MTD_DDG_2017_12
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14 Kongress aktuell<br />
diabeteszeitung · 2. Jahrgang · Nr. <strong>12</strong> · 20. Dezember <strong>2017</strong><br />
Neurodegeneration als<br />
früher Vorbote einer Retinopathie<br />
Mehr als eine mikrovaskuläre Erkrankung<br />
LISSABON. Bis zu 30 % aller Menschen mit Diabetes entwickeln<br />
im Verlauf ihrer Erkrankung eine Retinopathie, bei etwa<br />
10 % schreitet diese so weit voran, dass das Augenlicht bedroht<br />
ist. Häufig gehen den mikrovaskulären Störungen neurodegenerative<br />
Schäden voraus. Lässt sich das präventiv nutzen?<br />
In der Vergangenheit galt die diabetische<br />
Retinopathie als eine mikrovaskuläre<br />
Komplikation des<br />
Dia betes mellitus, ausgelöst durch<br />
zu hohe Blutzuckerspiegel bzw. starke<br />
Schwankungen der Glukosewerte.<br />
Wie Professor Dr. Massimo Porta,<br />
Universität Turin, berichtete, hat<br />
die American Diabetes Association<br />
(ADA) mit ihrer kürzlich veröffentlichten<br />
Leitlinie 1 diese Definition<br />
revidiert. „Die diabetische Retinopathie<br />
wird darin als neurovaskuläre<br />
Komplikation beschrieben“, sagte<br />
Prof. Porta, „und der neurodegenerative<br />
Anteil der Erkrankung ist<br />
mindestens ebenso bedeutend wie<br />
der vaskuläre Anteil.“<br />
Suche nach geeigneten<br />
präventiven Maßnahmen<br />
Er erinnerte an die enge anatomische<br />
Verflechtung von Neuronen und Kapillaren<br />
in der Retina: „Nerven- und<br />
Gefäßzellen in der Netzhaut kommunizieren<br />
permanent miteinander, das<br />
sollten wir nicht vergessen“, erklärte<br />
»Die diabetische<br />
Retinopathie<br />
als neurovaskuläre<br />
Komplikation«<br />
Prof. Porta. Als Ausstülpung des<br />
zentralen Nervensystems hat<br />
die Retina ebenso wie das Gehirn<br />
einen immensen Sauerstoffbedarf,<br />
sodass selbst<br />
kleine Veränderungen beim<br />
Blutzufluss bereits große<br />
Folgen haben können.<br />
Ähnlich sensibel reagieren<br />
die Strukturen auch auf<br />
hohe Blutzuckerspiegel.<br />
Diese verursachen auf mikrovaskulärer<br />
Ebene Makulaödeme<br />
und Angiogenese in<br />
der Retina, die zur proliferativen<br />
Retinopathie und Netzhautablösung<br />
führen. Auf neuronaler<br />
Ebene komme es zu Funktionsstörungen<br />
infolge eines gestörten<br />
Glukosestoffwechsels und pathologischer<br />
Einlagerung von Polysacchariden,<br />
erklärte Prof. Porta.<br />
Erst in den letzten Jahren ist es durch<br />
den technologischen Fortschritt<br />
möglich geworden, funktionelle<br />
Ano malien der Retina bereits vor<br />
dem Auftreten einer mikrovaskulären<br />
Retinopathie festzustellen. Hierzu<br />
zählen leichte Veränderungen des<br />
Sichtfelds ebenso wie eine veränderte<br />
Reaktion auf Lichtstimulation sowie<br />
anatomische Veränderungen. „Neurodegenerative<br />
Prozesse scheinen<br />
also einer klinischen Retinopathie<br />
voranzugehen“, so Prof. Porta, „und<br />
diese Entdeckung treibt uns nun an,<br />
nach geeigneten präventiven Maßnahmen<br />
zu suchen.“<br />
Ein Versuch zur Erforschung präventiver<br />
Interventionen war die von der<br />
EU unterstützte, randomisierte Multicenter-Studie<br />
EUROCONDOR, die<br />
den Effekt verschiedener, topisch verabreichter<br />
neuroprotektiver Arzneien<br />
auf den neurodegenerativen Prozess<br />
untersucht hat. Neben Ophtalmologen<br />
waren an ihr auch Diabetologen<br />
und Grundlagenforscher beteiligt.<br />
An der Studie nahmen 449 Typ-<br />
2-Diabetes-Patienten mit vergleichbar<br />
stabiler Stoffwechseleinstellung<br />
So weit soll es gar nicht erst<br />
kommen: Wie lässt sich einer<br />
mikrovaskulären Retinopathie<br />
vorbeugen?<br />
Foto: Science Photo Library/<br />
Phanie/Garo<br />
Unerwünschte Ereignisse<br />
Unter der Behandlung mit Brimonidintartrat<br />
kam es zu einer hohen Anzahl unerwünschter<br />
Ereignisse. Es traten Augenschmerzen<br />
(32 %), okkulare Hyperämie (41 %), Fremdkörpergefühl<br />
(14 %), gesteigerter Tränenfluss<br />
(11 %), konjunktivale Follikel<br />
(16 %) und Konjunktivitis (15 %) auf.<br />
