27.09.2017 Aufrufe

Demokratie / dérive - Zeitschrift für Stadtforschung, Heft 69 (4/2017)

In zahlreichen Schwerpunktausgaben der letzten Jahre hat dérive gezeigt, wie ein demokratischeres Modell von Stadt aussehen könnte. Es geht dabei um eine Stadt, in der die Bewohner aktive und gleichberechtigte Bürger und Bürgerinnen und keine passiven Konsumenten sind, die sich – je nach Ausstattung mit finanziellem, rechtlichem, kulturellen und sozialem Kapital – ihr Recht auf Stadt leisten können oder eben nicht. dérive 69 (4/2017) mit dem schlichten Titel Demokratie setzt diese Reihe an Heften fort und steuert einige Beiträge bei, deren Fokus sich mit den Stichwörtern Munizipalismus, Selbstverwaltung, Versammlungen, Partizipation sowie Öffentlichkeit und Staat zusammenfassen lassen. Das Heft kann hier https://shop.derive.at/collections/einzelpublikationen/products/heft-69 bestellt werden.

In zahlreichen Schwerpunktausgaben der letzten Jahre hat dérive gezeigt, wie ein demokratischeres Modell von Stadt aussehen könnte. Es geht dabei um eine Stadt, in der die Bewohner aktive und gleichberechtigte Bürger und Bürgerinnen und keine passiven Konsumenten sind, die sich – je nach Ausstattung mit finanziellem, rechtlichem, kulturellen und sozialem Kapital – ihr Recht auf Stadt leisten können oder eben nicht. dérive 69 (4/2017) mit dem schlichten Titel Demokratie setzt diese Reihe an Heften fort und steuert einige Beiträge bei, deren Fokus sich mit den Stichwörtern Munizipalismus, Selbstverwaltung, Versammlungen, Partizipation sowie Öffentlichkeit und Staat zusammenfassen lassen. Das Heft kann hier https://shop.derive.at/collections/einzelpublikationen/products/heft-69 bestellt werden.

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Angesicht zu Angesicht diskutieren und diesen Prozess nicht an<br />

BerufspolitikerInnen delegieren. Er spricht sich <strong>für</strong> eine Entprofessionalisierung<br />

von Politik aus, weist aber stets darauf hin,<br />

dass diejenigen die sich in einer Versammlung auf Maßnahmen<br />

einigen, nicht zwangsläufig die sein müssen, die sie auch umsetzen.<br />

Auch der Idee der Städtebünde hat Bookchin viel Aufmerksamkeit<br />

gewidmet und mit zahlreichen Beispielen von der<br />

Antike übers Mittelalter bis in die Gegenwart ihr Potenzial <strong>für</strong><br />

eine demokratischere Gesellschaft belegt. Heute spielen Städtenetzwerke<br />

auf vielen Ebenen (wieder) eine wichtige Rolle und<br />

man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass sich ihre<br />

Bedeutung in Zukunft weiter erhöhen wird. Städte sind mit den<br />

Auswirkungen gesellschaftlicher Entwicklungen tagtäglich und<br />

direkt konfrontiert und können sich nicht in nationalstaatlichen<br />

Realitätsverweigerungen und Inszenierungen ergehen, zumindest<br />

dann nicht, wenn sie als lebendige und lebenswerte Orte <strong>für</strong><br />

alle erhalten bleiben wollen. Benjamin Barber hat mit seinem<br />

2013 erschienenen Buch If Mayors Ruled the World: Dysfunctional<br />

Nations, Rising Cities diese Entwicklung auf den Punkt<br />

gebracht.<br />

Bookchins libertärer Kommunalismus hat sich zwar als<br />

Begriff nicht wirklich durchgesetzt, in der aktuellen munizipalistischen<br />

Bewegung stoßen jedoch viele seiner Ideen auf großes<br />

Interesse. Der Begriff des Munizipalismus geht dabei historisch<br />

auf eine Bewegung während der Römischen Republik des 18.<br />

Jahrhunderts zurück, in der einige Kommunen sich in Gänze<br />

vom neuen Staat loszusagen versuchten, mit den Werten Selbstbestimmung<br />

und Autonomie als Kern der Idee. Juan Subirats,<br />

einer der Gründer von Barcelona en Comú, beschreibt in seinem<br />

Beitrag in dieser Ausgabe die Entwicklung der munizipalistischen<br />

Bewegung im heutigen Spanien und die Werte und Ziele,<br />

die in den lokal organisierten Wahlkämpfen im Vordergrund<br />

standen: Die Wiederaneignung der Institutionen im Sinne der<br />

BürgerInnen, die Bekämpfung von sozialer Not und der<br />

Zunahme von Ungleichheit, eine direkte Einbeziehung der BürgerInnen<br />

in öffentliche Entscheidungsprozesse und das Wiedererlangen<br />

einer ethischen, moralischen, politischen Perspektive<br />

nach Jahren der Korruption und privaten Bereicherung an den<br />

öffentlichen Institutionen.<br />

Lessons to learn<br />

So spannend und hoffnungsvoll sich das Projekt der<br />

munizipalistischen Bewegung darstellt, so stellt sich doch die<br />

Frage, ob und wie es langfristig möglich ist, die vorhandenen<br />

Strukturen der Stadtpolitik und Kommunalverwaltung so zu<br />

nutzen, dass am Ende des Tages nicht doch automatisch wieder<br />

nur eine repräsentative <strong>Demokratie</strong> übrig bleibt. Auch der Hamburger<br />

