MTD_DDG_2017_10
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16 Kongress aktuell<br />
diabeteszeitung · 2. Jahrgang · Nr. <strong>10</strong> · 25. Oktober <strong>2017</strong><br />
Insulinresistenz<br />
ist keine<br />
Einbahnstraße<br />
Ruhig mal Kälte, Fasten oder<br />
Bewegung probieren<br />
HAMBURG. Gegen die Insulin resistenz hilft nur noch mehr<br />
Insulin – in manchen Fällen mag das die einzige Lösung sein.<br />
Doch vorher sollten Sie alle anderen Optionen ausreizen.<br />
Um den wirklichen Insulinbedarf<br />
zu ermitteln, kann es<br />
sinnvoll sein, das Hormon intravenös<br />
zu applizieren, erklärte Dr.<br />
Nikolaus Scheper, niedergelassener<br />
Diabetologe aus Marl. Außerdem erholt<br />
sich dabei das subkutane Fettgewebe.<br />
Fasten wäre<br />
das einfachste Prinzip<br />
Das wohl einfachste Prinzip, um dann<br />
eine Resistenz zu überwinden: Fasten.<br />
Durch Entzug der Substrate bessert<br />
sich das relative Stoffwechselmissverhältnis<br />
zugunsten des Insulins. Leider<br />
MELDUNGS<br />
SCHNIPSEL<br />
HEIDELBERG. Eine<br />
renale Denervierung<br />
kann ohne die<br />
parallele Einnahme<br />
von Medikamenten<br />
dauerhaft den<br />
Blutdruck senken.<br />
Vor drei Jahren hatte<br />
die Methode in der<br />
Symplicity HTN-3-<br />
Studie ein neutrales<br />
Ergebnis gegenüber<br />
Placebo. Die neue<br />
SPYRAL HTN-OFF<br />
MED-Studie 1 zeigt<br />
nun, dass sowohl der<br />
systolische als auch<br />
der diastoli sche<br />
Blutdruck min destens<br />
drei Monate nach der<br />
Behandlung gesenkt<br />
bleiben. Die Task Force<br />
»Wissenschaftliche<br />
Stellung nahmen und<br />
Leitlinien der Deutschen<br />
Hoch druckliga<br />
e.V.« hat dazu<br />
Stellung genommen:<br />
http://bit.ly/2yodU8C<br />
1 Townsend RR et al. Lancet<br />
<strong>2017</strong>; doi: <strong>10</strong>.<strong>10</strong>16/S0140-<br />
6736(17)32281-X<br />
Brachte die Wiedervereinigung<br />
den Typ-1-Diabetes?<br />
Überproportionaler Anstieg der Neumanifestationen<br />
in Sachsen<br />
HAMBURG. Hätte es die Wiedervereinigung<br />
Deutschlands nicht gegeben,<br />
gäbe es heute in Sachsen-Anhalt<br />
deutlich weniger Menschen mit Typ-<br />
1-Diabetes. Davon ist Privatdozentin<br />
Dr. Ulrike Rothe von der TU Dresden<br />
überzeugt. Sie hat die zentralen Registerdaten<br />
von vor und nach der Wende<br />
miteinander verglichen.<br />
In Deutschland gibt es beim Typ-<br />
1-Diabetes ein Inzidenzgefälle<br />
zwischen Nord und Süd und ebenso<br />
zwischen West und Ost. Ein Blick in<br />
die Registerdaten von Sachsen-Anhalt<br />
offenbart, dass es über die Zeit<br />
vor und nach der Wende zu einem<br />
deutlichen Anstieg der Inzidenzraten<br />
des Typ-1-Diabetes gekommen ist,<br />
wie Dr. Rothe, Institut und Poliklinik<br />
für Arbeits- und Sozialmedizin,<br />
berichtete.<br />
Mehr Neumanifestationen<br />
bei <strong>10</strong>- bis 14-Jährigen<br />
„Bis 1989 wurde in Karlsberg ein<br />
zentrales Diabetes-Register geführt,<br />
in dem alle Diabetesfälle registriert<br />
