrlich!“<br />

Sander wusste, dass Holzmann sie „fangen“ wollte. Sie ließ sich auf nichts ein,<br />

konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen.<br />

„Soweit ich weiß, gab es ein paar kleine Probleme als Herr Shkodran in seiner<br />

Wohnung festgenommen werden sollte.“ Sander wollte Holzmann in<br />

Verlegenheit bringen.<br />

„Das ist richtig. Ich muss leider gestehen. dass unter den gegebenen<br />

Voraussetzungen nicht davon ausgegangen werden konnte, das alles friedlich<br />

abläuft.“<br />

Sander sah Holzmann an, und nickte kurz.<br />

„Ich muss aber anmerken, das eine Unverhältnismäßigkeit vorlag. Herr<br />

Shkodran berichtete mir von körperliche Gewalt gegen ihn. Er möchte<br />

deswegen bei der späteren Anhörung eine Beschwerde einreichen. Außerdem<br />

möchten wir nach § 116 StPO eine Aussetzung erwirken.“<br />

„Auch das ist richtig. Sie sollten aber wissen, dass er sich weigerte, mit uns zu<br />

arbeiten- sprich- die Handschellen anlegen zu lassen. Dann hatte er den<br />

Einfall eine Kollegin von mir anzugreifen. Da konnten wir nicht anders<br />

handeln.“<br />

„Was steht eigentlich noch aus an Vorwürfen?“, fragte Sander.<br />

„Es geht wieder um Drogen, Prostitution und Erpressung.“<br />

Sander kritzelte ein paar Notizen auf ein leeres Blatt im Hefter, und sah dann<br />

auf.<br />

„Okay...- Ja. Dann glaube ich, dass die Unterredung beendet sein dürfte. Wir<br />

sehen uns dann beim Haftrichter.“, sagte sie.<br />

Als sie aufgestanden waren und fast schon bei der Tür, merkte Sander noch<br />

etwas an.<br />

„Mit der Kollegin-...Döring!-nicht wahr? Mit ihr das, tut mir Leid“<br />

Später im Großraumbüro..<br />

„ Meinen Sie das gibt was?“, fragte Holzmann seinen Kollegen vom LKA.<br />

„Ich gehe davon aus. Die Beweislage spricht für uns. Alles, was zusammen<br />

getragen wurde, hatten wir diesmal 1000%ig durchleuchtet... Hoffen wir<br />

mal.“<br />

„Das denke ich auch.“<br />

Brandl und Holzmann entschieden sich, nun gemeinsam zur Pause zu gehen.


Plötzlich brach ein Tumult aus. Sechs bis sieben, teils uniformierte, teils zivil<br />

gekleidete Beamte rannten den Gang hinunter, Richtung Hauptausgang.<br />

Rainer sah den Männern und Frauen verwirrt nach. Einen Moment zögernd,<br />

lief er dann den anderen mit großen Schritten nach. Draußen sah er die<br />

Anwältin auf einer Stufe vor der Direktion sitzen. Sie hielt sich den Unterarm.<br />

Blut sickerte durch das Sakko des Hosenanzuges und dann zwischen die<br />

Finger ihrer Hand.<br />

Shkodran lag auf dem Boden, ein paar Meter von ihr entfernt. Alle 7 Beamten<br />

standen um ihn herum. Vier zielten mit der Pistole auf ihn, die zwei anderen<br />

zerrten ihn hoch, damit er stehen konnte. Der letzte beobachtete die Szenerie<br />

absichernd. Die Anwältin rappelte sich stöhnend auf, und wandte sich zu<br />

Shkodran. Eine Spannung entstand. Fußgänger die auf der anderen Seite der<br />

Straße den Aufruhr verfolgten, blieben stehen und gafften die Menge an. Die<br />

Beamten sahen Sander und Shkodran abwechselnd an. Warten. Sanders<br />

Miene blieb versteinert. Ein Windstoß strich die Strähne vom Ohr in ihr<br />

Gesicht. Ihre Brust hob und senkte sich schnell. Plötzlich kniff sie die Augen<br />

zusammen und presste ihre Lippen fest aufeinander, als sie Shkodran mit dem<br />

gesunden Arm laut schallend eine Ohrfeige gab.<br />

Holzmann und die zwei anderen Polizisten, die hinter ihr standen, stürzten zu<br />

ihr und versuchten den ausholenden Arm noch einzufangen. Als sie es nicht<br />

schafften, konnte Holzmann sie nur noch weg von Shkodran ziehen.<br />

Shkodran wandte sich indes im Griff der Polizisten.<br />

Seine Wange brannte wie das Innere der Sonne.<br />

„Ganz ruhig. Alles okay. Immer Ruhig bleiben.“, sagte einer der Beamten, die<br />

ihn festhielten. Alle sahen nun auffällig unbeteiligt weg.<br />

„Tja, Mein Lieber. Pech. Niemand hat´s gesehen.“, sagte Holzmann ganz leise<br />

in das linke Ohr Shkodrans. Holzmann sah Shkodran noch kurz an und<br />

zwinkerte ihm dann zu, bevor er sich von ihm abwendete. Ein anderer<br />

Beamter hob einen blutverschmierten Kuli vom Boden auf.<br />

Eine Weile später wurde beim zuständigen Haftrichter der Haftbefehl<br />

bestätigt und Shkodran wanderte in U-Haft.


-40-<br />

Samstag, 14.10 Uhr, Medizinische Klinik...<br />

Marcel von Auersee schwitzte. Er schwitzte und war sehr unruhig als er<br />

seinen Jaguar aufschloss. Seine Mutter war nun schon seit fast <strong>12</strong> Stunden im<br />

Leichenschauhaus der Universitätsklinik. Er durfte sie noch nicht abholen<br />

lassen, und das bereitete ihm Kopfschmerzen. Er musste nun dringend nach<br />

Hause, einige Dinge erledigen. Der Nachlassverwalter musste benachrichtigt<br />

werden, das Testament seiner Mutter, das der Notar verwaltete, musste<br />

hergebracht werden und sein Siegel aus Wachs in Gegenwart aller<br />

Nachkommen geöffnet werden. Die mussten überhaupt alle noch<br />

aufgetrieben werden. Auersee verspürte den Stress und seine Folgen. Ihm war<br />

übel dabei. Immer gestresster, fuhr er nach Hause, das heißt zum Haus seiner<br />

Mutter.<br />

Zuhause angekommen, nahm er den Telefonhörer in die Hand und wählte die<br />

Nummer seiner Schwester.<br />

„Hallo.“ Sie machte ihre Begrüßung wie immer kurz .<br />

„Guten Tag, hier ist Dein Bruder.“<br />

„Hey Marcel, wie geht’s Dir?“, fragte seine Schwester Hannah.<br />

„Du...-äh...was soll ich sagen- Oh Mann, das ist nicht leicht...“ Marcel hielt<br />

inne.<br />

„Marcel, was ist los?“, unterbrach ihn sofort wieder Hannah, die durch ihre<br />

journalistische Ausbildung einen geschulten Sinn für, sich anbahnende<br />

Katastrophen hatte.<br />

„Ich... Mama ist tot.“, brachte Auersee mühevoll heraus. Augenblicklich<br />

entstand eine bedrückende Stille in der Leitung. Ruhiges Atmen und das<br />

leichte Rauschen vermischten sich zu einer undefinierbaren Melodie.<br />

„Wann?“, fragte Hannah knapp.<br />

„Gestern.“, antwortete Auersee ebenso knapp.<br />

„Ich fahre sofort los.“, kündigte Hannah von Auersee an.<br />

„Ich bin da.“, antwortete Auersee und beide legten simultan auf.<br />

Nächster Anruf.


„Kanzlei von Auersee, Schorndorf und Schütz, mein Name ist Sarah Greulich.<br />

Was kann ich für Sie tun?“, meldete sich augenblicklich eine Stimme am<br />

anderen Ende der Leitung.<br />

„Hier spricht Marcel von Auersee. Mein Bruder muss mich sofort bei seiner<br />

Mutter anrufen. Das ist ein Notfall.“, presste Auersee ungeduldig hervor<br />

„Das kann aber etwas dauern. Herr von Auersee ist in einer Besprechung mit<br />

dem Herrn Bundesanwalt und einigen Vertretern des Justizministeriums.“,<br />

antwortete Greulich unbeeindruckt und entschuldigend. Empört über soviel<br />

Unverständnis schrie Auersee fast in den Hörer.<br />

„Habe ich Sie jemals bisher angerufen? Ich habe meinen Bruder NIEMALS<br />

ohne Grund belästigt, das wissen Sie auch, Frau Schindluder. Holen Sie ihn<br />

SOFORT ans Telefon!“<br />

Da er schnell und laut sprach, was für die Stimmübertragung nicht<br />

zuträglich weil verzerrend war, hörte Greulich die versteckte Beleidigung<br />

offensichtlich nicht. Oder sie überging dies wohlwollend. Ein Stuhl knarrte<br />

beim zurückschieben. Greulich musste aufgestanden sein.<br />

„Ich werde ihn holen. Einen Moment.“, sagte sie bestimmt. Das `Bitte´<br />

unterschlug sie. Sie hatte die Beleidigung sehr wohl gehört. Der Hörer wurde<br />

anscheinend in der Hand getragen. Schritte waren zu hören, dann eine sich<br />

öffnende Tür und danach Stimmgemurmel. Gedämpft hörte Auersee wie<br />

Greulich um Entschuldigung bat und Holger von Auersee ans Telefon holte.<br />

Dieser antwortete beschwichtigend aber ablehnend und verwies auf die<br />

wichtige Konferenz, die gerade abgehalten wurde. Greulich bat nochmals, mit<br />

mehr Nachdruck, um Anteilnahme und drängte darauf, den Hörer an Auersee<br />

Nummer 2 loszuwerden. Ein Husten und ein unterdrücktes aber deutliches<br />

Murren war zu hören. Dann ein `Entschuldigen Sie mich einen Augenblick´.<br />

Dann raschelte es kurz , eine Tür wurde geschlossen und genervtes Ausatmen<br />

war zu hören.<br />

„Mann! Du hast Nerven. Der Bundesanwalt ist mit einer ganzen Entourage<br />

da. Es geht um die Syrien-Krise- Siehst du nie fern?“, erklang Holger von<br />

Auersee´s Stimme genervt durch die Leitung.<br />

„Und wenn die IS persönlich den Bundestag in die Luft jagt... Schnapp Dir<br />

Deinen Juppie-Jet und flieg´ Deinen Arsch sofort hierher. Mutter ist tot.“,<br />

frotzelte Marcel. Wie schon bei der Schwester zuvor wurde es kurz still in<br />

der Leitung.


„Ich verstehe. Meine Termine sage ich alle ab. Die schaffen das auch ohne<br />

mich.“, sprach Holger bestürzt und abwesend in den Hörer. Er schien mehr zu<br />

sich zu sprechen.<br />

„Ist auch besser so.“, antwortete Auersee, nun etwas beruhigt und legte ohne<br />

Verabschiedung auf. Auch das war geschafft.<br />

Jetzt fehlte nur noch der Notar und der Anwalt der Familie. Nach den beiden<br />

Anrufen legte Auersee den Hörer auf die Gabel und lehnte sich zurück in den<br />

Ohrensessel, der seit 250 Jahren in Familienbesitz war und von Generation zu<br />

Generation etliche der von Auersee´s als Sitzgelegenheit diente. Dann stand<br />

Auersee auf, ging in das Zigarrenzimmer und füllte einen Cognac-Stumpen<br />

randvoll mit einem sündhaft teuren Cognac, der im Alkoholschrank sein<br />

Dasein fristete und nur selten getrunken wurde. In zwei Sekunden war das<br />

Glas leer und Auersee stellte es auf dem Beistelltisch aus Mahagoni-Holz<br />

bedeckt mit einer Marmorplatte aus teurem Carrara-Marmor ab. Er dachte<br />

nach, und ihm fiel ein, die betreffenden Akten, die Abschrift des Testaments<br />

und Papiere, das Haus betreffend, aus dem Tresor zu holen.<br />

Eine Weile verging, während Auersee die Papiere studierte. Sein Handy<br />

klingelte. Er nahm es aus dem Jackett und drückte die Annahme-Taste.<br />

„Ja?“<br />

...<br />

„Nein, da kam ich noch nicht dazu.“<br />

...<br />

Das erledige ich auch.“<br />

...<br />

Morgen? Nein, das geht noch nicht!“<br />

...<br />

Das ist mir egal. Ich muss hier einiges erledigen.“<br />

...<br />

„Ja- Gott!- Ja...Ist in Ordnung.“<br />

...<br />

„14 Uhr am Brunnen. Okay. Ich werde da sein.“<br />

Der Anrufer legte auf. Auersee starrte wütend auf das Handy.


`Die sind doch wahnsinnig.´, dachte er sich, als er wieder aufstand, um sich<br />

noch ein wenig Cognac nachzuschenken. Wieder trank er schnell das Glas<br />

aus und überlegte, was noch zu tun war. Er hatte noch Einiges vor. Er dachte<br />

nach...<br />

...<br />

„Hey, Holger! Mensch, pass´ doch auf Du Dummkopf. Das Hemd hat mir<br />

Vater geschenkt! Oh Mann, jetzt ist es kaputt.“, empörte sich der etwa 14<br />

jährige Marcel über seinen kleinen Bruder, der mit seinen 4 Jahren etwas zu<br />

vorwitzig an seinem Hemd gezogen hatte, nur um ihn auf den Boden zu<br />

zwingen, um ein von ihm gemaltes Bild anzusehen.<br />

...<br />

„Mein Sohn, Du musst lernen, was es heißt etwas zu VERDIENEN ! Du kannst<br />

nicht alles erwarten und nichts dafür tun!“ Marcel sah seinen Vater wütend<br />

an.<br />

„Von Dir kann ich ja nichts erwarten! Alles musste ich mir erkämpfen,<br />

ALLES!“<br />

„Das ist nicht wahr! Dein Leben hätten viele gerne. Das, mein Sohn, glaube<br />

mir. DU bist privilegiert“<br />

„Von Zuneigung Deinerseits hatte ich ja auch genug, nicht wahr?“, spottete<br />

Marcel.<br />

Sein Vater gab ihm eine schallende Ohrfeige.<br />

„Meine Liebe ist für Dich nie ausschlaggebend gewesen, Du Wicht. Du<br />

wolltest nur HABEN.“<br />

Der 19jährige Marcel von Auersee sah seinen Vater missbilligend an. Er<br />

wandte sich ab und stieg die Stufen zu seinen Zimmer hinauf.<br />

„Ich scheiß auf Dich und Dein Getue. Ich scheiß auf euch alle... Die Welt soll<br />

mich mal am Arsch lecken.“´<br />

…<br />

Auersee schreckte auf. Er war eingenickt und hatte nun dicke Schweißperlen<br />

auf der Stirn.


-41-<br />

Samstag, 19.20 Uhr, Sabrina´s Wohnung...<br />

Sabrina war gerade in der Küche und machte sich ein kleines Sandwich mit<br />

Putenbrust, Tomate und einem Rucola-Salatblatt Sie hatte seit heute morgen<br />

nichts mehr gegessen und hatte dementsprechend einen Bärenhunger. Sie<br />

verschlang förmlich das Sandwich und dachte dabei an Holzmann. Was der<br />

wohl gerade macht?<br />

Nachdem sie mit Silke telefoniert hatte, beschloss sie, sich einen Film<br />

anzusehen. Auf den etwaigen Premiere-Kanälen fand sie zunächst nichts, was<br />

sie interessierte. Dann aber stieß sie auf eine in Englisch gesprochene Version<br />

von X-Men. Einer jener Helden vom Schlage Spider-Man und Konsorten. Den<br />

Film kannte sie flüchtig, hatte ihn nur noch nicht- auf Englisch schon gar<br />

nicht- gesehen. Dann hatte sie Hunger bekommen, und saß nun in der Küche<br />

mit ihrem Sandwich.<br />

Während sie genüsslich kaute, beschloss sie, Holzmann anzurufen. Die<br />

Nummer hatte er ihr schließlich mal überlassen. Warum dann nicht einmal<br />

zum Spaß anrufen? Gefragt hatte sie ihn nicht danach. Sie freute sich aber<br />

umso mehr, dass er sie ihr, von sich selbst aus, gab. Zunächst meldete er sich<br />

nicht, was Sabrina etwas ärgerte, dann aber, als sie es ein zweites Mal<br />

versuchte, ging er dran. Es war nur ein kurzes Gespräch. Er erzählte etwas<br />

von einer Rangelei, und, dass er nichts damit zu tun hatte; das es direkt vor<br />

der Direktion geschehen war und ausgerechnet einer der Verhafteten von der<br />

Razzia der Auslöser war. Er klang genervt und auf Nachfrage erklärte er<br />

Sabrina, er müsse nun dafür Sorgen, dass dieser Kerl nun erstmals „ein wenig<br />

Zeit zum Nachdenken bekommt.“- wie er es nannte. Auf eine Erläuterung ließ<br />

er sich dann aber nicht mehr ein. Sabrina lud ihn ihn zum Abendessen ein.<br />

Sie verabredeten sich für 20 Uhr.<br />

Lange nach dem Gespräch mit Silke dachte Sabrina heute zu ersten Mal<br />

überhaupt nicht mehr an das Hotel. Sie merkte nicht einmal, dass die<br />

Entkoppelung vom Stress des Jobs automatisch auch Einfluss genommen hatte<br />

auf ihr Wohlbefinden. Sie war unmerklich entspannter und gelöster<br />

geworden.


Sabrina sehnte sich nach Holzmann und fragte sich, wie sie die Warterei auf<br />

ihn durchstehen sollte. Insgeheim hoffte sie auf ein früheres Wiedersehen.<br />

Vielleicht konnte er seine Angelegenheiten etwas früher bereinigen. Diesen<br />

Gedanken fand sie erfrischend und ihr wurde es etwas wärmer bei den<br />

Gedanken an Rainer. Hingezogen zu ihm, fühlte Sabrina sich gerne. Wie hatte<br />

sie ihn doch falsch eingeschätzt, damals bei der Verkehrskontrolle. Er war<br />

wirklich ein toller Kerl und kein Arschloch.<br />

Nach ihrem letzten Bissen von dem Puten-Salat-Sandwich stellte sie den<br />

Teller in die Spülmaschine und beschloss, sich umzuziehen. Sie dachte daran,<br />

Holzmann eine erotische Überraschung zu bereiten und dachte nach, wie sie<br />

ihren Körper am besten zur Geltung bringen würde. Aber erst einmal musste<br />

sie dafür ins Schlafzimmer.<br />

Im Schlafzimmer öffnete sie ihren Kleiderschrank und kramte mit ihren<br />

Händen zwischen der Unterwäsche herum.<br />

Was würde ihm gefallen?<br />

Sie holte einige Teile heraus und warf diese auf ihr Bett.<br />

Vielleicht der türkisfarbene Textil-BH und die dazugehörige Unterhose? Oder<br />

passte vielleicht eher die schwarze Snoopy-Unterwäsche mit dem samtroten<br />

Bund? Nein das alles war zu kitschig für diesen Anlass. Die weiße Unterhose<br />

mit dem Mini-Äpfelchen-Aufdruck war dazwischen gerutscht. Sabrina<br />

verzog das Gesicht. Nein, das passte nun wirklich nicht!<br />

Dann hatte sie es: Eine sexy Kombination aus dunkelblauem BH und<br />

passendem String mit einem kleinen Schleifchen am Bund, beide an der Seite.<br />

Dazu zog sie einen Seiden-Nachthemd in rot und schwarz an.<br />

So bekleidet, wartete sie im Wohnzimmer auf ihren Schatz.<br />

Etwas früher, draußen an der Straßenecke.<br />

Der schwarze SL fuhr an die Seite, und eine männliche Person stieg aus dem<br />

Wagen. Sie hastete eilig zum Hauseingang Mehringer Straße 4a. Der Mann<br />

sah sich um, und schien zu überlegen, was er nun tun sollte. Als er am Haus<br />

von 4a das richtige Fenster fand, bemerkte er eine Frau, die sich umzog und<br />

nun in Unterwäsche in ihrem Wohnzimmer Platz nahm. Er sprang über die<br />

Hecke, lief durch den Vorhof und duckte sich dicht an das Fenster mit der<br />

Frau. Er wartete eine Weile und wollte gerade ans Fenster klopfen, als sein<br />

Kopf erschüttert wurde und sich nur noch Schwärze vor seinen Augen<br />

auftat...


-42-<br />

Samstag, 20.05 Uhr, Mehringer Straße..<br />

„So, Arschloch! Hab´ ich Dich. Wer bist Du jetzt wirklich, hä?“, sprach<br />

Holzmann mehr zu sich, als zum, nun bewusstlos, am Boden liegenden Mann.<br />

Er untersuchte schnell und routiniert den Mann nach Waffen und versuchte<br />

seinen Ausweis zu finden. Er fand eine Brieftasche und fummelte den<br />

Personalausweis des Mannes heraus. Er las die Daten und sah den Mann an.<br />

„Bist also doch der Verflossene, was?“<br />

Stöhnend öffnete der Mann seine Augen. Zunächst orientierungslos, rieb er<br />

sich den Hinterkopf, setzte sich auf und sah zu Holzmann, der vor ihm stand,<br />

hoch.<br />

„Wer, zum Teufel, sind Sie?“, fragte Ronny verstört und noch etwas<br />

benommen.<br />

„Das könnte ich SIE auch fragen.“, antwortete Holzmann kühl.<br />

„Was gibt ihnen das Recht, so auf mich einzudreschen, Sie Wichser?“,<br />

empörte sich Ronny nun, wieder erwacht aus dem Reich der Träume.<br />

Holzmann zog seine kleine Ausweismappe aus der Hosentasche und hielt<br />

Ronny den blauen Dienstausweis der baden-württembergischen<br />

Kriminalpolizei vor die Nase.<br />

„Reicht das?“, kommentierte er ihn nur kurz .<br />

„Für ´nen Bullen sind Sie aber mächtig rabiat, ja?“, regte sich Ronny weiter<br />

auf.<br />

„Wenn Sie sich darüber aufregen, sollte ich vielleicht mal fragen, was Sie hier<br />

eigentlich veranstalten- Und sagen Sie nicht, dass Sie unbescholten sind und<br />

hier nach Pilzen suchen. Der einzige Pilz in der Nähe sind Sie nämlich<br />

selbst!“, redete Holzmann auf den, noch am Boden Sitzenden, ein.<br />

„Hey...!“, klagte Ronny. Holzmann packte Ronny fest unter den Armen und<br />

zog ihn auf die Füße<br />

„Immer langsam, sonst...“, drohte Ronny plötzlich.<br />

Holzmann reichte es. Er presste Ronny gegen die raue Hauswand. Ronny<br />

erschrak und riss die Augen weit auf.<br />

„Sonst...WAS ? Willst Du mir drohen? Ja? Willst DU mir drohen? Wenn ich es<br />

mir recht überlege, bist Du seit einer Weile hinter dieser Frau her. Was willst


Du von ihr? Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung oder sowas? Bist Du ein<br />

Perversling? WAS IST DA LOS?“, fauchte Holzmann, ungeachtet der Uhrzeit,<br />

Ronny an. Von soviel Lärm aufgeschreckt, ging nun über ihnen das Fenster<br />

auf, und eine verdutzte Sabrina sah vom Sims aus nach unten, die beiden<br />

Männer an der Hauswand stehen.<br />

„Was machst Du denn hier?“, fragte sie Ronny verwundert.<br />

„Nichts Besonderes...Ich wollte Dich besuchen. Ich wusste nicht, dass-...Dass<br />

dieser blöde Bulle, Dein neuer Stecher ist.“, wagte Ronny missbilligend zu<br />

antworten und sah Holzmann mutigerweise auch noch angewidert an. Ein<br />

Faustschlag traf ihn in der Magengegend. Keuchend und hustend krümmte<br />

Ronny sich und rang nach Luft.<br />

„Unverschämt werden wir auch noch, ja?“, giftete Holzmann Ronny an.<br />

Sabrina starrte fassungslos auf Rainer. Aber- hatte sie nicht auch schon so<br />

zärtlich reagiert?<br />

Ronny hustete abermals und richtete sich wieder auf. Er wollte gehen. Ihm<br />

reichte es.<br />

„Moment, Freundchen. Du gehst nirgendwo hin!“, sagte Rainer und packte<br />

Ronny an der Schulter und wandte sich zu Sabrina um.<br />

„Zieh´ Dich bitte an und lass uns mal rein. Bei einem Tee würde ich den<br />

Plausch gerne mit unserem Freund hier weiterführen.“<br />

Sabrina sah Rainer empört an. Seine Blicke ließen dennoch keine Alternative<br />

zu. Sie schloss das Fenster und kurz darauf summte der Türöffner. Die beiden<br />

Männer traten in die Wohnung und Rainer schob Ronny grob in Richtung<br />

Küche.<br />

Wenig später...<br />

Rainer, Ronny und Sabrina saßen noch in der Küche. Die Stimmung war<br />

lange nicht mehr so aufgeheizt wie am frühen Abend. Sie unterhielten sich,<br />

fast schon einmütig, über die Umstände kurz nach der Trennung von Sabrina<br />

und Ronny.<br />

„Naja...Wie ich vorhin gesagt habe: Sonja hat mich rein gelegt, und ich<br />

dachte, dass ich mit Sabrina alles nochmal klären könnte.“<br />

Sabrina sah Ronny abgeklärt an. Sie schüttelte langsam den Kopf.<br />

„Keine Chance...Weißt Du? ...Äh, ich...Na, wenigstens weiß ich jetzt, wie es<br />

dazu kam.“, sagte sie bedrückt und etwas nachdenklich über die Geschehnisse<br />

damals, im Haus ihres Ex-Freundes.


„Warum machen Sie eigentlich so einen Scheiß? Wissen Sie- Ich meine, mir<br />

steht es zwar nicht zu so etwas zu sagen- aber- hey, um die Uhrzeit<br />

jemanden in so einer komischen Art- fast schon aufzulauern. Das ist doch<br />

Banane!“ Rainer wollte verstehen.<br />

Ronny sah auf seine Hände, blieb lange stumm, bis er eine Antwort gefunden<br />

hatte.<br />

„Ja...- Ja-ja-ja...Ich weiß Ach Mann, ich dachte...Vergessen wir es! Du hast<br />

Recht, Sabrina, und ich habe Unrecht, okay?“, gab der offensichtlich nun<br />

geläuterte Ronny seine Betroffenheit zu Protokoll, und dennoch war etwas<br />

Trotzigkeit in diesem Satz herauszuhören.<br />

Dann stand Ronny auf.<br />

„Ich glaube ich sollte jetzt gehen.“, sagte er.<br />

Auch Sabrina und Rainer standen auf. Ronny sah die beiden, die nun ihm<br />

gegenüber standen, prüfend an. Ein nahe liegender Gedanke schien durch<br />

seinen Kopf zu huschen.<br />

„Viel Glück.“, vervollständigte er ihn aussprechend und wandte sich ab, um<br />

zu gehen.<br />

Alle drei standen nun an der Eingangstür und verabschiedeten sich förmlich.<br />

Ronny akzeptierte scheinbar endgültig seine Niederlage.<br />

„Also, Sabrina. Leb´ wohl. Es tut mir Leid.“, sagte Ronny betroffen.<br />

Er drehte sich um und ging.<br />

Sabrina sah Rainer an.<br />

„Also ich weiß nicht. Er kann einem schon Leid tun.“, schien sie etwas mit<br />

Ronny mitzufühlen. Rainer sah Sabrina erstaunt an. Er nahm kein Blatt vor<br />

den Mund.<br />

„Bist Du bekloppt? Mann! Der hat dich verarscht!“, meinte er harsch.<br />

Sabrina sah auf den leeren Flur.<br />

„Stimmt.“, fiel ihr nur als Antwort ein.<br />

Wenig später saßen sie wieder in der Küche und Sabrina bereitete wieder eine<br />

unzählige Kanne Tee zu.<br />

„Mal was ganz Anderes: Wie geht es Eurem Laden eigentlich? Seitdem Euer<br />

Chef tot ist und du krank bist- Wer führt das Haus?“<br />

Aus ihrem, wieder erwachenden Unmut heraus, antwortete Sabrina mürrisch.<br />

„Ach der Schlosshof. Ich weiß nicht genau. Meine Mitarbeiter leiten das<br />

Hotel. Irgendwie.“


Nach einer Pause fügte sie hinzu<br />

„Der Auersee. Der Sohn von der Besitzerin geht den Leuten auf die Nerven. Er<br />

betätigt sich null am laufenden Geschäft. Und die Alte erst. Will mich<br />

absägen, glaube ich. Da ist schon lange keine Freundschaft mehr.“, machte<br />

Sabrina ihrem Unmut Luft.<br />

„Das stört Dich?“, fragte Rainer.<br />

„Na klar. Am liebsten würde ich den Krempel hinschmeißen. Auersee sollte<br />

den Laden nicht führen. Du, ich habe da soviel Herzblut investiert. Mir stinkt<br />

das einfach.“, ärgerte sich Sabrina.<br />

„Das wird schon.“, besänftigte Holzmann Sabrina.<br />

„Komm´. Lass uns schlafen gehen. Ich bin müde.“, bot Sabrina Rainer an.<br />

„Gute Idee. Ich fall´ auch gleich um.“<br />

Obwohl sie Tee in rauen Mengen getrunken hatten, waren Rainer und<br />

Sabrina, nachdem sie im Schlafzimmer waren, sich umgezogen hatten und<br />

sich triezend ins Bett legten, nach zehn Minuten eingeschlafen.<br />

Ronny fuhr währenddessen nach Hause und dachte nach...<br />

-43-


Sonntag, 13.00 Uhr, Sabrina´s Wohnung...<br />

Sabrina wachte auf. Sie kratzte sich die Nase. Sonnenstrahlen hatten sie<br />

regelrecht gekitzelt.<br />

Sie sah zu Rainer hinüber, der neben ihr im Bett lag und noch fest schlief. Er<br />

war diesmal endlich bei ihr geblieben und das freute sie.<br />

Sie stieg vorsichtig aus dem Bett, um ihn nicht zu wecken. In der Küche<br />

bereitete sie das Frühstück und weckte dann Rainer sanft mit einem Kuss auf<br />

die Stirn.<br />

„Guten Morgen mein Schatz“, flüsterte sie leise.<br />

Holzmann, noch vom Schlaf benommen, setzte sich auf und rieb sich die<br />

Augen.<br />

„Wie spät ist es?“, fragte er.<br />

„Ein Uhr zwanzig.“<br />

Rainer ließ sich wieder in die Matratze fallen.<br />

„Oh Mann.“<br />

„Ja, Du hast lange geschlafen.“, sagte Sabrina.<br />

„Ein Glück habe ich heute frei, sonst hätte ich jetzt mächtig Ärger.“,<br />

resümierte Rainer.<br />

Am Frühstückstisch sitzend, genehmigte sich Sabrina eine Tasse Kaffee und<br />

las im SPIEGEL der Vorwoche. Rainer strich sich Leberwurst zentimeterdick<br />

auf das Vollkornbrot und biss herzhaft hinein.<br />

„Das Du unter einem Diätwahn leidest, halte ich für ein Gerücht. So eine<br />

Streichwurst macht nicht gerade dünn.“, bemerkte er neckisch, während er<br />

noch kaute.<br />

Sabrina sah ihn gespielt empört an.<br />

„Soll ich´s Dir wegnehmen?“, fragte sie.<br />

Rainer drehte sich, mit dem Brot in der Hand, weg vom Tisch.<br />

„Nein. Bitte. Ich verhunger´ sonst noch.“, flehte er spöttisch.<br />

„Jetzt iss´ weiter, Freund.“, sagte Sabrina trocken.<br />

„War nur Spaß“, versuchte Rainer einzulenken.<br />

„Ich weiß“, antwortete Sabrina und sah Rainer liebevoll an.<br />

„Was machen wir heute?“, fragte Rainer jetzt.


