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Kapital & Märkte: Ausgabe Oktober 2017

Lesen Sie im zweiten Teil unserer Freihandels-Serie in der aktuellen Kapital & Märkte alles darüber, welche Auswirkungen die Internationalisierung der Produktionsprozesse und der Abbau der Handelsbarrieren auf die Leistungsbilanz von Staaten haben, wie die derzeit geplanten Freihandelsabkommen aussehen und wo die größten Kritikpunkte liegen. - Von Kosteneinsparungen und verlorenem Wissen - Freihandel: Über die Folgen für europäische Standards - CETA und TTIP im Fokus: die strittigsten Punkte

Lesen Sie im zweiten Teil unserer Freihandels-Serie in der aktuellen Kapital & Märkte alles darüber, welche Auswirkungen die Internationalisierung der Produktionsprozesse und der Abbau der Handelsbarrieren auf die Leistungsbilanz von Staaten haben, wie die derzeit geplanten Freihandelsabkommen aussehen und wo die größten Kritikpunkte liegen.

- Von Kosteneinsparungen und verlorenem Wissen

- Freihandel: Über die Folgen für europäische Standards

- CETA und TTIP im Fokus: die strittigsten Punkte

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<strong>Kapital</strong> & <strong>Märkte</strong><br />

<strong>Kapital</strong> & <strong>Märkte</strong><br />

<strong>Oktober</strong> <strong>2017</strong><br />

48⁰ 46´41.84´´ N 9⁰10´39.22´´O | Kunstmuseum Stuttgart<br />

Jamaika-Vibes<br />

Der vergangene Bundestagswahlkampf<br />

wurde von vielen Beobachtern als blutleer<br />

und langweilig empfunden. Die<br />

Stimmungslage am Wahlabend spiegelte<br />

dies allerdings nicht wider. Im Gegenteil,<br />

der Blutdruck vieler Akteure<br />

dürfte nach Bekanntwerden der ersten<br />

Hochrechnungen rasant gestiegen sein.<br />

Zum einen bei der bisherigen Regierungspartei<br />

SPD, die angesichts des<br />

schlechtesten Wahlergebnisses seit Bestehen<br />

der Bundesrepublik ihre Wähler<br />

nicht mehr in einer Regierung vertreten<br />

möchte und sich Minuten nach der ersten<br />

Hochrechnung in die Opposition<br />

verabschiedete. Zum anderen bei der<br />

bisherigen und wohl künftigen Regierungspartei,<br />

der Union, die als einzige<br />

Möglichkeit ein Dreier-Bündnis aus der<br />

CDU/CSU, der FDP und den Grünen zimmern<br />

muss.<br />

Der Grund für die zunächst sehr ruhige<br />

Reaktion der Finanzmärkte auf diesen<br />

überraschenden Wahlausgang liegt in<br />

der Erwartungshaltung, dass die zwei<br />

kleinen Parteien FDP und Grüne ihrer<br />

Verantwortung, die sie einerseits gegenüber<br />

ihren Wählern und andererseits<br />

schlicht dem Land gegenüber<br />

haben, gerecht werden. Erste Äußerungen<br />

von Spitzenpolitikern dieser Parteien<br />

lassen diesen Schluss auch zu.<br />

Solange europäische Wirtschaftsdaten<br />

wie der jüngste IHS-Markt-Einkaufsmanagerindex<br />

weiter positiv ausfallen<br />

und Wachstum anzeigen sowie das<br />

Weltwirtschaftswachstum nach wie vor<br />

bei +3,5 % gesehen wird, sollte Ruhe an<br />

den <strong>Märkte</strong>n herrschen. Es wird sicher<br />

eine Weile dauern, bis Klarheit über die<br />

künftige Regierung und deren Inhaltsschwerpunkte<br />

herrscht. Die kommissarisch<br />

geführten Regierungen in Holland<br />

und Belgien zeigen, dass es nicht zu<br />