wurden“, erklärte Dr. Rothe. Erfasst<br />
wurden sowohl Alter und Geschlecht<br />
als auch Art der Behandlung; die<br />
Vollständigkeit der erfassten Fälle<br />
lag mit 98 % sehr hoch. Für ihre aktuelle<br />
Untersuchung konnte sie auf<br />
Daten von 1982 bis 1989 zugreifen,<br />
»Wirklichen<br />
Insulinbedarf<br />
ermitteln«<br />
Bei Typ-1-Diabetes gibt es ein<br />
Ost-West-Inzidenzgefälle.<br />
Foto: fotolia/philipk76<br />
die alle insulinpflichtigen Kinder<br />
bis 14 Jahre in den Bezirken Leipzig,<br />
Dresden und Karl-Marx-Stadt<br />
(heute Chemnitz) umfassten.<br />
Für die Zeit nach der Wende nutzte<br />
Dr. Rothe die Daten des 1999 gestarteten<br />
Kinder-Diabetes-Registers<br />
Sachsen, das ebenfalls mit 97 % Vollständigkeit<br />
eine solide Datenbasis<br />
bildet. Die Daten legen nahe, dass<br />
fällt das Darben aber bekanntermaßen<br />
den meisten schwer …<br />
Recht unbekannt ist die Tatsache,<br />
dass Kälte hilft. Adipöse haben<br />
überwiegend weißes Fettgewebe,<br />
in kalter Umgebung kommt es zur<br />
Aktivierung von braunem Fett bzw.<br />
zur teilweisen und reversiblen Umwandlung<br />
des weißen Fettgewebes<br />
(„Browning“).<br />
Dieser Effekt bessert nicht nur die<br />
Glukosetoleranz, sondern auch die<br />
Lipidparameter. Laut Dr. Scheper<br />
bedarf es dazu gar keiner langen<br />
Exposition. Im Winter z.B. reichen<br />
vermutlich schon kurze Spaziergänge<br />
aus, um den Stoffwechsel zu<br />
modulieren.<br />
Nächstes und natürlich viel populäreres<br />
Stichwort: Bewegung. Dass<br />
Ausdauer-, Kraft- oder ein kombiniertes<br />
Training die glykämische<br />
Lage bessert und sich ebenfalls positiv<br />
auf die Fette auswirken, dürfte<br />
jedem bekannt sein. Was die Umsetzung<br />
betrifft: siehe Fasten.<br />
Einen Versuch<br />
mit Glitazonen wagen?<br />
Bevor es dann medikamentös in immer<br />
schwindelerregendere Inselhormonbereiche<br />
geht, sprach sich Dr.<br />
Scheper für einen Versuch mit Glitazonen<br />
aus. Sie wirken als Insulin-<br />
Sensitizer und unterstützen so dessen<br />
Wirkung. Dem Kollegen gelang<br />
es damit schon bei einigen Patienten,<br />
die HbA 1c -Ziele zu erreichen. abr<br />
Diabetes Kongress <strong>2017</strong><br />
die Inzidenzrate in Sachsen bei einem<br />
Fortbestand der DDR deutlich<br />
weniger stark gestiegen wäre. „Anders<br />
als im Bundestrend steigt bei<br />
uns vor allem der Anteil der Neumanifestationen<br />
bei den <strong>10</strong>- bis 14-Jährigen“,<br />
so Dr. Rothe, „bei den 0- bis<br />
4-Jährigen ist der Anstieg nicht ganz<br />
so stark ausgeprägt.“<br />
Einfluss externer Faktoren<br />
muss intensiv erforscht werden<br />
Ein kausaler Zusammenhang mit<br />
der Wiedervereinigung sei zwar nur<br />
schwer herzustellen, „doch wir hatten<br />
sehr lange eine niedrige Inzidenzrate<br />
des Typ-1-Diabetes in der DDR. Es<br />
ist daher schon auffällig, dass die östlichen<br />
Bundesländer seit der Wende<br />
aufholen“, meinte Dr. Rothe.<br />
Als mögliche Ursachen kämen Sectiorate<br />
und Stillquote, aber auch<br />
