Neue Szene 2017-12
Stadtmagazin für Augsburg
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ZOOM<br />
Eine Expedition in ...<br />
... das Reich des Barts<br />
Bart zu tragen, wird immer populärer.<br />
Waren es vor ein paar Jahren noch vornehmlich Hippster, Islamisten oder Ökos, die Bart trugen, ist er heute für Männer aus den<br />
verschiedensten Milieus „in“. Anlass genug, um unseren Redakteur Marcus Ertle zum Barbier zu schicken.<br />
Der Mann und sein Bart. Das ist eine Beziehung, die Frauen nie verstehen<br />
werden. Das klingt jetzt etwas pathetisch, oder? Ich glaube, ich<br />
habe noch nie so intensiv über meinen Bart nachgedacht wie in den letzten<br />
Tagen. Oder, nein, falsch, es fing im letzten Sommerurlaub an, als<br />
ich beschlossen habe, mich nicht mehr zu rasieren und in den nächsten<br />
Monaten fasziniert die Entstehung meines Barts verfolgt habe. Allein so<br />
einen Satz kann eine Frau wohl kaum verstehen, denn in ihrer Lebenspraxis<br />
geht es ja genau um das haarauszupferische Gegenteil. Übrigens eine<br />
der wenigen Bereiche, bei denen ich mir denke, dass ich froh bin, ein<br />
Mann zu sein und keine Frau. Ich stelle mir das ständige Zupfen und Epilieren<br />
diverser unerwünschter Härchen ziemlich anstrengend vor. Immer<br />
im Wettlauf mit der Natur.<br />
Aber entlarvt mich diese Sicht der Dinge vielleicht schon als gestrig?<br />
Ist es nicht ausgemacht, dass auch wir Männer immer mehr auf unser<br />
Äußeres schauen müssen? Dass Behaarung nicht mehr per se als erstrebenswerter<br />
Ausdruck von Maskulinität gilt?<br />
Eines scheint mir sicher: Wir befinden uns in einer Übergangsphase.<br />
Die Männlichkeit befindet sich ja in einer Krise. Die Frauen werden<br />
zunehmend emanzipierter, männliche Körperkraft verliert in Alltag und<br />
Beruf immer mehr an Bedeutung und die neueste Sexismus-Debatte<br />
stellt das erotische Gebaren von Männern grundsätzlich in Frage. Eigentlich<br />
sollte man also meinen, dass der Bart sich als Ausdruck archaischer<br />
Männlichkeit auf dem Rückzug befindet, dass Männer auch optisch<br />
weiblicher werden. Allein: Das Gegenteil trifft zu. Aber wieso?<br />
Ich begebe mich auf eine Bartexpedition nach Kriegshaber. Dort<br />
hat Sezer Soylu, Deutschlands bester Barbier, seinen Salon. Ich trete<br />
ein. Rechts steht gleich ein Motorrad, links werkeln gepflegte Herren in<br />
Weste an den Bärten diverser männlicher Kunden herum. Sezer Soylu<br />
begrüßt mich freundlich. Er hat natürlich einen beeindruckenden Bart<br />
und wirkt wie der stolze kluge Wirt eines orientalischen Lokals. Man<br />
fühlt sich mehr als Gast denn als Kunde. Ich darf erst mal in einer Sofaecke<br />
Platz nehmen und lasse alles auf mich wirken. Was haben wir denn<br />
hier alles?<br />
Fast ein wenig aus der Zeit gefallen und damit natürlich genau das,<br />
was viele Männer gerne haben. Elvis Presley singt und schwingt die<br />
Hüften in einem Bildschirm an der Wand, viel dunkles Holz, sogleich<br />
wird schwarzer Tee serviert, das ist alles sehr schön. Links von mir sitzt<br />
ein müder Handwerker, rechts von mir ein südländischer Teenager mit<br />
beeindruckendem Bartwuchs, neben ihm ein Mann, der eine frappierende<br />
Ähnlichkeit mit Sami Khedira hat. Was völlig fehlt: Frauen.