„Weiß´nicht. Ich könnte frische Luft gebrauchen. Wollen wir zur<br />

Neckarwiese, ein wenig picknicken?“, schlug Sabrina vor.<br />

Rainer überlegte.<br />

„Ja. Das klingt gut.“<br />

Das Telefon klingelte.<br />

Sabrina nahm das Mobilteil in die Hand und drückte den Annahmeknopf.<br />

„WAS?“<br />

...<br />

„NEIN!“<br />

...<br />

„Versuchen Sie nicht mir auf die Füße zu treten!“<br />

...<br />

„Ich...“<br />

...<br />

„Das können Sie sich sonst wohin stecken, Sie Arschgeige!“<br />

...<br />

„Wir sprechen uns noch!“<br />

Wütend beendete Sabrina das Telefongespräch und legte das Mobilteil auf die<br />

Arbeitsfläche neben den Herd.<br />

„So ein verdammter Wichser!“<br />

„Was ist denn los?“, wunderte sich Holzmann über soviel Ausfälligkeit.<br />

„Auersee, der Penner!“, Sabrina starrte hasserfüllt ins Leere.<br />

Rainer sah Sabrina verständnislos an. Er begriff nicht.<br />

-44-


Sonntag, 13.30 Uhr, Hotel Schlosshof...<br />

Im Hotel war wieder Hochbetrieb. Die Gäste saßen zuhauf auf der Terrasse<br />

und das Hauspersonal hatte alle Mühe, den Überblick zu behalten. Lara, der<br />

inzwischen im Team etablierte Azubi, balancierte ein Tablett mit befüllten<br />

Weingläsern, Apfelschorlen und Bier zwischen den Stühlen umher.<br />

Heiko und Silke eilten im Akkord zwischen den Tischen und der Küche<br />

umher.<br />

Maria half mit, wo sie konnte, delegierte zwischendrin das Reinigungsteam<br />

und die Handwerker, die an der Klimaanlage werkelten.<br />

Einer der Putzkolonne wollte wissen wann sie das Zimmer säubern konnten,<br />

in den der Lüfter aus der Wand erneuert wurde. Dabei war viel Dreck<br />

entstanden. Das ganze Zimmer musste gesaugt und abgestaubt werden.<br />

Genervt antwortete Maria.<br />

„Ich weiß es nicht Osman! Geh´ mir nicht auf die Nerven!“<br />

„Aber das Zimmer..“, fing Osman Günak von Neuem an zu drängen.<br />

„Du, ich habe noch andere Dinge um die Ohren!“, unterbrach Maria ihn<br />

erneut<br />

„Wir müssen aber das Zimmer für die kommenden Gäste klarmachen.“,<br />

beharrte der Türke.<br />

„Dann kriegen die eben ein anderes Zimmer, Herrgott nochmal!“, stieß Maria<br />

ungehalten hervor. Der Putzmann gab auf und ging zu seinem Putzwagen<br />

zurück.<br />

Die ganze Aufregung hatte einen einfachen Grund: Mrs.Witherspoon, die<br />

Schauspielerin aus Hollywood hatte sich überraschend angekündigt,<br />

nachdem der erste Besuch an einem Vorfall am La Guardia Flughafen in New<br />

York gescheitert war. Der Flug wurde gestrichen, Mrs.Witherspoon sagte<br />

komplett ab, und jetzt wollte sie kurzfristig doch wieder vorbeikommen. Alles<br />

musste nach ihren Vorstellungen vorbereitet werden. Typisch Hollywood!<br />

Der Golf mit dem Personenschützer und Reese Witherspoon traf kurz darauf<br />

ein.<br />

Eine unscheinbar wirkende blonde Frau und ein Kraftprotz von einem Mann<br />

stiegen aus dem Auto, und begaben sich zielstrebig zu dem Tresen an der<br />

Rezeption. Maria sah auf die Uhr an ihrem Handgelenk und stellte fest, dass


die Schauspielerin zu früh dran war. Sie ärgerte sich, schluckte es aber<br />

klaglos hinunter. Die bestellten Blumen, die Handtücher und das italienische<br />

Tafelwasser, das extra aus Cortina d´Ampezzo angeschafft wurde, waren in<br />

der Suite noch nicht arrangiert worden.<br />

„Hallo. Das Zimmer für Gesine Herzog ist bereit?“, begrüßte der<br />

Personenschützer Maria.<br />

„Wir haben erst in einer Stunde mit Ihnen gerechnet, aber alles ist auf dem<br />

Wege, in Kürze bereitzustehen. Es tut mir außerordentlich leid.“, gab sich<br />

Maria unterwürfig. Zu ihrer Überraschung zeigte sich das Paar nicht<br />

brüskiert, sondern nahm es gelassen hin.<br />

„Wir werden etwas spazieren. In einer Stunde dürften wir zurück sein.<br />

Dürfen wir Ihnen das Gepäck anvertrauen?“, fragte der Personenschützer<br />

höflich reserviert.<br />

„Natürlich. Bitte hier entlang.“, antwortete Maria.<br />

Sie gingen vorbei an einer Sitzgruppe zum Ausgang, wo ein Portier schon am<br />

Wagenheck die Koffer aus lud Ein Teenager -vielleicht 17 Jahre alt- sah der<br />

Frau am Auto verwundert und nachdenklich hinterher. Das Gesicht des<br />

Mädchens hellte sich plötzlich auf und sie lächelte schmachtend. Zu einer<br />

Frau gewandt, die ihr ähnlich sah, sagte sie etwas und deutete auf<br />

Witherspoon. Die Frau, die offensichtlich ihre Mutter zu sein schien, lächelte<br />

gütig und winkte ab. Sie begann wieder, in ihrer Zeitschrift zu lesen. Das<br />

Mädchen verschränkte trotzig die Arme und verfolgte mit wachen Augen<br />

jeden Schritt von Witherspoon und ihrem Begleiter.<br />

Witherspoon hatte die bohrenden Blicke des Mädchens registriert, und war<br />

geübt darin, explizit nicht darauf zu reagieren. Sie sprach mit ihrem Begleiter.<br />

Das Paar schlenderte davon, und ihre Koffer waren auf dem Weg in die große<br />

Suite.<br />

Marcel verließ das Haus so unauffällig, wie er gekommen war. Keiner<br />

bemerkte ihn, und als er ging, war er nur einer unter vielen, die die<br />

Sonnenstrahlen und das schöne Wetter überhaupt, bei einem ausgedehnten<br />

Spaziergang genießen wollten. Mit einer unauffälligen Mappe aus<br />

schwarzem Leder unter dem Arm, eilte er über den Kies des Parkplatzes und<br />

schloss seinen Jaguar mit einem Druck auf die klobige Fernbedienung. Der<br />

Wagen blinkte kurz und ein quäkendes Geräusch meldete die abgestellte<br />

Alarmanlage des XJ. Auersee öffnete die Tür, schmiss die Mappe hastig auf


den Beifahrersitz und startete den Wagen. Er legte den Gang ein und gab ein<br />

wenig zu viel Gas. Kleine Steinchen spritzten umher und manche, die noch zu<br />

viel Schwung hatten, landeten mit einem klickenden Geräusch auf dem Blech<br />

der anderen Autos auf dem Hof. Es scherte Auersee überhaupt nicht. Er hatte<br />

es eilig.<br />

Der Brunnen. Eine großes steinernes Gebilde in der Mantelgasse, gleich<br />

gegenüber vom Weißen Bock, einem Gasthof in der Altstadt. Der XJ stach die<br />

Mantelgasse hinunter und hielt ruckartig am Brunnen. Auersee stieg aus und<br />

ging mit schnellen Schritten zu der Ansammlung von Stühlen und Tischen,<br />

die vor einem Café für die Gäste aufgestellt waren. Er setzte sich auf einen<br />

Stuhl und gleich darauf bewegte sich eine rothaarige, grossgewachsene<br />

Kellnerin, die sich ihrer Attraktivität mit ihren perfekten Brüsten und den<br />

zierlichen aber athletisch sehnigen Beinen durchaus bewusst schien, leicht<br />

hüftschwingend auf ihn zu.<br />

„Guten Tag. Darf ich Ihnen etwas servieren?“, fragte sie freundlich.<br />

Auersee war in seine Gedanken versunken. Abwesend antwortete er.<br />

„Äh...Ja.- Bringen Sie mir einen starken Kaffee bitte. Ohne Zucker und Milch.<br />

Das wärs für´s Erste.“<br />

„Danke. Einen kleinen Augenblick bitte.“, antwortete die attraktive Rothaarige<br />

und bewegte sich, betont elegant, wieder davon.<br />

Auersee war nervös. Seine Kriegs-Einsätze im Kosovo und in Afghanistan<br />

waren gegenüber dem hier ein Klacks. Er hatte dort viele Dinge erlebt, die im<br />

normalen Leben höchstens aus den Kriegsfilmen wie „Der Soldat James Ryan“<br />

bekannt waren. Zerschossene Soldaten, wimmernde Kinder, brüllende<br />

Angreifer, am Unterleib verblutende Frauen die um ihr Leben schrien und<br />

vieles andere. Seinen größten Einsatz sollte er zweifellos hier haben. Gleich.<br />

Er sollte heute abgeschlossen werden.<br />

Auersee sah auf seine Armbanduhr. 13.48 Uhr zeigte die Breitling an seinem<br />

Handgelenk an. Er dachte an seinen Bruder und seine Schwester. Hannah war<br />

noch in der Nacht angekommen und war nun zuhause, um sich auszuruhen<br />

von der langen Fahrt von Hamburg hierher und um einige Dinge, die sie<br />

noch zu tun hatte, zu erledigen. Sie musste in ständigem Kontakt mit ihrer<br />

Redaktion bleiben, die in einem großen Verlagshaus in der Stadt beheimatet<br />

war. Sie checkte ihre E-Mails, schrieb ein paar Notizen und telefonierte mit<br />

einigen wichtigen Personen, um ihre Recherchen voran zu treiben.


Sein Bruder indes, war gestern noch nicht aufgetaucht. Vom Flughafen aus,<br />

hatte der angerufen und hatte sich erst für den heutigen Abend angekündigt.<br />

Seine Besprechung hatte ewig gedauert, danach hatte er noch zu einem<br />

Gespräch bei der Justizministerin müssen und konnte nach 00.00 Uhr nachts<br />

nicht mehr wegen dem Nachtflugverbot starten. Die Maschine wäre zu spät<br />

in Frankfurt gelandet. Auersee war das insgeheim aber recht gewesen. So<br />

konnte er seine Vorhaben ohne Störung planen und vorbereiten, ohne, dass<br />

jemand ihm auf die Finger sah.<br />

Die Kellnerin kam mit bekanntem lasziven, dennoch dezenten Hüftschwung<br />

und einem Tablett an Auersees Tisch an. Sie stellte die Tasse ab und sah zu<br />

Auersee. Der blieb reglos und starrte vor sich hin. Die Rothaarige nickte und<br />

verschwand wieder wortlos. Sie hatte verstanden.<br />

`Noch ein paar Minuten, und alles ist vorbei. Endlich Gerechtigkeit.´, dachte<br />

Auersee verbissen.<br />

Eine nagelneue S-Klasse hielt neben dem Jaguar, und ein älterer Mann stieg<br />

aus. Seine Augen suchten sein Ziel in der Straße Er fand es und steuerte auf<br />

die Tische zu. Er hatte ebenfalls eine Mappe unter den Arm geklemmt und<br />

legte diese neben die von Auersee auf den Stuhl. Dann zog er gemächlich sein<br />

teures Brioni-Jackett aus und warf es über die Lehne des anderen freien<br />

Stuhls am Tisch. Er setzte sich und sah Auersee an. Stumm beobachtete er<br />

Auersee und versuchte zu erraten, was in ihm vorging.<br />

Der lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und wartete. Die Rothaarige<br />

kam wieder, wie aus dem Nichts, vorbei und fragte den Mann nach seiner<br />

Bestellung. Ein Martini auf Eis sollte es sein. Die Blondine verschwand wieder<br />

und sie waren endlich alleine mit den Sonnenstrahlen, den anderen Gästen<br />

und hunderten Menschen, die durch die Mantelgasse und die Hauptstraße<br />

flanierten und dabei schwatzten, fotografierten oder flirteten.<br />

-45-


Sonntag, 13.30 Uhr, Sabrina´s Wohnung...<br />

„...Ich könnte kotzen!“, wütete Sabrina.<br />

„Was meinst Du jetzt wieder damit? Sabrina, lass es doch gut sein. Bitte“,<br />

wollte Rainer von der Sache nichts mehr wissen. Sabrina nervte schon wieder<br />

wegen Marcel und dem Hotel!<br />

„Die alte Schrippe steckt bestimmt dahinter! Wollte mich schon die ganze<br />

Zeit los haben. Und jetzt hetzt sie ihren Sohn auf mich. Und der, der in letzter<br />

Zeit sowieso schon so beschissen unterwegs ist, drückt mir jetzt rein `Es wäre<br />

besser, wenn Sie angesichts der desolaten Lage des Hauses von Ihren Pflichten<br />

zurücktreten. Ich sehe kein weiteres Vorankommen.´ Dieses Arschloch siezt<br />

mich seit fast drei Jahren nicht und jetzt kommt er mit dieser<br />

Förmlichkeitstour an. Verdammte Scheiße nochmal !!!“<br />

„Sabrina was ist da los?“, wollte Rainer aufrichtig erfahren. Er wunderte sich<br />

schon eine geraume Zeit über die andauernden Kabbeleien zwischen Sabrina<br />

und ihrem Arbeitgeber, beziehungsweise der Besitzerin des Hotels.<br />

„Die alte Dame hat keinen Bock auf mich- Das ist los! Ich habe mit Burgstädt<br />

den Laden schon mehr als ein Mal aus der Scheiße geholt. Diese Frau hackt<br />

ständig auf mir herum. Fuck...!“<br />

Sabrina stellte die Kaffeetasse klirrend auf den Tisch. Sie stand auf und wollte<br />

das Telefon ins Wohnzimmer bringen. Beim Hinausgehen vernahm Rainer<br />

eine, trotz aller Wut, nicht angemessene Bemerkung. Er hoffte sich verhört zu<br />

haben.<br />

„Soll sie doch verrecken!“, brummte Sabrina halblaut.<br />

„Äh... Sabrina...“, sagte er zögerlich um sich dann kurz zu sammeln. Er stand<br />

auf und wirkte auf ein Mal wieder hoch offiziell trotz der Trainingshose und<br />

den Hausschuhen, die er an hatte - was ein wenig seltsam aussah, in diesem<br />

Zusammenhang.<br />

„Sabrina, So geht das nicht! Solche Drohungen kann ich nicht hinnehmen.“<br />

Sabrina drehte sich um und schritt provozierend auf Rainer zu. Kurz vor ihm<br />

angelangt, bohrte sie ihren Zeigefinger in Rainers Brust und zischte scharf.<br />

„Das ist mir scheißegal !!!... Das ist nun mal meine Meinung! Okay ?!!!“<br />

Sabrina schleuderte das Telefon quer durch die Wohnung in Richtung<br />

Wohnzimmer, wo es krachend auf den Boden aufschlug.


Rainer versuchte sich berufsmäßig, routiniert und kalt, nicht von seiner<br />

Überzeugung abbringen zu lassen. Er hielt sie an den Armen- nicht fest aber<br />

nachdrücklich und sah ihr ernst in die Augen.<br />

„Sabrina, hör´ sofort damit auf! Ich halte das nicht mehr aus. Du bist sauer-<br />

Okay! Aber so über diese Leute herzuziehen, brauchst du nicht.“, appellierte<br />

er an ihre Vernunft.<br />

„Lass mich los !!!“, zischte sie Rainer an und ballte ihre Fäuste. Rainer sah sie<br />

fest an und ließ sie nicht los.<br />

Dann hielt Sabrina inne, überlegte kurz und gab ihre Wut schließlich auf.<br />

„Aber der kann trotzdem was erleben. Mich so zu behandeln - Das geht<br />

nicht.“<br />

„Ah-ah. Nein, Sabrina...Ich habe Dir eben etwas gesagt! Hör´ jetzt auf,<br />

verstanden?“, blieb Rainer hart bei seiner Forderung. Sabrina beließ es nun<br />

endgültig bei dieser Wutattacke.<br />

„Ja, ist ja gut !... Du hast Recht. Ich..- Ich werde das aber nochmal ansprechen,<br />

das kannst Du mir glauben.“, lenkte sie resignierend ein und setzte sich<br />

wieder auf ihren Stuhl.<br />

Nachdem sie fertig mit dem Frühstück waren, packten Rainer und Sabrina das<br />

Geschirr in die Spülmaschine und zogen sich dann im Schlafzimmer an. Als<br />

sie fertig waren, zogen sie sich draußen die Schuhe an.<br />

„Wir sollten Mike noch schnell bei mir abholen und dann können wir<br />

fahren.“<br />

„Würdest du Mona anrufen? Ich würde sie gerne mal kennenlernen.“, fiel<br />

Sabrina noch ein.<br />

„Ja, das wäre eine gute Idee. Ich habe sie schon länger nicht gesehen.“,<br />

antwortete er und als sie draußen in den Wagen steigen, wählte Rainer<br />

Monas Nummer.<br />

„Hey Mona. Na, was geht?...Du, hast Du Lust mit uns zur Neckarwiese zu<br />

kommen?...Bitte!....Um drei?...Okay wir sind dann beim<br />

„Stonehenge“....Ja,genau...Bis dann.“<br />

-46-<br />

Sonntag, 14.53 Uhr, Neckarwiese...


Sabrina warf Mike den Frisbee zu. Der Hund fing ihn auf und brachte ihn zu<br />

Rainer der etwas weiter abseits stand und das Dreieck vervollständigte, was<br />

die drei bildeten. Rainer warf den Frisbee Sabrina zu, die ihn mit einem<br />

kleinen Satz auffing. Als sie auf dem kranken Bein aufkam, zuckte sie<br />

zusammen und verzog das Gesicht.<br />

„Rainer? Ich glaube, ich hör´ besser auf, sonst geht das mit meinem Bein<br />

wieder los.“<br />

„Ja okay... - Ich habe irgendwie auch keine Lust mehr... Tat aber gut, oder?“<br />

Rainer wandte sich zu Mike.<br />

„Mike. MIKE! Komm´ her. Ja, komm´. Auf, komm´“<br />

Der Hund stürzte auf Rainer zu und sprang ihn im hohen Bogen an.<br />

„Sooo ist´s bravo Ja- So ist´s fein. Guter Hund. Komm´ mach Platz Mike.<br />

Mach´ schön Platz.“<br />

Der Hund bellte und setzte sich, wie ihm geheißen, brav zu den beiden auf die<br />

ausgebreitete Decke. Sabrina mochte Mike sehr. Er war ihr sympathisch.<br />

Nicht, wie diese klaffenden, sabbernden Viecher, die störrisch und<br />

unberechenbar wirkten.<br />

Sie streichelte und knuddelte ihn durch. Mike gefiel es offensichtlich. Er<br />

wandte sich jaulend auf der Decke umher, bis die völlig zusammengeknüllt<br />

da lag. Rainer lachte, schob den Hund zur Seite und zupfte die Decke gerade.<br />

Zwei Fußstreifen der Polizei gingen gerade auf dem Rasen an den Dreien<br />

vorbei, als der eine auf die, auf der Decke Sitzenden zeigte. Der andere sah<br />

hinüber und beide kamen dann auf Sabrina, Rainer und Mike zu.<br />

„Sie wissen, dass sie den Hund anleinen müssen?“, fragte der eine Beamte in<br />

einem etwas lehrerhaften Tonfall. Der andere wartete still auf eine Antwort.<br />

Rainer blieb cool und lächelte.<br />

„An so einem schönen Tag will ich meinen Hund nicht bestrafen. Der tut<br />

doch nichts! Warum sollte ich denn?“, forderte Holzmann die Beamten<br />

heraus. Der wortführende Polizist atmete sichtlich genervt ein.<br />

„Weil Sie das müssen! Hundeverordnung der Stadt Heidelberg. Sie kennen die<br />

als Hundehalter bestimmt, oder?“, brummte der Beamte grimmig. Rainer sah<br />

den Hund an. Der schaute mit dem sprichwörtlichen „Hundeblick“ zurück<br />

und legte den Kopf schief, was zwar niedlich aussah, aber nicht zu einem<br />

Hund seiner Rasse passte. Immerhin ein Dobermann.


„Sehen Sie, der Hund wundert sich über Ihre unnötige Härte.“, stellte Rainer<br />

spöttisch fest.<br />

„Jetzt machen Sie ihn fest! Das kann sonst Bußgeld kosten!“, setzte der Beamte<br />

Holzmann nach. Der Hund gab seine „Baby-Haltung“ auf und setzte sich<br />

aufrecht. Ein leises Knurren war zu hören.<br />

„Ich glaube, dem Hund gefällt ihr Ton nicht....“, sagte Holzmann und lächelte,<br />

dann stand er auf. Den Beamten fiel sofort das Halfter und die Waffe unter<br />

der Windjacke auf. Während der eine einen Schritt zurück trat, löste der<br />

andere unauffällig die Spange am Holster, worin seine Dienstwaffe auf ihren<br />

Einsatz wartete.<br />

„...Und mir auch nicht. Weisen Sie sich bitte aus!“, forderte Holzmann mit<br />

einer, in die Stimme einkehrenden Härte.<br />

„Werden sie mal nicht frech, ja? Eine Polizei-Uniform sollte Ihnen schon ein<br />

eindeutiger Hinweis auf unsere Berechtigung sein. Und jetzt nehmen sie die<br />

Hände vom Körper und strecken sie langsam zur Seite, ja?“, forderte nun der<br />

Beamte langsam sprechend, die Worte einzeln und hart betonend.<br />

„Okay, okay...Ganz ruhig bleiben...“, wollte Rainer sagen. Der Polizist, der ihn<br />

zur Rede gestellt hatte, unterbrach ihn.<br />

„Halten Sie den Mund und machen Sie jetzt, was ich Ihnen sage!“ Der Beamte<br />

blieb hart.<br />

Sabrina war verängstigt und blickte die Konfliktparteien abwechselnd an. Zu<br />

Rainer sprach sie dann.<br />

„Rainer?..Bitte!..Sag´ schon, warum Du eine Waffe hast...Bitte...!“, stammelte<br />

sie erstickt.<br />

„Okay. Da auf dem Boden liegt mein Geldbeutel. Ich hebe ihn jetzt auf und<br />

zeige Ihnen meinen Dienstausweis. Ich heiße Rainer Holzmann.<br />

Dienstnummer 25662, Ich bin Kriminalhauptkommissar bei der<br />

Kriminalinspektion 2. Mein Chef ist Peter Lischner.“<br />

Der stille Beamte bückte sich sofort nach dem Geldbeutel, während der<br />

andere näher zu Holzmann trat.<br />

Einige Passanten beobachteten flüchtig die Szenerie und blieben erstaunt<br />

stehen.<br />

Der, bisher stumme Polizist, sah die Passanten an und wies diese an, weiter zu<br />

gehen.<br />

„Sie gehen weiter. Hier ist nichts zu sehen!“


Stumm leisteten die Fußgänger Folge.<br />

„Er hat recht“, murmelte der Beamte dann, nachdem er Holzmanns Ausweis<br />

gründlich studiert hatte.<br />

Der andere Beamte war immer noch fixiert auf die Waffe. Er hatte seinen<br />

Kollegen offensichtlich nicht gehört. Der Beamte mit dem Ausweis in der<br />

Hand wiederholte sich nochmals. Diesmal sprach er lauter und bestimmt, fast<br />

beschwichtigend.<br />

„Peter. Ist in Ordnung. Der Mann darf diese Waffe bei sich haben. Der ist<br />

einer von uns. Lass ihn!“<br />

Es dauerte noch ein paar Sekunden, bis der Kollege reagierte. Die Worte<br />

schienen nur sehr langsam an seinen Verstand zu gelangen. Endlich<br />

entspannte er sich sichtlich und sah Holzmann still und trotzig an.<br />

„Es tut mir Leid.“ sagte der Beamte kurz aber erzwungen. Er wollte es nicht<br />

auf einen internen Streit ankommen lassen. Dienstgrad ist Dienstgrad.<br />

„Ist schon in Ordnung. Ich hätte auch so reagiert, denke ich.“, antwortete<br />

Holzmann<br />

„Das mit dem Hund nehme ich Ihnen trotzdem übel.“, setzte der Beamte noch<br />

nach und lächelte gepresst.<br />

„Ich tue mein Bestes, um ihn ruhig zu halten. Versprochen.“<br />

„Also gut. Noch einen schönen Tag.“, antwortete der andere Beamte und gab<br />

Rainer seinen Geldbeutel zurück. Die Beamten wandten sich um und gingen<br />

wieder ihre Strecke auf der Neckarwiese ab.<br />

„Du blödes Arschloch!“, schrie Sabrina Rainer erschrocken und wütend an.<br />

„Hättest du sofort klein beigegeben und gleich gesagt, dass du ein Polizist bist,<br />

hätte ich jetzt keinen halben Herzinfarkt bekommen! Was hättest du denn<br />

gemacht, wenn sie Dich abgeknallt hätten, du Idiot?“<br />

„Hätten sie nicht.“, entgegnete Holzmann trocken.<br />

„Ach ja?“, forderte Sabrina einen Beweis.<br />

„Laut unserem coolen Polizeigesetz, müssen die mich zunächst mündlich zum<br />

Stillhalten bringen. Erst dann darf geschossen werden. Und zuerst auch nur<br />

in die Luft. Und nur dann wenn sie- Ich zitiere- `Nicht mit geeigneten Mitteln<br />

oder der unmittelbaren Gefahrenabwehr für Leib und Leben wegen, nicht<br />

anderweitig zu ihrer Durchsetzung beitragen können´. Ist das nicht toll?“,<br />

antwortete Holzmann übertrieben begeistert. Sabrina wägte seine Worte ab,


schüttelte den Kopf und sah nun, offenbar immer noch wütend, den Beamten<br />

nach.<br />

Aus der Ferne kam eine Frau auf sie zu. Mike, der Hund erspähte sie zuerst. Er<br />

sprang auf und sprintete der Frau entgegen.<br />

„Da ist sie.“, meldete Rainer, der sie jetzt auch bemerkt hatte.<br />

„Wer?!“, fragte Sabrina, noch ganz verdattert von der Situation eben gerade.<br />

„Mona, wer denn sonst.“<br />

Sabrina winkte ab.<br />

Mona kam, begleitet von Mike auf die beiden zu.<br />

„Hi!“<br />

„Hallo Süße. Lang nicht mehr gesehen!“, antwortete Rainer und drückte Mona<br />

herzlich.<br />

Sabrina musterte Mona eingehend.<br />

„Hallo, Ich bin Mona, eine langjährige Freundin von Rainer.“<br />

Sabrina lächelte.<br />

„Ja, ich habe schon einiges von Dir gehört.“<br />

„Aha?“, sagte Mona und sah Rainer an.<br />

„Ach ja. Ich habe nur die schlimmsten Sachen erzählt! Wie Du zum Beispiel<br />

einen Monat zu Fuß gehen durftest, weil dein Führerschein wegen zu<br />

schnellem Fahren weg war.“<br />

„Mach´ Dir nichts daraus Das tu´ ich auch oft.“, beschwichtigte Sabrina.<br />

„Ja aber mir passt das nicht. Ich muss einen weiten Weg zur Arbeit fahren.<br />

Aber in Kürze ziehe ich um.“, erklärte Mona ihre missliche Lage damals ohne<br />

Führerschein.<br />

-47-


Sonntag, 16.01 Uhr, Heumarkt, Altstadt...<br />

Marcel sah dem Mann nach.<br />

Er hatte ein zwiespältiges Gefühl, was das Gespräch eben gerade anging.<br />

Sein Geschäftspartner forderte viel. So weit wollte Marcel sich nicht<br />

verbiegen lassen, aber das konnte nun erst einmal warten. Sabrina war jetzt<br />

an der Reihe. Was fiel ihr ein?<br />

Dieser blöden Fotze hätte man schon früher das Maul stopfen sollen!<br />

`Das mache ich jetzt auch.´, dachte sich Marcel und rief sie an.<br />

„...Ich erwarte sie in einer halben Stunde im Schlosshof in meinem Büro.“,<br />

befahl er ihr am Ende des Gesprächs. dass sie sich dagegen sträubte, war ihm<br />

egal. Sie hatte zu gehorchen!<br />

Er trank seinen dritten Kaffee aus und legte einen Zehner neben die Tasse.<br />

Zurück an seinen Wagen, atmete er tief durch und stieg ein.<br />

Die Fahrt über dachte er an seine Schwester und seinen Bruder. Wie sollte er<br />

sie überzeugen, dass im Hotel alles augenscheinlich schief läuft und er<br />

einfach verkaufen musste? Er musste sich irgendetwas einfallen lassen. Nur<br />

was?<br />

Zurück im Schlosshof, stellte er im Büro alle erforderlichen Papiere für eine<br />

Entlassung zusammen und nahm sich vor, Sabrina geradewegs einfach<br />

rauszuschmeißen. Er dachte daran, wie der arme Burgstädt auf dieses Luder<br />

hereingefallen war.<br />

`Die hat soviel Scheiße gebaut und wir haben sie nicht weg gekriegt. Mann,<br />

der Burgstädt hing an ihr. Jetzt aber! Ich weiß ja wie ich sie kriege...- Oh, ich<br />

freue mich´, dachte er grinsend.<br />

Marcel genoss es, daran zu denken, dass er in ein paar Tagen frei sein würde.<br />

Frei von der Bürde, die ihm sein Vater aufdrängte, frei von dem Zwang, seiner<br />

Mutter eine Genugtuung zu verschaffen- einfach frei vom alten Leben. Wie<br />

ein Vogel wollte er von nun an sein. Rastlos, entscheidungsfreudig, flexibel.<br />

Dann klingelte sein Handy.<br />

„Ja?“<br />

„Hallo Bruderherz. Ich wollte mich mal melden und fragen, wie es Dir geht.<br />

Äh, ich würde gerne in die Stadt gehen. Ein bisschen shoppen gehen, weißt<br />

Du?“


„Klar Hannah. Du, ich habe hier noch ein wenig zu tun. Dann kann ich mich<br />

ja nochmal melden, und wir können ein Käffchen miteinander trinken,<br />

okay?“antwortete Marcel.<br />

„Ja, das wäre in Ordnung. Also dann bis später.“<br />

„Alles klar. Tschüss dann.“<br />

„Oh, bevor ich es vergesse: Wo ist eigentlich Holger abgeblieben?“<br />

„Das weiß ich nicht. der hat sich noch nicht gemeldet.“ Marcel klang fast<br />

gelangweilt.<br />

„Na dann, also gut. Tschüssi!“<br />

„Ciao.“ Gut. Hannah hatte nichts bemerkt. Das Gör ging ihm dermaßen auf<br />

die Nerven...<br />

Gleichzeitig, Neckarwiese...<br />

„Du. Ich muss jetzt los. Der Auersee dreht sonst hohl.“, kündigte Sabrina an.<br />

„Ja. Aber jetzt mach´ Dich doch nicht so verrückt deswegen. Der kriegt sich<br />

schon wieder ein.“, versuchte Rainer sie zu beruhigen.<br />

„Na ich weiß nicht recht.“, gab Sabrina skeptisch von sich.<br />

„Bis später.“, verabschiedete Rainer Sabrina.<br />

„Viel Glück.“ wünschte Mona.<br />

„Ich hoffe es...“ antwortete Sabrina<br />

„...Und mach´ ja keinen Ärger mehr!“, mahnte sie eilig an, in Anspielung auf<br />

die Situation mit den Polizisten von vorhin.<br />

„Ja, ist recht.“ gab sich Rainer artig.<br />

Sabrina gab ihm einen Kuss und lief los zu Rainers Wagen.<br />

Das Abholproblem hatten sie kurz zuvor so geklärt, dass Sabrina Rainer nach<br />

dem Treffen, das nicht so lange dauern sollte- zumindest dachte Sabrina das –<br />

wieder abholt, oder er, im Fall des Falles, mit Mona, die ja auch noch da war,<br />

nach Hause fährt.<br />

Jetzt widmete sich Rainer aber erst mal auf das Frisbee-Spiel mit Mike und<br />

Mona.<br />

-48-<br />

Sonntag, 16.22 Uhr, Bismarck-Platz...


Sabrina konzentrierte sich verbissen auf den Verkehr, doch hatte sie<br />

Schwierigkeiten, sich etwas geschmeidiger an die anderen Wagen heran zu<br />

tasten. Das äußerte sich dann in ruppigen Gas-Bremse-Aktionen. An den<br />

Ampeln auf der Westseite am Bismarck-Platz ließ sie die Reifen des Polos fast<br />

unentwegt quietschen. Sie hatte drei hintereinander geschaltete Ampeln zu<br />

überwinden, von denen sie zwar genau wusste, das diese niemals an einem<br />

Stück zu bewältigen waren- Zumindest nicht am Tag- aber dennoch war sie<br />

hektisch und unpassend gefahren. Am Adenauer-Platz bog sie rasant ab in<br />

Richtung Gaisbergtunnel und lenkte den Wagen im Tunnel geschickt um die<br />

anderen Wagen herum. Am Ende des Tunnels wusste Sabrina um den<br />

Starenkasten, war aber eigentlich schon viel zu schnell. Der Tacho zeigte fast<br />

90 an, und Sabrina fuhr geradewegs in ihr erstes garantiertes Fahrverbot,<br />

nachdem ihr jetziger Freund Holzmann sie damals gehen ließ. Sie schoss an<br />

der stationären Blitzanlage vorbei,.... und nichts passierte. Was viele nicht<br />

wussten war, dass hin und wieder die Kästen nicht bestückt wurden, um<br />

nicht wieder denen Aufwind zu verschaffen, die meinten, die Stadt würde nur<br />

abkassieren. Aber man setzte auf den Gewohnheitseffekt. Manche gewöhnten<br />

sich ja schnell an die leeren Kästen...<br />

Sabrina schien Glück zu haben. Sie erwischte einen der „freien“ Tage des<br />

Gerätes.<br />

Auf dem Schlosshof fuhr Sabrina ohne langsamer zu werden, in ihre<br />

angestammte Parklücke neben den Jaguar. Dass sie der englischen Limousine<br />

dabei beinahe den Außenspiegel abriss, störte sie entweder nicht oder sie<br />

bemerkte es einfach nicht. Sabrina war im Moment so aufgebracht und<br />

kampflustig, da konnte sie sich nicht mit so etwas plagen. Als sie in die<br />

Empfangshalle gelangte, war es Punkt halb 5. Unpünktlichkeit konnte man<br />

ihr nicht vorwerfen!<br />

Marcel sah aus dem Fenster auf die Pfalz-Ebene, die sich am Ende des<br />

Flusslaufs des Neckars ausbreitete. Er dachte nach, wie er weiter vorgehen<br />

wollte. Das unten ein Wagen hielt und seinen fast beschädigte, hatte er nicht<br />

mitbekommen, obwohl die Fenster geöffnet waren und er nach unten sehen<br />

konnte, sofern er sich hinauslehnte. Im nächsten Augenblick flog die Bürotür<br />

auf und wurde gleich danach wieder zugeschlagen. Marcel erschrak so sehr,<br />

dass er, im wahrsten Sinne des Wortes, fast vom Stuhl gefallen wäre. Er sah


den Eindringling verstört an und musste sich erst einmal sammeln, bevor er<br />

aufstand und sich vor der Besucherin aufbaute.<br />

„Frau Seiler, dies ist immer noch MEIN Hotel und MEIN Büro. Benehmen Sie<br />

sich!“ Sabrina sah Marcel nur an und setzte sich ungefragt auf einen Stuhl.<br />

„Irgendwie habe ich es schon die ganze Zeit geahnt. Was ist hier eigentlich<br />

los? Kannst Du mir das mal vielleicht verraten? Ich habe auf die Spielchen<br />

keine Lust mehr!“, begann Sabrina ihrem Ärger Luft zu machen.<br />

„Genau! Und deshalb, meine liebe Sabrina, mache ich es kurz .“ Marcel stand<br />

auf und reichte Sabrina eine schwarze Mappe. Sabrina stand ebenfalls auf<br />

und nahm die Mappe etwas verwundert entgegen. Sie sah Auersee fragend<br />

an. Der atmete durch und fing an zu reden.<br />

„Hiermit entlasse ich Sie fristlos. Die Begründung lautet: Ungebührliches<br />

Verhalten, Beleidigung, geschäftsschädigende Tätigkeiten, Verleumdung, üble<br />

Nachrede, böswilliges Anstacheln des untergebenen Hotelpersonals, und-“,<br />

Auersee hob eine Augenbraue und einen Moment lang konnte man glauben,<br />

gesehen zu haben, wie er lächelte.<br />

„...Diebstahl von fünf-tausend-Euro.“ die Zahl betonte Marcel dabei<br />

genüsslich deutlich.<br />

Sabrina wähnte sich in einem schwerelosen Raum, die Stimme von Marcel<br />

von Auersee drang zuletzt nur bruchstückhaft und extrem gedämpft zu<br />

ihrem Verstand hindurch.<br />

Langsam lichtete sich das dunkle Wabern.<br />

Als wenn jemand ihr mit einem Hammer direkt auf die ausgestreckte Hand<br />

geschlagen hätte, ließ Sabrina die Mappe in ihrer Hand fallen, und griff sich<br />

mit einer schnellen Bewegung Auersees Krawatte. So finster blickend hatte<br />

Auersee sie noch nie gesehen!<br />

„Dafür- Arschloch!- Dafür bezahlt ihr noch!“, zischte Sabrina...<br />

-49-<br />

Sonntag, 17.<strong>12</strong> Uhr, Neckarwiese...


