2017_2_franziskaner
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sommer <strong>2017</strong><br />
magazin für franziskanische kultur und lebensart<br />
Europa –<br />
mon amour<br />
Demokratie, Frieden und Achtung der Menschenwürde<br />
www.<strong>franziskaner</strong>.de<br />
Weitere Themen: Die Katholiken und der Rechtspopulismus +++ Franziskanische<br />
Familie: Erster Orden +++ Südsudan – Gefangen in der Logik des Krieges
Franziskanische<br />
Familie<br />
Vor 500 Jahren spaltete<br />
sich der franziskanische<br />
Männerorden.<br />
Anlass für uns, den<br />
Ersten Orden (Minoriten,<br />
Franziskaner und<br />
Kapuziner) genauer<br />
anzuschauen.<br />
Seite 24–27<br />
Südsudan<br />
Seit 2011 unabhängig,<br />
reich an Rohstoffen und<br />
doch arm und zerstört.<br />
Wie geht das zusammen?<br />
Und vor allem:<br />
Was kann man tun für<br />
die Menschen, die von<br />
Krieg und Hungersnot<br />
bedroht sind?<br />
Seite 30–32<br />
Sommer <strong>2017</strong><br />
Zeitschrift der Deutschen Franziskaner<br />
4 Kultur<br />
Anregungen und mehr<br />
6 Europa und Rechtspopulismus<br />
• Europa, mon amour<br />
• Die Rettung des Christlichen im Abendland?<br />
• Interview mit Andreas Püttmann<br />
17 Spiritualität<br />
Geistlicher Wegbegleiter<br />
21 Theologischer Impuls<br />
Kleines theologisches Wörterbuch: Geschichte<br />
22 Franziskanisch leben<br />
Vivere – Leben in franziskanischer Inspiration<br />
24 Franziskanische Familie<br />
• Franziskaner zwischen Einheit und Vielfalt<br />
• Kapuziner – Minoriten – Franziskaner<br />
28 Berufungsgeschichten<br />
Peter Amendt OFM<br />
29 Nachrichten<br />
30 Aktuelles<br />
Südsudan – Gefangen in der Logik des Krieges<br />
33 Auszug aus dem Kursprogramm<br />
34 Impressum und Buchverlosung<br />
35 Bruder Germanicus<br />
36 Franziskanerklöster in Deutschland<br />
Wir gedenken des am 16. Juni verstorbenen Helmut Kohl<br />
mit einem Bild, das ihn mit dem damaligen französischen<br />
Präsidenten François Mitterand im Jahr 1984 zeigt. Es ruft<br />
ihn als Kanzler der Einheit und Wegbereiter der Europäischen<br />
Union in Er innerung. »Die deutsche Einheit und die<br />
europäische Einigung sind zwei Seiten ein und derselben<br />
Medaille«, sagte er einmal.<br />
© oben: meinhardt • don bosco mission bonn • melinda nagy - stock.adobe.com • © unten picture alliance/ap photo<br />
Die Zeitschrift »Franziskaner«<br />
… erscheint viermal im Jahr … wird klimaneutral auf Recyclingpapier gedruckt … liegt in allen franziskanischen Häusern aus<br />
… können Sie sich kostenlos nach Hause liefern lassen:<br />
Provinzialat der Deutschen Franziskaner provinz<br />
Frau Ingeborg Röckenwagner<br />
Sankt-Anna-Straße 19, 80538 München<br />
zeitschrift@<strong>franziskaner</strong>.de<br />
Tel.: 0 89 2 11 26-150, Fax: 0 89 2 11 26-111<br />
… wird zu großen Teilen über Spenden finanziert:<br />
Spenden zur Finanzierung dieser Zeitschrift erbitten wir<br />
unter Angabe des Verwendungszweckes »Spende Zeitschrift«<br />
auf das Konto der Deutschen Franziskanerprovinz<br />
IBAN DE40 5109 1700 0080 8888 80<br />
BIC VRBUDE51 bei der Bank für Orden und Mission
Europa, mon amour<br />
Wenn man den Angstmachern<br />
glaubt, steht Europa kurz vor<br />
dem Abgrund und »die Politik«<br />
ist an allem schuld. Dabei<br />
leben wir in der Luxusecke der<br />
Welt. Es ist an der Zeit, sich für<br />
Europa, für Demokratie, Frieden<br />
und die Achtung der Menschenwürde<br />
starkzumachen.<br />
Seite 6–16<br />
europa braucht ideen, keine angstmache<br />
1957 legten Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande<br />
in den Römischen Verträgen den Grundstein für die Europäische Union. Gut zehn Jahre nach<br />
dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der Europa in ein einziges Schlachtfeld und einen riesigen Friedhof<br />
verwandelt hatte, war das ein mutiger Schritt. 60 Jahre danach kommt dennoch keine Feierstimmung<br />
auf. Europa wackelt. Solidarität bröckelt. Neue nationale Gräben tun sich auf. In Europa werden wieder<br />
Zäune gebaut. England steigt aus, andere Länder könnten folgen.<br />
»Es kommen Franzosen, es eilen Spanier herbei, Deutsche und Engländer schließen sich an.« Diese<br />
Worte beziehen sich nicht auf die EU. Sie stammen vom Anfang des 13. Jahrhunderts und beschreiben<br />
das Wachsen der franziskanischen Bruderschaft. Diese war durchaus eine europäische Bewegung. Ihre<br />
Anhänger, aus verschiedenen Kulturen und ohne einheitliche Sprache, hatten eine verbindende Idee,<br />
»sie wollten im Kleid und nach der Regel unseres Ordens leben« (1 C 27).<br />
© oben: alotofpeople – fotolia.com/bearbeitung: meinhardt<br />
Jedes gemeinsame Projekt braucht eine gemeinsame Idee. Auch Europa. Die Baumeister der EU, Robert<br />
Schumann, Konrad Adenauer, Alcide De Gasperi, waren überzeugte Christen. Europa hat tief christliche<br />
Wurzeln. Aber zu seiner Geschichte gehören auch die römische und griechische Antike, Juden und Muslime,<br />
die Aufklärung und die Religionskritik. Europa war immer schon »multikulturell«. Diese Mischung<br />
hat einen einzigartigen Wertekanon geschaffen: Respekt vor der Würde der menschlichen Person, Solidarität,<br />
Recht, Gerechtigkeit, Freiheit, Demokratie.<br />
Die aktuelle Europa-Müdigkeit lässt leicht vergessen: Die europäische Idee hat diesem von Kriegen zerrissenen<br />
Kontinent die seit Jahrhunderten längste Friedensperiode gebracht. Europa ist kein Faktum.<br />
Europa ist eine Aufgabe. Das war nach dem Krieg so und das ist heute wieder so. Das europäische Haus<br />
ist entstanden, weil Menschen und Staaten bereit waren, sich füreinander zu öffnen. Auf diesem Fundament<br />
steht auch ein künftiges Europa. Es wächst nicht aus Angst. Populismus spielt mit der Angst, kennt<br />
nur eigene Interessen und grenzt sich ab. Das aber sind Haltungen, die der biblischen Botschaft zutiefst<br />
widersprechen.<br />
Europa lebt von der Basis, von Menschen, die die europäische Idee aktiv mittragen, nicht nur bei einer<br />
Wahl, sondern auch im Gespräch am Stammtisch und in der Verwandtschaft. Dazu möchte die vorliegende<br />
Ausgabe unserer Zeitschrift FRANZISKANER einladen.<br />
Cornelius Bohl OFM (Provinzialminister)<br />
editorial<br />
3
BRUDER THOMAS EMPFIEHLT<br />
»Einen Besuch im jüdischen Museum in Berlin«<br />
Gehen Sie Stufe für Stufe den Weg nach oben.<br />
Ab und zu queren Gänge der Erinnerung an<br />
dunkle Zeiten der Geschichte. Am Ende der<br />
langen Treppe öffnet sich der Blick in die<br />
reiche Geschichte jüdischen Lebens in<br />
Deutschland. Auch wenn ich einiges<br />
wusste, manches ahnte, beim Besuch des<br />
jüdischen Museums in Berlin wurde mir<br />
deutlich, wie verkürzt unser Blick auf das<br />
deutsche Judentum häufig ist. »Between the<br />
lines« nennt Daniel Libeskind seinen<br />
architektonisch sehr interessanten<br />
Museumsbau. Für mich beschreibt er<br />
die schwierige Wanderung zwischen<br />
zwei Linien, der schwarzen des<br />
Holocausts und der goldenen<br />
eines verklärten Blicks auf die<br />
Vergangenheit. Im jüdischen<br />
Museum Berlin gelingt der Blick<br />
auf die lange und reiche jüdische<br />
Tradition, ohne durch die kurzen<br />
dunklen Jahre verstellt zu werden<br />
und ohne diese zu überspielen.<br />
Jüdisches Museum Berlin,<br />
Lindenstraße 9–14, 10969 Berlin,<br />
www.jmberlin.de, Eintritt: 8 Euro,<br />
ermäßigt 3 Euro, Familien: 14 Euro<br />
(2 E, 4 K).<br />
© picture-alliance/akg-images /florian profitlich<br />
Bruder Thomas Abrell OFM (52) arbeitet als Referent in der franziskanischen Bildungsstätte Haus Ohrbeck bei Osnabrück<br />
Angebote für junge Erwachsene – www.projekt.sandamiano.de<br />
Berufen zum Menschsein – Berufen zum Christsein – Berufen zum Gehen in den Fußspuren Jesu<br />
Weitere Informationen 33www.projekt.sandamiano.de<br />
Assisi – praktisch und direkt<br />
2. bis 9. September<br />
Mit Bruder René und Bruder Pascal eine Woche Assisi<br />
in franziskanischer Perspektive erleben.<br />
In dieser Zeit bilden wir eine kleine geistliche<br />
Gemeinschaft in einem Wohnhaus mitten in<br />
Assisi. Ganz praktisch werden wir in dieser<br />
Woche unser Leben und Beten miteinander<br />
gestalten und uns als Gruppe selbst versorgen.<br />
Nebenbei wird es unsere Aufgabe sein, die<br />
Kapelle Santo Stefano zusammen mit dem dort<br />
angrenzenden Garten zu betreuen.<br />
Hüttenwoche in der Natur<br />
am Fuß der Benediktenwand<br />
6. bis 12. August<br />
Eine Hüttenwoche im Hochmoor nahe des<br />
Klosters Benediktbeuern (Oberbayern).<br />
Als Gruppe wollen wir einfach leben und der<br />
Natur und Gott ganz nahekommen. Geplant<br />
sind angepasste Wandertouren durch die<br />
Gebirgslandschaften oder um den<br />
Walchensee, Badetage, Führungen durch das<br />
Kloster Benediktbeuern, Erkundung des<br />
Moorlehrpfades etc. – aber vor allem viel Zeit<br />
für Dich.<br />
Pilgern auf den Spuren des<br />
heiligen Franziskus<br />
10. bis 23. Juli<br />
Auf der Via Francescana zu Fuß unterwegs von Spoleto<br />
über Assisi nach Rom.<br />
Wir wandern durch die faszinierende Landschaft<br />
Mittelitaliens. Gemeinsam feiern wir Eucharistie,<br />
lesen die Bibel und erfahren viel vom Leben des<br />
heiligen Franziskus, der mit seinen Gefährten oft<br />
durch diese Landschaft gezogen ist.<br />
Orientierungsbaukasten:<br />
Finde deine Berufung<br />
Ein Angebot junger Ordensleute für dich.<br />
<br />
20. bis 22. Oktober <strong>2017</strong>: Mein/-e Lebensarchitekt/-in –<br />
Mit Gott rechnen<br />
<br />
26. bis 28. Januar 2018: Meine Lebenswerkzeuge –<br />
Kennenlernen, was hilft<br />
<br />
13. bis 15. April 2018: Meine Lebensbaustellen –<br />
Entschieden leben<br />
SURFTIPP Frische franziskanische Impulse zu kirchlichen<br />
Themen im Jahreskreis bietet die neue Website forumfranziskus.com.<br />
Theologie-Studenten aus Münster haben mit dem Kapuziner Thomas<br />
Schied die Internetsite eingerichtet, um ihre Begeisterung für den<br />
Glauben zu teilen. Ihnen liegt besonders die Botschaft von Papst<br />
Franziskus und seine Berufung auf den heiligen Franziskus von Assisi<br />
am Herzen. Die Site bietet jeden Monat einen Impuls in bewusst<br />
franziskanischer Färbung zu christ lichen Themen und lädt zur<br />
Kommentierung ein. > > forumfranziskus.com<br />
4 kultur
Bruder Rangel kocht<br />
Vorschau: Heilig-Land-Fahrt Ostern 2018<br />
Israel/Palästina 2018<br />
26. März 2018 – 3. April 2018 (von Montag in der Karwoche<br />
bis Osterdienstag)<br />
Jerusalem, Bethlehem, Nazareth, Berg Tabor, Heiligtümer<br />
am See Gennesaret und anderes.<br />
Ein Angebot des Kommissariats des Heiligen Landes für<br />
alle Interessierten!<br />
Infos und Anmeldung:<br />
Kommissariat des Heiligen Landes,<br />
Werner Mertens OFM, Tel.: 0 29 22 9 82-131,<br />
Mail: werner.mertens@<strong>franziskaner</strong>.de<br />
> > www.heilig-land.de<br />
Küstensalat<br />
Wie die Elemente Erde, Wasser und Luft an der Küste aufeinandertreffen,<br />
vereinen sich in diesem sommerfrischen Salat Rote Bete,<br />
Lachs und Apfel in einer Komposition. Die Herbheit der Erde trifft auf<br />
die Frische der See und die süße Frucht des Baumes. Der Salat passt<br />
gut zu Gegrilltem: Dadurch kommt dann auch noch das Feuer als<br />
viertes klassisches Element hinzu. Ein Lobgesang an die Schöpfung.<br />
Studienreise nach Bosnien-Herzegowina<br />
18. bis 24. September <strong>2017</strong><br />
Zutaten (für 4 Personen)<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
150 g vorgekochte Rote Bete<br />
200 g in Öl eingelegter Lachs<br />
1 Apfel<br />
1 Zwiebel<br />
½ Kopf Eisbergsalat<br />
300 g Gartenbohnen<br />
(z. B. Stangenbohnen)<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
500 g Kartoffeln<br />
1 Teelöffel Zitronensaft<br />
1 Esslöffel Bouillon<br />
(Klare-Brühe-Pulver)<br />
2 Esslöffel Mayonnaise<br />
Salz, Pfeffer<br />
© bild oben: marie-armelle beaulieu/cts<br />
Reisegruppe der letzten Studienreise nach Istanbul im<br />
September 2016<br />
In Kooperation mit Bruder Jürgen Neitzert OFM lädt die<br />
»franziskanische Initiative 1219. Religions- und Kulturdialog<br />
e. V.« zu einer interreligiösen Studienreise ein. Der Balkan<br />
hat durch die Jahrhunderte eine wechselvolle interreligiöse<br />
Geschichte durchlebt. Römer, Slawen, Osmanen,<br />
Österreicher und viele andere haben eine Pluralität entstehen<br />
lassen, die mal friedlich, mal konfliktreich war:<br />
Muslime, orthodoxe und römisch-katholische Christen<br />
sowie Juden lebten und leben bis heute in dieser Region<br />
zusammen. Im Rahmen unserer Reise, die uns nach<br />
Sarajevo, Mostar und Srebrenica führen wird, werden wir<br />
uns mit der Frage auseinandersetzen, wie das friedliche<br />
Zusammenleben der Religionen gelingen kann. Dazu<br />
besuchen wir Gedenkorte und Gotteshäuser und kommen<br />
mit Menschen unterschiedlicher Religion zusammen.<br />
Leistungen: Reiseleitung, Ü/F in einfachen Hotels,<br />
Fahrtkosten, Eintrittspreise. Kosten: ca. 800 Euro.<br />
Informationen: Tel.: 0 30 51 05 77 73 oder unter:<br />
> > www.1219.eu/studienreise<strong>2017</strong>/<br />
Zubereitung<br />
Kartoffeln kochen (ca. 40 Minuten), schälen, abkühlen lassen. Die<br />
Bohnenkerne aus der Hülse lösen, garkochen und abkühlen lassen.<br />
Die vorgekochten Rote Bete schälen (wegen der intensiven Farbe u. U.<br />
Handschuhe tragen) und zerkleinern. Lachs zusammen mit dem Öl<br />
in eine große Schüssel geben. Zitrone, Bouillonpulver, Mayon naise,<br />
Kartoffeln und Rote Bete hinzugeben und kräftig zerstampfen.<br />
Zwiebeln schälen und sehr fein zerhacken. Eisbergsalat in feine<br />
Streifen schneiden. Apfel schälen, entkernen und fein zerkleinern.<br />
Alles der Schüssel hinzugeben und behutsam vermengen. Mit Salz<br />
und Pfeffer abschmecken.<br />
Guten Appetit!<br />
bruder rangel geerman ofm (43)<br />
wurde auf Aruba (Niederländische Antillen)<br />
geboren und lebt in Megen in den Niederlanden.<br />
Von Beruf ist er Krankenpfleger. Er bekocht die Brüder<br />
und die Gäste des Klosters und engagiert sich<br />
in der Jugendarbeit.
