MTD_DDG_2017_09
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4 News & Fakten<br />
diabeteszeitung · 2. Jahrgang · Nr. 9 · 27. September <strong>2017</strong><br />
Problemfeld<br />
Mischpreise<br />
Eine Klarstellung des Gesetzgebers<br />
ist dringend erforderlich<br />
Regress<br />
G-BA<br />
§§<br />
Urteil<br />
BSG<br />
LSG<br />
Fotos: iStock/rzoze19<br />
Mischpreise<br />
BERLIN. „Die Schiedsstelle für Arzneimittelpreise hat heute<br />
gegen das LSG-Urteil ,Albiglutid‘ des LSG Berlin-Brandenburg<br />
beim BSG Revision eingelegt“, twitterte Professor Dr. Jürgen<br />
Wasem, unparteiischer Vorsitzender der AMNOG-Schiedsstelle,<br />
am 30. August. Das Gericht hatte die Praxis der Mischpreisbildung<br />
bei Arzneimitteln für rechtswidrig erklärt. Nun soll<br />
das Bundessozialgericht entscheiden. Es wird aber auch der<br />
Gesetzgeber aufgefordert zu handeln.<br />
Das Landessozialgericht<br />
Berlin-Brandenburg<br />
hat mit<br />
seinem Urteil vom 28.<br />
Juni ordentlich für Unruhe<br />
gesorgt. Es bestünden<br />
erhebliche Zweifel an der<br />
Rechtmäßigkeit der praktizierten<br />
Mischpreisbildung,<br />
weil der Mischpreis<br />
keine nutzenadäquate<br />
Vergütung darstelle und<br />
er keine Grundlage im<br />
Gesetz finde. Dringend<br />
notwendig sei daher eine gesetzliche<br />
Regelung, die die Mischpreisbildung<br />
in einem Fall wie dem vorliegenden<br />
zulasse, zumindest aber eine<br />
Übereinkunft in der Rahmenvereinbarung<br />
nach § 130b Abs. 9 SGB V.<br />
Wegen grundsätzlicher Bedeutung<br />
ließ das Gericht eine Revision zum<br />
BSG zu. Eine Revision zum BSG<br />
wurde auch in einem Parallelverfahren<br />
zugelassen, betreffend das<br />
Arzneimittel Zydelig® mit dem<br />
Wirkstoff Idelalisib (Az.: L 9 KR<br />
72/16 KL).<br />
»Eine Wertentscheidung<br />
im klassischen<br />
Sinne«<br />
Prof. Dr.<br />
Jürgen Wasem<br />
AMNOG-<br />
Schiedsstelle<br />
Foto: privat<br />
Auch im zweiten Verfahren<br />
hatte das Gericht<br />
nach Klage des GKV-<br />
Spitzenverbandes die Entscheidung<br />
der AMNOG-<br />
Schiedsstelle aufgehoben<br />
und auch hier eine mangelnde<br />
Begründung für<br />
den Mischpreis angegeben.<br />
Grundsätzlich sei<br />
von Schiedssprüchen auf<br />
der Grundlage von § 130b<br />
SGB V zu fordern, dass<br />
sie den Rechenweg, der<br />
der Bildung des Erstattungsbetrages<br />
zugrunde liegt, mit allen seinen<br />
Implikationen nachvollziehbar und<br />
transparent aufzeigen.<br />
Der Schiedsspruch bezüglich des<br />
Wirkstoffs Albiglutid sei rechtswidrig,<br />
so das Gericht, da er an einem<br />
Begründungsmangel leide. Nachvollziehen<br />
kann Prof. Wasem diese<br />
Feststellung nicht. Dies geht aus einem<br />
Kommentar zum LSG-Urteil<br />
hervor, den der Schiedsstellenvorsitzende<br />
und Gesundheitsökonom<br />
von der Uni Duisburg-Essen für die<br />
Berliner „Presseagentur Gesundheit“<br />
verfasst hat. Gerade im Albiglutid-<br />
Schiedsspruch könne man alles anhand<br />
der Begründung des Schiedsspruchs<br />
nachrechnen: „Und die von<br />
den Richtern in der mündlichen<br />
Verhandlung verlangte Begründung,<br />
warum der Zusatznutzen in der Patientengruppe<br />
mit Zusatznutzen von<br />
der Schiedsstelle mit 1200 Euro und<br />
nicht – wie vom GKV-Spitzenverband<br />
in der Schiedsstelle beantragt<br />
– mit 1000 Euro veranschlagt<br />
wurde, ist nun einmal eine Wertentscheidung<br />
im klassischen Sinne, für<br />
die objektivierbare Größen schwer<br />
benannt werden können.“<br />
Jeder kann doch anhand der<br />
Begründung nachrechnen<br />
Ohne Zweifel mehr Gewicht hat<br />
nach Ansicht Prof. Wasems jedoch,<br />
dass die Richter in der Verhandlung<br />
deutlich machten, dass eine Gesetzeslücke<br />
bestehe, da der Gesetzgeber<br />