„Heute ist ein richtig schöner Tag, stimmt´s ?“, fragte Mona Rainer, der neben<br />

ihr auf dem Beifahrersitz saß. Er war mit Mona gerade auf dem Weg nach<br />

Hause. Sie hatten sich knapp eine halbe Stunde nachdem Sabrina gegangen<br />

war, geeinigt, mit dem Frisbee- Spielen aufzuhören. Es hatte sie schlicht die<br />

Langeweile gepackt, und Mona fuhr ihn und den Hund, wie geplant zu<br />

Sabrina nach Hause.<br />

„Stimmt.“<br />

Mona überlegte kurz . Ihr fiel ein, dass sie Rainer noch nicht gefragt hatte,<br />

wie er und Sabrina miteinander auskamen. Es interessierte sie einfach.<br />

Rainer hatte diesmal nicht, wie üblich, von sich aus erzählt.<br />

„Wie läuft es bei Dir eigentlich?“, fragte sie einfach.<br />

Da Rainer sie schon lange kannte, wusste er sofort, was sie meinte.<br />

„Ganz gut eigentlich. Wir sehen uns nicht so oft. Aber ich glaube, es könnte<br />

schön werden mit ihr. Wenn sie nur nicht immer so hitzig und aggressiv<br />

wäre.“, erklärte Rainer und dachte an sein Gespräch mit Sabrina morgens<br />

beim Frühstück. Er erzählte alle Begebenheiten der letzten Tage. Irgendwann<br />

hörte Rainer dumpf ein Klingeln, das von seinem Handy aus der Jackentasche<br />

kam. Während Rainer sein Telefon aus der Jacke fummelte, wollte er Mona<br />

noch nach oben einladen.<br />

„Magst Du noch mit hinauf?“, fragte er Mona als er das Handy endlich in der<br />

Hand hatte und das Gespräch annahm. Während sie überlegte, begann er sein<br />

Gespräch.<br />

„Ja? Hallo?“<br />

„Hallo hier ist Sylvia. Du, Rainer, komm´ bitte so schnell wie möglich her.“,<br />

meldete sich seine Kollegin Sylvia Rösch. Rainer war etwas überrascht.<br />

„Was ist denn?“, fragte er neugierig.<br />

„Du-...Äh,...nicht am Telefon, okay?“, antwortete Sylvia stockend. Man merkte<br />

ihr deutlich an, dass es um etwas Unangenehmes gehen musste.<br />

„Mein Gott, stellst Du dich an! Ja, ich komm´ gleich vorbei.“, regte sich Rainer<br />

über sie auf und beendete das Gespräch missmutig.<br />

„Was´n los?“, fragte Mona.<br />

„Weiß ich auch nicht. Sorry, aber ich muss jetzt los. Ein anderes Mal, okay?“,<br />

entschuldigte sich Rainer. Er wäre lieber noch mit Mona geblieben, doch die<br />

Arbeit rief. Leider.


„Ja, geh´ schon. Ich wollte Dir sowieso gerade sagen, dass ich doch lieber<br />

nach Hause will.“<br />

„Bist ein Schatz. Danke.“ Rainer war erleichtert, dass Mona nicht böse war<br />

und schloss die Haustür auf. Er musste irgendwie die Schlüssel von Sabrina´s<br />

Auto finden. Sie hatten sich, als es um den Hund ging, später auch darauf<br />

geeinigt, dass Rainer- falls was wäre- ihren Wagen haben kann. Nur hatte<br />

Sabrina nicht daran gedacht, ihm die Schlüssel hinzulegen. Aber er hatte<br />

auch vergessen, sie zu fragen. Und jetzt durfte er die Schlüssel suchen!<br />

Rainer verfiel langsam in Panik. Es waren seit dem Anruf fast zehn Minuten<br />

vergangen und ihn packte bald die Wut. Als letzte Möglichkeit sah er es an, in<br />

der Kommode auf dem Flur nachzusehen. Als er die Schublade öffnete, sah er<br />

gleich, was er suchte.<br />

`Warum nicht gleich so?´, dachte er verärgert über sich und steckte den<br />

Schlüssel in seine Hose. Er verabschiedete seinen Hund und verließ dann eilig<br />

die Wohnung.<br />

In der Tiefgarage sah Rainer Sabrina´s Auto in der Ecke stehen und ihm<br />

wurde bewusst, dass er ihren Wagen nun das erste Mal fahren würde.<br />

Er schloss auf, stieg ein, startete den Motor aufheulend und verließ die<br />

Tiefgarage in der selben Weise, wie Sabrina das üblicherweise auch tat.<br />

Auf dem Weg ins Revier, machte er sich darüber Gedanken, was der ganze<br />

Aufruhr bedeuten sollte.<br />

Gab es Ärger mit Shkodran? War sein Chef informiert worden, dass er in bei<br />

der Razzia im Zusammenhang mit dem späten Eintreffen der Spezialeinheit<br />

verflucht hatte?<br />

Er wusste einfach nicht was los war. Es kam ein wenig anders.<br />

-50-<br />

Sonntag, 17.45 Uhr, Polizeidirektion Heidelberg...


Rainer stellte den Wagen vor der Polizeidirektion ab und sprang die Stufen<br />

zum Haupteingang eilig hinauf. Er riss an der Tür im Foyer und vergaß dabei,<br />

dass er sie mit seiner Magnetkarte erst hätte freischalten müssen. Die Tür<br />

blieb somit verschlossen.<br />

„Scheiß Ding!“, fluchte er und fummelte seine Chipkarte aus dem Geldbeutel.<br />

Endlich ließ sich die Tür öffnen und Holzmann versuchte so schnell wie<br />

möglich zum Großraumbüro zu gelangen. Dort angekommen, sah er seine<br />

Kollegin Sylvia Rösch an ihrem Platz sitzen.<br />

„Was ist denn so dringend, dass Du mir nicht mal am Telefon sagst, was los<br />

ist?“, fragte Rainer ungehalten.<br />

„Ähm, Du solltest Dich ein wenig zusammennehmen. Der Lischner ist<br />

stinksauer- und das nicht nur wegen der Sache vom Güterbahnhof. Er hatte<br />

mir aufgetragen, Dich zu suchen. Du solltest....“ Sylvia wurde unterbrochen.<br />

„HOLZMANN!....In mein Büro- SOFORT !!!“, brüllte eine Stimme aus dem<br />

hinteren Teil des Großraumbüros Wer das gewesen war, war Rainer sofort<br />

klar. Sylvia sah ihn an und zuckte stumm mit den Achseln. Rainer schnitt eine<br />

Grimasse die `Ha-ha-ha´ bedeuten sollte.<br />

Dann begab er sich zu seinem Chef.<br />

„Tür zu- Setzen !“, befahl Peter Lischner, 58 Jahre alt, verheiratet seit über 30<br />

Jahren, 2 Kinder, ein Enkel, Chef der Kriminalinspektion 2 mit mehr als 93<br />

unterstellten Beamten und leidenschaftlicher Doppelkopfspieler.<br />

Rainer tat, wie ihm geheißen und setzte sich still auf den einzigen Stuhl, der<br />

vor dem Schreibtisch seines Chefs stand- In sicherer Entfernung desselben.<br />

Lischner atmete schwer und sah Rainer lange und eindringlich an. Der<br />

Vulkan brodelte innerlich und Rainer machte sich bereit für einen gewaltigen<br />

Ausbruch.<br />

„Sagen Sie mal, sind Sie denn total bescheuert??? Ich habe schon ganz andere<br />

Leute ins Gefängnis gebracht. Als ich Baader, Meinhof, Mohnhaupt und<br />

Konsorten jagte, haben sie sich noch die netten Bildchen aus der BRAVO auf<br />

der Schultoilette angesehen, Junge! Warum geht nicht in Ihr verdammtes<br />

Gehirn rein, dass sie Leute wie Shkodran nicht so bescheuert anmachen<br />

sollen? Ich weiß selbst, dass der Typ ein Stück Scheiße ist, aber wenn Sie sich<br />

damit aufhalten, ihn anzumachen und irgendwelche Anklagen los treten, die<br />

zumindest momentan, keine Sau interessieren, brauchen Sie sich nicht zu


wundern, wenn der nach zwei Tagen hier raus spaziert und uns den<br />

Stinkefinger zeigt. Im Gegenteil: Der spielt mit uns und wir können<br />

zuschauen, wie er weiter dealt, klaut und vergewaltigt. Lassen sie den Mann<br />

in Ruhe! Wir machen alles buchstabengetreu nach Vorschrift! Keine Schikane<br />

mehr, verstanden?“ dozierte Lischner. Eine Antwort wartete er nicht ab, denn<br />

er redete gleich weiter.<br />

„Was die Sander angeht: Wenn die den anzeigen will, werden Sie sich bei<br />

Gelegenheit dazu korrekt- Ich meine super korrekt - äußern. Sie werden<br />

sagen, das die Anwältin einen fixierten Gefangenen geschlagen hat. Was der<br />

Typ vorher gemacht hat, ob er angezeigt wird oder ähnliches, geht uns nichts<br />

an!-... So, Zweites Thema: Wenn Sie nochmal versuchen, meine Autorität vor<br />

anderen in Frage zu stellen, auch wenn ich das nicht direkt mitbekomme,<br />

waren sie hier die längste Zeit gewesen! Wenn ein zwingender Einsatz<br />

ansteht und nicht alles nach optimalen Bedingungen aussieht, haben Sie das<br />

zunächst einmal hinzunehmen und dann erst- Erst dann, nach Absprache mit<br />

mir, eine Alternative zu suchen. Nochmal so ein Ding und ich schmeiße sie<br />

hinaus! So einen scheiß wie bei der Razzia will ich nicht nochmal!“<br />

Die zweite Runde war beendet und Rainer fühlte sich wie ein Boxer, der am<br />

Boden angezählt wurde. Was aber relativ harmlos begann, endete schließlich<br />

mit einer Katastrophe. Sein Chef verstand es, sich die Bonbons bis zum<br />

Schluss aufzuheben.<br />

„Ich weiß nicht genau, was da mit der Schießerei gelaufen ist. Sicher ist nur,<br />

laut Ihrem und Budjen Bericht: Razzia in einem Tanzlokal, Schießerei im<br />

Keller, eine Kollegin- Gott hab´ Döring selig- tot. Gangster tot.... Das stinkt,<br />

oder?“ Lischner pausierte einen Augenblick und ließ seine Worte auf<br />

Holzmann wirken. Holzmann starrte ins Leere. Was er sagen sollte, wusste er<br />

nicht. Das war aber auch nicht verlangt worden, denn Lischner sprach<br />

wieder.<br />

„Die Kollegen von der Inneren interessieren sich für Sie und mein Chef auch.<br />

Die werden auf Sie zukommen, denke ich. Bereiten Sie sich mal auf so etwas<br />

vor. Wird lustig, denke ich.“<br />

Endlich hörte Lischner auf, seinen Monolog noch weiter auszuweiten.<br />

Holzmann sah ihn an, und dachte das Lischner fertig war. Er stand auf und<br />

ging stumm zur Tür. Er wirkte sehr niedergeschlagen. Lischner atmete ein. Es


klang wie eine Dampfpresse. Holzmann stockte der Atem. Er blieb stehen und<br />

drehte sich um.<br />

„Ich bin noch nicht fertig, Holzmann... Ihre Freundin sitzt in der 2. Sie sollten<br />

mal nach ihr sehen. Die hat einen Heiden-Stress veranstaltet und einer von<br />

uns sitzt mit einem Eisbeutel im Pausenraum.“ sagte Lischner ganz ruhig. Er<br />

sah Holzmann an. War da ein Funken Mitleid?<br />

„Sie können gehen.“, entließ er Holzmann endlich.<br />

Holzmann ging zur Tür, und als er diese öffnen wollte und dabei daran<br />

dachte, was Lischner ihm alles gesagt hatte, vernahm er wieder die<br />

schneidende Stimme Lischners.<br />

„Ach- Äh,... Holzmann? So etwas wie heute, sollte Ihnen nicht noch einmal<br />

passieren. Ich mag es nicht, wenn meine Abteilung für kleine Privatfehden<br />

herhalten muss. Regeln Sie das! Ein für alle mal... Die Tür können Sie<br />

angelehnt lassen. Das wäre es fürs Erste.“<br />

Holzmann verdrehte zwar unmerklich die Augen, doch die Warnung seines<br />

Chefs hatte er wahrgenommen. Er verließ das Büro und machte sich auf den<br />

Weg zu Sabrina. Ob er wütend sein sollte, wusste Rainer nicht so recht. Er<br />

wunderte sich nur warum sie ausgerechnet in einer Zelle im Revier saß.<br />

Was, um Himmels willen hatte Sabrina angestellt? Bald würde er es wissen.<br />

Die Zellen im Keller der Polizei-Direktion sahen aus wie jede amtliche<br />

Verwahrungsstelle der Polizei. Kalt, gefliest, eintönig. Der Boden war mit<br />

braunen Fliesen gedeckt, die Wände klinisch weiß gestrichen und die<br />

Zellentüren aus massivem Stahl. Den einzigen Kontakt zur Außenwelt<br />

ermöglichte eine kleine Klappe, durch die man das Essen reichte und<br />

außerdem ein kleines Fenster, durch das man sehen konnte, was der<br />

Gefangene gerade machte.<br />

Sabrina saß auf der Pritsche und wirkte nachdenklich. Sie hatte das Kinn auf<br />

ihren Hände gestützt und saß scheinbar nachdenklich da. Dass sie aggressiv<br />

geworden war, sah man ihr in dieser Situation nicht an.<br />

Nachdem sich Rainer den Schlüsselbund zu den Zellen besorgt hatte, und den<br />

Wachhabenden anwies, sie nicht zu stören, war er zur Zellentür gegangen,<br />

auf der in Weiß eine „2“ aufgepinselt war. Er sah durch das kleine Fenster<br />

und beobachte nun eine Weile seine Freundin. Sie sah erbarmungswürdig<br />

aus. Dann schloss er die Tür auf.


„Eine schöne Scheiße hast Du mir da eingebrockt. Was war eigentlich los?<br />

Mein Chef dreht hohl; Ich habe genug scheiße am Hals, und jetzt machst Du<br />

mir auch noch Ärger. Ich will jetzt genau wissen, was Du gemacht hast !“,<br />

verlangte Rainer von Sabrina eine Erklärung und wartete lange auf eine<br />

Antwort. Als Sabrina endlich aufsah, bemerkte Rainer einen Moment lang den<br />

schuldbewussten Blick einer jungen Frau, die gerade zu verstehen schien,<br />

dass, das, was sie tat, nicht astrein war. Sie sprach leise und gedrückt. Doch<br />

schwang ein leichter Trotz in ihrer Stimme mit. Sie war sich scheinbar noch<br />

nicht ganz im Klaren, dass, was sie tat, ein Fehler war.<br />

„Ich war bei Marcel von Auersee wie Du weißt. Ich habe ihn zur Rede<br />

gestellt. Er hat mich rausgeschmissen.“, gab Sabrina kleinlaut von sich.<br />

Rainer sah Sabrina abwartend an. Das sollte doch nicht alles gewesen sein,<br />

dachte er.<br />

„Ja- Gott! Ich bin halt ausgeflippt und hab´ ihn mir gegriffen. Ich war außer<br />

mir. Tut mir leid...Ehrlich!“ Sabrina hatte seinen Gedanken erraten.<br />

„Und dann?“, fragte Rainer trocken und anteilnahmslos.<br />

„Ich schlug auf ihn ein.“, antwortete Sabrina knapp.<br />

„Sag´ mal, bist Du denn von allen guten Geistern verlassen??? Du spinnst<br />

wohl! Du kannst doch nicht einfach Deinen Chef verprügeln!“, entfuhr es<br />

Rainer.<br />

„Ich sagte doch, dass es mir leid tut.“, antwortete Sabrina mit einem Tonfall in<br />

der Stimme, der von einem Teenager hätte stammen können, was die Sache<br />

nicht besser machte.<br />

„Sabrina, das reicht nicht! Wenn der will, hast Du eine Anzeige wegen<br />

Körperverletzung am Hals! Geschweige denn, dass Du einen Kollegen von<br />

mir ebenfalls nicht gerade zärtlich behandelt hast. Ist Dir eigentlich klar, dass<br />

alleine der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ein schweres Delikt ist,<br />

und Dich damit um die 3 Jahre ins Gefängnis bringen kann? Abgesehen<br />

davon bist Du bei einer Körperverletzung mit bis zu 5 Jahren dabei. Mann!<br />

Sabrina; Ich will nicht wissen, was Dich da geritten hat.“, kommentierte<br />

Holzmann fassungslos Sabrinas Lage. Sabrina sah ihn nur stumm an.<br />

Ihre Blicke schweiften beängstigend ab. Fast so, als würde sie ohnmächtig<br />

werden. Ihr schien langsam zu dämmern, was sie angerichtet hatte.<br />

„Oh mein Gott !!! Rainer, sag´ mir was ich tun soll...Bitte!“, sagte Sabrina nun<br />

flehentlich, sich ihrer Lage bewusst werdend.


„Du kannst im Moment gar nichts tun. Erst wird ein Staatsanwalt entscheiden<br />

müssen, ob das für eine Anklage reicht. Und, je nach dem, ob Du dann eine<br />

Verhandlung über Dich ergehen lassen musst. Wenn er gnädig ist, lässt er<br />

dich so lange frei. Soweit ich Dich kenne, hast Du keine Vorstrafen- Gute<br />

Voraussetzungen, würde ich sagen.“, wog Rainer ab.<br />

„Ah ja. Und dann?“, fragte Sabrina fast ängstlich.<br />

„Dann kriegst Du eine eingefahren- Und das nicht zu knapp!“, sagte Rainer.<br />

Er bemühte sich erst gar nicht, die Aussichten auf ein glimpfliches Ende<br />

herbei zu reden.<br />

„Oh Gott!“, stammelte Sabrina. Vor Rainers Augen brach Sabrina in sich<br />

zusammen. Die Frau, die er als taffe Geschäftsfrau kennenlernte, die nichts<br />

unverbindlich ließ, kauerte sich nun an seine Schulter, die Hände unter das<br />

Kinn gepresst, die Knie eng an den Körper angezogen und mit den Tränen<br />

kämpfend.<br />

„Langsam! Jetzt beruhige Dich erst einmal. Ist ja noch nichts entschieden.<br />

Erstmal bist du bis spätestens morgen in Präventivgewahrsam nach unserem<br />

Polizeilandesgesetz. Bis morgen darf der dauern und es geht darum, dass man<br />

dich daran hindern will, noch mehr Mist zu bauen. Das dürfen die auch. Ich<br />

kann ja mal nachhaken, ob mein Kollege alles gut übersteht und dann sehen<br />

wir weiter, was der Auersee von Dir will, okay? Und morgen hole ich dich<br />

ab.“, sagte Rainer und versuchte Sabrina damit zu trösten, obwohl er sich<br />

eigentlich vorgenommen hatte, sie diesmal auflaufen zu lassen. Schließlich<br />

hatte sie in letzter Zeit unablässig davon geredet, was für „beschissene<br />

Arschlöcher“ die Auersees waren. Er wollte Sabrina spüren lassen, dass sie<br />

sich diesmal zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte.<br />

Scheinbar brauchte er das nicht mehr.<br />

Als er Sabrina von sich weg hob und sie ansah, blickte er in ein von Tränen<br />

und Make-up verschmiertes Gesicht.<br />

Er konnte nicht anders.<br />

Er nahm Sabrina fest in die Arme und drückte sie dicht an sich.<br />

Ihr Schluchzen und das Schütteln dabei wiegte beide auf der Pritsche<br />

gleichermaßen, so, dass das leichte Knarzen des feuerfesten Kunststoffs der<br />

Auflage durch den Raum klang.<br />

„Es tut mir so Leid!“, stammelte Sabrina und schluchzte herzerweichend<br />

weiter. Rainer drückte sie fester an sich.


„Schhhht............. Ist ja gut. es kommt alles in Ordnung.......Schhhhht...okay.......“,<br />

flüsterte er.<br />

Lange Zeit saßen beide stumm da.<br />

Irgendwann hörte Rainer Sabrina nur noch leise Schniefen. Er strich ihr zur<br />

Beruhigung mit den Fingern die Arme rauf und runter.<br />

Dann fiel ihm ein, den Kollegen zu suchen.<br />

Er wollte von ihm hören was passiert war, und vielleicht konnte er ihn dafür<br />

gewinnen, nichts zu melden. Das verstieß gegen seine Rechtsauffassung, aber<br />

wie bei der Sache mit dem bedürftigem Ladendieb, den er auch lieber<br />

erstmalig gehen ließ, wollte er Schadenbegrenzung betreiben.<br />

Er wusste auch, dass ein Mensch, der zum ersten Mal in einer Gefängnis-<br />

Zelle saß, durchaus einen solchen Schock erlitt, dass manche unter dieser<br />

besonderen Last sogar zusammenbrechen und ein Fall für den Psychologen<br />

werden konnten.<br />

Er dachte sich, dass Sabrina schon mit einer möglichen Anzeige durch Marcel<br />

von Auersee genug gestraft war.<br />

Bei dem konnte er nichts bewirken.<br />

Das hatte Sabrina alleine auszubaden.<br />

„Sabrina?“, sprach er zu dem blonden Haarschopf unterhalb seines Kinns.<br />

„Hmmhmm?“, antworte Sabrina, fast im Halbschlaf. Rainer stützte sie auf und<br />

sah sie an.<br />

„Ich muss gehen. Ich kümmere mich darum, okay?“<br />

„Danke... und, ähm, Rainer?....“, antwortete Sabrina und hielt inne.<br />

„Ich weiß.“ Er wollte jetzt nicht auf das eingehen, was sie vermutlich hören<br />

wollte.<br />

„Danke...“, brachte Sabrina nochmals brüchig hervor.<br />

Rainer stand auf und sah Sabrina auf der Pritsche an.<br />

„Ich melde mich morgen nochmal, okay? Ich lasse dir ein Abendessen<br />

zukommen.<br />

„Nein danke. ...Aber...Könnte ich was zum Lesen haben?“, fragte Sabrina, nun<br />

wieder etwas bei Besinnung.<br />

„Ich sage jemandem Bescheid. Egal was?“<br />

„Egal was-... Danke.“<br />

„Bitte. Bis morgen.“


Rainer schloss die Tür auf, öffnete sie und ging hinaus. Von draußen schloss<br />

er wieder ab und lief den Gang entlang zum Aufzug. Die Kollegen aus dem<br />

Revier oben konnten sicherlich etwas zum Lesen für Sabrina auftreiben.<br />

Sabrina lag währenddessen in ihrer Zelle und starrte an die Decke. `Du bist<br />

sowas von bescheuert!´, war ihr letzter Gedanke und sie schlief erschöpft vom<br />

vielen Weinen ein.<br />

Draußen im Auto hing Rainer seinen Gedanken nach. Ihm tat Sabrina leid.<br />

Andererseits war das, was sie tat durch nichts zu entschuldigen. Rainer<br />

verstand nicht, wie jemand so ausflippen konnte ohne daran zu denken, dass<br />

das übelste Konsequenzen haben konnte.<br />

Er verstand es einfach nicht.<br />

Rainer startete das Auto und überlegte kurz wo er den Kollegen finden<br />

konnte, dessen Einsatz so verheerend endete. Er hatte in die<br />

Revierverzeichnisse geschaut und über den Namen die Adresse des Beamten<br />

gefunden, der nicht betroffen war. Ihn kannte er gut. Rainer dachte sich, ihn<br />

zu fragen, ob es Chancen gibt, die Sache nicht so hochkochen zu lassen.<br />

Direkt bei dem anderen Polizisten zu fragen war vielleicht etwas zu forsch<br />

für den Augenblick.<br />

Fest entschlossen, fuhr Rainer das Auto aus der Parklücke und rollte in<br />

Richtung Ampel.<br />

Kirchheim war jetzt sein Ziel.<br />

-51-<br />

Sonntag, 19.20 Uhr, Glockenzehnten 32, Stadtteil Kirchheim...


Theo Balder saß gerade beim verspäteten Abendessen mit seiner Frau und den<br />

zwei kleinen fünf- und dreijährigen Mädchen Lea und Meggie.<br />

Die beiden kicherten unentwegt und konnten sich nicht auf die<br />

Stangenbohnen konzentrieren, die zwischen dem Lammfleisch, der Soße und<br />

dem Kartoffelbrei auf dem Teller lagen. Lea versuchte, eine zarte<br />

Bohnenstange mit der Gabel aufzuspießen. Diese rutschte aber immer wieder<br />

ab und schlussendlich fiel sie auf den Boden.<br />

Meggie kicherte und zog ihre Schwester neckisch auf.<br />

„Bist zu doof für die Booohnen!“<br />

Lea gab einen verärgerten Laut von sich, presste die Lippen zusammen und<br />

versuchte es erneut. Diesmal rutschte die Bohne kurz vor ihrem Mund, von<br />

der Gabel auf ihr rotes Cord-Röckchen und dann von ihren weißen Socken<br />

auf den Boden.<br />

Lea sah ihre Schwester giftig an und schnaufte, wie es nur ein beleidigtes<br />

Kind tun konnte. Meggie kicherte erneut und Lea lachte plötzlich wieder mit.<br />

Deren Mutter fand das gar nicht komisch.<br />

Man sah, wie sie langsam die Contenance verlor.<br />

Sie schlug heftig auf den Tisch.<br />

„Lea! Hör´ auf mit dem Essen zu spielen! Setz´ Dich normal hin.“, mahnte sie<br />

entnervt.<br />

„Lea? Hör´ bitte auf Deine Mutter, ja?“, bestärkte Balder seine Frau und sah<br />

Lea eindringlich an. Diese sah ehrfürchtig zu ihrem Vater auf und rückte sich<br />

auf ihrem Stuhl zurecht.<br />

Meggie indes kicherte weiter. Ein kleiner Klumpen Kartoffelbrei fiel jetzt von<br />

ihrer Gabel auf den Parkettboden unter dem Esstisch.<br />

„Meggie! Gleich gibt’s eine Ohrfeige- Iss´ !“, rastete die Mutter nun aus.<br />

Theo legte seine Hand auf die seiner Frau. Sie verstummte und sah ihn<br />

hilfesuchend an.<br />

„Meggie, das gilt auch für Dich....Bitte!“, mahnte Theo Balder seine zweite<br />

Tochter zur Ordnung. Corinna Balder blickte ihn für die Hilfe dankbar an.<br />

Endlich konnten sie ruhig essen und Theo genoss die Stille nach dem<br />

stressigen Arbeitstag auf dem Revier.<br />

Dann nahm seine Frau die Salatschüssel und blickte fragend in die Runde. Als<br />

niemand wollte, nahm sie sich selbst etwas von dem Feldsalat.<br />

Sie hatte ihn heute gut hin bekommen! Er schmeckte lecker.


Plötzlich klingelte es an der Tür.<br />

„Ach Mann! Heute habe ich wohl keine Ruhe mehr!“, stöhnte Corinna Balder.<br />

„Mach´ Dich nicht verrückt. Ich geh´ schon.“, versuchte Balder seine Frau zu<br />

trösten.<br />

„Jaja, ist gut.“, antwortete Corinna trotzig und aß verbittert weiter. Sie ärgerte<br />

sich, da sie in letzter Zeit nie ihre Familie für sich hatte. Immer war etwas.<br />

Zuletzt der Riesen-Streit mit der Schwiegermutter. Diese war zu Besuch und<br />

hatte überall zu nörgeln. Corinna platzte bald.<br />

Theo öffnete die Haustür. Er sah Holzmann überrascht an. Er dachte ans<br />

Essen.<br />

„Du hier? Was fehlt Dir? Ich, bin gerade beim Essen.“, sagte Theo.<br />

„Oh, das tut mir Leid. Ich kann auch gehen, wenn Du willst. Aber...eigentlich<br />

dauert es auch nicht lange.“, erwiderte Rainer entschuldigend. Er hätte nicht<br />

kommen dürfen. Zu spät!<br />

„Macht nichts.“, sagte Balder nahm einen Schuh von der Kommode der<br />

Garderobe und klemmte ihn in die angelehnte Haustür. Als er heraustrat, sah<br />

er Holzmann abwartend an.<br />

„Und? Was gibt’s?“, fragte er leicht ungeduldig. Sein Essen wurde kalt und er<br />

hatte Feierabend!<br />

Holzmann konnte seine Verunsicherung nicht verbergen. Er traute sich einen<br />

kurzen Moment nicht, etwas zu sagen. Als Theo aber mit den Fingern<br />

ungeduldig am Rahmen klopfte, entschloss sich Rainer, die Gelegenheit<br />

wahrzunehmen. Aber wo sollte er anfangen?<br />

„Es geht um jemand, den Du heute eingebuchtet hast.“, sagte er schließlich<br />

zaghaft.<br />

„Ja und? Du...Hör´ mal, wenn Du nicht sagst, was Du willst, verstehe ich<br />

nicht, warum Du hier bist. Also sag´ mir was Du willst, Holzmann. Ich geh´<br />

sonst rein, ja?“, forderte Balder Holzmann zum Reden auf. Holzmann schien<br />

zu überlegen, atmete schnell aus und fing an.<br />

„Sabrina Seiler. Du hast sie heute Nachmittag im Schlosshof vorläufig<br />

festgenommen wegen tätlichem Angriffs und Hausfriedensbruch und<br />

vielleicht auch wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Ich wollte<br />

Dich fragen, ob der Kunze deswegen eine Anzeige erstatten will.“, leierte<br />

Holzmann hastig hinunter.<br />

„Kann ich Dir nicht sagen. Ich bin nicht Kunze.“


„Kannst Du da nichts machen? Die Frau hat im Moment genug Sorgen. Ihr<br />

Chef ist ein Arschloch und sie ist ausgeflippt, weil er sie hinausgeworfen hat.“,<br />

erklärte Holzmann.<br />

„Warum interessiert Dich das denn so?“, fragte Balder neugierig.<br />

„Naja...Sie ist meine Freundin.“, gab Holzmann zu verstehen.<br />

„Achsoooo... Na dann...Okay, Holzmann. Jetzt im Ernst: Du weißt, dass ich<br />

bloß ein Streifenbulle bin. Ich kann da gar nichts machen, wegen der<br />

Rangelei. Aber wegen Kunze kann ich Dir den Rat geben, zu Kunze zu<br />

gehen.“, riet Balder Holzmann.<br />

„Aber Du kennst ihn, bist sein Kollege. Kannst Du nicht mit ihm reden?“, bat<br />

Holzmann nun.<br />

„Das, mein Freund, musst Du selbst machen.“<br />

Holzmann sah Balder eine Weile an und nickte mit dem Kopf.<br />

„Hast ja Recht, Balder. Sorry für die Störung.“, entschuldigte sich Holzmann<br />

nochmals und wandte sich um, um zu gehen.<br />

„Willst Du die Telefonnummer vom Kunze nicht haben? Ich dachte Du<br />

kennst ihn nicht.“, rief Balder hinterher. Holzmann drehte sich auf dem<br />

Absatz um, und wandte sich wieder Balder zu.<br />

„Das wäre nett. Kann ich sie haben?“, fragte Rainer.<br />

Balder fiel etwas ein.<br />

„Warte mal.“, sagte er und ging in das Haus zurück. Nach einer kurzen Weile<br />

kam er mit einem Schnurlostelefon zurück. Seine Frau blickte ihm finster<br />

nach. Er sollte endlich essen!<br />

„Ich wähle, Du sprichst.“ sagte Balder, als er zurück war und wählte eine<br />

Nummer. Nachdem Balder sich das Telefon ans Ohr hielt und kurz wartete,<br />

begrüßte er den Teilnehmer am anderen Ende.<br />

„Hey Kunze, wie geht’s Deinem Auge.“<br />

„Wie soll es einem anschwellenden Auge schon gehen, Du Depp.“, ärgerte<br />

sich Kunze.<br />

„Hier ist jemand, der Dich sprechen will. Es geht um Miss Rabiat.“<br />

„Ach ja? Wer will denn mit mir reden?“, fragte Kunze überrascht.<br />

Balder reichte Holzmann das Telefon und ging hinein ins Haus.<br />

„Wenn Du fertig bist, leg´ das Telefon auf den Schuhschrank und mach´ die<br />

Tür zu, okay?“, wies Balder jetzt Rainer an und lehnte die Tür wieder an.<br />

Endlich konnte er weiter essen!