Verwerfungen führen muss, wenn Regierungsbildungen<br />

etwas länger dauern<br />

und kompliziert sind. Dennoch ist zu<br />

wünschen, dass die wichtigste Volkswirtschaft<br />

in Europa so schnell wie<br />

möglich über klare Regierungsverhältnisse<br />

verfügt, zumal der deutsche<br />

Frühindikator IFO-Geschäftsklimaindex<br />

ins Stocken gerät. Er sank den zweiten<br />

Monat in Folge. Zwar liegt er nach wie<br />

vor auf hohem Niveau, aber der Aufschwung<br />

ist kein Selbstläufer mehr. Aktuelle<br />

Rahmenbedingungen wie die<br />

niedrigen Zinsen, günstige Rohöl- und<br />

Rohstoffpreise und die Verlängerung<br />

der expansiven Geldpolitik, die der<br />

EZB-Präsident erst wieder im Spätherbst<br />

auf den Prüfstand setzen möchte, sorgen<br />

für weitere Unterstützung an den<br />

Aktienmärkten. Einzig der feste Eurokurs<br />

(+11 % vs. US-Dollar in <strong>2017</strong>) könnte<br />

als Belastungsfaktor für die Gewinnentwicklung<br />

exportabhängiger europäischer<br />

Unternehmer gelten.<br />

Zentralbank-Regie<br />

Die US-amerikanische Notenbank Fed<br />

und die EZB deuteten an, ihre geldpolitischen<br />

Zügel anziehen zu wollen. Das<br />

würde eine Abkehr von einer jahrelang<br />

sehr expansiv verfolgten Geldpolitik bedeuten.<br />

Dies ist für die Finanzmärkte<br />

von Bedeutung, denn die massive Geldflutung<br />

der <strong>Märkte</strong> hat in den vergangenen<br />

Jahren zu einer starken Vermögenspreisinflation<br />

(„asset price inflation“)<br />

geführt. Diese ließ Kurse von Sachwerten<br />

wie Immobilien und Aktien, aber<br />

auch die von Anleihen stark steigen.<br />

Viele Marktteilnehmer befürchten, dass<br />

eine Reduktion dieser Geldströme einen<br />

Teil dieser Kursanstiege durch mehr<br />

oder weniger langsam steigende Marktzinsen<br />

wieder egalisieren könnte. Das<br />

sehr langsame und maßvolle Vorgehen<br />

der Fed, die bereits zwei Leitzinserhöhungen<br />

hinter sich hat, beweist allerdings,<br />

dass die Herangehensweise nicht<br />

zwangsläufig zu crashartigen Szenen<br />

führen muss. Zudem gründet die Möglichkeit,<br />

die Geldpolitik restriktiv zu gestalten,<br />

immer in einem stabilen Wirtschaftsaufschwung<br />

mit steigenden<br />

Gewinnen für die Unternehmen. Der<br />

Euro hat seit Jahresbeginn zum US-Dollar<br />

11 % zugelegt, was die Währungsinvestments<br />

unserer weltweit diversifizierten<br />

Anlagestrategie etwas belastet.<br />

In der Summe eint ein Ziel alle Zentralbanken<br />

der Welt: angesichts der wachsenden<br />

Schuldenberge den langfristigen<br />

Zins niedrig zu halten. Dies betonte<br />

kürzlich die Fed-Chefin Yellen und es<br />

wird auch das Ziel der EZB sein. Die<br />

10-jährige Bund-Rendite stieg zu Beginn<br />

des dritten Quartals auf 0,58 %, um<br />

dann in einem Rutsch auf 0,30 % zu sinken.<br />

Ende September konnte sie sich<br />

wieder auf 0,43 % hocharbeiten. Bis auf<br />

weiteres ist davon auszugehen, dass ein<br />

möglicher Zinsanstieg auch bei einer<br />

beginnenden Reduzierung der Zentralbankbilanzen,<br />

also nachlassenden Anleihekäufen<br />

durch die Zentralbanken,<br />

gedeckelt bleiben dürfte. Eine massive<br />

Zinswende ist nicht zu erwarten.


