ego Magazin Bitburg Ausgabe 27
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Ausdauer & starker Wille<br />
: Rennrollstuhlfahrerin Julia Würthen aus Biersdorf<br />
ist mit vier deutschen Rekorden eine der schnellsten<br />
im Land<br />
w Bettina Bartzen I Bettina Bartzen, Archiv Julia Würthen<br />
Infos,<br />
Bestzeiten<br />
& Rekorde<br />
Zur Person: Julia Würthen<br />
Alter: 15 Jahre<br />
Wettkämpfe in 2017: 23<br />
Bestzeiten und Deutsche Rekorde:<br />
100m: 19,74 Sek. (Mai 2017)<br />
200m: 36,65 Sek. (August 2017)<br />
400m: 1:18,31 Sek. (August 2017)<br />
800m: 2:41,93 Sek. (August 2017)<br />
www.rennferkel.com<br />
Julia fährt mit ihrem Rennrollstuhl<br />
Rekordzeiten. Ihre Medaillen passen<br />
kaum um den Hals, so viele Wettkämpfe<br />
hat die amtierende deutsche Hallenmeisterin<br />
schon gewonnen. „Vor dem<br />
Startschuss wird alles um mich herum<br />
ruhig. Dann ist mir bewusst, ich fahre<br />
für mein Land und alle schauen zu“,<br />
erzählt Julia Würthen.<br />
Bis jetzt erzielte sie vier neue deutsche<br />
Rekorde allein in diesem Jahr.<br />
An ihrem zehnten Geburtstag hatte<br />
sie durch ihre Freundin Lea ihr erstes<br />
Training. Schnell stellte sich heraus,<br />
Julia besitzt Talent und Ausdauer, den<br />
Rennrollstuhl zu beschleunigen. „Am<br />
Anfang war ich so kraftlos“, erinnert<br />
sich die heute 15-Jährige. Den ersten<br />
Wettkampf verlor sie gnadenlos. „Unsere<br />
Sorge war nur, dass sie in der Bahn<br />
bleibt“, erinnert sich Thomas Würthen,<br />
Vater von Julia. „Das Rennen sieht so<br />
spielerisch aus. Dahinter steckt ein genaues<br />
Gefühl, Technik und Timing zu<br />
erarbeiten, damit der Rennrollstuhl<br />
präzise in der Bahn bleibt.“ Es gibt kein<br />
Lenkrad, allein die Hände müssen die<br />
Kurven ausgleichen. Mit einem speziellen<br />
Handschuh wird die Rennmaschine<br />
nach vorne getrieben, indem<br />
die Hand auf den Schlagring schlägt.<br />
Die Kraft in den Armen, die Technik<br />
und die Ausdauer ist das Wichtigste<br />
zum schnellen Fahren.<br />
Aber diese Niederlage in der Schweiz<br />
schreckte Julia nicht zurück. Die damals<br />
10-Jährige sagte sich: „Entweder<br />
richtig oder gar nicht.“ Der gebrauchte<br />
Rollstuhl wurde immer wieder umgebaut.<br />
Später bekam sie den Rennrollstuhl<br />
von ihrer Freundin Lea. Mittlerweile<br />
fährt sie einen professionellen<br />
Rennrollstuhl, der 6000 Euro wert ist.<br />
Diese Summe spendeten viele Fans<br />
und das Heart-Racer Team aus Heidelberg<br />
für Julia.<br />
Jeden Samstag fährt sie zum paralympischen<br />
Trainingsstützpunkt nach<br />
Saarbrücken, dem Mekka für Rennrollstuhlfahrer.<br />
Sie trainierte u.a. vier Jahre<br />
im Nachwuchsteam „Rio ruft“. Dieses<br />
Jahr ist sie im weiterführenden Team<br />
„Go for Tokyo!“ Kraftübungen, wie<br />
mit Nordic Walking Stöcken den Alltagsrollstuhl<br />
beschleunigen und Gymnastik<br />
gehören mehrmals wöchentlich<br />
zum Trainingsprogramm. Seitdem die<br />
Para-Leichtathletin regelmäßig trainiert,<br />
hilft ihre Muskelkraft auch im<br />
Alltag. „Ich kann viel mehr alleine machen<br />
und habe kaum mehr Schmerzen“,<br />
sagt Julia.<br />
Sie kam mit einer Spina bifida (offener<br />
Rücken) zur Welt und ist seitdem<br />
querschnittsgelähmt. Der Rücken wurde<br />
damals mit mehreren Titanstangen<br />
versteift, da ihr zwei Wirbel fehlen.<br />
Seitdem sie intensiv Sport macht, sind<br />
keine Stangen mehr notwendig, weil<br />
die gestärkte Muskulatur den Rücken<br />
hält. Auf der Juniorenweltmeisterschaft<br />
in der Schweiz fuhr sie drei deutsche<br />
Rekorde als Schnellste in ihrer Klassifizierungs<br />
T 53. In dieser Gruppierung<br />
starten Sportler mit einer kompletten<br />
Querschnittlähmung, ohne Rumpfbewegung.<br />
Auch ihre Hände sind teilweise<br />
beeinträchtigt.<br />
Der Sport gibt ihr nicht nur muskuläre<br />
Kraft, um den Alltag zu bewältigen,<br />
sondern sie hat auch viele Freunde gefunden.<br />
Als aktuellstes Highlight wurde<br />
Julia offiziell in den C-Kader der Nationalmannschaft<br />
berufen. Hinter diesem<br />
Erfolg steht auch ihre Familie. Urlaub<br />
und Freizeit werden nach den Wettkämpfen<br />
geplant. Auf härteren Mondobahnen<br />
fährt es sich schneller als auf<br />
den weicheren Tartanbahnen. Deshalb<br />
fährt sie am liebsten in der Schweiz.<br />
Neben ihrem Hobby als Rennrollstuhlfahrerin<br />
ist die Sportlerin ein begeisterter<br />
Titanic Fan. Wenn der Wind auf der<br />
Rennbahn in den Haaren weht, das ist<br />
wie auf der Titanic. „Für mich ist das<br />
Schiff faszinierend, da es als unsinkbar<br />
galt und doch schicksalshaft gesunken<br />
ist“, sagt Julia. Sie sammelt alle Informationen<br />
über die Titanic. Nach ihrem<br />
Schulabschuss würde sie gerne zur<br />
Bundeswehr gehen. Nebenbei betreibt<br />
sie einen eigenen Youtube-Kanal, während<br />
sich Papa Thomas um die eigene<br />
Homepage kümmert. Vielleicht fällt<br />
der nächste große Startschuss für Julia<br />
in Tokio zu den Paralympics 2020.<br />
Ausdauer und starker Wille begleiten<br />
Julia seit ihrer Geburt. Deshalb wurde<br />
sie von ihrem Orthopädietechniker<br />
„Rennferkel“ getauft. „Entweder richtig<br />
oder gar nicht.“ •<br />
28<br />
<strong>ego</strong> N°<strong>27</strong>/2017<br />
Julia Würthen