Tassilo, Ausgabe November/Dezember 2017 - Das Magazin rund um Weilheim und die Seen
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Einzigartige Sammlung von Jörg Drescher<br />
„Die Puppen wieder<br />
z<strong>um</strong> Leben erwecken“<br />
„Bimboline“ kann<br />
<strong>die</strong> Trompete ansetzen<br />
<strong>und</strong> ihre Augen auf<strong>und</strong><br />
z<strong>um</strong>achen.<br />
Peißenberg | Über den exakten<br />
Wert seiner Puppen möchte Jörg<br />
Drescher gar nicht erst sprechen.<br />
Allein deshalb, „weil es wenig<br />
Sinn macht, da es deutschlandweit<br />
keine vergleichbaren Exemplare<br />
gibt“. Mehr als 500 Stabpuppen<br />
besitzt der 74-Jährige, der bis 1996<br />
noch selbst mit seinen Eltern <strong>und</strong><br />
der familieneigenen Bühne durch<br />
Deutschland getourt ist, <strong>um</strong> in<br />
Schulen, Theatern sowie TV-Studios<br />
<strong>die</strong> Puppen tanzen, dirigieren,<br />
fliegen <strong>und</strong> sprechen zu lassen.<br />
Doch so einzigartig <strong>und</strong> beliebt<br />
<strong>die</strong>se Aufführungen auch waren –<br />
der Ver<strong>die</strong>nst bei drei bis vier Auftritten<br />
pro Woche war dem gebürtigen<br />
Berliner dann doch zu wenig,<br />
<strong>um</strong> damit seine fünfköpfige Familie<br />
zu ernähren. So war Jörg Drescher<br />
bereits Ende der 1960er mehr oder<br />
weniger gezwungen, seine Leidenschaft<br />
„aus privaten Gründen“<br />
hauptberuflich an den Nagel zu<br />
hängen. Er lernte Drogist. „<strong>Das</strong> war<br />
damals keine leichte Entscheidung,<br />
da es mir immer wahnsinnig viel<br />
Spaß gemacht hat“, sagt er rückblickend.<br />
Inzwischen sind auch seit<br />
der allerletzten nebenberuflichen<br />
Aufführung 21 Jahre vergangen.<br />
Und <strong>die</strong> Puppen hängen noch immer.<br />
Ein Großteil in Kaufbeuren, im<br />
größten Puppenmuse<strong>um</strong> Deutschlands,<br />
ein kleinerer im Foyer des<br />
<strong>Weilheim</strong>er Stadttheaters. Der Rest<br />
seiner <strong>r<strong>und</strong></strong> 60 Zentimeter großen<br />
Stabpuppen mit Innenführung ist<br />
jedoch nicht für <strong>die</strong> Öffentlichkeit<br />
zu bestaunen. Er wird in seinem<br />
ruhig gelegenen Wohnhaus nahe<br />
der Ammer in Peißenberg aufbewahrt.<br />
Und auch z<strong>um</strong> Einsatz<br />
kommen nur noch wenige seiner<br />
prachtvollen Figuren, <strong>und</strong> das selten.<br />
„Für ein paar private Auftritte,<br />
ansonsten machen wir nichts<br />
mehr“, sagt Jörg Drescher, der z<strong>um</strong><br />
Beispiel für 50 Jahre <strong>Weilheim</strong>er<br />
Schlaraffen <strong>die</strong> Puppen nochmals<br />
im <strong>Weilheim</strong>er Stadttheater aufführte.<br />
In Zukunft aber möchte<br />
er sich wieder intensiver <strong>um</strong> das<br />
Puppenspiel kümmern. Sein Tra<strong>um</strong><br />
wäre eine Interessensgemeinschaft<br />
für Puppenspielerei, Rä<strong>um</strong>lichkeit<br />
für Muse<strong>um</strong>, Bühne <strong>und</strong> Tribüne<br />
inklusive. „Am besten in <strong>Weilheim</strong>,<br />
weil wir dort mit unseren damaligen<br />
<strong>Weilheim</strong>er Puppenspielen am<br />
Tiefsten verwurzelt sind.“<br />
Bildungsauftrag der<br />
Regierung<br />
Angefangen hat <strong>die</strong> Puppenspielerei<br />
im Hause Drescher unmittelbar<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg.<br />
Jörgs Vater Karl-Heinz Drescher,<br />
gelernter Bildhauer, Künstler <strong>und</strong><br />
Visionär, baut Puppen, Bühne <strong>und</strong><br />
Bühnenbilder. Jörgs Mutter Hildegard<br />
zieht voll mit, näht unter<br />
anderem <strong>die</strong> Puppenkostüme. Die<br />
allererste Aufführung des Ehepaars<br />
findet am 8. <strong>Dezember</strong> 1948 im<br />
Lidl-Saal in Rottach-Egern statt, wo<br />
das damals noch junge Paar aus<br />
Berlin hingezogen war. <strong>Das</strong> Stück<br />
heißt „Kasperls Abenteuer am<br />
Weihnachtsabend“. Und es kommt<br />
ebenso blendend beim Publik<strong>um</strong><br />
an wie Dreschers Idee, mit seinen<br />
Puppen, Stücken <strong>und</strong> seiner gut<br />
verstaubaren Bühne von Ort zu Ort<br />
zu ziehen. Fortan leben Jörg Dreschers<br />
Eltern ihren Tra<strong>um</strong> vom mobilen<br />
Puppenspiel, erhalten schon<br />
bald eine Genehmigung von der<br />
Regierung von Oberbayern, auch<br />
an Schulen auftreten zu dürfen.<br />
Dabei geht es den Dreschers nicht<br />
nur <strong>um</strong> h<strong>um</strong>orvolle Unterhaltung.<br />
Auch gesellschaftskritische Themen<br />
wie Tier- <strong>und</strong> Naturschutz – z<strong>um</strong><br />
Beispiel „<strong>Das</strong> letzte Moos“ – sind<br />
Teil ihres Puppenspieler-Repertoires,<br />
das nur selten an Bücher<br />
<strong>und</strong> Filme angelehnt ist, überwiegend<br />
aus hauseigener Feder<br />
stammt. „Gerade in den Schulen,<br />
hauptsächlich G<strong>r<strong>und</strong></strong>schulen, wollten<br />
wir <strong>die</strong> Mädchen <strong>und</strong> Buben<br />
nicht nur unterhalten, sondern<br />
ihnen auch etwas fürs Leben beibringen“,<br />
sagt Jörg Drescher, der<br />
erstmals in den 1960er Jahren sich<br />
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