Wie leben wir im Jahr 2030? Welche Herausforderungen erwarten uns? Und welche Rolle spielen die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) bei deren Bewältigung? Diesen Fragen geht das jetzt bei macondo publishing erschienene Jahrbuch "Global Compact Deutschland 2017" nach. Die Publikation stellt mögliche Zukunftsszenarien vor und lässt zentrale Akteure aus Wirtschaft, Politik, Forschung und Zivilgesellschaft zu Wort kommen. Darüber hinaus zeigen 29 deutsche Global Compact-Mitgliedsunternehmen in ihren Good Practice-Beispielen, mit welchen Maßnahmen sie dazu beitragen, die SDGs umzusetzen.
Über das Global Compact Deutschland 2017
Jahrbuch des deutschen Netzwerkes mit Beiträgen u.a. von H.E. António Guterres (Grußwort), Elmer Lenzen, Stefan Brunnhuber, Joachim Fetzer, Marion-Weissenberger-Eibl, Mathis Wackernagel sowie 29 deutschen Global Compact-Mitgliedsunternehmen. Hrsg.: macondo publishing Verlag. Münster 2017, 132 Seiten, durchgehend farbig, broschiert, FSC-zertifizierter und klimaneutraler Druck, limitierte Auflage. ISBN-13: 978-3-946284-04-8
WE SUPPORT
global
Deutschland
compact
Deutschland
2030
– Wie können wir die
SDGs umsetzen?
2017
Herausgegeben mit freundlicher Unterstützung durch:
GRUSSWORT
Twenty years ago, when I was starting my
functions as Prime Minister of Portugal,
the world was surfing a wave of optimism. The Cold
War had ended, technological prosperity was in full
swing, the internet was spreading and there was the
idea that globalisation would not only increase global
wealth, but that it would trickle down and would benefit
everybody in our planet.
H.E. António Guterres, UN Secretary-General
Twenty years afterwards, I would say that the picture is mixed. It’s true that globalisation,
technological progress have dramatically increased global trade, global wealth, it is true that
the number of absolute poor has been reduced and that living conditions have improved all over
the world but it is also true that globalisation and technological progress together have been
factors of increase of inequality. Eight persons in the world have as much wealth as half of the
world population.
At the same time, it is clear that people were left behind in the rust belts of this world, and youth
unemployment became a severe problem in different regions of our planet not only undermining
the future of those young people but also being an obstacle to the development of their countries
and in some situations being a part of the global threat created by the fact that without hope they
can easily be recruited by extremist organisations and we see that impact in global terrorism today.
Now it is true that that has generated a loss of confidence, loss of trust between peoples and
government or political establishments, between people and international organisations like
the UN, and between people and the idea of globalisation in itself, of global governance, and of
multilateral institutions.
I think it is important to recognise that there is a paradox because problems are more and more
global, challenges are more and more global, there is no way any country can solve them by
itself, and so we need global answers and we need multilateral governance forms, and we need
to be able to overcome this deficit of trust, and that in my opinion is the enormous potential of
the Agenda 2030; because the Agenda 2030 is an agenda aiming at a fair globalisation, it’s an
agenda aiming at not leaving anyone behind, eradicating poverty and creating conditions for
people to trust again in not only political systems but also in multilateral forms of governance
and in international organisations like the UN.
globalcompact Deutschland 2017
3
3
INHALT
Grußwort:
H.E. António Guterres, UN Secretary-General
Vision Deutschland 2030
6
6
20
24
30
34
38
Vision Deutschland 2030
Stakeholderbefragung: „Deutschland in 2030 –
Wie werden die SDGs umgesetzt?“
Eine Befragung von Dr. Elmer Lenzen
Wie können die SDGs finanziert werden?
Plädoyer für eine nachhaltige Parallelwährung
Prof. Dr. Dr. Stefan Brunnhuber
UN-Agenda 2030 – Besser nicht umsetzen?
Ein Plädoyer für Freiheit und Verantwortung im Umgang
mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs).
Prof. Dr. Joachim Fetzer
Was macht die Digitalisierung mit unserer Gesellschaft?
Studie der Arbeitsagentur
Nachhaltiger Konsum 2030
Ergebnisbericht der Szenarien-Werkstatt Nachhaltiger Konsum 2030
„Deutschland kann selbstbewusst auf eigene Erfolge
verweisen“
Interview mit Marion Weissenberger-Eibl
104GC Inside
104
106
108
112
113
114
118
GC Inside
Global Compact Netzwerktreffen 2017
Einblicke in die Arbeit im Netzwerk
Die Grenzen des Wachstums
Bericht von der Teilnehmerkonferenz 2017
Wie viel zu groß ist unser ökologischer Fußabdruck?
Interview mit Mathis Wackernagel
„You are your future“
Der TÜV Rheinland Global Compact Award an Dr. Auma Obama
Global Compact International Yearbook 2017
Ende der Freiwilligkeit?
Global Compact stellt Teilnahmeoptionen um
Kinderrechte
Kinderrechte in einer globalen Wirtschaft
118
Kinderrechte
Good Practice
74
Hoffmann & Campe X
17 Global Goals. Und eine gewaltige Chance.
46
Audi
Audi setzt bei Aluminium auf Circular Economy
76
IntegrityNext
Nachhaltigkeitsprüfung von Lieferanten und Lieferketten
48
Aurubis
Gemeinsam für Klimaschutz und Ressourceneffizienz
78
iPoint-systems
Die digitale Revolution der Kreislaufwirtschaft
50
BASF
Pariser Abkommen global umsetzen
80
K+S
Bergbau wird digital
52
Bayer
Lösungen für eine nachhaltige Landwirtschaft der
Zukunft
82
Lufthansa Group
Digitale Lösungen und Innovationen unterstützen
nachhaltige Entwicklung
54
Bosch
Nachhaltig vernetzt
84
macondo publishing
Brücken bauen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft
56
58
BPW Bergische A.
BPW: Ein „Hidden Champion“ – auch in puncto
Nachhaltigkeit
CEWE
CEWE überzeugt sich persönlich
86
88
MAN
MAN entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen
Mazars
Menschenrechte im Fokus der Corporate Governance-
Debatte
60
62
64
66
68
70
72
CWS-boco
Nachhaltiges Geschäftsmodell mit transparenter
Lieferkette
Daimler
An eine nachhaltige Mobilität für die Städte von morgen
denken
Deutsche Post DHL Group
Globale Ziele mit Null-Emissionen-Logistik erreichen
E.ON
E.ON macht das Stromnetz fit für die Zukunft
Evonik
Hilfe zur Selbsthilfe in Südafrika
EY
Gemeinwohl – eine wichtige Säule unseres
Selbstverständnisses
HOCHTIEF
Willkommen in der Zukunft des Bauens
90
92
94
96
98
100
102
Merck
Arbeiten 4.0 verantwortungsvoll gestalten
Miele
Miele auch bei Energieeffizienz „Immer besser“
Phoenix Contact
Elektromobilität bei Phoenix Contact: Technischer
Fortschritt, der begeistert
Symrise
Symrise setzt auf nachhaltige Wertschöpfung
Tchibo
Nachhaltigkeit im Rohkaffeeanbau
TÜV Rheinland
Digitalisierung gestalten: Optimierungspotenziale für
KMU entdecken
Weidmüller
Perspektiven in Tansania mit erneuerbaren Energien
schaffen
AGENDA
Stakeholderbefragung
„Deutschland in 2030 –
Wie werden die SDGs umgesetzt?“
6 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
globalcompact Deutschland 2017
7
AGENDA
Stakeholderbefragung
Welche Weichen müssen wir heute
stellen, um ein nachhaltiges Morgen
zu erleben? Dieser Frage sind wir in
einer Multi-Stakeholderbefragung nachgegangen.
Unsere Befragung lehnte
sich an die Arbeit des US National Intelligence
Councils „GLOBAL TRENDS
2030: ALTERNATIVE WORLDS“ an. Darin
werden Megatrends mit potenziellen
Game-Changern abgeglichen, um daraus
Zukunftsszenarien abzuleiten. In
unserem Fall nehmen wir vier Megatrends
als gesetzt an: Demografischer
Wandel, Konnektivität, Klimawandel
sowie Lieferketten-Management. An
der Befragung nahmen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der nachfolgenden
Organisationen teil. Die Antworten spiegeln
ausdrücklich nur ihre persönliche
Einschätzung zum Thema wider.
Abgrenzung des Szenario-Ansatzes
von Prognosen und Utopien
ZUKUNFTSWISSEN
Prognosen
Szenarien
POTENZIAL
Utopien
ZEIT
UNGEWISSHEIT
GEWISSHEIT
Quelle: Institut für prospektive Analysen (IPA)
Szenarien sind übrigens keine Prognosen. Sie sehen die
Zukunft nicht voraus. Szenarien sind auch keine Utopien,
sondern nehmen ganz konkreten Bezug zur Gegenwart. Wir
beschreiben in in diesem Kapitel mögliche Zukünfte, aber
eigentlich geht es nicht darum, ob und wie sie eintreten. Es
gibt deshalb auch kein „richtiges“ Szenario, denn es bleibt
jedem Einzelnen überlassen, welche Unsicherheiten bzw.
Alternativen er in den Blick nimmt. Vielmehr sollen die Szenarien
uns zum Nachdenken über längerfristige Alternativen
anregen und Raum für Veränderung schaffen. Sie stoßen
Lernprozesse an. In diesem Kapitel untersuchen wir dazu
unterschiedliche mögliche Zukünfte, die zu einem konstruktiven
Austausch anregen und gemeinsames, zielgerichtetes
Handeln unterstützen.
Beteiligte Stakeholder
Unternehmen
• Bank für Kirche und Caritas eG
• Deutsche Telekom AG
• Funk Gruppe GmbH
• Vonovia SE
Zivilgesellschaft & Forschung
• Cologne Business School
• Deutscher Gewerkschaftsbund – DGB
• Germanwatch
• Hochschule Osnabrück
Verbände & überstaatliche Organisationen
• Bündnis für nachhaltige Textilien
• Deutsches Global Compact Netzwerk,
Geschäftsstelle
• Rat für Nachhaltige Entwicklung
• UNICEF Deutschland
Beratungsgesellschaften
• Löning – Human Rights &
Responsible Business
• pwc Deutschland
• Scholz & Friends Reputation
8 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
Ziel 1 Ziel 2
Ziel 3
Ziel 4
Ziel 5
Armut in jeder Form
und überall beenden.
Den Hunger beenden,
Ernährungssicherheit
und eine bessere
Ernährung erreichen
und eine nachhaltige
Landwirtschaft fördern.
Ein gesundes Leben
für alle Menschen
jeden Alters gewährleisten
und ihr Wohlergehen
fördern.
Inklusive, gerechte
und hochwertige
Bildung gewährleisten
und Möglichkeiten des
lebenslangen Lernens
für alle fördern.
Geschlechtergerechtigkeit
und Selbstbestimmung
für alle
Frauen und Mädchen
erreichen.
Ziel 6
Verfügbarkeit und
nachhaltige Bewirtschaftung
von
Wasser und Sanitärversorgung
für alle
gewährleisten.
Ziel 7
Zugang zu bezahlbarer,
verlässlicher,
nachhaltiger und
zeitgemäßer Energie
für alle sichern.
Ziel 8
Dauerhaftes, inklusives
und nachhaltiges Wirtschaftswachstum,
produktive
Vollbeschäftigung
und menschenwürdige
Arbeit für alle fördern.
Ziel 9
Eine belastbare Infrastruktur
aufbauen,
inklusive und nachhaltige
Industrialisierung
fördern und Innovationen
unterstützen.
Ziel 10
Ungleichheit innerhalb
von und zwischen
Staaten verringern.
Ziel 11
Städte und Siedlungen
inklusiv, sicher,
widerstandsfähig und
nachhaltig machen.
Ziel 12
Für nachhaltige Konsum-
und Produktionsmuster
sorgen.
Ziel 13
Umgehend Maßnahmen
zur Bekämpfung
des Klimawandels
und seiner Auswirkungen
ergreifen.
Ziel 14
Ozeane, Meere und
Meeresressourcen im
Sinne einer nachhaltigen
Entwicklung erhalten
und nachhaltig
nutzen.
Ziel 15
Landökosysteme
schützen, wiederherstellen
und ihre
nachhaltige Nutzung
fördern, Wälder
nachhaltig bewirtschaften,
Wüstenbildung
bekämpfen,
Bodenverschlechterung
stoppen und
umkehren und den
Biodiversitätsverlust
stoppen.
Ziel 16
Städte und Siedlungen
inklusiv, sicher,
widerstandsfähig und
nachhaltig machen.
Ziel 17
Umsetzungsmittel stärken
und die globale Partnerschaft
für nachhaltige
Entwicklung wiederbeleben.
>>
globalcompact Deutschland 2017
9
AGENDA
Stakeholderbefragung
Demografie
1. Auf welche SDGs kommt es an?
Die Entwicklung in Deutschland ist geprägt von einer stetigen
Überalterung und folglich einem langfristigen Bevölkerungsrückgang.
Der demografische Wandel hierzulande hin zu
einem höheren Durchschnittsalter der Bevölkerung stellt
dabei ohne Zweifel eine zentrale Herausforderung dar, vor
allem für das Rentensystem und Arbeitsmarkt. Hiervon sind
primär das SDG 1 (Keine Armut) und das SDG 3 (Gesundheit
und Wohlergehen) betroffen.
Weltweit sieht die Lage dagegen völlig anders aus: Hier beobachten
wir ein weiterhin hohes Bevölkerungswachstum und
eine überwiegend junge Bevölkerung auf der Suche nach Jobs
und Perspektiven. 2030 werden voraussichtlich mehr als 8,5
Mrd. Menschen auf diesem Planeten leben. Sie alle benötigen
eine intakte Lebensumwelt, Zugang zu Ressourcen wie
gesunden Lebensmitteln, aber auch Energie. Gleichzeitig gilt
es, die Weichen dafür zu stellen, dass auch 2130 diese noch
ausreichend zur Verfügung stehen. Ob das gelingt, wird vor
allem davon abhängen, ob wir es schaffen, die Ziele der SDGs
13 (Maßnahmen zum Klimaschutz), 14 (Leben unter Wasser)
und 15 (Leben an Land) zu erreichen – sie bilden schließlich
die materielle Grundlage. Das betrifft auch unmittelbar die
Fragen nach den Grenzen der Belastung. Der Club of Rome
prägte hierfür den Fachbegriff der „Planetary Boundaries“.