Stefan Federbusch OFM<br />
Ich bin in einem Europa groß geworden, das durch Schüleraustausch, Städtepartnerschaften<br />
und andere Formen der Begegnungen Verständnis füreinander wachsen lässt<br />
und Freundschaften pflegt, das mit dem Schengen-Abkommen seine nationalen<br />
Grenzen öffnete und mit einer gemeinsamen Währung das Bezahlen in vielen Ländern<br />
erleichterte. Dieses Europa schätze ich.<br />
wortung für nicht geglückte politische<br />
Entscheidungen auf »Brüssel« geschoben,<br />
ohne zu erwähnen, dass hierfür wesentlich<br />
die nationalen Regierungen verantwortlich<br />
waren. Mit den Lorbeeren für<br />
positive Entwicklungen schmückten sich<br />
die nationalen Regierungen dagegen<br />
gerne.<br />
Europa, quo vadis? Diese Frage stellt<br />
sich mir nach dem Brexit genannten<br />
Austritt der Briten aus der Europäischen<br />
Union. Europa, bleibst du bestehen? Die<br />
Vorstellung, dass Europa auseinanderfallen<br />
könnte, beschäftigte mich wie<br />
viele andere im Vorfeld der Präsidentschaftswahl<br />
in Frankreich. Würde ein<br />
weiteres Land von nationalistisch ein<br />
Doch dieses Lebensgefühl »Europa«<br />
teilen aktuell viele nicht mehr. Mir ist<br />
natürlich bewusst, dass die Europäische<br />
Union in ihrer jetzigen Konstruktion<br />
Demokratiedefizite aufweist und durch<br />
Überreglementierungen zum Sündenbock<br />
geworden ist. So wird »Europa«<br />
häufig mit schwerfälliger Bürokratie und<br />
Fremdbestimmung gleichgesetzt. Vielleicht<br />
ist Europa nicht mehr unumstritten,<br />
weil seine positiven Errungenschaften<br />
wie Frieden und (Reise-)Freiheit zu selbstverständlich<br />
geworden sind. Und weil<br />
es die verantwortlichen Politiker und<br />
auch wir Bürger versäumt haben, die<br />
Vision von Europa weiterzuentwickeln<br />
und das gemeinsame Haus zukunftsfähig<br />
zu gestalten. Zu oft wurde die Verantgestellten<br />
Politikern regiert, wie das<br />
bereits in einigen osteuropäischen Ländern<br />
wie Polen und Ungarn der Fall ist?<br />
Mit Emmanuel Macron wurde letztlich<br />
ein europafreundlicher Politiker gewählt.<br />
»Europa atmet auf!«, so der Tenor der<br />
meisten Kommentare. Vorerst jedenfalls.<br />
»Glauben Sie mir, wir werden mit Europa<br />
keinen Erfolg haben mit ausschließlich<br />
juristischer Expertise oder wirtschaftlichem<br />
Know-how (...) Wenn es uns in<br />
den kommenden zehn Jahren nicht gelingt,<br />
Europa eine Seele zu geben, es mit<br />
einer Spiritualität und einer tieferen<br />
Bedeutung zu versehen, dann wird das<br />
Spiel zu Ende sein.« Diese Mahnung<br />
vom damaligen Kommissionspräsidenten<br />
© bild oben: picture alliance/andreas arnold/dpa, porträt: kerstin meinhardt<br />
6 europa
Immer wieder sonntags: Jeden 1. Sonntag im Monat treffen sich um 14 Uhr Menschen unter dem Motto »Pulse<br />
of Europe«. Sie wollen einen Beitrag für ein vereintes, demokratisches Europa leisten.<br />
Jacques Delors – ausgesprochen 1992,<br />
als der Vertrag von Maastricht an einem<br />
Referendum in Dänemark zu scheitern<br />
drohte – hat nichts von ihrer Dringlichkeit<br />
verloren. Im Gegenteil: Die Frage<br />
nach der Zukunft Europas stellt sich<br />
drängender denn je.<br />
was verbindet uns?<br />
Was hält die Europäische Union zusammen?<br />
Die viel beschworene Grundierung<br />
als christliches Abendland ist es schon<br />
lange nicht mehr. In der EU-Verfassung<br />
ist anstelle des Gottes-Bezugs in der<br />
Präambel nur noch vom »kulturellen,<br />
religiösen und humanistischen Erbe<br />
Europas« die Rede. In den 1957 geschlossenen<br />
Verträgen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft,<br />
der Vorläuferin<br />
der Europäischen Gemeinschaft, wurde<br />
die Wirtschaft als Mittel und Zweck der<br />
politischen Einigung und als Instrument<br />
Auf die Problematik der unterschiedlichen<br />
Geschwindigkeiten bei der äußeren<br />
und inneren Entwicklung hat der<br />
CDU-Europapolitiker Karl Lamers verwiesen:<br />
»Krisen sind der natürliche Entwicklungsmodus<br />
von solchen politischen<br />
Großprojekten, wie es die Europäische<br />
Union ja zweifelsfrei ist. Denn<br />
dabei geht es einerseits um die Neuorganisation<br />
der politischen Macht, um<br />
eine überstaatliche. Aber es geht gleichzeitig<br />
auch um das, was mit dem Nationalstaat<br />
bislang verbunden war, nämlich<br />
die Nation, ein Gefühl der Selbstachtung,<br />
der Selbstvergewisserung, der<br />
Identität. Und solche Identitäten ändern<br />
sich weniger schnell, als die Wirklichkeit<br />
sich ändert.«<br />
Die Frage nach der Identität gilt gleichermaßen<br />
für Deutschland, wo die Debatte<br />
um unsere Leitkultur wieder aufgebrochen<br />
ist. Wer sind wir als »Volk«, was<br />
macht uns aus als »Nation«? In einem<br />
säkularen Staat, in dem das Christentum<br />
immer mehr an Bedeutung verliert und<br />
die Zahl der Menschen mit anderer Religionszugehörigkeit<br />
zunimmt, stellt<br />
sich automatisch die Frage nach dem<br />
Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält.<br />
Die offene, freie und plurale Gesellschaft<br />
wird von manchen Teilen der Bevölkerung<br />
nicht mehr als Wert an sich gesehen.<br />
Dem Modell des »Multikulti« wird das<br />
Modell der »Nation« gegenübergestellt,<br />
jeweils mit links- wie rechtsextremen<br />
Ausbuchtungen. In Europa lebten bis<br />
2014 weniger als sieben Prozent »Nicht-<br />
EU-Bürger« und selbst durch die Zuwanderung<br />
von Flüchtlingen in den Jahren<br />
danach ist ihr Anteil nur geringfügig<br />
angestiegen. Dennoch gelingt es, bei<br />
einigen die Angst vor »Überfremdung«<br />
zu schüren. Während die einen Vielfalt<br />
als Bereicherung erleben, stellt sie für<br />
andere eine Bedrohung dar. Auf die<br />
damit verbundenen Herausforderungen<br />
reagieren sie mit einfachen Antwortmustern.<br />
Konstruierte Gegensätze wie<br />
»Die da oben und wir hier unten« sowie<br />
»Wir und die anderen« reichen jedoch<br />
nicht aus, unsere Welt zu begreifen, geschweige<br />
denn sie zu gestalten. Durch<br />
populistische Parolen zunehmend eine<br />
»Misstrauensgesellschaft« zu schaffen,<br />
vertieft die Gräben und führt in die Spaltung<br />
innerhalb der Gesellschaft und<br />
zwischen den Völkern.<br />
© casa rosada (argentina presidency of the nation)<br />
von Frieden und Freiheit benannt. Diese<br />
rein wirtschaftliche Zielsetzung reicht<br />
heute nicht mehr aus. Der konservative<br />
spanische Europaabgeordnete Esteban<br />
González Pons stellt fest: »Wir können<br />
einen gemeinsamen Markt haben, aber<br />
wenn wir keine gemeinsamen Träume<br />
haben, haben wir nichts.« Ähnlich sieht<br />
es auch der Bonner Staatsrechtler und<br />
ehemalige Bundesverfassungsrichter<br />
Udo Di Fabio. Europa habe mit dem<br />
Einigungsprozess seine philosophischen<br />
und religiösen Wurzeln zu stark vernachlässigt.<br />
Es sei nicht zu unterschätzen,<br />
»wie bedeutend kulturelle Wurzeln und<br />
eine Sinnsuche jenseits reiner Zweckrationalität<br />
sind«. Auf einem Symposion<br />
zum Thema »Europa – christlich?« betonte<br />
er, dass eine »nostalgisch rückwärtsgewandte<br />
Konstruktion eines christlichen<br />
Europa als verbindliche Leitkultur<br />
kein Kompass einer offenen Welt« sei.<br />
Dennoch gäben die Geschichte und die<br />
Idee Europas festen Halt und Orientierung.<br />
Papst Franziskus<br />
»Die Wirklichkeit der Demokratien lebendig zu erhalten,<br />
ist eine Herausforderung dieses geschichtlichen<br />
Momentes (…) Das ist eine Herausforderung, die Ihnen<br />
die Geschichte heute stellt. (...)<br />
Liebe Europaabgeordnete, die Stunde ist gekommen, gemeinsam das<br />
Europa aufzubauen, das sich nicht um die Wirtschaft dreht, sondern<br />
um die Heiligkeit der menschlichen Person, der unveräußerlichen<br />
Werte; das Europa, das mutig seine Vergangenheit umfasst und vertrauensvoll<br />
in die Zukunft blickt, um in Fülle und voll Hoffnung seine<br />
Gegenwart zu leben. Es ist der Moment gekommen, den Gedanken<br />
eines verängstigten und in sich selbst verkrümmten Europas fallen<br />
zu lassen, um ein Europa zu erwecken und zu fördern, das ein Protagonist<br />
ist und Träger von Wissenschaft, Kunst, Musik, menschlichen<br />
Werten und auch Träger des Glaubens ist. Das Europa, das den<br />
Himmel betrachtet und Ideale verfolgt; das Europa, das auf den Menschen<br />
schaut, ihn verteidigt und schützt; das Europa, das auf sicherem,<br />
festem Boden voranschreitet, ein kostbarer Bezugspunkt für die gesamte<br />
Menschheit!«<br />
(Auszug aus der Ansprache vom 25. November 2014 in Straßburg)<br />
europa<br />
7
was brauchen wir und was<br />
nicht?<br />
Politisch und gesellschaftlich traditionelle<br />
Werte und konservative Positionen<br />
zu vertreten, ist völlig legitim. Problematisch<br />
wird es jedoch immer dann, wenn<br />
sich wertkonservative Grund haltungen<br />
mit rechtspopulistischen Tendenzen<br />
und rechten Weltbildern verbinden. Für<br />
viele Christen hat beispielsweise der<br />
Schutz der Familie eine hohe Bedeutung.<br />
Gefährlich wird es dann, wenn<br />
sich dies zum »Anti-Genderwahn« und<br />
zur »Homophobie« ausweitet. Ähnliches<br />
gilt für den Umgang mit Andersgläubigen,<br />
wenn der Schutz der Christen und<br />
der christlichen Lebenskultur zum Antiislamismus<br />
(Islamophobie) oder Antijudaismus<br />
wird. Allgemein gesprochen:<br />
Alar mierend wird es immer dann, wenn<br />
die eigene Identität durch Feindbilder<br />
und Ausgrenzung abgesichert werden<br />
soll.<br />
Wie reagieren die Kirchen auf diese Entwicklung?<br />
Wie zahlreiche Beispiele zeigen,<br />
wenden sie sich mit großer Klarheit<br />
gegen den (Rechts-)Populismus. Doch<br />
was bedeutet es aus christlicher Sicht,<br />
wenn laut einer Umfrage der Tageszeitung<br />
»La Croix« 46 Prozent der gelegentlich<br />
praktizierenden und etwa ein Drittel<br />
der regelmäßig praktizierenden Katholiken<br />
bei der französischen Präsidentschaftswahl<br />
für Marine Le Pen und<br />
den Front National gestimmt haben?<br />
Dass sich so viele Christen von ab- und<br />
ausgrenzenden Parolen ansprechen lassen,<br />
mag insbesondere bei den Älteren<br />
auch daran liegen, dass die Kirchen lange<br />
Zeit autoritäre Staats- und Gesellschaftsvorstellungen<br />
vertreten und den Gläubigen<br />
ein einfaches Gut/Böse-Denken<br />
vermittelt haben.<br />
Während Rechtspopulisten gern den<br />
Begriff des »Volkes« als Gegenbegriff<br />
zum politischen Establishment ins Spiel<br />
bringen als Bekundung einer vermeintlichen<br />
Mehrheit, die Minderheiten vehement<br />
ausgrenzt, sollten Christen mit<br />
dem Begriff »Volk Gottes« gerade die<br />
universale Weite der einen Menschheitsfamilie<br />
ins Spiel bringen. Europa braucht<br />
eine Seele, wie Jacques Delors zu Recht<br />
angemahnt hat. Es braucht Spiritualität,<br />
und wer wäre da kompetent, wenn nicht<br />
die Kirchen.<br />
wie können wir europa<br />
wieder beseelen?<br />
Wie geht es weiter mit Europa? Einem<br />
Europa, das seine Bedeutung und weltweite<br />
Verantwortung derzeit in nationalistischen<br />
Egoismen zu verlieren droht.<br />
Einem Europa, das sich durch die Entwicklungen<br />
in den USA vor die Aufgabe<br />
gestellt sieht, seine Rolle ganz neu zu<br />
definieren. Wird es wieder ein Europa<br />
der offenen Grenzen werden? Ein Europa<br />
bunter Vielfalt, ein Europa der Regionen?<br />
Ein Europa, das sich nicht durch das Einstimmigkeitsprinzip<br />
permanent selbst<br />
blockiert? Ein Europa der unterschiedlichen<br />
Geschwindigkeiten? Ein Europa<br />
mit mehr Transparenz?<br />
Laut Hirnforschung sind sowohl Entscheidungen<br />
wie Erinnerungen stark an<br />
Emotionen gebunden. Unser Gehirn ist<br />
durch die Evolution darauf ausgerichtet,<br />
aus der Vergangenheit eine gewünschte<br />
Zukunft zu gestalten. Dazu werden die<br />
als erinnerungswert geglaubten Wahrnehmungen<br />
an entscheidungsrelevante<br />
Emotionen gekoppelt wie etwa gut, böse,<br />
lustig, gefährlich, wichtig. Darin liegt<br />
einerseits die Gefahr der Verführbarkeit<br />
beispielsweise für populistische Parolen,<br />
andererseits die Chance, Menschen mit<br />
wirklich guten Ideen und Projekten zu<br />
begeistern. Auf die zunehmenden rechtsextremen<br />
Tendenzen reagieren immer<br />
mehr Menschen mit kreativen Aktionen<br />
zugunsten Europas. Wieder Begeisterung<br />
für Europa zu wecken, versucht etwa die<br />
Bewegung »Pulse of Europe«, die regelmäßig<br />
in zahlreichen Städten Menschen<br />
versammelt, um für ein vereintes Europa<br />
zu werben. Europa braucht neue Perspektiven,<br />
es braucht Visionen. Es braucht<br />
neben dem großen Ganzen eines geeinten<br />
Europas Teilnahme und Teilhabe,<br />
Mitentscheidungs- und Gestaltungsmöglichkeiten<br />
vor Ort, um den Begriff<br />
»Europa« wieder mit emotional positiven<br />
Erfahrungen zu besetzen. Das zunehmend<br />
als formale Verwaltungseinheit<br />
empfundene Europa wieder zu »beseelen«<br />
und als attraktiven Lebensraum<br />
zu gestalten, ist die große Herausforderung<br />
der kommenden Jahre. n<br />
stefan federbusch ofm (49)<br />
ist Redaktionsleiter der Zeitschrift<br />
»Franziskaner« und Leiter des<br />
Exerzitienhauses in Hofheim<br />
© bilder-erzbistum-köln.de<br />
Rainer Maria Kardinal Woelki<br />
»Die Kirche lehnt die politische Programmatik des Rechtspopulismus ab, bestimmten rechtspopulistischen<br />
Positionen und Kampagnen widerspricht sie entschieden und ächtet sie. Die Kirche lehnt<br />
auch die Frontstellung gegenüber den gesellschaftlichen Unterschichten im Rechtspopulismus ab.<br />
Sie tritt ein für die Inklusion und für die gesellschaftliche Teilhabe aller gesellschaftlichen Schichten (…)<br />
Die Kirche lehnt die Frontstellung gegenüber vermeintlich ›Fremden‹ im Rechtspopulismus ab.<br />
Stattdessen tritt sie für die ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt ein. Christen unterscheiden nicht<br />
nach Herkunft, Kultur und Religion, sondern erkennen in jedem Menschen das Abbild Gottes. (…)<br />
Die Kirche ächtet rechtspopulistische Positionen und Kampagnen, die gegen die Menschenwürde verstoßen oder gegen die Gewährleistung<br />
von Menschenrechten gerichtet sind. (…)<br />
Gegen die Menschenwürde verstoßen Positionen und Kampagnen (…) wenn sie einzelne gesellschaftliche Gruppen pauschal<br />
diskriminieren. Dies ist der Fall bei der Pegida-Kampagne gegen eine vermeintliche ›Islamisierung‹ des Abendlands oder auch<br />
bei der ausgrenzenden Position der AfD, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre.«<br />
(aus »AFD, Pegida und Co.«, Herder Verlag <strong>2017</strong>)<br />
8 europa
Die Rettung des<br />
Christlichen im Abendland?<br />
Demokratie und Menschenwürde statt Rechtspopulismus<br />
Ein Aufatmen ging am Abend des 7. Mai <strong>2017</strong> durch Europa: »Gerettet!«<br />
Marine Le Pen vom Front National hatte den Kampf um die Präsidentschaft<br />
in Frankreich verloren. Wenngleich unklar war, für welche Politik<br />
der Sieger – der parteilose frühere Wirtschaftsminister und Investmentbanker<br />
Emmanuel Macron – stand: Allein, dass er einen europafreundlichen<br />
Kurs versprach, war Grund genug für ein Gefühl der Erleichterung.<br />
Denn Marine Le Pens Konzept für Frankreich hieß: raus aus der EU, dem<br />
Euro und der Nato. Die rechtspopulistischen Parteien anderer europäischer<br />
Staaten teilen ihre Vorstellungen, gleichzeitig haben sie sich der<br />
Rettung des christlichen Abendlandes verschrieben, was dann meist<br />
heißt: Muslime raus! Europaweit sind solche Gruppierungen seit einigen<br />
Jahren auf dem Vormarsch.<br />
woher kommen die rechtspopulistischen<br />
bewegungen?<br />
Noch vor wenigen Jahren galten diese Gruppen bis auf wenige Ausnahmen<br />
als unbedeutende Randerscheinungen des Parteienspektrums. Wie<br />
kam es »quasi über Nacht« zu einem solchen Bedeutungszuwachs? Manche<br />
Beobachter vermuten, es sei eine Folge der Zuwanderung von Schutzsuchenden<br />
aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten, in Afghanistan oder<br />
Afrika. Nach allen Untersuchungen bewegen sich aber schon seit Mitte<br />
der Neunzigerjahre wachsende Teile der Bevölkerungen in verschiedenen<br />
Ländern Europas politisch nach rechts. Parteienforscher halten rechtspopulistische<br />
Parteien daher nicht für eine kurzlebige Erscheinung. Sie<br />
erklären ihren anhaltenden Wahlerfolg unter anderem damit, dass die<br />
alten Volksparteien ihre Funktion als Interessenvertretungsorgan zwischen<br />
Staat und Gesellschaft eingebüßt haben und sich viele Menschen<br />
nicht mehr von ihnen vertreten fühlen. So werden beispielsweise die<br />
sozialdemokratischen Parteien Europas nicht mehr als<br />
Anwalt der »kleinen Leute« wahrgenommen und konservative<br />
Parteien treten als Modernisierer auf. Durch<br />
die Bewegung der großen Parteien zur Mitte der Parteienlandschaft<br />
entstanden an den Rändern Freiräume, die<br />
neu besetzt wurden. In Südeuropa traten auch linkspopulistische<br />
Parteien auf den Plan, im Rest Europas<br />
sind es vornehmlich rechtspopulistische Parteien,<br />
denen politische Bedeutung zukommt. In Polen stellt<br />
die ultrarechte Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS)<br />
sogar die Regierungschefin, in Ungarn die Fidesz –<br />
KDNP den Ministerpräsidenten, und in Österreich<br />
verlor der Kandidat der rechtspopulistischen FPÖ nur<br />
knapp die Präsidentschaftswahlen. Auch in allen anderen<br />
Nachbarländern Deutschlands sind Parteien mit<br />
rechtspopulistischer Ausrichtung in den Parlamenten<br />
vertreten.<br />
Das Auftreten solcher Gruppierungen machen Forscher<br />
vor allem in Zeiten des Umbruchs aus. Ändern sich<br />
Lebens- und Arbeitsverhältnisse sehr schnell, fällt es<br />
großen Teilen der Bevölkerung schwer, sich zu orientieren.<br />
Die Zukunft erscheint unsicher, ja bedrohlich.<br />
Alles, was sicher geglaubt war, Normen und Werte der<br />
Elterngeneration – darunter auch die traditionellen<br />