„Hallo Herr Kunze. Mein Name ist Rainer Holzmann, ich bin bei der<br />

Kriminalinspektion 2 in der PD. Ich bin Peter Lischner unterstellt.“, stellte sich<br />

Rainer vor.<br />

„Ja, Euch kenne ich. Ihr habt ja am Güterbahnhof gut aufgeräumt. Aber, ich<br />

glaube eine Kollegin hat es erwischt, stimmt´s? Das tut mir leid.“, sagte Kunze.<br />

Eine kurze Pause entstand.<br />

„Was wollen Sie denn von mir?“, fragte Kunze dann.<br />

„Also....Ähm... Hören Sie, diese Sabrina Seiler -die Ihnen das Veilchen verpasst<br />

hat, nun ja...- Sie ist meine Freundin. Sie hat im Moment große<br />

Schwierigkeiten. Sie konnte damit nicht adäquat umgehen. Sie ist ein wenig<br />

impulsiv “, erklärte Rainer seinem Kollegen.<br />

„Ja, das habe ich gemerkt. Die hat einen ordentlichen Bums...Ich hoffe, dass<br />

Sie es nie abkriegen!“ Kunze schien gereizt zu sein. Holzmann überlegte, was<br />

er sagen sollte.<br />

„Ich, äh, ich wollte Sie bitten, meine Entschuldigung stellvertretend für sie<br />

anzunehmen und von einer Anzeige abzusehen...Bitte.“, versuchte Rainer<br />

Kunze zu überzeugen.<br />

„Wie stellen Sie sich das vor? Die haut mir aufs Maul und ich soll nichts<br />

unternehmen?“<br />

Kunze zeigte seine Empörung deutlich.<br />

„Wie ich schon sagte: Es tut mir Leid, was geschehen ist. Wissen Sie, ich war<br />

heute bei Seiler. Sie versteht nach all dem Schock inzwischen auch, dass es<br />

falsch war, Sie anzugreifen. Sie bereut es sehr. Ich denke, dass Sie jetzt ein bis<br />

zwei Tage in der Zelle verbringt, wird ihr sehr viel bringen.“, wollte Rainer<br />

Sabrina´s Lage erläutern.<br />

„Also ich weiß nicht. Wir sind in einem Rechtsstaat. Jeder, der was falsches<br />

tut, gehört bestraft. Für was sind wir denn Polizisten?“, antwortete Kunze<br />

trotzig aber auch nachdenklich.<br />

„Ja ich weiß Aber Sie wissen auch, dass man manchmal nicht zwischen Recht<br />

und Unrecht unterscheiden kann. Aber man ist doch im Grunde nicht<br />

bösartig, wenn man einmal etwas ausrastet.“, versuchte Rainer seinen<br />

Kollegen zu beschwichtigen. Der ging nicht darauf ein.<br />

„Also, ich weiß nicht. Sie wollen jetzt von mir wirklich, dass ich nichts tue,<br />

und auch keine Anzeige erstatte, sehe ich das richtig? Ja?“<br />

„Im Grunde: Ja.“, antwortete Rainer.


-52-<br />

Sonntag, 20.15 Uhr, Weststadt...<br />

Rainer hatte Glück gehabt. Gerade fuhr er zu Sabrinas Wohnung zurück und<br />

dachte an das Gespräch mit Kunze zurück. Kunze ließ sich letztendlich<br />

überzeugen und versprach, den noch ausstehenden Bericht nicht mit dem


Detail zu füllen, durch den herauskam, dass es eine Tätlichkeit gab. Und da<br />

diese Einsatzberichte das einzige sind, worauf sich Anklagen überhaupt<br />

stützen konnten, war es nun praktisch so, als sei nie etwas geschehen. Und<br />

Theo Balder war raus aus der Sache, da die Tätlichkeit nicht ihn, sondern nur<br />

Kunze betraf.<br />

Rainer musste aber im Gegenzug Kunze versprechen, Sabrina noch einmal ins<br />

Gebet zu nehmen und ihm einen Gefallen zu tun. Den Gefallen jedoch würde<br />

er ihm bei Gelegenheit erläutern. Damit war die Sache wohl aus der Welt.<br />

Rainer stellte den Wagen in der Garage ab und ging in die Wohnung. Er legte<br />

die Jacke ab und setzte sich vor den Fernseher. Rainer fühlte sich geschafft<br />

und versuchte, sich mit seinem Hund zu trösten.<br />

Mike, der ihn in letzter nicht sonderlich lange belästigen durfte, tobte sich<br />

richtig aus. Holzmann war das heute egal. Irgendwie war es heute anders als<br />

sonst. Der Hund war immer ein Kumpel gewesen. Und jetzt, da Sabrina nicht<br />

da ist, wurde er zum Freund, zum guten Freund. Rainer begriff gerade das<br />

allererste Mal, dass er seit langem wieder jemand vermissen konnte und<br />

durfte.<br />

Gleichzeitig, Hotel Schlosshof..<br />

Marcel lief durch die Empfangshalle, und überlegte was er tun sollte.<br />

Nachdem die Polizisten weg waren, und Sabrina mitnahmen, musste er sich<br />

erst wieder ein wenig sammeln, und hatte dafür eine Weile im<br />

Hotelrestaurant verbracht. Er saß lange da und trank einen sehr starken<br />

Kaffee. Man brachte ihm ein Stück Kuchen zur Stärkung. Es war ein Stück<br />

Bienenstich gewesen. Genauso, wie ihn Burgstädt immer bevorzugte. Marcel<br />

dachte an Burgstädt. Ihm fiel perfiderweise ein, dass er den alten Kerl mochte.<br />

Doch das Ganze war für ihn mehr oder minder so eine Art Kollateralschaden<br />

gewesen. Im Krieg passierte so etwas ständig, wusste der Oberst Leutnant.<br />

Dann musste er daran denken, was ihm sein Gesprächspartner in der Altstadt<br />

aufgetragen hatte. Marcel hatte von heute an genau einen Monat und drei<br />

Tage Zeit, um das ganze Geschäft in die Insolvenz zu führen oder es einfach<br />

an den Unbekannten und seine Firma zu verkaufen. In den Sommerferien<br />

würde das einen Mordsaufschrei geben, schließlich wäre das genau Anfang<br />

August- also genau die Zeit, wo die meisten Gäste zu erwarten waren. Ganz<br />

wohl war ihm bei diesem Gedanken nicht. Er wollte sich schließlich nicht<br />

allzu auffällig und, vor allem, nicht so schnell von dem Laden lösen, obwohl


genau das ja eigentlich sein Ziel war. Die ganze Sache hatte nur einen<br />

einzigen Grund gehabt. Ihm wurde auf einmal klar, um was es ihm bei der<br />

Aktion ging und was ihn letztendlich trieb.<br />

Der Geruch des Geldes.<br />

Marcel entschloss sich, am Empfang nach dem Rechten zu sehen. Er<br />

beauftragte Maria, alle Zimmerbuchungen und die Gastronomie-<br />

Rechnungen der vergangenen Woche auszusuchen und ihm ins Büro liefern<br />

zu lassen. Aber zuvor wollte er nochmals, wie es an jedem Wochenende<br />

üblich war, alle fehlenden Blöcke, Schreibunterlagen und Quittungsbelege<br />

auffüllen, die an der Rezeption gebraucht wurden. Nachdem er fertig war,<br />

begab Marcel sich in sein Büro und schaute sich die Listen an.<br />

Hin und wieder klingelte das Telefon und er wurde gefragt, wenn etwas nicht<br />

entschieden werden konnte, ohne die Einverständnis vom Chef zu holen.<br />

Marcel merkte bei aller Geschäftigkeit der Mitarbeiter nicht, dass er<br />

eigentlich unerwünscht war und sich die meisten aus der Schicht seine<br />

eigentliche Geschäftsführerin im Haus wünschten. Um das ohne<br />

irgendwelche Anzeichen von selbst zu verstehen, hätte es einer anderen<br />

Lebenseinstellung und einen anderen Beruf bedurft als Kasernen-<br />

Kommandeur bei der Bundeswehr.<br />

Draußen klingelte das Telefon. Maria nahm ab. Ein Franzose und seine Frau<br />

wünschten ein Taxi. Sie wohnten in Zimmer 245.<br />

Zehn Minuten später stand ein E-Klasse Kombi vor der Tür. Der junge<br />

dunkelhaarige Fahrer meldete sich an der Rezeption an und ahnte dabei<br />

nicht, dass es nach Birkenau gehen sollte.<br />

Minuten später waren die Fahrgäste eingestiegen und der Fahrer fuhr den<br />

Wagen mit seinen Fahrgästen langsam vom Kies-Parkplatz.<br />

Marcel verließ bald auch das Haus. Ungesehen.<br />

-53-<br />

Sonntag, 23.52 Uhr, Polizei-Direktion, Keller...<br />

Sabrina kauerte stumm auf ihrer Pritsche. Sie sah die Wand an und wirkte<br />

leicht apathisch. Sie dachte immer und immer wieder an die Geschehnisse des<br />

Tages. Gerade war sie aufgewacht, und dachte verbittert über sich selbst<br />

nach.


`Wie konnte ich nur so dumm sein? Ich begreife es einfach nicht. Sabrina, Du<br />

bist so bescheuert!!! Ich hätte nicht so ausflippen dürfen, Mann! Warum hast<br />

Du das gemacht, Du verdammte Kuh?.´<br />

Sie strich sich über ihre Arme und atmete tief aus. Kurz dachte Sabrina<br />

daran, wie schlecht sie nun aussehen mochte. Sie fand diesen Gedanken<br />

schrecklich. Dann legte sie sich wieder hin und versuchte zu schlafen.<br />

Wieviel Uhr es war, wusste sie nicht, Ihre Sachen- und damit auch die<br />

Armbanduhr waren in der Verwahrungsstelle des Reviers. An Ihrer<br />

Müdigkeit schätzend, ahnte sie jedoch, dass es mindestens 23 Uhr durch war.<br />

Sie sah wieder an die Decke.<br />

`Rainer. Ich vermisse Dich....Wo bist Du?´, dachte sie, und schloss die Augen.<br />

Dann schlief sie wieder ein.<br />

...<br />

„Hiermit entlasse ich Sie fristlos. Die Begründung lautet: Ungebührliches<br />

Verhalten, Beleidigung, geschäftsschädigende Tätigkeiten, Verleumdung,<br />

böswilliges Anstacheln des untergebenen Hotelpersonals, und-“, Auersee hob<br />

eine Augenbraue und einen Moment lang glaubte Sabrina, gesehen zu haben,<br />

wie er lächelte.<br />

„...Diebstahl von fünf-tausend-Euro.“<br />

...<br />

Sabrina riss sich im Halbschlaf herum und stöhnte leise auf. dass sie sich fast<br />

ihren Kopf an der Wand stieß, fiel ihr nicht auf.<br />

…<br />

Sabrina wähnte sich in einem schwerelosen Raum, die Stimme von Marcel<br />

von Auersee drang nur noch phasenweise und extrem gedämpft zu ihrem<br />

Verstand hindurch. Langsam lichtete sich das dunkle Wabern. Als wenn man<br />

mit einem Hammer direkt auf die ausgestreckte Hand geschlagen hätte, ließ<br />

Sabrina die Mappe in ihrer Hand fallen, und griff sich Auersees Krawatte.<br />

„Dafür- Arschloch!- Dafür bezahlt ihr noch...“<br />

`Dieser Wichser! Oh, wart´s ab. Mit Dir unterhalte ich mich noch! So leicht<br />

wirst Du mich nicht los! Wir sprechen uns noch, glaube mir..´<br />

...<br />

Sabrina schreckte aus ihrem Schlaf hoch und merkte, dass sie schlecht<br />

geträumt hatte. Irgendwas wegen dem Hotel. Was genau es war, wusste sie<br />

nicht mehr. Sie erinnerte sich nur noch an eines: Blanker Hass.


„Wie langsam geht die Nacht denn noch um, verdammt ?!“, fluchte Sabrina<br />

leise und versuchte wieder zu schlafen.<br />

Zur gleichen Zeit woanders...<br />

„...Oh Gott, ich kann es noch nicht glauben! Mutter ist schon fast einen Tag<br />

tot.“, trauerte Hannah verzweifelt. Sie hoffte Marcel würde Anteil nehmen.<br />

Der saß ihr nur stumm gegenüber und dachte sich seinen Teil.<br />

`Das hat Dich, blöde Fotze, nicht vom Durchforsten des Hauses abgehalten.´<br />

„Meinst Du Holger ist bald da?“, fragte die 48 jährige Frau ihren großen<br />

Bruder.<br />

Marcels Handy klingelte wie auf ein Kommando.<br />

„...Hey Marcel! Ich, äh, wollte nur Bescheid geben, dass ich bald da bin.“,<br />

hörte Marcel seinen Bruder hastig sprechen. Autobahngeräusche machten die<br />

Verständigung schwer. Nach kurzer Zeit legte Marcel wieder auf.<br />

Hannah langweilte Marcel derweil mit ihrem kitschigen Midlife-Crisis-<br />

Gerede.<br />

„...Und deswegen hat er mich dann verlassen. Hast Du´s kapiert?... Marcel?“<br />

Hannah wunderte sich über ihren Bruder. Sie vermutete etwas, und sah ihn<br />

dann gütig an.<br />

„Oooch, Marcel. Du hast die Mama sehr gemocht, ich weiß. Aber ich bin ja<br />

bei Dir...!“<br />

`Wenn Du nicht die Schnauze hältst, stecke ich Dir den Schürhaken in den<br />

Rachen. Einen Scheiß weißt Du!´ dachte Marcel über seine Schwester. Die sah<br />

ihn nur dümmlich an.<br />

-54-<br />

Montag, 11.31 Uhr, Polizei-Direktion, Großraumbüro..<br />

Holzmann saß wieder einmal an seinem Schreibtisch und sah sich<br />

verschiedene Akten an. Er wollte bei den, nicht abgeschlossenen Fällen<br />

nochmal alles durchgehen, um vielleicht auf eine neue Idee zu kommen, wie<br />

er weiter vorgehen sollte. Plötzlich rief ihn eine bekannte Stimme.<br />

„Holzmann, kommen Sie in mein Büro. Jetzt gleich!“


Als hätte Rainer es geahnt, sprach er den letzten Satz tonlos auf den Lippen<br />

nach, und stand auf. Er schlenderte zur Bürotür seines Chef und fragte sich<br />

unweigerlich, was er nun wieder angestellt haben soll. Der Chef hatte zwar<br />

keine neue Rüge auf Lager. Aber ein deutlicher Schlag ging auf Rainer nieder.<br />

„Als hätte ich es geahnt: Holzmann, sie haben bald erhebliche<br />

Schwierigkeiten. Mit mir hat das nichts zu tun, aber jemand Wichtiges<br />

möchte seine Landtagswahl nicht gestört sehen und das Innenministerium<br />

weiß Bescheid über die Sache am Güterbahnhof. Jemand hat eine Freundin<br />

ihres Singvogels umgebracht. Man hat sie gestern in einer Kompost-Tonne,<br />

fein säuberlich filetiert, aufgefunden. Der Kopf war nicht mehr da, aber dafür<br />

war die Hände noch dabei.“ Lischner klang erstaunlich ruhig, für das, was er<br />

Holzmann gerade mitteilte. Holzmann blieb geschäftsmäßig gelassen. Als aber<br />

Lischners Worte richtig in Holzmanns Kopf ankamen, zuckte er zusammen<br />

und sank danach zurück in den Stuhl. Für eine kurze Weile hörte er nichts<br />

mehr. Er versank in einem großen, schwarzen Loch.<br />

„...sollten Sie wirklich aufpassen. Bald kann ich sie nicht mehr schützen,<br />

verstehen Sie das?“<br />

Holzmann sah seinen Chef fragend an.<br />

„Bitte was?“, fragte er Lischner abwesend. Der verstand schnell und stand<br />

nun auf. Lischner ging zur Tür und schloss sie ganz. Dann kam er zum<br />

Schreibtisch zurück und setzte sich kurzerhand auf die Tischplatte vor<br />

Holzmann. Er sah Holzmann prüfend an.<br />

„Holzmann, Sie sind ein guter Junge. Das meine ich ernst! Sie werden mich<br />

das aber nicht nochmal und schon gar nicht in Gegenwart anderer Kollegen<br />

sagen hören! Ich kann sie gut leiden. Deshalb gebe ich Ihnen einen guten Rat:<br />

Lassen Sie den Fall Shkodran ruhen. Ich übergebe ihn an Sylvia Rösch weiter.<br />

Gehen Sie nach Hause bis sich der Staub gelegt hat, klar?“<br />

„Aber...Ich kann doch nichts dafür, wenn jemand Frauen umbringt!“,<br />

rechtfertigte sich Holzmann.<br />

„Ich weiß das und Sie wissen das, aber die vom LKA denken was anderes und<br />

das Innenministerium sowieso. Nach den Landtagswahlen und der<br />

Sicherheitsdebatte, vor allem diesem Integrationskram, lässt sowas die oberen<br />

Herren sensibel reagieren. Und da lässt sich die Schuld schnell auf jemanden<br />

abwälzen. Die Schweine haben Döring hingerichtet und Sie haben einen von<br />

denen abgeknallt. Holzmann, wenn das offiziell wird, können Sie einpacken!


Hauen Sie ab! Kündigen Sie! Hauen Sie Ihren Schreibtisch zu Brei! Offiziell<br />

suspendiere ich Sie. Wenn aber alles vorbei ist, werde ich meinem<br />

Vorgesetzten zureden, Sie wieder zu holen. Ich verspreche Ihnen das.“<br />

„Als ob das klappen würde!“ Holzmann redete so, als ob er dem zustimmte<br />

was Lischner sagte.<br />

„...Moment....Moment mal....Nein! Nein, das mache ich nicht! Vergessen Sie´s.<br />

Und dann habe ich einen Vermerk in der Akte!“ Holzmann begriff langsam<br />

das Ausmaß der Forderung seines Chefs. Warum sollte er für einen Mord<br />

gehen, den er nicht verschuldet hat?<br />

„Mann, Sie Holzkopf! Dass der Typ der Sander den Kuli in den Arm rammt,<br />

dass er dutzende Frauen vergewaltigt, dass er klaut bis zum Erbrechen, dass<br />

er dealt und jeden Chemie-Müll als Droge verkauft, dass ihm Menschen<br />

scheißegal sind, und er vielleicht die arme Rumänin umgebracht hat, und<br />

dass er nach einem gepflegten Massaker seelenruhig mit Ihnen und diesem<br />

Schwachkopf Brandl im Verhör-Zimmer sitzt und einen auf unschuldig<br />

macht, ist zu viel für einen Typen wie Sie, der gerade eine Kollegin verloren<br />

hat, der bei einer Razzia einen Verdächtigen um mäht wie Schlachtvieh ...<br />

Und der seine Freundin nicht unter Kontrolle hat.“<br />

„Nein!“ Holzmann entschied sich, sich zu wehren. Gegen seinen Chef<br />

rechnete er sich Chancen aus. Lischner war kein Haudegen. Der würde schon<br />

weich werden.<br />

Oder auch nicht.<br />

Lischner lief rot an und atmete durch wie eine Dampflokomotive der<br />

Reichsbahn. Er packte Holzmann mit seinen Holzfällerhänden am Kragen,<br />

dass fast die Nähte platzten. Lischners Gesicht war so nah an Rainers Gesicht,<br />

dass dieser die braunen kleinen Sprenkel in den blau-grauen Pupillen<br />

erkennen konnte. Schöner Anblick. Nicht lange zu genießen, Bei einem 118<br />

Kilo-Mann schon gar nicht! Lischner hatte eine Statur wie ein Ringer. Nicht<br />

speckig, sondern muskulös hart. Und das in seinem Alter!<br />

„...Sie packen ihre Scheiß-Sachen, Junge- Dann machen Sie die Fliege und<br />

kommen dieser Dienststelle und auch den Streifenwagen draußen nicht in die<br />

Quere. Wenn ich Ihnen sage, dass ich Sie zurückhole, meine ich das!<br />

Verstanden?“, knurrte Lischner gepresst durch seine makellos weißen Zähne.<br />

Die Tonlage machte Holzmann Angst. Er war viel gewohnt von seinem Chef,<br />

aber das nicht. Rainer musste zugeben, dass er das erste Mal Schiss vor


seinem Boss hatte und kapitulierte. Lischner ließ ihn los, und sah ihn fragend<br />

an. Der dämonische Blick zuvor, wich einem väterlich warmen, und die<br />

Stimme war wieder auf Sanft eingestellt. Genauso schnell wie Lischner<br />

explodiert war, schien er sich wieder gefangen zu haben.<br />

„Machen Sie sich keine Gedanken. Wir kriegen das hin. Legen Sie mir Ihre<br />

Dienstwaffe hin. Die Wagenschlüssel können Sie in die Schublade an Ihrem<br />

Schreibtisch legen.“<br />

Holzmann beschloss, einzulenken.<br />

„Okay, Ich werde gehen. Aber los sind Sie mich nicht!“, sagte Rainer kleinlaut<br />

und legte seine Dienstwaffe auf den Tisch, nachdem er das Magazin entfernte<br />

und die letzte Patrone aus dem Auswurf schnappen ließ.<br />

„Guter Junge! Also, ab nach Hause.“<br />

„Ihr Jahresurlaub gilt ab..“ Lischner sah auf seine Armbanduhr<br />

„...Jetzt! Schöne Ferien.“ Lischner stand auf und begab sich wieder auf „seine<br />

Seite“. Als wäre Holzmann schon weg, holte Lischner eine Bild-Zeitung und<br />

eine gute alte Brot-Dose aus der Schublade hervor. Rainer konnte durch die<br />

durchsichtige Dose einen halben Fisch, Zwiebelringe und mehrere Scheiben<br />

Vollkornbrot erkennen. Lischner sah auf.<br />

„War noch was?“ fragte er unbeteiligt.<br />

„Äh...Nein....Danke, Chef.“ Holzmann rappelte sich hoch und ging zur Tür.<br />

„Rainer! Halten Sie sich fern, klar?“ erinnerte Lischner seinen, soeben<br />

Beurlaubten eindringlich. Rainer konnte sich dies nun ganz leicht merken-<br />

Nach der Ansprache vorhin!<br />

An seinem Platz, dachte er nach über die alten Zeiten.<br />

Mann, wie lange er schon hier war! Das Leben zog an ihm vorbei und nichts<br />

hatte er richtig mitbekommen. Er hatte ja auch nie Zeit gehabt!<br />

`Scheiß Leben!´, dachte er sich bitter und packte seine Sachen gemütlich ein.<br />

Was sollte er jetzt tun? Was anderes außer Polizei konnte er nicht. Was<br />

könnte er arbeiten?<br />

Kaufhausdetektiv? Wichtigtuer. Kassierer? Langweilig. Personenschützer?<br />

Schlechte Referenzen. Im Moment jedenfalls. Andererseits...<br />

`Ach, da muss ich meinen Dienstherren auch die Schuhe ablecken....´, dachte<br />

sich Rainer.<br />

Holzmann musste zum ersten Mal mit der Bahn nach Hause fahren.


Ob ihn jemand kontrollierte? Er hatte keine Lust gehabt, sich ein Ticket für<br />

zwei Haltestellen zu holen. Das war ihm entschieden zu blöd! Ihm fiel auf,<br />

dass er zwar die Wagenschlüssel und die Kanone abgeben musste, aber der<br />

Lischner schlicht vergessen hatte ihm die Marke und den Ausweis<br />

abzunehmen.<br />

`Juhu, ich erschleiche mir eine Bahnfahrt!´, dachte Holzmann sarkastisch und<br />

grinste schief. Zuhause angekommen musste er seinen Hund abwehren, um<br />

seine Ruhe zu haben. Rainer setzte sich ans Fenster und sah auf die Straße, die<br />

unten entlang führte. Es war heute ein schöner Tag! Zu schön für Rainer und<br />

die Vorkommnisse die letzte Zeit.<br />

Warum musste das alles passieren?<br />

Warum musste Shkodran das arme Mädchen umbringen?<br />

Warum musste er, Rainer, Shkodran so unüberlegt bedrängen, dass Shkodran<br />

sich jetzt legal auf Bedrohung und Seelenqualen berufen konnte? Das<br />

Schwein hatte das System begriffen!<br />

-55-<br />

Montag, <strong>12</strong>.00 Uhr, Innenstadt...<br />

Martin Jakobi machte die Akte fertig und bereitete ein Schreiben vor, das<br />

noch am gleichen Tag verschickt werden sollte. Inhalt des Schreibens war,<br />

dass man bei der Autopsie der alten Dame mit Namen von Auersee die<br />

Todesursache auf den vorläufigen Punkt beschränken konnte: Es musste eine<br />

chlorhaltige Vergiftung gewesen sein. Daraus folgerte er, die Staatsanwälte<br />

sollten den Fall in die Hände nehmen. Was die daraus machen, interessierte


ihn nicht. Er benachrichtigte nur die Fachstelle. Jakobi nahm das Telefon in<br />

die Hand und wählte eine Nummer.<br />

Büchner ließ das Gespräch nochmals auf sich wirken: von Auersee: tot, ihr<br />

Angestellter: tot... komische Sache....Büchner wischte den Gedanken wieder<br />

fort. Alles Zufall, beide waren alt! Laut würde er das natürlich nicht sagen,<br />

das ist klar! Aber der Rechtsmediziner hat ihm ja schon einen Grund geliefert,<br />

woanders zu bohren. Jetzt musste der Sanitär-Betrieb gefunden werden der<br />

das Schwimmbad in der Villa gebaut hat. Zuerst gab er aber den Auftrag, ein<br />

Schreiben an die Hinterbliebenen aufzusetzen, mit dem die Bestattung ab<br />

sofort geregelt werden kann.<br />

Gleichzeitig woanders...<br />

Sabrina war, wie erwartet nach Hause geschickt worden.<br />

Holzmann kam extra dafür zurück in die Direktion um sie abzuholen. Sein<br />

Chef sollte ihn jedoch unter keinen Umständen sehen.<br />

Rainer machte sich Sorgen. Sein Kollege Balder und dieser Kunze hatten sich<br />

nicht mehr gemeldet. Einige Tage später kam dann aber ein Brief der<br />

Staatsanwaltschaft und Sabrina zitterte nochmals wegen des Inhaltes.<br />

Der Inhalt las sich sehr trocken:<br />

„...Die Beschuldigte wird wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte<br />

nach §113 STGB zu einer Geldstrafe verurteilt.<br />

Es wird nach §21 STGB auf eine verminderte Schuldfähigkeit erkannt, hierzu<br />

findet auch §49 Anwendung.<br />

Basierend auf §46a Absatz 2 wird ein Täter Opfer Ausgleich angeregt. Die<br />

Verfolgung weiterer Delikte wird gemäß §153 Absatz 1 eingestellt.<br />

Es ergeht hiermit ein Strafbefehl von 60 Tagessätzen zu 133 EUR ...“<br />

-56-<br />

Donnerstag, 14.00 Uhr, Rainer´s Wohnung...<br />

Dreimal überhörte Rainer das Klingeln seines Telefons schon. Heute hatte er<br />

den Schlaf seines Lebens geschlafen. Nachdem er in der Nacht zuvor bei<br />

Sabrina gewesen war und darauf bestand, bei sich zu schlafen- er hatte Mike<br />

als Vorwand benutzt- war er auf die glorreiche Idee gekommen, sich zu<br />

betrinken. Nach der zweiten Flasche Bier gab er sein Unterfangen jedoch


wieder auf. Er vertrug schlicht nicht soviel, wie man gemeinhin bei ihm<br />

vermutet hätte.<br />

Das einzige was das Bier bewirkt hatte, war, dass er wie ein Baby schlief- Bis<br />

eben gerade.<br />

Das Mobilteil in der Hand, tastete er nach dem großen Annahme-Knopf.<br />

„...Mhhh, ja ?“<br />

„Rainer? Hallo? Mann, sag´ doch was?“, rief Sylvia Rösch, seine Kollegin in<br />

den Hörer. Sein Gemurmel hatte sie nicht verstanden. Sie hatte nur gehört wie<br />

jemand das Gespräch annahm und dann nichts mehr. Sie war aufgeregt.<br />

„Ja, Mann....Was´n los? Lasst mich doch in Ruhe, Mensch!“, beschwerte<br />

Rainer sich, noch völlig schlaftrunken.<br />

„Ja, ist ja gut. Jetzt halt die Schnauze und hör´ mir zu!“, forderte Sylvia Rainer<br />

auf. Er wehrte sich nicht, da er sowieso noch am Träumen war<br />

`...Oh Sabrina, Baby. Du siehst heute sehr lecker aus...Komm´ her...´<br />

„...Sie haben ihn heute endgültig eingebuchtet. Der Gerichtstermin steht noch<br />

aus...“<br />

`...Deine Haare. Ich finde Deine Haare so schön...´<br />

„...Jelena Draškovic, genannt Alina. Sie haben Sie identifiziert. Ihre<br />

Unterlagen wurden aus München heute Vormittag eingeschickt... Ein Haar...<br />

Ein einziges Haar!“<br />

Rainer schreckte hoch, als hätte er nie geschlafen.<br />

„Sag´ das nochmal! Sie haben ein Haar von ihr gefunden?“, fragte er<br />

überrascht.<br />

„Ja! Es hatte sich zwischen ihren Halskettchen verfangen.“ Sylvia überschlug<br />

sich regelrecht.<br />

„Sylvia, ganz ruhig....Jetzt beruhige Dich! Wo ist er jetzt?“ Rainer sondierte die<br />

Lage.<br />

„Sie verhören ihn gerade. Einer vom BKA ist auch dabei.“<br />

Rainer dachte nach. BKA? Warum denn die? Brandl war doch vom LKA!<br />

„Alles klar. Danke, dass du mir Bescheid gesagt hast. Ich bin ja nicht mehr so<br />

auf dem Laufenden. Und sonst ist alles klar?“, fragte Rainer unbefangen. In<br />

Rainers Kopf arbeitete es, aber anmerken ließ er es sich nicht. Vielmehr wollte<br />

er Sylvia ein wenig von der Abteilung erzählen lassen. Ganz hatten sie ihn nie<br />

los gehabt. Immer wieder dachte er an die Arbeit. dass er gehen sollte, nahm<br />

er seinem Chef immer noch übel.


...<br />

„...Als hätte ich es geahnt: Holzmann, sie haben bald erhebliche<br />

Schwierigkeiten. Mit mir hat das nichts zu tun, aber jemand Wichtiges<br />

möchte seine Landtagswahl nicht gestört sehen und das Innenministerium<br />

weiß Bescheid über die Sache am Güterbahnhof. Ihr Shkodran hat<br />

wahrscheinlich eine Freundin ihres Singvogels umgebracht. Man hat sie<br />

gestern in einer Kompost-Tonne fein säuberlich filetiert aufgefunden. Der<br />

Kopf war nicht mehr da, aber dafür waren die Hände noch dabei...“<br />

...<br />

-57-<br />

Donnerstag, 21.38 Uhr, Schloss-Wolfsbrunnen-Weg....<br />

Hannah hatte für ihre Brüder gekocht. Sie gab sich Mühe mit dem Fisch, den<br />

sie zubereitet hatte. Hannah hatte mehrere Regenbogenforellen gedünstet und<br />

eine leckere Soße dazu gekocht. Am Schluss hatte sie das ganze mit feinen<br />

Folienkartoffeln und viel frischem Gemüse serviert. Sie ging davon aus, dass<br />

es ihrem Brüdern geschmeckt haben musste.


Als sie alle fertig waren, hatte Hannah den Tisch abgeräumt und die drei<br />

gingen ins Wohnzimmer um bei Kaminfeuer und dem guten Cognac das<br />

weitere Vorgehen zu besprechen.<br />

„ Also, wie ich schon sagte: Ich kann Dir da nicht helfen. Ich habe einen<br />

Haufen um die Ohren und das Hotel steht nicht sehr weit oben auf meiner<br />

Prioritätenliste“, sagte Hannah.<br />

„Das habe ich erwartet aber es ist nicht schlimm.“ Marcel versuchte besorgt<br />

und verständnisvoll zu klingen. Seine Geschwister durften ihm nicht<br />

anmerken, dass er genau darauf spekulierte! Auch sein Bruder lehnte<br />

erwartungsgemäß ab. Marcel wurde aber ermahnt „im Sinne der Familie“ zu<br />

entscheiden.<br />

„Unsere Mutter würde nicht wollen, dass unserem Hotel etwas geschieht“,<br />

betonte Holger.<br />

„Ja, das weiß ich doch auch.“ entgegnete Marcel beruhigend.<br />

„Also der Notar hat jetzt alles fertig für die Überschreibung, ja?“, fragte<br />

Hannah nun.<br />

„Jaja. Die Papiere sind fertig und das Haus ist jetzt auf mich geschrieben,<br />

gemäß dem Testament von Mutter. Ihr wisst ja: '...in diesem Falle soll der<br />

Besitz, namentlich das Hotel samt Personal und Liegenschaften auf<br />

denjenigen über gehen, der sich bereit erklärt, das Haus zu führen und zu<br />

bestellen....' So war das doch, oder?“, fragte Marcel in die Runde.<br />

„Du hast vollkommen Recht, Bruderherz.“, pflichtete ihm Hannah bei.<br />

„Ich finde es großartig, dass Du das übernimmst. Danke.“, sprach sie weiter.<br />

Marcel dachte, während er zuhörte daran, wie das mit dem Verkauf laufen<br />

sollte. Er musste sich wirklich etwas Gutes einfallen lassen, damit ihm seine<br />

Geschwister abnahmen, dass er unbedingt verkaufen musste. Die Milton<br />

Leute gaben sich mit halben Sachen garantiert nicht zufrieden! Jetzt hieß es<br />

nur noch: Warten. Warten auf den Tag X.<br />

„Du Marcel, was hältst Du davon, wenn wir zum Bestatter gehen und<br />

nochmal darüber sprechen, ob es nicht schöner wäre eine Inschriftenplatte<br />

aus Platin auf den Marmor setzen zu lassen? Das wäre schön und bestimmt<br />

einzigartig“, fragte Hannah ihren Bruder.<br />

„Das wäre eine Überlegung wert.“ antwortete Marcel. Er war mit seinen<br />

Gedanken ganz woanders.