nur die beiden Fälle „komplett<br />
ohne Zusatznutzen“ und „komplett<br />
mit Zusatznutzen“, nicht aber den<br />
Fall „teilweise mit und teilweise<br />
ohne Zusatznutzen“ geregelt habe.<br />
Die Richter hätten aber auch keinen<br />
Zweifel daran gelassen, „dass sie die<br />
Rahmenvereinbarung nach § 130b<br />
SGB V für den geeigneten Ort halten,<br />
wo geregelt wird, wie die Partner<br />
der Preisverhandlungen und<br />
im Streitfall die Schiedsstelle mit<br />
solchen Produkten mit teilweisem<br />
Zusatznutzen umgehen sollen“.<br />
Prof. Wasem kann sich solche Festlegungen<br />
in den Rahmenvereinbarungen<br />
grundsätzlich vorstellen.<br />
KBV befürchtet für Ärzte<br />
ein erhebliches Regressrisiko<br />
Problematisch sieht der Ökonom<br />
jedoch, dass auf Landesebene Kassenärztliche<br />
Vereinigungen und<br />
Krankenkassen mit Verweis auf eine<br />
Patienten sind die Leidtragenden<br />
„Hätte dieser Beschluss Bestand, droht den Ärzten, die solche Medikamente verordnen,<br />
ein Regress. Die Folge wäre ein faktischer Verordnungsausschluss für bestimmte Patientengruppen.<br />
So könnten beispielsweise neue Arzneimittel zur Behandlung von HIV bei<br />
Kindern und Jugendlichen zukünftig nicht mehr verordnet werden. Für diese Altersgruppe<br />
hat der G-BA – im Gegensatz zu Erwachsenen – bislang keinen Zusatznutzen gegenüber<br />
der jeweiligen zweckmäßigen Vergleichstherapie feststellen können, da die Datenlage<br />
unzureichend ist.“<br />
Quelle: KBV Klartext, 2. Quartal <strong>2017</strong><br />
günstige zweckmäßige<br />
Vergleichstherapie<br />
Produkte ohne<br />
Zusatznutzen Patienten doch nicht<br />
zur Verfügung stellen. Dieser Inkonsistenz<br />
sollte sich der Gesetzgeber<br />
annehmen.<br />
In diesem Sinne fordert auch die<br />
Kassenärztliche Bundesvereinigung<br />
eine politische Klarstellung. Für die<br />
Ärzte bestünde ansonsten ein steigendes<br />
Regressrisiko.<br />
„Sofern der Mischpreis über den<br />
Kosten der Vergleichstherapie liegt,<br />
ist nach dem LSG-Beschluss eine<br />
Verordnung unwirtschaftlich. Der<br />
Arzt unterliegt einem Regressrisiko,<br />
wenn er diese in den Leitlinien empfohlene<br />
und für den Patienten notwendige<br />
Therapie verordnet“, erklärt<br />
Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender<br />
Vorstandsvorsitzender der<br />
KBV. Die Sorge, dass Krankenkassen<br />
Prüfanträge stellen, bestimme damit<br />
den Praxisalltag der Vertragsärzte.<br />
Der KBV-Vize hält eine zeitnahe<br />
gesetzliche Klarstellung des Gesetzgebers<br />
für erforderlich. Bei einem<br />
Erstattungsbetrag, der sowohl die<br />
Patientengruppen mit als auch jene<br />
ohne Zusatznutzen einpreist und die<br />
Wirtschaftlichkeit über das gesamte<br />
Anwendungsgebiet gewährleistet,<br />
bliebe die freie Therapieentscheidung<br />
des Arztes geschützt. kol<br />
LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 28.6.<strong>2017</strong>,<br />
Az.: L 9 KR 213/16 KL und L 9 KR 437/16 KL ER<br />
http://bit.ly/2wVfEFZ<br />
KOMMENTAR<br />
Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland<br />
Glasklar: Beim AMNOG<br />
ist nachzubessern<br />
Der LSG-Beschluss offenbart versorgungsrelevante<br />
Schwächen<br />
des AMNOG, auf die die <strong>DDG</strong><br />
von Anbeginn hingewiesen<br />
hat. Die vom G-BA festgelegte<br />
zweckmäßige Vergleichstherapie<br />
(zVT) ist nicht nur der Standard<br />
für eine Beurteilung des Zusatznutzens<br />
(ZN) eines neuen<br />
Medikamentes, sondern legt per<br />
Gesetz auch den Erstattungspreis<br />
bei fehlendem ZN fest. Das<br />
Pro blem in der Diabetologie<br />
ist, dass die derzeitige zVT bei<br />
Typ-2-Diabetes immer im Cent-<br />
Bereich liegt. Daher fordert die<br />