Familienbilder – sind infrage gestellt. Die Zunahme<br />
an Freiheitsgraden wird nicht als Entwicklungschance,<br />
sondern als Überforderung erlebt, und die große<br />
©dpa<br />
rechtspopulismus<br />
9
Gegenwärtig haben wir es mit Anpassungsproblemen<br />
an die digitalisierte Produktions- und Arbeitsweise<br />
der Zukunft – Wirtschaft 4.0 genannt – zu<br />
tun. Hier fürchten besonders Ältere, den damit<br />
verbundenen Anforderungen nicht mehr gewachsen<br />
zu sein sowie jüngere nicht Hochqualifizierte,<br />
durch die rasante Automatisierung und den Einsatz<br />
von Robotern als Arbeitskräfte überflüssig zu<br />
werden. Wir leben zudem in einer Welt, die unter<br />
den Auswirkungen des Klimawandels und zahlreichen<br />
gewaltsam ausgetragenen Krisen und<br />
Kriegen leidet. Große Wanderungsbewegungen<br />
von Schutzsuchenden nach Europa führen unter<br />
anderem zu massiven Besitzstandswahrungsproblemen,<br />
insbesondere bei denen, die Migranten<br />
als Konkurrenten um Arbeit und Wohnung empfinden.<br />
Es ist die Angst vor dem sozialen Abstieg,<br />
gepaart mit dem Gefühl, machtlos und von den<br />
etablierten Parteien und Politikern nicht vertreten<br />
zu sein, die anfällig macht für populistische Botschaften.<br />
Das Gefühl, diesen Entwicklungen scheinbar<br />
hilflos ausgeliefert zu sein, und eine damit einhergehende<br />
Zukunftsangst verstärken bei vielen den Wunsch nach »der<br />
guten alten Zeit«, nach Überschaubarkeit und einfachen Lösungen. Modernisierungsverlierer<br />
und verunsicherte Menschen, die real oder vermeintlich<br />
die Verlierer von morgen sind machen daher einen großen Anteil an<br />
der Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien aus.<br />
Menschenleere Produktionsstraße. Welchen Platz hat der<br />
Mensch in den Zukunftsszenarien der Wirtschaft 4.0? Die Digitalisierung<br />
verändert die Arbeitswelt massiv. Viele Menschen<br />
verlieren die Orientierung in einer Phase rapider Umbrüche und<br />
reagieren mit Angst. Dieses Gefühl macht anfällig für die simplen<br />
Schwarz-Weiß-Vorstellungen rechtspopulistischer Parteien.<br />
Unübersichtlichkeit wirkt ängstigend. Statusverlust<br />
droht und politische Entfremdungsgefühle entstehen.<br />
Hinzu kommt, dass die Lebenswirklichkeiten<br />
zwischen städtischen Zentren und ländlichen Gebieten<br />
noch stärker als früher auseinanderfallen.<br />
Die Aufmerksamkeit von Politik und Medien konzentriert<br />
sich aber in der Regel auf die Zentren.<br />
wie »ticken« die rechtspopulisten?<br />
Ursprünglich war »Populist« eine herabsetzende Fremdzuschreibung. Gemeint<br />
war eine Haltung, die den wechselnden Stimmungen der Bevölkerung<br />
nachläuft und der es nicht um die Sache an sich geht, sondern um die Zustimmung<br />
der Massen mit dem Ziel einer öffentlichkeitswirksamen Selbstinszenierung.<br />
In den letzten Jahren wird die Bezeichnung vermehrt auch<br />
als positive Selbstbezeichnung gebraucht. »Populistisch und stolz darauf!«,<br />
so Marine Le Pen, der es gelungen ist, den rechtsextremen Hintergrund des<br />
Front National zu kaschieren und ihre Partei als einen Verein von Biedermännern<br />
darzustellen, die das Abendland retten wollen. Ihr italienischer<br />
Kollege Matteo Salvini von der Lega Nord meint, dass es wohl nicht falsch<br />
sei, auf der Seite des Volkes zu stehen und dafür zu sorgen, dass die Meinung<br />
des Volkes Politik werde: »Sono un Populista!« – Ich bin Populist! –<br />
steht auf seinen T-Shirts.<br />
Wer verstehen will, wie Rechtspopulisten denken, kann dies beim US-Präsidenten<br />
Donald Trump in Reinkultur studieren. Bei aller Unterschiedlichkeit<br />
eint populistische Weltbilder, dass sie die Gesellschaft als zwei voneinander<br />
getrennte – in sich einheitliche – Gruppen begreifen. Auf der einen Seite<br />
steht »das reine Volk«, auf der anderen eine korrupte, unmoralische Elite,<br />
die an der Macht klebt und im Kern verdorben ist. Die reale Vielfältigkeit<br />
der Bevölkerung, ihre zum Teil weit auseinanderfallenden Lebenswelten<br />
und -stile, ihre unterschiedlichen Werte und Einstellungen werden ignoriert.<br />
Rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch<br />
Europäische Parlamente mit rechtspopulistisch zugeordneten Parteien<br />
Im Parlament vertreten An der Regierung beteiligt Stellt Regierungschef<br />
Eine Übersicht über die rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien in Europa<br />
bietet eine interaktive Karte auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung:<br />
http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/<br />
© bild oben links: istock.com – phonlamaiphoto/bild rechts: picture alliance/zumbapress.com<br />
10 rechtspopulismus
einfache antworten auf komplexe probleme<br />
Die populistische Wirklichkeitsdeutung erfolgt nach einem stets gleichen<br />
Muster: Das einheitliche Volk ist Grundlage der politischen Gemeinschaft,<br />
aber einige Akteure missachten die Souveränität dieser Volksgemeinschaft.<br />
Der von den Populisten ausgemachte Missstand wird lautstark und mit<br />
emotionsgeladenen Bildern angeprangert. Bei der Erfüllung des Ziels, dem<br />
bevormundeten Volk wieder zu seinem Recht zu verhelfen, ist nahezu jedes<br />
Mittel recht, offensichtliche Lügen – alternative Fakten genannt – eingeschlossen.<br />
Die Bedrohung der Souveränität des Volkes geht nach populistischer<br />
Weltsicht von ganz unterschiedlichen »Eliten« aus: Mal ist es das<br />
internationale Finanzkapital, dann wieder sind es technokratische Steuerungseliten<br />
der EU-Bürokratie oder die sogenannten»Systemparteien«.<br />
Vertreter rechtspopulistischer Ideen führen gerne auch die political correctness<br />
einfordernde Bildungselite, Befürworter des »Genderwahns«, »Flüchtlingsfreunde,<br />
die Islamisten ins Land holen« oder ganz allgemein »die linken<br />
Meinungsmacher« als Schuldige an der vermeintlichen Misere an. In verschwörungstheoretischer<br />
Sichtweise werden diese als Verräter am eigentlichen<br />
Volkswillen gebrandmarkt.<br />
zwischen opfermythos und hass auf alles fremde<br />
Sich selbst sehen Populisten als »Anwälte«, als »Retter des Volkes«, die von<br />
ihren Gegnern »aufs Übelste« verunglimpft werden. Insofern wird man<br />
kaum einen Rechtspopulisten erleben, der sich nicht zugleich als Opfer<br />
sieht, mit dem »schlimmer als jemals mit anderen« umgesprungen wird. In<br />
diesem Opfermythos sind fassungslos machende Bezüge beliebt, bei denen<br />
die Gegner der Rechtspopulisten zu Nazischergen und sie selbst zu Verfolgten<br />
»wie die Juden unter Hitler« werden. Infame Vergleiche, vor allem, wenn<br />
bedacht wird, dass Rechtspopulisten nicht nur das »einheimische Volk« in<br />
Stellung gegen die »herrschende Elite« bringen, sondern auch gegen alle,<br />
die gemäß ihrem Weltbild nicht zum reinen Volk gehören. Es geht gegen<br />
alles Fremde, so zum Beispiel gegen »die Ausländer«, aber auch gegen Bevölkerungsteile<br />
mit anderer sexueller Orientierung, anderer sexueller Identität<br />
oder mit anderen politischen Überzeugungen.<br />
verbale ausfälle zwecks grösster medialer<br />
aufmerksamkeit<br />
Obwohl sich Rechtspopulisten in Parteien organisieren, lehnen sie den Auftrag<br />
des Grundgesetzes an die Parteien ab, den politischen Willen des Volkes<br />
zu bündeln und zu bilden. Jede Instanz zwischen Volk und Macht birgt<br />
nach ihrer Auffassung das Risiko, den wahren Volkswillen zu verfälschen.<br />
Populisten fordern eine Willensbekundung des Volkes durch eine direkte<br />
Demokratie. Um den »Volkswillen« unmittelbar zum Ausdruck zu bringen,<br />
setzen Populisten gerne auf charismatische Führungspersönlichkeiten, die<br />
als Sprachrohre des Volkes gelten. Die Führer der populistischen Bewegungen<br />
sind häufig Außenseiter. Sie kommen zum Beispiel als Quereinsteiger, etwa<br />
als Unternehmer oder Professoren, in die Politik, wodurch sie sich vom<br />
verhassten politischen Establishment absetzen können. Individueller Reichtum<br />
ist dabei kein Hindernis oder gar ein Hinweis darauf, Teil der Elite zu<br />
sein, sondern gilt als Gewähr dafür, nicht käuflich zu sein. Die populistischen<br />
Wortführer nehmen dann für sich in Anspruch, im Wissen um das<br />
Wollen des Volkes zu sein und mit der Stimme des Volkes oder mit dem<br />
»gesunden Menschenverstand« zu sprechen. Die Sprache, derer sie sich<br />
bedienen, ist simpel, prägnant, bildhaft und emotionsgeladen. Skandale<br />
und Grenzüberschreitung sind gewollt, um für möglichst große mediale<br />
Aufmerksamkeit zu sorgen.<br />
Amnesty International setzte Anfang Juni in Hannover ein Zeichen<br />
für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und<br />
intergeschlechtlichen Menschen (LGBTI). Rechtspopulisten ängstigt<br />
die »bunter« werdende Gesellschaft. Sie meinen, in einer Welt des<br />
Umbruchs sollten wenigstens die traditionellen Familienbilder erhalten<br />
bleiben.<br />
was ist so gefährlich am<br />
rechtspopulismus?<br />
Rechtspopulisten nehmen Stimmungen des Volkes<br />
auf und bringen sie zu Gehör, so Matteo Salvini<br />
von der italienischen Lega Nord. Was soll verkehrt<br />
daran sein in Zeiten, in denen sich zunehmend<br />
mehr Menschen nicht mehr von den Volksparteien<br />
vertreten fühlen?<br />
Das Problem ist, dass sie nicht Stimmungen aufnehmen,<br />
sondern dass sie Stimmungen machen!<br />
Sie schüren Ängste, sie polarisieren und sie hetzen<br />
gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen. Die Angst<br />
der Europäer vor »dem Fremden« ist die Angst, die<br />
Rechtspopulisten am stärksten bedienen und verstärken.<br />
Zwar haben nicht die Flüchtlinge zu den<br />
rechtsextremen Einstellungen geführt, die Forscher<br />
schon länger bei Umfragen bemerkten. Sie haben<br />
aber der diffusen Angst vor dem Morgen, der Angst<br />
vor sozialem Abstieg und Statusverlust ein konkretes<br />
Gesicht gegeben. Die politischen Fehler bei der<br />
Steuerung der Zuwanderung und bei der Integration<br />
wiederum haben die bereits vorhandenen Abneigungen<br />
gegen »die Fremden« verstärkt. Studien<br />
wie die Leipziger »Mitte«-Studie zeigen, wie weit<br />
es rechtsextremes Gedankengut bereits in die Mitte<br />
der Gesellschaft geschafft hat. Auch die Bereitschaft<br />
zur Gewaltanwendung ist gestiegen. Antieuropäische,<br />
demokratieverachtende oder rassistische Be<br />
rechtspopulismus<br />
11
kenntnisse werden zwar nicht von der Mehrheit der Bundesbürger geteilt, aber<br />
sie werden »normaler«. Eine klare Abgrenzung von rechtspopulistischen zu<br />
rechtsextremen Haltungen ist schwer zu ziehen. Rechtspopulisten sind Türöffner<br />
für Rechtsextreme. Nicht zuletzt die personelle Überschneidung beider<br />
Kreise macht dies deutlich.<br />
Christen in der AfD? Bettina Warken, Anette Schultner (AfD), Liane Bednarz und<br />
der evangelische Bischof Markus Dröge beim Evangelischen Kirchentag <strong>2017</strong>. »Ich<br />
kann mich als Christ nicht in einer Partei engagieren, die Ängste dramatisiert,<br />
Misstrauen sät und Ausgrenzung predigt«, so der Theologe Dröge. Es finde sich<br />
kein christliches Menschenbild im Programm der AfD: »Die Partei missbraucht<br />
Christen als Feigenblatt.«<br />
Seit die AfD in Deutschland in die Parlamente eingezogen ist, werden<br />
fremden feindliche Äußerungen offener als zuvor geäußert. »Das wird man<br />
ja wohl mal sagen dürfen …« Rechtspopulistische Parteien nutzen geschickt<br />
die Tatsache, dass die Angst vor dem Fremden in unserer Gesellschaft stetig<br />
wächst. Wenn der Teil des Gehirns, in dem Angst entsteht, das Kommando<br />
übernimmt, hat es die Vernunft schwer: Angst hat ihren Ort in einem entwicklungsgeschichtlich<br />
sehr alten Teil unseres Gehirns, der sich nur schwer<br />
durch die jüngeren, intelligenteren Teile steuern lässt. Und es sind nicht nur<br />
Zuwanderer aus anderen Ländern, die durch ihr Anderssein Angst machen.<br />
Hinzu kommt die real fassbare Angst vor dem Terror islamistischer Gruppen<br />
und Einzeltäter – wie jüngst in Manchester und London. Obwohl die Wahrscheinlichkeit,<br />
in Europa zum Opfer eines Anschlags zu werden, statistisch<br />
gesehen gering ist, ist die gefühlte Gefahr immens. Und Angst spielt in den<br />
europäischen Gesellschaften schon allein dadurch eine zunehmende Rolle,<br />
weil diese Gesellschaften einen hohen Altersdurchschnitt haben. Ältere<br />
Menschen haben offenbar größere Schwierigkeiten als jüngere, die aus der<br />
Steinzeit geerbte Angststeuerung in den Griff zu bekommen. Eine Untersuchung<br />
des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der<br />
Bundeswehr hat im vergangenen Jahr dieses Phänomen auf der Grundlage<br />
deutscher Verhältnisse bestätigt. »Demnach fühlen sich die Wählerinnen<br />
und Wähler der AfD – einer Partei, die kollektive Ängste geschickt aufgreift<br />
und sie in eine Politik des Alarmismus und des Beschwörens nationaler<br />
Identität umsetzt – im Vergleich zu denen anderer Parteien am unsichersten.<br />
Als größte Bedrohungen nehmen sie religiösen Fundamentalismus und die<br />
Zuwanderung wahr. Die Befragung zeigt auch: AfD-Wähler sind im Schnitt<br />
älter als die anderer Parteien. Und die über 65-Jährigen unter ihnen haben<br />
deutlich mehr Angst als der Durchschnitt ihrer Altersgruppe«, so die Theologin<br />
und Historikerin Britta Baas in der Zeitschrift Publik-Forum<br />
(12/2016). Sie meint, dass eine Konfrontation<br />
mit dem Angstauslöser helfen könne,<br />
die Angst zu bewältigen. Im Konkreten heißt dies<br />
zum Beispiel durch Begegnungen mit Flüchtlingen.<br />
»Entängstigung durch Begegnung« nennt es auch<br />
der österreichische Theologe Paul Zulehner in seinem<br />
Buch »Entängstigt euch! Die Flüchtlinge und<br />
das christliche Abendland«. Er meint, dass die<br />
Christen nicht das christliche Abendland retten<br />
müssten, sondern das Christliche im Abendland.<br />
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki unterstützt<br />
diese Position, wenn er rechtspopulistische<br />
Positionen und Kampagnen, die gegen die Menschenwürde<br />
verstoßen, ächtet. Als Beispiel hierfür<br />
benennt er die Pegida-Kampagne gegen eine vermeintliche<br />
»Islamisierung« des Abendlands oder<br />
»ausgrenzende Positionen der AfD, dass der Islam<br />
nicht zu Deutschland gehöre«.<br />
was tun gegen den<br />
rechtspopulismus?<br />
Auch wenn es so scheint, als sei mit Argumenten<br />
schlecht gegen rechtspopulistische Haltungen anzukommen,<br />
ist es wichtig, mutig und deutlich eine<br />
klare Aussage dagegenzustellen. Statt Pseudoneutralität<br />
ein eindeutiges Bekenntnis zu den Werten, für<br />
die Europa steht, und zur Demokratie!<br />
Richtig ist, dass die Zunahme des Rechtspopulismus<br />
auf Probleme aufmerksam macht, die es anzugehen<br />
gilt: Es gibt Demokratie- und Beteiligungsdefizite.<br />
Es gibt Probleme bei der Steuerung des Zuzugs und<br />
bei der Integration von Zuflucht suchenden Menschen.<br />
Es ist richtig, dass die Politik der vergangenen<br />
Jahrzehnte die Menschen der Willkür eines aus dem<br />
Ruder gelaufenen globalisierten Finanz- und Wirtschaftssystems<br />
überlassen hat. Es fehlt ein überzeugendes<br />
Konzept, wie ein nachhaltiges, umwelt- und<br />
menschenfreundliches Wirtschaftssystem aussehen<br />
kann, in dem alle, die arbeiten wollen, dies zu vernünftigen<br />
Löhnen tun können. Es gibt offensichtlich<br />
auch die Notwendigkeit, zu prüfen, ob die Abgabe<br />
nationaler Zuständigkeiten zur Regelung von europäischen<br />
Belangen immer im Sinne der Menschen<br />
gewesen ist oder ob sie primär privatwirtschaftlichen<br />
Interessen diente. Darüber hinaus wäre eine konsequente<br />
Anwendung des Subsidiaritätsprinzips wegweisend.<br />
Keine EU-Kommission muss Waschbeckengrößen<br />
in Toiletten regeln! Wo Regelungsbedarf<br />
besteht, sollte dieser auf der untersten Ebene<br />
vor Ort von den Betroffenen geklärt werden.<br />
Die Tatsache, dass Rechtspopulisten tatsächlich den<br />
Finger in manche Wunde legen, darf für Politiker<br />
© bild oben: picture alliance/lino mirgeler/dpa, bild rechts: www.kottiundco.net<br />
12 rechtspopulismus
Zehn Regeln<br />
für Demokratie-Retter<br />
und Parteien nicht heißen, dass sie sich selbst rechtspopulistisch<br />
gebärden, um Wählerstimmen zu bekommen.<br />
Überall dort, wo dies in der Vergangenheit<br />
versucht wurde, war die Folge nur, dass rechtsextreme,<br />
menschenverachtende Forderungen hoffähig<br />
wurden. Die richtige Schlussfolgerung für die Parteien<br />
wäre, dass sie sich in ihrer Organisationsform<br />
verändern. Sie müssen sich wieder zu den Bürgern<br />
öffnen und ihre gesellschaftliche Meinungsbildungsund<br />
Bündelungsfunktion wahrnehmen, statt von<br />
oben gesteuerte Mitglieder- und Funktionärsparteien<br />
zu Sein, deren Hauptziel der Machterhalt ist. Darüber<br />
hinaus sollte erwogen werden, direktdemokratische<br />
Beteiligungsverfahren einzubauen, denn eine<br />
solche Forderung muss nicht den Rechtspopulisten<br />
überlassen werden. Ganz offensichtlich fehlt es an<br />
Beteiligungsmöglichkeiten im demokratischen Prozess,<br />
wenn sich bedeutsame Teile der Bevölkerung<br />
nicht mehr vertreten fühlen.<br />
Liebe deine Stadt.<br />
Mache dir die Welt zum Dorf.<br />
Bleibe gelassen im Umgang mit Demokratie-Verächtern.<br />
Fürchte dich nicht vor rechten Schein-Riesen.<br />
Verliere nicht den Kontakt zu Menschen,<br />
die nicht deiner Meinung sind.<br />
Packe Probleme nicht in Watte.<br />
Verabschiede dich von der Attitüde, eigentlich<br />
gegen diese Gesellschaft zu sein.<br />
Warte nicht auf den großen Wurf.<br />
Wehre dich, wenn von »den« Politikern die Rede ist.<br />
Verbinde Gelassenheit mit Leidenschaft.<br />
Wer nach den Gründen für die Politikverdrossenheit<br />
sucht, kommt an der Erkenntnis nicht vorbei, dass<br />
das Interesse an politischen Fragen stark vom Einkommen<br />
und somit vom sozialen Status abhängig<br />
ist. Die Wahlbeteiligung liegt in reichen Viertel regelmäßig<br />
