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Landkreis Marburg Biedenkopf - ganz persönlich

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Die Größe der Stadt und die kulturelle Vernetzung dort<br />

war für mich entscheidend für meinen beruflichen Werdegang<br />

als Filmemacher. In Berlin hätten wenig Leute von einem<br />

Super-8-Amateurfilmer Notiz genommen, aber in<br />

<strong>Marburg</strong> konnte ich mit meinen eigenproduzierten Filmen<br />

Säle füllen und wurde von der Oberhessischen Presse als<br />

„Hitchcock von <strong>Marburg</strong>” tituliert. Mein Film „Zeichen<br />

und Wunder”, eine Dreiecksgeschichte unter Studenten,<br />

war sogar ein kleiner Hit, spielte das Doppelte seines Budgets<br />

ein und verschaffte mir den Kontakt zu einer Redakteurin<br />

beim ZDF, die selber in <strong>Marburg</strong> studiert hatte und<br />

noch für eine Anzeigenzeitung Filmkritiken schrieb.<br />

1995 kehrte ich für meinen zweiten ZDF-Film nach <strong>Marburg</strong><br />

zurück. Ich wollte einen Film mit und über Jugendliche<br />

machen und suchte nach einer Möglichkeit, meine Haltung<br />

zu der Stadt und der Gegend in Bilder zu fassen. Der<br />

Film beginnt mit dem Blick eines Jugendlichen von der<br />

Mauer des Schlosses herab auf die Stadt im Morgengrauen.<br />

Eine Situation, die ich als Jugendlicher und junger Erwachsener<br />

häufig erlebt hatte: ein Zwischenstopp auf dem Weg<br />

nach Hause nach einer durchgemachten Nacht (ich wohnte<br />

in Wehrs hausen). Der Sonnenaufgang am Schlossberg gibt<br />

„Dies ist meine Heimat, und sie ist ein Teil von<br />

mir, ob ich will oder nicht.“<br />

31<br />

Herbststimmung am Hörsaalgebäude der Universität <strong>Marburg</strong><br />

um abgeschlossen. Ich spielte Theater in der Englischen<br />

Theatergruppe, genoss die Musikszene im Kulturladen<br />

KFZ, arbeitete im studentischen Filmclub, machte erste<br />

Gehversuche in der überschaubaren, aber doch lebendigen<br />

Schwulenszene und setzte vor allem meine Filmarbeit, die<br />

ich bereits in der Schule begonnen hatte, fort.<br />

dir eine Distanz zur Welt, eine Möglichkeit der ruhigen<br />

Introspek tion. In dem Film selber werden fünf Episoden<br />

um Jugendliche zwischen Anpassung und Aufbruch erzählt.<br />

Wie ich kamen auch die Figuren in den Geschichten<br />

nicht so einfach von der Stadt los. In der letzten Episode<br />

bricht eine Gruppe von Freunden nachts spontan nach England<br />

auf – in einem klapprigen VW-Bus, der aber kurz vor<br />

Caldern wegen eines Ölschadens liegenbleibt. Eine zufällig<br />

vorbeikommende Bekannte hilft ihnen mit etwas Öl aus –<br />

mit dem kommen sie gerade zurück nach <strong>Marburg</strong>, um an<br />

der Autobahntank stelle aufzutanken. Im letzten Bild des<br />

Films schreitet die jugendliche Hauptfigur von der Tankstelle<br />

weg und wir blicken mit ihr auf das Stadtpanorama<br />

in der Morgendämmerung. Eine Klammer zum Bild am<br />

Anfang: Dies ist meine Heimat, und sie ist ein Teil von mir,<br />

ob ich will oder nicht.<br />

Ich bin heute vielleicht zwei- oder dreimal im Jahr in der<br />

Stadt, weil meine Eltern dort wohnen. Da die Stadt fast in<br />

der geografischen Mitte Deutschlands liegt, ist sie ein praktischer<br />

Treffpunkt für die Familienmitglieder. In der Stadt<br />

selber fühle ich mich zunehmend fremd. Vieles hat sich verändert,<br />

ist umgebaut, wirkt sehr touristisch, viele Nippes-<br />

Läden. Was ich emotional spüre ist eine Verbindung zu der<br />

Landschaft: das leichte Mittelgebirge, die sanften Hügel<br />

und Täler durchzogen von kleinen Flüssen. Diese Landschaft<br />

vermittelt mir ein Gefühl von Heimat.

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