<strong>Kapital</strong> & <strong>Märkte</strong><br />

Von komparativen<br />

Vorteilen und Chlorhühnchen<br />

- Teil 2<br />

In der vorherigen <strong>Ausgabe</strong> wurden die<br />

Vorteile des Freihandels erläutert: Länder<br />

nutzen bei der Herstellung von Gütern<br />

ihre komparativen Vorteile, das<br />

Warenangebot wird breiter, durch Skaleneffekte<br />

können Unternehmen günstiger<br />

produzieren und ein Land ist weniger<br />

von der Binnenkonjunktur abhängig.<br />

Maßnahmen wie Zölle, die den Freihandel<br />

hemmen, wirken sich dementsprechend<br />

negativ auf den Wohlstand aus.<br />

Die Handelsbeziehungen müssen jedoch<br />

fair sein. Preisdumping oder nichttarifäre<br />

Handelshemmnisse rechtfertigen<br />

somit entsprechende Gegenmaßnahmen.<br />

Dabei besteht die Gefahr,<br />

dass selbst verursachte Probleme zu<br />

Unrecht dem Freihandel angelastet<br />

werden. Trotz der Vorteile für jedes Land<br />

als Ganzes, können einzelne Gruppen in<br />

einem Land durch den Freihandel<br />

schlechter gestellt sein. Die Lösung sind<br />

jedoch nicht Handelsbeschränkungen,<br />

sondern die Kompensation der Betroffenen.<br />

Idealerweise erfolgt dies durch Investitionen<br />

in Bildung und weitere<br />

Maßnahmen, welche die Menschen für<br />

neue Arbeitsbereiche qualifizieren und<br />

deren sozialen Aufstieg ermöglichen.<br />

Trotz dieser Vorteile ist der Freihandel in<br />

den vergangenen Jahren vermehrt in<br />

die Kritik geraten. Zum einen wird er für<br />

den Verlust von Arbeitsplätzen durch<br />

die Verlagerung der Industrieproduktion<br />

aus den westlichen Staaten in Schwellenländer<br />

verantwortlich gemacht, was<br />

auch eines der Hauptthemen in der Präsidentschaftskampagne<br />

Donald Trumps<br />

war. Zum anderen kommt die Kritik von<br />

Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden,<br />

die in den aktuell verhandelten<br />

Freihandelsabkommen eine Gefahr für<br />

die europäischen Lebensmittel-, Verbraucherschutz<br />

und Umweltstandards<br />

sehen.<br />

„Diese Arbeitsplätze kommen nicht zurück.“<br />

Steve Jobs, Gründer und ehem. Vorstand<br />

von Apple Inc.<br />

Die Handelsmuster haben sich in den<br />

letzten Jahrzehnten deutlich verändert.<br />

Während früher vor allem Endprodukte<br />

zwischen den Ländern gehandelt wurden,<br />

entwickelte sich der Handel mit<br />

Zwischenprodukten zum Wachstumstreiber<br />

des Welthandels. Der Abbau<br />

von Handelsbarrieren, der Rückgang der<br />

Transportkosten sowie die Fortschritte<br />

in der Informations- und Kommunikationstechnologie<br />

und der Unternehmensorganisation<br />

haben es ermöglicht, die<br />

Produktionsprozesse einzelner Güter zu<br />

zerlegen und auf verschiedene Standorte<br />

weltweit zu verteilen. Der Grundgedanke<br />

ist dabei derselbe wie bei Endprodukten:<br />

Die zunehmende Komplexität<br />

vieler Produkte bietet die Möglichkeit,<br />

durch Spezialisierung komparative<br />

Vorteile bei der Herstellung bestimmter<br />

Zwischenprodukte oder bei<br />

einzelnen Fertigungsschritten zu erlangen.<br />

Ein Beispiel dafür ist das iPhone<br />

von Apple, welches zum einen als amerikanisches<br />

Produkt gilt, andererseits<br />

aber in China gefertigt wird. Der tatsächliche<br />

Prozess ist aber noch deutlich<br />

komplexer. Ein bedeutender Teil der<br />

