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Mehr als nur Kleidung Global Investor, 01/2016 Credit Suisse
Mehr als nur Kleidung
Global Investor, 01/2016
Credit Suisse
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GLOBAL INVESTOR 1.<strong>16</strong> — 20<br />
TEXT VON JULIA REA<br />
Mutter-Tochter-Silhouette:<br />
Das kultträchtige<br />
Lanvin- Logo ziert dieses<br />
Parfüm flakon aus den<br />
1930er-Jahren.<br />
Lanvin ist das älteste noch aktive Modehaus<br />
Frankreichs. Dem Unternehmen gelingt<br />
der Spagat zwischen den Design-Traditionen<br />
seines einzigartigen Erbes und der<br />
Notwendigkeit eines modernen Ansatzes. Die Philosophie<br />
besteht darin, nicht nur auf die formellen<br />
Aspekte von Mode, sondern auf sämtliche Nuancen<br />
eines Lifestyles einzugehen. Dabei schöpft das<br />
Modehaus aus Kunst, Exotik, Farben und Kultur.<br />
Die Gründerin des Unternehmens, Jeanne Lanvin<br />
(1867–1946), begann ihre Designer-Karriere<br />
1883 als Hutmacherin. Nach der Ausbildung in den<br />
Salons von Madame Félix und Suzanne Talbot gründete<br />
sie 1889 ihren eigenen Hutsalon in der Rue du<br />
Faubourg Saint-Honoré in Paris. Nach ihrer Heirat<br />
mit dem italienischen Grafen Emilio di Pietro 1895<br />
begann sie, Kleider für ihre Tochter Marguerite Marie-Blanche<br />
zu entwerfen und zu nähen. Voller Begeisterung<br />
gaben Lanvins Freunde und Kunden die<br />
schönen Kleider auch für ihre eigenen Kinder in<br />
Auftrag. Der grosse Erfolg und die riesige Nachfrage<br />
brachten Lanvin 1909 dazu, eine Damenmodelinie<br />
zu entwerfen. Kurz darauf wurde sie in die<br />
Chambre Syndicale de la Haute Couture, den prestigeträchtigen<br />
Verband der Pariser Haute Couture,<br />
aufgenommen. Damit erhielt sie formell den Status<br />
einer Couturière und festigte Macht und Einfluss in<br />
der Modewelt des frühen 20. Jahrhunderts.<br />
In den 1920ern baute Lanvin ihr Design-Imperium<br />
weiter aus. Hinzu kamen Herrenmode, Sportbekleidung,<br />
Kosmetik, Interieur, Lingerie und eine<br />
Pelzabteilung. Darin spiegelt sich ihre Philosophie<br />
wider, dass Mode nicht nur reine Zierde ist, sondern<br />
den gesamten Lifestyle umfasst. Im Jahr 1924 wurde<br />
die erfolgreiche Parfümsparte Lanvin Parfums<br />
gegründet. Verkaufsschlager waren unter anderem<br />
«My Sin» (1925) und der unverkennbare Duft von<br />
«Arpège» (1927), der von der Liebe ihrer Tochter zur<br />
Musik inspiriert wurde.<br />
Die innige Beziehung zwischen Lanvin und ihrer<br />
einzigen Tochter steht im Mittelpunkt der Marke<br />
und ihrer Identität – vor allem durch das Logo mit<br />
der Silhouette einer Mutter und ihrer Tochter. Es<br />
entstand nach einem Foto von Jeanne und Marguerite<br />
von 1907 und ziert noch heute alle Produkte<br />
von Lanvin. Auch die Wahl eines intensiven Blautons<br />
als charakteristische Markenfarbe war persönlich<br />
motiviert. Jeanne Lanvins Inspirationsquelle war ein<br />
Fresko von Fra Angelico in Florenz. Das kräftige<br />
Lavendelblau floss fortan in die Gestaltung von<br />
Parfümflakons, Verpackungen, Mode und Interieur<br />
ein – und auch in ihre eigene Pariser Wohnung.<br />
Lanvin entwickelte weitere markentypische<br />
Farbtöne wie «Velazquez-Grün» und «Polignac-Rosa».<br />
In Nanterre gründete sie 1923 eine eigene Färberei.<br />
Auf ihren Reisen und als leidenschaftliche<br />
Antiquitäten- und Kunstsammlerin liess sie sich von<br />
orientalischen Stickereien, japanischen Kimonos,<br />
luxuriösem Samt sowie paillettenbesetzten Stoffen<br />
