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BIBER 11_17 ansicht

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Paula * überlegt lange,<br />

wie sie das jetzt am<br />

besten formulieren<br />

soll, sie will bloß nicht<br />

ausländerfeindlich rüberkommen.<br />

Sie, die Künstlerin, die ihre Kinder<br />

bewusst an Schulen mit MigrantInnen<br />

geschickt hat. Aber sie muss<br />

es jetzt einfach loswerden: „Die<br />

Migrantenkinder und ihre Eltern<br />

sind nie zu den gemeinsamen<br />

Festen gekommen, egal wie sehr<br />

wir uns bemüht haben.“ Paula war<br />

Elternvertreterin an der Volksschule<br />

ihrer Tochter im neunten Wiener<br />

Bezirk. Die Schule legt viel Wert auf Interkulturalität, viele<br />

SchülerInnen mit nichtdeutscher Muttersprache besuchen<br />

die Volksschule. Es gibt nicht nur Deutschförderung<br />

und Muttersprachenunterricht, sondern auch Türkisch<br />

und Arabisch sprechende SchulpsychologInnen. Sie hat<br />

sehr viel Mühe in diese Arbeit gesteckt. Damit es nicht an<br />

dem Finanziellen scheitert, übernimmt der Elternverein<br />

die Kosten für die Feste. Paula selbst bietet an, andere<br />

von zuhause abzuholen – trotzdem, die Migranten kommen<br />

nicht. „Ich glaube, manche haben die Sorge, dass<br />

Alkohol getrunken wird oder sie fühlen sich unwohl, weil<br />

ihr Deutsch nicht perfekt ist“, sagt Paula. „Die Kinder tun<br />

mir leid, sie sind nie auf den Festen oder Geburtstagsfeiern<br />

dabei.“ Am Anfang hat Paulas Tochter noch ihre<br />

türkischen Klassenkolleginnen zu ihren Geburtstagsfeiern<br />

eingeladen, mittlerweile hat sie aufgegeben. „Die kommen<br />

ja eh nicht“, hat sie zu Paula gesagt.<br />

Auch an der NMS, die Paulas Sohn besucht hat,<br />

zeichnet sich ein ähnliches Szenario ab. Sogar der<br />

Unterricht leidet darunter. „Die Migrantenkinder machen<br />

keine Hausübungen, sprechen schlechter Deutsch, die<br />

Eltern sind nicht dahinter“, sagt Paula.<br />

Ihr Sohn ist unterfordert, die LehrerInnen<br />

wiederholen nur den Volksschul-Stoff.<br />

Mittlerweile besucht ihr Sohn eine andere<br />

Schule mit weniger MigrantInnen. Die<br />

alten Probleme hat er jetzt nicht mehr.<br />

Dafür dreht sich auf einmal alles um<br />

Markenkleidung und Leistungsdruck.<br />

Auch mit den neuen KlassenkollegInnen<br />

kommt ihr Sohn nicht mehr so gut aus.<br />

„In der Ausländerklasse war mein Sohn<br />

etwas Besonderes, die Kinder haben<br />

„<br />

Mit den österreichischen<br />

Kindern, die an<br />

unserer Schule<br />

bleiben, stimmt<br />

etwas nicht.<br />

“<br />

ihn beneidet, die LehrerInnen<br />

haben ihn hervorgehoben. Jetzt<br />

ist er nur einer von vielen“, erzählt<br />

Paula nachdenklich. Sie hätte sich<br />

gewünscht, wenn es in seiner<br />

alten Schule geklappt hätte, das<br />

wäre die Art von Integration, die<br />

sie sich eigentlich vorstellt. Aber<br />

gleichzeitig glaubt sie, dass seine<br />

neue Schule ihrem Sohn bessere<br />

Zukunftschancen ermöglicht und<br />

das ist ihr in diesem Fall wichtiger.<br />

Sandra * versteht Eltern, die<br />

ihr Kind lieber in eine Schule mit<br />

weniger MigrantInnen geben. Beim<br />

Wohl ihrer Kinder wird die weltoffene Einstellung oft über<br />

Bord geworfen. Sandra selbst würde ihre Kinder niemals<br />

an eine Wiener NMS mit hohem Migrantenanteil schicken.<br />

Dabei unterrichtet sie an genau so einer Schule. Sandra<br />

ist seit 25 Jahren Lehrerin und unterrichtet an einer<br />

sogenannten Brennpunktschule. Der Anteil von SchülerInnen<br />

mit Migrationshintergrund an ihrer Schule beträgt<br />

95 Prozent. Sie hat viele österreichische Kinder kommen<br />

und gehen sehen. „Alle paar Jahre wagen es ein paar<br />

österreichische Akademiker ihre Kinder an unsere Schule<br />

zu geben, die bleiben aber nicht lange“, sagt Sandra.<br />

Jene österreichischen Kinder, die bleiben, haben ein<br />

Defizit. „Mit den österreichischen Kindern, die an unserer<br />

Schule bleiben, stimmt etwas nicht. Sie haben eine<br />

Lernschwäche, kommen aus sozial schwachen Familien<br />

oder haben irgendein anderes Problem“, so die Lehrerin.<br />

In der vierten Klasse, in der Sandra Klassenvorständin ist,<br />

sitzt ein solches Kind. Jaqueline * , die einzige Schülerin<br />

in dieser Klasse ohne Migrationshintergrund. Jaquelines<br />

Mutter arbeitet als Putzfrau, was der Vater macht, weiß<br />

man nicht genau. Das Mädchen fehlt oft, zuhause gibt es<br />

Probleme, das Geld ist knapp.<br />

Jaqueline ist eine aufgeweckte<br />

13-Jährige. Mit ihren blonden Haaren<br />

und den blauen Augen sticht sie in ihrer<br />

Klasse tatsächlich heraus. Was auch<br />

hervorsticht: Sie ist die einzige in der<br />

Klasse, die ohne Akzent spricht. Ihre<br />

KlassenkollegInnen halten Jaqueline für<br />

etwas Besonderes, dabei ist sie weder<br />

Klassenbeste noch trägt sie coolere<br />

Klamotten als die anderen. Das Thema<br />

um ihre Nationalität ist ihr unangenehm.<br />

/ POLITIKA / <strong>17</strong>

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