<strong>DDG</strong> bei „fehlendem“ ZN einen<br />
von der zVT unabhängigen<br />
Preis-Anker. Dieser soll für die<br />
vertraulichen Verhandlungen<br />
zwischen GKV-Spitzenverband<br />
und Hersteller eine Lösung möglich<br />
machen. Zudem könnte bestimmt<br />
werden, dass ein verhandelter<br />
Preis „wirtschaftlich“ ist.<br />
Auch das Festlegen der Patientenpopulationen<br />
müsste für die<br />
Studien konzeption der forschenden<br />
Industrie verlässlich geregelt<br />
werden. Das GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz<br />
macht bei fehlendem ZN Abweichungen<br />
vom Preis der zVT und<br />
möglicherweise Mischpreise im<br />
Einzelfall möglich; aber wer weiß<br />
es? Daher ist es wichtig, was das<br />
Bundessozialgericht entscheiden<br />
wird. Und bei der regionalen<br />
Wirtschaftlichkeitsprüfung ist die<br />
Verantwortung aller gegenüber<br />
den Patienten gefragt.<br />
Mehr Experten für »Psychotherapie bei Diabetes« in Aussicht<br />
Diabetologen und Endokrinologen begrüßen neue Weiterbildung für Psychotherapeuten<br />
BERLIN. Die Bundespsychotherapeutenkammer<br />
(BPtK) hat ihre Muster-<br />
Weiterbildungsordnung der Psychologischen<br />
Psychotherapeuten erweitert.<br />
Sie bietet nun eine Weiterbildung „Psychotherapie<br />
bei Diabetes“ an. Experten<br />
der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie<br />
(DGE) und der <strong>DDG</strong>, die sich<br />
für diese Erweiterung stark gemacht<br />
hatten, begrüßen die Entscheidung.<br />
Eine psychotherapeutische Begleitung<br />
„ist Teil einer erfolgreichen<br />
Diabetestherapie“, betont Professor<br />
Dr. Matthias M. Weber, Mediensprecher<br />
der DGE und Vorsitzender<br />
der <strong>DDG</strong>-Regionalgesellschaft Rheinland-Pfalz.<br />
Sozial integrierte Patienten<br />
mit einer stabilen Psyche und einer<br />
hohen Lebensqualität gelinge es<br />
besser, die Krankheit anzunehmen,<br />
sie gut zu managen und damit Folgekomplikationen<br />
zu verhindern.<br />
Zu wenige Fachpsychologen<br />
und Psychodiabetologen<br />
„Ein Diabetespatient trifft 99,9 %<br />
aller Therapieentscheidungen eigenverantwortlich.<br />
Nur wenn er dieses<br />
hohe Maß an Selbstmanagement<br />
erlangt, klappt es mit der Therapie“,<br />
unterstreicht auch Professor Dr.<br />
Dipl.-Psych. Bernhard Kulzer,<br />
Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft<br />
Diabetes und Psychologie der<br />
<strong>DDG</strong>.<br />
Es gibt schon seit fast 20 Jahren die<br />
<strong>DDG</strong>-Weiterbildung zum „Fachpsychologen<br />
Diabetes (<strong>DDG</strong>)“. Allerdings<br />
war damit keine Befähigung für<br />
Psychotherapie für Diabetespatienten<br />
verbunden. Derzeit gibt es bundesweit<br />
171 dieser Fachpsychologen<br />
sowie 55 Psychodiabetologen, die<br />
diesen Titel von der Landespsychotherapeutenkammer<br />
Rheinland-Pfalz<br />
erhalten haben. Viel zu wenig, finden<br />
die Experten von DGE und <strong>DDG</strong>.<br />
Zusatzweiterbildung dauert<br />
mindestens 18 Monate<br />
Denn nicht nur die Patienten brauchen<br />
Unterstützung, sondern auch<br />
ihre Angehörigen. Die neue Weiterbildung<br />
für Psychotherapeuten könne<br />
helfen, diese Lücke zu schließen.<br />
Die Ergänzung der Muster-Weiterbildungsordnung<br />
umfasst eine<br />
mindestens 18 Monate dauernde<br />
Zusatzweiterbildung für Psychologische<br />
Psychotherapeuten und Kinderund<br />
Jugendlichenpsychotherapeuten.<br />
Da zu gehören neben der Theorievermittlung<br />
180 Behandlungsstunden<br />
unter Supervision und eine Hospitation<br />
in einer Einrichtung, die auf<br />
diabetologische Behandlungen spezialisiert<br />
ist.<br />
REI<br />
Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft<br />
für Endokrinologie (DGE) und der <strong>DDG</strong>