Entwicklung findet noch in den USA<br />

statt. Dazu gehören der Entwurf und<br />

das Design, die Programmierung der<br />

Software sowie Hardwarekomponenten<br />

von anderen US-Herstellern. Ein Großteil<br />

der Hardware wie Displays, Speicherchips<br />

und Prozessoren kommt aus<br />

Europa, Taiwan, Japan und Korea, wobei<br />

es sich dabei teilweise auch um Niederlassungen<br />

ausländischer Firmen handelt.<br />

Diese Komponenten werden dann<br />

in China zusammengesetzt. Weniger<br />

weil die Arbeitskosten dort so gering<br />

sind, sondern vielmehr weil die große<br />

Verfügbarkeit und hohe Flexibilität von<br />

Arbeitskräften und Fertigungsanlagen<br />

weltweit ihresgleichen suchen.<br />

„Bei ihren Standortentscheidungen haben<br />

manche Manager die versteckten Kosten<br />

des Offshoring nicht verstanden.“ Michael<br />

E. Porter, Ökonom<br />

Dieses Beispiel zeigt zugleich die Vorteile<br />

des Freihandels – Kosteneinsparungen<br />

für Konsumenten und Unternehmen<br />

– als auch den Kern des Problems<br />

der USA. Anders als in der Vergangenheit<br />

finden Industriearbeiter nicht mehr<br />

so einfach neue, gleich oder besser bezahlte<br />

Arbeitsplätze in Wachstumsbranchen<br />

und wenn, dann befinden sich<br />

diese meist nicht in den alten Industriezentren.<br />

Insbesondere Arbeitnehmern<br />

ohne Hochschulabschluss droht der soziale<br />

Abstieg, da diese oft nur schlecht<br />

bezahlte Arbeit im Dienstleistungssektor<br />

finden. Hauptgrund dafür ist, dass in<br />

vielen Branchen die Wettbewerbsfähigkeit<br />

verloren gegangen ist. Und zwar<br />

nicht weil die Produktionskosten in den<br />

Schwellenländern geringer sind oder<br />

sich andere Länder unfairer Wettbewerbspraktiken<br />

bedienen. Vielmehr ist<br />

mit der Auslagerung von größeren Teilen<br />

des Produktionsprozesses schrittweise<br />

wichtiges Wissen verloren gegangen.<br />

Dies erschwert die Entwicklung<br />

neuer innovativer Produkte und deren<br />

dazugehörige Produktionsverfahren,<br />

insbesondere wenn sich viele Unternehmen<br />

einer Region nach dem gleichen<br />

Muster verhalten.<br />

Daraus ergeben sich zwei Schlussfolgerungen:<br />

Zum einen sind Verlagerungen<br />

von Geschäftsaktivitäten ins Ausland zur<br />

Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit<br />

in vielen Fällen sinnvoll, etwa um einen<br />

besseren Marktzugang zu erhalten oder<br />

Transportkosten einzusparen. Dabei<br />

dürfen jedoch nicht die indirekten Auswirkungen<br />

auf die mittelfristige Wettbewerbsfähigkeit<br />

vergessen werden,<br />

welche durch einen Wissenstransfer ins<br />

Ausland entstehen können. Zum anderen<br />

bringt die Aufkündigung von Handelsabkommen<br />

oder die Erhebung von<br />

Zöllen weder Arbeitsplätze zurück, noch<br />

erhöht dies die Wettbewerbsfähigkeit.<br />

Vielmehr droht die heimische Wirtschaft<br />

bei einer Abschottung weiter an internationaler<br />

Wettbewerbsfähigkeit zu<br />

verlieren, da der Druck für Innovation<br />

und Kosteneffizienz im Heimatmarkt<br />

kurzfristig zurückgeht. Produktive staatliche<br />

Maßnahmen wären dagegen Investitionen<br />

in Bildung – einschließlich<br />

beruflicher Fortbildung –, Forschung<br />

und Infrastruktur sowie die Verbesserung<br />

der rechtlichen und steuerlichen<br />

Rahmenbedingungen.