Wenig später klingelte sein Handy. Er verabschiedete sich von seinen<br />

Geschwistern und ging in sein Schlafzimmer im 2. Stock der großen Villa.<br />

„Wie sieht´s aus?“ fragte die Stimme.<br />

„Der Laden gehört offiziell mir.“ antwortete Marcel ruhig.<br />

„Gut. Weiter so. Alles, wie vereinbart.“ sagte die Stimme und legte auf.<br />

Marcel nervte langsam dieses mysteriöse Getue. Er wollte diese Leute endlich<br />

loswerden. Nach dem Gespräch rasierte er sich im Badezimmer, das zwischen<br />

seinem Schlafzimmer und seinem Wohnbereich auf der anderen Seite des<br />

Korridors gelegen war und ging ins Bett. Sein nächster Wegpunkt war auch<br />

schon vorbereitet. Er freute sich auf das zu erwartende Ergebnis seiner<br />

Aktionen.<br />

Gleichzeitig woanders...<br />

Der Regen nieselte an die Fenster der Wohnung. Den Fernseher hatte Sabrina<br />

abgestellt, nachdem sie für sich nichts passendes zum anschauen fand. Sie<br />

entschloss sich, Rainer anzurufen.<br />

„ Der Teilnehmer ist im Moment nicht erreichbar, wird aber über Ihren<br />

Anruf per SMS informiert.“, hörte sie, statt eines Freizeichens. Genervt legte<br />

sie auf und entschloss sich, trotz Regen, eine kleine Runde um das Haus<br />

spazieren zu gehen.<br />

Sabrina schloss die Haustür und ging los. Als sie ein paar Schritte vom Haus<br />

entfernt war, bemerkte sie Schritte hinter sich und wurde unruhig. Sie<br />

schnappte nach Luft und begann zu rennen.<br />

Sie wurde verfolgt!<br />

„Wer ist das?“, wimmerte sie erstickt und wurde panisch.<br />

Ein Hund bellte irgendwo.<br />

Sabrina suchte verzweifelt nach einem Versteck. Sie bemerkte auch nicht,<br />

dass sie ihr Handy verlor.<br />

Sie lief immer schneller bis sie fast rannte.<br />

Das Atmen durch die Maske war hinter ihr nicht mehr zu überhören.<br />

Sabrina hatte Angst.<br />

...<br />

Ein fernes Telefonklingeln...<br />

...<br />

„... Sabrina …?“ fragt die Stimme.<br />

...


Schweres Atmen wie durch eine Maske...<br />

...<br />

Aufgelegt.<br />

-58-<br />

Donnerstag, 21.53 Uhr, Rainers Wohnung....<br />

Rainer war gerade mit Mike, seinem Hund spazieren gewesen und hatte,<br />

zurück in der Wohnung festgestellt, dass Sabrina ihn angerufen hatte. Er<br />

musste kurzzeitig in einem Funkloch gewesen sein. Das Telefon meldete eine<br />

Kurznachricht, und dessen Eintreffen hatte er nicht gehört. Er fragte sich, was


sie wohl wollte und beschloss, sie zurück zu rufen. Als es klingelte und<br />

jemand abhob, wartete er nicht und meldete sich gleich.<br />

„Sabrina?“<br />

Plötzlich wurde wieder aufgelegt.<br />

Rainer wunderte sich darüber und begann, sich zu ärgern.<br />

`Dann kann mich das Fräulein´, dachte er wütend und gab auf. Er hasste es,<br />

für dumm verkauft zu werden, und gerade jetzt konnte er so etwas wirklich<br />

nicht gebrauchen.<br />

Rainer wandte sich seinem Hund zu und stellte eine frische Schale Wasser für<br />

Mike hin. Danach gab er sich dem Fernsehprogramm hin und schlief wenig<br />

Zeit später ein. Der heutige Tag war nicht ereignisreich, dafür aber<br />

erkenntnisreich gewesen und das machte ihn schläfrig.<br />

Gleichzeitig woanders...<br />

Sabrina saß in ihrer Küche und zitterte am ganzen Körper. Die Heizung in der<br />

Wohnung hatte sie trotz sommerlicher Abend-Temperaturen voll aufgedreht. Sie<br />

dachte nach. Hatte sie Ronny nicht gesagt, dass er sie in Ruhe lassen sollte? Sie fragte<br />

sich, ob er es wirklich gewesen sein konnte. Wenn ja, wäre sie sehr überrascht<br />

gewesen. So kannte sie ihren Ex-Freund bisher nicht. Sie war verunsichert. Sie ließ<br />

alles nochmals Revue passieren. Währenddessen goss sie sich einen Kräutertee aus<br />

dem Beutel ein und ging den Vorfall minutiös durch. Dann erstarrte sie wie eine<br />

Statue. Sie ließ fast die Tasse fallen und es fiel ihr etwas ein, was sie vorher nicht<br />

beachtet hatte.<br />

`Die waren zu Zweit!´<br />

Sabrina konnte sich nicht vorstellen, wer das gewesen sein könnte. Sie war<br />

nur froh, dass sie diese Kerle abschütteln konnte. Dann fiel ihr Rainer ein.<br />

Sabrina wurde böse. Er hatte sie nicht zurückgerufen! Sie wollte wissen<br />

warum. Sie stand auf, um zu ihrer Garderobe zu gehen. Dort griff sie aus<br />

Gewohnheit in die Jackentasche und wunderte sich, warum das Handy nicht<br />

in der Tasche war. Sie musste es verloren haben.<br />

„Verdammter Mist!“, fluchte sie. Warum Rainer nicht anrief, konnte sie nicht<br />

mehr herausfinden, und die einzige Möglichkeit, ihn zu erreichen, war die<br />

Nummer, die im Handy gespeichert war. Wie auch alle anderen Nummern,<br />

die sie brauchte. Sie kam sich bescheuert vor.<br />

`Toll. Alle Nummern im Handy und keine Ersatznotizen. Ich bin doch eine<br />

blöde Kuh´, dachte sie verärgert. Jetzt musste sie den Sperrnotruf erreichen


um wenigstens die SIM-Karte abstellen zu lassen. Dafür brauchte sie aber<br />

noch die ganzen Unterlagen, weil die PUK-Nummer notwendig war. Sie<br />

suchte alles zusammen und rief beim Sperrnotruf an.<br />

Währenddessen unten auf der Straße..<br />

Er konnte sich das Grinsen wieder nicht verkneifen.<br />

„Herrgott! Marc, was ist denn jetzt schon wieder? Wir haben sie das Dritte<br />

Mal verpasst. Der Boss macht uns alle, wenn er das hört.“, beschwerte sich der<br />

andere.<br />

„Na und? Diese kleine Schlampe will ich gar nicht auf die Schnelle kriegen.<br />

Beim Ficken - Das wäre es!“, antwortete der Mann, der Marc hieß<br />

„Du bist wohl bescheuert. Wir haben einen Auftrag. Und wenn der nicht<br />

ausgeführt wird, gibt´s keine Kohle. Was glaubst du, warum ich den Scheiß<br />

hier mitmache, Mann?“<br />

„Ja, ist ja gut. Komm´ wieder runter, die kriegen wir noch, keine Sorge... Aber<br />

ihre Titten sehen schon geil aus oder?“, beschwichtigte Marc den anderen.<br />

Der andere Mann rollte die Augen und wandte sich zum Wagen um, in den<br />

sie dann einstiegen.<br />

Wie auf ein Stichwort klingelte das Handy im Wagen. Marc ging ran.<br />

„Wie ist es gelaufen? Hat sie Schiss gehabt?“, wollte der Anrufer wissen.<br />

„Ja. Sehr sogar. Die hat gehechelt wie ein Köter.“<br />

„Ist sie tot?“, fragte der Anrufer.<br />

„Nein. Aber wir haben ihr Handy. Jetzt können wir aufräumen.“ kam die<br />

Antwort prompt.<br />

„WAS? ... Was macht ihr kleinen Arschlöcher eigentlich da draußen? Muss<br />

ich das jetzt selbst in die Hand nehmen, oder was? Wagt es ja nicht, mir unter<br />

die Augen zu treten. Sonst seid ihr dran!!!“<br />

Der Mann hatte aufgelegt.<br />

„Klasse. Jetzt ist der Chef sauer und nur, weil du deinen Spaß mit der Maske<br />

haben wolltest und nicht gleich nach diesem Miststück gegriffen hast. Danke,<br />

du Penner!“<br />

Der Mann ärgerte sich über die Dummheit, die seinen Kollegen ergriffen<br />

haben musste.<br />

„Die kriegen wir noch. Keine Sorge.“, antwortete Marc und dachte wieder an<br />

Sabrina´s Brüste.


-59-<br />

Freitag, 20.30 Uhr, irgendwo in Heidelberg...<br />

Ein Telefongespräch.<br />

„Ja?“<br />

„Mein Name ist unwichtig. Aber ich glaube ich kann Ihnen bei etwas helfen.“<br />

„Wer sind Sie?“


„Wie ich schon sagte: Mein Name ist unwichtig. Aber Sie kommen nicht an<br />

Ihr Ziel, so wie es aussieht, und da will ich Ihnen helfen.“<br />

„Wie könnte diese Hilfe denn aussehen?“<br />

„Eine blonde Frau auf Reisen schicken, zum Beispiel. Das alte Reisebüro<br />

verlegt ihre Buchung ständig. Sie verstehen?“<br />

„Bleiben Sie dran.“<br />

Stille...<br />

„Hallo, hören Sie? Heute Abend am Köpfel. Die Parkbank in der Kurve.<br />

Okay?“<br />

„Wann genau?“<br />

„Das werden Sie mir sagen. Meine Nummer haben Sie ja schon.“<br />

„Geht klar.“<br />

Etwas später woanders...<br />

„Das wird mir langsam zu blöd mit denen!“, beschwerte sich der dicke Mann<br />

und hielt sein Whiskey-Glas schwenkend in der Hand, dass man das Eis darin<br />

klirren hörte.<br />

„Wenn Sie nicht mehr wollen, brechen wir ab. Aber da ist dieser Typ noch.<br />

Was machen wir mit dem?“<br />

„Wir werden ihn sprechen müssen. Rufen Sie ihn in 2 Stunden an und sagen<br />

Sie ihm, er soll sich bereit machen und heute Abend zum Köpfel kommen. Die<br />

Uhrzeit erfährt er noch.“<br />

Der andere Mann begriff schnell.<br />

„Und Sie meinen, der Anrufer...?“<br />

„...könnte uns nützlich sein - Richtig.“<br />

„Okay.“<br />

„Dann ist ja gut.“, antwortete der Dicke und leerte seinen Whiskey mit einem<br />

Zug.<br />

-60-<br />

Freitag, 22.36 Uhr, Köpfelweg....<br />

Der schwarze Golf hielt vor dem Taxi und eine Frau stieg aus. Sie ging auf das<br />

Auto zu und der Fahrer stieg aus. Dann unterhielten sie sich eine Weile.<br />

Schließlich stiegen sie hinten in das Taxi...


„Hier geht nichts mehr.“, stellte er fest<br />

„Das sehe ich auch, Vollidiot!“ Der Dicke war sauer.<br />

„Was jetzt?“, fragte der Mann seinen Chef. Beide Männer standen am<br />

Weidezaun des Klosters Stift Neuburg ganz in der Nähe der beiden Autos.<br />

„Wir warten weiter oben am Schwimmbad. Lass uns gehen!“, befahl der<br />

Dicke.<br />

Die beiden Männer stiegen in ihren Wagen und fuhren an den zwei anderen<br />

geparkten Wagen vorbei. Das Paar war nicht mehr zu sehen. Aber<br />

ausgestiegen waren sie nicht.<br />

Am Gebäude des Köpfel-Schwimmbads angekommen, beobachteten die zwei<br />

Männer die Umgebung, konnten aber nicht feststellen, dass jemand anwesend<br />

wäre. Wie sie sich irrten, bemerkten sie erst als die hintere Tür des Wagens<br />

geöffnet wurde und ein Mann mit einer tief ins Gesicht gezogenen<br />

Baseballmütze einstieg.<br />

„Guten Abend die Herren. Ich entschuldige mich dafür, dass ich nicht dort<br />

war, wo es vereinbart war. Aber ich mag es nicht wenn zu viel Publikum<br />

zusieht, wenn ich mich treffe. Die zwei Turteltäubchen in dem Kombi waren<br />

schon genug Aufsehen für meinen Geschmack.“<br />

Der Dicke versuchte sich umzudrehen, um den Mann anzusehen. Sofort<br />

spürte er einen festen Griff an seinem Hals, genauer, an der Schlagader und<br />

zuckte zusammen.<br />

„Sie lassen das besser. Wissen Sie, dieser Griff könnte damit enden, dass sie<br />

„Alle meine Entchen“ singend an einer Schnabeltasse nuckeln und die<br />

Krankenschwester mit Mama ansprechen.“<br />

Der Dicke nickte hektisch und drehte sich sofort wieder um.<br />

„So ist es recht, Fettbacke. So, und jetzt kommen wir ins Geschäft- das heißt,<br />

Sie kommen Ihrem Ziel etwas näher, vorausgesetzt, was ich Ihnen vorschlage,<br />

passt Ihnen und Ihr Entgegenkommen reicht mir aus. Haben Sie mich<br />

verstanden?“<br />

Beide Männer nickten einmütig. Sie sahen dabei aus wie zwei Jugendliche, die<br />

beim Wichsen erwischt wurden und sich jetzt schämten, auch nur ein Wort<br />

zu sagen.<br />

„Okay, dann sage ich Ihnen jetzt was ich mir vorstelle. Es waren einmal zwei<br />

Idioten, die einem Oberidioten gehorchten. Der eine Idiot verstand schnell,<br />

dass der andere Idiot seine Zukunft gefährdet. Dann war er kein Idiot mehr.


Er ging zum dicken König- zumindest nannte sich der fette Mann so- und bot<br />

ihm untertänigst seine Dienste an, die Prinzessin aus der Welt zu schaffen.<br />

Fast wie bei Schneewittchen; Nur das hier die geile Königin ein fetter alter<br />

Typ ist. Der Mann, der kein Idiot mehr war, wusste was er zu tun hatte, und<br />

wusste auch seinen Wert dafür. Er bot dem fetten König an eine Million<br />

Golddukaten zu zahlen, damit der Mann der kein Idiot mehr war, das<br />

Geschäft erledigen konnte. Der fette König ließ ihn gewähren und erreichte<br />

sein Ziel. Die kleine Schlampe wurde in den Wald gebracht und getötet und<br />

der Mann der kein Idiot mehr war, lebte hinter den sieben Bergen glücklich<br />

und zufrieden und mit den Golddukaten reich wie eh und je bis an sein<br />

Lebensende.“<br />

Kurz machte der Mann mit der Kappe eine Pause.<br />

„Ich will eine Million Euro und dieses Miststück macht Ihnen keinen Ärger<br />

mehr.“<br />

Der dicke Mann sah seinen Partner an.<br />

„Sehen Sie mich nicht so an. Sie wollen das Geschäft so schnell abwickeln,<br />

nicht ich. Also ich würde ja sagen.“, antwortete der andere Mann und fragte<br />

sich dabei, wer dieser unverschämte Kerl war, dass er so gut Bescheid wusste,<br />

und vor allem, wie er die Sache herum bringen wollte, hatte er selbst doch die<br />

Mittel für die Geschichte besorgt.<br />

Der Dicke dachte nach. Nach einer Weile atmete er hörbar aus und gab seine<br />

Entscheidung bekannt.<br />

„Okay. Wie wollen Sie´s anstellen?“<br />

„Das, mein lieber fetter Freund, lassen Sie meine Sorge sein. Einen schönen<br />

Abend noch.“, sagte der Mann mit der Kappe und verließ den Wagen genauso<br />

schnell, wie er eingestiegen war.<br />

-61-<br />

Samstag, 13.11 Uhr, Schloss-Wolfsbrunnenweg....<br />

Marcel saß mit Hannah und seinem Bruder zu Tisch. Während sie aßen,<br />

dachte er über die Neuigkeiten nach, die ihm dieser Milton-Typ am Handy<br />

erzählt hatte. Da war wohl einer gut informiert gewesen und bot ihnen seine


Dienste an. Was Marcel aber richtiggehend nervte war die Tatsache, dass er<br />

die Million auftreiben sollte, von der die Rede gewesen war.<br />

„So.... Der Bestatter hat sich doch gemeldet bei dir richtig?“, erkundigte sich<br />

Hannah bei Holger.<br />

„Ja. Gestern. Er hat gesagt, dass die Beerdigung am Dienstag stattfinden kann.<br />

Wir müssen jetzt nur noch den Leuten Bescheid sagen, die wir zu den<br />

Trauerfeierlichkeiten einladen wollen. Der Sarg ist fertig, Mama wird mit den<br />

Sachen, die wir am Montag hinbringen, fertiggemacht und die Kapelle ist<br />

dann auch fertig.“<br />

„Das ist gut. Marcel, Hast Du schon die Musik ausgesucht, die bei der<br />

Zeremonie gespielt wird?“, wollte Hannah von ihrem Bruder wissen.<br />

„Ja, das habe ich. Den Wagner-scheiß hat sie doch gerne gehört oder?“, sagte<br />

er unbedacht.<br />

„Marcel! Mal halblang Bruder!“, ermahnte ihn Holger.<br />

„Entschuldigt. Mir geht das alles sehr nahe. Ich bin am Ende“, log Marcel.<br />

Er wollte um jeden Preis einer Diskussion aus dem Weg gehen.<br />

„Ich verstehe.“, sagte sein Bruder verständnisvoll.<br />

„So dann lass uns mal schauen, wem wir Bescheid geben müssen. Das werden<br />

aber viele Menschen sein.“, bemerkte Hannah leicht besorgt, wie sie das alles<br />

bewältigen sollten.<br />

Gleichzeitig woanders....<br />

Rainer sah Sabrina bedrückt an. Ihm tat es sehr Leid, dass Sabrina ihn nicht<br />

erreichen konnte. Immerhin hatte er versucht zurückzurufen !<br />

„Das war doch sicher wieder dieser Ronny.“<br />

„Ich weiß nicht... Die waren zu zweit, Rainer.“, bedachte Sabrina in Gedanken<br />

versunken.<br />

„Der Ganze Mist hört ja auch überhaupt nicht mehr auf. Die schmeißen mich<br />

bei der Polizei raus. Du wirst von deinem Chef gefeuert. Zwei arme Seelen<br />

hocken arbeitslos da. Zum Kotzen ist das!“, ärgerte Rainer sich.<br />

„Und überhaupt: Was soll eine Anzeige denn bringen? Meinst Du, die Polizei<br />

macht irgendwas?“, fragte Sabrina, mehr sich als Rainer.<br />

„Ja, ich weiß: Alles ist sehr dünn und passieren wird ehrlich gesagt nicht viel.<br />

Aber wenigstens wissen die dann Bescheid. Dann wird man Dir schneller<br />

helfen, Sabrina.“ Rainer wollte nichts beschönigen.<br />

„Tolle Aussichten.“, entgegnete sie trocken.


Rainer nahm eine Reihe von der dunklen Schokoladentafel vor ihm. Er biss<br />

hinein und kauend sprach er weiter.<br />

„Weißt Du Sabrina. Auf kurz oder lang passiert deinem ein Fehler und dann<br />

hat man ihn schneller als Du glaubst.“<br />

„Wenn ich abkratze, interessiert das keinen mehr.“, antwortete Sabrina<br />

vorwurfsvoll.<br />

„Sabrina. Bitte hör auf damit. Wäre ich noch drin, würde ich Tod und Teufel<br />

in Bewegung setzen, das weißt Du.“<br />

Sabrina sah Rainer liebevoll an.<br />

„Ich weiß.“<br />

Sabrina und Rainer standen auf um die Spülmaschine mit dem<br />

Mittagsgeschirr zu beladen. Kurz sah Rainer zu Sabrina auf und wandte sich<br />

ihr zu. Sie sahen sich an und küssten sich. Rainer umarmte Sabrina fest und<br />

schmiegte sie an sich.<br />

„Wenn ich rausbekomme was da los ist.“, sprach Rainer seine Gedanken aus.<br />

„Die Typen findest du bestimmt auch nicht.“ Sabrina dachte wieder an die<br />

zwei dunkeln Gestalten, die sie verfolgt hatten.<br />

„Nein ich meine bei uns. Die wollen mich am Arsch kriegen. Aber warum?“<br />

„Achso.“ antwortete Sabrina trotzig. Rainer dachte wieder zu viel an sich,<br />

dachte sie sich im Stillen. Im Grunde glichen sie sich wohl.<br />

Als Sabrina und Rainer alles aufgeräumt hatten, entschieden sie sich, zur<br />

Neckarwiese zu fahren und dort mit Mike einen Spaziergang zu machen.<br />

Blätter rauschten im lauen Wind und viele Menschen versammelten sich auf<br />

der großen Wiese um beisammen zu sein, zu spielen, zu lesen oder was auch<br />

immer man faul tun konnte, an einem so schönen und warmen Tag wie<br />

heute.<br />

-62-<br />

Dienstag, 09.30 Uhr, Bergfriedhof....<br />

Schwere Limousinen reihten sich aneinander auf dem Parkplatz vor dem Tor<br />

zum Friedhof. Etliche Adlige aus ganz Deutschland versammelten sich um<br />

Elisabeth von Auersee das letzte Geleit zu geben.<br />

Als besonders auffällig erwies sich dabei eine Wagenkolonne, bestehend aus<br />

drei silbernen S-Klassen mit Panzerglas, verdunkelten Seitenscheiben und


schusssicheren Reifen- Einer davon mit Stuttgarter Nummer, die beiden<br />

anderen mit Karlsruher Behörden-Kennzeichen. Das Auffälligste waren die<br />

Magnetblaulichter auf den Dächern der Wagen. Davor versammelten sich<br />

mehrere Männer mit schwarzen Anzügen und den typischen durchsichtigen<br />

Schlauch-Ohrhörern im Ohr, wie man sie auch beim amerikanischen Secret-<br />

Service sieht. Sie alle umringten drei oder vier Personen, die man nicht<br />

erkennen konnte. Es mussten wichtige Personen aus der Politik gewesen sein.<br />

In den nächsten Tagen sollte man in der Zeitung lesen, der<br />

Generalbundesanwalt, Wolfgang Schäuble der Finanzminister und natürlich<br />

als Hausherr im Ländle, Winfried Kretschmann, sollen für die Feierlichkeiten<br />

extra angereist sein.<br />

Die Polizei war ebenfalls anwesend, hielt sich aber pietätvoll zurück.<br />

Einzig ein Streifenwagen stand sichtbar vor dem Grabsteingeschäft auf der<br />

anderen Seite der breiten Straße.<br />

Der Trauergottesdienst wurde in der Kapelle abgehalten und der Pfarrer hielt<br />

eine Trauerrede.<br />

„Trauer kommt. Trauer geht. Aber was bleibt ist die Erinnerung. Erinnerung...<br />

Lassen Sie uns einen Augenblick nachdenken. Was bedeutet Erinnerung?<br />

Erinnerung- Das sind schöne Zeiten. Erinnerung- Das sind traurige Zeiten.<br />

Erinnerung- Das ist die Erfüllung- Nein, genauer, das Andenken an einen<br />

Menschen, den wir- manche über Jahre, manche über Jahrzehnte- lieb<br />

gewonnen haben. Erinnerung ist das Wiedererleben von Stunden, die wir<br />

gemeinsam mit einem Menschen verbracht haben, den wir liebgewonnen<br />

haben. Erinnerung- Das ist das Weiterführen eines Gedanken, den dieser<br />

Mensch in sich trug. Erinnerung ist Kontinuität im Bestreben, das Erreichte zu<br />

erhalten und das Erträumte im Namen des Verblichenen, weiterzuführen.<br />

Wir alle, die diesen Menschen, Elisabeth von Auersee kannten, wissenmanche<br />

mehr, manche weniger- was diesen Menschen trug, was ihn<br />

bewegte, was sie dachte und fühlte. Wir wissen, was dieser Mensch vollbracht<br />

hat, und wir wissen, von was er träumte. Lassen Sie uns diese Träume im<br />

Namen von Elisabeth von Auersee weiterführen und lassen Sie uns das, was<br />

sie nicht erreichen konnte, vollbringen. In unserer Trauerarbeit leisten wir<br />

damit einen ehrenvollen Teil, Elisabeth von Auersee zu ehren, zu lieben und<br />

zu verabschieden. Elisabeth von Auersee wird uns beistehen, bei allem, was<br />

wir tun. Sie wird uns als Erinnerung beibehalten sein. Der Gedanke an sie


wird uns stark machen für die Zukunft und wird uns trösten für die<br />

schmerzliche Vergangenheit, ja, den Gedanken an ihren trauervollen Verlust.<br />

Wenn wir an sie denken, wird sie in unseren Gedanken fruchtbar fortwirken.<br />

Die Erinnerung wird uns tragen, bis auch wir einmal am Scheideweg des<br />

Lebens angekommen sind und den Stab des Strebens weiterreichen. Elisabeth<br />

von Auersee ist in unserem Geiste nicht verstorben. Sie lebt fort und wird<br />

trotz des schmerzlichen Verlustes mit allem, was sie bewirkte einen Anteil<br />

haben an dem was wir waren und was wir sein werden in den nächsten<br />

Tagen, in den nächsten Wochen, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten.<br />

Lassen Sie uns beten.“<br />

Der Pfarrer schwieg andächtig und faltete dann die Hände. Er sah zu Boden<br />

und alle anderen in der Kapelle taten es ihm gleich.<br />

Nach dem Gottesdienst trugen die Angestellten der Friedhofsverwaltung den<br />

Sarg mit der Verstorbenen aus dem Gebäude zum Grabplatz und ließen sie<br />

mit zwei dicken Trossen in die Erde hinab. Die Trauergäste nahmen fast jeder<br />

die Schippe, die in einem Kübel voll Sand steckte und ließen den Sand in das<br />

Grab rieseln. Manche beteten dabei und manche nahmen eine Rose aus dem<br />

Korb, der gleich nebenan stand, um diese dann in das Grab zu werfen. Im<br />

Stillen verabschiedete man sich und der Friedhof wurde wieder sich selbst<br />

überlassen. Nur die Angestellten des Friedhofsamtes räumten nach der<br />

Zeremonie alles fort, was mit der Beerdigung zu tun hatte. Hannah, Marcel,<br />

Holger und die anderen Gäste verabschiedeten sich voneinander und ein Teil<br />

fuhr in Kolonne zur Villa der von Auersees um dort den Leichenschmaus<br />

abzuhalten und den Tag ausklingen zu lassen.<br />

-63-<br />

Mittwoch, 13.10 Uhr, Altstadt....<br />

Sabrina war immer noch böse auf ihren Chef. Sie war nun fast zwei Wochen<br />

ohne Arbeit und wusste noch immer nicht recht, warum Marcel sie so schnell<br />

und unbedingt los werden wollte. Rainer war nicht bei ihr. Auch er hatte mit<br />

seiner Situation zu kämpfen. Seit Sonntag Mittag hatten die beiden sich nicht<br />

mehr gesehen, und heute war Sabrina das erste Mal alleine und auch ohne


irgendeine Nachricht von ihm. Sie wollte sich nicht aufdrängen und im<br />

Stillen akzeptierte sie, dass Rainer auch mal, ohne sich zu melden, seinen Tag<br />

verbringen wollen könnte. Sie beließ es dabei und entschied sich, ihn nicht zu<br />

stören. Was er gerade tat wusste sie nicht, und heute war es ihr fast egal. Sie<br />

wollte mal für sich sein.<br />

Sabrina entschloss sich, in die Altstadt zu gehen und ein wenig in der<br />

Hauptstraße, der Fußgängerzone Heidelbergs spazieren zu gehen. Sie genoss<br />

die warmen Sonnenstrahlen und schaute sich die Waren in den<br />

Schaufenstern an. Da es sehr warm war, hatten die Leute auf den Straßen<br />

sommerliche Kleidung an. Männer in T-Shirts, Frauen in Kleidern und Mini´s<br />

waren zu beobachten.<br />

Sabrina dachte nach.<br />

`Verdammt nochmal. Was mach´ ich mit dem Penner? Eigentlich würde ich<br />

ja am liebsten dem den Schädel einschlagen. Aber Rainer hat Recht. Ich sollte<br />

mich zurückhalten. Vielleicht...´<br />

Sabrina blieb stehen und sah in den strahlend blauen Himmel.<br />

Sie nahm ihr neues Handy aus der Handtasche. Sie hatte es kurz nach der<br />

nächtlichen Verfolgungsjagd gekauft um nicht ohne dazustehen. Ihre neue<br />

Nummer musste sie wohl oder übel einigen Leuten schicken. Sabrina wählte<br />

eine Nummer. Keiner hob ab.<br />

„Mist.“, sagte sie sich laut. Sie konnte Marcel nicht erreichen. Sie wollte sich<br />

entschuldigen für das, was sie gemacht hatte.<br />

`Was soll´s´, dachte sie sich.<br />

Sabrina saß später im Auto und konnte immer noch nicht von dem Gedanken<br />

lassen, Marcel zu sprechen. Sie hatte sich entschlossen, nach St.Leon-Rot zu<br />

fahren, wo der Golf-Club war, bei dem Marcel Mitglied war. Sie wollte hin<br />

und ihre Sturheit sprach dafür, dass es unbedingt jetzt sein musste.<br />

Wenig später...<br />

Sabrina stellte den M 3 auf dem Parkplatz ab, stieg aus und sah sich um. Sie<br />

entdeckte den Jaguar und ging zum Tor des Golf-Clubs. Gerade als sie<br />

hineingehen wollte, wurde sie von hinten angesprochen.<br />

„ Was willst Du hier?“, fragte jemand barsch.<br />

Sabrina wandte sich um und erblickte Marcel mit den üblichen Sportsachen<br />

zum Golfen. Sie war verlegen geworden, fasste aber den Mut und begann zu<br />

reden.


„Sind wir doch wieder per Du? Marcel, ich wollte mich entschuldigen, für<br />

das, was ich im Hotel gemacht habe.“, sagte Sabrina zögerlich.<br />

„Na und? Interessiert mich einen Scheiß. Verzieh´ dich besser, sonst rufe ich<br />

die Polizei“, begegnete ihr Marcel kühl. Sabrina bewegte die bohrende Frage<br />

immer mehr.<br />

„Marcel. Warum?“, fragte sie.<br />

„Der Rausschmiss? Sieh Dich doch an! Was Du gemacht hast, spricht doch<br />

dafür, meinst Du nicht?“, erahnte Marcel was Sabrina meinen konnte.<br />

„Ja, aber Marcel. Jetzt sag doch...“, fragte Sabrina und wurde wieder<br />

unterbrochen.<br />

„Sabrina, zum letzten Mal: Verpiss´ Dich! Ich habe Dir nichts zu sagen,<br />

Verstanden?“, schnaubte Marcel.<br />

Sabrina verstand. Sie drehte sich wortlos um und ging.<br />

Am Wagen angekommen, blieb sie stehen und dachte lange nach....<br />

Marcel ging durch das Tor und meisterte heute ein überraschend gutes Spiel.<br />

Er hatte eine gute Laune. Sabrina hatte er längst vergessen.<br />

Radiomitschnitt...<br />

„SWR Nachrichten. „Heute Nachmittag ereignete sich ein schwerer Unfall<br />

auf der B3 zwischen der Ausfahrt Leimen Süd und Leimen Nord.<br />

Aus noch ungeklärter Ursache prallte ein Jaguar auf das Stauende, das sich<br />

zu dem Zeitpunkt dort gebildet hatte.<br />

Der Fahrer des Unfallwagens wurde schwer verletzt in die Orthopädie<br />

eingeliefert Laut Polizeiangaben schwebt der Mann nicht in Lebensgefahr.<br />

Der Zustand wurde aber mit schwierig angegeben.<br />

Die Fahrerin des anderen Wagens kam mit einem Schleudertrauma ebenfalls<br />

ins Krankenhaus. Ihr soll es nach Angaben der Ärzte jedoch den Umständen<br />

entsprechend gut gehen.<br />

Die Unfallstelle war bis 19 Uhr beidseitig gesperrt.<br />

Es kam zu erheblichen Behinderungen. Der Sachschaden soll sich auf über<br />

40.000 EUR belaufen. Bettina Kotsana, SWR-Nachrichten Studio Heidelberg.“


-64-<br />

Mittwoch, 14.02 Uhr, Rainers Wohnung....<br />

Mike wedelte aufgeregt mit dem Schwanz. Gerade hatte Rainer angekündigt,<br />

mit ihm etwas spazieren zu gehen. Rainer zog sich seine Sportschuhe an und<br />

nahm die Leine von der Garderobe. Er dachte an Sabrina.<br />

`Was sie wohl gerade macht? Naja. Ich verstehe das alles nicht mehr....<br />

Warum flippt sie eigentlich immer so aus?´<br />

Dann klingelte das Telefon.