Die internationalen Krisenherde dürften daher eher noch
größer werden mit Blick auf internationalen Migrationsdruck,
kriegerische Konflikte und Ressourcennutzung.
Produktivitätssteigerungen im Sinne eines qualitativen Wachstums
sind ebenfalls wichtig, daher wird auch das SDG-Ziel 9
10 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
(Industrie, Innovation und Infrastruktur) eine wichtige Rolle
spielen. Aber nicht alle Herausforderungen – insbesondere
im Umgang mit älteren Menschen – lassen sich durch neue
Technologien lösen (z.B. Pflege). Es besteht die Gefahr, dass wir
die notwendigen Investitionen in Humankapital gegenüber
Technologien vernachlässigen.
2. Wer hat das Zeug zum „Game-Changer“?
Traditionell sind die Branchen mit dem Großen C von besonderer
Bedeutung: Car, Coal und Chemistry. Positive Veränderungen
kann nur der bewirken, wer sich selbst so ernst
nimmt, dass er ehrlich ist, sich nicht in technologischer
Selbstüberschätzung wähnt. Die Chemie hat seit den 80er
Jahren einen beachtlichen Wandel hingelegt, die Kohleindustrie
steht angesichts der Dekarbonisierungsdebatte zur
Disposition, der Autoindustrie steht der Wandel noch bevor.
Insbesondere die Agrochemie ist eine der wichtigsten Branchen,
die über ihre Produkte im Bereich Saatgut und Pflanzenschutz
die Bedingungen in der Landwirtschaft prägt – und damit
die Frage, wie wir eine wachsende Bevölkerung versorgen.
Eine weitere Branche ist die Energiewirtschaft. Durch die
politisch verordnete Energiewende in Deutschland steht sie
wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig unter Veränderungsund
Innovationsdruck.
Professor Dr. Günther Bachmann erinnert uns aber auch daran,
dass Wandel nicht von alleine passiert: „Das Spiel kann
nur ändern (Gamechanger), wer auch drinsteckt.“ Und das
bedeutet im Fall der Wirtschaft: Unternehmen stehen in der
Pflicht – bei demografischen Aufgaben wie der betrieblichen
Altersvorsorge, bei betrieblichem Gesundheitsmanagement
oder entsprechenden Tarifverträgen zwischen Gewerkschaften
und Arbeitgebern. Im Betriebsablauf reden wir vor allem über
die Gestaltung der Arbeitsplätze, Gesundheitsmaßnahmen
und davon, Arbeitszeitflexibilisierung zu entwickeln. Hier
sind die Personalabteilungen am Zuge, entsprechende Maßnahmen
und Konzepte (u.a. Gestaltung der Arbeitsplätze,
Gesundheitsmaßnahmen, Arbeitszeitflexibilisierung (v.a.
auch für Pflege von Angehörigen), lebenslanges Lernen und
altersgemischte Teams) zu entwickeln.
Und auch Unternehmergeist ist gefragt, um die Nachfrage
einer älter werdenden Gesellschaft zu bedienen – insbesondere
Sozialdienstleister (z.B. Pflegedienste, Krankenhäuser
etc.), pharmazeutische Industrie, Mobilitätsanbieter und
Immobilienunternehmen. Auch der Einzelhandel kann über
Lieferdienste und Online-Angebote eine Menge zu erhöhtem
Lebenskomfort im Alter beisteuern. Die Wohnungswirtschaft
nimmt in einer altersgerechten Gesellschaft eine Schlüsselrolle
ein. Nach dem Motto „ambulant vor stationär“ geht es
darum, den Menschen möglichst lange das Wohnen in den
eigenen vier Wänden zu ermöglichen.
3. Konkrete Maßnahmen
Von Nachhaltigkeit spricht fast jeder. Was folgt, ist relative
Unklarheit. Deshalb brauchen wir Maßstäbe und Eckpfeiler.
Sie müssen zeigen, was real möglich ist. Das macht einen
Unterschied, denn wo (zu) viele darüber schwadronieren,
was „nötig“ ist (im Sinne von: was andere tun müssen), fehlt
oft die Besonnenheit auf das Mögliche und die Ausweitung
dessen, was man für möglich hält. Schlüsselakteure zeichnen
sich dadurch aus, dass sie das Mögliche erkennbar und
erfahrbar machen.
Ganz konkret kann das zum Beispiel die Schlüsselbranche Agrochemie
sein: Sie muss noch stärker als in der Vergangenheit
zeigen, dass sich die Befriedigung einer wachsenden Nachfrage
nach Lebensmitteln und der Erhalt funktionsfähiger Ökosysteme
nicht ausschließen. Und dies auch in Regionen, wo es durch
Klimaveränderungen immer schwieriger wird. Energieunternehmen
müssen weiter verstärkt an der Entkoppelung von
wachsender Energienachfrage und steigenden CO 2-Emissionen
sowie anderen Umweltbelastungen arbeiten. >>
globalcompact Deutschland 2017
11
AGENDA
4. Wichtige Indikatoren
Die Alterung der Gesellschaft, das Bevölkerungswachstum,
aber auch der
globale CO 2-Ausstoß im Kontext von
Demografie sind wichtige Indikatoren.
Generell bietet die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie
relevante Messgrößen.
An ihnen lässt sich leicht feststellen, wo
wir stehen. Bachmann: „Ich bin nicht
mit allen Indikatoren einverstanden
und bin sicher, dass es noch besser
geht. Aber stabile Antworten auf die
Frage, wohin wir steuern, liefern auch
sie allemal.“
Weltbevölkerung 1950 ∑ 2.525 Mio.
549 Mio.
172 Mio.
229 Mio.
169 Mio.
1.394 Mio.
Eine weitere wichtige Referenz ist der
Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung.
Liefert er doch für den
Anstieg der Altersarmut entsprechendes
Datenmaterial. Wichtig sind dabei die
Angaben zu verfügbaren Einkommen
und die Verteilung dieses Einkommens.
Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen
Diskussion über die gesetzliche
Rentenversicherung ist von einem bestcase-Szenario
nicht auszugehen, mahnt
der DGB in unserer Befragung.
Weltbevölkerung 2030 ∑ 8.501 Mio.
13 Mio.
5. Potenzielle Gefahrenherde
Die größte Gefahr des demografischen
Wandels ist Altersarmut und die Spaltung
der Generationen durch Ungerechtigkeit.
Wie wird die betroffene Bevölkerung
und die Politik darauf reagieren?
Politisch besteht die größte Gefahr in
einer Rückkehr zu nationalstaatlichem
Denken. Wenn es nicht gelingt, die
überstaatlichen Klima- und Umweltregime
zu stärken und Anreize für eine
ambitionierte Klima- und Umweltpolitik
zu setzen, wird die demografische Entwicklung
ökologisch kaum verkraftbar
sein und auch auf andere Politikfelder
wie die Arbeits- und Sozialpolitik bis
hin zur inneren Sicherheit Konsequenzen
haben.
396 Mio.
721 Mio.
734 Mio.
1.679 Mio.
4.923 Mio.
47 Mio.
Quelle: code-knacker.de
Wirtschaftlich besteht die größte Gefahr in der Ausnutzung
kurzfristiger Opportunitäten bei Missachtung der langfristigen
Konsequenzen – insbesondere mit Blick auf nicht erneuerbare
Ressourcen wie bestimmte Rohstoffe, aber auch Böden.
Konkurrenzdenken in den Branchen und „Sprachlosigkeit“
bzw. Kooperationsunwillen über die Branchen hinweg erschwert
die Entwicklung zusätzlich.
Ebenso prioritär erscheint der Umbau des Export-Überschusses
zu einem Nachhaltigkeitsüberschuss. Der Soziologie Ulrich
Brandt trifft den wunden Punkt, wenn er von der „imperialen
Lebensweise“ spricht (die er allerdings weltweit und in dem
einen oder anderen Maße auch in den sogenannten Entwicklungsländern
wahrnimmt). Viele Handels- und Partnerländer
sehen Deutschland bei den SDGs in unterschiedlichem Maße
in der Pflicht.
12 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
Stakeholderbefragung
Klimaschutz
1. Auf welche SDGs kommt es an?
Der Klimawandel hat viele Ursachen und Auswirkungen. Eine
Rosinenpickerei ist nicht sinnvoll und auch nicht zulässig.
Gleichwohl sind Priorisierungen wichtig: In unserer Befragung
wurden vor allem die SDGs 7, 9, 11, 12 und 13 hervorgehoben.
Viele Handels- und Partnerländer sehen Deutschland
beim Klimawandel in unterschiedlichem Maße in der Pflicht.
Eine besondere Verantwortung und Chance ergibt sich für
Deutschland sicherlich aufgrund seines Technologie-Knowhows,
den finanziellen Möglichkeiten im Bereich der erneuerbaren
Energien und dem damit verbundenen notwendigen
weltweiten Technologietransfer.
2. Wer hat das Zeug zum „Game-Changer“?
Vor allem natürlich die Energieerzeuger und die Energieintensiven
Branchen. Darüber hinaus auch die Landwirtschaft.
Besonders relevant sind aber auch Branchen, bei denen die
indirekten Emissionen aus der vor- oder nachgelagerten
Wertschöpfungskette besonders hoch sind, wie etwa die Automobilindustrie,
der (Einzel-)Handel und die Chemieindustrie.
„Die Automobilbranche sollte zu einem zentralen Game-Changer
werden. Nicht zuletzt, weil hier Global Player als weltweiter
Treiber Zeichen setzen und zugleich breit in mittelständische
Strukturen wirken können und so Hebel für wichtige Transformationsschritte
setzen. Die Digitalisierung und die damit
verbundenen Branchen zeigen jetzt auch schon auf, was an
Transformation möglich ist“, meint Germanwatch. >>
globalcompact Deutschland 2017
13
AGENDA
Klimaszenarien
+
=
-
Treibhausgasemissionen
Treihausgaskonzentrationen
Prozessreaktion:
Erhöhung
Stabilisierung
Erniedrigung
Globaler
Klimawandel
Regionale
Klimaänderung
Regionale
Klimawirkungen
Regionale
Maßnahmen
Unsicherheitsbereich
andere Ende verschoben werden. Eine
Rückholung der Wertschöpfung aus dem
(Lohn-)kostengünstigen Ausland nach
Deutschland unter Achtung der SDGs
führt zwar zu einem Preisanstieg beim
Endprodukt. Dies aber auch nur deshalb,
weil externe Kosten (für Umweltschäden
im Ausland, Niedriglöhne etc.) bisher von
der Weltgemeinschaft z.B. über Entwicklungshilfe/Strukturförderung
oder den
Menschen vor Ort getragen werden und
nicht vom einzelnen Käufer.
4. Wichtige Indikatoren
Szenarien
Atmosphärenmodell
GCM
RCM
Wirkmodelle
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Viner 2002 sowie klima-und-raum.org
Eine wichtige Branche, an die man beim Stichwort Klimaschutz
nicht unbedingt an erster Stelle denkt, ist die Finanzindustrie.
„Es fehlt nicht an Technologien oder Umsetzungsmöglichkeiten
zum Klimaschutz, sondern an der konsequenten und
zielgerichteten Zurverfügungstellung von Finanzmitteln,
-dienstleistungen und -produkten“, erinnert uns die Bank für
Kirche und Caritas: Erstens, die konsequente Umlenkung von
Finanzierungen, Investitionen und Finanzdienstleistungen
aus Bereichen, die nicht zur Erfüllung der SDGs beitragen,
z.B. Kohlekraft, hin zu einer Ausrichtung auf Projekte, die
eine nachhaltige Entwicklung inklusive Klimaschutz und
Anpassung an den Klimawandel ermöglichen.
Ein wichtiger Indikator ist natürlich der
Gesamtverbrauch der THG-Emissionen
eines Unternehmens. Dabei sollten allerdings
die wesentlichen indirekten THG-
Emissionen (Scope 3) mitberücksichtigt
werden. Ein weiterer relevanter Indikator ist, ob das eine
Klimaminderungsziel dem „unter 2°C-Ziel“ des Pariser Klimaabkommens
entspricht.
Um nicht nur eine ex-post-Betrachtung, sondern auch eine
Zukunftsprognose abgeben zu können, sind der Einbezug
und die Bewertung der Klimastrategie und der dazugehörigen
Managementsysteme der investierten und finanzierten
Unternehmen notwendig.
5. Potenzielle Gefahrenherde
Zweitens, die aktive Einflussnahme von Finanzdienstleistern
bei Unternehmen im Sinne des „Engagements“, um auf eine
SDG-Konformität der jeweiligen Geschäftstätigkeit zu drängen.
Drittens, das Angebot von SDG-unterstützenden Finanzdienstleistungen
und -produkten sowie eine hierzu entsprechende
aktive Informations- und Beratungspolitik für Kunden.
3. Konkrete Maßnahmen
Die Maßgaben der 2030-Agenda „Leave No One Behind“ und
„Business As Usual Is Not Acceptable” müssen beim “Transforming
Our World” beherzigt werden. Wichtig ist, dass sich
nicht nur einzelne Unternehmen oder Branchen auf den Weg
hin zu mehr Klimaschutz machen, sondern dass auch neue
Formen der Zusammenarbeit – gerade auch aus den neuen
Möglichkeiten der Digitalisierung heraus – ausgelotet werden.
Dazu zählen neue transformative Kooperationen und unübliche
Allianzen im Kontext von Klima und Energie im eigenen Land
sowie auf europäischer und internationaler Ebene. Vor allem
die Zivilgesellschaft kann hierbei als Partner eine vermittelnde
Rolle einnehmen. Dabei ist es wichtig, dass der gesamte Zyklus
eines Produktes mitgedacht wird und die THG-Emissionen
nicht nur von einem Ende der Wertschöpfungskette an das
Gerade beim Thema Klimaschutz zeigen sich im Alltag immer
wieder negative Rückkopplungseffekte: Neue Technologien, die
beispielsweise die THG-Emissionen vom eigenen Unternehmen
oder in der Nutzungsphase des Produktes reduzieren, erhöhen
zugleich die THG-Emissionen in der vorgelagerten Kette. In
der Summe ist also nichts gewonnen. Die größte Hürde für
Maßnahmen entlang der Wertschöpfungskette ist meist die
Komplexität der Lieferkette.