Die Studienautoren bewerteten<br />
eine Langzeitanwendung dieser<br />
Substanz daher als kritisch.<br />
teil, bei denen keine Hinweise auf<br />
eine diabetische Retinopathie oder<br />
Frühstadien einer mikrovaskulären<br />
diabetischen Retinopathie festgestellt<br />
worden waren.<br />
In zwei Studien- und einer Kontrollgruppe<br />
wurden den Patienten<br />
jeweils zweimal täglich die neuroprotektiven<br />
Substanzen Somatostatin<br />
0,1 % und Brimonidintartrat<br />
0,2 % bzw. Placebo als Augentropfen<br />
über 24 Monate hinweg verabreicht.<br />
Zwar konnte der neurodegenerative<br />
Progress durch<br />
die Medikation aufgehalten<br />
werden. Es stellte sich<br />
allerdings heraus, dass bei<br />
einer si gnifikanten Anzahl<br />
von Patienten weder<br />
Somatostatin noch Brimonidintartrat<br />
mikrovaskuläre<br />
Schäden der Retina verhindern<br />
oder das Fortschreiten verlangsamen<br />
konnte.<br />
Weg zur effektiven Therapie<br />
führt über Phänotypen<br />
Prof. Porta erklärte dieses Phänomen<br />
mit verschiedenen Phänotypen<br />
der Retinopathie. Während<br />
manche Phänotypen gut auf eine<br />
neuroprotektive Therapie ansprechen,<br />
scheinen Neurodegeneration<br />
und Mikroangiopathie bei anderen<br />
voneinander unabhängige Mechanismen<br />
zu sein. In künftigen Studien<br />
sollten daher diejenigen Phänotypen<br />
identifiziert werden, bei denen<br />
eine neuroprotektive Therapie das<br />
Entstehen oder Voranschreiten einer<br />
Retinopathie verhindern kann,<br />
schloss Prof. Porta. Antje Thiel<br />
1. Solomon SD et al. Diabetes Care <strong>2017</strong>; 40:<br />
4<strong>12</strong>-418<br />
53rd EASD Annual Meeting<br />
1:0 für den<br />
weiblichen Fettstoffwechsel<br />
Bessere Clearance von VLDL-Triglyzeriden verzögert die Diabetesdiagnose<br />
LISSABON. Selbst wenn Frauen und<br />
Männer ähnliche Mengen Leberfett<br />
und eine vergleichbare Produktion<br />
von VLDL1-Triglyzeriden aufweisen,<br />
sind Frauen aus Stoffwechselsicht im<br />
Vorteil. Denn ihr Körper baut die ungünstigen<br />
Lipoproteine besser ab als<br />
der von Männern.<br />
Wie kommt es, dass Männer im<br />
Vergleich zu Frauen zum Zeitpunkt<br />
der Diagnose Typ-2-Diabetes<br />
im Schnitt einen niedrigeren BMI<br />
haben? Und wie ist es zu erklären,<br />
dass Frauen meist niedrigere Plasma-Triglyzeridspiegel<br />
aufweisen?<br />
Diesen Fragen sind Professor Dr. Roy<br />
Taylor, Universität Newcastle, und<br />
sein Team in einer Studie nachgegangen,<br />
in der 89 Patienten (51 Männer<br />
und 38 Frauen) untersucht wurden.<br />
Diese waren im Mittel 53 Jahre alt,<br />
mit einem BMI von über 34 kg/m²<br />
deutlich übergewichtig und hatten<br />
knapp drei Jahre zuvor die Diagnose<br />
Typ-2-Diabetes erhalten.<br />
Ausschlaggebend ist der<br />
Körperfettanteil<br />
Obwohl ihre Lebern im MRT ähnlich<br />
viel Leberfett aufwiesen und<br />
vergleichbare Mengen an VLDL1-<br />
»Frauen haben<br />
weniger Triglyzeride<br />
im Plasma«<br />
Triglyzeriden produzierten, lagen die<br />
VLDL1-Triglyzerid-Raten im Plasma<br />
bei den Frauen deutlich niedriger<br />
als bei den Männern. Prof. Taylor<br />
vermutet, dass die bessere VLDL1-<br />
Clearance im weiblichen Organismus<br />
mit dem generell höheren Körperfettanteil<br />
zu tun haben könnte:<br />
„Eine gesunde, nicht<br />
übergewichtige Frau<br />
hat 22–24 % Körperfettanteil,<br />
ein entsprechender<br />
Mann hingegen<br />
kommt nur auf<br />
8–22 %. Er hat also per<br />
se einfach weniger Fettzellen,<br />
die VLDL1-Triglyzeride aufnehmen<br />
können.“<br />
Mit der besseren VLDL1-Clearance<br />
von Frauen erklärte Prof. Taylor<br />
auch, dass Frauen selbst bei erhöhtem<br />
BMI nicht so schnell an Typ-<br />
2-Diabetes erkranken wie Männer:<br />
„Wenn die Bauchspeicheldrüse<br />
weniger schädlichen Triglyzeriden<br />
ausgesetzt ist, bleibt sie länger von<br />
Typ-2-Diabetes verschont.“<br />
thie<br />
53rd EASD Annual Meeting<br />
Nicht per se<br />
schlecht –<br />
Fettzellen haben<br />
eine Clearancefunktion.<br />
Foto: fotolia/fotoliaxrender