OKTOBER <strong>2017</strong><br />

„Eine Absenkung der erreichten Standards<br />

wird es nicht geben.“ Sigmar Gabriel,<br />

Bundesaußenminister<br />

„Ceta senkt tendenziell das Schutzniveau.<br />

Und das, wenn überhaupt, bei minimalen<br />

wirtschaftlichen Vorteilen.“ Thilo Bode,<br />

Geschäftsführer von Foodwatch<br />

Die Verhandlungen der jüngsten<br />

Freihandelsabkommen CETA mit Kanada<br />

(abgeschlossen) und TTIP (Verhandlungen<br />

unterbrochen) mit den USA haben<br />

in der Öffentlichkeit zu großen<br />

Unsicherheiten und Widerständen geführt.<br />

Diese Abkommen sollen eine<br />

Vertiefung der Handelsbeziehungen<br />

über die Regelungen der Welthandelsorganisation<br />

hinaus erreichen, enthalten<br />

aber mehrere umstrittene Punkte.<br />

Hauptziel ist, neben dem weitgehenden<br />

Abbau der noch verbliebenen Zölle,<br />

die Verringerung von nichttarifären<br />

Handelshemmnissen. Dies beinhaltet<br />

die gegenseitige Anerkennung vergleichbarer<br />

Standards und Qualifikationen,<br />

die Kooperation bei der Normierung<br />

sowie die Öffnung bisher<br />

abgeschotteter Marktsegmente. Kritiker<br />

sehen darin die Gefahr, dass dadurch<br />

die europäischen Lebensmittel-, Verbraucherschutz-<br />

und Umweltstandards<br />

aufgeweicht werden. Da bei TTIP die<br />

Inhalte noch nicht ausgehandelt sind,<br />

sondern nur die Verhandlungspositionen<br />

der beiden Seiten bekannt sind,<br />

beziehen sich die weiteren Ausführungen<br />

primär auf CETA.<br />

Dass CETA auch Vorteile bringt, wird<br />

auch von vielen Kritikern nicht bestritten,<br />

doch besteht Uneinigkeit ob diese<br />

die Kritikpunkte aufwiegen. Die Abschaffung<br />

der meisten verbliebenen<br />

Zölle bringt mit Einsparungen von etwa<br />

einer halben Milliarde Euro pro Jahr bei<br />

Industriegütern überschaubare Vorteile.<br />

Wichtiger sind die nichttarifären Erleichterungen,<br />

welche den Handel zwischen<br />

der EU und Kanada intensivieren<br />

sollen. Dazu gehören unter anderem<br />

die Teilnahme europäischer Unternehmen<br />

an öffentlichen Ausschreibungen<br />

in Kanada, die Erleichterung des vorübergehenden<br />

Aufenthalts von Mitarbeitern<br />

ausländischer Unternehmen<br />

und die einfachere Anerkennung der<br />

Konformitätsbewertung der jeweils anderen<br />

Vertragspartei. Dabei handelt es<br />

sich um ein Zulassungsverfahren für<br />

neue Produkte, welches deren Übereinstimmung<br />

mit den gesetzlichen Bestimmungen<br />

prüft. Mit CETA können<br />

die Prüfstellen der EU bzw. Kanadas neben<br />

der Einhaltung der eigenen Bestimmungen<br />

auch die des Vertragspartners<br />

prüfen, wodurch Marktzulassungen<br />

schneller und kostengünstiger erfolgen<br />

können. Dies soll insbesondere kleinere<br />

und mittlere Unternehmen entlasten.<br />

Eine Angleichung der Standards findet<br />

explizit nicht statt.<br />

„Entscheidend ist, in welcher Weise die<br />

Risikobewertung und das Risikomanagement<br />

aufgrund der Vertragsvorgaben in<br />

der Zukunft harmonisiert wird.“ Wissenschaftlicher<br />

Dienst des Deutschen Bundestages<br />