Die eigentliche Gefahr besteht darin, dass der Markt als Ganzes
und die jeweiligen Industrien weiterhin von der Politik und
Regulatorik nicht ausreichend in die Verpflichtung genommen
werden, ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung
zu leisten. Allein die Selbstverpflichtung und Initiativen
einzelner Branchen sind zwar begrüßenswert und zeigen
auch erste Erfolge, sind aber bei Weitem nicht ausreichend
für die Bewältigung der dringlichen Herausforderungen wie
dem Klimaschutz.
Und die Zeit drängt: Die existierende Globalisierung muss neu
– gerechter und ökologisch verträglicher – gestaltet werden.
Sonst werden nationale Abschottungen und rechtspopulistische
Strömungen noch mehr Zulauf bekommen, warnen
unsere Experten.
14 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
Stakeholderbefragung
Digitalisierung
1. Auf welche SDGs kommt es an?
Konnektivität/Digitalisierung ermöglicht grundsätzlich die
technologisch unterstützte Umsetzung der SDGs in allen
Themenfeldern. So schreibt etwa die Studie der GeSi (Global
eSustainability Initiative): „Die transformative Kraft der Digitalisierung
ist einer der stärksten Stellhebel und Treiber für
Unternehmen, der zur Erreichung dieser globalen Ziele beiträgt.“
Beispiel demografischer Wandel: Eine alternden Gesellschaft
ist eine Entwicklung, die jeden von uns ganz persönlich
betrifft und für das Gesundheitswesen Konsequenzen hat.
Im Sinne des SDG 3 (Gesundheit) wird die schnelle Diagnose
und Therapie für viele Menschen – z.B. im immer dünner
besiedelten ländlichen Raum – eine schnellere und bessere
Gesundheitsversorgung bereitstellen können.
Weitere Stichworte sind in diesen Zusammenhang neue
digitale Geschäftsmodelle und Plattformökonomie, Industrie
4.0, Breitbandausbau und vernetztes Denken (SDG 8, 9)
sowie „Smarte Alltagsanwendungen“ – seien es Smart Grids,
Smarthome oder Smart Cities (SDG 7, 11, 13).
Als „Enabler“, also als unabdingbare Voraussetzung, muss
auch das SDG 4 (Bildung) genannt werden. Ohne ein deutlich
verbessertes Bildungssystem wird Deutschland diesen Megatrend
nicht aktiv mitgestalten können.
>>
globalcompact Deutschland 2017
15
AGENDA
2. Wer hat das Zeug zum „Game-Changer“?
Unsere Experten nennen sechs „Branchen“ für Deutschland:
• Automobilindustrie – Alternative/nachhaltige Antriebstechnologien
wie Elektromobilität sowie neue Mobilitätskonzepte
in Verbindung mit dem dafür notwendigen Infrastrukturausbau.
• Energie – Nachhaltige Energiespeicher bzw. Batterietechnologien
und optimierter Energieverbrauch durch Data Analytics.
• Maschinen- und Anlagenbau – Nutzung der Digitalisierungspotenziale
im Bereich der Smart Factories und Smart Supply
Chain durch den Einsatz von Technologien wie Internet der
Dinge (IoT), Blockchain, Robotik, Digital Twins, Augmented
Humans, Augmented Reality, Machine Learning/Predictive
Analytics, Drohnen und 3-D-Druck.
• Bildung – Breiter Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung
durch eLearning – gerade für bildungsferne soziale
Schichten – und Förderung von lebenslangem Lernen.
• Familienunternehmen – Transformationserfahren und
starkes Rückgrat der deutschen Wirtschaft mit hoher Innovationskraft,
langfristiger Unternehmensstrategie (denken
an die nächste Generation) sowie hohem Verantwortungsbewusstsein
für die Region, in der das Unternehmen seinen
Sitz hat.
• Eine Branche wird diesen transformativen Prozess jedoch
besonders stark prägen: Die Informations- und Telekommunikationstechnologie
(IKT). Denn: Die Bereitstellung und
der stetige Ausbau der Netzinfrastruktur ist grundlegende
Voraussetzung, um die Möglichkeiten der Digitalisierung
auszuschöpfen. Die Produkte und Dienste der IKT-Branche
ermöglichen folglich den digitalen Beitrag, den andere Unternehmen
zur Erreichung der SDGs leisten können.
3. Konkrete Maßnahmen
Mehr Kollaboration und weniger Silo-Denken für eine schnelle
und agilere Umsetzung, auch unternehmensübergreifend.
Schaffen von digitalen Plattformstandards, speziell für die
genannten wichtigen Branchen (Frage 2) sowie für die Bereiche,
in denen deutsche Hidden Champions Marktführer sind.
Von den weiteren Akteuren wird erwartet, dass sie diese
Handlungsspielräume entschlossen nutzen bzw. einfordern:
Netzwerkdenken, Innovationsbereitschaft und der Mut,
ausgetretene Pfade zu verlassen, wird diejenigen Akteure
auszeichnen, die diese Ideen positiv und chancenorientiert
verwirklichen.
Durch das rechtzeitige Setzen eines handwerklich gut ausgearbeiteten
Regulierungsrahmens kann die Bundesregierung
für alle Akteure eine Situation schaffen, in der innovative
Konzepte und Modelle entwickelt, erprobt und in die tägliche
Praxis überführt werden können. Dabei müssen auch
mögliche Risiken der Digitalisierung thematisiert werden.
Ziel muss es sein, die Ängste der Bevölkerung bezüglich der
Digitalisierung ernst zu nehmen und abzubauen.
4. Wichtige Indikatoren
Ergebnismessung sollte stets einen direkten Bezug zum
Indikatoren-Set haben, welches hinter den eher generischen
17 Nachhaltigkeitszielen steht. Dies ist deshalb eine Herausforderung,
weil aktuell noch nicht jede unternehmerische
Aktivität mit Bezug auf die SDGs tatsächlich als solche sichtbar
gemacht werden kann. Für die nachhaltige Umsetzung der
Ziele müssen Unternehmen deshalb erst einmal neue digitale
Fähigkeiten entwickeln.
Birgit Klesper von der Deutschen Telekom meint: „Eine
Aufgabe der nächsten Jahre wird daher sein, über ein nachvollziehbares,
vergleichbares und möglichst standardisiertes
Impact Measurement die Wirkungsketten unternehmerischer
Beiträge – und damit auch der digitalen Produkte und
Dienstleistungen – transparent darzustellen.“
Weiterhin ist die Anzahl der erfolgreich im Markt eingeführten
digitalen Geschäftsmodelle, speziell auch der nichtlinear
skalierenden Geschäftsmodelle, als typisches Merkmal von
Plattformökonomien ein relevanter Indikator.
5. Potenzielle Gefahrenherde
Die Gefahr der zunehmenden Manipulation der Konsumenten
und der Wähler durch digitale Profile und Datensammlungen
ist nicht zu unterschätzen. Die Akzeptanz der Bevölkerung
für Themen der Digitalisierung hängt daher entscheidend
von der erfolgreichen Umsetzung und Einhaltung von Privatsphäre
und Datenschutz ab. Denn in einer Welt, die auf
eine umfassende Digitalisierung und eine echte Konnektivität
setzt, ist das Vertrauen in die Integrität der Systemanbieter
wahrscheinlich eine der wichtigsten Währungen.
Im Umfeld der künstlichen Intelligenz ist die mangelnde
ethische und moralische Auseinandersetzung mit von Maschinen
getroffenen Entscheidungen, z.B. beim autonomen
Fahren, ein zentraler Faktor.
Eine mindestens genauso große Gefahr liegt aber auch darin,
den Megatrend der Digitalisierung zu ignorieren. Die „Uns
geht’s doch gut!“-Mentalität beinhaltet die Gefahr des Verschlafens
disruptiver Entwicklungen und radikaler Marktveränderungen.
„Die Zeit der intensiven Debatten über das Für
und Wider von Digitalisierung muss ein Ende haben, d.h. wir
müssen jetzt machen, jetzt anfangen mit den notwendigen Veränderungen“,
fordern deshalb Carsten Hentrich und Michael
Pachmajer, Direktoren für Digitale Transformation bei PwC.
16 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
Stakeholderbefragung
Lieferkette
1. Auf welche SDGs kommt es an?
Lieferketten werden immer komplexer. Eine Jeans reist bekanntlich
viele tausend Kilometer, bevor sie im Laden landet.
Selbst einfache technische Geräte wie eine Computermaus
bestehen aus hunderten Komponenten, deren Herkunft sich
oftmals nicht zweifelsfrei klären lässt. Daher ist vielleicht der
Begriff Lieferkette an sich kaum mehr zeitgemäß, denn genau
genommen haben wir es mit Produktions- und Liefernetzwerken
zu tun, mit einer Vielzahl von Akteuren und vielfältigen
Beziehungen, Prozessen und Zusammenhängen. Diese globale
Verteilung der Produktion wird so lange weiter zunehmen, bis
Effizienz- und Kostengründe dem entgegenstehen.
Die Lieferkettenthematik betrifft dort nicht nur Beschäftigte
und Erwachsene, sondern auch Kinder und ihre Rechte in
diesem Zusammenhang ganz erheblich. Täglich werden Kinderrechte
zum Teil massiv verletzt – auch in der Arbeitswelt,
auch im Rahmen globaler Lieferketten.
Man braucht bei dem Thema aber nicht immer in die Ferne
schweifen: Auch hierzulande stehen Lieferketten unter enormem
Kostendruck, da insbesondere Endkunden nicht für
einen Versand oder Transport im Zusammenhang mit ihrem
Online-Shopping-Erlebnis bezahlen wollen. Die Folge ist eine
geringe Entlohnung der Arbeitnehmer teils unterhalb von
Mindestlohnstandards (Verdeckte Armut).
Doch es gibt zeitgleich auch den gegenläufigen Trend hin
zu mehr Verantwortung: Logistikdienstleister wie auch verladende
Unternehmen zeigen seit einigen Jahren ein hohes
Engagement, ihre Nachhaltigkeit zielgerichtet und >>
globalcompact Deutschland 2017
17
AGENDA
wirtschaftlich sinnvoll zu erhöhen. Beispielsweise setzen die
Deutsche Post DHL oder UPS in Deutschland Elektrofahrzeuge
(Fahrräder, Lieferwagen) in der Brief- und Paketzustellung ein.
fließt etwa in die Lithiumbatterien von Elektroautos ein. Wir
sprechen also über eine Zukunftsfrage von großer wirtschaftlicher
– und eben auch sozialer – Bedeutung.
So komplex wie die Lieferketten selbst sind, ist auch der Blick
auf die damit verbundenen SDGs: Der Zusammenhang ergibt
sich wesentlich aus der Branche und ihren Besonderheiten.
Naturgemäß stehen die drei I's Industrie, Innovation und
Infrastruktur im Zentrum. SDGs 8 (Menschenwürdige Arbeit
und Wirtschaftswachstum), 10 (Weniger Ungleichheiten, inkl.
SDG 5 – Geschlechtergleichheit) und SDG 12 (Nachhaltige/r
Konsum und Produktion) wurden in unserer Befragung folglich
am häufigsten erwähnt.
2. Wer hat das Zeug zum „Game-Changer“?
Ob nun die Automobilbranche, der (Einzel-)Handel,
die Konsumgüterindustrie
oder der Chemiesektor: Alle haben sie
lange Lieferketten und beziehen Produkte
und Rohstoffe aus Ländern mit
schwacher Durchsetzung von Umweltund
Sozialstandards. Der Druck auf die
Branchen ist dabei unterschiedlich stark:
Das Reputationsrisiko erfordert von Unternehmen
mit starker Markenpräsenz
ein Mindestmaß an Lieferkettenmanagement,
tiefergehendes Engagement wird
aber oft nur in Risikobranchen wie etwa
dem Agrarsektor (z.B. Baumwolle, Holz,
Leder, Kaffee, Kakao, Obst etc.) verlangt.
Einen Anreiz haben dazu auch Unternehmen,
die mit Rohstoffen und Produkten
handeln, die es bei nicht-nachhaltigem
Umgang schon bald nicht mehr in der
Form oder in der benötigten Menge geben
könnte. Hier ist ebenfalls wieder an
Agrarrohstoffe zu denken.
Gleichzeitig muss der Druck auf Unternehmen
erhöht werden, die diesen
bislang noch nicht in der notwendigen
Form spüren: vor allem Unternehmen ohne starke Markenpräsenz
oder Akteure, die selber nur in Lieferketten von
Großunternehmen liegen.
Für uns Verbraucher haben vor allem die Textilindustrie und
die Lebensmittelbranche das Potenzial, zu Game-Changern im
Alltag zu werden. Die Chance liegt darin, dass es hier große
und glaubwürdige Unternehmen gibt, wie z.B. Tchibo, REWE,
Otto oder Ritter Sport, die sich bereits stark für nachhaltige
Lieferketten engagieren. Gleichzeitig sind die Verbraucher
bei Lebensmitteln und Kleidung verhältnismäßig sensibel
und NGOs sehr aktiv. Die Medien berichten häufig über die
„Verfehlungen“ bekannter Marken und erhöhen damit den
Druck auf ein gutes Lieferkettenmanagement weiter. „Die
Textilbranche ist für mich so ein Game-Changer. Wir werden in
den nächsten Jahren sehen, wie im Textilbereich einige heiße
Eisen angefasst werden: Zum Beispiel werden uns Track-Codes
Chancen beziehen sich übrigens nicht
nur auf die Verbesserung für Menschen,
Umwelt und lokale Märkte. Sie eröffnen
sich auch im Hinblick auf den geschäftlichen
Erfolg. Hier wünsche ich mir in
der deutschen Wirtschaft einige echte
Champions, die vorangehen und
anderen ein Beispiel sind.
Christian Schneider, Geschäftsführer UNICEF Deutschland
an Etiketten verraten, wo, wie und unter welchen Bedingungen
ein Kleidungsstück produziert wurde“, sagt Jürgen Janssen
vom Textilbündnis.
Ein Game-Changer für mehr Nachhaltigkeit könnte beispielsweise
die Automobilindustrie sein. Die Lieferkette in dieser
Branche ist geprägt von einer Vielzahl an unterschiedlichen
Rohstoffen. Besonders bei der Förderung von Rohstoffen gibt
es bis heute ein hohes Risiko für Missstände, insbesondere
Kinderarbeit. In 2016 deckte zum Beispiel eine Studie von
Amnesty International auf, dass für die Gewinnung von Kobalt
mit hoher Wahrscheinlichkeit Kinderarbeit eingesetzt wird.
