O7 Daun Oktober 2017
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ekommen. Das ist nicht gerecht.“ Zum Beispiel<br />
komme regelmäßig ein Unternehmer, der total<br />
abgerutscht sei. Die Frau habe das Finanzielle<br />
geleitet und ihn in den Ruin gebracht. Lauer:<br />
„Betroffene setzen ja oft ihre Lebensversicherung<br />
ein, die sie fürs Alter angespart haben, um den<br />
Betrieb zu retten. Wenn das auch nicht hilft,<br />
sind sie völlig nackt.“ Und was den beiden auch<br />
immer wieder nahegeht, sind die vielen alleingelassenen<br />
Frauen mit Kindern. Jemand aus dem<br />
oberen Management eines mittelständischen<br />
Unternehmens sei arbeitslos geworden und habe<br />
sich dann „vom Acker gemacht“. Seine Frau<br />
habe weinend um Hilfe gebeten: „Die Frauen<br />
stehen dann erst einmal da ohne irgendwelche<br />
Unterstützung. Das dauert, bis die Bürokratie<br />
erledigt ist.“<br />
Noch nie waren in Deutschland so viele Menschen<br />
in Arbeit wie heute. Und: noch nie waren<br />
so viele Menschen prekär beschäftigt wie seit<br />
den Arbeitsmarktreformen unter SPD-Bundeskanzler<br />
Gerhard Schröder. Geringverdiener sind<br />
zum allergrößten Teil noch gar nicht bei ihrer<br />
absehbar zu geringen Rente angekommen. Aber<br />
Experten warnen längst vor einer Welle der Altersarmut,<br />
die auf uns zurollt. Die Gründe dafür<br />
sind dem Sozialministerium in Mainz ebenfalls<br />
bekannt: Dazu gehören neben Minijobs, zu<br />
geringen Löhnen, der „Lohndiskriminierung bei<br />
Frauen (…) aber auch das sinkende Rentenniveau.“<br />
Letzteres wird bis 2030 um weitere fünf<br />
auf 43 Prozent absinken. Vollmundig verweisen<br />
die Politiker auf die Grundsicherung, die den<br />
Menschen zustünde.<br />
Schon jetzt können viele Menschen nicht mehr<br />
von ihrer Rente leben, obwohl sie zeitlebens<br />
alles gegeben haben. So wie Heinrich Kolb (64)<br />
aus Mannebach. Er ist gelernter Metzger, hat<br />
auf dem Bau gearbeitet oder im KFZ-Bereich<br />
in der Produktion. Auch auf Montage war er<br />
lange Jahre. Sein rechtes Bein ist schwächer seit<br />
der Kinderlähmung. Deshalb zieht er es etwas<br />
nach. Das habe ihn nie gestört, er habe arbeiten<br />
wollen, bis zum regulären Renteneintritts-Alter<br />
von 65 Jahren und sieben Monaten, sagt er.<br />
Nachdem er 45 Jahre lang in die gesetzliche<br />
Rentenversicherung eingezahlt hatte, kamen die<br />
Rückenprobleme – wahrscheinlich aufgrund der<br />
Körperhaltung durch das Bein. Nichts ging mehr,<br />
er wurde arbeitslos und bekam Arbeitslosengeld I.<br />
Als die Zeit zu Ende ging, hätte er Anspruch auf<br />
6<br />
Leistungen nach ALG II – besser bekannt als<br />
Harz IV – gehabt. Damals hat man ihm geraten,<br />
die vorgezogene Altersrente wegen Schwerbehinderung<br />
zu beantragen, denn er habe schließlich<br />
45 Jahre eingezahlt. Das war vor einem<br />
halben Jahr. Jetzt bekommt er 860 Euro pro<br />
Monat – weniger als ALG II. Das Jobcenter hätte<br />
Michael Lauer und Gertrud Donkers bezeichnen sich als<br />
Überzeugungstäter: Statt ihren Lebensabend zu genießen,<br />
helfen Sie Menschen in der <strong>Daun</strong>er Tafel.<br />
Heinrich Kolb hat trotz seiner kleinen Behinderung<br />
alles gegeben – und rutscht am Ende durch das beste<br />
Netz der Welt.<br />
Viele ihrer Mitglieder scheitern bereits an der Antragstellung.<br />
