atw Vol. 63 (2018) | Issue 1 ı January
Die Novellierung der europäischen Dual-Use Verordnung –
eine unendliche Geschichte?
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Ulrike Feldmann
Entwicklung der europäischen Dual-Use Verordnung Erstmalig wurde mit der Verordnung (EG) Nr. 3381/94
des Rates vom 19. 12.1994 (ABl. Nr. L 367 vom 31.12.1994, S. 1) eine Gemeinschaftsregelung für die Ausfuhrkontrolle
von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck geschaffen. Mit der Verordnung (EG) Nr. 1334/2000 vom 22.06.2000
(ABl. Nr. L 159 vom 30.06.2000, S. 1) fand die erste größere Revision der Dual-Use Regelungen statt, mit der für den
Nuklearbereich nicht – wie bis dato – nur sensitives Material, d.h. Plutonium und hochangereichertes Uran, sondern die
gesamte Kategorie 0 (Nuklearmaterial, Anlagen, Ausrüstung) auch einer Genehmigungspflicht für die innergemeinschaftliche
Verbringung unterworfen wurde. Außerdem wurde mit der Verordnung 1334/2000 in Art. 21 Abs. 1
bestimmt, dass die Nukleargüter der Kategorie 0 nicht Gegenstand einer Allgemeingenehmigung sein können. Die
EU-Kommission erkannte dann schnell, dass das „Kind mit dem Bade ausgeschüttet“ und mit der rigorosen Erfassung
aller Nukleargüter der Kategorie 0 der innergemeinschaftliche Handel unnötig behindert wurde und nahm wenige
Monate später mit der Verordnung (EG) Nr. 2889/2000 vom 22.12.2000 einen kleinen Teil von Nukleargütern aus der
innergemeinschaftlichen Verbringungsgenehmigungspflicht wieder aus.
Ab 2006 arbeitete die Kommission an einer weiteren
umfassenden neuen Revision, um u.a. die UN Resolution
1540 vom 28.04.2004 zur Nichtverbreitung von chemischen,
biologischen, nuklearen Waffen und ihrer Trägersysteme
durch Verschärfung der Exportkontrolle umzusetzen
(z.B. durch Ausweitung des Geltungsbereichs auch
auf Vermittlungsdienstleistungen und Einbeziehung des
Technologietransfers, d.h. Bereitstellen von Software und
Technologie), aber auch um das Genehmigungsverfahren
zu beschleunigen und zu ver einfachen (z.B. durch die Einführung
neuer Allgemeingenehmi gungen der Gemeinschaft
für nicht-nukleare Dual-Use Güter). Nachdem die EU-
Kommission aufgrund massiver Kritik aus den Mitgliedstaaten
wie auch von Seiten der Industrie einen Teil
ihrer –praxisuntauglichen – Novellierungsvorschläge zurück
gezogen hatte, konnte die Revision verabschiedet
werden und erschien im Amtsblatt der EU als Verordnung
(EG) 428/2009 (ABL. Nr. L 134 vom 29.05.2009).
Novellierung der Dual-Use-Verordnung
428/2009/EG
Bereits vor der Verabschiedung der Verordnung 428/2009
hatte die EU-Kommission angekündigt, in einem weiteren
Schritt den Annex IV der Verordnung zu novellieren.
Sicherlich auch bedingt durch den Wechsel in der EU-
Kommission legte die derzeit amtierende EU-Kommission
erst im Herbst 2016 einen Revisionsentwurf vor, der jedoch
über eine bloße Überarbeitung des Annex IV weit hinaus
geht. Angedacht war von der Vorgänger-Kommission,
mit der Novellierung die gestiegenen Sicherheitsanforderungen
mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs
und dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen
Industrie zu einem besseren Ausgleich zu bringen
als bisher. Der Revisionsvorschlag der jetzigen EU-
Kommission wird diesem Ziel jedoch aus Sicht der
europäischen Nuklearindustrie wie auch aus Sicht der
nicht-nuklearen Industrie in der EU nicht gerecht.