Das Brisante daran: Der Abbau dieser Bodenschätze betrifft
vor allem die Hightechprodukte von morgen. Dieser Rohstoff
Potenzielle Game-Changer sind also Branchen mit großem
ökologischem und sozialem Fußabdruck, etwa, weil sie viele
Menschen beschäftigen und in großem Umfang Ressourcen
nutzen. Letzteres gilt etwa für die Logistik- und Transportdienstleister:
Die Transporte erfolgen überwiegend mit fossilen
Brennstoffen. Seeschiffe und Flugzeuge sind bekannt für ihre
klimaschädliche Wirkung, E-Mobility-Lösungen aber technisch
derzeit nicht möglich. Dennoch kann die produzierende Industrie
insgesamt auch durch fokussierte lokale Produktion
Lieferketten verkürzen (z.B. Zulieferer-Parks, Chemie-Parks).
18 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
3. Konkrete Maßnahmen
Wir brauchen Unternehmen, die sich öffentlich zu ihrer
Verantwortung zum Lieferkettenmanagement bekennen und
auch kommunizieren, dass sie dies selbstverständlich über die
gesamte Liefer- und Wertschöpfungskette hinweg tun. Wir
müssen weg von der Diskussion „das geht alles nicht, niemand
kann seine Lieferkette ganz überblicken“ zu einem „es sollte
kein Unternehmen geben dürfen, dass das nicht kann“.
Nachhaltige Lieferketten sind das Produkt von klarer Positionierung
und harter Arbeit: Unternehmen sollen sich vom reinen
Tier-1-Audit hin zu einem Miteinander mit den Akteuren der
Lieferkette bewegen. Gemeinsame Maßnahmen, Collective
Action, Trainings sind hier erforderlich.
Dabei muss unbedingt der Einkauf einbezogen werden und
vorangehen: selbst in den engagierten Unternehmen arbeiten
CSR und Einkaufsabteilung oft gegeneinander. Der Preis darf
nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium für die Kaufentscheidung
sein.
Neue, partnerschaftliche Formen der Zusammenarbeit umfassen
zum Beispiel:
1. Business Modelle anders denken, indem man soziale Innovationen
fördert, mit denen die Wirtschaft die Lebensbedingungen
von Menschen entlang der gesamten Wertschöpfungskette
verbessert (Lebensstandard, Gesundheit,
Bildung, Nahrung etc.).
2. Eine faire Wertschöpfung entlang der Lieferketten entwickeln.
Dazu gehört es, dass Kosten nicht externalisiert werden.
3. Frauen gleichberechtigt an der Wertschöpfung beteiligen.
4. Capacity Building für Rechteinhaber durchführen – nur
wer seine Rechte kennt, kann sie auch verteidigen und
einfordern.
5. Strukturelle Probleme durch den Dialog im Rahmen von
Initiativen mit der Bundesregierung und den Regierungen
vor Ort angehen.
4. Wichtige Indikatoren
Bei den Unternehmen wird sich zunehmend eine Berichterstattung
– und damit auch Datenerhebung (vermutlich
nach GRI) durchsetzen. Die Indikatoren und Standards
werden sich in den nächsten Jahren im Zuge einer immer
breiteren praktischen Anwendung noch weiterentwickeln.
„Letztlich ist es für Unternehmen entscheidend, dass sie die
eigene Performance bei der Achtung der Menschenrechte
verfolgen können. Nur so können sie beurteilen, ob Maßnahmen
greifen und Ziele erreicht werden“, meint etwa der
frühere Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung
Markus Löning.
Aussagekräftig wäre zum Beispiel die Anzahl der Unternehmen,
die sich substanziell mit ihrer menschenrechtlichen
Sorgfaltspflicht befassen. Konkret: Wie viele Unternehmen
veröffentlichen entsprechende Policy Commitments und berichten
über ihre Aktivitäten – und wie viele nicht? Wie viele
Unternehmen führen Human Rights Impact Assessments durch
und achten dabei auch auf die Einhaltung von Kinderrechten?
Ökologisch betrachtet sind das eindeutige Kennzahlen zu
Stoffströmen. Auf der ökonomischen Seite sind die Einkommen
der Beschäftigten in den Produktionsländern ein wichtiger
Indikator. Für eine tragfähige wirtschaftliche Entwicklung
ist das Thema Korruption wichtig. Mit Kennzahlen zu Arbeitssicherheit
und Gesundheit kann man die Qualität der
Arbeitsplätze messen.
Beim Thema Arbeitsbedingungen und Mitarbeitereinbindung
lässt sich nach Ansicht unserer Befragten das GRI-Indikatorenset
weiterentwickeln. Vorschlag:
• Wie viel Ertrag verbleibt in den einzelnen Schritten der Wertschöpfung?
Nachhaltige Produktion funktioniert nur, wenn
alle Beteiligten an der Wertschöpfung teilhaben.
• Indikatoren, die eine Gewinn- und Verlustrechnung über
monetäre Kennzahlen hinaus ermöglichen, z.B. Anzahl von
Frauen, die an der Wertschöpfung beteiligt sind und damit
ein eigenes Einkommen generieren können.
5. Potenzielle Gefahrenherde
Man kann grob zwei Arten von Gefahren unterscheiden:
natürliche und politische. So können zum Beispiel Klimawandel-bedingte
Extremwetterlagen wie Dürren oder Überschwemmungen
die Verfügbarkeit von Produkten auf dem
Weltmarkt drastisch verändern. Politische Instabilität, fehlende
Rechtsstaatlichkeit, aber auch neue Handelsbarrieren stellen
zentrale Risiken dar, die die Fortschritte bei der Gestaltung
nachhaltigerer Produktions- und Liefernetzwerke grundsätzlich
gefährden können.
Vor allem seitens des zunehmenden Populismus wächst
die Gefahr, dass (ohnehin schwache) Gesetzgebungen, etwa
der Dodd Frank Act in den USA, zurückgeschraubt werden.
Auch globalisierungskritische Tendenzen tragen oft dieses
Momentum der überspitzten Vereinfachung in sich. In der
letzten Konsequenz stellt solch eine Art von Politik sowohl
den Frieden infrage als auch den Zusammenhalt der Staatengemeinschaft
– sei es in der EU oder den UN.
Aber vielleicht lauert die größte Gefahr im Alltäglichen: Wie
sicher können wir uns alle sein, dass sich viele Unternehmen
möglicherweise nicht nur oberflächlich und aus Imagegründen
mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen? Wer
lediglich ein Reputationsrisiko im Blick hat, läuft Gefahr,
die großen Chancen zu verpassen, die verantwortungsvolles
unternehmerisches Handeln mit sich bringt.
globalcompact Deutschland 2017
19
AGENDA
Plädoyer für eine nachhaltige Parallelwährung
20 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
Um alle sozialen und ökologischen Projekte
weltweit zu finanzieren, brauchen wir enorme
Kapitalmengen. Unser jetziges Währungssystem
und die klassische Umverteilungsdebatte
können das alleine nicht leisten. Wir brauchen
daher eine parallele, optionale Währung für die
SDGs. Dies lässt sich schnell und zielgerichtet
umsetzen und ist relativ billig. Zudem hätte es
einen konjunkturdämpfenden, anti-inflationären
und widerstandsfähigen Einfluss auf unser
Handels- und Bezahlungssystem. Dafür muss
man sich aber zunächst auf eine völlig neue
Denkweise einlassen, wie sich ein finanzielles
Wirtschaftssystem schaffen lässt, welches die
Welt zu einem besseren Ort macht.
Von Prof. Dr. Dr. Stefan Brunnhuber
Wir sind die erste Generation der menschlichen Geschichte
mit dem Potenzial, die weltweite Armut zu beenden. Wir sind
außerdem die letzte Generation, die ein unwiderrufliches ökologisches
Disaster beim Blick auf Biodiversität, Erderwärmung
und Ressourcenknappheit verhindern kann. Die meisten der
SDGs betreffen Gemeingüter, wie beispielsweise saubere Luft,
Zugang zu Gesundheit, Bildung (auch vorschulische Bildung)
und das Versprechen die Biodiversität zu erhalten. Diese Güter
sind nicht exklusiv. Sie sollen für alle zugänglich sein. Es gibt
genug wissenschaftliche Erkenntnisse, technologisches Knowhow
und politischen Willen, jedes dieser Ziele zu erreichen.
Aber es wird teuer: Tatsächlich wird es etwa fünf Billionen
US-Dollar pro Jahr über die nächsten 20 Jahre kosten, sie zu
finanzieren. Wie finanzieren wir das?
Der herkömmliche Weg: Vermögensumverteilung
Der herkömmliche Weg zur Finanzierung solcher Projekte ist
die Vermögensumverteilung. Dieser Prozess wird von der Zentralbank
angestoßen, welche im Prinzip Geld aus dem Nichts
schafft. Als nächstes verleihen kommerzielle Banken und der
Kapitalmarkt dieses Geld als Kredit an Staaten, Unternehmen
und private Haushalte. Dieser Prozess endet mit der Produktion
von Gütern und Dienstleistungen. Die gesamte Summe
all dieser Güter und Dienstleistungen zusammengefasst (das
GDP – Gross Domestic Product GDP), beträgt weltweit etwa
80 Billionen US-Dollar pro Jahr.
>>
globalcompact Deutschland 2017
21
AGENDA
Nicht mitgezählt ist hierbei die globale Schattenwirtschaft.
Jene macht noch einmal etwa ein Drittel des weltweiten GDPs
aus. Es beinhaltet Geldwäsche, Schmuggel, Drogenhandel,
illegale Finanzaktionen, aber auch wirtschaftliche Aktivitäten
im informellen Sektor (Schwarzarbeit). Zusätzlich umfasst die
globale Wertschöpfungskette den sogenannten entropischen
Sektor, welcher die Kosten von Krisenmanagement, sozialen
und ökologischen externen Effekten und alle unvorhergesehenen
Auswirkungen umfasst, für die der Steuerzahler
gerade stehen muss. Beispiele hierfür sind zusätzliche Kosten
für das Gesundheitswesen aufgrund von Luftverschmutzung,
die sozialen Kosten der Exklusion, Arbeitslosigkeit und Armut
sowie zusätzliche Ausgaben für Sicherheitsmaßnahmen in
Zeiten des Terrors.
Das Grundprinzip der Finanzierung dieser Aspekte ist die
sogenannte end-of-pipe-Strategie: Ob Steuereinnahmen oder
-zahlungen, Sparmaßnahmen, Privatisierung, die Verschuldung
von privaten oder öffentlichen Haushalten oder zusätzliches
Wirtschaftswachstum – all diese Strategien dienen dazu, Liquidität
zu schaffen, um so soziale und ökologische Projekte
zu finanzieren.
Haben diese Umverteilungsmechanismen in der Vergangenheit
funktioniert? Die Weltgemeinschaft hat sich dazu verpflichtet,
0,7 Prozent des weltweiten GDP – etwa 500 Milliarden
US-Dollar im Jahr – für Entwicklungshilfe auszugeben. Mit
Ausnahme der skandinavischen Staaten hat kaum ein Staat
diesen Richtwert erreicht. Selbst wenn, so würde der Betrag
realistisch gesehen nicht ausreichen, um unsere Zukunft zu
finanzieren. Etwa das Acht- bis Zehnfache wird nämlich benötigt,
um die besagten fünf Billionen US-Dollar zu erreichen.
Einen solchen Betrag aus der Wirtschaft zu entnehmen, würde
– selbst in einem langsamen Prozess – eine globale Rezession
Was ist eine Blockchain und wie funktioniert diese?
Vereinfacht gesagt, ist die Blockchain eine Datenbank und funktioniert quasi wie ein
digitales Kassenbuch. In Analogie zu einer Seite im Kassenbuch, die Informationen
über eine bestimmte Transaktion beinhaltet, ist es in der Blockchain ein digitaler
Block, der diese Informationen enthält. Ist ein Block voll, wird der nächste Block
angehängt. Es bildet sich eine Kette aus Blöcken, daher „Block-Chain“.
Es gibt hierbei keine Vermittlungsinstanz mehr, die zwischen die Vertragspartner
geschaltet ist. Vielmehr wird bei jedem vollwertigen Nutzer-PC ein Abbild der
gesamten Transaktionshistorie abgelegt, welche für jeden jederzeit einsehbar
ist. Es herrscht also vollkommene Transparenz. Ohne Blockchain als realisierende
Technologie, würde das System der digitalen Währung also nicht in der
Form funktionieren. Im Ergebnis ist es somit die Technologie Blockchain, die die
Kryptowährung Bitcoin zum Funktionieren bringt.
Dr. Nils Middelberg, top itservices AG
verursachen. Also woher bekommen wir das Geld, das wir zur
Finanzierung der SDGs benötigen? Es ist illusorisch anzunehmen,
dass ein Umverteilungsprozess (schnell) genug gelingt.
Wir benötigen deshalb zusätzliche Liquidität im großen Stil,
mit voller Geschwindigkeit und auf das Erreichen der SDGs
zugeschnitten. Auf der Suche nach einer Lösung gibt es einen
wichtigen Fakt, den wir nicht vergessen dürfen: Geld ist kein
Naturgesetz, sondern eine Konvention. Genau wie eine Regel
in einem Club, ein Ehevertrag oder ein gesetzlicher Vertrag
kann es modifiziert und an die globalen Ansprüche angepasst
werden. Können wir die Sache also anders angehen?
Eine komplementäre Parallelwährung?
Was wäre, wenn wir die weltweit benötigten finanziellen Mittel
auf eine ganz andere Art und Weise generieren könnten?
Zentralbanken könnten zusätzliche fünf Billionen US-Dollar
anhand von elektronischen Formaten wie der Blockchain-
Technologie schaffen. Was wäre, wenn dieses Geld speziell
dafür vorgesehen wäre, zunächst SDG-nahe Projekte zu finanzieren?
Was wäre, wenn diese Mittel durch andere Kanäle
fließen würden als bisher? Dann hätten wir eine ergänzende
Währung, parallel zum existierenden konventionellen System,
die die fünf Billionen US-Dollar generieren könnte, die wir in
den nächsten zwanzig Jahren so bitter nötig haben. Was sagt
die Wissenschaft zu all dem? Gibt es empirische Beweise dafür,
dass diese Methode zum Erfolg führen kann?
