Hamm, Unna, Hagen - coolibri Dezember 2017
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BLICKPUNKT REGION<br />
D O R T M U N D<br />
Perspektiven<br />
Atemberaubende Aussicht vom Dortmunder U<br />
Foto: Lina Niermann<br />
Die eigene Stadt mit<br />
anderen Augen sehen<br />
– Wie ist es, einen<br />
Tag lang als<br />
Tourist durch die<br />
Heimat zu streifen?<br />
Wir haben es ausprobiert.<br />
Lina Niermann<br />
hat sich Dortmunds<br />
Touristen-<br />
Magneten angesehen<br />
und Tossia Corman<br />
war in Düsseldorf<br />
unterwegs.<br />
Die Tour startet bei strömendem Regen am<br />
Hauptbahnhof Dortmund. Auf dem Vorplatz treffe<br />
ich Tanja Rudloff und ihre Tochter Linnea. Sie<br />
sind für das Helene-Fischer-Konzert extra aus<br />
Lüneburg angereist. Ihr erster Eindruck von<br />
Dortmund? „Der Bahnhof ist etwas schmuddelig“,<br />
meint Tanja. Dann deutet sie auf die Stadtund<br />
Landesbibliothek auf der gegenüberliegenden<br />
Straßenseite. „Was ist das denn für ein<br />
schönes Gebäude?“, fragt sie. Der halbrunde,<br />
von dem Schweizer Mario Botta entworfene<br />
Glasbau sieht mit seinen verspiegelten Scheiben<br />
tatsächlich ganz schick aus, stelle ich fest.<br />
Wie es sich für einen echten Touristen gehört,<br />
geht es vom Bahnhof zuerst zum Tourismusbüro<br />
in der Kampstraße. Die Dame hinter dem Info-<br />
Schalter empfiehlt u. a. die Petrikirche, das Dortmunder<br />
U, eine Hop-on Hop-off Citytour mit dem<br />
Doppeldecker-Bus und die Thier-Galerie.<br />
Goldenes Wunder<br />
Das mittelalterliche Sandsteingebäude ragt vor<br />
mir auf. Bisher bin ich an der Petrikirche immer<br />
nur vorbeigelaufen. Jetzt wird es Zeit, auch einmal<br />
das Innere zu betreten. Angeblich gibt es<br />
dort ein Wunder zu bestaunen. Das Goldene<br />
Wunder von Westfalen, ein flämischer Flügelaltar<br />
aus dem Jahr 1521, nimmt den kompletten<br />
vorderen Teil der Kirche ein. Er ist gleich mit<br />
zwei Flügelpaaren ausgestattet, sodass der Altar<br />
in drei verschiedenen Öffnungszuständen<br />
„Wandlungen“ gezeigt werden kann. Seine volle<br />
Pracht entfaltet er immer ab dem zweiten Sonntag<br />
im Oktober, denn dann wird er vollständig<br />
geöffnet und die in seinem Bauch verborgenen<br />
Schnitzfiguren kommen zum Vorschein. Die sogenannte<br />
Festtagsseite beherbergt 633 vergoldete,<br />
detailreich gestaltete Figuren, die die Passionsgeschichte<br />
darstellen. Antwerpener Handwerkskunst<br />
par excellence.<br />
8<br />
Kunst in der Brauerei<br />
„Emerging Artists <strong>2017</strong>“ lautet der Titel einer<br />
kostenlosen Ausstellung in der ehemaligen Union-Brauerei.<br />
Kunst für umsonst? Nichts wie<br />
rein. Unter den Werken ist auch das Projekt<br />
„Wörter aus einem untergegangenen Land“ der<br />
Künstlerin Mahsa Esmaeili. Dabei nimmt sie<br />
DDR-Begriffe und stellt sie in Fotos dar. Auf einem<br />
Bild streckt ein Mann sein Bein aus der<br />
Wanne, an seinem Fuß eine rote Socke. Der<br />
Westler rätselt. Zum Glück erklärt eine Tafel,<br />
dass „rote Socke“ in der DDR eine Bezeichnung<br />
für regimetreue Bürger war. Für einen Augenblick<br />
kommt die Sonne raus, also noch zur<br />
