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Grenzen

Credit Suisse bulletin, 1999/02

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ehaupten. Ich war jung, stark, konnte<br />

mich durchschlagen. Es war einfach ein<br />

Strom, in dem man mitschwimmt.» Und<br />

immer mehr glitt Markus Looser in die<br />

Illegalität – obwohl er eigentlich ein normales<br />

Rechtsempfinden habe, wie er beteuert.<br />

«Ich musste mir jeweils Mut antrinken, um<br />

zu klauen.»<br />

«Jeder hier trägt eine Maske»<br />

Insgesamt 17 Jahre seines Lebens hat<br />

Markus Looser hinter Gittern verbracht.<br />

Immer in Regensdorf. Eine lange Zeit;<br />

lange genug, um die Mechanismen des<br />

Gefängnisalltags kennenzulernen. So hat<br />

er erfahren müssen, dass die Gefängnismauern<br />

nicht die einzigen <strong>Grenzen</strong> im<br />

Pöschwies sind. Auch im Innern bestehen<br />

zahlreiche Trennlinien. «Es gibt wohl nichts<br />

Verlogeneres als das Leben im Strafvollzug»,<br />

sagt Looser. «Jeder hier drin trägt<br />

eine Maske, spielt den Helden, um sich ja<br />

keine Blösse zu geben.» Looser hatte lange<br />

Zeit Mühe, Freundschaften aufzubauen.<br />

Er blieb ein Eigenbrötler. Und dennoch<br />

habe er dort drinnen intensive Beziehungen<br />

erlebt. Etwa mit dem jungen Mann, der<br />

eines Tages in die Zelle nebenan kam.<br />

«Wir haben miteinander zu sprechen begonnen,<br />

und plötzlich habe ich gemerkt,<br />

dass er mein Halbbruder ist. Ich hatte vorher<br />

nie erfahren, dass ich einen Bruder<br />

hatte.»<br />

Als Markus Looser 24 war, landete er<br />

erneut im Knast, diesmal für vier Jahre,<br />

wegen Diebstahl und Einbruch. Nach diesem<br />

neuerlichen Tiefschlag durchfuhr ihn<br />

ein Ruck. Er entschloss sich, sein Leben<br />

nochmals neu zu beginnen. Mit 28 kam er<br />

wieder raus, mit einem Berufsdiplom in der<br />

Tasche. Im Gefängnis hatte er eine Schreinerlehre<br />

gemacht und mit der Durchschnittsnote<br />

5,1 abgeschlossen – er, der<br />

in der Schule stets als Versager galt. Alles<br />

schien sich nun zum Besseren gewendet<br />

zu haben. Bei einem Schreiner hatte er<br />

eine Stelle bekommen, mit Weiterbildungsmöglichkeiten.<br />

Doch Markus Looser war<br />

nicht vorbereitet auf die neugewonnene<br />

Freiheit, geriet in Panik.<br />

«Da stand ich nun, am Tag meiner Entlassung,<br />

mit meinem Lohntütchen in der<br />

Hand und hätte das erste Mal im Leben<br />

ein Bankkonto eröffnen sollen. Allein beim<br />

Gedanken habe ich mir fast in die Hosen<br />

gemacht.» Er liess es sein, ging stattdessen<br />

mit seinem Bruder auf Kneipentour.<br />

Noch am gleichen Abend war das Geld<br />

verprasst. Die Stelle hat er nie angetreten.<br />

Er lernte ein Mädchen kennen, verliebte<br />

sich, erfuhr von ihrer Drogensucht, wollte<br />

ihr helfen und glitt am Schluss selbst hinein.<br />

«Nach einem guten Monat war ich<br />

schon voll auf Absturzkurs.» Eine späte<br />

Drogenkarriere begann. «Ich habe alles<br />

ausprobiert: Heroin, Kokain, Cocktails, ich<br />

wollte nur noch fliegen.» Der Genuss<br />

währte jeweils nicht lange. Täglich war er<br />

17 Stunden auf den Beinen und musste<br />

irgendwie schauen, wie er zu seinen Moneten<br />

kam. «Wenn du pro Tag 1000 bis<br />

2000 Franken brauchst, dann musst du<br />

stehlen, massiv und skrupellos, sonst gehst<br />

du drauf.» Am hellichten Tage räumte er<br />

Geschäfte aus, in der Zürcher Industriezone,<br />

an der Bahnhofstrasse.<br />

Drinnen, eine gähnende Leere<br />

Der Platzspitz, damals Zürichs grosse<br />

Drogenszene, wurde Markus Loosers Zuhause.<br />

«So viel Gewalt auf einem Haufen<br />

hatte ich vorher noch nie gesehen. Du verspürst<br />

nur noch eine gähnende Leere in<br />

dir. Sogar deine Grossmutter würdest du<br />

für einen Fünfliber verkaufen.» Die Grenze<br />

war durchbrochen, die Grenze, jenseits<br />

der ein Mensch alles zu tun bereit ist, auch<br />

einen anderen umzubringen. Es geschah,<br />

als Markus Looser schon am Ende war,<br />

nach anderthalb Jahren Drogenhölle. «Der<br />

Kerl war meine letzte Hoffnung, versprach,<br />

mir Geld zu borgen. Ich vertraute<br />

ihm.» Looser war auf Entzug, hatte Alkohol,<br />

Tabletten und alles mögliche in sich hineingeschüttet,<br />

um die Entzugsschmerzen<br />

loszuwerden. «Der andere hat die Situation<br />

ausgenützt und Sex verlangt. Da hat es in<br />

mir plötzlich Klick gemacht. Meine Seele<br />

war verletzt. Und ich bin mit dem Messer<br />

auf ihn los... Es ist extrem gewesen...»<br />

Looser schweigt.<br />

Untersuchungshaft. Eine schlimme Zeit.<br />

Zu schaffen machte ihm nicht so sehr die<br />

enge, begrenzte Welt der Zelle, sondern<br />

seine Tat, sein verpatztes Leben, die Ungewissheit,<br />

wie es nun weitergehen würde.<br />

Suizidgedanken jagten ihm durch den<br />

Kopf. Und doch war immer etwas, das ihn<br />

zurückhielt. Dann das Urteil: Vorsätzliche<br />

Tötung, elf Jahre. Noch eine Chance zum<br />

Neuanfang. Looser nutzte sie, so gut er<br />

12<br />

CREDIT SUISSE BULLETIN 2 |99

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