„Holzmann...“, sagte Rainer, nachdem er das Gespräch annahm.<br />

„Holzmann, kommen Sie sofort auf die Direktion! Man will sie hier<br />

sprechen.“, wurde ihm bedeutet. Es war sein Noch-Chef Lischner. Er klang<br />

fast so, als kenne er Rainer gar nicht. Aber Rainer wiederum war einiges<br />

gewohnt von ihm. Deshalb fragte Rainer gar nicht nach dem Grund und<br />

vertröstete Mike auf ein anderes Mal. Den Pflichtausgang mit dem Hund<br />

hatte er zum Glück schon vor einer Stunde gemacht. Rainer war gespannt,<br />

was sein Chef von ihm wollte. Er zog sich schnell an und fuhr aufs Revier.<br />

Wenig später...<br />

„Ich will, dass dieser Kerl aus dem Polizeidienst endgültig entfernt wird!“ Der<br />

stellvertretende Polizei-Präsident war sauer.<br />

„Ich kann das verstehen. Aber Sie wissen selbst, dass wir um eine Anhörung<br />

nicht herum kommen.“, entgegnete Lischner seinem Dienstherrn.<br />

„Ja, in Gottes Namen!“, antwortete Lischners Chef gelangweilt.<br />

An der Tür klopfte es.<br />

„Herein“, sagte der Polizei-Präsident und Rainer kam ins<br />

Besprechungszimmer, wo sie sonst immer die Einsatzbesprechungen<br />

abhielten.<br />

„Ah, da sind Sie ja. So, dann kann es ja losgehen.“, kündigte der Polizei-Chef<br />

an.<br />

Rainer sah in die Runde und erkannte Lischner, seinen Chef; den<br />

stellvertretenden Polizei-Präsidenten, den Chef der Einsatzführungsgruppe ,<br />

Staatsanwalt Brucker und eine Sekretärin aus dem Innendienst. Brandl war<br />

auch wieder dabei, außerdem noch ein Mann, den Rainer nicht kannte. Später<br />

erfuhr er, dass es einer aus dem Innenministerium war.<br />

„Herr Holzmann. Wie Sie wissen haben wir die Ermittlungen verfolgt und das<br />

unrühmliche Ende des Herrn Driton Ahmeti in der Nachtbar und durch ihr<br />

-gelinde gesagt- bescheuertes Vorgehen, unsere Polizistin Ulrike Döring<br />

sterben sehen dürfen. Durch diese Aktionen haben sie unser Ermittlungsziel<br />

massiv gestört. Wir nehmen dies zum Anlass, ihre Zusammenarbeit in Zweifel<br />

zu ziehen. Deswegen sind wir heute hier.“ begann der Polizeichef an zu<br />

sprechen.<br />

Der Fremde aus dem Innenministerium sah Rainer kalt an.


„...Und deshalb werden Sie in den nächsten Tagen offiziell zu einem Termin<br />

geladen werden. Betrachten Sie dieses Gespräch heute als Vorbereitung.<br />

Sehen Sie es mal so: Sie wären dann bestens vorbereitet.“<br />

Der Mann sah Rainer immer noch kalt an, versuchte aber eine Grimasse zu<br />

schneiden, die Rainer wohl als Lächeln deuten sollte. Rainer ließ sich dadurch<br />

nicht im geringsten verunsichern.<br />

„Tja dann kann ich ja wohl gehen...oder?“, fragte Rainer in die Runde.<br />

„Sie bleiben!“, befahl der Polizeipräsident.<br />

„Aber, ähm.... Was soll ich denn machen? Das ist nicht die Anhörung und...“,<br />

versuchte Rainer zu erkunden, was von ihm verlangt wurde.<br />

„Wissen Sie, Holzmann. Sie gehen einigen mächtig auf die Nerven mit ihrem<br />

Getue und vor allem ihren Untersuchungen, bei denen Sie einige Leute<br />

mächtig anpissen.“, setzte der Staatssekretär an. Die anwesende Schreibkraft<br />

störte den Mann nicht im Geringsten. „...Andererseits poltern Sie los, wie ein<br />

Verhaltensgestörter und ballern in einem Club herum wie in einem<br />

Hollywood-Streifen. Sie sind hier nicht bei den „Bad Boys“ !"<br />

Der Mann holte tief Luft und sprach sofort weiter.<br />

„Andererseits...man könnte fast meinen, Sie bellen so dermaßen laut, dass es<br />

gar nicht überhört werden kann... Wissen Sie- Da könnte eine gewisse<br />

Absicht dahinterstecken. Ich meine...“ Der Mann beendete seine Ausführung<br />

mit Absicht nicht, und Rainer erkannte, dass der Mann die Kunstpause nutzen<br />

wollte, um Rainers Reaktion zu testen. Rainer ließ sich nicht provozieren und<br />

antwortete wieder sachlich und ruhig.<br />

„Ich mache meine Arbeit! So, wie Sie ihre!“ Rainer dachte nach.<br />

„Hören Sie! Was wollen Sie eigentlich?“, Rainer sah den Innen-Mann in die<br />

Augen ohne zurück zu weichen oder weg zu blicken.<br />

Der Mann sah Sekundenbruchteile erst zu Boden und dann zu Rainer. Rainer<br />

schaute ihn fragend an.<br />

„Sie machen hier zu viel Wind und erreichen fast gar nichts...“ Der Mann war<br />

offensichtlich wütend.<br />

„Ich werde mir nicht in meine Arbeit reinreden lassen. Ich verhalte mich<br />

nach Vorschrift. Und wenn ich was falsch gemacht habe, wird das durch die<br />

Anhörung geregelt werden, oder?“.<br />

Rainer war selbstbewusst genug um seine Ausführungen so deutlich auf die<br />

Zuhörer auf diese Weise einwirken zu lassen.


„Sie werden von dem Fall Ilir Shkodran abgezogen und bleiben von dieser<br />

Direktion fern. Dies ist ein Befehl!“, entgegnete der Polizeichef ungerührt.<br />

„Holzmann. Sie werden sehen, wie weit sie damit kommen.“ drohte jetzt der<br />

Innenstaatssekretär.<br />

Holzmann sah in die Runde. Entweder würde er jetzt ausfällig werden oder<br />

irgendeiner würde den Innen-Mann zur Ruhe mahnen.<br />

„Gehen Sie jetzt!“, mahnte sein Chef.<br />

Holzmann musste nichts mehr sagen. Er ging.<br />

Währenddessen woanders...<br />

„Ja, ich denke er wird es überleben.“ Der Arzt sagte das so behutsam wie<br />

möglich. Sein Patient hatte dennoch schwere Verletzungen davon getragen<br />

und es fiel Doktor Paschke sichtlich schwer, Zuversicht zu zeigen.<br />

„Und Sie meinen, er kommt ohne größere Schäden davon, ja?“, fragte Hannah<br />

besorgt.<br />

„Das kommt darauf an ob die Genesung planmäßig verlaufen wird. Im<br />

Moment sieht es gut aus- den Umständen entsprechend.“<br />

Der Arzt sah Hannah etwas zerknirscht an.<br />

Es ist auf jeden Fall besser wir belassen ihn im künstlichen Koma, damit er<br />

sich wieder regenerieren kann.“<br />

Hannah konnte ihre Gefühle nur schwer unterdrücken und sah auf die Tür,<br />

hinter der ihr Bruder Marcel, angeschlossen an ein EKG und ein<br />

Beatmungsgerät, lag.<br />

„Ich ...soll wohl nach Hause, habe ich Recht ?“ fragte sie.<br />

„Das ist unter den gegebenen Umständen das Beste. Ich werde Sie aber<br />

unterrichten, sobald sich etwas tut, Frau von Auersee.“<br />

Hannah fuhr in Gedanken an Marcel zum Haus ihrer Mutter, wo ihr Bruder<br />

sie schon erwartete. Er hatte die Stellung gehalten während sie weg war und<br />

wollte nun wissen, was los ist.<br />

„Wie sieht es aus Hannah?“<br />

„Nicht gut. Der Arzt sagt, dass sie im Moment nicht viel tun können, außer zu<br />

warten.“<br />

Holger sah seine Schwester aus besorgten Augen an.<br />

„Aha.“ erwiderte er tonlos.


Hannah sah sich gezwungen, ihre Zeit mit ihrer aktuellen Arbeit zu<br />

verbringen. Ihr Bruder ebenso. Beide saßen im Wohnzimmer über ihre<br />

jeweiligen Unterlagen gebeugt und lasen Texte, während jeder für sich an<br />

Marcel denken musste. Es war ein Gefühl der Hilflosigkeit ausgebrochen und<br />

es ärgerte beide zugleich.<br />

Alles schien sich im Moment gegen die Familie zu wenden. Die Mutter tot, der<br />

Bruder verunglückt, das Hotel vor dem Beinahe-Aus.<br />

-65-<br />

Freitag, 08.00 Uhr, Orthopädie Heidelberg....<br />

Schwester Daniela beugte sich über Marcel. Wie jeden zweiten Tag kam sie<br />

zu ihm, und wusch mit einem Lappen und etwas Wasser, so gut sie konnte,<br />

die aufliegenden Hautstellen. Dabei bewegte sie Marcel vorsichtig umher<br />

damit er immer wieder etwas anders liegen musste.


Sie sprach aus Gewohnheit immer wieder mit dem stummen Patienten.<br />

„Na? Ich hoffe mal Sie haben gut geschlafen, Herr von Auersee.“<br />

Auersee rührte sich nicht.<br />

„Das tut gut oder ? Ist bei dem Wetter sicher eine Erfrischung. So, jetzt das<br />

andere Bein.... Tja das wärs dann für heute!“ Daniela lächelte Auersee an,<br />

obwohl dieser wegen seiner geschlossenen Augen gar nichts mitbekommen<br />

konnte.<br />

„Ich komme später wieder. Bis dann.“ Schwester Daniela verabschiedete sich<br />

mit einem Streicheln über den Kopf Auersees und verließ das Zimmer.<br />

Das einzige, noch im Raum hörbare, waren die schlürfenden Geräusche des<br />

Beatmungsgerätes und das Piepen des EKG.<br />

Auf dem Flur ging sie an einem Arzt vorbei, der an der Wand lehnte und eine<br />

Krankenakte in den Händen haltend studierte. Sie ging vorbei an ihm und<br />

zum Stationszimmer, wo sie den Tablettenbehälter, den die Nachtschicht für<br />

einen anderen Patienten vorbereitet hatte, suchte, um ihn zu seinem<br />

Bestimmungsort zu bringen. Der Arzt war inzwischen wieder verschwunden.<br />

Etwas später tauchte ein Mann auf und suchte das Stationszimmer. Er sagte<br />

dem dortigen Personal, er müsse einen Fahrgast abholen. Schwester Daniela<br />

räumte gerade den jetzt leeren Tablettenbehälter weg und wandte sich an den<br />

Taxifahrer. Dann suchte sie den grünen Transportschein heraus, der zum<br />

Patienten gehörte. Sie unterschrieb ihn und stempelte ihn ab. Danach kreuzte<br />

sie noch das freie Feld unter dem Wort „Station“ an und gab den Schein dem<br />

Taxi-Fahrer.<br />

„Ich hole den Patienten ab. Warten Sie bitte kurz ja?“ sagte sie und<br />

verschwand einen Augenblick später.<br />

Der Taxifahrer sah auf die ganzen Bildschirme am Schreibtisch und verfolgte<br />

interessiert die angezeigten Sinuskurven. Sie zeigten den Status der<br />

dazugehörigen Patienten an und bewegten sich rhythmisch auf und ab.<br />

Eine Frau tauchte in der Tür auf. Sie fragte den Taxifahrer ob sie hier richtig<br />

sei auf der Intensiv 2.<br />

„Jaja, das stimmt. Das ist hier.“ antwortete er.<br />

Schwester Daniela tauchte auf und sagte dem Patienten, den sie mitbrachte,<br />

dass er jetzt mit dem Taxifahrer mitgehen könne. Beide, der Fahrer und der<br />

Patient verabschiedeten sich und ging langsam den Flur entlang zum<br />

Fahrstuhl.


„Entschuldigen Sie. Das hier ist die Intensiv 2. Ich suche den Patienten<br />

Auersee. Kann ich ihn sehen?“ fragte die Frau.<br />

„Darf ich fragen wer Sie sind. Ich darf nämlich keine Auskünfte an Dritte<br />

weitergeben, verstehen sie?“, entgegnete Schwester Daniela freundlich.<br />

„Oh ja. Sicher!“ antwortete die Frau und lächelte.<br />

„Ich bin eine Angestellte von Auersee.“, erwiderte die Frau.<br />

Daniela blickte sie etwas misstrauisch an.<br />

„Naja..... Okay...aber nur kurz ja?“, rang sie sich durch.<br />

`Was sollte denn schon passieren?´ dachte Schwester Daniela unbekümmert.<br />

Wenig später....<br />

„Ja... Gut... Okay ich kümmere mich darum“, antwortete der Polizist in Zivil<br />

seinem Kollegen.<br />

Zuvor waren sie bei einer Schwester Daniela in der Orthopädie.<br />

Ein Alarm auf dem Stationszimmer war losgegangen und zeigte an, das bei<br />

Marcel von Auersee etwas nicht stimmte. Als die Schwester das Zimmer<br />

betrat, war niemand außer Auersee im Bett zu sehen... die Schläuche vom<br />

Beatmungsgerät sahen wie immer aus und waren ordentlich befestigt am<br />

Gerät und am Patienten. Die Schwester bemerkte ein Loch im Schlauch, der in<br />

das Mundstück mündete. Dieses Loch hatte eine Funktionsstörung erzeugt,<br />

die das Gerät zu einer Notabschaltung brachte.<br />

Der Polizist in Zivil dachte über das nach was er gerade gehört hatte.<br />

Eine Frau sei bei Auersee gewesen. Mehr wusste die Schwester auch nicht.<br />

`Selten blöd, dass diese Eule nicht nach dem Namen gefragt hat.´, dachte er<br />

etwas wütend.<br />

-66-<br />

Mittwoch, 11.30 Uhr, Amtsgericht Heidelberg....<br />

Das Konferenz-Zimmer war überraschend groß. Rainer saß mit seinem<br />

Anwalt da und sie überlegten gemeinsam, was zu tun sein...<br />

Rainer Holzmann wurde soeben offiziell hinausgeworfen!<br />

Erinnerungen<br />

...


„Reden Sie keinen scheiß! Es ist doch klar, dass Sie einen an der Waffel<br />

haben! Meinen Sie, dass sie hier Rache-Engel spielen können? Das hier ist<br />

kein Ghetto. Wir sind in Heidelberg, verdammt nochmal!“<br />

Der Ankläger war stinksauer !<br />

„Glauben Sie ja nicht, dass hier die Bronx ist! Das ist kein Privat-Spielplatz<br />

für einen durchgedrehten Polizisten!“<br />

Die aufgerissenen Augen des Anklägers durchbohrten Rainer förmlich.<br />

„Ich..ähm..“ Rainer wollte etwas sagen.<br />

„Sie halten den Mund! Ich bin nicht fertig!“<br />

Becker, der Anwalt sah hilfesuchend zum Richter. Der blickte den Ankläger<br />

beschwichtigend an, ehe dieser sich stumm sammelte und nun etwas ruhiger<br />

mit seinen Vorwürfen fortfuhr.<br />

„Die ganze Ermittlungstaktik die Sie angewendet haben, fußt auf keinerlei<br />

Basis. Sie haben gegen hunderte Vorschriften und Ermittlungsrichtlinien des<br />

Präsidiums Heidelberg, des Landes Baden-Württemberg und schließlich den<br />

Bundesgesetzen verstoßen!“<br />

Der Ankläger nippte an einem Glas Wasser und stand auf. Er ging um seinen<br />

Tisch herum und entschied sich, direkt auf Rainer zuzugehen. Er steckte die<br />

linke Hand in die Hosentasche und setzte ein triumphierendes fast<br />

höhnisches wirkendes Lächeln auf.<br />

„Sie sind am Arsch!“ sagte er nur kurz .<br />

Wenig sprach im Moment für Rainer und sein Anwalt. Becker versuchte mit<br />

allen Mitteln etwas an dieser Tatsache zu ändern. Dann zogen sich die<br />

Anwälte mit dem Richter zurück. Wenig später verkündete der Richter seine<br />

Entscheidung.<br />

...<br />

-67-<br />

Mittwoch, <strong>12</strong>.30 Uhr, Polizei-Revier Mitte, Kriminalpolizei....<br />

„Ich komme einfach nicht weiter.“ Der Polizist war ratlos. Er hatte nur das<br />

defekte Beatmungsgerät und eine mögliche Täterin. Auch der Kripo-Beamte<br />

wusste nicht weiter.<br />

Der Staatsanwalt sah den Kripo-Beamten an.


„Ich kann da nichts mehr tun. Das reicht nicht für weitere Ermittlungen.<br />

Mehr kann ich nicht erlauben. Stellen Sie das Verfahren vorläufig ein. Wenn<br />

sich etwas neues ergibt, können Sie mir Bescheid sagen.“<br />

Der Kripo-Beamte sah den Staatsanwalt an.<br />

„Danke. Sie haben mir sehr geholfen. Ich werde den Vermerk machen und<br />

das Ding zu den Akten legen.“<br />

Es war furchtbar zu wissen, dass jemand versucht hatte Marcel von Auersee<br />

umzubringen, wenigstens ihm zu schaden. Der Polizist trug schwer an diesem<br />

Gedanken.<br />

`So musste es ja kommen!´, dachte er.<br />

Er schrieb letzte Notizen auf ein Blatt und heftete dieses ab. Den Ordner<br />

verstaute er im Schrank und bereitete eine Verbringungsnotiz für das<br />

Kriminalarchiv vor. In routinemäßigen Abständen sollte die Akte wieder<br />

hervorgeholt werden und mit eventuellen Neuigkeiten ergänzt werden.<br />

Währenddessen woanders....<br />

„Was haben wir?“, fragte der Dicke.<br />

„Naja. Auersee hat die Urkunde hergebracht und einen Vertrag<br />

unterschrieben. Das müsste so klappen, denke ich.“, antwortete sein Assistent.<br />

„Und meinen Sie das wir das auch ohne ihn hinbekommen können?“<br />

„Ja. Ich glaube schon.“ antwortete der Assistent wieder, doch war ihm<br />

sichtlich unwohl dabei. Er hatte eine Vorahnung, dass das Grundbuchamt<br />

und der Notar etwas dagegen haben könnten, das durchzuwinken ohne den<br />

formellen Erstbesitzer dabei zu haben.<br />

„Wissen Sie: Eine Vollmachterklärung könnte helfen.“, fiel dem Assistenten<br />

ein.<br />

Der Dicke überlegte eine Weile.<br />

Die Zigarre, die er dabei anzündete, knisterte leise und dicke Wolken<br />

durchzogen bald das Büro, in dem die beiden Männer sich befanden.<br />

Der Dicke schüttelte stumm den Kopf.<br />

„Ja aber wenn wir die Urkunde einfach so hinbringen mit dem Kaufvertrag<br />

als Absichtserklärung per se dann können wir nur mit Glück behaupten, er<br />

hätte den Verkauf gewollt, und uns die entsprechende Erklärung damit<br />

abgegeben. Dann müssten wir aber wenigstens die Unterschriften genau<br />

dafür von ihm haben.“


„Das ist einfach. Sie werden zum Grundbuchamt gehen und sich den<br />

Katasterauszug geben lassen. Dann werden wir die Unterschriften daraus<br />

nehmen und erneut benutzen. Sowohl seine, als auch die seiner Mutter.<br />

Vergessen Sie nicht: Ihm gehörte der Laden alleine vor dem Unfall. Und wenn<br />

er tot ist- bald hoffe ich- dann erst sind seine Geschwister am Zug.“<br />

„Das leuchtet ein.“, sagte der Assistent.<br />

Der Assistent stand auf und nahm sein Jackett von der Stuhllehne.<br />

„Ich kümmere mich darum.“<br />

„Sagen Sie mal. Was ist mit der Kleinen?“<br />

„Der Typ hat sich noch nicht gemeldet.“<br />

„Dann müssen wir doch noch etwas warten.“<br />

-68-<br />

Mittwoch, 22.10 Uhr, Sabrinas Wohnung....<br />

Eine Woche schon !<br />

`Dieser Mistkerl !´, dachte Sabrina.


Rainer hatte sich immer noch nicht gemeldet, und Sabrina vermied es bisher,<br />

ihn anzurufen. Sie ärgerte sich über Rainer und vermisste ihn gleichzeitig so<br />

sehr, dass sie es nicht mehr aushielt. Sie musste ihn endlich sprechen !<br />

Sabrina ging in ihre Küche. Sie überlegte hin und her. Was sollte sie tun? Ihn<br />

anrufen wollte sie zwar, aber sie wollte nicht wieder den Fehler machen, ihn<br />

anzugreifen, nur weil er sich nicht meldete. Dazu hatte sie kein Recht!<br />

Andererseits war sie sauer, weil er ihr nicht den Beistand leistete, den sie sich<br />

wünschte! Sie wischte alles beiseite und rief ihn an.<br />

Es klingelte 6 Mal. Sabrina überlegte aufzulegen. Dann plötzlich hörte sie<br />

seine Stimme.<br />

„Ja?“ Rainer klang müde.<br />

„Rainer ich bin es.“, Sabrina klang zögerlich. Sie hatte Angst vor seiner<br />

Reaktion.<br />

Rainer sagte nichts außer „Hallo.“ Er atmete hörbar aber ruhig.<br />

„Rainer...Ich...ich weiß nicht.... Ich liebe dich und will das wir normal<br />

umgehen miteinander.“ versuchte sich Sabrina zu erklären.<br />

„Das tue ich doch. Ich bin dir nicht böse oder so.“ Rainer klang nicht gerade<br />

überzeugend. Ihm kam diese Bitte etwas aufgesetzt vor.<br />

„Rainer. Ich möchte wieder mit dir sein. Komm bitte zu mir. Bitte Rainer!“, bat<br />

Sabrina scheinbar flehentlich.<br />

Wieder folgte eine längere Stille. Sabrina hob erneut an, als Rainer etwas<br />

sagte.<br />

„Sabrina, ich weiß nicht.... Was soll ich dir sagen?“ Rainer klang sehr<br />

niedergeschlagen. Sabrina dachte sich, dass Rainer sicherlich Schluss machen<br />

würde. Was sie nun hörte überraschte sie aber.<br />

„Die haben mich rausgeschmissen!“, Rainer machte es kurz .<br />

„Was ?!“, Sabrina war wie vor den Kopf gestoßen<br />

„Ja.“<br />

„Und jetzt?“, fragte Sabrina, fast wie ein Kind.<br />

„Ich-weiss-es-nicht!“ Rainer klang plötzlich genervt.<br />

„Es tut mir leid.“, entschuldigte Sabrina sich schnell.<br />

Dann sprach sie weiter.<br />

„Ich komm´ zu dir, okay?“, bot sie an.<br />

„Nein. Ich will jetzt nicht!“<br />

Das war deutlich!


„Rainer bitte ! Ich will doch für dich da sein!“<br />

„Sabrina, lass mich einfach in Ruhe bitte! Ich melde mich in nächster Zeit,<br />

okay?“<br />

„Okay...okay, wenn du meinst.“ Sabrina fühlte sich beschissen. Dann legte sie<br />

auf.<br />

Was ist nur gerade los? Sie begriff nichts mehr !<br />

Sabrina sah zum Fenster hinaus.<br />

-69-<br />

Mittwoch, 23:04 Uhr, Am Neckar....<br />

Der Dicke sah den anderen Mann lange an.


„Verdammt ! Es ist zum Kotzen ! Sie haben große Töne gespuckt und jetzt lebt<br />

der Kerl immer noch. Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind, Sie<br />

Armleuchter?“, traute er sich zu sagen.<br />

Der andere Mann sah ihn finster an.<br />

„Pass mal auf Fettsack ! Wenn ich nicht wäre, würdet ihr noch nachdenken,<br />

wie ihr das überhaupt alles geregelt bekommt, klar ?“, antwortete der Mann<br />

mit eiskalter Stimme.<br />

Der andere Mann, der etwas abseits stand, sah seinen Boss fast ängstlich an.<br />

„Ich... ich glaube er hat Recht. Die Besitzurkunde konnten wir nicht<br />

umschreiben. Das Amt hat zwar die Vollmacht anerkannt, aber sie wollen<br />

noch andere Papiere sehen. Aber an die kommen wir nicht ran. Chef, was<br />

sollen wir machen?“<br />

Der Dicke dachte nach.<br />

Der andere Mann winkte ab und sah die beiden anderen mitleidig an.<br />

„Okay. Ich versuche noch eine Sache. Aber ich will das Geld.“, bot er an.<br />

Der Dicke schien empört.<br />

„Welches Geld? Sie haben doch noch gar nichts erreicht !“, rief er erbost.<br />

„Warten Sie es ab. Es wird Ihnen gefallen. Ich werde Ihnen Bescheid sagen,<br />

wenn ich soweit bin.“ tat der Mann geheimnisvoll.<br />

„Gut.“, erwiderte der Dicke knapp.<br />

„Also? Was ist? 500.000 EUR. Jetzt !“, versuchte der Mann erneut, seine Gage<br />

einzutreiben.<br />

Der Dicke und der Ängstliche sahen sich an. Der Ängstliche blickte den<br />

Dicken fast flehentlich an. Er wusste was der andere Mann außerhalb eines<br />

scheinbar normalen Lebens tat. Das machte ihm Angst.<br />

„Machen Sie´s !“, riet er seinem Boss.<br />

Der Dicke schnaubte unruhig und überlegte.<br />

„Also schön ! 250.000 morgen. Den Rest bekommen Sie nächste Woche.“, bot<br />

er an.<br />

Der andere Mann dachte nach und willigte ein.<br />

„Okay.“ Der andere Mann drehte sich wortlos um und ging.<br />

„Der Typ ist doch nicht ganz dicht. Er macht hier den BigMac und nichts<br />

passiert.“, ärgerte sich der Dicke.<br />

„Das weiß ich auch. Aber was sollen wir denn machen? Er hat uns in der<br />

Hand und das wissen Sie so gut wie ich. Der weiß zu viel !“


„Das stimmt auch wieder.“<br />

Schwäne ruhten auf der Wiese am Ufer des Neckars und alles schien ruhig zu<br />

sein. Allmählich wurde es in den Straßen still und die Leute, die vereinzelt<br />

noch auf der Wiese saßen, gingen einer nach dem anderen langsam nach<br />

Hause.<br />

Langsam merkte man, dass es wieder Sommer wurde. Es war richtig warm an<br />

diesem Abend.<br />

Ein Polizeiauto fuhr hinter einem Taxi her und stoppte es unweit der Stelle, an<br />

dem der Dicke und sein Begleiter das Gespräch mit dem anderen Mann<br />

führten. Die Streife, die das Taxi anhielt, machte sich daran, den Fahrer<br />

gründlich zu überprüfen. Als der Dicke seinen Begleiter verabschiedete und<br />

zu seinem Wagen lief, hörte er, wie einer der Beamten sehr wütend über den<br />

Taxifahrer zu sein schien. Der Dicke hörte nur was von „...Viel zu schnell...“<br />

und dann „..keine Rücksicht...“<br />

währenddessen woanders...<br />

Sabrina drehte sich im Bett herum. Sie schlief unruhig. Sie träumte.<br />

`„Naja...Wie ich vorhin gesagt habe: Sonja hat mich rein gelegt, und ich<br />

dachte, dass ich mit Sabrina alles nochmal klären könnte.“<br />

Sabrina sah Ronny abgeklärt an. Sie schüttelte langsam den Kopf.<br />

„Keine Chance...Weißt Du? ...Äh, ich...Na, wenigstens weiß ich jetzt wie es<br />

dazu kam.“, sagte sie bedrückt und etwas nachdenklich über die<br />

Geschehnisse damals im Haus ihres Ex-Freundes.´<br />

Schritte... Schnelle Schritte ... Atemlosigkeit<br />

„Wer ist das ???“<br />

Der Regen durchnässte Sabrina völlig aber sie spürte nur die nackte<br />

Angst...und den Atem des Wesens in der Maske, das Sie nicht abschütteln<br />

konnte.<br />

Er kam immer näher....<br />

Jetzt schien er direkt hinter ihr.....<br />

...


Sabrina schreckte schweißgebadet hoch. Mit schnellem Atem sah Sabrina sich<br />

zunächst orientierungslos in ihrem Schlafzimmer um. Sie stellte fest, dass sie<br />

alleine war. Das war ihr in diesem Moment jedoch kein Trost. Rainer hatte<br />

sich nun auch nach 3 Wochen nicht mehr von alleine gemeldet. Sabrina hatte<br />

aber beschlossen, stur zu bleiben und rief ihn nicht mehr an !<br />

Verärgert darüber, dass sie mitten in der Nacht wieder wach war und<br />

wahrscheinlich nicht so schnell wieder einschlafen würde, stand Sabrina auf<br />

und ging in ihr pragmatisch eingerichtetes Arbeitszimmer und schaltete den<br />

PC ein.<br />

Sie musste plötzlich wieder an ihren Exfreund Ronny denken.<br />

`Dieser Penner.... mich hat er mit dieser Kontrolle immer so genervt und am<br />

Ende hat er selbst so eine Scheiße gebaut´, dachte sie und tippte ihr<br />

Internetpasswort in das Eingabefeld.<br />

Kurz dachte sie nach, wohin sie nun gehen sollte im World Wide Web. Sie<br />

entschied sich für Facebook, dem sozialen Netzwerk, in dem sie sich vor<br />

längerer Zeit angemeldet hatte. In der Zwischenzeit hatte Sabrina dort eine<br />

Menge „Bekannte“ und auch damalige Schulfreunde angetroffen und war ein<br />

wenig überrascht wer so alles auftauchte, seitdem sie dort Mitglied war.<br />

Sabrina öffnete ihre Profilseite und stöberte in den einzelnen Meldungen und<br />

Gruppeneinträgen. Parallel dazu öffnete sie ihren Messenger um zu sehen,<br />

wer vielleicht von ihren Freunden online war. Im „Fratzenbuch“, wie sie das<br />

soziale Netzwerk seit neuestem wie Martina nannte, tat sich nicht viel. In<br />

einer der „Gruppen“ in denen sie Mitglied war, spielten einige Das<br />

Kettenwortspiel. Sie trug ein weiteres Wort ein und klickte wieder auf ihre<br />

Startseite.<br />

Dann erst fiel ihr auf dass sie Post hatte. Vor lauter Aufregung über den<br />

Alptraum hatte sie die ganze Zeit über die blaue Leiste mit dem Briefsymbol<br />

übersehen.<br />

Es waren zwei Mails.<br />

Die erste Mail war von einem Bekannten, den Sie in einer Kneipe in der<br />

Unteren Straße kennenlernte. Netter Typ. Sie fand ihn toll. Sie verabredete<br />

sich mit ihm auf einen Drink im Café am Römerkreis und schloss die<br />

Nachricht mit einem Gruß ab. Auf sein anderes Angebot ging sie jedoch nicht<br />

ein. Er hatte sich ewig nicht gemeldet. Pech gehabt !


Zweite Mail:<br />

Eine Marion Seidenkamm hatte ihr geschrieben.<br />

Sie öffnete die Nachricht und las diese interessiert durch.<br />

`Hallo Sabrina du hast doch letztens was geschrieben dass du eine Katze<br />

haben willst stimmt das noch? Ich habe vielleicht etwas für dich. eine Frau<br />

aus meiner Gegend hat mir jetzt gesagt dass sie wieder einen Wurf an<br />

Perserkatzen hätte. Hast du Interesse daran? Sag mir Bescheid wenn du noch<br />

interessiert bist lg Marion.´<br />

Sabrina überlegte kurz .<br />

Perserkatze ?<br />

Plötzlich fiel es ihr wieder ein. Sie hatte um die Weihnachtszeit des Vorjahres<br />

in einer der Gruppen geschrieben, dass sie eine Katze haben wolle aber<br />

irgendwie nicht genau das fand, was sie sich vorgestellt hatte. Und als die<br />

Sache im Hotel zu eng wurde hatte sie das schlicht wieder vergessen. Schnell<br />

tippte sie ihre Antwort und hoffte, dass sie endlich zu ihren Katzen kam...<br />

`Wenn schon keinen Freund, dann wenigstens eine Katze.´, dachte Sabrina<br />

zufrieden und etwas trotzig zugleich.<br />

Sabrina wurde plötzlich wieder müde und entschloss sich den PC nun wieder<br />

auszuschalten.<br />

Sie begab sich in ihr Bett zurück und versuchte wieder einzuschlafen.<br />

Bald schlief sie fest und ungemein ruhiger als vor einer halben Stunde.<br />

-70-<br />

Donnerstag, 00.15 Uhr, Sabrinas Wohnung ….<br />

Das Türschloss knackte leise. Dann war die Tür offen.


Er ging hinein in diese schöne aber technisch kühl eingerichtete Wohnung. Er<br />

sah sich nur kurz um und steuerte sofort das Schlafzimmer an.<br />

Dort sah er diese Frau schlafen. Sie sah attraktiv aus in ihrem<br />

Seidenhemdchen und dem purpurfarbenen Pantie.<br />

Er ging hinüber zum Kopfende. Dann kniete er genau auf Höhe des Gesichtes<br />

der schlafenden Frau. Er strich über ihre Wange. Die Frau schien dies zu<br />

bemerken und ein zartes Lächeln huschte ihr über das Gesicht. Sie seufzte<br />

zufrieden.<br />

Dann schnarchte Sabrina sich wieder leise in einen tiefen Schlaf.<br />

Er näherte sich ihrem Gesicht und war bis auf wenige Zentimeter kurz<br />

davor, der Frau einen Kuss zu geben.<br />

…<br />

„Ich weiß nicht... Also dann.“ Rainer schien ratlos zu sein.<br />

„Ja? Was `Also dann´?“<br />

„Okay ich bleibe hier. Aber wirklich nur, wenn Du das auch willst.“<br />

„Nein. Ich habe nichts dagegen. Mach´ Dir keine Sorgen, ich sage Dir schon,<br />

wenn mir was nicht passt. Lass´ uns wieder schlafen gehen, ja?“ Sabrina<br />

freute sich mehr als sie es zugab.<br />

Holzmann legte sich wieder hin. Sabrina streifte den Bademantel ab und<br />

gesellte sich dazu. Sie schlang ihre Beine um ihn und schmiegte sich an seine<br />

Brust. Rainer streichelte ihren Rücken und sah sie stumm an.<br />

Nach einer Weile hielt er es nicht mehr aus.<br />

„Glaubst Du mit uns wird es was?“, fragte er einfach in die Stille hinein.<br />

Sabrina war schon im Halbschlaf.<br />

„Hhhmm?“<br />

Rainer verstummte und legte sich wieder normal hin. Sabrina schmiegte sich<br />

an ihn und sah seine dunkelbraunen Haare an. Er fühlte sich warm an....<br />

… Warm …<br />

… Wärme …<br />

… Die Decke stört heute mehr, als sie hilft …


… Der Neckar fließt ruhig vorüber... Ein schöner Fluss...<br />

Toilette.<br />

Sabrina öffnete die Augen und sah in dieses Gesicht.<br />

Es war nicht Rainer !!!<br />

Sabrina versuchte sich aufzurichten und zu schreien, aber die Hand des<br />

Unbekannten drückte mit seinem seltsam stinkenden Handschuhen auf ihren<br />

Mund und versuchte sie gleichzeitig unten zu halten. Sabrina wandte sich<br />

und zappelte.<br />

Sie konnte sich nicht befreien!<br />

Je mehr sie sich wehrte, desto mehr drückte der Unbekannte sie in die<br />

Matratze.<br />

Der Unbekannte schien die Oberhand zu behalten, aber es kostete ihn<br />

scheinbar einige Mühe. Er begann schwer zu Atmen.<br />

Sabrina warf den Kopf umher... Links … Rechts … wieder links... Sie kam frei!<br />

„Wer sind Sie!!!“, schrie sie und konnte sich diese Frage gleich selbst<br />

beantworten.<br />

„Warum verfolgen Sie mich?“, wagte sie zu fragen, und versuchte sich<br />

gleichzeitig aus dem Klammergriff zu befreien. Ihr schmerzte jede Hautstelle,<br />

an der der Stoff der Kleidung des Mannes scheuerte. Es brannte und die Haut<br />

riss ein. Sabrina versuchte den Unbekannten zu treten, bekam aber das Bein<br />

nicht hoch. Anwinkeln konnte sie es auch nicht, um dem Unbekannten in die<br />

Leiste zu treten. Sie schrie verzweifelt auf.<br />

Der Unbekannte holte aus und schlug Sabrina mit voller Kraft geradewegs ins<br />

Gesicht. Der Schlag war so heftig, dass Sabrina schwarz vor Augen wurde...<br />

währenddessen woanders...<br />

Die Aral Tankstelle lag still da. Nur ein Auto war zu sehen. Weder an den<br />

Zapfsäulen noch auf der Straße Rainer hatte Sehnsucht nach seiner Freundin<br />

und hatte beschlossen, zu ihr zu fahren. Mitten in der Nacht!<br />

Unkonventionell war er schon immer.<br />

Alle, die ihn kannten, konnten das mühelos bestätigen.