Dachterrasse des U-Turms, von der aus der Blick<br />
frei über die Stadt schweifen kann. Dortmund,<br />
mit seinen in die Luft stechenden Kirchturmspitzen,<br />
dem RWE Tower und den rostroten Eisenbahnschienen,<br />
die sich nördlich des Walls<br />
entlangschlängeln. Am Horizont zeichnen sich<br />
Hoesch-Gasometer und Florianturm ab.<br />
Imbiss und Shopping-Wahn<br />
Hunger macht sich breit. Und wie lautet eine uralte<br />
Touristen-Weisheit? Wenn du etwas Gutes<br />
haben willst, gehe dorthin, wo die Einheimischen<br />
essen. Die Schlange vor Wurst Willi ist<br />
lang. Ein gutes Zeichen. Als ich an der Reihe bin,<br />
bestelle ich ein Gericht, das zu einem Ruhrpott-<br />
Tag einfach dazugehört: Currywurst-Pommes.<br />
„Scharf machen?“ fragt mich die routinierte Verkäuferin.<br />
Ich bin kurz irritiert, dann nicke ich.<br />
Gut gestärkt geht es in die empfohlene Thier-Galerie,<br />
aber nur kurz. Der nasse Samstag hat halb<br />
Dortmund in den Shopping-Tempel gespült. Das<br />
Gewimmel und Geschiebe ist nicht auszuhalten.<br />
Mit der nächsten Welle Kauflustiger lasse ich<br />
mich wieder auf die Straße tragen. Da sind mir<br />
die kleinen Geschäfte in Kaiserstraßen- und<br />
Kreuzviertel doch wesentlich lieber.<br />
Nur der BVB<br />
Dortmund gilt als Fußballmetropole. Seit zwei<br />
Jahren beherbergt die Stadt nun auch das Deutsche<br />
Fußballmuseum. Im Foyer hockt eine bunt<br />
bejackte Männertruppe zwischen ihren Fahrrad-Taschen.<br />
Die vier Männer aus dem Münsterland<br />
machen einmal im Jahr eine längere Radtour.<br />
Diesmal sollte es über den Ruhrtal-Radweg<br />
durch das Ruhrgebiet gehen, doch der Regen<br />
hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.<br />
Jetzt wollten sie sich wenigstens noch<br />
das Museum ansehen. „Aber der Eintrittspreis<br />
hat uns abgeschreckt“, sagt Karsten Schulz. So<br />
warten Karsten, Swen, Bruno und Norbert im<br />
Trockenen auf ihren Anschluss-Zug nach Hause.<br />
Auch mir ist der Eintritt mit 17 Euro zu teuer.<br />
Dann lieber zum Stadion und zum BVB-Fanshop.<br />
Wer noch auf der Suche nach einem Dortmunder<br />
Souvenir ist, wird dort mit Sicherheit fündig.<br />
Mit vollbepackten Einkaufstüten stehen Siegfried<br />
und Melanie Engel vor dem Laden. Sie sind<br />
aus Memmingen angereist und eingefleischte<br />
BVB-Fans. Im vergangenen Jahr haben sie die<br />
kleine Stadiontour gemacht, eine Führung hinter<br />
die Kulissen des Vereins. „Ein absolutes<br />
Highlight, kann ich nur empfehlen“, schwärmt<br />
Siegfried Engel, „man kommt sogar bis in die<br />
Mannschaftskabine.“<br />
Im Fanshop gibt es nichts, was es nicht gibt.<br />
Neben Fußballtrikots, BVB-Bademänteln und<br />
Gläsern mit original BVB-Bratwurst-Senf strahlen<br />
mich schwarz-gelbe Gartenzwerge an. Vielleicht<br />
einen BVB-Schnuller? Oder ein 3D-Stadionpuzzle?<br />
Sogar eine nachgebaute Tribüne<br />
steht im Laden. Dahinter eine Fototapete, die<br />
das Innere des Stadions zeigt. Was fehlt noch<br />
für einen echten Touri-Tag? Richtig, ein Selfie.<br />
Ich setze mich auf die Tribüne, greife noch<br />
schnell die überdimensionale Plüschbiene Emma<br />
und – bitte lächeln! Lina Niermann