30 Seiten sind es beim Rentenantrag, sagen<br />
Katharina Theis (links), Kreisgeschäftsführerin des Sozialverbandes<br />
VdK, und Marita Horn, Kreisvorsitzende.<br />
Natalie Ivanov führt das durch, was in Deutschland als<br />
Gerechtigkeit betrachtet wird. Sie leitet das zuständige<br />
Sachgebiet der VGV <strong>Daun</strong>.<br />
zu seinem Grundbedarf auch noch eine Mehrleistung<br />
für seine 65-prozentige Behinderung<br />
anerkennen müssen. Für sein Haus zahlt er noch<br />
etwas mehr als 300 Euro pro Monat ab. Insgesamt<br />
liegen allein seine Wohnkosten bei 560<br />
Euro. Zum Leben bleibt ihm also weniger als<br />
der vorgesehene Satz zum Lebensunterhalt für<br />
einen ALG-II-Empfänger. „Diese Leistungen kann<br />
er jetzt nicht mehr beantragen, denn er steht<br />
dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung,<br />
er ist schließlich Rentner“, sagt Katharina Theis<br />
vom Sozialverband VdK in <strong>Daun</strong>. So wie Kolb<br />
würden viele Menschen vorzeitig in die Rente<br />
gedrängt. Der Sozialverband hat sich seiner<br />
Sache angenommen und alle Optionen geprüft.<br />
Theoretisch stünde ihm als Rentenbezieher unterhalb<br />
des Rentenalters noch aufstockende Hilfe<br />
zum Lebensunterhalt zu. Es scheitert an dem<br />
spitzen Bleistift der Vorschriften. Denn ganz egal,<br />
was Kolb tatsächlich zahlen muss, ihm steht eine<br />
45 Quadratmeter große Wohnung in Mannebach<br />
zu und die wird mit 312 Euro inklusive Heizung<br />
bei den angemessenen Wohnkosten angesetzt.<br />
Und das, obwohl es in ganz Mannebach eine<br />
derartige Wohnung nicht gibt. 312 Euro plus<br />
dem obligatorischen Satz von 409 Euro für die<br />
Lebenshaltung sind 721 Euro. Da er mit der<br />
Rente höher liegt, bekommt er nichts, auch kein<br />
Wohngeld. Fazit: Kolb fällt durch das beste Netz<br />
der Welt. Nach 45 Jahren harter Arbeit hat er<br />
leider Pech gehabt! Kolb kann nur überleben,<br />
wenn er sich gehörig einschränkt.<br />
Wer ins Alter kommt und von seiner Rente<br />
nicht leben kann, der kann bei der Verbandsgemeindeverwaltung<br />
Grundsicherung beantragen.<br />
Natalie Ivanov führt das durch, was in<br />
Deutschland als Gerechtigkeit betrachtet wird.<br />
Sie leitet das zuständige Sachgebiet 2.7. Die VG<br />
<strong>Daun</strong> zählt derzeit 71 Personen, die Grundsicherung<br />
wegen Erwerbsunfähigkeit erhalten<br />
und 67 Personen, die im Alter Grundsicherung<br />
in Anspruch nehmen. Wann Letztere Anspruch<br />
haben? Das kommt darauf an, was man besitzt,<br />
wie hoch die Rente ist und wie sich die Kosten<br />
gestalten. Hier gilt für den Lebensunterhalt einer<br />
alleinstehenden Person der gleiche Satz wie in<br />
Harz IV: 409 Euro. Hinzu kommen die Kosten<br />
für eine „angemessene“ Unterkunft und die Heizung.<br />
Das geschützte Vermögen liegt bei 5.000<br />
Euro, das geschützte Haus für Alleinstehende<br />
darf nicht größer sein als 90 Quadratmeter. Was<br />
der Antragsteller darüber hinaus besitzt, müsse<br />
vorrangig zur Bestreitung des Lebensunterhaltes<br />
eingesetzt werden. Wer sich mühsam sein Haus<br />
zusammengespart hat, müsse aber jetzt nicht<br />
gleich Abschied davon nehmen: „Die Sozialleistungen<br />
werden dann als Darlehen gezahlt und<br />
müssen spätestens beim Hausverkauf an uns<br />
zurückgezahlt werden“, klärt Frau Ivanov auf.<br />
Immerhin sind, im Unterschied zu anderen