um 20 Prozent höher als in Sozialbausiedlungen.<br />
Gerade diejenigen, die ein Interesse daran<br />
haben müssten, dass sich etwas ändert, gehen nicht<br />
zur Wahl. Dahinter steht auch die Einschätzung,<br />
dass, egal wer die Wahl gewinnt, die Situation für<br />
die sozial Benachteiligten immer dieselbe bleibt.<br />
Wenn Gewerkschaften in diesem Zusammenhang<br />
einen Job hätten, dann den des Empowerments, der<br />
Hilfe zur Selbstorganisation der Abgehängten.<br />
Keine Alternative zur Zuflucht zu Extremen oder Resignation? Von wegen!<br />
Am Berliner Kottbusser Tor, der als einer der sozial schwächsten Stadtteile in Deutschland<br />
gilt, hat eine Nachbarschaftsinitiative gezeigt, dass es durch Selbstorganisation<br />
der »Abgehängten« möglich ist, die Parteien unter Druck zu setzen.<br />
Tipps aus dem Buch »Zehn Regeln für Demokratie-Retter« (KiWi-<br />
Taschenbuch, ISBN: 978-3-462-05071-4) von Jürgen Wiebicke, um die<br />
Ratlosigkeit angesichts des zunehmenden Rechtspopulismus zu<br />
überwinden. Er zeigt, dass es auf jeden Einzelnen ankommt bei der so<br />
dringend nötigen Neubelebung der Demokratie.<br />
Auffällig bei der gesamten Debatte um die Zunahme<br />
rechtspopulistischen Gedankengutes ist, dass die<br />
wirtschaftliche und politische Grundbildung, die<br />
in der Vergangenheit zum Beispiel in gewerkschaftlichen<br />
und kirchlichen Arbeitervereinen vermittelt wurde, heute in breiten<br />
Teilen der Bevölkerung fehlt. Da tut sich ein wichtiges Arbeitsfeld für<br />
die Erwachsenenbildung auf, die gefordert ist, Konzepte jenseits des<br />
Ausschreibens von Kursangeboten zu entwickeln, im Sinne einer »aufsuchenden<br />
Bildungsarbeit« damit andere, als die ohnehin gut versorgten<br />
bildungsbürgerlichen Kreise erreicht werden.<br />
Zu guter Letzt: Auch wenn das christliche Abendland eigentlich ein<br />
Kampfbegriff ist, um unchristliche Ziele durchzusetzen, sollte das<br />
»Christliche im Abendland« gerettet werden. Hier sind die Kirchen gefragt.<br />
Wie das geht, zeigt sich bereits im Engagement vieler christlicher<br />
Gemeinden für die Flüchtlinge, im Kampf gegen Rechtspopulismus und<br />
für eine menschenfreundliche Gesellschaft. Für die Mehrzahl der Christen<br />
sind Demokratie, Achtung der Menschenwürde,<br />
Rechtsstaatlichkeit, freiheitliches Denken<br />
und Handeln, Toleranz und Respekt eine selbstverständliche<br />
Grundlage ihres Gemeinwesens.<br />
Sie sollten jenen rechts konservativen Christen,<br />
die versuchen, die Kirchen auf einen rechtspopulistischen<br />
Kurs zu bringen, oder ihnen alternativ<br />
einen politischen Maulkorb verpassen<br />
wollen, eine deutliche Absage erteilen: Christentum<br />
geht nicht mit Ausgrenzung einher, denn<br />
Christen sehen in jedem Menschen das Eben bild<br />
Gottes, der die wunderbare Vielfalt aller seiner<br />
Geschöpfe liebt. n<br />
kerstin meinhardt (55)<br />
ist Mitglied der Redaktion des Franziskaners.<br />
Die Diplom-Soziologin lebt in Idstein im Taunus.<br />
rechtspopulismus<br />
13
Radikalisierungstendenzen am<br />
rechten Rand der Kirche<br />
Sind Christen weniger anfällig für rechtspopulistische Bewegungen und Parteien<br />
als Nichtchristen? Was sind eigentlich Rechtskatholiken, welche Bedeutung haben<br />
sie für rechtspopulistische Parteien wie die AfD? Über diese Fragen sprachen wir mit<br />
Dr. Andreas Püttmann. Der katholische Politikwissenschaftler und Publizist aus<br />
Bonn beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Thema. Er versteht sich selber als<br />
konservativen Katholiken, der aber eine klare Trennungslinie zu rechtskatholischen<br />
und autoritären Positionen zieht und vehement für Demokratie, Menschenrechte<br />
und die freiheitliche Ordnung des Grundgesetzes streitet.<br />
Herr Püttmann, was haben wir unter »Rechtskatholizismus« zu<br />
verstehen?<br />
Eine eindeutige Definition ist sicherlich schwierig, aber es gibt<br />
Kriterien. Zunächst einmal bezogen auf Parteien und Organisationen:<br />
Rechtskatholik ist der, der mit rechtskonservativen oder<br />
rechtsradikalen Organisationen, Parteien und Verbänden sympathisiert,<br />
zusammenarbeitet oder hier sogar Mitglied ist.<br />
Ein anderes Kriterium zielt auf das ideologische Webmuster.<br />
Typisch für den Rechtskatholizismus ist eine Tendenz zu autoritären<br />
Modellen von Staat und Gesellschaft statt zur gewaltenteiligen,<br />
liberalen, rechtsstaatlichen Demokratie. Und zu diesem<br />
ideologischen Moment gehört auch das nationale, im Sinne von<br />
nationalistisch.<br />
Das dritte Kriterium hängt mit dem vorherigen zusammen: Im<br />
Mittelpunkt des politischen Denkens von Rechtskatholiken steht<br />
nicht das freie Individuum mit seiner Personenwürde, sondern<br />
die Ordnung. Das geht bis zu ständestaatlichen Vorstellungen<br />
und beinhaltet manchmal sogar ausdrückliche Kritik an der »falschen<br />
Idee von Gleichheit«.<br />
Wie groß ist der Anteil der Katholiken mit reaktionären und<br />
rechtspopulistischen Überzeugungen?<br />
Dies kann man am ehesten anhand des ersten genannten Kriteriums,<br />
der Nähe zu bestimmten rechtsextremen oder rechtskonservativen<br />
Gruppierungen bestimmen. Bei NPD oder auch den<br />
Republikanern ist der Anteil der Katholiken und auch der Christen<br />
insgesamt immer deutlich unterdurchschnittlich gewesen. Bei<br />
der AfD hingegen, also beim Rechtspopulismus, sieht es schon<br />
etwas anders aus. Laut einer Allensbach-Umfrage vom Sommer<br />
2016, sozusagen zur Blütezeit der AfD, als diese bundesweit bei<br />
etwa 14–15 Prozent lag, haben sich 8 Prozent der kirchennahen<br />
Katholiken und 12 Prozent der kirchenfernen Katholiken als<br />
poten zielle Wähler der AFD bekannt. Damit hätten wir es mit<br />
etwa 300.000 kirchennahen und ca. 2,5 Millionen kirchenfernen<br />
Katholiken zu tun. Zu knapp 3 Millionen<br />
Katholiken kommt eine ähnliche Anzahl evangelischer<br />
Christen, die zumindest ansprechbar sind durch den<br />
Rechtspopulismus.<br />
Was sind die Themen, die Christen für ein rechtspopulistisches<br />
Politikangebot ansprechbar machen?<br />
Das erste, sicherlich wichtigste, ist der Widerstand<br />
gegen den sogenannten »Genderwahn«. Dieser Themenbereich<br />
ist mit einer zum Teil apokalyptischen Vorstellung<br />
von der Auflösung der Familie und der Geschlechterordnung<br />
verbunden bis hin zu Verschwörungstheorien.<br />
Wobei hier der Begriff der »Homolobby«<br />
eine entscheidende Rolle spielt. Bei der Genderwahn<br />
Idee geht es darüber hinaus um das Verhältnis der<br />
Geschlechter; also wie ist die Aufgaben- und Rollenverteilung<br />
zwischen Mann und Frau in der Partnerschaft,<br />
mit dem Spezialthema der Kinderbetreuung<br />
und der Berufstätigkeit der Frau. Dann gibt es den<br />
Bereich der sogenannten »political correctness« . Doch<br />
die Hauptstoßrichtung richtet sich nach meiner Beobachtung<br />
gegen Homosexuelle, die als die eigentliche<br />
Gefahr für Ehe und Familie angesehen werden.<br />
Woher kommt diese irrationale Angst vor Gleichberechtigung?<br />
Es wird ja niemand etwas weggenommen.<br />
Ich denke, die Sichtbarkeit ist der Punkt. Nach dem<br />
Motto: Wir sind nicht homophob, wir möchten nur<br />
nichts davon in der Öffentlichkeit sehen, wir wollen<br />
nichts davon in der Schule hören. Was jemand in seinen<br />
vier Wänden macht, ist seine Sache. Heterosexualität<br />
darf sich in der Öffentlichkeit zeigen, Homosexualität<br />
nicht, damit die natürliche Ordnung unbeschadet<br />
bleibt.<br />
14 rechtspopulismus
Was sind die zentralen Anknüpfungspunkte für Rechtskatholiken<br />
an das Politikangebot der AfD?<br />
Dieses Ordnungs- und Autoritätsfokussierte verbindet sicherlich<br />
die nichtkirchliche mit der kirchlichen Rechten, wenn auch die<br />
Motive oder Begründungen unterschiedlich sind. Für die einen<br />
ist es die Schöpfungsordnung, für die anderen ist es die Volksgesundheit<br />
oder der »gesunde Volkskörper«. Hier gibt es die<br />
größte Schnittmenge.<br />
Das Zweite ist die Islam-Angst, wenngleich nach einer Allensbach-Umfrage<br />
die Gottesdienstbesucher – sowohl regelmäßige<br />
als auch gelegentliche – weniger Vorbehalte gegen Muslime als<br />
Nachbarn haben als kirchenferne Katholiken. Die Katholiken<br />
haben sogar insgesamt nochmal etwas weniger Vorbehalte gegen<br />
Muslime als Protestanten und erst recht weniger als Konfessionslose.<br />
Aber es gibt auch in der katholischen Kirche eine kleine,<br />
aber lautstarke Gruppe, die die sogenannte Islamisierung des<br />
Abendlandes als große Gefahr ansieht, auch als Gefahr für das<br />
Christentum. Doch dieses Thema scheint bei Rechtskatholiken<br />
gegenüber dem Genderwahn-Thema eher zweitrangig. Allerdings<br />
gibt es unter Katholiken wie in der Gesellschaft insgesamt eine<br />
Mehrheit, die Bedenken und Vorbehalte gegenüber dem Islam<br />
hat. Zweifel bestehen gegenüber der Integrationswilligkeit, gegenüber<br />
dem Bekenntnis zum Vorrang des Grundgesetzes gegenüber<br />
religiös begründeten Rechts- und Gesellschaftsvorstellungen,<br />
und es gibt sicher auch ein Unbehagen, sich in manchen<br />
Stadtteilen von Großstädten nicht mehr heimisch zu fühlen.<br />
Insoweit gelingt einer rechtspopulistischen Partei wie der AfD<br />
beim Thema Islam durchaus eine gewisse Anschlussfähigkeit an<br />
große Gruppen in Kirche und Gesellschaft.<br />
Grundsätzlich muss man meines Erachtens feststellen, dass eine<br />
gewisse Nähe zu autoritären Ordnungen durchaus in den katholischen<br />
»Genen« liegt. Dies zeigt auch ein Blick auf den Faschismus<br />
in katholischen Gesellschaften im letzten Jahrhundert, beispielsweise<br />
in Spanien, Portugal oder auch in lateinamerikanischen<br />
Ländern. Es ist die straffe Hierarchie, in der man gewohnt<br />
ist, kirchlicherseits zu leben, und das ausgeprägte »Ordodenken«,<br />
also das Denken in einer von Gott gesetzten Ordnung<br />
im Gegensatz zu den von Menschen gemachten Normen,<br />
was zu einer gewissen Antiliberalität führen kann.<br />
Welche Vorteile bringen die Rechtskatholiken der AfD?<br />
Ich sehe hier vier Dimensionen: Erstens erschließen<br />
sie der AfD eine hoch motivierte, gut vernetzte und<br />
spendenbereite Anhängerschaft.<br />
Zweitens legitimiert man den Anspruch der Rechtspopulisten,<br />
Verteidiger des Abendlandes zu sein, da<br />
sie sagen können, wir haben ja auch Christen bei uns.<br />
Drittens wirkt die Mitarbeit von Christen für die Rechtspopulisten<br />
wie eine Art moralische Unbedenklichkeitserklärung,<br />
sie vermittelt den Eindruck einer gediegenen,<br />
braven Bürgerlichkeit.<br />
Das Vierte ist, dass die Rechtskatholiken und auch<br />
Rechts protestanten die AfD in ihrer Kirchen- und<br />
Bischofskritik bestätigen. Sie sind sozusagen die Kronzeugen<br />
für die Hetze gegen diese sogenannten »verrotteten<br />
Funktionsträger und Staatsbeamten«.<br />
Wie finden rechtskatholische Aufhetzer ihr Publikum?<br />
Wie organisieren sie ihre Anhänger?<br />
Das ist extrem schwer nachzuvollziehen, weil es sich<br />
hier um informelle Netzwerke handelt, die einfach<br />
durch eine Vielzahl persönlicher Kontakte entstehen.<br />
Was man aber sagen kann, ist, dass der »Internetkatholizismus«<br />
eine Schlüsselrolle spielt. Ein besonderer<br />
Kristallisationspunkt ist dabei das österreichische<br />
Internetportal »Kath.net«, aber auch einige Blogger.<br />
Hier spiegelt sich das gesamtgesellschaftliche Phänomen,<br />
dass das Internet im Grunde neben allen Segnungen<br />
und Vorteilen, die es bringt, doch auch eine<br />
große Radikalisierungsmaschine ist, in der man die<br />
Selbstbestätigung findet, die man sucht. Hier kann<br />
Konservative Christen und andere Gruppierungen demonstrierten zuletzt am 25. Juni <strong>2017</strong> in der Innenstadt von Wiesbaden unter dem Motto<br />
»Demo für alle« gegen den neuen Lehrplan zur Sexualkunde an hessischen Schulen<br />
© boris roessler/dpa<br />
rechtspopulismus<br />
15
Widerspruch vermieden werden, und auch sachliche Einreden<br />
und Korrekturen finden kaum statt, weil der Zusammenhalt der<br />
Gruppe, der Korpsgeist, immer wichtiger ist.<br />
Neben der Funktion des Internets als zentralem Kommunikationskanal<br />
gibt es auch bestimmte Gruppierungen, die Kongresse<br />
abhalten, die als große Heerschau dienen, wo man sich dann<br />
auch Face-to-Face sieht und Verabredungen trifft.<br />
Dann gibt es das Forum Deutscher Katholiken, in dem man eine<br />
Häufung von Rechtskatholiken erleben kann, neben anderen, die<br />
einfach nur traditionell fromm und konservativ sind; aber doch<br />
auch einige, die durch eine gewisse Nähe zu Rechtspopulisten,<br />
zu Putin oder zur AfD aufgefallen sind.<br />
Was wäre nötig, um dem Rechtspopulismus und dem mit ihm<br />
verbündeten Rechtskatholizismus in Deutschland erfolgreich<br />
entgegentreten zu können?<br />
Wichtig wäre aus meiner Sicht, die Sozialethik nicht als ein im<br />
Grunde unbedeutendes theologisches Nebenfach zu begreifen.<br />
Jesus ist zwar nicht für ein politisches Programm angetreten, aber<br />
es ist selbstverständlich, dass die christliche Lehre politische<br />
Konsequenzen hat. Wenn ich sage, »was ihr dem geringsten meiner<br />
Brüder getan habt, das habt ihr mir getan«, dann muss ich<br />
mich natürlich auch in meinem Tun um die Bestandsvoraussetzungen<br />
eines humanen politischen Systems sorgen. Die Kirche<br />
hat hierfür ja mit ihren Sozialprinzipien »Personalität, Solidarität,<br />
Subsidiarität, Gemeinwohl, Nachhaltigkeit« auch ein Instrumentarium.<br />
Ich meine, das gehört zum Tafelsilber der Theologie und<br />
ist keine Nebenspielwiese, die man vernachlässigen kann.<br />
Der im vergangenen Monat veröffentlichte<br />
Essayband unseres Interviewpartners setzt<br />
sich mit den Versuchungen einer<br />
schrumpfenden katholischen Kirche<br />
auseinander und bricht eine<br />
Lanze für die Ökumene.<br />
Andreas Püttmann<br />
Wie katholisch ist Deutschland …<br />
… und was hat es davon?<br />
Bonifatius, 16,90 €, ISBN 978-3-89710-712-0<br />
Die sozialethischen Kriterien für das politische Handeln müssen<br />
klar herausgearbeitet werden. Dass man für Flüchtlingshilfe und<br />
gegen Antisemitismus und gegen Rassismus ist, ist selbstverständlich.<br />
Aber was man speziell nacharbeiten muss, ist etwas,<br />
was ich in aller Vorsicht »Theologie der Demokratie« nennen<br />
würde: dass ein politisches System aus katholischer Sicht sich<br />
nicht vor allem dadurch legitimiert, was es an katholischen Gesetzen<br />
hervorbringt. Sondern dass die Demokratie – selbst wenn<br />
sie gelegentlich unchristliche Gesetze hervorbringt – als korrekturfähiges<br />
System, das den Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt<br />
stellt, einen Eigenwert hat, der der christlichen Anthropologie<br />
nähersteht als alle anderen Gesellschaftssysteme.<br />
Hier müsste die Kirche noch etwas deutlicher werden.<br />
Wichtig wäre zudem die Verstärkung der politischen Bildungsarbeit<br />
in den zahlreichen kirchlichen Bildungseinrichtungen.<br />
Hier besteht ein großer Bedarf, wenn man<br />
sich die Untersuchungen zur Politikverdrossenheit anschaut<br />
oder zur Haltung gegenüber unserem repräsentativen<br />
System, zur Gewaltenteilung.<br />
Was sind die schönsten Früchte des Christentums, gleichsam<br />
seine DNA? »Empathie, Demut und Gelassenheit«.<br />
Was sind die hervorstechendsten Eigenschaften des<br />
Rechtspopulismus? »Empathielosigkeit, rabiater, individueller<br />
oder kollektiver Egoismus und Sozialdarwinismus,<br />
Hybris und Daueraufgeregtheit«. Man kann den Rechtspopulismus<br />
beschreiben als nahezu vollständige Leugnung<br />
eines christlichen Selbstverständnisses oder einer christlichen<br />
Tugendethik.<br />
Dies deutlich herauszuarbeiten, wäre aus meiner Sicht<br />
Aufgabe kirchlicher Bildungsarbeit.<br />
Sollten Kirche und Christen mit der AfD sprechen?<br />
Man sollte kein Podium für die AfD bieten. Das heißt,<br />
einerseits Dialogbereitschaft zu zeigen, wenn etwa AfD-<br />
Parla mentarier beim katholischen Büro anklopfen und<br />
sprechen wollen, dann soll man mit ihnen sprechen. Genau<br />
wie jeder Katholik und jeder Protestant mit Freunden, im<br />
Bekanntenkreis, in der Verwandtschaft sein Zeugnis geben<br />
muss und nicht nur sein Glaubenszeugnis, sondern auch<br />
sein ethisches Zeugnis. Also keine Dialogverweigerung!<br />
Aber man muss einer solchen Partei nicht neue Räume<br />
für die Verbreitung ihrer »Wahrheiten« eröffnen in der<br />
Hoffnung, man werde sie schon entzaubern. Die Vorstellung,<br />
man müsse sie nur einmal öffentlich beim Katholikentag<br />
reden lassen und dann seien sie demaskiert, ist völlig<br />
naiv und unterschätzt massiv das demagogische Potenzial<br />
dieser Leute.<br />
Ich halte es zudem für wichtig, dass konservative Katholiken<br />
und Protestanten im kirchlichen Mainstream nicht an den<br />
Rand gedrängt werden. Ich habe das früher auch selbst<br />
erfahren, als eher konservativer Vertreter. Es wurde nach<br />
dem Motto verfahren: »Wer einmal beim Forum Deutscher<br />
Katholiken gesprochen hat, ist verstrahlt und taugt nicht<br />
mehr als Referent.« Solche Ausgrenzungsmechanismen<br />
gegenüber Konservativen treiben diese Leute, die eigentlich<br />
gar nicht rechtskonservativ oder rechtsradikal werden<br />
müssten, in die Hände der politischer Rattenfänger. n<br />
interview und bearbeitung: thomas meinhardt (60)<br />
Der Redakteur des Franziskaner ist<br />
Diplom-Soziologe und lebt in Idstein im Taunus<br />
Das vollständige Interview mit Dr. Andreas Püttmann<br />
33www.zeitschrift.<strong>franziskaner</strong>.de<br />
16 rechtspopulismus
geistlicher wegbegleiter – sommer <strong>2017</strong><br />
im glauben reifen<br />
geistlicher wegbegleiter<br />
Im Glauben reifen<br />
©kerstin meinhardt<br />
In einem Glaubensgespräch beschäftigten<br />
wir uns mit dem Apostolischen<br />
Glaubensbekenntnis. Ein<br />
Text aus dem fünften Jahrhundert<br />
nach Christus, der Sonntag für<br />