Ein bedeutender Kritikpunkt ist die vermeintliche<br />

Aufgabe des Vorsorgeprinzips.<br />

Dieses besagt, dass Schutzmaßnahmen<br />

für Mensch oder Umwelt auch<br />

dann ergriffen werden können, wenn<br />

die vorliegenden Daten für eine genaue<br />

Bestimmung des Risikos nicht ausreichen.<br />

Dem gegenüber steht das angelsächsische<br />

Wissenschaftsprinzip, nach<br />

welchem Regulierungen erfolgen,<br />

wenn das Risiko hinreichend bewiesen<br />

ist. Die Regulierung in Europa ist damit<br />

tendenziell strenger, doch müssen auch<br />

dabei wissenschaftliche Hinweise auf<br />

eine Gefährdung vorliegen und die<br />

Maßnahmen müssen verhältnismäßig<br />

sein. Davon zu unterscheiden sind die<br />

abweichenden Regulierungsvorschriften<br />

zwischen EU und Kanada bzw. den<br />

USA, die sowohl mit dem Vorsorgeprinzip<br />

als auch dem Wissenschaftsprinzip<br />

vereinbar wären. Ein Beispiel dafür ist<br />

die Diskussion um das sogenannte<br />

Chlorhühnchen, welches als vermeintliches<br />

Beispiel für den Verlust von Verbraucherschutzstandards<br />

Berühmtheit<br />

erlangt hat. Experten sind sich hingegen<br />

einig, dass diese Desinfektionsmethode<br />

keine Gesundheitsgefahren für<br />

die Verbraucher birgt und gegenüber<br />

den EU- Standards in Sachen Keimfreiheit<br />

überlegen ist.<br />

Die in CETA vereinbarte regulatorische<br />

Kooperation ermöglicht die gegenseitige<br />

Anerkennung von Regulierungsstandards,<br />

doch kann ein Vertragspartner<br />

davon absehen, wenn<br />

entsprechende Differenzen bestehen.<br />

Werden die Standards gegenseitig anerkannt,<br />

dann bedeutet dies, dass Kanada<br />

das Vorsorgeprinzip anerkennt.<br />

Jedoch hat die EU dann auch eine möglicherweise<br />

abweichende Risikoeinschätzung<br />

Kanadas anzuerkennen. Damit<br />

besteht ein Konflikt zwischen dem<br />

Ziel der Harmonisierung und der Beibehaltung<br />

der eigenen Standards. Vor<br />

dem Hintergrund, dass beide Prinzipien<br />

auf wissenschaftlichen Grundlagen beruhen,<br />

werden die Differenzen bei der<br />

Risikoeinschätzung in vielen Bereichen<br />

gering sein, sodass eine gegenseitige<br />

Anerkennung unproblematisch wäre. In<br />

anderen Bereichen erscheint die gegenseitige<br />

Anerkennung hingegen<br />

fraglich, da diese wahrscheinlich eine<br />

Aufweichung des Vorsorgeprinzips in<br />

diesen Bereichen bedeuten würde. Dabei<br />

handelt es sich letztendlich um eine<br />

politische Abwägung, welchem Vertragsziel<br />

in Zukunft welche Bedeutung<br />

eingeräumt wird.<br />

„Es gibt durchaus Länder wie Bulgarien,<br />

Rumänien, Italien, Portugal vielleicht<br />

auch, bei denen die Unabhängigkeit der<br />

Gerichte nicht so einwandfrei gegeben<br />

ist.“ Gabriel Felbermayr, Ökonom<br />

Ein weiterer strittiger Punkt ist der Einbezug<br />

des Investitionsschutzes einschließlich<br />

der Schaffung von Schiedsgerichten.<br />

Diese Vereinbarungen sind<br />

seit Jahrzehnten Standard und sollen<br />

Auslandsinvestitionen von Unternehmen<br />

vor staatlicher Willkür schützen.<br />