Schutz von Menschenrechten und Cyber-Überwachungstechnologien
Im Vordergrund der Kritik steht sowohl der Vorschlag, in
die Dual-Use Verordnung den Schutz von Menschenrechten
aufzunehmen als auch der Vorschlag, Cyber-Überwachungstechnologien
als neuen Typus eines Dual-Use
Gutes in die Verordnung zu integrieren. Der Export von
Technologien soll stärker kontrolliert werden, wenn das
Risiko besteht, dass diese Technologien zur Überwachung
von Menschen genutzt werden können. Zweifellos ist der
Schutz von Menschenrechten ein hohes Gut. Angesichts
der weitreichenden und rasanten geopolitischen Veränderungen
wie auch angesichts ständig sich erweiternder
Möglichkeiten zur digitalen Überwachung muss die
Exportpolitik dieser Entwicklung zweifellos Rechnung
tragen. Dies sollte allerdings auf gesicherter gesetzlicher
Grundlage erfolgen. Zudem sollten verschärfte Kontrollregelungen
praktikabel und sinnvoll sein und mit Augenmaß
festgelegt werden. Zu bedenken ist dabei, dass heutzutage
Überwachungstechnologie in vielen Produkten enthalten
ist und zahlreiche Unternehmen ihre Waren weltweit vermarkten.
Des weiteren sollten verschärfte Kontrollregelungen
nicht dazu führen, dass Verbringung und Export von
Nukleargütern grundlos strengeren Kontrollen unterworfen
werden als andere Dual-Use- Güter.
Bedenken gegen den Kommissionsvorschlag
Jedoch bestehen zum einen Zweifel an der Mandatierung
der EU-Kommission. Zum anderen fehlt es an einer klaren
Definition der Menschenrechte im Kommissionsentwurf
selber. Außerdem divergieren die Definitionen im Katalog
der Menschenrechte in der Europäischen Menschenrechtskonvention
und in der UN-Menschenrechtscharta. Hinzu
kommt, dass der Kommissionsentwurf dem Exporteur, dem
Broker und/oder demjenigen, der technische Überwachung
zur Verfügung stellt, eine Prüfungs- und Informationspflicht
auferlegt, deren Erfüllung jedenfalls ohne nähere Erläuterung
(z.B. durch einen ent sprechenden Leitfaden) in vielen
Fällen nicht leistbar ist. Insbesondere kleinere Unternehmen
werden fachlich, zeitlich und personell nicht in der
Lage sein zu beurteilen, ob das zu exportierende Gut in
dem Empfängerland z.B. im Zusammen hang mit einem
bewaffneten Konflikt oder einem terroristischen Akt oder
von einem Dritten dazu benutzt werden soll, schwerwiegende
Menschenrechts verletzungen zu begehen. Mit
einem noch so guten „ Internal Compliance Programme“
(ICP) werden sich diese Fragen oftmals nur unzureichend
lösen lassen. Der Schutz von Menschenrechten ist im Inund
Ausland im Übrigen zuvörderst eine Staatsaufgabe.
Die Rechts unsicherheit auf Seiten der Unternehmen dürfte
– auch nach Einschätzung der deutschen Behörden – dazu
führen, dass sich die Unternehmer vermehrt ratsuchend an
die zuständige Genehmigungsbehörde wenden werden, so
dass deren Fallzahlen und damit die Wahrscheinlichkeit für
längere Genehmigungsverfahren steigen werden. Ähnliche
Bedenken bestehen gegen die Einführung einer „Catch-All“
Regelung, nach der alle Internet–Überwachungstechnologien
prinzipiell einer Exportgenehmigung bedürfen.
SPOTLIGHT ON NUCLEAR LAW
Spotlight on Nuclear Law
Council Regulation of the European Dual Use Regulation – A Never Ending Story? ı Ulrike Feldmann