Sonntag in den christlichen Kirchen<br />
gebetet wird. »Wäre es nicht besser,<br />
das Glaubensbekenntnis in heutiger<br />
Sprache zu formulieren? Die Frage<br />
nach Gott stellt sich heute doch<br />
ganz anders als vor 1.500 Jahren.«<br />
Eine andere nickte: »Durch die moderne<br />
Wissenschaft wissen wir zum<br />
Beispiel, dass sich die Welt allmählich<br />
und stufenweise entwickelt hat<br />
und nicht fix und fertig von Gott<br />
geschaffen wurde.« Andere meinten:<br />
»Nein, einen solchen Basistext wie<br />
das Glaubensbekenntnis kann man<br />
nicht einfach verändern. Wenn wir<br />
uns an manchen Aus sagen reiben,<br />
wird unser Glaube spannend und<br />
lebendig.« Wir kamen zur Überzeugung:<br />
Es ist gut, dass wir die Texte,<br />
die uns durch die Kirche überliefert<br />
worden sind, bewahren und beten.<br />
Sie regen uns an, Fragen zu stellen,<br />
den Glauben neu zu bedenken und<br />
ihn auch in die heutige Sprache zu<br />
übersetzen.<br />
Nicht nur im Lauf der langen Menschheitsgeschichte<br />
wandelt sich das<br />
Glaubensverständnis, auch im Lauf<br />
eines jeden Menschenlebens – von<br />
einem nicht hinterfragten Kinderglauben<br />
zum Aufbegehren in der<br />
Jugendzeit hin zu einem erwachsenen<br />
Verständnis des Glaubens.<br />
Unser Glaube ist keine Schatzkiste<br />
mit katalogisiertem Inhalt, sondern<br />
ein lebendiger Organismus, der<br />
ständig wächst. Damit er wächst,<br />
braucht er Pflege. Wie eine Pflanze,<br />
die sich entwickelt, braucht unser<br />
Glaube Licht, Nahrung, Ruhe, Aufmerksamkeit,<br />
Liebe.<br />
Wir laden Sie ein, einmal Ihr persönliches<br />
Wachsen und Reifen im<br />
Glauben zu meditieren. Lassen Sie<br />
ruhig und ehrlich auch die Fragen<br />
und Zweifel zu. Und staunen Sie,<br />
was aus dieser »Pflanze« geworden<br />
ist und noch werden kann.<br />
Wir wünschen Ihnen einen fruchtbaren<br />
geistlichen Weg und eine erfüllte<br />
Sommerzeit!<br />
Ricarda Moufang und<br />
Helmut Schlegel<br />
Ricarda Moufang (56) ist Referentin im Zentrum für christliche Meditation und Spiritualität des Bistums Limburg.<br />
Helmut Schlegel OFM (74) ist Leiter des Zentrums für christliche Meditation und Spiritualität des Bistums Limburg in Frankfurt.<br />
17
geistlicher wegbegleiter – sommer <strong>2017</strong> – juli<br />
im glauben reifen<br />
Meine Geschichte<br />
mit Gott<br />
gespräch mit der bibel<br />
»Da antwortete Gott dem Mose: Ich bin der ›Ich-binda‹.<br />
Und er fuhr fort: So sollst du zu den Israeliten sagen:<br />
Der ›Ich-bin-da‹ hat mich zu euch gesandt. Weiter sprach<br />
Gott zu Mose: So sag zu den Israeliten: Jahwe, der Gott<br />
eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der<br />
Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein<br />
Name für immer und so wird man mich nennen in allen<br />
Generationen.« (Ex 3,14 f.)<br />
Mehr als ein Name ist, was Gott dem Mose offenbart.<br />
»Ich bin da« ist der Ausdruck zeitloser Gegenwart: Im<br />
Hier und Jetzt ist Gott, in jedem Augenblick meines<br />
Daseins, ob ich mir dessen bewusst bin oder nicht. Leben<br />
ist immer Sein vor Gott. Ein Ja zum Leben ist Gebet.<br />
meditation<br />
Du<br />
mein roter Faden<br />
Von der Nabelschnur<br />
bis zum Grablot<br />
seidener Faden in Todesangst<br />
Seemannsgarn im Zweifel<br />
festes Tau im Seelensturm<br />
Drahtseil auf Messers Schneide<br />
»Wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und<br />
gläubig angenommen. Gott ist die Liebe, und wer in<br />
der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.«<br />
(1 Joh 4,16)<br />
Die Sinne, der Verstand, die Worte – sie alle erreichen<br />
Gott nicht, weil er immer der ganz Andere ist. Er wohnt<br />
in unzugänglichem Licht. Das ist die Not des Glaubens.<br />
Doch es gibt einen sicheren Weg zu Gott – die Liebe.<br />
Wo immer Menschen über das Ego hinaus denken, wo<br />
sie uneigennützig handeln, wo sie vergeben, wo das<br />
kleine Wort »Du« ihr Herz bewegt – da sind sie bei Gott<br />
und in Gott.<br />
Unsichtbares Netz<br />
vom Ich zum Wir zum Du<br />
zeitloser Halt<br />
in haltloser<br />
Zeit<br />
fünf anregungen für den alltag<br />
••<br />
Ich atme das Wort »Gott« ein und aus und<br />
spüre, wie ich durchströmt werde von Leben,<br />
Licht, Liebe.<br />
••<br />
Die Geschichte meiner Gottesbeziehung<br />
ist kein künstlicher Kanal, sondern ein lebendiger<br />
Fluss. Oder: Welche anderen Bilder<br />
stellen sich bei mir ein?<br />
••<br />
Ich suche Orte auf, die mir von Gott erzählen.<br />
••<br />
Ich denke an Menschen, deren Leben für<br />
mich Gott bezeugt.<br />
••<br />
Im Gebet bitte ich Gott, mir seine Version<br />
der Geschichte mit mir zu erzählen.<br />
impuls<br />
Jeder Mensch geht einen eigenen Weg mit Gott. Manche<br />
erfahren Gottes Nähe schon früh und intuitiv, in<br />
der Natur, im Spiel, im Staunen. Andere »erlernen« Gott<br />
durch ihre Eltern, Großeltern, Pfarrer, Lehrerinnen oder<br />
Freunde. Meine Beziehung zu Gott wandelt sich im<br />
Laufe der Zeit, ebenso verändert sich mein Bild von<br />
Gott. Eine andere Erfahrung ist Gottes Abwesenheit<br />
und sein Nicht-Eingreifen, was häufig Glaubens krisen<br />
auslöst und tiefe Zweifel weckt. Menschen erleben aber<br />
auch die ganz persönliche Berufung und die mystische<br />
Einheit mit Gott:<br />
••<br />
Vielleicht ist Gott mein Freund und Ratgeber oder<br />
mein intimster Gesprächspartner?<br />
••<br />
Vielleicht ist er ein Richter, vor dem ich mich fürchte.<br />
Oder Gott ist für mich die Liebe?<br />
••<br />
Vielleicht ist Gott für mich mehr als Person, mehr als<br />
Mann oder Frau, mehr als Schöpfer?<br />
••<br />
Welchen Weg bin ich mit Gott gegangen? Welchen<br />
Weg ging Gott mit mir?<br />
© bilder links und rechts: günter harmeling<br />
18
geistlicher wegbegleiter – sommer <strong>2017</strong> – august<br />
im glauben reifen<br />
gespräch mit der bibel<br />
»Kommt zu ihm, dem lebendigen Stein, der von den<br />
Menschen verworfen, aber von Gott auserwählt und<br />
geehrt worden ist. Lasst euch als lebendige Steine zu<br />
einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen<br />
Priester schaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer<br />
darzubringen, die Gott gefallen.« (1 Petr 2,4f.)<br />
»Er (Christus) ist das Haupt des Leibes, der Leib aber ist<br />
die Kirche. Er ist der Ursprung, der Erstgeborene der<br />
Toten; so hat er in allem den Vorrang.« (Kol 1,18)<br />
Der Eckstein hat neben der gestalterischen auch eine<br />
stabilisierende Funktion: Er gibt Halt in verschiedene<br />
Richtungen. Die Steine sind in der Vorstellung der Bibel<br />
nicht materiell und tot, sondern lebendig und beweglich.<br />
Dies gibt dem »Gebäude Kirche« eine besondere<br />
Dynamik. Und doch ist es gut, dass im Neuen Testament<br />
das Bild vom Organismus jenes vom Bauwerk »überholt«.<br />
Kirche ist mehr als Architektur, sie ist Beziehung.<br />
Weil Christus das Haupt des Leibes Kirche ist, muss die<br />
entscheidende Frage der Kirche immer die Frage nach<br />
Jesus sein.<br />
fünf anregungen für den alltag<br />
••<br />
Woran denke ich, wenn ich das Wort Kirche höre?<br />
Welche Gefühle kommen mir?<br />
••<br />
Kenne ich Menschen, die für mich glaubwürdig<br />
Kirche verkörpern?<br />
••<br />
Ich meditiere die biblischen Bilder von der Kirche:<br />
Schiff auf dem Meer – Gottesvolk auf dem Weg –<br />
Zelt – Fels – Gebäude mit dem Eckstein Christus –<br />
Leib Christi.<br />
••<br />
Wenn ich mich als »lebendigen Stein« im Bauwerk<br />
Kirche verstehe, wo sehe ich meinen Platz?<br />
••<br />
Wenn ich mich als wachsendes, aber auch verletzbares<br />
Glied im Organismus Kirche verstehe,<br />
was empfinde ich dabei?<br />
impuls<br />
Meine Beziehung zur Kirche ist so vielgestaltig wie die<br />
Kirche selbst. Es gibt die Gemeinde, in der ich aufwuchs.<br />
Es gibt die Gemeinde(n), wo ich Gottesdienst feiere. Es gibt<br />
die sozialen und politischen Kircheninitiativen. Es gibt die<br />
Institution, mit Bischöfen und Papst, Dogmen und Kirchenrecht.<br />
Es gibt Kirchenräume, in denen das Heilige spürbar<br />
ist. Es gibt die Weltkirche.<br />
Kirche ist ein weites Feld:<br />
••<br />
Vielleicht ist die Kirche für mich das einzig Sichere in<br />
einer unberechenbaren Welt, ein Ort der verlässlichen<br />
Menschen und stabilen Strukturen?<br />
••<br />
Vielleicht komme ich mit den vielen Reformen, mit den<br />
Großpfarreien und mit dem schmerzhaften Schrumpfen<br />
der Gemeinden nicht zurecht?<br />
••<br />
Vielleicht gehen mir die Veränderungen aber auch viel<br />
zu langsam voran und ich kritisiere das starre Festhalten<br />
an Dogmen und »unmodernen« Lebensvorschriften?<br />
••<br />
Vielleicht wurde ich durch die Kirche verletzt und sie ist<br />
mir fremd geworden?<br />
••<br />
Vielleicht sind Kirchenräume meine spirituellen Rückzugsorte?<br />
Welchen Weg bin ich mit der Kirche gegangen?<br />
meditation<br />
FELS auf dünnem Eis<br />
getragen von Hoffnung<br />
von Sehnsucht<br />
von Not.<br />
Eingeritzt in die Felswände<br />
verwittert und trotzig<br />
das ewige Wort<br />
das alte Versprechen:<br />
Wir werden<br />
übers Wasser gehen.<br />
Hand<br />
in Hand.<br />
Meine Geschichte<br />
mit der Kirche<br />
19
geistlicher wegbegleiter – sommer <strong>2017</strong> – september<br />
im glauben reifen<br />
meditation<br />
Ich vertraue<br />
auf eine Liebe<br />
die jeden Menschen sucht<br />
ich vertraue<br />
auf eine Kraft<br />
die jedes Herz umwirbt<br />
ich vertraue<br />
auf dich Menschensohn<br />
und auf die Gemeinschaft<br />
der deinen<br />
auf die Heilung<br />
die uns zugesprochen ist<br />
im JETZT<br />
das niemals aufhört<br />
Meine Geschichte<br />
mit dem Glauben<br />
impuls<br />
gespräch mit der bibel<br />
Begonnen hat meine Glaubensgeschichte – so<br />
sagt es jedenfalls die Bibel – vor meiner Zeit.<br />
Sie sagt, dass mein Glaube tiefer geht als mein<br />
Bewusstsein. Sie sagt, dass Glaube eine Partnerschaft<br />
ist, in der ich »seit Ewigkeit geliebt« bin.<br />
Wenn das stimmt, dann ist meine Glaubensgeschichte<br />
zuerst »Seine« Geschichte. Glaube<br />
ist Gnade, Geschenk, gratis. Wenn »Credo«<br />
bedeutet, das Herz zu verschenken (cor dare),<br />
dann ist mein Ja-Wort Antwort auf das schon<br />
immer gegebene Ja-Wort Gottes:<br />
••<br />
Meine Glaubensgeschichte ist kein massiver<br />
Block, sondern eine Geschichte, da ist etwas<br />
»geschichtet«.<br />
••<br />
Da lagern verschiedene Schichten übereinander.<br />
Es gibt Sedimente aus guten und<br />
harmonischen Zeiten. Und es gibt poröse<br />
Schichten, die aus Zeiten stammen, da alles<br />
zusammenzubrechen drohte.<br />
••<br />
In jedem Fall ist diese Geschichte lebendig.<br />
Mein Glaube ist ein Beziehungsgeschehen.<br />
••<br />
Deswegen stehen wohl die Glaubensinhalte<br />
nicht an erster Stelle. Glaube ist zuerst eine<br />
Beziehung – ein wortloses Band von Herz<br />
zu Herz.<br />
»Amen, das sage ich euch: Wenn euer Glaube auch nur so groß ist<br />
wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg sagen: Rück von<br />
hier nach dort! und er wird wegrücken. Nichts wird euch unmöglich<br />
sein.« (Mt 17,20)<br />
Eines der bekanntesten Gleichnisse der Bibel: Der Glaube als Senfkorn.<br />
So klein, dass es unter den Fingernägeln verschwindet. Und<br />
doch wohnt in ihm eine große Kraft. Ist es nicht oft unsere Not, dass<br />
wir nicht an die Kraft des Glaubens glauben? Dass wir selbst unseren<br />
Glauben kleinreden? Dabei ist er gerade das Wunder. Die kleinsten<br />
Schritte im Glauben – ein Senfkorn Vertrauen, ein kleiner Spalt<br />
Wagnis, ein Schimmer an Hoffnung – verändern die Welt.<br />
fünf anregungen für den alltag<br />
••<br />
Was glaube ich? – Wem glaube ich? Ich mache mir bewusst,<br />
dass die Frage nach dem »Du« die entscheidende Glaubensfrage<br />
ist.<br />
••<br />
Ich meditiere meinen Glauben angesichts eines blühenden<br />
Baumes, eines Kindergesichtes, eines Kunstwerks, eines Grabsteins,<br />
eines Christusbildes.<br />
••<br />
Ich zeichne meine Glaubensgeschichte in der Form eines Flusses<br />
nach. An welche markanten Stellen erinnere ich mich?<br />
••<br />
Was wäre in meinem Handeln und in meinen Begegnungen<br />
anders, wenn ich nicht glaubte? Warum?<br />
••<br />
Ich meditiere das »Du-Gebet«, das Franz von Assisi geschrieben<br />
hat (Gotteslob Nr. 7,2) und formuliere selbst ein Du-Gebet.<br />
© günter harmeling<br />
20
kleines theologisches wörterbuch<br />
Religiöser Fundamentalismus ist brand gefährlich. Sein<br />
Gottesbild bestimmt auch die Sicht von Geschichte:<br />
So ein Gott greift unmittelbar ein, schafft Sieger und<br />
Verlierer, macht die einen stark und lässt andere untergehen.<br />
»Im Namen Gottes« geschehen in der Geschichte unvorstellbare<br />
Grausamkeiten.<br />
Sollte man Gott nicht besser ganz aus der Geschichte heraushalten?<br />
Nun können gerade wir Christen das nicht: Die Heilige<br />
Schrift erzählt durchgehend von Menschen, die in ihrer<br />
Geschichte auch eine Geschichte zwischen Gott und sich<br />
erfahren. Gott ist nicht über oder hinter der Geschichte. Die<br />
Geschichte ist Raum Gottes. In Jesus wird er selbst ein Stück<br />
Geschichte. Im Glauben an die Wiederkunft Christi steckt<br />
die Überzeugung, dass die Geschichte auf ihn zuläuft und<br />
in ihm ein gutes Ende findet.<br />
Diese Konzeption von »Heilsgeschichte« will Grund fragen<br />
beantworten, die sich auch in völlig säkularer Form stellen:<br />
Kann man Geschichte verstehen? Gibt es einen Sinn in der Geschichte?<br />
Hat Geschichte ein Ziel? Konkret: Verläuft Geschichte<br />
in einer aufsteigenden Linie, so dass, durch alle Katas trophen<br />
hindurch, letztlich alles immer besser wird? Davon haben die<br />
Marxisten geträumt oder die Fortschrittsuto pisten der Siebzigerjahre.<br />
Oder steuert alles auf die große Katastrophe zu? Dafür<br />
gibt es realistische Szenarien. Oder wabert die Geschichte im<br />
Kreis vor sich hin? Nach Karl Popper hat die Geschichte keinen<br />
Sinn, aber der Mensch kann ihr einen Sinn verleihen. Friedrich<br />
Nietzsche hat der Kirche<br />
vorgeworfen, die Geschichte<br />
Israels wie die<br />
Menschheitsgeschichte<br />
zur Vorgeschichte des<br />
Christentums gefälscht<br />
zu haben.<br />
Geschichte<br />
Menschheitsgeschichte;<br />
Gottes Geschichte mit den Menschen<br />
Wie also erlebt sich der Glaubende in der Geschichte?<br />
Mir selbst scheint wichtig:<br />
Christsein geht nur in Geschichte, nicht neben<br />
ihr. Gott hat sich geschichtlich offenbart. Er ist in<br />
Jesus in die Geschichte eingetreten. Jesus sendet<br />
in die Geschichte.<br />
Das Reich Gottes beginnt schon in der Geschichte,<br />
aber es ist nie mit einer konkreten geschichtlichen<br />
Situation zu identifizieren. »Die Geschichte ist<br />
nicht das Letzte, um was es geht. Aber es geht um<br />
das Letzte nur in der Geschichte«<br />
(Alfred Delp SJ).<br />
Geschichte ist auf weite Strecken grausam und<br />
unverständlich. Aber es gibt in der Geschichte<br />
auch die Erfahrung von Versöhnung, Solidarität,<br />
Einsatz für Gerechtigkeit. Dabei können wir<br />
etwas vom Reich Gottes ahnen.<br />
Wir können Geschichte nicht »machen«, haben<br />
aber Verantwortung in ihr. Geschichte ist<br />
immer offen, appelliert an unsere Freiheit, fordert<br />
Entscheidungen. Politik und Weltgestaltung<br />
gehören untrennbar zur christlichen<br />
Berufung.<br />
Als Gott in Jesus Mensch wird, schreibt er keine<br />
Sieger geschichte. Sein Leben ist die Geschichte<br />
eines Verlierers. Christen haben daher einen<br />
besonderen Blick für die Opfer der Geschichte.<br />
Der Glaube selbst ist geschichtlich. Er hat sich<br />
im Lauf der Geschichte immer weiter ent faltet<br />
und kulturell wie sprachlich wechselnde Ausdrucks<br />
formen angenommen. Auch mein Lebens <br />
weg ist eine lebendige Geschichte mit Gott. n<br />
cornelius bohl ofm (55)<br />
ist Provinzialminister der Deutschen<br />
Franziskanerprovinz<br />
© okalinichenko – fotolia.com<br />
theologischer impuls<br />
21
Vivere<br />
Leben in franziskanischer Inspiration<br />
Franz von Assisi und die franziskanische Spiritualität haben für viele Menschen etwas<br />
Begeisterndes. Seit Anbeginn der Bruderschaft des heiligen Franziskus machten sich daher<br />
immer wieder Männer und Frauen auf den franziskanischen Weg der Nachfolge Christi.<br />
Die, die dies nicht in einer klösterlichen Gemeinschaft tun wollten, aber gleich wohl den<br />
Anschluss an eine Gruppe suchten, traten sogenannten »Laienbewegungen« bei.<br />
Auch heute existieren eine Vielzahl solcher Weggemeinschaften, oftmals fühlen sie<br />
sich einer Ordensniederlassung besonders verbunden.<br />
Hiltrud Bibo aus Kiedrich im Rheingau teilt die Begeisterung<br />
vieler Menschen für den heiligen Franziskus und hat das Ansteckende<br />
der franziskanischen Spiritualität in vielen Begegnungen<br />
mit Franziskanern immer wieder erfahren. Spätestens<br />
ihre Teilnahme an Studienreisen der Missionszentrale der<br />
Franziskaner nach Indien und Assisi und das intensive Erleben<br />
des gemeinsamen Unterwegsseins mit einer Gruppe gleichgesinnter<br />
Männer und Frauen ließen in ihr einen Wunsch<br />
reifen: »Das Franziskanische« soll nicht nur in punktuellen<br />
Begegnungen aufscheinen oder bei gemeinsamen Reisen<br />
spürbar sein, sondern in den Alltag ausstrahlen …<br />
»Was das Franziskanische genau<br />
ist? Das ist schwer zu fassen!«,<br />
lacht die sympathische 56-jährige<br />
Chemieingenieurin. »Eigentlich<br />
bin ich beruflich und<br />
durch ehrenamtliches Engagement<br />
voll ausgelastet, und ich<br />
will auch noch Zeit für meine<br />
Enkel tochter haben, aber da gibt<br />
es etwas, dem ich auf den Grund<br />
gehen möchte! Für Einzelne ist<br />
es meist schwierig, im Alltag<br />
Veränderungen anzustoßen.<br />
Daher bin ich auf der Suche nach<br />
einer Gruppe von gleichgesinnten<br />
Menschen, mit denen ich<br />
mich austauschen kann, die<br />
