LG München I, Endurteil v. 18.01.2017 – 9 O 5246_14
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<strong>LG</strong> <strong>München</strong> I, <strong>Endurteil</strong> v. <strong>18.01.2017</strong> <strong>–</strong> 9 O <strong>5246</strong>/<strong>14</strong><br />
Dafür sprechen zum einen die Überlegungen des Gesetzgebers, wie sie in der<br />
Gesetzesbegründung zu § 1901a Abs. 2 BGB (BT-Drs. 16/8442, S. 16, linke Spalte)<br />
ihren Ausdruck gefunden haben: „Kann ein auf die Durchführung, die Nichteinlösung<br />
oder die Beendigung einer ärztlichen Maßnahme gerichteter Wille des Betreuten<br />
auch nach Ausschöpfung alier verfügbaren Erkenntnisse nicht festgestellt werden,<br />
gebietet es das hohe Rechtsgut auf Leben, entsprechend dem wohl des Betreuten<br />
zu entscheiden und dabei dem Schutz des Lebens Vorrang einzuräumen.“ Ähnlich<br />
wird auch in der Rechtsprechung (BGH v. 06.07.2016 - Az. XII ZB 61/16 - Rz. 37)<br />
und teilweise in der Literatur (Palandt/Götz, a.a.O., § 1901a, Rz. 28; a.A.' dagegen<br />
Bamberger/Roth/Müller, Beck'scher Online-Kommentar, § 1901a, Rz. 24) in<br />
Zweifelsfällen ein Vorrang des Lebens betont. Bereits dies macht deutlich, dass für<br />
eine Vermutung beratungsgerechten Verhaltens hier kein Raum sein kann.<br />
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Zum andern hat aber auch der Sachverständige … in der mündlichen Verhandlung<br />
vom 28.11.2016 auf Grund eigener Erfahrungen ausgeführt, dass es immer wieder,<br />
Patienten gebe, die bei vergleichbarem Leiden wie dem des Vaters des Klägers - so<br />
sie ihren Willen äußern konnten - die Entscheidung für eine Fortsetzung der<br />
lebenserhaltenden Maßnahmen getroffen hätten, so dass es aus seiner Sicht sehr<br />
schwierig sei, allein aus den Leiden den Rückschluss darauf zu ziehen, welche<br />
Entscheidung im Sinne des Patienten gewesen wäre. Auch dies macht deutlich, dass<br />
es in einer so elementaren Frage keine Vermutung beratungsgerechten Verhaltens<br />
geben kann.<br />
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Somit hat der Kläger aber nicht den Nachweis geführt, dass im Falle einer Erörterung<br />
zwischen dem Beklagten und dem Betreuer tatsächlich die Entscheidung für eine<br />
Beendigung der PEG-Sondenernährung getroffen worden wäre.<br />
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2.4 Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines sog.<br />
„Aufklärungsmangels“.<br />
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Grundsätzlich muss ein Patient bzw. sein Betreuer vor der Durchführung eines<br />
Heileingriffs aufgeklärt werden und darin einwilligen; der ohne wirksame Einwilligung<br />
durchgeführte Heileingriff stellt eine rechtswidrige Körperverletzung gem. § 823 Abs.<br />
1 BGB und zugleich auch eine Verletzung der vertraglichen Pflichten gem. §§ 611,<br />
280 BGB dar (vgl. z.B. BGH, Urteil v. 07.02.2012 - Az. VI ZR 63/11 - Rz. 10;<br />
Staudinger/Hager, BGB, Neubearbeitung 2009, § 823, Rz. I 76). Der Patient muss<br />
also - zumindest im Großen und Ganzen - wissen, worin er einwilligt (BGH, Urteil v,<br />
07.02.1984 - Az. VI ZR 174/82 - Rz. 21). Er soll zu einer Risikoabwägung in der Lage<br />
sein, wozu er der grundlegenden Informationen bedarf. Das gilt grundsätzlich auch<br />
für die Ernährung mit einer PEG-Sonde (BGH v. 17.03.2003 - Az. XII ZB 2/03 - Rz.-<br />
33; vgl. BT-Drs. 16/8442, S. 16, rechte Spalte).<br />
49<br />
Allerdings gilt dies zunächst und vor allem einmal für die Entscheidung über die<br />
Anlage einer PEG-Sonde. Anders stellt sich die Situation demgegenüber bei der<br />
Entscheidung über die Aufrechterhaltung oder die Beendigung einer bereits<br />
begonnenen Sondenernährung dar. Denn hier haben die oben bereits dargelegten<br />
§§ 1901a ff. BGB eine ausdrückliche Regelung für die Entscheidungsfindung<br />
getroffen.<br />
50<br />
Unstreitig war es nicht der Beklagte, der die Ernährung mittels PEG-Sonde<br />
ursprünglich veranlasst hatte; er übernahm die Behandlung des Patienten erst zu