Untersuchungen haben mehr als ein Dutzend positive Effekte
gefunden. So könnten wir beispielsweise auf neue Technologien
wie Blockchain-Protokolle zurückgreifen, um zusätzliche,
zielorientierte, finanzielle Liquidität für Millionen von
Afrikanern mithilfe der lokalen Mobilfunknetze zu kreieren
(MPesa ist hier ein Vorbild). Auf dem indischen Subkontinent
könnten wir das bestehende Kleinkredit-System nutzen (Vorbild
Grameen-Bank). Jeder Euro, der über
solche Kanäle ausgegeben oder investiert
wird, würde sich positiv auf die weltweite
Armutsreduktion auswirken. Das
elektronische System würde zudem Korruption
und Betrug verhindern, da jede
Transaktion transparent und öffentlich
ist. Sobald eine solche Währung auch für
das Bezahlen von Steuern legalisiert wird,
könnten kommunale Einrichtungen auf
zusätzliche Liquidität zurückgreifen.
Die öffentliche Infrastruktur könnte so
zusätzlich finanziert werden. Ein solcher
Mechanismus würde auch die Bildung
ankurbeln und einen universalen Zugang
zum Gesundheitssystem ermöglichen.
Alles Projekte, welche ansonsten nicht
realisierbar wären; er würde die Ressourcenerschöpfung
reduzieren und die Luft
reinigen, und damit die negativen Effekte
auf unsere Gesundheit verhindern.
Letztendlich könnten wir das bislang
unerschlossene Potenzial der Millionen
22 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
von Arbeitslosen nutzen und die Kreativität von Milliarden
von Menschen entfesseln.
Was wären die Folgen für die konventionelle Wirtschaft? Diese
fünf Billionen US-Dollar in Form von Blockchain-Liquidität
würden der konventionellen Wirtschaft in keiner Weise
schaden. Das Gegenteil wäre sogar der Fall: Unternehmerische
und staatliche Planung, Produktion und Preisniveaus würden
robuster und zuverlässiger, auch auf lange Sicht. Eine ergänzende
Währung würde den Wirtschaftszyklus von Booms und
Pleiten stabilisieren.
Zunächst würde ein paralleles, optionales Währungssystem
neue Jobs kreieren und es Menschen erlauben, aus der Schattenwirtschaft
in legale Bereiche zu wechseln (inverse trafficking).
Zweitens würde es negative, externe Effekte reduzieren und
die Kosten im entropischen Sektor senken (inverse pricing).
Drittens würde es die Tendenz zur finanziellen Monokultur
reduzieren (antizyklische Investments).
Eine parallele Währung ist paretoeffizienter
Warum hat ein solches paralleles, optionales Währungssystem
das Potenzial, Wohlstand, Robustheit und Effizienz zu steigern
und so das wirtschaftliche System paretoeffizienter zu gestalten?
Die wahre Tragödie der Allmende, mit der wir es hier zu tun
haben, ist nicht, dass die Gemeingüter exklusiv sind, sondern
dass sie innerhalb eines Finanzsystems agieren, das sie davon
abhält, ihr volles Potenzial zum Wohl der Menschheit zu entfalten.
Die empirische Forschung der letzten Jahre konnte immer
wieder zeigen, dass der Return on Investment (ROI) globaler
Gemeingüter für die Gesellschaft atemberaubende 10–100
mal höher ist, als die Erträge von privaten Geschäftsmodellen
oder Staatsanleihen. Die folgende Grafik zeigt die Erträge aus
privaten und staatlichen Anleihen über ein Jahrhundert:
S&P 500
3-M
Staatsanleihe
Standard and Poor’s 500 Index; dreimonatige Staatsanleihen,
Zehn-Jahres-Staatsanleihen
10-J
Staatsanleihe
1928–2015 11 % 3 % 5 %
1966–2015 11 % 5 % 7 %
2006–2015 9 % 1 % 5 %
andere Technologie (Blockchain) verwendet; des Weiteren
werden unterschiedliche Kanäle genutzt, um die zusätzliche
Liquidität in die Realwirtschaft zu befördern (Citizen money
etc.); der hier vorgeschlagene Mechanismus reduziert zudem
zielgenauer die negativen externen Effekte und sogenannte
Spill-overs im entropischen Sektor, die negativen Auswirkungen
der Schattenwirtschaft und der Realökonomie (Korruption,
Steuerhinterziehung). Insgesamt würde der Mechanismus einen
stabileren und widerstandsfähigen Rahmen bieten, um unsere
gemeinsame Zukunft nachhaltig zu finanzieren. Ich denke, es ist
keine Übertreibung zu sagen, dass ein solches komplementäres,
paralleles und optionales Währungssystem paretoeffizienter ist
als das herkömmliche monetäre Monopol.
Bewusstseinswandel
Anstatt auf eine lineare und sequenzielle Art und Weise zu denken
– was wir tun, wenn wir end-of-pipe-Strategien verfolgen,
um durch die Umverteilung von Vermögen und Einkommen
unsere Zukunft zu finanzieren – müssen wir anfangen, parallel
zu denken. Genauso wie ein Fahrrad zwei Räder braucht,
brauchen wir ein Währungssystem mit zwei Pfeilern: Einem
konventionellen und einem komplementären, beide verknüpft,
aber doch mit unterschiedlichen Zwecken ausgestattet.
Wenn es einen einzigen Faktor mit dem größten Potenzial gibt,
welcher die Welt verändern könnte, dann ist es ein paralleles
Finanzsystem. In weniger als sechs Monaten könnte mit der
Arbeit begonnen werden, wenn sich die sechs größten Zentralbanken
dazu entschließen, eine solche Zusatz-Währung zu
schaffen. Mit einer Parallelwährung würde unsere Welt effizienter
und gleichzeitig auch widerstandsfähiger werden und
sie würde die Erde sicherlich zu einem besseren Ort machen.
Es muss angemerkt werden, dass die durch den Mechanismus
hervorgerufenen Effekte auf eine nachhaltige Wohlstandsentwicklung
unter Umständen deutlich größer sein können, als
der traditionelle Keynes’sche Multiplikator vorsieht. Dies hat
vor allem mit folgenden Aspekten zu tun: Einmal wird eine
ÜBER DEN AUTOR
Prof. Dr. Dr. Stefan Brunnhuber ist Mitglied im Club of Rome,
Senator der Europäischen Akademie der Wissenschaft und Stiftungsprofessor
für Nachhaltigkeit und Psychologie, Chefarzt und
Ärztlicher Direktor an den Diakonie Kliniken Sachsen.
globalcompact Deutschland 2017
23
AGENDA
Ein Plädoyer für Freiheit und Verantwortung im Umgang
mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs).
Von Prof. Dr. Joachim Fetzer
1. Ein unbekannter Riese – die SDGs
An Bedeutendes kann man sich erinnern, selbst wenn man nur
indirekt beteiligt war. Sie erinnern sich an den 11.9.2001? An
den 9.11.1989? Aber was war am 25.9.2015? Manche können
sich beim „Herbst 2015“ an offene Grenzen in Deutschland
erinnern, an ein durch wandernde Migranten sichtbar gewordenes
„Rendezvous mit der Globalisierung“ (Wolfgang
Schäuble). Dabei fand an diesem 25.9.2015 in New York ein
ganz anderes „Rendezvous der Globalisierung“ statt: Staatsund
Regierungschefs aus 196 Ländern beschlossen im Rahmen
der UN-Vollversammlung die Agenda 2030 für Nachhaltige
Entwicklung und darin 17 Ziele (SDGs) und 169 Vorgaben
(Targets). Die Regierenden praktisch aller Länder nahmen –
nach jahrelangen Vorbereitungen – die Welt als Ganzes in
Augenschein und skizzierten gemeinsam die Richtung, in die
sich „our world“ transformieren sollte. Zielorientierung als
Selbstverpflichtung der Welt – das bleibt ein historischer
Meilenstein. In deutschen Medien? Die Tagesthemen würdigten
den New York-Aufenthalt der Kanzlerin und zeigten
Bilder, wie sie an Ground Zero einen Kranz niederlegte – am
Rande einer Veranstaltung, die nicht einmal namentlich
und schon gar nicht in ihrer (erhofften) Bedeutung erwähnt
wurde. Nur die Satiresendung „heute show“ enthielt einen
erwartet zynischen Beitrag, dass ab 2030 der Hunger verboten
wird und ansonsten das Ganze so wirkungslos sei wie die 15
Jahre vorher verabschiedeten Milleniums-Ziele. Medial also:
Schweigen oder Zynismus. Von den SDGs als „historischem
Meilenstein“ erzählten nur diejenigen, die unmittelbar dabei
waren oder dies damals schon begleiten konnten.
Zwei Jahre später hat sich daran wenig geändert. Die SDGs
sind zwar in Fachkreisen bekannt, aber kommen dort nicht
vor, wo eine breitere Öffentlichkeit adressiert wird. Das gilt
24 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
Hamburger G20-Gipfels – darunter der Vorschlag für eine
Pisa-Test-ähnliche Überprüfung der sozialen Ungleichheit
in Mitgliedsstaaten –, bis zum Beschluss der Europäischen
Kommission im Mai 2017, eine Multi-Stakeholder-Plattform
über die Implementierung der Sustainable Development
Goals in der EU zu schaffen. Zu erwähnen wäre auch das SDG-
Dash-Board und der SDG-Index, welche vom UN-Sustainable
Development Solutions Network (UN-SDSN) zusammen mit der
Bertelsmann-Stiftung entwickelt wurden (sdgindex.org). Mit
Rang 6 im globalen Index muss Deutschland sich sicher nicht
verstecken. Ob dies aber eine hilfreiche Botschaft ist, dürfte
unterschiedlich gesehen werden. Im grün-gelb-orange-rot-
Modus des SDG-Dash-Boards kann jedes Land sich seine Stärken
und Schwächen spiegeln lassen. Es soll ein Instrument sein
einerseits für die politische Führung zur eigenen Orientierung
über den Stand der Dinge im Land oder für kritische Gruppen,
um gesellschaftlichen Druck aufzubauen, so die Initiatoren.
Dies alles klingt so, als gäbe es jetzt einen unzweideutigen
Maßstab für gutes Regierungshandeln und dadurch zu erzeugende
Wirtschaftsstrukturen. Einzig die nötige Bekanntheit
und Durchsetzungskraft fehlt wohl diesem globalen Maßstab.
zum Beispiel selbst für die Wahlprogramme der Parteien im
letzten Bundestagswahlkampf, in denen die Agenda 2030 trotz
ihres universalen und umfassenden Anspruchs meistens in
der Abteilung „Entwicklungspolitik“ verankert ist. Dabei denkt
kaum jemand an die „Entwicklung“, die auch Deutschland
nehmen müsste, wenn es sich dem Ziel wirklich nachhaltiger
Entwicklung verpflichten würde.
Man kann die Situation so zusammenfassen: Als öffentlich
relevanter Bezugspunkt einer gemeinsamen Erinnerung fällt
die 2030-Agenda aus. Dieser Befund kollidiert massiv mit den
Erwartungen und Hoffnungen, welche die SDGs auf ihrem
Weg zur vermeintlichen „Umsetzung“ begleiten.
Es gibt eine inzwischen kaum noch überschaubare Zahl von
Initiativen, Dialog- und Kontaktforen, unternehmerischer
Zielperspektiven und zivilgesellschaftlicher Aktivitäten, welche
der „Umsetzung“ der SDGs dienen oder diese einfordern.
Jeder Versuch einer Aufzählung wäre vergeblich: Er reicht
vom SDG-Compass zur Übersetzung der Agenda 2030 in unternehmerisches
Handeln über Empfehlungen der globalen
Thinktank-Konferenz T20 an die G20 Staaten anlässlich des
Brauchen wir einfach mehr Werbung, mehr Öffentlichkeit,
mehr mutiges Bekenntnis für diese Art der transformativen
Globalisierungsgestaltung? Oder sind wir zufrieden, wenn
beim Stichwort „Agenda 2030“ (sofern bekannt) alle unkonkret
freundlich sind und die Nachhaltigkeitsziele für „irgendwie
wichtig“ halten, obwohl es doch nur eine Gruppe von Insidern
ist, die wirklich etwas damit anfangen können und wollen?
Oder ist vielleicht ein Schritt zurück angebracht? Mitten im
Prozess nochmals neu über Sinn, Geist und Charakter des
Ganzen nachdenken. Dafür soll hier plädiert werden.
2. Die Agenda 2030 als Welt-15-Jahresplan?
Die Struktur der Agenda 2030 mit den 17 Zielen, den 169
Unterzielen, der Laufzeit über 15 Jahre, dem Implementierungsversprechen
erinnert an Fünf-Jahrespläne, die es in
manchen politischen Systemen gibt – in anderen mit guten
Gründen nicht.
Ein wichtiges Element unterscheidet die Agenda 2030 von
klassischen Wirtschaftsplänen: Es ist ein 15-Jahresplan ohne
„Funding“, denn Ressourcen in großem Ausmaß konnten im
Rahmen der UN-Vollversammlung nicht bereitgestellt werden.
So hofft man wohl auf die Mitwirkung des Privatsektors.
Planwirtschaft erforderte schon immer ein hohes Maß an
wissenschaftlicher Expertise. Darauf zielen Initiativen wie die
Long-term Transformation Pathways Initiative (LTTPI). Wie sind
solche Initiativen zu bewerten? Es spricht nichts dagegen, wenn
Wissenschaftler Zielkonflikte und Wechselwirkungen >>
globalcompact Deutschland 2017
25
AGENDA
analysieren und Szenarien entwerfen – je interdisziplinärer,
desto besser. Das sind ihr Auftrag und ihr Dienst am Gemeinwohl.
Aber in Verbindung mit dem moralisch-politischen
Instrumentarium der globalen Agenda 2030 wird aus solchen
Denkübungen und Entwürfen das, was der Liberale Friedrich
August von Hayek „Anmaßung von Wissen“ genannt hätte.