Umweltfaktoren wie Ernährung,<br />
Schadstoffe und Feinstaub infrage:<br />
„Früher in der DDR war ein Kaiserschnitt<br />
die absolute Ausnahme,<br />
heute hingegen wird eine Sectio sehr<br />
häufig vorgenommen.“ Der Einfluss<br />
solcher externer Faktoren auf die<br />
Inzidenzrate des Typ-1-Diabetes<br />
müsse daher noch viel intensiver als<br />
bisher erforscht werden, forderte Dr.<br />
Rothe.<br />
Antje Thiel<br />
Diabetes Kongress <strong>2017</strong><br />
Eine kalte<br />
Umgebung<br />
kann braunes<br />
Fettgewebe<br />
aktivieren.<br />
Foto: iStock_ValentynVolkov<br />
Wenn<br />
subkutan<br />
nichts<br />
geht<br />
Port bringt Insulin<br />
ins Peritoneum<br />
HAMBURG. Der 42-Jährige<br />
Patient mit Typ-1-Diabetes trug<br />
seit seinem zwölften Lebensjahr<br />
zuverlässig seine Insulinpumpe.<br />
Dennoch hatte er eine Reihe von<br />
Spätkomplikationen entwickelt,<br />
außerdem schwankte sein Blutzucker<br />
erheblich. Der Ausweg:<br />
ein implantierter Port.<br />
Retinopathie, Neuropathie<br />
und Nephropathie: Der<br />
Mann brachte bereits eine<br />
ganze Reihe von Spätfolgen<br />
mit, als er sich mit Anfang 40<br />
erstmals in einer Schwerpunktpraxis<br />
vorstellte. Dazu kamen<br />
multiple Lipohypertrophien<br />
an Bauchhaut, Flanken und<br />
Oberschenkeln. Wegen häufiger,<br />
teils schwerer Unterzuckerungen<br />
bestand bei dem<br />
Patienten eine große Angst<br />
vor den Hypoglykämien und<br />
der Zucker war eher höher<br />
eingestellt. Das spiegelte sich<br />
in einem ini tialen HbA 1c von<br />
12,0 % wider, berichtete Dr.<br />
Hansjörg Mühlen vom Diabetologikum<br />
Duisburg.<br />
Katheter sollte alle zwei<br />
Jahre gewechselt werden<br />
Die Kollegen stellten zunächst<br />
die Pumpe neu ein und erreichten<br />
damit innerhalb von sechs<br />
Monaten eine Senkung des<br />
HbA 1c auf 7,8 %, bei deutlich<br />
niedriger Hypoglykämierate.<br />
Dennoch rutschte der junge<br />
Mann immer wieder mit seinen<br />
Werten sehr stark ab, was<br />
wohl am ehesten auf der unterschiedlichen<br />
Resorption in der<br />
vorgeschädigten bzw. gesunden<br />
Unterhaut beruhte.<br />
Daraufhin entschloss sich das<br />
Team um Dr. Mühlen zur Implantation<br />
eines Insulinports.<br />
Der Katheter des Ports wird in<br />
der Bauchhöhle platziert, die<br />
angeschlossene Pumpe gibt<br />
dann das Hormon kontinuierlich<br />
intraperitoneal ab. „Das ist<br />
die physiologischste Applikationsform,<br />
die es gibt“, erklärte<br />
Dr. Mühlen. „Insulin hat eigentlich<br />
im Unterhautfettgewebe<br />
nichts verloren.“<br />
Bei dem Patienten führte die<br />
Implantation tatsächlich zu<br />
einer sehr stabilen Einstellung<br />
der Blutzuckerwerte. Weltweit<br />
erhielten bisher etwa 70 Diabetespatienten<br />
einen solchen<br />
Port, wobei die längste Tragezeit<br />
fünf Jahre beträgt. Bisher<br />
waren weder Allergien noch<br />
Peritonitiden zu verzeichnen,<br />
der Katheter sollte aber alle<br />
zwei Jahre gewechselt werden.<br />
abr<br />
Diabetes Kongress <strong>2017</strong>