und Motiven inspirieren, die aus einem exotischen<br />
Kulturerbe schöpfen. Lanvin stand der Art-Déco-Bewegung<br />
sehr nahe. Berühmt wurde sie für ihre zarten,<br />
aber mit handgemachten Details üppig verzierten<br />
Kleider in hellklaren Farben, deren luftige<br />
Stoffe und gute Passform zum Symbol für die Befreiung<br />
der Frau vom Korsett wurden.<br />
AUFSTIEG UND FALL<br />
Lanvin wurde 1937 Vorsitzende des Haute-Couture-Komitees<br />
der Pariser Weltausstellung. Zwei<br />
Jahre später vertrat sie Paris auf der Weltausstellung<br />
in New York. Während des Zweiten Weltkriegs<br />
gehörte sie zu mehreren Couture-Häusern, die ihr<br />
Geschäft trotz strikter Materialregulierungen und<br />
finanzieller Unsicherheit weiterbetrieben. Nach der<br />
Besetzung von Paris durch die Deutschen plante<br />
sie mit Modeschöpfern wie Elsa Schiaparelli und<br />
Cristobal Balenciaga, ihr Unternehmen in Biarritz<br />
wieder aufzubauen und ihre Produkte in die USA<br />
zu exportieren. Doch dann kapitulierte Frankreich.<br />
Es kam zu einer Exportsperre, der Plan scheiterte.<br />
Nach Lanvins Tod 1946 ging das Unternehmen<br />
an Tochter Marguerite über, die seit vier Jahren eng<br />
in die Geschäftsführung eingebunden war. Als sie<br />
1958 starb, kam ihr Cousin Yves Lanvin an die Reihe.<br />
Es begann eine Phase, in der das Modehaus ein<br />
relatives Schattendasein fristete. Verschärft wurde<br />
dies in den 1960ern noch durch den Aufstieg von<br />
Prêt-à-porter-Labels wie Yves Saint Laurent, die<br />
den Markt fest in der Hand hatten. Lanvins langjährige<br />
Couture-Kunden blieben dem Modehaus zwar<br />
treu, doch Lanvins Ästhetik und Geschäftsstruktur<br />
wurden immer unzeitgemässer und reizloser.<br />
LANVIN ALS ÜBERNAHMEKANDIDAT<br />
Lanvin blieb bis 1971 ein selbstfinanziertes Familienunternehmen.<br />
Dann übernahm der amerikanische<br />
Pharmakonzern Squibb die Kosmetiksparte.<br />
Jeanne Lanvin (geborene Jeanne-Marie<br />
Lanvin), 1867–1946. Die legendäre<br />
französische Modedesignerin bei der<br />
Durchsicht von Entwürfen in ihrem Atelier.<br />
Obwohl Lanvin heute noch für<br />
seine Parfüms bekannt ist, geht das Label<br />
ursprünglich auf die herausragenden<br />
Couture-Fertigkeiten seiner Gründerin<br />
Jeanne Lanvin zurück. Hier ein<br />
romantisches, bodenlanges Brautkleid<br />
in geripptem Voile mit passendem<br />
Hut. Beide wurden von ihr entworfen.<br />
Squibb war aber enttäuscht, wie sich Lanvin angesichts<br />
der steigenden Konkurrenz anderer namhafter<br />
Kosmetikunternehmen entwickelte. 1979 kaufte<br />
sich Lanvin die Unabhängigkeit zurück. Das<br />
Unternehmen hatte weiterhin Mühe, sein zunehmend<br />
angestaubtes Image wieder aufzupolieren.<br />
Nach einem Verlust von 17.5 Millionen US-Dollar<br />
1988 erwarb die britische Bank Midland, die heute<br />
zur HSBC gehört, einen bedeutenden Anteil. Trotz<br />
eines Gewinns von 53 Millionen US-Dollar nach der<br />
Umstrukturierung blieb die Marke weitgehend erfolglos.<br />
Die erste Kollektion, die der Designer<br />
Claude Montana für das Label entwarf, wurde von<br />
der Modepresse zerrissen. Ein Jahr später verkaufte<br />
Midland seine Anteile an Orcofi, eine Investment-Gruppe<br />
der Familie Vuitton. Der führende<br />
Kosmetikriese L’Oréal startete 1994 die Übernahme<br />
von Lanvin. Die anfängliche Beteiligung von 50 Prozent<br />
wurde 1995 auf 66 Prozent und 1996 schliess-<br />
Jeanne Lanvin war berühmt für<br />
ihre Kleider aus zarten, luftigen Stoffen<br />
in hellklaren Farben und mit üppigen<br />
handgenähten Verzierungen.