Es ist eine Anmaßung in doppelter Hinsicht: Einerseits widerspricht
das Agenda-2030-Projekt den Grenzen des Wissens, die
es seit Zeiten des Sokrates gibt, während die planetarischen
Grenzen eine neuere Entdeckung sind. Wenn andererseits
Wissen mehr ist, als eine Ansammlung von Daten, dann ist
Wissen immer an Personen und menschliche Gemeinschaften
gebunden und bleibt damit perspektivisch und pluralistisch.
Es geht hier nicht um Grundsatzdebatten zwischen Markt und
Plan, sondern um den Hinweis darauf, dass eine globale Agenda
an extrem unterschiedliche Gesellschaften und Denkschulen
anknüpfen muss. Auch deshalb kann es eigentlich keine globale
„Umsetzung“, sondern nur – je nach Land und politisch
gesellschaftlicher Ausrichtung – unterschiedliche Rezeptionen
der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung geben.
Mit Blick auf Deutschland 2030 ist daher ein engagierter Streit
über Interpretationen, Priorisierungen und Maßnahmen im
Umgang mit diesem globalen Verantwortungsdokument angesagt
und nicht ein andachtsvolles Nicken und buchhalterisches
Abarbeiten von Indikatoren.
3. Papst Franziskus und die SDG-Technokratie
Es war Papst Franziskus, der durch eine Rede vor den Staats- und
Regierungschefs zur Verabschiedung der Agenda 2030 seinen
Beitrag geleistet hat. Vor allem aber veröffentlichte er drei
Monate vorher die viel beachtete Umwelt-Enzyklika „Laudato
Si – Über die Sorge für das gemeinsame Haus“. Die Integration
des Klimaschutzes in die katholische Soziallehre ist sicher ein
wichtiges Verdienst. Wenig wahrgenommen wird dagegen
das Kernargument dieses päpstlichen Rundschreibens. Nach
einer langen und teilweise unnötig polemischen Aufzählung
aller Übel der Welt wendet sich der Papst dem eigentlichen
Grundproblem zu. Ausdrücklich fragt er in Kapitel 3: „Was ist
die menschliche Wurzel der ökologischen Krise?“ Die Antwort
ist anders, als man angesichts der vielen wirtschaftsskeptischen
Äußerungen dieses Pontifex erwarten könnte. Nicht die
Ökonomisierung aller Lebensbereiche wird beklagt, sondern
Franziskus fordert: „Die Politik darf sich nicht der Wirtschaft
unterwerfen, und diese darf sich nicht dem Diktat und dem
... Paradigma der Technokratie unterwerfen.“
Diese Kritik sollte man ernst nehmen: Gerät nicht in der Wirtschaft
und zunehmend auch in der Politik all zu leicht all das
aus dem Blick, was nicht in ein Excel-Sheet, eine Formel oder
Zahl gepackt werden kann? Motto: Was man nicht messen
kann, kann man nicht managen. Zahlenfixiertheit und Zahlengläubigkeit
– das ist die Alltagstechnokratie, die Franziskus
für den menschlichen Kern des ökologischen Problems hält.
Diesem Denken stellt Franziskus in Kapitel 4 ein anderes
Denkmuster gegenüber: Das Denken in interdependenten und
vernetzten Systemen. Was wir in der Nachhaltigkeitsdebatte
als die drei Dimensionen der ökologischen, ökonomischen
und sozialen Nachhaltigkeit kennen, das nennt er Umweltökologie,
Wirtschafts- und Sozialökologie. Und er fügt mit der
Kulturökologie eine vierte Dimension hinzu.
Was heißt das – im Blick auf die Agenda 2030? Deren Vorteil
gegenüber allzu eindimensionalen – häufig auf quantitatives
Wirtschaftswachstum reduzierten – Zielsystemen ist ganz
sicher ihre Multiperspektivität, die ein vieldimensionales Denken
praktisch erzwingt. Aber das Wiegen-Zählen-Messen, die
Fokussierung auf quantifizierbare Indikatoren, die dabei leicht
vom Indikator zum Selbstzweck werden – dieser Aspekt technokratischen
Denkens ist überstark, vielleicht sogar untrennbar
mit der Agenda 2030 verknüpft. Insofern ist die Enzyklika in
ihrer teilweise polemischen, aber bildhaften Sprache, auch ein
wichtiges Gegengewicht gegen den schnell ins Technokratische
umkippenden Charakter der 2030-Agenda. Man könnte sagen:
Laudato Si ist eine weithin unbemerkte Warnung gegen allzu
viel oder zumindest gegen ein allzu technisch verstandenes
„Umsetzen“ und „Implementieren“ jenes globalen Zielsystems.
26 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
4. Unternehmen: ihre Verantwortung und ihre Dilemmata
Ist es also falsch, was engagierte Unternehmen und Engagierte
in Unternehmen begonnen haben? Ihr eigenes Handeln mithilfe
der 17 Ziele zu reflektieren und zu überprüfen, eigene
mögliche Beiträge zu identifizieren, daran zu arbeiten und
darüber zu berichten? Sind die Anstrengungen falsch, über
die z.B. SAP, Haribo oder der Flughafen München berichten?
Das ist natürlich nicht der Fall, und der Identifikation und
Auszeichnung von SDG-Pionieren wünscht man eine Vorbildfunktion
und Ansteckungsfähigkeit. Vielleicht sogar noch
wichtiger ist die Inkubation neuer SDG-unterstützender
Geschäftsmodelle, wie sie vom SDG Opportunity Explorer
gefördert werden sollen. Es ist dabei nicht erstaunlich, wenn
einige schon wieder von einem SDG-Washing sprechen.
Wer Ziele erreichen will, der muss sie wohl messbar machen.
Und daher spricht nichts gegen diese und alle anderen Initiativen
in Unternehmen und Verbänden, solange in Erinnerung
bleibt, dass auch die 17 globalen Ziele kein Selbstzweck,
sondern allenfalls Instrumente des Wandels sind, um die
Welt ein Stück nachhaltiger, gerechter, friedlicher und freier
zu machen.
Jenseits des umsetzungsorientierten Engagements könnten
Unternehmen der Gesellschaft auch auf andere Weise dienen:
mit Aufrichtigkeit und Offenheit. Viel zu wenig ist öffentlich
von den Herausforderungen und Dilemmata zu hören, welche
es aber trotzdem gibt und die hier kurz benannt werden:
1. das Wettbewerbsdilemma: Warum wir und nicht andere? Es
fehlt das „level-playing-field“;
2. das Zuständigkeitsdilemma: Ist das noch unser Verantwortungsbereich?
Wie weit wollen und können wir Fernwirkungen
beeinflussen? – die Lieferkettenproblematik;
3. das Regulationsdilemma: Sind es nicht die Gesetzeslage,
Branchen- oder technische Kodizes, die uns zu nichtnachhaltigem
Verhalten zwingen? Es gibt Konflikte mit
übergeordneten Regularien.
4. das Interdependenzdilemma: Ist das Zielsystem eigentlich
widerspruchsfrei? Maßnahmen zu Ziel x verschlechtern
doch die Performance bei Ziel y.
5. das Trägheitsdilemma: „Ein solcher Ansatz findet im Unternehmen
keine Akzeptanz“. Hier gibt es einen fließenden
Übergang in
6. das Komplexitätsdilemma: „Mit was sollen wir uns in einer
ohnehin schon komplexen Welt noch zusätzlich beschäftigen?“
>>
globalcompact Deutschland 2017
27
AGENDA
Die bisher genannten Dilemmata mag man noch als operative
und taktische Herausforderungen oder als Aspekte der
Umsetzungs-Motivation interpretieren. Grundsätzlicher und
normativer ist
7. das Wertedilemma: „Mag sein, dass dieses Ziel Teil einer UN-
Agenda ist, aber ich teile diese Zielsetzung nicht.“
Ist dies eigentlich möglich? Hat die 2030-Agenda nicht den
Mantel höchster Legitimität und ist sakrosankt gegen Kritik?
5. Ziel- und Wertkonflikte nicht vertuschen!
Kann und darf man die Agenda 2030 im Ganzen oder in
Teilen auch ablehnen und gegebenenfalls nicht akzeptieren?
Die Frage ist rhetorisch: Natürlich! Denn man vergesse nicht:
Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 sind in einem
mehrjährigen, komplexen Verhandlungsprozess erarbeitet
worden. Das heißt: Die VN-Agenda 2030 ist ein Kompromiss.
Dieser erreichte Kompromiss ist ein hoher Wert: Wer einmal
versucht hat, sich in einer Organisation ohne klar definierte
Führung mit 20 bis 200 Menschen auf ein gemeinsames Zielsystem
zu einigen – und zwar ohne klar definierte Führung
–, der kann erahnen, was es bedeutet, 196 Staaten in ein Boot
zu holen. Besserwisserische Kritik mag daher als unangemessen
gelten. Der Kompromiss zeigt, was erreichbar war, und
das ist viel. Mag sein, dass das mediale Schweigen bei dessen
Verabschiedung auch ein Zeichen der Wertschätzung gewesen
ist, weil man auf die naheliegende kritische Bearbeitung
verzichtet hat.
Aber nun ist die Erarbeitungsphase vorbei, ist die Verabschiedung
gelungen und auch die Einführungsphase beendet.
Dauerhaft wird die Agenda 2030 – wie in ihr selber betont
wird – nur durch das Engagement vieler Akteure. Aber
diese Akteure – Individuen, Verbände, Unternehmen, Staaten
– bleiben jeweils einzelne Akteure und werden nicht
zu Umsetzungsagenturen eines beschlossenen Weltplanes.
Unternehmen und andere Akteure begegnen mit eigener
Entscheidungsfreiheit in der Agenda 2030 sozusagen dem
Rest der Welt. Sie sehen eine Momentaufnahme globaler
Willensbildungsprozesse. Aber damit ist keineswegs die
Abdankung des eigenen Denkens und Urteilens verbunden.
Kritik ist dann aber nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
Das kann viererlei beinhalten:
1. Kritik an einzelnen Zielen: Manche hätten gerne verhindert,
dass mit SDG 8 der Begriff des Wirtschaftswachstums
– freilich als „dauerhaft, breitenwirksam und nachhaltig“
qualifiziertes Wirtschaftswachstum – in die Agenda
eingegangen ist. Wer angesichts planetarischer Grenzen
eine Postwachstumsökonomie fordert, dürfte damit nicht
vollständig zufrieden sein. Andere müssen kritisch infrage
stellen, ob die Reduktion von Ungleichheit in und zwischen
Ländern (SDG 10) wirklich ein Ziel in sich ist. Wesentliche
Humanitätsziele wie Kampf gegen Hunger, extreme Armut
und Hilflosigkeit gegen Krankheiten sind ja in den SDGs 1 bis
3 schon enthalten. Ist ein zusätzliches und eigenständiges
Gleichheitsziel nicht unnötig? Oder ist es ein Indiz dafür,
dass sich in den Gremien der Dokumentverhandlung der
Egalitarismus über den Humanismus durchgesetzt hat?
2. Kritik an Zielformulierungen: Gesundheit wird jeder als wichtiges
Element eines guten Lebens ansehen können. Aber
schießt eine Formulierung wie diejenige in SDG 3 nicht
über das Ziel hinaus, ein „gesundes Leben für alle Menschen
jeden Alters (zu) gewährleisten“? Zumindest in Verbindung
mit der WHO-Gesundheitsdefinition, wonach Gesundheit
nicht nur die Abwesenheit von Krankheiten, sondern das
„vollständige körperliche, geistige und soziale Wohlergehen“
ist, wird aus der „Gewährleistung“ in SDG 3 recht schnell
ein Menschheitsbeglückungs-Programm, das dann nicht
mehr ambitioniert, sondern eigentlich als totalitär zu bezeichnen
wäre. Hätte die „Ermöglichung eines gesunden
Lebens“ nicht auch ausgereicht, um das Missverständnis
paternalistischer Gesundheitsbevormundung zu verhindern
und der Eigenverantwortung für das eigene Leben
(und Sterben) wenigstens einen gewissen Raum zu geben?
3. Kritik am Zielsystem: Komplexe Werte- und Zielsysteme sind
auch immer daraufhin zu befragen, welche Akzente sie
setzen und was eigentlich fehlt. Mit dem Ziel, Zugang zur
Justiz für jeden Menschen zu ermöglichen, und durch
Unterziele wie SDG 16.5ff. sind wichtige Aspekte rechtsstaatlicher
Orientierungen benannt. Ein großer Fortschritt.
Auch von Selbstbestimmung ist in der Agenda 2030 die
Rede – an mindestens zehn Stellen. Dies aber immer und
ausschließlich im Zusammenhang der Selbstbestimmung
von Frauen und Mädchen. Auch dies ist alles andere als
selbstverständlich und ein zu Recht priorisiertes Thema.
Aber Defizite im Recht auf Selbstbestimmung gibt es nicht
nur in diesem Zusammenhang. Wenn man den Blick darauf
lenkt, fällt umso mehr der Ausfall freiheitlichen Denkens in
der Agenda 2030 auf. Dies ist vielleicht ehrlich. Es spiegelt
einfach die Realität globaler Meinungsbildung wider. Es
gibt einfach (noch) keinen globalen Konsens für den Wert
westlich interpretierter Freiheitsrechte – eine Herausforderung
für die Verhandler einer künftigen Agenda 2045
und eine Herausforderung für den Umgang mit der Agenda
2030 in unserer Gesellschaft und unseren Unternehmen.
4. Kritik an Inkonsistenzen: Ein Indiz für den Kompromisscharakter
der Agenda 2030 mag auch folgende Beobachtung sein:
Die Präambel bündelt den Geist der Agenda 2030 um fünf
Leitbegiffe: People, Planet, Prosperity, Peace and Partnership.
Die Ausführungen zum Stichwort Partnership beschreiben
die Erwartungen an weltweite Zusammenarbeit, die in einem
„Geist verstärkter globaler Solidarität gründen“ sollen. Wer
sich mit Tradition und Bedeutungsgehalt von Solidarität
auseinandersetzt, wird fragen, ob „globale Solidarität“ nicht
ein dünnes und nur in Ansätzen erahnbares Fundament
darstellt und globales Agieren nicht doch mit (Macht-)
Interessen verbunden ist. Der allererste Satz der Agenda
2030 nennt diese fünf Leitbegriffe auch mit einer Abwei-
28 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
Kann und darf man die Agenda
2030 im Ganzen oder in Teilen
auch ablehnen und gegebenenfalls
nicht akzeptieren?
chung: „Diese Agenda ist ein Aktionsplan für die Menschen,
den Planeten und den Wohlstand. Sie will außerdem den
universellen Frieden in größerer Freiheit festigen.“ Ob die
Ersetzung von „Partnerschaft“ durch „Freiheit“ an dieser
prominenten Stelle nur ein redaktioneller Schreibfehler ist?