„... Ja, der Polizist hat sich wirklich geärgert! Der war völlig angekotzt, dass<br />

ich dem sein Fehlverhalten aufgezeigt habe. Ich hab´ dann ...“<br />

Der Mann mit den kurzen braunen Haaren erzählte der Kassiererin im<br />

Tankstellenshop wohl eine spannende Geschichte.<br />

Rainer sah sich um und entschied sich, eines dieser kleinen Kuscheltiere für<br />

den Schlüsselbund zu kaufen. Er legte eine Rose dazu und wollte gleich<br />

bezahlen.<br />

„Hallo. Den Tiger und die Rose bitte.“, unterbrach Rainer den unbekannten<br />

Mann.<br />

„Hallo.<strong>12</strong>,70 EUR bitte.“ Die Kassiererin lächelte...<br />

Wenig später erreichte Rainer Sabrinas Haus und stieg mit der Rose und dem<br />

Tiger in der Hand aus dem Wagen aus. Das Treppenhaus war trotz<br />

Dunkelheit noch gut zu erkennen. Helle Farben an den Wänden zusammen<br />

mit dem fahlen Licht des Mondscheins ließen, selbst ohne Beleuchtung,<br />

schemenhaft die Umrisse der Haustür erkennen. Rainer kramte nach seinem<br />

Schlüssel und öffnete leise die Tür. Er hoffte, dass Sabrina nicht aufwachen<br />

würde, und freute sich, gleich neben ihr zu liegen.<br />

Er hatte sie schon wirklich sehr vermisst. Auch wenn er dies nicht gerne<br />

zugab.<br />

Entschuldigen musste er sich wohl auch. Aber erst einmal wollte er sie<br />

überhaupt wiedersehen.<br />

Plötzlich rumpelte es vernehmlich!<br />

Rainer dachte nicht weiter darüber nach und legte die Rose und den Tiger auf<br />

die Anrichte.<br />

Entferntes Stöhnen!<br />

Jetzt merkte Rainer auf. Irgendetwas stimmte hier nicht! Er beschloss im<br />

Schlafzimmer nachzusehen.<br />

Er öffnete die Tür zum Schlafzimmer und sah Sabrina in ihrem Bett liegen. Sie<br />

lag regungslos da und ein Mann stand am Kopfende und sah nun auf zu<br />

Rainer. Dann wollte der unbekannte Mann völlig ungerührt, an Rainer<br />

vorbei, das Zimmer verlassen. Rainer brauchte Sekunden um zu erkennen,<br />

dass Sabrina sich nicht bewegte. Der Mann war fast an ihm vorbeigegangen,<br />

als Rainer ihn, wie vom Blitz gerührt, packte und an die Wand warf. Der<br />

Mann holte aus und schlug Rainer ins Gesicht. Rainer taumelte zurück und


versuchte sich zu sammeln, als erneut ein Schlag auf ihn niederging. Ihm<br />

wurde schwarz vor Augen und plötzlich war er bewusstlos.<br />

Der Mann konnte die Wohnung verlassen.<br />

Irgendwann viel später öffnete Rainer die Augen und bemerkte, dass er in<br />

Sabrinas Schlafzimmer auf dem Boden lag. Sein Gesicht fühlte sich<br />

geschwollen an und irgendwie schmeckte er Eisen.<br />

Er blutete.<br />

Sabrina !!!<br />

-71-<br />

Donnerstag, 03.21 Uhr, Sabrinas Wohnung ….


Von draußen leuchtete eine Vielzahl von Blaulichtern in die Wohnung.<br />

Polizisten mit Schutzanzügen durchkämmten jeden Zentimeter der Wohnung<br />

nach brauchbaren Spuren.<br />

Zwei Sanitäter schoben hastig die Trage, auf der Sabrina lag in den<br />

Krankenwagen. Sie sah friedlich aus. Als wäre nichts gewesen. Einzig das<br />

großflächig um den Bauch gebundene Verbandsmaterial zeigte an, dass sie<br />

schwerverletzt gewesen sein musste.<br />

Als die Sanitäter Sabrina versorgt und transportfähig gemacht hatten, fuhren<br />

sie gemeinsam mit dem Notarztwagen in das städtische Krankenhaus.<br />

„Lass mich los! Lass mich los, Mann!!!“ Rainer schaute Budjen finster an.<br />

Diesen Blick kannte Budjen. Es war der gleiche wie bei der Razzia gewesen.<br />

Nachdem Döring tot war!<br />

„Na und? Dann hast du halt die Visitenkarte von diesem Auersee gefunden.<br />

Das bedeutet aber nicht, dass der was damit zu tun hat. Vielleicht gehört diese<br />

Karte Sabrina und sie fiel aus einer Hosentasche beim Aufräumen!“ redete<br />

Budjen auf seinen Freund ein.<br />

Budjen sah Rainer eindringlich an. Er hoffte inständig, Rainer nicht vor<br />

großen Dummheiten bewahren zu müssen.<br />

„Lass mich los jetzt!“, Rainer schien zu explodieren. Er versuchte sich<br />

loszureißen, schaffte es aber nicht.<br />

„Nein !“ Budjen wandte nun dieselbe Technik, an, die sie bei der Ausbildung<br />

lernten, um gewalttätige Demonstranten zu Boden zu bringen. Er packte mit<br />

festem Griff den Kragen Rainers Sweatshirts und warf ihn rücklings zu<br />

Boden.<br />

„Junge, geh´ nach Hause!“, versuchte Budjen diesmal etwas verbindlicher zu<br />

klingen.<br />

„Du kannst im Moment niemandem helfen- schon gar nicht in deiner<br />

jetzigen Verfassung. Wenn du Sabrina helfen willst, schlaf dich aus und fahr<br />

morgen ins Krankenhaus.“<br />

Rainer schaffte es, sich aus dem Klammergriff zu befreien und sprang auf.<br />

„Fick dich!“, war das Einzige was er Budjen zuzischte.<br />

Rainer ging zu seinem Wagen und beschloss, nicht nach Hause zu fahren<br />

sondern den Krankenwagen einzuholen und bei Sabrina zu bleiben.<br />

Er sprang auf den Fahrersitz und startete mit lautem Sägen den Motor seines<br />

kleinen Autos. Als der Gang krachend eingelegt war, trat er geradewegs das


Gaspedal durch und der kleine Polo schoss mit anfangs durchdrehenden<br />

Rädern die Straße hinunter. Rainer nahm auf niemanden Rücksicht- nicht auf<br />

die absichernden Streifenbeamten, nicht auf Fußgänger oder andere<br />

Schaulustige. Er raste regelrecht die Straße runter, um den Krankenwagen<br />

einzuholen.<br />

Budjen ärgerte die ganze Situation! Was war nur los? Alles schien<br />

durcheinander zu geraten!<br />

Rainer war nun auf der Lessingstraße und fuhr dem Krankenwagen nach.<br />

In der Klinik angekommen, parkte der Krankenwagen, und die zwei Sanitäter<br />

stiegen aus um Sabrina aus dem Laderaum zu schieben.<br />

Währenddessen kamen aus der Notaufnahme schon 3 Ärzte und mehrere<br />

Pfleger um die schwerverletzte Frau zu übernehmen.<br />

In der Notaufnahme ging das Treiben erst richtig los.<br />

„Einlieferung einer 34-jährigen Frau. Multiple Stichwunden im Bauch und<br />

Lungenraum. Die Blutung besteht seit etwa 1 Stunde. Nicht sistierend.“,<br />

begann der Sanitäter zu referieren.<br />

Sabrina wurde an allen wartenden ambulanten Patienten vorbei geschoben.<br />

und kam sofort in einen Behandlungsraum. Dort wurden ihre Sachen<br />

aufgeschnitten, und die Ärzte und Pfleger machten sich daran, Sabrina zu<br />

verkabeln und alle Schläuche anzulegen.<br />

„Stichkanäle linker Hals, zwei Finger breit unter der Arteria Carotis. Thorax<br />

costa rechtsseitig zwischen 6 und 7.mäßig“<br />

Sabrina war nun verkabelt und wurde gleichzeitig fertig gemacht für das<br />

Röntgen.<br />

„Stichkanäle rechtsseitig abdominal zweifach Lebernähe. Linksseitig einmal<br />

Milznähe. Mässig“<br />

„weitere Stiche ...“ Sabrina wurde vorsichtig seitwärts gedreht und alle<br />

Kleidungsreste entfernt „...nicht vorhanden oder einsehbar.“<br />

„Blutungen auch Oral und Nasal und schäumend. Blutverlust in Toto<br />

unbekannt.“<br />

Sabrina wurde in den OP gefahren.<br />

„Blutungen Rezidiv. Keine Einnahme von Präparaten zur Blutgerinnung oder<br />

ähnliches bekannt.“, referierte die OP Schwester.<br />

„Kann mal jemand den Blutdruck und Puls ansagen?“, rief jetzt der Arzt.


„Ich brauche außerdem: Hämoglobinwert, Thrombozytenzahl, Blutungszeit,<br />

Thromboplastinzeit partielle Thromboplastinzeit PTT und die Thrombinzeit<br />

TZ. Falls Brüche feststellbar, Rhinoskopie machen. Bitte CT vorbereiten.<br />

Absaugen und Inspektionswerkzeug zurechtlegen!“<br />

Der Arzt schaute in Richtung der anderen Schwester.<br />

„Einmal venöser Zugang und Gabe von Katecholamin“, befahl er ihr.<br />

„Absaugen ! Leute ich muss hier freies Feld bekommen. Die säuft mir sonst<br />

ab! Auf geht’s!... Und schaut mal jemand der Dame in den Rachen bitte. Ich<br />

will wissen, was dort los ist!“<br />

Der Arzt winkte die dritte Schwester zu sich.<br />

„Du tamponierst der Frau, wenn wir fertig sind, die Nase.<br />

Fingerlingstamponaden oder wenn du es nicht anders ruhigstellen kannst,<br />

nimm gleich Ballontamponaden, alles klar ?“ erklärte der Arzt.<br />

Die Schwester nickte.<br />

Der Arzt wandte sich der vierten Schwester zu.<br />

„Mona. Geben Sie mir bitte die Saug-Koagulations-Pinzette.“<br />

Jetzt sprach der Arzt zu allen, die an Sabrinas Verletzungen beschäftigt<br />

waren.<br />

„Beim Platzieren von Tamponaden sollte immer darauf geachtet werden, dass<br />

beide Nasenhaupthöhlen wegen des Gegendruck tamponiert werden. Und die<br />

Tamponaden sollen an der äußeren Nase fixiert werden, weil, durch eine<br />

Luxation der Tamponaden in den Rachen, kann es im schlimmsten Fall zum<br />

Ersticken kommen. Ausserdem: Eine Tamponade des Nasenrachens erfordert<br />

immer auch aufgrund der Blutungslokalisation eine stationäre Überwachung.<br />

Bei Ballonkathetern auf Nekrosen der Schleimhaut oder eine Nichtschädigung<br />

des Naseneinganges achten.“, referierte der Arzt. Jetzt wandte er sich Sabrina<br />

zu.<br />

„So, jetzt möchte ich aber wissen, welche schöne junge Frau hier liegt.“ fragte<br />

der Arzt Sabrina nun betont locker und entspannt.<br />

„Laut Ausweis: Sabrina Seiler. 34 Jahre alt.“, rief jemand aus dem<br />

Hintergrund.<br />

„Hallo Frau Seiler. Hören Sie mich? Wenn ja, geben Sie der Schwester ein<br />

Zeichen mit der rechten Hand ja? Wir kümmern uns um Sie. Sie werden<br />

wieder in Ordnung kommen, verstehen Sie? Drücken Sie die Hand wenn Sie<br />

mich gehört haben.“


Der Arzt schaute, mehr besorgt als entspannt, die Schwester zu seiner Rechten<br />

an, die auf ein Signal der schwerverletzten Sabrina wartete.<br />

Die Hand rührte sich unmerklich aber spürbar.<br />

Die Schwester nickte und der Arzt lächelte in das geschwollene<br />

blutverschmierte Gesicht Sabrinas.<br />

„Schön, dass wir uns verstehen Frau Seiler. Sie haben einen schönen<br />

Vornamen wissen Sie das?“, stellte der Arzt, mehr zur<br />

Aufmerksamkeitskontrolle, denn als Kompliment, fest.<br />

„Sabrina.“, sprach der Arzt den Namen laut nach.<br />

Sabrina drückte nun etwas fester die Hand der Schwester, aber immer noch<br />

weit schwächer als eine unverletzte, gesunde Person es getan hätte.<br />

Schwester Mona schaute aus Ihren Unterlagen hoch.<br />

`Sabrina Seiler ?´, dachte sie und hielt kurz inne<br />

`Oh …. Fuck !!!´.<br />

-72-<br />

Donnerstag, 06.35 Uhr, Medizinische Klinik ….


Warten auf Nachricht von Sabrina.<br />

Das war das einige was Rainer im Augenblick tun konnte.<br />

Währenddessen saß er draußen im Wartebereich und starrte das Gemälde an,<br />

welches ihm gegenüber, an der Wand hing.<br />

Laut Beschriftung am unteren Rand handelte sich um das Werk:<br />

„Landschaft mit dunklem Baum bei Murnau , Wassily Kandinsky, 1908.<br />

Kunstdruck.“<br />

Die schönen kräftigen Grün- und Blautöne vermochten Rainer in dieser<br />

Situation überhaupt nicht aufzumuntern.<br />

Rainer starrte das Bild mit leerem Blick einfach nur an. In seinem Kopf schien<br />

eine trostlose kalte Leere zu herrschen. Er fühlte sich wie ausgepumpt.<br />

Zwischenzeitlich war sogar Sylvia Rösch zu ihm gekommen. Sie wurde von<br />

Budjen angerufen, nachdem der Streit zwischen ihm und Holzmann nicht zu<br />

klären war... Budjen wollte es nicht weiter eskalieren lassen.<br />

Immer wieder schaute Rainer auf seine Armbanduhr und stellte immer<br />

wieder aufs Neue fest, dass erst eine Minute vergangen war nachdem er das<br />

letzte Mal auf die Uhr schaute. Die Zeit verging einfach nicht. Rösch saß<br />

neben ihm und wartete ebenso stumm auf eine Nachricht des Arztes. Sie<br />

wusste nicht recht, was sie sagen sollte und zog es, vor einfach den Mund zu<br />

halten. Rainer atmete in regelmäßigen Abständen hörbar tief ein und<br />

seufzend wieder aus. Beim fünften Mal hielt Rösch es nicht mehr aus. Sie<br />

stellte Rainer zur Rede.<br />

„Rainer, Jetzt geh´doch nach Hause, Mann! Du kannst doch eh nix machen<br />

und wenn du fast jede Minute auf deine Armbanduhr schaust, geht die Zeit<br />

auch nicht schneller rum.“<br />

Rainer richtete sich im Sitz auf und drehte den Kopf langsam zur Seite. Er sah<br />

Rösch anteilnahmslos an. Ein wenig sah er wie ein Zombie aus.<br />

„Hast du mich gehört, Rainer ? Geh-nach-Hause!“, versuchte es Rösch erneut.<br />

Rainer sah wieder nur das Bild an und schweifte in Gedanken ab.<br />

…<br />

„Jetzt bringe ich Sie auf die Couch und dann gehe ich. Meine Fresse, Sie<br />

haben sie echt nicht mehr alle.“, traute sich Holzmann noch zu kritisieren<br />

und erntete sogleich eine sehr kräftige Ohrfeige von Sabrina.<br />

„Heeeee.... Lassen Sie mich sofort runter!!!! Das gibt´s doch nicht! Hallo?!?“


„Ist mir egal. Couch und tschüss.“, gab sich Holzmann nicht mehr mit<br />

Sabrina ab.<br />

„MOMENT MAL....“, flehte Sabrina unvermittelt.<br />

Holzmann stand bei der Couch, Sabrina auf Händen, und hielt inne.<br />

„Bitte?“, tat er verdutzt.<br />

„Wenn Sie so scharf drauf sind, mich zu tragen, dann bitte in diese Richtung.<br />

Ich möchte ins Bett und alleine schaffe ich das wohl nicht mehr.“, gab<br />

Sabrina kleinlaut von sich und ließ den fremden Mann gewähren. Er wurde<br />

ihr absurderweise immer sympathischer, trotz dieser ärgerlichen Auswüchse.<br />

Sie deutete in Richtung des Flurs, und ließ sich bis ans Bett im Schlafzimmer<br />

tragen. An der Türschwelle fing Holzmann an zu lachen und Sabrina meinte<br />

zu hören, wie er leise etwas vor sich hin summte.<br />

„Tam taa taa-taaa. Tam-diii daa-daaa...“<br />

...<br />

Sylvia Rösch versuchte es erneut.<br />

„Rainer, Jetzt hör mir mal gut zu! Ich glaube nicht, dass hier in nächster Zeit<br />

noch was passiert. Geh´ nach Hause und schlaf dich aus. Ich halte hier<br />

solange die Stellung, und rufe dich sofort an, wenn ich was höre, okay?“<br />

Keine Reaktion.<br />

Rainer war immer noch woanders mit seinen Gedanken.<br />

...<br />

Rainer schaute sich den Wagen von vorne bis hinten an, so, als wolle er in<br />

der Dunkelheit eventuell Kratzer auf dem Lack finden.<br />

„Wie alt?“, fragte Rainer ganz unvermittelt.<br />

dass er von der Frau vor ihm angetan war, nahm Sabrina zu diesem<br />

Zeitpunkt nicht wahr. Sie war damit beschäftigt, doch noch pünktlich zum<br />

Termin zu erscheinen, und wurde nun von so einem blöden Bullen<br />

festgehalten! Sabrina schaute ihn verwundert an.<br />

„Das Auto oder ich ?!?“<br />

„Na, das Auto natürlich!“<br />

„So ein bis eineinhalb Jahre etwa...Hören Sie, ich habe den größten Fehler<br />

meines Lebens gemacht- abgesehen von diesem hier. Ich muss dringend<br />

weiter!“<br />

Sabrina war bemüht, ruhig zu bleiben. Dieser Mann, der völlig bizarr und<br />

gar nicht recht nach Polizist aussah, beugte sich etwas mehr zu ihr hinunter.


„Fahrzeugschein und Führerschein-... Bitte.“, sagte Rainer ruhig und<br />

routiniert.<br />

Er grinste schief.<br />

...<br />

„... kannst du nicht davon ausgehen, dass der Auersee was damit zu tun hat !“<br />

beendete Rösch ihr ungehörtes Plädoyer.<br />

Jetzt war Rainer hellwach.<br />

Er fuhr Rösch scharf an.<br />

„Was weißt du denn schon? Halt einfach deine Fresse und lass mich in Ruhe!“<br />

Rösch schüttelte den Kopf ungläubig und beschloss endgültig still zu sein.<br />

Nein, eine Sache musste sie noch loswerden!<br />

„Sag´ mal, wie kommt ihr beide eigentlich darauf, das ausgerechnet der Typ<br />

euch ans Leder will??? Nur weil der Sabrina rausschmeißen wollte? Das ist<br />

doch an den Haaren herbeigezogen und viel zu aufwendig, findest du nicht?“<br />

Rainer reagierte wieder nicht.<br />

-73-<br />

Donnerstag, 06.51 Uhr, Aus dem Polizeifunk...<br />

„Phönix 14-32 kommen.“


„32 hört“<br />

„32 Bitte zur Orthopädie nach Schlierbach. Vermutlich Geiselnahme. Ein<br />

Patient und eine Schwester. Name des Patienten ist von Auerstein...<br />

Sondersignal frei“<br />

„32 verstanden.“<br />

„1/26 für 321, 322, 324 und 329: Bitte auch zur Orthopädie als<br />

Verstärkung.Weitere Einheiten folgen. 1/26 für 24-13 kommen ...“<br />

Sylvias Funkgerät war nicht stummgeschaltet!<br />

Rainer versuchte unbeteiligt zu wirken. Er konnte nur schwer verbergen, dass<br />

ihn die Meldung aus dem Funkgerät seiner Kollegin Sylvia Rösch elektrisierte!<br />

Er fasste einen Entschluss.<br />

„Hey Sylvia ich geh nach Hause.“<br />

„Endlich! Gut. Geh nach Hause Rainer. Ist besser so.“ Sylvia war erleichtert<br />

und klopfte Rainer brüderlich auf die Schulter. Rainer lächelte gequält und<br />

stand auf.<br />

„Ich halte hier die Stellung und melde mich, sobald sich etwas ergibt.<br />

Versprochen !“ schwor Sylvia feierlich.<br />

„Jaja. Schon gut. Übertreib mal nicht.“, Rainer schüttelte den Kopf.<br />

„Hau schon ab!“, drängte Sylvia und Rainer tat wie ihm geheißen.<br />

Gleichzeitig woanders...<br />

Nach und nach sperrte die Polizei alle Eingänge und Zufahrten der<br />

Orthopädie ab. Streifenpolizisten rollten rot-weißes Flatterband um die<br />

Straßenlaternen und zogen sie meterlang aus, um jeden am Durchgang zu<br />

hindern.<br />

Ein schwarzer Polizist und sein Kollege stand an der Liegend-Anfahrt und<br />

sprachen sich ab.<br />

„Alex. Wie schaut´s am Vordereingang aus?“<br />

„Ich war eben erst dort. Da ist jetzt dicht. Ist die Einsatzleitung schon da?“<br />

„Weiß nicht... Hey warte, da sind wieder ein paar Gaffer.“<br />

Der schwarze Polizist ging auf Passanten zu, die gerade über das Flatterband<br />

klettern wollten.<br />

„Hey, Hallo ?? Stehenbleiben. Dieser Bereich ist gesperrt !“ , rief er Ihnen mit<br />

fester Stimme zu.<br />

„Johnny! Komm mal her!“ rief Alex aus der Ferne und schob das Funkgerät in<br />

die Halterung an seiner Koppel zurück.


„Wenn wir hier fertig sind, sollen wir abrücken und zur Kreuzung runter.<br />

Den Verkehr regeln.“<br />

Der schwarze Polizist nickte.<br />

„Alles klar. Ist der Budjen schon da?“<br />

„Ja gerade eben eingetroffen. Von dem hab ich auch den Auftrag. Er meinte,<br />

er schickt uns den Tobias vorbei. Der und der Steffen machen hier weiter.“<br />

Von weitem hörte man scharrende Räder eines Autos, das halb schlitternd um<br />

die Kurve die Liegend-Anfahrt hinauf raste. Daraufhin sahen die beiden<br />

einen Polo schnell auf sich zukommen.<br />

Johnny griff bereits an seine Walther P2000. Er hoffte, seine Pistole nicht<br />

ziehen zu müssen.<br />

Alex sprang auf die Fahrbahn zeigte mit der linken Hand direkt auf den<br />

Fahrer, mit der rechten hielt er seine Dienstwaffe, bereit um sie zu ziehen und<br />

schrie in Richtung des Fahrers.<br />

„Stop !!! Halten Sie sofort an ! Sind Sie wahnsinnig oder was?!“<br />

Der Polo hielt direkt vor ihm mit quietschenden Reifen und der Fahrer war<br />

nicht gleich zu erkennen aber er schien zu warten, bis der Polizist bei ihm am<br />

Fenster war.<br />

„Sind Sie noch ganz beieinander?“ Hier ist gesperrt! Das sieht man doch!“,<br />

herrschte der Polizist den Fahrer an.<br />

„Entschuldigung. Mein Name ist Rainer Holzmann. Ich bin von der K2.“, log<br />

Rainer. Er war suspendiert, aber das mussten diese kleinen Streifenhörnchen<br />

nicht unbedingt wissen.<br />

„Klar doch! Zeigen Sie mir den Dienstausweis.“ Alex ließ sich nicht beirren<br />

und schaute Rainer herausfordernd an.<br />

Rainer holte seinen Dienstausweis hervor und ein wenig genoss er es, mit<br />

anzusehen, dass dem jungen Burschen die Gesichtszüge etwas zu entgleisen<br />

schienen. Wurde der Kleine etwa blass?<br />

„Fahren Sie! … War aber keine feine Nummer Herr Kollege!“, traute sich Alex<br />

zu sagen, trat zur Seite und ließ Rainer ziehen.<br />

Auf dem Weg zum Hauptgebäude der Orthopädie, überlegte Rainer, wie er an<br />

Auersee herankommen konnte. Diese Mist-Ratte soll endlich erzählen was los<br />

ist ! Eine Sache irritierte allerdings auch Rainer:<br />

Wer sollte Auersee zur Geisel nehmen ? Vor allem – Warum ?


-74-<br />

Donnerstag, 07.25 Uhr, Chirurgie...<br />

Tabletts lagen verstreut auf dem Boden. Ein umgeworfener Teewagen lag<br />

quer vor einem Patientenzimmer. Deckenpaneele hingen lose von oben herab.<br />

Einige der Leuchtstoffröhren zuckten Sekundenweise und erloschen immer


wieder. Es piepte überall wild durcheinander. Das Stationszimmer war<br />

verwüstet und die Scheibe des Zimmers zum Gang hin zerstört, ohne aber<br />

zusammengefallen zu sein. Eingearbeitete Drähte hielten sie noch im Rahmen.<br />

Geschrei von überall.<br />

Ein Mann lief bewaffnet umher. Seine Euphorie wollte nicht zum Anblick der<br />

Szenerie passen, der sich sonst bot.<br />

„Das ist Geil ! Hey.. Wohouw... IST DAS NICHT GEIL ?!?“<br />

Der Mann schien wahnsinnig zu sein. Alle schauten beunruhigt und<br />

angespannt auf jede seiner Bewegungen.<br />

„Jan. Beruhigen Sie sich !“ sprach Budjen bemüht ruhig weiter, nachdem er<br />

erfolglos versuchte, den Mann zum Hinsetzen zu bewegen.<br />

„Das ist wie in Kandahar bei der großen Schießerei vor dem Gouverneurs-<br />

Sitz!“, schrie Jan weiter, ohne auf die Worte Budjens zu achten.<br />

von Auersee schmerzte alles.<br />

Seine momentane Körperhaltung kam seinen Verletzungen überhaupt nicht<br />

entgegen. Er kniete vor Jan auf dem Boden, mit dem Gesicht zu den Polizisten,<br />

die außen herum standen und einen Halbkreis bildeten. Eine Waffe tippte<br />

immer wieder an seinen Hinterkopf. Neben ihm kauerte eine verängstigte<br />

Krankenschwester auf dem Boden.<br />

„Ja. Jan! Genau! Wie in Kandahar! Weißt du noch? Als den Taliban-Wichsern<br />

die Munition ausging.“, bestätigte Auersee den Mann mit den Waffen.<br />

Auersee zitterte merklich. Obwohl Einsatzerfahren, war er eben schon eine<br />

Weile raus aus dem Geschäft.<br />

„Ha ! Was wollt ihr denn machen ? Mich umbringen ? Das geht gar nicht !<br />

Ich nehme den hier mit. Hahaaaa !“ schrie Jan Veltenhof.<br />

„Jan, Sie werden nicht gehen können. Das wissen Sie gut genug. Sie sind doch<br />

ein Profi- Genau wie wir.“<br />

Budjen versuchte erst gar nicht den Eindruck zu erwecken, er wolle dem<br />

Geiselnehmer helfen. Dies war zwar genau entgegengesetzt den Einsatzregeln<br />

für Unterhändler bei Geiselnahmen, aber Budjen schätzte Veltenhof als<br />

professionell im Umgang mit Geiselnahmen ein. Schließlich war Jan beim KSK<br />

zeitweise auch Ausbilder bei den Geiselbefreiungs-Teams. Also konnte Budjen<br />

ihm nicht mit der „Ich möchte dir helfen-“ Prosa kommen.<br />

„Mann Jan. Das ist doch Scheiße! Du hast doch keine Chance, Mann!“ von<br />

Auersee versuchte ebenfalls ,auf Jan einzuwirken.


„Du hältst besser deine Fresse, Arschloch !“ knurrte Veltenhof und stieß den<br />

Lauf einer seiner beiden Pistolen kräftig auf den Hinterkopf von Auersees, der<br />

sofort zusammenzuckte und stöhnte vor Schmerz. Die Krankenschwester<br />

neben ihm zuckte ebenfalls erschrocken zusammen.<br />

„Marcel. Deinetwegen bin ich hier. Nur deinetwegen!“<br />

„Ich weiß nicht was du willst. Ich habe alles so gemacht wie besprochen. Du<br />

hast alles bekommen was Du willst. Was willst Du denn noch ?“<br />

„Das ist jetzt alles egal! Ich kümmere mich gerade selbst um die<br />

Problemlösung!“<br />

Jan und von Auersee diskutierten miteinander!<br />

Budjen konnte sein Erstaunen nur mühsam verbergen. Auch die anderen<br />

anwesenden Polizisten und, Rainer der inzwischen ebenfalls eingetroffen war,<br />

und etwas abseits alles mitanhörte, staunten nicht schlecht.<br />

Budjen sah es pragmatisch: Wer redet, schießt nicht!<br />

„Ich sag´s jetzt nochmal: Ich will draußen einen Hubschrauber. Vollgetankt.“<br />

Jan schien sich wieder mit seinem eigentlichen „Anliegen“ zu beschäftigen.<br />

„Jan. Das geht nicht! Ich kann Sie damit nicht durchkommen lassen.“ Budjen<br />

war beharrlich.<br />

„Jetzt passen Sie mal gut auf. Ich sage es Ihnen nur einmal: Die von Auersees<br />

stehen in diesem Moment unter Beobachtung. Haben Sie mich verstanden?“<br />

Budjen wandte sich einem Kollegen an seiner Seite zu.<br />

„Wisst ihr irgendwas? Was meint der?“ zischte Budjen den Kollegen an.<br />

„Sie brauchen Ihren Kollegen nicht so dämlich anzufauchen. Fragen Sie<br />

mich!“ Jan gab sich plötzlich ganz konziliant.<br />

Budjen räusperte sich und griff den Faden auf.<br />

„Okay... Ja ähm... Was meinen Sie denn damit?“<br />

„Naja... Hannah von Auersee ist gerade auf dem Weg zum …“, Jan überlegte<br />

kurz und sah auf seine Uhr.<br />

„Einkaufen. Diese Woche schon das Sechste Mal. Tja und Holger sitzt wieder<br />

mal im Büro, seine Assistentin Sarah auf seinem Schoss. Weiß gar nicht, ob<br />

seine Frau das so entspannt sieht wie er. Was meinen Sie?“<br />

Jan schien Helfer zu haben. Das war nun klar geworden. Budjen konnte also<br />

doch nicht mehr ganz so locker mit Jan umgehen.<br />

„Jan. Was ist los mit dir?“ Marcel schien nun das ganze Ausmaß zu begreifen,<br />

in dem sich sein früherer Untergebener und er sich nun bewegten.


Er wollte doch nur das Hotel loswerden!<br />

„Marcel, Ich sagte, du sollst deine Fresse halten ! Deine Scheiße muss ich<br />

aufräumen. Ich habe keine Lust mehr !“, schrie Jan plötzlich wieder panisch<br />

herum.<br />

„Beruhigen Sie sich wieder. Wir finden eine Lösung.“ Budjen wusste genau,<br />

das Jan nicht hinters Licht zu führen war.<br />

Budjen musste die ganze Zeit an die Krankenschwester denken, die zitternd<br />

neben Auersee lag.<br />

Die Richtlinien waren ihm und Jan bestens bekannt: Mürbe machen, müde<br />

machen. Nach und nach alle heißen Eisen aus dem Verkehr ziehen.<br />

Zuschlagen.<br />

„Erzählen Sie mir nichts! Ich habe Ihnen eben gesagt, ich will meinen<br />

Hubschrauber.“<br />

„Sicher. Der muss noch getankt und die Systeme überprüft werden.“ Budjen<br />

spulte die bekannten Floskeln ab.<br />

„Junge. Sie sind vielleicht blöde! Ich bin ausgebildeter Heeres-Pilot.“ Jan<br />

schaute Budjen nun sehr verächtlich an.<br />

Budjen war überfordert. Er wusste nicht was er tun sollte.<br />

Plötzlich mischte sich Rainer ein.<br />

„Sagen Sie, Jan. Was läuft da eigentlich im Hotel? Von Auersees Mutter tot,<br />

sein ehemaliger Hotelchef, tot, und Sie reden hier von `Ich muss mich selbst<br />

um die Problemlösung kümmern´.<br />

„Ja, wer ist das denn? Hey Rainer, schön Sie hier zu sehen! Kommen Sie<br />

näher, dann kann ich Sie besser sehen.“ forderte Jan ihn gespenstisch fröhlich<br />

auf. Budjen wandte sich an Rainer.<br />

„Was machst Du hier?!“ fragte er Rainer.<br />

„Ich will helfen – und raus finden was los ist!“<br />

„Du darfst nicht hier sein. Das weißt Du genau!“ Budjen wirkte verlegen.<br />

„Tja, jetzt bin ich aber im Spiel!“ Rainer triumphierte fast.<br />

Um die seltsame Situation nicht noch eskalieren zu lassen, entschied Budjen,<br />

so zu tun, als gehöre Rainer zu den heutigen Einsatzkräften dazu.<br />

Jan schaute Rainer an und lächelte fast freundlich.<br />

„Was haben Sie mir zu sagen?“<br />

„Nichts. Jan. Sie vielleicht?“ Rainer versuchte den Plauderton.