Ursprünglich waren diese für Vereinbarungen<br />

mit Ländern vorgesehen, deren<br />

Rechtssystem noch nicht im gleichen<br />

Maße ausgeprägt ist wie in den meisten<br />

westlichen Staaten. Kritiker sehen<br />

darin die Gefahr, dass Staaten auf Entschädigung<br />

verklagt werden, wenn diese<br />

Regulierungen zum Umwelt- oder<br />

Gesundheitsschutz erlassen – oder aus<br />

Sorge vor Klagen von Anfang an auf<br />

diese verzichten. Daraus wird klar, dass<br />

Investitionsschutzvereinbarungen so-


<strong>Kapital</strong> & <strong>Märkte</strong><br />

OKTOBER <strong>2017</strong><br />

wohl für die Unternehmen (Rechtssicherheit<br />

in ansonsten unsicheren Ländern)<br />

als auch für die jeweiligen<br />

Investitionsstandorte (Erhalt von ansonsten<br />

nicht stattfindenden Direktinvestitionen)<br />

und deren Bevölkerung<br />

(Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum)<br />

von Vorteil sind. Dass diese Regelungen<br />

den staatlichen Handlungsspielraum<br />

einschränken, ist dabei<br />

explizit gewollt. Enteignungen oder der<br />

Entzug von einst gewährten Lizenzen<br />

ohne angemessene Entschädigungen<br />

sollen nicht möglich sein. Wichtig ist<br />

hier jedoch, dass die Rechtsauslegung<br />

eng genug gehalten wird, um Missbrauch<br />

zu verhindern. Die Historie zeigt,<br />

dass Klagen gegen Staaten in knapp der<br />

Hälfte der Fälle abgelehnt wurden und<br />

in gut der Hälfte zu Gunsten der klagenden<br />

Unternehmen entschieden<br />

wurde oder ein Vergleich stattfand. Vor<br />

diesem Hintergrund erscheint das Ausmaß<br />

der Kritik am Investitionsschutz<br />

übertrieben. Dies gilt insbesondere vor<br />

dem Hintergrund, dass bei CETA mehrere<br />

berechtigte Kritikpunkte berücksichtigt<br />

wurden, sodass es sich um das<br />

bis dato modernste Investitionsschutzabkommen<br />

handelt: ein ständiger Gerichtshof,<br />

eine größere Richteranzahl,<br />

eine Berufungsinstanz und höhere<br />

Transparenz. Unabhängig davon kann<br />

die berechtigte Frage aufgeworfen werden,<br />

ob in Ländern mit entwickelten<br />

Rechtssystemen wie Kanada (oder den<br />

USA) und Westeuropa die Einsetzung<br />

einer Art Paralleljustiz überhaupt notwendig<br />

ist. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen,<br />

dass die EU erst seit 2009<br />

die Kompetenz für die Verhandlung von<br />

Handelsabkommen hat und CETA und<br />

TTIP die ersten solchen Verträge sind.<br />

Daher ist anzunehmen, dass diese Vereinbarungen<br />

als Vorlage für zukünftige<br />

Abkommen mit Ländern dienen sollen,<br />

in denen die Rechtssicherheit nicht im<br />

gleichen Maße gegeben ist. Dies spricht<br />

zwar nicht für die Einbeziehung des Investitionsschutzes,<br />

macht die Entscheidung<br />

aber nachvollziehbar. Zum anderen<br />

besteht ein gewichtiges Argument<br />

darin, dass die EU aus (noch) 28 Mitgliedsstaaten<br />

besteht, die nicht alle<br />

eine mit Deutschland oder Frankreich<br />

vergleichbar unabhängige Justiz haben.<br />

So muss man etwa nur die Entwicklung<br />

in Polen betrachten, um Zweifel zu bekommen,<br />