Autor und Stadtaktivist Niels Boeing weist im Interview<br />

in dieser Ausgabe darauf hin, dass sich die Strukturen der Verwaltung<br />

mitsamt ihrer Beamtenschaft in der Vergangenheit<br />

immer wieder als starke, bewahrende Kräfte erwiesen haben, die<br />

über viel Wissen und Erfahrung und damit über eine nicht zu<br />

unterschätzende Macht verfügen, mit der bei allen Ansätzen<br />

eines grundlegenden Wandels gerechnet werden muss.<br />

Barcelona en Comú arbeitet jedenfalls hart daran, die<br />

Institution der Asambleas (Stadtteilversammlungen) als den Ort<br />

zu institutionalisieren, an dem von der Bevölkerung Themen<br />

aufgeworfen und Fragen diskutiert werden, deren Antworten<br />

schließlich von Politik und Verwaltung aufgegriffen und umgesetzt<br />

werden. Können die komplexen Probleme der urbanen<br />

Gesellschaft mit solchen Modellen tatsächlich gelöst werden? Ist<br />

es also möglich an <strong>Demokratie</strong> als Projekt einer aktiven Selbstermächtigung<br />

zu arbeiten, anstatt sie nur passiv zu konsumieren?<br />

Die Fragen sind berechtigt, kommen allerdings zu früh, um<br />

sie ernsthaft und umfassend beantworten zu können. Der harte<br />

Pragmatismus (Kate Shea Baird) des neuen Munizipalismus ist<br />

es auf jeden Fall wert, einen genauen Blick darauf zu werfen und<br />

die Entwicklung zu verfolgen.<br />

Dass Barcelona en Comú es tatsächlich ernst meint,<br />

zeigen Bertie Russell, vom Urban Institute der Universität von<br />

Sheffield, und Oscar Reyes, der am Institute for Policy Studies<br />

forscht und in Barcelona lebt, in ihrer Analyse 2 20 Monate nach<br />

der Wahl: Ada Colaus Credo Feminizing Politics setzt auf einen<br />

komplett anderen Politikstil, der Zweifel und Widersprüche<br />

offen thematisiert und gleichzeitig die Rolle der Gemeinschaft<br />

und des Gemeinwohls bei der Lösungsfindung stärkt. Im Mittelpunkt<br />

aller Bestrebungen steht eine Politik der Commons, der<br />

Vergesellschaftung von lebensnotwendigen Infrastrukturen und<br />

gemeinsamen Entwicklung von Stadt. Sein Wahlprogramm entwickelte<br />

BComú auf Stadtteilversammlungen in lokalen Nachbarschaften<br />

und durch technische Online-Werkzeuge<br />

gemeinsam mit tausenden Menschen. Die größten Gewinne hat<br />

BComú in den ärmsten Nachbarschaften erzielt. Nach dem<br />

Wahlsieg installierte die Plattform einen Notfalls-Plan mit Maßnahmen<br />

gegen Zwangsräumungen, Strafen <strong>für</strong> Banken, die<br />

ihren Immobilienbesitz leer stehen lassen, und Subventionierung<br />

von Transport- und Energiekosten <strong>für</strong> Arbeitslose und MindesteinkommensbezieherInnen.<br />

Statt rassistischer und xenophober<br />

Angst- und Sündenbockpolitik werden von BComú die<br />

wahren Gründe thematisiert, warum immer mehr Menschen<br />

immer weniger zum Überleben haben, und Maßnahmen zur<br />

Verbesserung der sozialen Lage gesetzt. Soziale Stadtteilprojekte<br />

werden aus einem Fonds unterstützt, den die Abgeordneten von<br />

Barcelona en Comú durch eine selbst auferlegte Gehaltsbeschränkung<br />

von 2200 Euro speisen. Bei aller Lokalität verliert<br />

die Plattform den globalen Rahmen aber nicht aus den Augen:<br />

BComú vernetzt weltweit Städte und hat ein Komitee gegründet,<br />

um die gemachten Erfahrungen international zu diskutieren und<br />

zu teilen. All diese Ansätze verfolgen nicht einfach eine klassische<br />

sozialistische Politik, im Glauben, die besten Lösungen <strong>für</strong><br />

das Wahlvolk zu haben. Barcelona en Comú glaubt ganz im<br />

Sinne des Stadt selber Machens daran, dass Menschen ihre<br />

Angelegenheiten gemeinsam und selbstorganisiert am besten<br />

regeln können, und verbindet Alltags- und ExpertInnen-Wissen,<br />

um Lösungen <strong>für</strong> die tatsächlichen Probleme der Menschen zu<br />

entwickeln.<br />

2<br />

www.opendemocracy.net/<br />

can-europe-make-it/oscarreyes-bertie-russell/eightlessons-from-barcelona-encom-on-how-to-take-bac<br />

06<br />

<strong>dérive</strong> N o <strong>69</strong> — <strong>Demokratie</strong>

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