mich bestärken oder die mir<br />
auch mal kritisch den Spiegel<br />
vorhalten. Ich hoffe, so eine Weggemeinschaft<br />
zu finden. «<br />
Die Gelegenheit bot sich, als die Franziskaner Hermann<br />
Schalück, Helmut Schlegel, Johannes Küppers und Martin<br />
Lütticke vor zwei Jahren mit der Idee einer neuen franziskanischen<br />
Bewegung an die Öffentlichkeit traten. »Wir fanden,<br />
es war an der Zeit, endlich das Verhältnis von Laien und Ordensleuten<br />
neu auszurichten. Es braucht einen Aufbruch aus der<br />
Abgeschlossenheit des Ordenslebens«, so meint Hermann<br />
Schalück, der ehemalige Generalminister der Franziskaner.<br />
»Vivere«, so nennt sich der neue Impuls für ein franziskanisches<br />
Miteinander. Es ist ein Angebot an Menschen wie Hiltrud<br />
Bibo, die auf der Suche nach einer Verortung im »Franziskanischen«<br />
sind.<br />
Im Juni 2015 lud die Deutsche Franziskanerprovinz erstmals<br />
zu zwei Begegnungstreffen unter dem Titel »Vivere« ein. Seitdem<br />
gab es eine Reihe an bundesweiten und regionalen Veranstaltungen.<br />
Ziemlich bald nach dem ersten Treffen im Haus<br />
Ohrbeck fand sich eine erste Regionalgruppe im Rheinland,<br />
und auf dem Hülfensberg trifft sich im dortigen Kloster regelmäßig<br />
eine Regionalgruppe, die von Johannes Küppers unterstützt<br />
wird. Weitere Gruppen existieren mittlerweile in Ohrbeck<br />
und in Fulda.<br />
Hiltrud Bibo ist seit den ersten Treffen der Vivere-Bewegung<br />
dabei. Mit Ulrich Rau von der Regionalgruppe Rheinland und<br />
Pater Hermann hatte sie das Konzept für ein Vivere-Wochenende<br />
im Franziskanerkloster Großkrotzenburg entwickelt,<br />
das Ende April mit 16 Teilnehmerinnen und Teilnehmern<br />
stattfand. Im Nachgang traf sich bereits eine mögliche Regionalgruppe<br />
Rhein-Main. Ob Hiltrud Bibo dort die erhoffte franziskanische<br />
Weggemeinschaft findet und ob es in der Vivere-<br />
Bewe gung eventuell sogar zu gemeinschaftlichen Lebensprojekten<br />
kommt, bleibt abzuwarten.<br />
Hiltrud Bibo beim Vivere-Wochenende in Großkrotzenburg<br />
22 franziskanisch leben
Im vergangenen Jahr wurde beim überregionalen Jahrestreffen von Vivere<br />
das Leitbild der neuen Bewegung und deren Strukturen diskutiert. »Das<br />
war schwierig, ja geradezu konfliktträchtig«, erinnert sich Pater Hermann.<br />
Aber gemeinsam einen guten Weg zu finden, Konflikte zu bewältigen, ist<br />
eine wichtige Erfahrung. In diesem Jahr wird vom 30. Juni bis zum 2. Juli<br />
im Franziskanerkloster in Rheda- Wiedenbrück der Schwerpunkt des Bundestreffens<br />
auf der Vertiefung der franziskanischen Spiritualität, dem Wahrnehmen<br />
der Schöpfung und dem Zusammenwachsen der Gemeinschaft<br />
liegen.<br />
In der franziskanischen Welt gab es immer wieder Aufbrüche. Manches zarte<br />
Pflänzchen machte in seiner Wachstumsphase eine Reihe an Anpassungen<br />
durch. Nicht alle blühten und trugen Früchte. Die älteste heute noch existierende<br />
Laienbewegung in der katholischen Kirche ist der Ordo Franciscanus<br />
Saecularis (OFS), früher Franziskanische Gemeinschaft genannt. Seine Anfänge<br />
reichen bis ins 13. Jahrhundert zurück. Heute gehören weltweit mehrere<br />
hunderttausend Christen beiderlei Geschlechts, aller Altersstufen und<br />
Berufe sowie in den verschiedensten Lebensverhältnissen zum OFS, darunter<br />
auch Priester und Bischöfe. Auch der OFS ist in Regionalgruppen<br />
organisiert. Hätte Hiltrud Bibo nicht auch im OFS eine franziskanische Heimat<br />
finden können? »Vielleicht, aber mich hatte die Idee gepackt etwas Neues<br />
zu entwickeln und dabei über die Grenzen des ›katholischen Milieus‹ hinauszugehen«,<br />
meint die Rheingauerin. »Vivere ist sehr offen und weltzugewandt,<br />
das zeigt auch unser Leitbild, bei uns muss man – strenggenommen – nicht<br />
mal Christ sein. Aber wir sehen uns nicht als Konkurrenz, wir hoffen auf<br />
einen guten, partnerschaftlichen Kontakt mit der gesamten franziskanischen<br />
Familie.«<br />
Vivere-Wochenende in Großkrotzenburg<br />
mit Hermann Schalück OFM<br />
Vivere, die junge franziskanische Bewegung, versteht sich als Bereicherung,<br />
als Teil eines franziskanischen Netzwerks. Bei den Treffen von Vivere sind<br />
folglich auch immer wieder Mitglieder anderer franziskanischer Weggemeinschaften<br />
oder des OFS dabei. Inwieweit sich auch Brüder und Schwestern<br />
verstärkt in diese Aufbruchbewegung einbringen, wird sich zeigen.<br />
Damit es wirklich zu einem neuen Miteinander, zu einer Neubestimmung<br />
des Verhältnisses von Laien und Ordensleuten kommt, wäre dies sicher<br />
nötig. n<br />
kerstin meinhardt<br />
Informationen zu franziskanischen Weggemeinschaften, Taukreisen, Vivere, dem<br />
OFS und anderen Gruppen 3 3 <strong>franziskaner</strong>.net/mitmachen/franziskanisch-leben<br />
»Vivere« bedeutet Leben (aus dem Leitbild von Vivere 3 3 www.vivere-leben.de)<br />
Leben als Geschenk und Aufgabe war die Vision von Franziskus und Klara von Assisi.<br />
Unter Vivere verstehen wir die Bewegung, in der wir gemeinsam nach einem Weg suchen, das Evangelium in franziskanischer<br />
Spiritualität zu leben – zunächst in unserem jeweiligen persön lichen Alltag, aber auch mit der Perspektive,<br />
Gemeinschaftsleben zu wagen. Unser Glaube ist unsere gemeinsame Kraftquelle.<br />
Wir wollen in geschwisterlichem Einklang mit und in Verantwortung für die Schöpfung leben. Wir suchen den Dialog mit<br />
allen Menschen und allen Religionen. Wir setzen uns mit den drängenden Fragen des Glaubens und der Religionen, der<br />
Gesellschaft und einer globalisierten Welt auseinander. Wir wenden uns den Armen und Ausgegrenzten liebevoll zu,<br />
teilen mit ihnen und setzen uns aktiv für Frieden und Gerechtigkeit auf dieser Welt ein.<br />
Vivere heißt alle Menschen – gleich welcher Herkunft, Religion, Weltanschauung oder Prägung – willkommen, die sich mit<br />
uns auf diesen Weg machen wollen. Wir treffen uns sowohl in Regionalgruppen als auch zu überregionalen Veranstaltungen.<br />
Auch zwischen den Treffen halten wir Kontakt untereinander (zum Beispiel in einem Internetforum) und bleiben<br />
in Gedanken und im Gebet miteinander verbunden.<br />
franziskanisch leben<br />
23
Franziskanische Familie<br />
Franziskaner zwischen Einheit und Vielfalt<br />
Menschen, die ein Tau-Kreuz um den Hals tragen, kann man unschwer als<br />
franziskanisch inspiriert erkennen. Das gilt auch für die Kuttenträger mit der<br />
weißen Kordel. Aber nur der »Eingeweihte« wird auch gleich an Farbe und<br />
Form des Ordenskleides erkennen, ob es sich dabei um Franziskaner, Konventualen<br />
(bzw. »Minoriten«) oder Kapuziner handelt. So lauten die eher volkstümlichen<br />
Bezeichnungen der drei Männerorden, die aus der Gemeinschaft<br />
der Minderbrüder um Franziskus von Assisi hervorgegangen und heute in<br />
Deutschland mit je einer Ordensprovinz vertreten sind. Ein Blick in die Geschichte<br />
zeigt, dass das Erscheinungsbild des Minderbrüderordens in der<br />
Vergangenheit noch viel unübersichtlicher war. Aber wie kam es überhaupt<br />
zu dieser Vielfalt? Macht sie heute noch Sinn?<br />
»Ich habe das Meine getan, was euer ist, möge<br />
euch Christus lehren!« Mit diesen Worten entließ<br />
der sterbende Franziskus seine Brüder in<br />
eine selbstverantwortete offene Zukunft. Zwar<br />
wusste sich die junge Gemeinschaft an die gemeinsame<br />
Regel und das inspirierende Beispiel<br />
des Gründers gebunden; die konkrete zukünftige<br />
Gestalt jedoch galt es immer wieder neu<br />
zu finden im Hinhören auf das Gotteswort und<br />
auf die religiösen und sozialen Anliegen der<br />
jeweiligen Zeit. Der Bewegung standen unendlich<br />
viele Gestaltungsformen offen, was freilich,<br />
historisch gesehen, zu einer Profilunschärfe<br />
führte. Wofür stehen die Franziskaner eigentlich?<br />
Das ließ und lässt sich leichter bei den<br />
reinen Priesterorden sagen oder auch bei denjenigen<br />
neuzeitlichen Gründungen, die man<br />
»funktionale Orden« nennen könnte, da sie ein<br />
bestimmtes Aufgabengebiet als Gründungszweck<br />
und Identitätsmerkmal aufweisen.<br />
1517: die erste spaltung<br />
Vielen Spaltungen und Neugründungen innerhalb<br />
des franziskanischen Männerordens lagen<br />
denn auch keine konkreten sozial-pastoralen<br />
Orientierungen zugrunde, sondern die Intuition,<br />
etwa den Armutsgedanken oder die kontemplative<br />
(zurückgezogene) Lebensweise der<br />
Anfangszeit wieder neu zu beleben. Die Reformgruppen<br />
nutzten dazu die verfügbaren Charismen<br />
in den eigenen Reihen und machten sich<br />
die hilfreiche Unterstützung durch kirchliche<br />
und weltliche Würdenträger dienstbar. Guadalupenser,<br />
Amadeiten und Clarener benannten<br />
sich nach ihrem Ideengeber, die Colettaner gar<br />
nach Colette von Corbie (1381–1447), der<br />
französischen Klarissenreformerin. Nominell<br />
blieben alle Gruppierungen der Minderbrüder<br />
unter dem Dach des einen Franziskanerordens<br />
geeint, bis Papst Leo X. im Jahr 1517 alle reformwilligen<br />
Brüder im sogenannten Orden der<br />
Minderbrüder von der regulären Observanz<br />
(kurz »Observanten« – als Ausdruck der strikten<br />
Befolgung der Armutsforderungen der<br />
24 franziskanische familie
Die franziskanische Familie wird häufig als Baum mit<br />
zahlreichen Ästen und unzähligen alten und neuen<br />
Trieben beschrieben. Selbst Eingeweihte überblicken den<br />
Baum in seiner Gesamtheit nicht immer. Aus Anlass der<br />
ersten »Verzweigung« eines der Hauptstämme des<br />
franziskanischen Baumes vor 500 Jahren – 1517 spaltete<br />
sich der franziskanische Männerorden – starten wir mit<br />
einem Beitrag über den sogenannten Ersten Orden eine<br />
Reihe zur Geschichte der franziskanischen Familie.<br />
Erster Orden<br />
Ordens regel) zusammenfasste. Daneben bestand<br />
der nun separate Orden der Franziskaner<br />
Konventualen, die sich mehr auf ein Gemeinschaftsleben<br />
in Großkonventen verlegt hatten<br />
und aufgrund päpstlicher Privilegien Eigentum<br />
erwerben durften.<br />
ein franziskanischer<br />
flickenteppich<br />
Doch diese Zäsur war nicht mehr als eine historische<br />
Momentaufnahme, da die nächsten<br />
Reformer sozusagen bereits in den Startlöchern<br />
knieten. Die Kapuziner, welche sich zunächst<br />
»Minderbrüder vom eremitischen Leben«<br />
nannten, breiteten sich seit 1574 von Italien<br />
herkommend über die Alpen aus und erlangten<br />
1619 die völlige Eigenständigkeit als nunmehr<br />
dritter Minderbrüderorden. Ihr ursprünglich<br />
zurückgezogenes Leben wich jedoch bald<br />
einer umfangreichen Predigttätigkeit. In Italien,<br />
Spanien und Frankreich bildeten sich etwa zeitgleich<br />
die Reformgruppen der Reformaten,<br />
Alkantariner und Rekollekten innerhalb des<br />
Observantenordens aus. Auch hierzulande<br />
spiegelten sich diese Prozesse. Nach den Einschnitten<br />
von Reformation und Dreißigjährigem<br />
Krieg wiedererstarkt, nahm sich die franziskanische<br />
Präsenz in den (ungefähren) Grenzen<br />
des heutigen Deutschlands wie ein Flickenteppich<br />
aus. Die Konventualen waren mit zwei,<br />
die Kapuziner mit vier Provinzen vertreten.<br />
Aufseiten der Observanten nahmen vier Provinzen<br />
die Rekollektenreform an. Die bayerische<br />
sowie die nach Südwestdeutschland hinein<br />
ragende vorderösterreichische Provinz dagegen<br />
schlossen sich auf Druck der Landesherren<br />
den Reformaten an und unterhielten enge<br />
Beziehungen nach Italien. Im Grunde genommen<br />
versuchten Rekollekten wie Reformaten, dem<br />
franziskanischen Armuts- und Bußgedanken<br />
eine neue Gestalt zu geben, wobei sich die Rekollekten<br />
– wie im Namen (»die Gesammelten«)<br />
angedeutet – auch als Spezialisten des inneren<br />
Gebetes profilierten.<br />
wiedervereinigung und/oder<br />
franziskanische ökumene?<br />
Nach den Einbrüchen des 19. Jahrhunderts – die meisten Orden hatten nicht<br />
nur numerisch unter den diversen Säkularisierungswellen gelitten – wurde<br />
der Observantenorden neu aufgestellt. Papst Leo XIII. sah in einem geeinten<br />
Orden größere Chancen für eine tiefgreifende Erneuerung. So vereinigte er<br />
1897 alle der Observanz zugehörigen Zweige zum Minderbrüderorden, deren<br />
Mitglieder sich heute – in Abhebung von den Konventualen und Kapuzinern –<br />
weithin einfach Franziskaner nennen. Heutzutage mag es so aussehen, als sei<br />
die Maßnahme Leos XIII. halbherzig gewesen, da sich die Frage weiterhin<br />
stellt: Ist es nicht an der Zeit, dass sich alle historischen männlichen franziskanischen<br />
Erstordenszweige zusammenschließen, um ein für alle Mal einen<br />
Schlussstrich unter die oft hässlichen und banalen Rivalitäten der Vergangenheit<br />
zu ziehen? Was Franziskaner, Konventualen und Kapuziner heute voneinander<br />
trennt, ist in der Tat relativ unerheblich und drückt sich vor allem<br />
durch unterschiedliche gruppenspezifische Verhaltensformen und Gebräuche<br />
aus. Diese Orden auf weltweiter Ebene zusammenzuführen, käme jedoch<br />
einem administrativen Herkulesakt gleich, der die Kräfte der Brüder für mindestens<br />
ein oder zwei Jahrzehnte in Anspruch nehmen würde. Dabei rücken<br />
die franzis kanischen Männerorden bereits heute mehr zusammen. Gemeinsame<br />
Projekte mit den je anderen Ordenszweigen, aber auch mit Franziskanerinnen<br />
und Klarissen führen zu einer gelebten »franziskanischen Ökumene«,<br />
die überraschende Synergien schafft; wie beispielsweise bei dem in der weltweiten<br />
franzis kanischen Familie angewandten Lern- und Reflexionsprogramm<br />
zum franziskanisch-missionarischen Charisma. Zudem werden die jungen Ordensmitglieder<br />
dazu angeleitet, über den nationalen Tellerrand zu schauen und<br />
sich auf die internationale Vernetzung der franziskanischen Bewegung einzulassen.<br />
Momen tan schicken die deutschen Franziskaner ihre Novizen nach<br />
Killarney/Irland, die Kapuziner nach Salzburg und die Konventualen nach Assisi.<br />
Im späten 17. Jahrhundert erklärte der niederländische Minderbruder Mathias<br />
Croonenborch das Fehlen eines einheitlichen franziskanischen Exerzitienentwurfes<br />
mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen Vorlieben in Sachen geistliche<br />
Übungen, genauso wie die einen ja den spanischen, andere den Rheinwein bevorzugen<br />
würden. Eine strikt reglementierte Uniformität war<br />
noch nie die Stärke der franziskanischen Bewegung. Vielleicht<br />
braucht es diese auch gar nicht, solange der »franzis kanische<br />
Wein« – in allen seinen farblichen und geschmacklichen<br />
Nuancen – nach der Freiheit des Evangeliums und der Lebensfreude<br />
des »kleinen Armen aus Assisi« schmeckt. n<br />
benedikt mertens ofm (54)<br />
Der Theologe ist Schriftleiter der wissenschaftlichen Zeitschrift<br />
»Archivum Franciscanum Historicum« und lebt im<br />
Franziskaner konvent San Isidoro in Rom<br />
franziskanische familie<br />
25
Kapuziner – Franziskaner – Minoriten<br />
Der jeweilige Stallgeruch und die leeren Ställe<br />
Worin bestehen sie denn eigentlich: die<br />
Unterschiede zwischen den drei franziskanischen<br />
Männerorden? Einige Antworten<br />
lassen sich sicher in der Geschichte<br />
finden. Aber worin bestehen die Unterschiede<br />
500 Jahre nach der ersten Teilung<br />
des Ordens heute noch? Und wie sieht die<br />
Situation im Jahr <strong>2017</strong> in Deutschland aus?<br />
Um dieser Realität auf die Spur zu kommen,<br />
habe ich ein wenig Recherche betrieben<br />
und die drei Provinzialminister Cornelius<br />
Bohl OFM (Franziskaner), Bernhardin M.<br />
Seither OFMConv (Minorit) und Marinus<br />
Parzinger OFMCap (Kapuziner) um Informa<br />
tionen und Stellungnahmen gebeten.<br />
die zahlen sind durchaus<br />
ernüchternd<br />
In den jeweiligen Deutschen Ordensprovinzen<br />
leben derzeit 288 Franziskaner in 35 Konventen<br />
sowie vier zugeordneten Filialen, 44 Minoriten<br />
in 5 Konventen und 122 Kapuziner in 12 Konventen.<br />
Novizen gibt es aktuell in keiner der drei<br />
Ordensprovinzen, bei Minoriten und Kapuzinern<br />
befindet sich jeweils ein junger Mann in der ersten Orientierungsphase,<br />
dem Postulat; jeweils vier jüngere Franziskaner und Kapuziner befinden<br />
sich derzeit im sogenannten Juniorat, das heißt, sie haben sich zeitlich,<br />
aber noch nicht auf Dauer an den Orden gebunden. Das Durchschnittsalter<br />
beträgt bei den Franziskanern 74, bei den Kapuzinern gut 66 und bei den<br />
Minoriten knapp 65 Jahre.<br />
die minderbrüder der deutschen provinzen<br />
davon 8 Brüder<br />
im Ausland<br />
davon 3 Brüder<br />
im Ausland<br />
122<br />
Kapuziner<br />
44<br />
Minoriten<br />
288<br />
Franziskaner<br />
davon 16 Brüder<br />
im Ausland<br />
© bild oben: kapuzinerprovinz österreich-südtirol/sarah schuller-kanzian<br />
26 franziskanische familie
und jenseits der zahlen?<br />
Liest man die Antworten der Provinzialminister, scheint es von<br />
der Lebensweise her keine definierbaren Unterschiede zu<br />
geben. Auf die Frage nach den jeweiligen Schwerpunktaufgaben<br />
sind die Antworten ebenfalls kaum zu unterscheiden. Alle<br />
drei Ordenszweige sind tätig in Bildungsarbeit, Wallfahrts-,<br />
Exerzitien- und Pfarrseelsorge; alle drei haben soziale Projekte<br />
und betreiben Beichtpastoral, Gottesdienstaushilfen und<br />
Schwestern seelsorge. Die drei unterscheiden sich durch das<br />
eine oder andere Projekt wie Citypastoral oder Gemeinschaften,<br />
die mit Laien und Menschen mit Behinderung zusammenleben.<br />
Aber wirklich markante Unterschiede sind kaum auszumachen.<br />
Alle drei Provinzialminister sprechen von der Schwierigkeit,<br />
»lebensfähige Konvente« zu besetzen, und alle mühen sich,<br />
für die hohe Anzahl der älteren und pflegebedürftigen Brüder<br />
adäquate Aufgaben und Orte zu finden, an denen diese<br />
Brüder leben oder betreut werden können. Alle drei haben<br />
ein mulmiges Gefühl mit Blick auf den fehlenden Nachwuchs.<br />
Der strukturelle Umbau der Provinz – zum Beispiel<br />