ob im Ernstfall polnische Gerichte<br />

über eine ausreichende Unabhängigkeit<br />

für Urteile gegen die eigene<br />

Regierung verfügen. Deshalb ist es verständlich,<br />

dass Kanada und die USA auf<br />

den Investitionsschutz bestehen.<br />

Fazit<br />

Insbesondere in Zeiten schwachen<br />

Wirtschaftswachstums und der Ausreizung<br />

der geldpolitischen Möglichkeiten<br />

sind wachstumsfördernde Maßnahmen,<br />

zu denen auch Handelsabkommen<br />

zählen, wichtig. Eine Abkehr vom<br />

Freihandel würde hingegen die aktuellen<br />

wirtschaftlichen Probleme verschärfen<br />

und überproportional zu Lasten<br />

der ärmeren und unterdurchschnittlich<br />

qualifizierten Teile der<br />

Bevölkerung gehen. Den Verlust von<br />

Arbeitsplätzen bekämpft man besser<br />

durch Strukturreformen und Investitionen<br />

in Bildung, Forschung und Infrastruktur.<br />

Die Kritik in Europa an CETA<br />

erscheint im Grundsatz nicht unbegründet,<br />

aber insgesamt übertrieben.<br />

Dabei gilt auch zu berücksichtigen, dass<br />

seit den neunziger Jahren an allen Handelsabkommen<br />

ähnliche Kritik geäußert<br />

wurde und trotzdem eine Weiterentwicklung<br />

der Umwelt- und<br />

Sozialstandards erfolgt ist. Das Zurückdrehen<br />

der wirtschaftlichen Integration,<br />

egal ob in Europa oder Amerika, hätte<br />

dagegen nicht nur für die Unternehmen<br />

und Aktienmärkte, sondern auch für die<br />

Arbeitnehmer negative Konsequenzen<br />

– insbesondere in einem so exportabhängigen<br />

Land wie Deutschland.<br />

<strong>Kapital</strong> & <strong>Märkte</strong> erhalten Sie sehr gerne auch als E-Mail. Wenn Sie hiervon Gebrauch machen möchten, senden Sie uns<br />

bitte eine E-Mail an: <strong>Kapital</strong>undMaerkte@privatbank.de<br />

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Tel.: 0711/2148-242, Fax: 0711/2148-250<br />

E-Mail: michael.beck@privatbank.de<br />

Redaktion:<br />

Michael Beck, Patrick Nass<br />

www.ellwanger-geiger.de/kapitalmarkt<br />

<strong>Ausgabe</strong> <strong>Oktober</strong> <strong>2017</strong><br />

WICHTIGE HINWEISE<br />

Die Darstellungen geben die aktuellen Meinungen und Einschätzungen zum<br />

Zeitpunkt der Erstellung dieses Dokuments wieder. Sie können ohne Vorankündigung<br />

angepasst oder geändert werden. Die enthaltenen Informationen<br />

wurden sorgfältig geprüft und zusammengestellt. Eine Gewähr für Richtigkeit<br />

und Vollständigkeit kann nicht übernommen werden. Die Informationen<br />

sind keine Anlageberatung, Empfehlung oder Finanzanalyse. Für individuelle<br />

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unseres Hauses gerne zur Verfügung. Die Urheberrechte für die gesamte inhaltliche<br />

und graphische Gestaltung liegen beim Herausgeber und dürfen gerne,<br />

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Beurteilung der für Sie steuerlich relevanten Aspekte und ggf. abweichende<br />

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(2) Wertentwicklungen in der Vergangenheit sind kein zuverlässiger Indikator<br />

für zukünftige Entwicklungen.<br />

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