Oder ein geschickter Hinweis darauf, dass das Verhältnis
von Freiheit und Partnerschaft, von Unabhängigkeit und
Interdependenz, von Selbstbestimmung und Eingebundenheit
die eigentliche Herausforderung der globalen Agenda
2030 darstellt?
Die Agenda 2030 ist nicht nur der End- und Kompromisspunkt
eines Verhandlungsprozesses, sondern auch der Startpunkt
eines ergebnisoffenen Prozesses. Ihre Relevanz hängt davon
ab, ob und inwiefern Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen,
Zivilgesellschaft und Regierungen sich diese zu eigen machen
und kraftvoll unterstützen. Dieses Zu-Eigen-Machen ist nicht
möglich, ohne eigene Schwerpunkte zu setzen, die sich von
anderen unterscheiden; es ist nicht möglich, ohne die Agenda
mit eigenen Interessen und Anschauungen zu kombinieren;
es ist nicht möglich, ohne auf eigene Kritik an Teilen dieses
Kompromisses zu stoßen. Globale Zielsysteme hin oder her:
Die globale Zukunft und ihre Institutionen werden „Ergebnis
menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs“
sein. Einen Umsetzungsautomatismus gibt es nicht, kann es
nicht und soll es auch nicht geben.
6. I have a dream: Eine Deutschland-Agenda 2030
Wie sähe sie aus, eine Deutschland-Agenda 2030, welche
die globale 2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung ernst
nimmt? Mag sein, dass eine Weiterentwicklung der Deutschen
Nachhaltigkeitsstrategie, innovative SDG-Geschäftsmodelle
und „Blueprints for Business Leaderships on the SDGs“, ein
besseres Verständnis von Interdependenzen und vielfältige
Berichts- und Monitoring-Systeme Teil einer solchen Zukunftsstrategie
sein mögen.
strittigeres Target- und Indikatorensystem.
Das Hauptverdienst ist es vielmehr, zwei
große Diskursstränge und ihre Vielzahl an
NGOs, Ministerien und Thinktanks mehr
oder minder elegant in einen Projektstrang
zusammengeführt zu haben. Die entwicklungsorientierten
Gruppierungen auf der
einen und die umwelt- und klimapolitischen
Strömungen auf der anderen Seite repräsentieren
sehr unterschiedliche Interessen und
Prioritäten – übrigens auch verschiedener
Regionen der Erde. Die 2030-Agenda repräsentiert die – im
Detail weiterhin schwierige und von Zielkonflikten durchzogene
– Integration dieser beiden großen Strömungen. Welche
Mühe und Hartnäckigkeit war dafür nötig in den am Ende
erfolgreichen Verhandlungen!
Doch die nächsten Aufgaben warten nicht. Wie wäre es, wenn
Deutschland sich aufmachen würde und bei der Entwicklung
einer Deutschland-Agenda 2030 nochmals ganz andere Akteure
einbeziehen würden – die Akteure der Digitalisierung.
Von Infrastruktur über Künstliche Intelligenz bis smart communication
– die Szenerie der Digialisierung ist anders in
Mentalität und Geschäftsmodellen. Einfach wäre es nicht, die
beiden großen Querschnittsthemen „Nachhaltige Entwicklung“
und „Digitalisierung“ mutig zu einer neuen Zukunftsagenda
zu verweben.
Nicht unähnlich zur Entwicklung der Agenda 2030 müssten in
diesem Prozess Menschen miteinander sprechen und streiten,
die heute sehr weit auseinander sind: auf anderen Tagungen,
mit anderem Stil und anderer Sprache, mit anderen Interessen.
Eine solche Deutschland-Agenda 2030 wäre ein Leuchtturmprojekt
für die Welt.
Eine wesentliche mentale Voraussetzung hätte dieses Projekt:
Wir müssten uns (ohne Garantie für Erfolg) auf allen Seiten
eine innere Freiheit zum kreativen Umgang mit der Agenda
2030 nehmen. Eine solche Herangehensweise steht in einem
gewissen Spannungsverhältnis zur Vorstellung, eine scheinbar
in sich ruhende UN-Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen „einfach
nur umzusetzen“. Auch in diesem Sinne gilt: Macht voran!
Aber bitte nicht umsetzen!
Aber die Rolle Deutschlands könnte auch eine ganz andere
sein, nämlich die mühsame, aber erfolgreiche Entwicklung
der Agenda 2030 nicht nur umzusetzen, sondern in die Zukunft
hinein fortzusetzen.
Betrachtet man nicht nur die formale, sondern die inhaltliche
Leistung des SDG-Verhandlungsprozesses, dann ist das
Hauptverdienst der SDGs keineswegs das Aufzählen von stets
strittigen Zielformulierungen und schon gar nicht ein noch
ÜBER DEN AUTOR
Prof. Dr. Joachim Fetzer ist geschäftsführender Gesellschafter der
Fetzer Immobilien GbR in Augsburg und seit 2011 Honorarprofessor
der FH Würzburg-Schweinfurt. Dem Vorstand des Deutschen
Netzwerks Wirtschaftsethik gehört er seit 2005 in unterschiedlichen
Funktionen an, davon 2012 bis 2015 als geschäftsführendes
Vorstandsmitglied.
globalcompact Deutschland 2017
29
AGENDA
Alle reden von Digitalisierung, von ihrem Einfluss auf den Arbeitsmarkt
der Zukunft und der Wichtigkeit, jetzt die richtigen
Schritte zu gehen. Aber was passiert, wenn diese Schritte (nicht)
gesetzt werden? Wir stellen Ihnen sechs Zukunftsvisionen vor.
Was würde passieren, wenn Unternehmen mal besonders
wagemutig, mal besonders konservativ auf die Zukunft zugehen?
Wie könnten die Rahmenbedingungen für Menschen,
Unternehmen und die Politiker aussehen, wenn die Digitalisierung
in Deutschland weiter Fahrt aufnimmt und Politiker
und Unternehmer mal besonders offensiv und mal besonders
abwartend vorgehen?
Technologie- und Arbeitsexperten haben im Auftrag der
Bertelsmann-Stiftung sechs Szenarien entwickelt, die ein sehr
differenziertes Bild von den Auswirkungen der Digitalisierung
zeichnen: von Deutschland als global erfolgreichem Exporteur
digitaler Industriegüter mit bedingungslosem Grundeinkommen
über einen Staat mit wenig Berufschancen außerhalb
stark vernetzter Metropolen bis zu einer Welt, in der es zwar
ausreichend Arbeit gibt, jedoch jeder auf sich allein gestellt ist.
30 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
Szenario 1
DEUTSCHLAND 4.0
Technischer Fortschritt
Ganz Deutschland ist mit Glasfasernetzen
ausgestattet. Große Datenmengen gelangen in
Sekundenbruchteilen von A nach B.
Innovationsfaktor
Hoch! Die Unternehmen haben auf die Anforderungen
der Industrie 4.0 reagiert, sich
erfolgreich umgestellt und so ihre internationale
Wettbewerbsfähigkeit erhalten.
Arbeitsmarkt
Projektarbeiter in Festanstellung sind der Regelfall.
Der Arbeitsmarkt steht jedoch unter hohem
Druck, da wegen der hohen Technisierung der
Produktion die Nachfrage nach Facharbeitern
sinkt.
Soziale Sicherung
Nach einer Reform des Sozialgesetzbuches
wurde ein bedingungsloses Grundeinkommen
eingeführt.
Wahrscheinlichkeit
Mittel bis hoch. Doch die kommenden Jahre
entscheiden darüber, wie realistisch dieses Szenario
wirklich ist. Nehmen die Unternehmen die
Herausforderungen der Digitalisierung an? Sind
sie bereit, Zeit, Energie und Geld zu investieren?
Und wie viel Unterstützung erhalten sie dabei
von der jeweiligen Regierung?
Szenario 2
WOHLSTAND DURCH WISSEN
Technischer Fortschritt
Die digitale Infrastruktur in den Städten ist am
Limit angekommen, auf dem Land aber ist der
Ausbau mit Glasfaserkabeln weit vorangeschritten.
Die wirtschaftliche Dominanz der Metropolen
schwindet.
Innovationsfaktor
Mittel. Nur wenigen Unternehmen ist es gelungen,
ein funktionierendes und wettbewerbsfähiges
digitales Geschäftsmodell zu entwickeln. Der Mittelstand
hat sich der Entwicklung fast ganz entzogen.
Wichtige Player wie Automobilhersteller und
Maschinenbauer sind zwar weiterhin umsatzstark
und erfolgreich, aber nur, weil sie Automatisierungstechnologien
digitaler Marktführer aus den
USA und Asien importiert und umgesetzt haben.
Ihre volkswirtschaftliche Bedeutung in puncto
Arbeitsplätze haben sie allerdings eingebüßt.
Banken und Versicherungen sind die neuen
wirtschaftlichen Großmächte der „New Digital
Economy“.
Arbeitsmarkt
Der Arbeitsmarkt ist fragmentiert und undurchlässig.
Wissensarbeiter profitieren, aber die
Nachfrage nach einfachen Tätigkeiten ist fast
vollständig eingebrochen. Geringqualifizierte
haben keine Lobby.
Soziale Sicherung
Die Sozialsysteme stehen vor dem Kollaps, weil
die technologisch abgehängte, analoge Old Economy
ihre Arbeitnehmer der Babyboomer-Generation
in den üppig ausgestatteten Vorruhestand
geschickt hat und zunehmend auf Outsourcing
von Arbeit setzt.
Wahrscheinlichkeit
Mittel. Zwar sind digitale Geschäftsmodelle in den
industriellen Kernbranchen wie Automobil und
Maschinen noch längst nicht alleine überlebensfähig,
die Bemühungen der Akteure zeigen jedoch
erste Erfolge. Hier wird entscheiden, mit welcher
Konsequenz die Unternehmen künftig vorgehen.
Je eher die Menschen in Deutschland Aus- und
Weiterbildung beruflich als überlebenswichtigen
Faktor erkennen, desto leichter lässt sich die
Fragmentierung des Arbeitsmarktes verhindern.
>>
globalcompact Deutschland 2017
31
AGENDA
Szenario 3
TOTAL DIGITAL
Technischer Fortschritt
Highspeed-Internet gibt es jetzt überall.
Deutschland ist eine durchdigitalisierte Industrienation.
Jeder, dessen Geschäftsmodell auf
Daten setzt, muss sich um die Infrastruktur
keine Sorgen machen.
Innovationsfaktor
Sehr hoch. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit
hat sich sogar noch erhöht. Das „Internet
der Dinge“ ist längst kein Novum mehr, sondern
Alltag in den Betrieben. „Made in Germany“
hat einen neuen Beiklang bekommen: digital
innovativ. Nur im Mittelstand gibt es noch etwas
Aufholbedarf.
Arbeitsmarkt
Selbstständigkeit ist das vorherrschende
Arbeitsmodell. Die Nachfrage nach flexiblen
Kräften mit unterschiedlicher Expertise hat sich
enorm erhöht. Unterstützt hat diese Entwicklung
der Gesetzgeber durch Steueranreize und
Bürokratieabbau. Der Arbeitsmarkt zeigt sich
stabil und entwickelt sich positiv.
Soziale Sicherung
Soziale Absicherung ist nur rudimentär ausgestaltet,
aber für jeden erreichbar.
Wahrscheinlichkeit
Eher gering. Von den technischen Voraussetzungen
ist Deutschland aktuell noch ein ziemliches
Stück entfernt. Zudem ist die Annahme, sozialversicherungspflichtige
Jobs in so großer Zahl
in selbständige Tätigkeiten einfach umwandeln
zu können, zu optimistisch.
Szenario 4
ALLES BEIM ALTEN
Technischer Fortschritt
Glasfaser? Ist immer noch die Ausnahme
in Deutschland. Unternehmen wählen ihren
Standort nach dem Kriterium, wie gut der Breitbandausbau
vor Ort ist, was gerade ländliche
Gebiete immer weiter nach hinten wirft.
Innovationsfaktor
Niedrig, Deutschland lebt von der Substanz. Ein
paar Branchen der Old Economy prosperieren
und halten mit Mühe dem internationalen Wettbewerb
stand.
Arbeitsmarkt
Der Arbeitsmarkt ist unflexibel und seit Jahren
unverändert. Langjährige Festanstellungen
überwiegen. Die Politik hat zwar in einigen Bereichen
die Digitalisierung der Wirtschaft unterstützt,
jedoch können gerade ländliche Regionen
nicht profitieren. Außerhalb großer Städte wird
die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften
immer geringer.
Soziale Sicherung
Die Rentenkassen stehen unter hohem Druck,
das Sozialversicherungssystem droht zu kollabieren.
Eine echte Alternative hat niemand.
Wahrscheinlichkeit
Nicht ganz unwahrscheinlich.
32 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
Szenario 5
DAS LAND DER
VERSCHIEDENEN
GESCHWINDIGKEITEN
Technischer Fortschritt
Die Bundesländer haben die Herausforderungen
des digitalen Wandels sehr unterschiedlich
interpretiert. Einzelne Regionen verfügen
jetzt über Hochgeschwindigkeitsnetze, andere
hängen mit dem Ausbau weit hinterher, mit
ungünstigen Folgen für die Wirtschaft.
Innovationsfaktor
Hoch – im Prinzip! Wenn man in der richtigen
Ecke Deutschlands wohnt. Die deutsche Wirtschaft
hat die Herausforderungen der Industrie
4.0 begriffen, wobei jedoch der Erfolg der
industriellen Transformation in den Bundesländern
sehr unterschiedlich ist. Bayern kämpft mit
Sachsen um die besten Talente, Hamburg mit
Baden-Württemberg.
Arbeitsmarkt
Hoch qualifizierte Wissensarbeiter können sich
ihre Jobs aussuchen und arbeiten vor allem als
Selbstständige mit guten Honoraren. Politischen
Einfluss haben noch die Bundesländer, der Bund
wird von Brüssel dominiert. Nachgefragt werden
auf dem Arbeitsmarkt vor allem Hochqualifizierte,
für alle anderen ist die Nachfrage deutlich
gesunken.