die Auflösung von Häusern – sowie die finanzielle Vorsorge<br />
für die kommenden Jahrzehnte beschäftigen die Provinzleitungen<br />
aller drei Ordenszweige in gleicher Weise. Erfreulich<br />
ist, dass alle drei dennoch den Mut haben, nach vorne<br />
zu schauen und Neues zu wagen. Aber wie lange wird die<br />
Kraft dazu noch reichen? Und: Worin unterscheiden sie sich<br />
denn nun wirklich – die drei Zweige des Ersten Ordens des<br />
heiligen Franzis kus in Deutschland? Bei dieser Frage verweisen<br />
die drei Ordensleiter (unisono!) auf den jeweiligen<br />
»Stallgeruch«. Worin dieser aber besteht, vermag keiner so<br />
genau zu formulieren.<br />
Und wie sehen die Provinzialminister die Zukunft des Ersten<br />
Ordens in Deutschland? In einem sind sich alle drei einig:<br />
Auf alle Fälle braucht es eine stärkere Zusammenarbeit zwischen<br />
den verschiedenen Zweigen. Anknüpfungspunkt könnten<br />
eine gemeinsame Grundausbildung in Postulat, Noviziat<br />
und Juniorat sein, auch wenn ungewiss ist, wie die obersten<br />
Ordensleitungen in Rom dann dazu stehen werden. Und ob<br />
an eine Vereinigung der drei Ordenszweige zu denken sei,<br />
beantwortet einer der drei mit dem Satz: »Persönlich kann<br />
ich mir ein Zusammengehen der drei Ordenszweige gut vorstellen,<br />
mit Blick auf die drei weltweiten Orden halte ich es<br />
augenblicklich aber noch für sehr unrealistisch.«<br />
so weit, so gut, aber ...<br />
Als Kapuziner kann ich mich – aus ordensinterner nüchterner<br />
Sicht – allen diesen Einschätzungen und Zukunftsoptionen<br />
anschließen. Auch die Rede vom »Stallgeruch« könnte ich mit<br />
keinem anderen Wort ersetzen. Dennoch beschleichen mich<br />
ein paar Fragen:<br />
Was nützt der Stallgeruch, wenn am Ende kein Rind<br />
mehr im Stall steht (Hab 3,17)?<br />
Können wir uns angesichts der drastisch sinkenden<br />
Zahlen in allen drei Ordenszweigen einer noch<br />
gezielteren verbindlichen Zusammenarbeit verschließen?<br />
Alle drei Ordenszweige machen sich Gedanken über<br />
ihre Grundausbildung in Postulat, Noviziat und<br />
Juniorat. Die Franziskaner planen ein europäisches<br />
Noviziat in Irland. Die nordwesteuropäische Kapuzinerkonferenz<br />
hat ähnliche Über legungen für ein<br />
Noviziat in Irland. Treffen sich dann in Zukunft<br />
deutsche Franziskaner- und deutsche Kapuzinernovizen<br />
in zwei getrennten Noviziaten in Irland?<br />
Die Diözesankirchen erweitern allerorts ihre pastoralen<br />
geografischen Räume und schaffen Megapfarreien<br />
und Megastrukturen. Wollen auch die drei<br />
Zweige des Ersten Ordens einfach nur ihre geografischen<br />
Grenzen ausweiten? Sprich: In Zukunft gibt es<br />
eine Euro päische Franziskanerprovinz, eine Europäische<br />
Mino ritenprovinz und eine Europäische<br />
Kapuziner provinz? Ist das wirklich zukunftsfähig?<br />
Natürlich wäre das Zusammengehen der drei Ordenszweige<br />
– systemisch und juristisch gesehen – ein<br />
»Gewaltakt«. Aber haben Kirche und Orden nicht<br />
schon ganz andere »Gewalt akte« hinbekommen?<br />
Was spricht eigentlich gegen folgendes Zahlenspiel:<br />
1517 Trennung des Ordens in Konventualen und<br />
Observanten<br />
1527 Kapuzinerreform<br />
1897 Leoninische Union<br />
<strong>2017</strong> Gedenken an die erste Trennung des Ordens<br />
2027 Wiedervereinigung des Ersten Ordens<br />
Manchmal entwickeln sich die Dinge deutlich schneller<br />
als gedacht. So schlossen die drei Generalminister bei<br />
einem Treffen Ende Mai eine künftige Vereinigung nicht<br />
aus. Sie ermutigten vielmehr dazu, Initiative zu ergreifen,<br />
neue Formen der Gemeinschaft und der Brüderlichkeit<br />
zu »testen«. Vielleicht fangen wir einfach mal damit an,<br />
uns alle wieder »Minderbrüder« zu nennen. Oder – sollte<br />
dieser Begriff vielleicht doch zu sehr in der mittelalterlichen<br />
Stände ordnung verhaftet sein – wie wär’s, wenn<br />
wir uns ab sofort alle nur noch »Franzis kaner« nennen?<br />
Eine gemeinsame Zeitschrift unter<br />
diesem Titel hätten wir dann ja<br />
schon. n<br />
christophorus<br />
goedereis ofmcap (52)<br />
ist Kirchenrektor in Frankfurt<br />
Liebfrauen und Stellvertreter des<br />
Povinzials der Deutschen<br />
Kapuzinerprovinz<br />
franziskanische familie<br />
27
Seine Vision: teilen<br />
»Wir wollten die Welt verändern –<br />
doch die Welt hat uns verändert.«<br />
<strong>franziskaner</strong> werden<br />
Mit abgeschlossenem Theologiestudium, aber ohne den klassischen<br />
Weg Richtung Priesteramt, kehrte Peter an den Rhein zurück. Er zog<br />
nach Essen in eine Franziskaner-Kommunität in einer Obdachlosensiedlung.<br />
Das Zimmer verrammelt, die Fensterscheibe eingeschmissen,<br />
ein einfaches Bett auf dem Boden. Größer konnte der Kontrast<br />
zum monastisch geprägten Klosterleben in München nicht sein.<br />
Doch Peter war froh, denn er wollte als Franziskaner das Leben der<br />
Armen teilen. Sein Studium der Sozialwissenschaften, das er bereits<br />
in München parallel begonnen hatte, konnte er in Bochum abschließen<br />
und anschließend noch promovieren. Die Mischung von Theologie<br />
und Soziologie faszinierte ihn, und so arbeitete er als wissenschaftlicher<br />
Assistent an der Universität. Hätte seine Ordensleitung<br />
damals nicht sein Organisationstalent erkannt und<br />
ihn mit neuen Aufgaben betraut, so hätte<br />
er sich auch eine wissenschaftliche<br />
Laufbahn gut vorstellen können.<br />
Aber nach einer kurzen Episode<br />
als Präfekt im Ordensinternat<br />
in Vossenack<br />
wurde Bruder Peter<br />
Sekre tär der Interfranziskanischen<br />
Arbeitsgemeinschaft<br />
(INFAG)<br />
und Sekretär der damaligen<br />
Kölner Franziskanerprovinz.<br />
Sein<br />
Interesse an sozialer<br />
Gerechtigkeit und sein<br />
Bedürfnis, den Men<strong>franziskaner</strong><br />
sein<br />
Bruder Peter belädt seinen kleinen PKW mit einigen<br />
Laib Brot und süßen Stückchen, die er von einer<br />
Bäcke reifiliale kurz vor Ladenschluss gespendet bekommt.<br />
Die Lebensmittel sind für den Nachtbus bestimmt,<br />
mit dem er in einer Stunde seine Tour durch<br />
die Düsseldorfer Altstadt fahren wird, um obdachlosen<br />
Menschen das Nötigste für die Nacht anzubieten.<br />
»Ich fühle mich hier am richtigen Platz. Es ist wahrscheinlich<br />
die franziskanischste Zeit meines Lebens.<br />
Den Menschen zu helfen, nah bei ihren Nöten zu<br />
sein, genau das ist es, was ich immer wollte«, freut<br />
sich Bruder Peter, der vor Kurzem seinen 70. Geburtstag<br />
feiern durfte.<br />
Peter Amendt stammt aus Bonn und ist durch sein<br />
katholisches Elternhaus schon als Kind in ein kirchlich<br />
geprägtes Milieu hineingewachsen. Er war Messdiener<br />
und besuchte ein Ordensinternat der Redemptoristen.<br />
Von den Franziskanern erfuhr Peter zum ersten<br />
Mal kurz vor dem Abitur, als er im heimischen<br />
Garten saß und mit halbem Ohr ein Gespräch seiner<br />
Mutter mit einer Bekannten verfolgte. Diese erzählte<br />
über den Gartenzaun hinweg – und mit viel Begeisterung<br />
– von ihrem Neffen, der bei den Franziskanern<br />
eingetreten sei. »Das hat irgendwie ein Licht<br />
in meinem Kopf entzündet. Keine feste Idee,<br />
aber es hatte irgendwie den Geschmack von<br />
Freiheit«, erinnert sich Peter an sein erstes »Berufungserlebnis«.<br />
Nach seinem Schulabschluss hat er sich<br />
dann tatsächlich bei den Franziskanern beworben.<br />
Der Weg im Orden war damals klar<br />
vorgezeichnet: Wer mit Abitur kam, ging<br />
nach dem Noviziat in das sogenannte Klerikat,<br />
um Theologie zu studieren und Priester zu<br />
werden. So kam Bruder Peter Mitte der 1960er<br />
Jahre zum Studium nach München. Es war die<br />
Zeit eines großen gesellschaftlichen Umbruchs,<br />
die Zeit von Arbeiter- und Studentenprotesten, die<br />
Zeit des Zweiten Vatikanums. »Wir wollten die Welt<br />
verändern – doch die Welt hat<br />
uns verändert«, erinnert sich<br />
Bruder Peter. Die Veränderungen<br />
waren auch im Orden massiv spürbar.<br />
Peter begann seinen Weg kritisch zu hinterfragen und ihm wurde<br />
klar: »Franziskaner will ich sein, aber zu einer ›Karriere‹ als Priester<br />
fehlt mir die Berufung.«<br />
Bruder Peter Amendt<br />
28 berufungsgeschichten
<strong>franziskaner</strong>aktuell<br />
weitere informationen 33 www.<strong>franziskaner</strong>.net<br />
schen zu helfen, führten ihn einige<br />
Jahre später auch zur Missionszentrale<br />
der Franziskaner (MZF) in<br />
Bonn. Dort war er, neben seiner Aufgabe<br />
als Provinz sekretär, 24 Jahre<br />
lang als Projektkoordi nator für<br />
Hilfsprojekte in Lateinamerika und<br />
Afrika tätig.<br />
Für Bruder Peter war es eine erfüllte<br />
Zeit, doch es gab auch immer wieder<br />
Projekte, die strukturell nicht in<br />
die Förderung der MZF passten.<br />
»Dahinter standen oft Nöte von<br />
Menschen, die mir sehr nahegingen«,<br />
erinnert sich Peter Amendt.<br />
2005 schließlich setzte er seinen<br />
Wunsch, diesen Menschen unbürokratisch,<br />
abseits des großen Missionshilfswerks<br />
der Franziskaner zu<br />
helfen, in die Tat um. Er gründete<br />
sein eigenes kleines Hilfswerk<br />
»vision teilen« in Düsseldorf. Der<br />
Orden stellte ihn dafür frei.<br />
Wenn Bruder Peter heute mit dem<br />
Nachtbus die Obdachlosen in<br />
Düssel dorf zu später Stunde besucht<br />
und dem einen mit einem<br />
Brot, einem anderen mit einer warmen<br />
Decke durch die Nacht hilft,<br />
dann ist das nur eines von vielen<br />
seiner Hilfsprojekte für Menschen<br />
am Rand der Gesellschaft. Denn<br />
seine Vision ist das Miteinanderteilen<br />
– hier in Düsseldorf und in<br />
der ganzen Welt. n<br />
natanael ganter ofm (45)<br />
ist Öffentlichkeitsreferent der<br />
Deutschen Franziskanerprovinz und<br />
lebt in München<br />
Frischer Wind in der Redaktion<br />
Hofheim am Taunus • Drei neue Mitglieder werden die Redaktion dieser Zeitschrift<br />
verstärken (v. l.): Johannes Roth OFM (35) aus Ohrbeck, Andreas Brands OFM (50) aus<br />
Berlin und Pascal Sommerstorfer OFM (42) aus Fulda. Wir freuen uns auf die Zusammen<br />
arbeit mit den Brüdern.<br />
Wo Licht ist, ist auch Schatten: Wir verabschieden die langjährigen Redakteure Michael<br />
Blasek OFM und Thomas Abrell OFM und danken den beiden Franziskanern für ihre Mitarbeit.<br />
Wir sind sehr froh, dass sie uns durch ihre Beiträge (»Bruder Thomas empfiehlt«<br />
und durch die Karikaturen von Michael Blasek) weiterhin verbunden bleiben.<br />
Franziskaner, Kapuziner und Minoriten auf dem Weg zur<br />
Ordensvereinigung?<br />
Hofheim am Taunus • Vom 12. bis 14. Juni <strong>2017</strong> trafen sich 70 Mitglieder der drei franziskanischen<br />
Männerorden (Franziskaner, Kapuziner und Minoriten) im Exerzitienhaus<br />
der Franziskaner in Hofheim bei Frankfurt. Anlass des Treffens war die vor 500 Jahren<br />
verfügte Teilung des »Ersten Ordens« und das Reformationsgedenken. Unter den<br />
Teilnehmern des dreitägigen Treffens waren die Provinzialminister der Leitungsgremien<br />
der drei Männerorden, die zum sogenannten »Ersten Orden« des heiligen<br />
Franziskus gehören.<br />
Das Treffen war das erste gemeinsame »Mattenkapitel« der Minderbrüder in Deutschland.<br />
Mattenkapitel sind Zusammenkünfte der Ordensmitglieder, die bereits von Franz<br />
von Assisi eingeführt wurden. Sie dienen der gemeinsamen Beratung über die Zukunft<br />
der Gemeinschaften.<br />
Die drei Provinzialminister von Deutschland, Cornelius Bohl OFM (Franziskaner),<br />
Bernhardin M. Seither OFMConv (Minoriten) sowie Marinus Parzinger OFMCap (Kapuziner)<br />
halten eine künftige Wiedervereinigung der Minderbrüder für möglich. Sie<br />
haben gemeinsam mit den versammelten Brüdern konkrete Schritte für die kommenden<br />
Jahre vereinbart, um die Zusammenarbeit zu intensivieren und das Zusammenwachsen<br />
zu fördern. Ein ausführlicher Bericht folgt in der nächsten Ausgabe.<br />
Papst Franziskus fordert: »Schluss mit dem Waffenhandel«<br />
Rom • Mit unmissverständlichen Worten und eindringlichen Bildern klagt Papst<br />
Franzis kus in seiner Videobotschaft im Juni dieses Jahres die Staaten an, die mit organisiertem<br />
Waffenhandel dazu beitragen, Kriege zu unterstützen. Drastische Worte<br />
findet der Papst für die Regierungen und ihre nationalen Führer, die den Waffen handel<br />
im großen Stil betreiben und ihr Tun heuchlerisch mit Friedensmotiven verkleiden.<br />
»Es ist ein absurder Widerspruch, wenn man vom Frieden spricht und Friedensverhandlungen<br />
führt, gleichzeitig aber den Waffenhandel fördert oder zulässt!«<br />
Papst Franziskus fordert die nationalen Führer auf, diesem Treiben endgültig ein Ende<br />
zu setzen. Auch die Franziskaner in Deutschland engagieren sich gegen den Waffenhandel<br />
und fordern von der Bundesregierung, endlich die Rüstungsexporte aus<br />
Deutschland, vor allem außerhalb der NATO, zu beenden. Sie sind eine der Trägerorganisationen<br />
der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«<br />
nachrichten<br />
29
Südsudan<br />
Gefangen in der Logik<br />
Zwei Wochen lang war Silja Engelbert, Mitarbeiterin der<br />
Don Bosco Mission, im Südsudan. Das ostafrikanische<br />
Land leidet unter einem seit Jahren andauernden Bürgerkrieg<br />
und einer akuten Hungersnot. Im Don-Bosco-Zentrum<br />
in der Hauptstadt Juba befindet sich eines von vielen<br />
Flüchtlingslagern des Landes. Nach ihrer Rückkehr war<br />
die erfahrene Projektreferentin erschüttert: »Ich selber<br />
habe noch nie so viele Waffen in einem Land gesehen. Die<br />
Militärs sind meist angetrunken, die Soldaten zu einem<br />
großen Teil Jugendliche unter 20 Jahren.«<br />
Rückblick: Im Jahr 2011 wurde der Südsudan als 54. Staat<br />
Afrikas unabhängig. Das Land verfügt über reiche Bodenschätze,<br />
vor allem über Erdöl und Gold. Anders als viele<br />
andere Länder des Kontinents besitzt der Südsudan zudem<br />
genügend fruchtbares Ackerland. Gerade darin liegt jedoch<br />
die Tragik der gegenwärtigen Situation: Das Land<br />
könnte die Kornkammer für die gesamte Region sein,<br />
doch der jüngste Staat der Welt ist sechs Jahre nach seinem<br />
hoffnungsvollen Aufbruch auch einer der ärmsten. Eine<br />
Dürre und vor allem der seit Ende 2013 wütende Bürgerkrieg<br />
haben die Landwirtschaft weitgehend zum Erliegen<br />
gebracht.<br />
Im Krieg stehen sich die Regierung unter Salva Kiir vom<br />
Stamm der Dinka und Rebellen unter dem ehemaligen<br />
Vizepräsidenten Riek Machar vom Stamm der Nuer unversöhnlich<br />
gegenüber. Auf beiden Seiten kämpfen Veteranen<br />
aus dem Unabhängigkeitskrieg; auch in der Regierung<br />
und den Ministerien haben vor allem ehemalige<br />
Warlords das Sagen. Sie nutzen den Staat als Selbstbedienungsladen<br />
und bereichern sich ohne Rücksicht auf die<br />
Bevölkerung. Die Kämpfe toben längst nicht mehr nur im<br />
Norden, wo sich vor allem die Ölquellen befinden, sondern<br />
haben weite Teile des Landes erfasst.<br />
die grösste flüchtlingskrise afrikas<br />
Rund 100 Volksstämme leben im Südsudan, und es gelingt<br />
den Warlords zunehmend, sie gegeneinander auszuspielen.<br />
Inzwischen spielt sich hier die größte Flüchtlingskrise<br />
Afrikas ab: Die Zahl der Menschen, die vor der<br />
Gewalt in die Nachbarländer Uganda, Kenia und Äthiopien geflüchtet<br />
sind, wird auf 1,8 Millionen geschätzt. Nach Angaben von UNICEF<br />
sind rund zwei Millionen Kinder aus ihrer Heimat vertrieben, etwa<br />
die Hälfte davon innerhalb des Landes. Mitte Mai forderten die Vereinten<br />
Nationen 1,4 Milliarden Dollar Hilfsgelder bis Jahresende,<br />
um die Flüchtlinge in den Nachbarländern versorgen zu können.<br />
Wie in vielen Regionen Ostafrikas trifft die extreme Dürre auch die<br />
Menschen im Südsudan sehr hart. Anfang Mai waren nach UN-Angaben<br />
100.000 Menschen im Südsudan unmittelbar vom Hungertod<br />
bedroht, rund sechs Millionen Südsudanesen werden in diesem Jahr<br />
auf Nothilfe angewiesen sein. Die Trockenheit ist dabei nicht einmal<br />
der ausschlaggebende Faktor: Während Zehntausende hungern, gebe<br />
die Regierung mindestens die Hälfte ihrer Einnahmen für Waffen<br />
aus, kritisierte der Weltsicherheitsrat vor einigen Wochen. Die Hungersnot<br />
ist demnach vor allem auch das Resultat des Krieges und der<br />
Waffenkäufe. Ein UN-Waffenembargo scheiterte zuletzt Ende 2016<br />
am Veto Russlands.<br />
wer verdient am sterben im südsudan?<br />
In der südsudanesischen Hauptstadt Juba kämpft der Franziskaner<br />
Federico Gandolfi auf der lokalen Ebene gegen Ursachen und Folgen<br />
des Bürgerkrieges an. Er und seine Mitbrüder bieten Jugendlichen<br />
Workshops für Friedensbildung, Versöhnung und Traumabewältigung.<br />
Federico Gandolfi OFM besucht Freunde<br />
30 aktuelles
des Krieges<br />
libyen<br />
ägypten<br />
saudiarabien<br />
tschad<br />
sudan<br />
jemen<br />
zentralafrikanische<br />
republik<br />
südsudan<br />
äthiopien<br />
demokratische<br />
republik kongo<br />
uganda<br />
kenia<br />
somalia<br />
tansania<br />
Mehr als 25 Millionen Menschen sind derzeit in Afrika vom Hungertod bedroht. Besonders betroffen sind der Nordosten<br />
Nigerias, Südsudan, Somalia, Äthiopien und Kenia. Allein im Südsudan leiden mehr als fünf Millionen Menschen an extremem<br />
Hunger. Besonders schlimm ist die Situation für Kinder, schwangere und stillende Frauen sowie für alte Menschen.<br />
© bild oben: paul jeffrey<br />
»Das Öl ist vielleicht die einzige Einnahmequelle für den<br />
Südsudan, aber das Öl ist nicht das Problem. Es ist die<br />
Frage, was die Regierung mit dem Geld macht«, betont<br />
Bruder Federico. »Und wenn die Regierung Waffen kauft,<br />
dann muss es andere Regierungen geben, die Waffen verkaufen.<br />
Wo liegt hier die Verantwortung?«<br />
Don-Bosco-Expertin Silja Engelbert sieht das ähnlich:<br />
»Auch andere Länder profitieren vom südsudanesischen<br />
Öl, sie unterstützen die eine oder andere Seite mit Waffen<br />
und sind daran interessiert, dass der Krieg weitergeht – so<br />
makaber das klingt. So können die Ressourcen des Landes<br />