„Naja. Ich weiß nicht so recht. Was soll ich sagen? Ich fühle mich beschissen<br />

von Marcel hier-“ er tippte wieder mit dem Lauf der Automatik-Pistole auf<br />

Marcels Kopf herum, der immer wieder schützend die Hände über seinem<br />

Kopf hielt. Veltenhof schaute betont traurig, aber auf eine unheimliche Weise.<br />

„Ursprünglich war mal angedacht, dass er den Kasten verkaufen will und ich<br />

ihm nur ein bisschen helfen sollte. Er hat´s aber nicht mehr drauf! So sieht<br />

das nämlich aus! Der Typ hier ist irgendwie veraltet. Fast so, als würde man<br />

Otto von Bismarck heute nach Afghanistan schicken.“ Jan lachte bitter.<br />

Rainer wollte mehr wissen. Er beschränkte sich nur auf ein Kurzes<br />

„Verstehe.“<br />

„Jedenfalls mein lieber Rainer, hat der liebe Marki Mark hier einiges gemacht<br />

worauf man nicht wirklich stolz sein kann. Stimmt´s, Marcel ?“<br />

Jan schaute Marcel herausfordernd an und wartete eine Antwort ab. Als<br />

Marcel in nur stumm und hilflos ansah, hob Jan die Hand mit der Waffe wie<br />

zum Schlag und senkte sie sofort wieder. Er liebte diese Spannung, wenn alle<br />

plötzlich auf alles gefasst sind und sich bis zum Zerreißen anspannen.<br />

Rainer wurde neugierig.<br />

„Was hat von Auersee gemacht?“ fragte er trocken.<br />

„Sag´s ihm doch!“ Jan sah Marcel an.<br />

Als der wieder nicht reagierte, beschloss Jan es selbst zu erzählen.<br />

„Ja, also der liebe, geschätzte Herr von Auersee hat seine Mama auf dem<br />

Gewissen. Wie er es gemacht hat weiß ich nicht. Aber er war´s.“<br />

Marcel von Auersee wurde plötzlich panisch und stammelte vor sich hin.<br />

„Nein. Nein-nein-nein-nein. Ich … Ich habe nichts- Ich habe rein gar nichts<br />

gemacht!“<br />

Jan sah Marcel wie ein Insekt an.<br />

„Jajaa. Dein Geld hat dich zum Weichei werden lassen, stimmt´s?“<br />

„Halt doch dein Maul. Den Burgstädt hast du umgebracht. Mit Phentolamin<br />

aus den alten Medizin-Beständen der Kasernen-Apotheke.“ traute sich Marcel<br />

zu sagen.<br />

Jan lächelte kalt.<br />

„Und? Was willst du denn damit sagen? Ich habe jetzt eh nichts mehr zu<br />

verlieren.“<br />

„Na, du hast doch alles gemacht. Ich weiß von nichts.“ redete von Auersee<br />

trotzig weiter.


„Ja genau.“ Jan winkte angewidert ab.<br />

„Hey! Budjen! Hubschrauber?“ rief er Budjen zu.<br />

Budjen tat beschäftigt.<br />

„Er ist bald da. Bald.“<br />

Rainer stellte nun eine direkte Frage.<br />

„Warum kennen Sie meinen Namen?“<br />

„Marcel.“, antwortete Jan kurz.<br />

Was haben Sie mit dem Hotel am Hut?“<br />

„Marcel.“, antwortete Jan wieder, diesmal gelangweilt.<br />

„Erklären Sie mir das?“ fragte Rainer erneut.<br />

„Hey Sie haben ihre Freundin vergessen.“ Jan schien fast enttäuscht.<br />

Rainer zuckte wie vom Blitz getroffen.<br />

„Was meinen Sie? Freundin? Welche Freundin?“ Rainer versuchte zu bluffen<br />

„Ach, Kommen Sie. Die kleine Süße mit dem BMW. Das ist `ne heiße<br />

Nummer, Mann!“ Jan lebte seine Belustigung voll aus.<br />

Rainer wollte endlich die Wahrheit wissen.<br />

„Was haben Sie beide eigentlich gemacht? Erzählen Sie es endlich!“<br />

„Sie wollen wissen was los ist? Wirklich?“ Jan ging nun mehrere Schritte auf<br />

Rainer zu. Die umstehenden Polizisten waren sofort wieder in Bereitschaft zu<br />

schießen, als Rainer den Arm langsam hob.<br />

„Langsam Leute... Ruhig... ganz ruhig... Alles gut.“, versuchte Rainer seine<br />

Kollegen zurückzuhalten.<br />

Jetzt stand Jan direkt vor Rainer, eine Waffe hinter sich, eine vor sich haltend.<br />

Auf Marcel hinter sich zielend, grinste Jan dämonisch.<br />

„Wollen Sie wirklich wissen was los ist?“ fragte Jan in einem beängstigend<br />

ruhigem Tonfall.<br />

Rainer straffte sich und wollte kühl wirken.<br />

„Ja.“<br />

Jan wandte sich um, und drehte sich einmal im Kreis, um schließlich mit<br />

großer Geste anzuheben, fast wie in einem Theaterstück.<br />

„Okay. Dann mal los.“ Er hielt mit der Pistole in der rechten Hand direkt auf<br />

Marcel drauf. Mit der Pistole in der linken Hand, kratzte er sich an der<br />

Schläfe.<br />

„Also dann: Der liebe Marcel hier ist eigentlich eine arme Sau! Er hat niemals<br />

die Anerkennung bekommen, die er sich erwünscht hat. Weder zuhause bei


seinem Vater oder seiner Mutter. Er hat viel durchgemacht. Manches war<br />

traurig, manches unnötig, manches einfach nur schmerzhaft.“<br />

Jan sah Marcel nun mit einem Anflug an Bedauern an.<br />

Sofort erzählte er weiter.<br />

„Jedenfalls dachte sich der liebe Marcel, er müsse sich holen was ihm zusteht.<br />

Wenn´s denn keine Liebe war, dann doch lieber die Kohle. Stimmt´s, Marcel?“<br />

Marcel sah Jan nur noch starr an. Sein leerer Blick verriet, dass er<br />

abgeschaltet haben musste.<br />

„So. Als Erstes hat er den Alten in Rente geschickt. Wie hieß der doch gleich?<br />

Irgendwas mit Burg-... Egal... So. Dann wollte er von mir unbedingt, dass ich<br />

seine Mama in die ewigen Jagdgründe schicke. Ich sagte ihm, dass ich das<br />

nicht mache. Mutterliebe und so- Ihr wisst ja! Dann war sie plötzlich tot. Ein<br />

Schwimmbad-Unfall soll es gewesen sein. Keine Ahnung!“<br />

Von Auersee schien zur Statue zu werden.<br />

„Dann hat er mich bekniet, mich persönlich um die Kleine aus dem Hotel zu<br />

kümmern. Ich habe abgelehnt.“<br />

Rainer merkte auf und plötzlich verfinsterte sich sein Blick. Plötzlich machte<br />

er einen Satz nach vorne und wollte von Auersee am Kragen packen. Budjen<br />

und zwei weitere Polizisten hielten ihn nur mühsam davon ab.<br />

„Was habt ihr mit Sabrina gemacht?“ fragte Rainer wütend und ungeduldig.<br />

„Gar nichts Ehrlich!“ Jan lächelte. Inzwischen war er wieder zur<br />

Krankenschwester und Marcel zurückgekehrt und hielt nun beiden die<br />

Pistolen an den Kopf.<br />

„Rainer. Das reicht jetzt!“ Budjen wollte Rainer unbedingt loswerden.<br />

Ihm wurde die Sache nun doch etwas zu brenzlig.<br />

„Hey Buddy! Lass den Typ hier! Er will doch wissen, was wir gemacht haben.“<br />

rief Jan herausfordernd, wohl wissend, dass Rainers Neugier unbändig<br />

gewesen sein musste.<br />

„Was-habt-ihr-gemacht?“, knurrte Rainer und versuchte, sich mit jedem<br />

einzelnen Wort loszureißen, aus dem Klammergriff seiner Kollegen.<br />

„Ganz ruhig Brauner. Ich komme doch noch dazu.“ Jan schien Rainer<br />

beruhigen zu wollen, wohlwissend, dass er Rainer leiden sehen wollte.<br />

„Die Kleine hat sich als recht zäh erwiesen. Marcel hat erst einmal versucht,<br />

sie abknallen zu lassen. Zweimal glaube ich... Ach, ist ja auch egal... Als das<br />

nicht ging, hat er sich geschlagen gegeben, und sie einfach rausschmeißen


wollen. Was die Kleine natürlich nicht davon abhielt, ihn ständig zu<br />

besuchen.“<br />

„Aber ich wollte sie nicht mehr umbringen lassen.“, versuchte Marcel sich<br />

unschuldig zu geben.<br />

„Jajaaa. Genau, Marcel. Alles war im Guten geregelt worden.“ gab Jan<br />

sarkastisch von sich.<br />

„Und jetzt war ich im Spiel. Ich habe es in die Hand nehmen wollen, aber der<br />

gute Auersee hier, der hatte schon wieder so dumme Ideen. Ich habe ein<br />

letztes Mal versucht, mein Bestes zu geben. Ich erkannte aber, dass es sinnlos<br />

war. Dann hab ich erst mal sein Auto ein bisschen umgebaut. Ich hatte die<br />

Bremsleitungen zerschnitten.“<br />

Marcel erschrak.<br />

„Du? Du warst das? Was soll das? Reicht dir die Kohle nicht, die ich dir<br />

gegeben habe?“<br />

„Das Schwein geht immer zum volleren Futtertrog.“ entgegnete Jan nur kühl.<br />

Rainer wurde immer ungehaltener, und hatte sich schließlich losgerissen. Er<br />

wollte Jan unbedingt weiter reden hören.<br />

„Jan, reden Sie weiter. Bitte.“ forderte Rainer ihn auf.<br />

„Klar, Mann. Ich lass mich jetzt nicht mehr bremsen.“ Jan zielte immer noch<br />

auf die Krankenschwester und Marcel und lief dabei hinter den beiden auf<br />

und ab.<br />

Budjen war zum Zuschauer in seinem eigenem Einsatz geworden.<br />

„Ich hatte durch die Sache mit dem Auto von Marcel gedacht, dass sich die<br />

Sache endlich erledigt, und habe mich dann zurückgezogen. Marcel hat mich<br />

verpfeifen wollen, und deswegen habe ich ihn hier besucht. Das war, als er<br />

schon wieder halbwegs beieinander war. Als er mir, obwohl schwach und im<br />

Bett, drohte er würde alles scheitern lassen, habe ich seinen Tropf<br />

manipuliert. Ich wollte endlich Ruhe!“<br />

Rainer verstand langsam, was los war.<br />

„Wer hat Sabrina so zugerichtet?“,fragte er mit festem Willen, endlich die<br />

Wahrheit zu hören.<br />

Jan lächelte wieder und hob die Schultern.<br />

„Ich war es nicht!“<br />

Jan wandte sich zu Marcel. Er beugte sich hinunter und kniete jetzt direkt<br />

hinter Marcel. Er flüsterte leise in Marcels Ohr.


„Es … ist … aus.“ Er lächelte.<br />

Plötzlich drehte sich Marcel seitlich weg und versuchte Jan umzustoßen<br />

Dieser konterte und schlug mit der Pistole auf Marcel ein, der vor Schmerz<br />

aufschrie. Die Krankenschwester ergriff die Gelegenheit und sprang auf.<br />

Polizisten stürzten auf sie zu und brachten sie weg vom Korridor.<br />

Marcel schlug wie wild auf Jan ein. Der verteidigte sich erbittert. Marcel,<br />

obwohl immer noch Patient, schien plötzlich ungeahnte Kräfte mobilisiert zu<br />

haben. Vielleicht war aber auch seine vorherige Schwächlichkeit<br />

vorgetäuscht. Es war nicht abzuschätzen.<br />

Jan schien langsam wieder die Oberhand zu bekommen und riss Marcel<br />

rücklings zu Boden. Marcel schlug mit dem Kopf hart auf und schien kurz<br />

wie weggetreten zu sein. Jan nutzte die Gelegenheit und sprang auf Marcels<br />

Brustkorb, wo er dann mit beiden gezogenen Pistolen in Marcels Gesicht<br />

zielte.<br />

„So, Du elendes Arschloch. Jetzt sag denen, was du mit der Kleinen gemacht<br />

hast. SAG ES !!!“ keuchte Jan fast stimmlos.<br />

Jan war völlig außer Atem. Marcel hatte es sehr wohl noch drauf. Jan hatte<br />

das so nicht erwartet. Alle Polizisten in dem Korridor, waren jetzt nur noch<br />

wenige Schritte von den beiden am Boden Liegenden weg. Ein Zugriff nur<br />

noch eine Frage der Zeit.<br />

Rainer reichte es nun. Als er gerade Budjen sagen wollte, dass sie bald beide<br />

verknacken sollten, rauschte ein Funkspruch durch den Korridor.<br />

„... 32 – kommen.“<br />

„ 14/32 von 1/26 – kommen.“<br />

Budjen stellte sich etwas abseits, doch Rainer konnte genau hören, was<br />

gesprochen wurde. Rainer ging vorbei an den anderen Polizisten und stand<br />

nun direkt neben dem Kollegen Budjen, seinem Freund - in voller Montur mit<br />

der umgehängten MP5SD.<br />

„32 hört.“<br />

Budjen versuchte sich von Rainer abzuwenden. Der ließ sich aber nicht<br />

abschütteln.<br />

„32. Zur Kenntnis: Patientin Seiler ist soeben verstorben.“


Budjen sah Rainer an und erstarrte. Rainer sah Budjen an, und es schien als<br />

sei die Welt stehen geblieben, und nur sie beide lebten noch.<br />

Budjen drückte den Funkknopf.<br />

„32 … hat verstanden... Ende.“ sprach er tonlos wie eine alte Ansagemaschine.<br />

Rainers Miene verfinsterte sich. Alles um ihn schien in eine tiefe Schwärze zu<br />

tauchen.<br />

…<br />

„Ich stehe auf Auto-Rennen. Ehrlich! So was ist aber nur auf der Rennstrecke<br />

schmerzfrei zu genießen, wissen Sie das noch nicht ??“, fragte der Mann<br />

sarkastisch.<br />

Sabrina war innerlich stinksauer und hatte alle Mühe sich zu beherrschen.<br />

Sie machte sich nur Gedanken wegen des Meetings, welches sie nun<br />

wahrscheinlich verpassen würde.<br />

„Entschuldigen Sie mich bitte, ich habe es eilig! Es geht um meinen Job!“<br />

…<br />

Holzmann musterte Sabrina von oben bis unten und konnte sich das Grinsen<br />

nicht verkneifen.<br />

„Ich wollte mal nachsehn´ ob alles klar ist bei Ihnen. Man sieht Sie schon von<br />

weitem hier herum hinken. So wird das nix! Vielleicht sollten Sie nach Hause<br />

gehen.“<br />

Sabrina zog eine missbilligende Grimasse und wandte sich leicht ab. Ihre<br />

Trotzigkeit verbot es ihr, in diesem Moment weiter auf Holzmann<br />

einzugehen.<br />

„Ach....Jetzt haben Sie sich doch nicht so! Ich will Ihnen helfen.“, sagte<br />

Holzmann gutmütig.<br />

...<br />

Sie küssten sich.<br />

Ohne es richtig mitbekommen zu haben, tat Holzmann nichts um Sabrina<br />

abzuwehren und ließ sie langsam ins Bett sinken. Der Kuss dauerte mehrere<br />

Sekunden und wurde dann immer intimer. Ein klassischer Zungenkuss.<br />

Holzmann streifte mit seinem Blick die Uhr mit den blauen Ziffern und sah<br />

dass es nach halb elf geworden war. Er wollte sich höflich lösen, als er<br />

merkte, dass Sabrina ihm leise etwas sagte.<br />

„Wenn Du jetzt gehst, komme ich hier morgen nicht raus.“<br />

...


Rainer stürzte sich auf Jan Veltenhof und Marcel von Auersee. Obwohl Jan<br />

der Geiselnehmer war, bot sich den anwesenden Polizisten eine unglaubliche<br />

Situation.<br />

Rainer schlug Marcel zu Boden !<br />

In dem unfassbaren Handgemenge, entriss Rainer Jan eine, der beiden<br />

Pistolen, und hielt ihn damit fern von sich. Jan schaute ihn an und hielt einen<br />

Moment inne. Er lächelte, ließ seine andere Pistole fallen und sank zu Boden<br />

und saß nur noch da.<br />

SEK Beamte zielten mit ihren MP´s auf Jan und traten die Pistole außer<br />

Reichweite. Jan schien sich ergeben zu haben. Sie nahmen ihn fest.<br />

„Was habt ihr gemacht !?!“ schrie Rainer immer wieder und schlug bei jedem<br />

einzelnen Wort auf Marcel ein. Dann drückte er Marcel die Pistole gewaltsam<br />

an die Schläfe.<br />

Budjen und mehrere andere Polizisten versuchten verzweifelt an Rainer und<br />

Marcel heran zu kommen. Doch selbst zu viert schafften sie es nicht.<br />

Jan wurde nun eingekreist, und schaute mit einer gewissen Genugtuung zu,<br />

was neben ihm mit Marcel von Auersee passierte.<br />

„Hilfe ! HILLLFEEEEE !“ schrie von Auersee.<br />

Plötzlich wirkte er wieder schwächlich und klein. Eben der alte<br />

Kampfspezialist und nun wieder ein Jammerlappen.<br />

Rainer interessierte es nicht mehr. Er wusste jetzt, was passiert war.<br />

„Zum allerletzten Mal! Was habt ihr mit Sabrina gemacht?“ knurrte Rainer<br />

Marcel an und drückte ihm die Kehle mit einem Fixiergriff zu.<br />

Von Auersee röchelte und rang nach Luft. Er brachte nur noch gurgelnd<br />

Wortfetzen heraus.<br />

„... Ich... Will … Hotel... Sie... Nur gestört... Alles egal...“<br />

Rainer spannte den Hahn der Pistole und sah Marcel mit finsterem Blick an.<br />

Plötzlich hielten alle im Korridor inne. Er würde ihn töten!<br />

„Warum?!? Rede!!!!“ , zischte Rainer jedes einzelne Wort betonend und setzte<br />

die Pistole direkt auf Marcels Stirn.<br />

„Neiiiiiin! Rainer? Rainer!!!!! Rainer, tu das nicht!!!! Das ist es doch nicht<br />

wert!“, versuchte Budjen verzweifelt, Rainer zu beschwichtigen.<br />

Rainer sah von Auersee lange an. Seine Hände zitterten ein wenig, doch die<br />

Pistole war fest in seinem Griff.


„Rainer wenn Du ihn umlegst, hat er gewonnen! Sieh ihn dir an. Der ist doch<br />

irre!“<br />

Budjen redete und redete. Er war verzweifelt.<br />

Rainers Einsatz am Güterbahnhof. Dörings Tod. Sabrinas Verhaftung. Das<br />

Chaos im Hotel. Rainers Suspendierung. Sabrinas Tod.<br />

Alles war nun zusammen gekommen. Das konnte niemand aushalten!<br />

„Rainer? Lass uns den Wichser verhaften! Bitte Rainer! Der ist es nicht wert,<br />

das weißt Du! Rainer bitte mach´ keinen Scheiß jetzt.“ Budjen flehte<br />

regelrecht.<br />

Inzwischen waren SEK Beamte dabei, Jan aufzuhelfen und brachten ihn weg.<br />

Der Korridor war jetzt fast leer. Bis auf die sichernden SEK Beamten und eine<br />

paar Streifen-Polizisten waren keine anderen Menschen mehr im Korridor<br />

der Station.<br />

Rainer sah Marcel an und und hielt inne. Sein Abzugsfinger zitterte. Immer<br />

wieder berührte er leicht die geschwungene Oberfläche des Abzugs,<br />

entschlossen zu töten. Jedes Mal zwang er sich, es doch nicht zu tun. Er war<br />

so wütend!<br />

Sabrina. Er hatte sie geliebt.<br />

Rainer fragte Marcel nochmals, und schrie dabei so laut auf, wie er nur<br />

konnte und war wieder entschlossen, Marcel büßen zu lassen.<br />

Er drückte die Waffe so fest auf die Stirn Marcels, dass diese anfing zu bluten.<br />

Marcel sah Rainer an und lächelte.<br />

Er atmete ein.<br />

Er wurde ruhiger und entspannte sich.<br />

„Weil. Ich. Es. Kann.“, sprach er. Ganz bei sich.<br />

Marcel sah Rainer an. Er lächelte.<br />

Plötzlich machte Marcel eine kaum merkliche, ruckartige Bewegung und<br />

steckte seinen Daumen in den Abzug. Er zwinkerte Rainer zu.<br />

Marcel von Auersee drückte ab.


-75-<br />

vier Monate später, 19.35 Uhr, Hotel Schlosshof, Ballsaal ….<br />

Die Angestellten fanden sich nach und nach im Ballsaal des Hotels ein.<br />

Hannah von Auersee, die nun die Geschäfte kommissarisch nach dem<br />

Ableben Sabrina´s leitete, ließ verkünden, dass endlich eine eine adäquate<br />

Besetzung für den Chefsessel des Hotels gefunden wurde. Unzählige<br />

Bewerbungen hatte sie durchgesehen und sich dann für jemanden


entschieden, der ihrer Meinung nach passend schien. Und nun war der große<br />

Augenblick gekommen um die Besetzung der Belegschaft vorzustellen!<br />

Hannah trat zum Podium. Sie räusperte sich und begann zu sprechen.<br />

„Liebe Angestellte. Die vergangenen Monate waren für dieses Haus eine<br />

schwere und dunkle Zeit. Auch durch meine persönliche Erfahrung kann ich<br />

Ihnen versichern, dass ich genau wie Sie, immer noch daran zehre und hoffe,<br />

es bald hinter mir zu lassen. Ein geeigneter Schritt dazu ist es, Ihnen das neue<br />

Führungsmitglied des Hauses vorzustellen, das mit seiner Mitwirkung<br />

nunmehr eine Zeitenwende einleitet.“<br />

Hannah sah die Angestellten reihum an, und versicherte sich deren voller<br />

Aufmerksamkeit. In einer Ecke des Saales, entdeckte sie auch das Gesicht<br />

Rainer Holzmanns, dem sie viel zu verdanken hatte. Dass er und Sabrina ein<br />

Paar gewesen sein sollen, hatte sie erst kürzlich erfahren. Dass er durch<br />

seinen Besuch seine Anteilnahme am Schicksal des Hotels bekundete, freute<br />

sie aus ganzem Herzen. Hannah sprach weiter.<br />

„Ich werde keine großen Worte an Sie verlieren, liebe Mitarbeiter.<br />

Nur soviel: In diesen schweren Stunden standen uns die besten Menschen zur<br />

Seite, die wir uns nur wünschen könnten. Durch deren unermüdlichen<br />

Einsatz, wurde das Unglück abgewendet, und ein Neuanfang war möglich.<br />

Diesen hatte zwischenzeitlich fast jeder, der uns kennt, angezweifelt. Einen<br />

besonderen Dank hierfür möchte ich der Polizei Heidelberg aussprechen, die<br />

heute hier durch Herrn Rainer Holzmann, vertreten ist.“<br />

Hannah sah Holzmann an und lächelte. Rainer nickte trocken aber dankbar.<br />

Er fühlte sich etwas unbehaglich und hoffte nichts sagen zu müssen. Sabrinas<br />

Tod war für ihn zu belastend, und sprechen wollte er darüber schon gar<br />

nicht.<br />

Hannah ließ ihn in Ruhe.<br />

Die Angestellten sahen zu Holzmann hinüber, und plötzlich fing<br />

irgendjemand zu klatschen an. Der Raum wurde förmlich geflutet von<br />

rauschendem Applaus. Man feierte Rainers Einsatz für das Haus. Hannah ließ<br />

den langen Applaus allmählich ausklingen, und sprach sichtlich berührt<br />

weiter.<br />

„Liebe Angestellte, lassen Sie uns in Gedenken an meine Mutter, meinen<br />

Bruder, an Herrn Burgstädt, an Sabrina Seiler und Carmen Schütter fünf<br />

Schweigeminuten abhalten. Lassen Sie uns beten für deren Seelen. Auf, dass


sie nun zur Ruhe kommen und deren großartiges Werk gebührend gefeiert<br />

wird.“<br />

Hannah trat vom Podium zurück und stellte sich schweigend in die erste<br />

Reihe der anwesenden Mitarbeiter und neben die Eltern Sabrinas, die auch<br />

gekommen waren, um der Arbeitsstätte ihrer Tochter die Ehre zu erweisen.<br />

Die Stille, die nun den Raum erfüllte, war beeindruckend. Es war, als würde<br />

eine wohlige Wärme den Saal ausfüllen, und alle, die im Raum anwesend<br />

waren, sanft umschmeicheln.<br />

Es schien als würden Sabrina, der alte Burgstädt und Elisabeth von Auersee<br />

mit ihnen sein.<br />

Jeder war stolz für diese drei gearbeitet zu haben.<br />

An Marcel dachten nur wenige.<br />

Seine Schwester gar nicht<br />

Die Minuten verstrichen wie eine Ewigkeit.<br />

Hannah kehrte ergriffen zum Podium zurück und hob erneut an.<br />

„Nun, liebe Angestellte, ist es Zeit, Ihnen die neue Führungskraft vorzustellen.<br />

Aber ich lasse sie das am besten selbst machen. Bitte.“ Hannah sah in eine<br />

Richtung und nickte jemandem zu. Eine junge hübsche Frau, die etwas abseits<br />

stand, rückte ihre Kostümjacke zurecht, strich sich eine rotbraune Strähne<br />

aus ihrem Gesicht und ging auf das Podium zu. Auch sie erfuhr vom<br />

Schicksal der vier Menschen und des Hauses, und hatte entsprechend etwas<br />

Sorge, die richtigen Worte zu finden. Am Podium angelangt, sah sie die<br />

Bediensteten und ihre neue Chefin an und begann zu sprechen.<br />

„Ich begrüße alle Angestellten und Freunde, und besonders die<br />

Hinterbliebenen der Verstorbenen des Hauses, und danke Ihnen für das, mir<br />

entgegengebrachte Vertrauen. Ich bemühe mich nach Kräften, jeden zu hören<br />

und allen Gelegenheit zu geben, sich kraftvoll einzubringen, und verspreche,<br />

mich mit all meiner Kraft für dieses Haus einzusetzen.“<br />

Sie blickte mit ihren blaugrünen Augen in die Menge. Dann lächelte sie, und<br />

traute sich einen Scherz zu.<br />

„Die Tür da vorne führt zu meinem Büro. Sie steht jedem, jederzeit offen. Ich<br />

meine...Nur, dass Sie Bescheid wissen.“ Sie legte lächelnd eine Pause ein.<br />

Plötzlich spielte sie geschockt, und sah die Menge mit funkelnden Augen an.


„Oh, bevor ich es vergesse: Ehe Sie mich vergeblich suchen, sollte ich Ihnen<br />

vielleicht noch meinen Namen verraten. Ich freue mich auf eine gute<br />

Zusammenarbeit. Mein Name ist Sarah Fuchs.“<br />

EPILOG<br />

Es war ein seltsames Gefühl. Das Büro war verwaist, als wäre das Präsidium<br />

für heute geschlossen worden. Rainer saß auf seinem Bürostuhl, und sah sich<br />

um.<br />

Die letzten Monate waren ein heilloses Durcheinander gewesen, und Rainer<br />

bemerkte das erste Mal, dass es auch solche ruhigen Momente geben konnte,<br />

auch wenn er sie bisher nicht registriert hatte.


Rainer dachte an das Hotel und seine Angestellten.<br />

An die von Auersee´s.<br />

An die Sache in der Klinik.<br />

An Sabrina und ihren Tod.<br />

Er war traurig darüber, dass er wieder einmal vom Schicksal unverschont<br />

geblieben war.<br />

Er gestand sich ein, kapituliert zu haben. Rainer wollte damit abschließen,<br />

und es endlich vergessen.<br />

Dann sah sich Rainer noch ein wenig in dem leeren Großraumbüro um, und<br />

beschloss, sich nun einen Kaffee zu machen, und stand deswegen von seinem<br />

Platz auf.<br />

Er schlenderte in Richtung der Kaffeemaschine.<br />

Diese Stille!<br />

Am anderen Ende des Raumes ging die Tür auf, und sein Chef Peter Lischner<br />

kam mit einer Frau in das Großraumbüro.<br />

Lischner sah Holzmann zum Kaffeeautomaten gehen, und rief ihm barsch<br />

etwas hinterher.<br />

„Hey Holzmann! Bringen Sie mal der jungen Dame hier ´nen anständigen<br />

Kaffee, ja?“ Rainer ging weiter und ignorierte das Gesagte.<br />

„Holzmann! Bleiben Sie sofort stehen!“ Lischner, Rainers Chef schnaubte.<br />

Von Holzmann unbemerkt grinste Lischner, und hielt den Zeigefinger an<br />

seinen Mund, und sah dabei die Frau an, die zuvor etwas erschrak, als<br />

Lischner so mit Holzmann umging.<br />

Die Frau verstand und bemühte sich, ein Lächeln zu unterdrücken und ernst<br />

zu wirken. Scheinbar war sie informiert über Holzmann und seine Erlebnisse<br />

in der letzten Zeit.<br />

„Holzmann, kommen Sie sofort hierher. Vergessen Sie den Kaffee!“, blaffte<br />

Lischner.<br />

Rainer bekam zitterige Knie, und wusste nicht recht, was er machen sollte.<br />

Am liebsten wäre er weggelaufen...zu spät.<br />

Lischner schaute Holzmann scheinbar zutiefst verärgert an.<br />

Eine Weile, die Rainer wie eine Ewigkeit vorkam, ließ sich Lischner Zeit,<br />

etwas zu sagen.<br />

Rainer wollte gerade selbst etwas sagen, als Lischner doch noch ansetzte.


„Halten Sie die Klappe! Sie werden diese junge Frau jetzt in Ihr Büro<br />

begleiten.“, befahl Lischner.<br />

„Ähm, Chef Ich habe nur diesen Platz hier,“ wunderte sich Rainer über die<br />

Anweisung.<br />

„Sie Dummkopf, ich meinte das Büro, was diese Dame selbst beansprucht.“,<br />

raunte Lischner. Kurz pausierte er. Rainer wollte wieder etwas sagen.<br />

„Ich habe gesagt, Sie sollen die Klappe halten!“ Lischner schien genervt zu<br />

sein.<br />

Die Frau sah belustigt Rainer an und unterdrückte mühsam ein Lächeln.<br />

Sie wusste, dass Lischner nur scherzte, aber sie war amüsiert darüber, dass<br />

Holzmann das nicht merkte.<br />

„So. Ich lasse Sie beide jetzt alleine.“, verabschiedete sich Lischner. Er wandte<br />

sich der Frau zu.<br />

„Wenn Sie Schwierigkeiten haben, knallen Sie ihn ruhig ab.“, sagte Lischner<br />

und zwinkerte ihr zu.<br />

Die Frau nickte und gab Lischner die Hand.<br />

„Danke für alles. Bis später.“ Ihre Stimme klang angenehm.<br />

Rainer sah die Frau verblüfft an. Wer war sie? Neue Abteilungsleiterin?<br />

Innen-Revision?<br />

Die Frau straffte sich, und sah nun festem Blick Rainer an. Das Blau in ihren<br />

Augen leuchtete wie das Meerwasser in der Karibik.<br />

„Also, Sie sind der Herr Holzmann, ja?“ fragte sie kess.<br />

„Ja, der bin ich.“ antwortete Rainer.<br />

Er sah die Frau an, und spürte irgendwie Vertrautheit, die er sich nicht<br />

erklären konnte.<br />

Die Frau war so groß wie er, und zierlich. Sie hatte dunkelblonde glatte lange<br />

Haare und glitzernd blaue Augen, die selbst hinter der schlichten Brille noch<br />

strahlten.<br />

„Also Herr Holzmann, dann geben Sie mir mal einen Kaffee aus.“ forderte die<br />

Frau Holzmann auf ,und ging voraus in Richtung des Automaten. Holzmann<br />

stand noch immer wie angewurzelt da, und sah ihr nach. Ihre Jeans und das<br />

darin, gefiel ihm ausgesprochen gut!<br />

„Wer sind Sie eigentlich?“, fragte Holzmann.<br />

Die Frau lief weiter und antwortete kurz und knapp.<br />

„Ich heiße Lisa Kemp.“


Rainer sah ihr fragend hinterher.<br />

` Was will die denn hier?´, dachte er.<br />

Obwohl die Frau ihn nicht sehen und auch nicht seine Gedanken erahnen<br />

konnte, antwortete sie ihm auf die nie gestellte Frage.<br />

„Ich bin ihre neue Partnerin hier, und wir werden in Zukunft zusammen<br />

arbeiten.“<br />

ENDE

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