leichter ausgebeutet werden«, sagt sie. Fachleute gehen<br />
davon aus, dass auch Waffenlieferungen mit Option auf<br />
zukünftige Bezahlung von Staaten wie Israel, Ägypten,<br />
der Ukraine und anderen den Krieg am Laufen halten.<br />
Im Oktober 2016 wurde nahe der Hauptstadt Juba das<br />
Zentrum zur Förderung des Friedens und zur Behandlung<br />
von Traumata eingeweiht. Am Bau des »Good Shepherd<br />
Peace Center« beteiligten sich alle 46 im Südsudan vertretenen<br />
Ordensgemeinschaften. Für die Comboni-Missionare<br />
wirkte der Deutsche Hans Eigner MCCJ bei der Errichtung<br />
mit. Bruder Hans arbeitet seit 2014 im Südsudan und kennt das Land,<br />
seine Menschen und die Probleme wie kaum ein anderer. »Es ist vor<br />
allem der Export von Öl in die asiatische Welt, der die Waffenkäufe<br />
und den Krieg ermöglicht«, so Bruder Hans. »Nicht zu unterschätzen<br />
ist in diesem Zusammenhang auch der Goldabbau im Südosten des<br />
Landes.«<br />
die regierung hängt am öl-tropf<br />
Der Preissturz auf dem Rohölmarkt und die Zerstörungen von Pumpanlagen<br />
durch den Krieg haben die Regierung jedoch in finanzielle<br />
Schwierigkeiten gebracht. Die Inflation stieg zwischenzeitlich auf<br />
800 Prozent, Beamte und Soldaten konnten nicht mehr bezahlt werden.<br />
»Weil die Einnahmen aus dem Ölexport nicht mehr so reichlich<br />
fließen, sucht die Regierung nach allen Möglichkeiten, Einnahmen<br />
in US-Dollar zu erhalten«, sagt Hans Eigner. Dabei scheint den Machthabern<br />
jedes Mittel recht zu sein: Unmittelbar nachdem Ende März<br />
erstmals offiziell von einer drohenden Hungerkatastrophe die Rede<br />
war, kündigte Präsident Salva Kiir an, die Gebühren für die Arbeitserlaubnis<br />
ausländischer Hilfsorganisationen drastisch zu erhöhen.<br />
Die weltweite Empörung zwang den Präsidenten, Anfang Mai eine<br />
gemäßigtere Erhöhung in Aussicht zu stellen. Nichtregierungsorganisationen<br />
sollen demnach jährlich »nur« 3.500 US-Dollar statt wie<br />
bisher 600 zahlen.<br />
aktuelles<br />
31
Hans Eigner hat dafür neben der Finanznot des Staates<br />
eine weitere Erklärung: »Viele der zahlreichen Nichtregierungsorganisationen<br />
im Land helfen den regierungskritischen<br />
und regierungsfeindlichen Gruppen, also den<br />
›Falschen‹. So ist es aus der Sicht der Regierung nur logisch,<br />
die Gebühren für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
internationaler Hilfswerke zu erhöhen.« Noch hat Präsident<br />
Kiir die Ankündigung nicht umgesetzt. Sollte es dazu<br />
kommen, würden sich vor allem kleine Organisationen<br />
die Gebühren kaum mehr leisten können. Leidtragend<br />
wäre einmal mehr die hungernde Bevölkerung.<br />
angst und misstrauen lähmen das land<br />
Kirchen und Ordensgemeinschaften müssen zwar keine Gebühren<br />
zahlen, werden in ihrer caritativen und sozialen Arbeit<br />
aber trotzdem behindert. Weil die sogenannten Rebellen spirituelle<br />
und pastorale Tätigkeiten dulden, verdächtigt die Regierung<br />
kirchliche Einrichtungen immer wieder der Kooperation<br />
mit den Aufständischen. Auch Federico spürt die allgegenwärtige<br />
Atmosphäre von Angst und Misstrauen, die das Land<br />
lähmt: »Natürlich verurteilen wir die Grausamkeiten, die hier<br />
verübt werden. Aber wenn wir die Handlungen von den Menschen<br />
trennen, also die Sünde vom Sünder, wird das in diesem<br />
Umfeld nicht unbedingt verstanden«, so der Franziskaner.<br />
»Wir müssen extrem vorsichtig sein, denn sogar während unserer<br />
Gottesdienste sind Leute da, die sich Notizen darüber<br />
machen, was wir über die Regierung sagen.«<br />
Hoffnung keimte auf, als Präsident Kiir am 14. Dezember<br />
2016 einen »Nationalen Dialog« ankündigte. Er sollte auf<br />
lokaler Ebene beginnen und in einer großen Versöhnungskonferenz<br />
münden. Tatsächlich glauben viele Experten im<br />
Südsudan, dass nur ein Nationaler Dialog unter neutraler<br />
Leitung einen Friedensprozess in Gang bringen könnte. »Wenn<br />
es keinen Nationalen Dialog gibt, dann bleibt leider nur der<br />
Krieg, um die Vormachtstellung der vor allem vom Stamm<br />
der Dinka geführten Regierung einzuschränken. Das wäre die<br />
schlechteste Lösung«, sagt beispielsweise Hans Eigner. Doch<br />
mangelndes Vertrauen mache inzwischen jeden Dialog fast<br />
unmöglich.<br />
Bischof Paride Taban (vorne) mit Mitgliedern des von ihm im Jahr<br />
2004 gegründeten Friedensdorfes »Holy Trinity Peace Village Kuron«<br />
bei der Feldarbeit. Das Friedensdorf soll nach den Vorstellungen des<br />
Bischofs ein Modell für das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien<br />
im Südsudan sein.<br />
33 www.kuronvillage.net<br />
Die Regierung tut indes wenig, um Vertrauen aufzubauen:<br />
Offenbar um den Anschein von Inklusion zu erwecken, wurden<br />
einige namhafte Persönlichkeiten des Landes in das Komitee<br />
für den Nationalen Dialog berufen – ohne vorher gefragt<br />
worden zu sein. Viele, wie auch Friedensbischof Paride Taban,<br />
lehnten dies ab. Sie misstrauen der Clique einstiger Warlords<br />
(Kriegsherren) in der Regierung. Außerdem dürften sie an<br />
der Neutralität des Gremiums gezweifelt haben, nachdem<br />
sich Salva Kiir als »Patron« des Nationalen Dialogs installiert<br />
hatte. Dass der Präsident die umstrittene Stellung unlängst<br />
wieder aufgegeben hat, dürfte nur wenig helfen. Wie es mit<br />
dem Nationalen Dialog weitergehen soll, weiß derzeit niemand.<br />
ein funken hoffnung bleibt<br />
Obwohl es in Juba seit Anfang des Jahres keine größeren Kampfhandlungen<br />
mehr gegeben hat, ist auch die Hauptstadt vom<br />
Krieg schwer gezeichnet. Dort hat Bruder Federico die Hoffnung<br />
auf Frieden nicht aufgegeben. »Es gibt so viele gute Menschen<br />
hier in Südsudan, so dass Gottes Werk für uns alle sehr<br />
klar zu erkennen ist. Auch wenn der Krieg sehr vieles zerstört<br />
hat, so hat er doch den Glauben und die Hoffnung, dass es<br />
eines Tages Frieden geben wird, nicht zerstören können.« n<br />
andré madaus (46)<br />
war lange Jahre Redakteur der Zeitschrift Franziskaner.<br />
Heute lebt er als freiberuflicher Journalist in Ingelheim.<br />
© bild unten: paul jeffrey<br />
32 aktuelles
Auszug aus dem Kursangebot unserer Bildungshäuser<br />
Weitere Angebote unserer Bildungs- und Exerzitien häuser erhalten Sie bei den genannten Adressen. Auch Konvente unserer Provinz<br />
und einzelne Brüder bieten Kurse und Fahrten an. Informationen dazu finden Sie auf unserer Website www.<strong>franziskaner</strong>.de<br />
exerzitienhaus – franziskanisches zentrum für stille und begegnung<br />
Kreuzweg 23, 65719 Hofheim, Tel.: 0 61 92 99 04-0, Fax: -39, E-Mail: info@exerzitienhaus-hofheim.de, www.exerzitienhaus-hofheim.de<br />
7. 8.-<br />
11. 8. <strong>2017</strong><br />
7. 8.-<br />
11. 8. <strong>2017</strong><br />
11. 8.-<br />
13. 8. <strong>2017</strong><br />
25. 8.-<br />
27. 8. <strong>2017</strong><br />
4. 9.-<br />
10. 9. <strong>2017</strong><br />
8. 9.-<br />
10. 9. <strong>2017</strong><br />
22. 9.-<br />
24. 9. <strong>2017</strong><br />
25. 9.-<br />
30. 9. <strong>2017</strong><br />
9. 10.-<br />
13. 10. <strong>2017</strong><br />
13. 10.-<br />
15. 10. <strong>2017</strong><br />
13. 10.-<br />
15. 10. <strong>2017</strong><br />
Malexerzitien<br />
Atem im Fluss –<br />
Zazen und Bogenschießen<br />
Yoga-Wochenende<br />
Vom inneren Kind zum<br />
selbstbewussten Erwachsenen<br />
Einzelexerzitien<br />
Leben aus der Kraft der Ursymbole:<br />
WEG – Meditationswochenende<br />
Klassische Musikmeditation<br />
Fasten und Unterwegssein<br />
Qi-Gong-Woche<br />
Herz-Qi-Gong<br />
Glaubenswochenende<br />
Meditatives Malen, Schweigezeiten,<br />
Einübung in die Meditation (Atem)<br />
Meditatives Bogenschießen, Austausch,<br />
durchgängiges Schweigen<br />
Yoga-Übungen für Körper und Geist,<br />
spirituelle Impulse<br />
Aufstellungs- und Biografiearbeit,<br />
Achtsamkeitsübungen<br />
Impulse zur Bibel- und Lebensbetrachtung,<br />
Begleitungsgespräche, durchgängiges<br />
Schweigen<br />
Jutta Schlier, Exerzitienbegleiterin<br />
Otto Bammel, Theologe, Gestaltseelsorger;<br />
Dr. Alexander Ullrich, Psychotherapeut<br />
Katja Bergmann<br />
Dr. Isolde Macho, Theologin, Meditationsbegleiterin<br />
Norbert Lammers, Franziskaner, Exerzitienbegleiter;<br />
Dorothee Laufenberg, Steyler Missionsschwester,<br />
Klinikseelsorgerin, geistliche Begleiterin<br />
Textliche Impulse, Meditation, Zeiten der Stefan Federbusch, Franziskaner, Erwachsenenbildner<br />
Stille, Austausch in der Gruppe, kreatives Tun<br />
Die Kunst des Hörens. Sie brauchen Herz,<br />
Verstand und Ihre Hände.<br />
Entspannung und Meditation, Fasten- und<br />
Ernährungsberatung, Wanderungen<br />
Die Qi-Gong-Praxis der 18 Bewegungen<br />
steht im Vordergrund<br />
Bewegungen, Austausch, kurze Vorträge<br />
und Abendmeditation<br />
»Werdet wie die Kinder!« – Aber wie geht<br />
das eigentlich als Erwachsener?<br />
Wolfgang Zeitler, Psychotherapeut, Musiktherapeut<br />
Elisabeth Müller, Fastenleiterin<br />
Hans Martin Lorentzen, Qi-Gong- und Tai-Chi-Lehrer<br />
Hans Martin Lorentzen, Qi-Gong- und Tai-Chi-Lehrer<br />
Patrick Tavanti, Theatertherapeut<br />
16. 10.-<br />
20. 10. <strong>2017</strong><br />
Spiritualität und Psychosynthese<br />
Übungen aus Psychosynthese, Meditation,<br />
Gespräch und Austausch, Liturgie<br />
Peter van Gool, Jesuit, Therapeut<br />
haus ohrbeck – katholische bildungsstätte<br />
Am Boberg 10, 49124 Georgsmarienhütte, Tel.: 0 54 01 33 6-0, Fax: -66, E-Mail: info@haus-ohrbeck.de, www.haus-ohrbeck.de<br />
23. 7.-<br />
30. 7. <strong>2017</strong><br />
14. 8.-<br />
18. 8. <strong>2017</strong><br />
18. 8.-<br />
20. 8. <strong>2017</strong><br />
15. 9.-<br />
17. 9. <strong>2017</strong><br />
21. 9.-<br />
23. 9. <strong>2017</strong><br />
29. 9.-<br />
1. 10. <strong>2017</strong><br />
6. 10.-<br />
8. 10. <strong>2017</strong><br />
9. 10.-<br />
10. 10. <strong>2017</strong><br />
Internationale Jüdisch-Christliche<br />
Bibelwoche<br />
Wanderwoche <strong>2017</strong><br />
Das Buch der Sprichwörter<br />
Halbtages- und Tageswanderungen im<br />
Teutoburger Wald<br />
Rabbiner Prof. Dr. Jonathan Magonet;<br />
Dr. Uta Zwingenberger, Theologin, und Team<br />
Maria Feimann, Supervisorin (DGSv)<br />
Übergänge im Leben gestalten Zwischen »nicht mehr« und »noch nicht« Rainer Fincke und Ulla Peffermann-Fincke, Enneagramm-Trainer;<br />
Aadel Maximilian Anuth, Theologe<br />
Fußläufig? Feldenkrais-Methode und Musik Romy Bronner, Feldenkrais-Pädagogin;<br />
Thomas Abrell, Franziskaner, Theologe<br />
Grundkurs Bibliolog Zweiteilige Fortbildung, Teil 1 Andrea Schwarz, Bibliolog-Trainerin;<br />
Dr. Uta Zwingenberger, Theologin<br />
Du fehlst: Meine Trauer.<br />
Meine Erinnerungen.<br />
entscheiden!<br />
Jiddische und hebräische Lieder<br />
zum Thema Frieden<br />
Wochenende für trauernde junge<br />
Erwachsene von 18 bis 30 Jahren<br />
Wochenende für junge Erwachsene zur<br />
Ent scheidungsfindung<br />
Lieder-Workshop mit Chasan<br />
Daniel Kempin<br />
Christoph Aperdannier, Referent Junge Erwachsene;<br />
Aadel Maximilian Anuth, Theologe<br />
Jan Aleff, Pastoraler Mitarbeiter;<br />
Aadel Maximilian Anuth, Theologe<br />
Chasan Daniel Kempin, Sänger und Gitarrist;<br />
Dr. Christiane Wüste, Theologin<br />
kloster und meditationshaus im altmühltal – <strong>franziskaner</strong>kloster dietfurt<br />
Klostergasse 8, 92345 Dietfurt, Tel.: 0 84 64 65 2-0, Fax: -22, E-Mail: dietfurt@<strong>franziskaner</strong>.de, www.meditationshaus-dietfurt.de<br />
18. 9.-<br />
24. 9. <strong>2017</strong><br />
2. 10.-<br />
8. 10. <strong>2017</strong><br />
9. 10.-<br />
15. 10. <strong>2017</strong><br />
T'ai Chi Ch'uan Einführungskurs Petra und Sunyata Kobayashi, Tai-Chi-Lehrer<br />
Sesshin: Zen-Meditation Nur für Geübte Johannes Fischer, Zen-Lehrer<br />
Nuad Phaen Boran<br />
Körperlicher und seelischer Ausgleich<br />
durch Berührung<br />
Heike Pfletschinger, Nuad-Phaen-Boran-Lehrer<br />
programm<br />
33
uchverlosung<br />
In der letzten Ausgabe fragten wir nach dem Ort, den unser Bruder<br />
Germanicus besuchte. Die richtige Antwort lautete: Münster. Unter den<br />
75 richtigen Einsendungen haben wir drei Gewinnpakete verlost.<br />
deutsche<br />
<strong>franziskaner</strong>provinz<br />
Adressänderung und Bestellungen<br />
Dieses Mal verlosen wir unter allen Teilnehmenden, die uns die folgende Frage<br />
richtig beantworten, drei Exemplares des unten vorgestellten Buches.<br />
Niklaus Kuster/Nadia Rudolf von Rohr<br />
Fernnahe Liebe<br />
Niklaus und Dorothea von Flüe<br />
Germanicus genießt den Sommer<br />
und besucht eine Stadt mit einem<br />
bedeutenden Dom, der im Hintergrund<br />
zu erkennen ist. In welcher<br />
Stadt hält er sich auf?<br />
❏<br />
❏<br />
❏<br />
Regensburg<br />
Trier<br />
Köln<br />
Patmos, 2. Auflage <strong>2017</strong>, 192 Seiten, Hardcover mit Leseband, vierfarbig,<br />
mit mehreren Abbildungen, 19,00 Euro (D), ISBN: 978-3-8436-0876-3<br />
Niklaus von Flüe, der Nationalheilige der Schweiz, ist<br />
undenkbar ohne Dorothea, seine Frau, mit der er gern<br />
»zu Tanze ging« und mit der er seinen Weg gemeinsam<br />
errungen hat.<br />
Antwort und Ihre Adresse an:<br />
meinhardt Verlag und Agentur,<br />
Magdeburgstraße 11, 65510 Idstein,<br />
Stichwort: Franziskaner<br />
Einsendeschluss: 15. August <strong>2017</strong>.<br />
Es gilt das Datum des Poststempels.<br />
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />
Dieses Buch lässt Dorothea sprechen. Sie erzählt vom<br />
Leben einer großen Bauernfamilie in der Zentralschweiz<br />
im 15. Jahrhundert, von 20 glücklichen Ehejahren,<br />
von Niklaus’ überraschender Lebenswende mit 50 und von ihrem<br />
eigenen Werden.<br />
Dabei zeigt sich das Bild zweier kantiger Persönlichkeiten und ihrer<br />
Lebenswege, die sich verbunden haben und die trotz Trennung untrennbar<br />
geblieben sind. So geht es nicht nur um Mystik und Politik des Heiligen,<br />
sondern ebenso um eine Ehe- und Liebesgeschichte, die um Verantwortung,<br />
Bindung und Freiheit weiß.<br />
Franziskaner Mission<br />
Die Ausgabe Nummer 2 unseres Schwestermagazins<br />
»Franziskaner Mission« können Sie kostenfrei<br />
bestellen bei Franziskaner Mission,<br />
Tel.: 02 31 17 63 37-65, E-Mail: info@<strong>franziskaner</strong>mission.de<br />
bzw. in Bayern unter Tel.: 0 89 21 12 61 10,<br />
E-Mail: missionsverein@<strong>franziskaner</strong>.de<br />
Provinzialat der Deutschen Franziskaner provinz<br />
Zeitschrift Franziskaner<br />
Frau Ingeborg Röckenwagner<br />
Sankt-Anna-Straße 19, 80538 München<br />
zeitschrift@<strong>franziskaner</strong>.de<br />
Tel.: 0 89 2 11 26-150, Fax: 0 89 2 11 26-111<br />
Impressum<br />
Franziskaner – Magazin für franziskanische<br />
Kultur und Lebensart<br />
Zeitschrift der Deutschen Franziskaner<br />
ISSN 1869-9847 – Zeitungskennziffer 50876<br />
Herausgeber Provinzialat der Deutschen<br />
Franziskaner, Sankt-Anna-Straße 19,<br />
80538 München<br />
Redaktionsanschrift Stefan Federbusch OFM,<br />
Exerzitienhaus, Kreuzweg 23, 65719 Hofheim,<br />
Tel.: 0 61 92 99 04-0,<br />
E-Mail: redaktion@<strong>franziskaner</strong>.de<br />
Redaktion Andreas Brands OFM, Stefan Federbusch<br />
OFM (Redak tions leiter), Natanael Ganter<br />
OFM, Kerstin Meinhardt, Thomas Meinhardt, Jürgen<br />
Neitzert OFM, Johannes Roth OFM, Pascal<br />
Sommerstorfer OFM,<br />
Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht<br />
in jedem Fall die Meinung der Redaktion wieder.<br />
Die Rechte an den Artikeln liegen bei den jeweiligen<br />
Autoren. Eine Wiedergabe – auch auszugsweise<br />
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Weitere Mitarbeitende dieser Ausgabe<br />
Michael Blasek OFM, Cornelius Bohl OFM,<br />
Christo phorus Goedereis OFMCap, André Madaus,<br />
Bene dikt Mertens OFM, Ricarda Moufang, Helmut<br />
Schlegel OFM<br />
Bildnachweise Titel: © dpa. Alle anderen Nachweise<br />
stehen auf den Seiten, ungekennzeichnete<br />
Bilder ent stammen dem Archiv der Franziskaner<br />
oder dem der Firma meinhardt.<br />
Layout Kerstin Meinhardt (art-dir.), Désirée Neff<br />
Verlag, Gestaltung und Anzeigenverwaltung<br />
meinhardt Verlag und Agentur,<br />
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Druck und Versand Sedai-Druck GmbH & Co. KG,<br />
Hameln<br />
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Germanicus und die Wahl der Gallier<br />
Franziskus und Germanicus überschritten die Grenze<br />
nach Gallien. Franziskus schwärmte: »Dies ist das<br />
Land, dem ich meinen Namen verdanke.<br />
Francesco, kleiner Franzose, so hat mich mein Vater<br />
genannt.« – »Heißt nicht auch der Präsident hier wie<br />
du? Fran çois?« – »Wo lebst du, Germanicus? Die Gallier<br />
haben einen neuen Präsidenten gewählt!« »Ach ja?<br />
Und wie heißt der?« – »Emmanuel.« – »Ach du lieber<br />
Gott! Dann verdankt der ja seinen Namen unserem<br />
Herrn Jesus. ›Er soll Immanuel heißen‹, hat doch der<br />
Engel damals verkündet. Endlich haben auch die Gallier<br />
ihren Retter.«<br />
In ihrer Begeisterung gingen sie einen Schritt<br />
schneller. »Sag mal, Franziskus, sind Engel<br />
eigentlich Männer oder Frauen?« – »Wie<br />
kommst du denn darauf?« – »Naja, bei uns<br />
in Germanien, da regiert die mächtige Angela;<br />
das ist doch der lateinische Name für Engel. Die<br />
Angela verkündet bei uns die großen Verheißungen.« –<br />
»Dann wundert‘s mich nicht«, meinte Franziskus, »dass<br />
der Retter Emmanuel schon am zweiten Tag die mächtige<br />
Angela besucht hat.« Germanicus jubelte: »Da siehst du mal,<br />
unser Europa ist und bleibt das christliche Abendland. Es<br />
wimmelt hier nur so von Engeln und Heiligen und Rettern.«<br />
text helmut schlegel ofm<br />
illustration michael blasek ofm
München<br />
Gemeinschaft am Goetheplatz<br />
www.<strong>franziskaner</strong>.de<br />
Eine von 35 Gemeinschaften der Franziskaner in<br />
Deutschland (v. l.): Igor Hollmann, Nikolaus Voss,<br />
Heinz Schnitker und Bernd Leopold.