Soziale Sicherung
Die neuen Arbeitsmodelle bedeuten, dass
selbstständige Mitarbeiter sich selbst absichern
müssen, wodurch viel weniger Arbeitnehmer in
die Sozialsysteme einzahlen. Gleichzeitig sind
mehr Menschen denn je auf sie angewiesen. Die
Grundsicherung für alle wird deswegen zunehmend
steuerfinanziert.
Wahrscheinlichkeit
Gar nicht mal so gering. Die Unterschiedlichkeit
der Regionen wird schon jetzt immer mehr zum
Erfolgsfaktor. Der Länderfinanzausgleich steht
auf der Kippe. Die sehr unterschiedlich gelagerten
Interessen der Bundesländer machen es auf
Bundesebene heute schon schwer, zu Einigungen
zu kommen.
Szenario 6
DIGITALE APOKALYPSE
Technischer Fortschritt
Fortschritt? Gibt es nicht. Deutschland 2030
ist auf dem Stand von 2016 und gilt damit im
internationalen Vergleich als digitales Entwicklungsland.
Von Wettbewerbsfähigkeit kann keine
Rede mehr sein.
Innovationsfaktor
Null. Wie auch sonst? Im Bundestag sitzt seit
zwei Legislaturperioden die Partei „Die Analogen“,
die erfolgreich gegen den digitalen Wandel
agiert. Ihr gelingt es, eine technikfeindliche
Stimmung im Land zu provozieren. Volksentscheide
gegen Weiterentwicklungen und bessere
Netze sind regelmäßig erfolgreich.
Arbeitsmarkt
Wer Arbeit hat, ist in einem Normalarbeitsverhältnis,
wie es sie heute schon lange gibt. Durch
den konjunkturellen Einbruch entwickelt sich
der Arbeitsmarkt in allen Segmenten entsprechend
schlecht. Die Gehälter sind auf einem
niedrigen Niveau.
Soziale Sicherung
Auf niedrigem Niveau gibt es sie noch, doch ihre
Tage sind gezählt. Experten rechnen mit einem
Ende innerhalb der kommenden fünf Jahre.
Schon jetzt wachsen die Staatsschulden in ungesunde
Höhen, um wenigstens ein minimales
Niveau halten zu können.
Wahrscheinlichkeit
Unwahrscheinlich. Hoffentlich!
Quelle: Auszug einer Studie der Arbeitsagentur
im Magazin Faktor-A
globalcompact Deutschland 2017
33
AGENDA
„Szenarien sind Geschichten über die Zukunft,
die Menschen bewegen, etwas zu tun.“ Ulrich Golüke
Wie lässt sich das Ziel einer nachhaltigen Lebensweise in
Deutschland verwirklichen – individuell und als Gesellschaft?
Wie kann eine an Nachhaltiger Entwicklung ausgerichtete
Verbraucherpolitik den Wandel sinnvoll unterstützen? Und
was sind mögliche Rahmenerzählungen dieser tiefgreifenden
Transformation, die dem Handeln im Alltag einen größeren
Zusammenhang und eine Richtung geben?
Im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
(BMJV) hat das Institut für prospektive Analysen
(IPA) die Szenarien-Werkstatt „Nachhaltiger Konsum 2030“
durchgeführt. Erste Ergebnisse wurden jetzt im deutschen
Global Compact Netzwerk vorgestellt.
34 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
Szenario 1
„WARUM KONSUMIEREN WIR NICHT
SCHON LÄNGST NACHHALTIG(ER)?!“
Dieser Narrativ setzt bei den individuellen Handlungsspielräumen
an, über die die bzw. der Einzelne verfügt, um
durch entsprechende Kaufentscheidungen und Nutzungsverhalten
zu einer Nachhaltigen Entwicklung beizutragen.
Durch die Verringerung des eigenen Verbrauchs und die
Wahl von nachhaltigeren Produkten wird das Angebot beeinflusst.
Der ökologische Fußabdruck pro Kopf verringert
sich. Der Konsument als treibende Kraft mit Lenkungswirkung
(„Konsumentendemokratie“, „Verbraucher-Macht“)
– denn kein Unternehmen kann langfristig überleben, wenn
seine (nicht-nachhaltigen) Produkte nicht gekauft werden.
Und umgekehrt: werden mehr nachhaltige Produkte
nachgefragt, reagieren die Produzenten und weiten das
Angebot aus.
Beispiele für Nachhaltigen Konsum sind der Kauf regionaler
Lebensmittel und allgemein die Unterstützung regionaler
Wirtschaftskreisläufe, Bio-Produkte, die Verringerung
des persönlichen Fleischkonsums, die Reduzierung
von Wegstrecken und die Wahl von Verkehrsmitteln, die
die Umwelt weniger belasten. Die Wahl langlebiger Produkte
mit geringerem Energie- oder Ressourcenverbrauch
verbessern die Ökobilanz über den Lebenszyklus der Nutzung.
Das Konzept der „Sharing Economy“ geht weit über
die „gemeinsam genutzte Bohrmaschine“ hinaus. Hier
geht es darum, dass Gebrauchsgüter nicht mehr gekauft
werden, sondern deren temporäre Nutzung. Vielfältige
Modelle des Contractings – von der Bereitstellung von
Energiedienstleistungen, Geräten, Arbeitsraum bis zum
Erwerb von Serverkapazitäten – gewinnen zunehmend
an Bedeutung. Angesichts der Tatsache, dass z.B. der eigene
– unter hohem Einsatz von Energie und Ressourcen
hergestellte – PKW mehr als 95 Prozent der Zeit ungenutzt
steht und Fläche in Anspruch nimmt, wird deutlich,
dass durch Modelle des Carsharings enorme Potenziale
gehoben werden können. Neben der ökologischen Dimension
können achtsame Kauf- und Nutzungsentscheidungen
auch zur Stärkung der sozialen Nachhaltigkeit von
Produkten und fairen Arbeitsbedingungen beitragen. In der
Summe können so individuelle Entscheidungen zu einer
deutlichen Reduktion des Umweltverbrauchs beitragen
und eine ökologisch nachhaltige sowie sozial tragfähige
Entwicklung befördern.
Eine Hürde für die Ausbreitung nachhaltiger Konsummuster
besteht jedoch darin, dass Nachhaltiger(er) Konsum
oft noch auf Verzicht und Einschränkung von Handlungsfreiräumen
reduziert wird. Und in der Tat bedeutet
Nachhaltiger Konsum auch die Verringerung von umweltbelastendem
oder in sozialer Hinsicht schädlichem Verbrauch
– also bewussten Verzicht. Er eröffnet aber ebenso
die Perspektive auf einen Zuwachs an Lebensqualität,
Sinnhaftigkeit, Entlastung und Vereinfachung. Achtsamer
Konsum bedeutet in diesem Sinne weniger die Frage nach
dem „Wie viel?“, sondern nach dem „Was?“ und „Wofür?“.
Dieser Perspektivenwechsel beschreibt den Wandel vom
verbrauchenden zum achtsam nutzenden Konsumenten.
Dem Leitbild eines Wandels durch achtsamen und
verantwortungsvollen Konsum steht heute zudem die
Tatsache gegenüber, dass wir den allergrößten Teil unserer
Kaufentscheidungen unbewusst, emotional und/oder
gewohnheitsmäßig treffen.
>>
globalcompact Deutschland 2017
35
AGENDA
Szenario 2
„WARUM SORGT DIE POLITIK NICHT
FÜR DIE RICHTIGEN GESETZE UND
RAHMENBEDINGUNGEN?!“
In diesem Narrativ wird die Verwirklichung eines Nachhaltigen
Konsums vor allem als öffentliche Aufgabe
wahrgenommen. Nicht primär der individuelle Konsument,
sondern die politisch denkenden und handelnden Bürgerinnen
und Bürger sind gefragt, um die Weichen für den
Wandel zu stellen. Es geht darum, die politischen und
gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen
Produzenten und Verbraucher ihrer Verantwortung nachkommen
können. Denn solange Unternehmen in großem
Umfang Kosten auf die Umwelt bzw. Gesellschaft abwälzen
(„externalisieren“) dürfen, ist es schwer, nachhaltig
zu produzieren und dennoch im Wettbewerb zu bestehen.
Wenn zahlreiche politische Maßnahmen und Subventionen
für nicht-nachhaltige Güter auf den Erhalt von Arbeitsplätzen,
Wirtschaftswachstum und Steigerung der Binnennachfrage
abzielen, steht das den Zielen von Mäßigung und
geringerem Ressourcenverbrauch entgegen. Umgekehrt
können entsprechende Maßnahmen ein günstiges Klima
für Nachhaltigen Konsum schaffen.
Im Grunde geht es bei den meisten der oben genannten
Zugänge um die Stellschrauben Marktzugang, Preis und
Verfügbarkeit, zum Teil aber auch um Bildung/Bewusstsein
für eine Nachhaltige Entwicklung (BNE), die Förderung
von sozialen und technologischen Innovationen sowie die
Anregung und Fortentwicklung des öffentlichen Diskurses
über Wohlstand und Nachhaltigkeit.
Ein paar Beispiele und Handlungsstränge:
1. Auflagen / keine ‚Licence to operate‘ für nicht-nachhaltige
Geschäftsmodelle: Produkte, die grundlegenden
Nachhaltigkeitsstandards nicht gerecht werden, sollten
den Verbrauchern gar nicht erst als Teil ihrer Konsumentenverantwortung
zugemutet werden; sie sollten sich
nur entscheiden müssen, ob sie nachhaltige Produkte
im engeren oder weiteren Sinne kaufen; dies setzt in der
Praxis funktionierende Indikatoren voraus, anhand derer
die Nachhaltigkeit bzw. Nicht-Nachhaltigkeit von Produktionsprozessen
und Gütern bewertet werden kann;
2. Umweltverbrauch einpreisen: Durch Auflagen, die für
Unternehmen zu einer Internalisierung von Kosten
führen, würden nachhaltige Produkte vergleichsweise
billiger (z.B. durch Einführung eines Emissionshandelssystems
für die Landwirtschaft);
3. Wo eine Internalisierung von Kosten nicht möglich ist,
könnten fiskalische Anreize gesetzt werden (z.B. verringerter
MwSt.-Satz für Bio-Lebensmittel; 19 % MwSt. für
Fleisch; höhere Besteuerung des Flugverkehrs usw.);
Vermeidung von Rebound-Effekten in der Folge von Effizienzsteigerungen
durch eine analoge Verteuerung des
jeweiligen Produkts (z.B. sinkt der Benzinverbrauch um
zehn Prozent, wird Benzin durch fiskalische Instrumente
entsprechend verteuert).
4. Jährlich werden nach Schätzungen des Umweltbundesamtes
über 50 Milliarden Euro Subventionen für nichtnachhaltige
Produkte gezahlt, diese könnte man abbauen
(z.B. Abschaffung der Subventionen für Dienstwagen
mit hohem Benzinverbrauch) und in sozialverträgliche
„Fading-outs“ und Anschubsubventionen für nachhaltige
Technologien und Güter umlenken.
36 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
Szenario 3
„WARUM HABEN TECHNOLOGISCHE
INNOVATIONEN BISLANG KAUM
ZU MEHR NACHHALTIGKEIT
GEFÜHRT?!“
Bei diesem Ansatz spielen technologische Innovationen
eine zentrale Rolle. Nachhaltiger Konsum wird durch
regenerative Energien, eine signifikante Steigerung der
Ressourcenproduktivität sowie die Entwicklung umweltverträglicher
Produkte und Stoffkreisläufe ermöglicht.
Denn angesichts der wachsenden Weltbevölkerung und
der wirtschaftlichen Dynamik in den Schwellen- und
Entwicklungsländern können Konsumverzicht und die
Verringerung von Emissionen und Ressourcenverbrauch
in den entwickelten Industrieländern nur begrenzt etwas
bewirken. Zudem gibt es kaum Beispiele in der Geschichte,
wo ein einmal erreichter Lebensstandard freiwillig wieder
eingeschränkt wurde. Durchbruchsinnovationen und
technologische Systemsprünge sind in dieser Perspektive
eine wichtige Voraussetzung für eine tragfähige globale
Entwicklung.
Eine zentrale Voraussetzung für die Etablierung eines
nachhaltigen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells ist
die Verfügbarkeit von erneuerbarer Energie. Die Nutzung
fossiler Energieträger (und anderer Formen der nichtnachhaltigen
Energiegewinnung) stehen nur noch temporär
zur Verfügung. Denn sie belasten die Umwelt und sie
gehen zur Neige. Auf längere Sicht muss der Energiemix
in Deutschland nahezu ausschließlich aus erneuerbaren
Energiequellen gedeckt werden. Die Aussichten dafür
stehen gut. Neben der Energieerzeugung geht es aber auch
um die Entwicklung neuer Speichermedien und effizienter
Netze. Und es geht auch darum, unkonventionelle Wege zu
erkunden. Kohlendioxid ist zum Beispiel im Übermaß vorhanden
und könnte unter dem Einsatz von regenerativen
Energiequellen zur Gewinnung von Methanol oder anderen
lagerfähigen Brennstoffen genutzt werden (doppelter
Nutzen: Verringerung von CO 2 in der Atmosphäre und
ein günstiges Betriebsmittel für die Energiespeicherung).
Vielleicht werden wir in ein paar Jahrzehnten unbegrenzte
Energie aus Kernfusionsreaktoren oder sogar im Zuge der
kalten Fusion erzeugen können. Neben der Frage der Energiegewinnung
bestehen unzählige und große Potentiale
bezüglich der Steigerung der Energieeffizienz.
Heute werden noch viele Ressourcen und natürliche
Lebensgrundlagen hochgradig ineffizient verbraucht. Die
Steigerung der Ressourcenproduktivität ist darum ein weiteres
Kernelement für die Erreichung eines nachhaltigen
Entwicklungsmodells. Auch müssen lineare Verwertungswege
vom Rohstoff bis zum Abfall bzw. Schadstoff weitgehend
durch zirkuläre Prozesse und Stoffkreisläufe ersetzt
werden. Der „Cradle-to-Cradle“-Ansatz steht exemplarisch
für diese Perspektive. Stoffe oder Stoffverbindungen, die
sich nicht ohne großen Aufwand weiterverwerten oder wieder
in natürliche Kreisläufe zurückführen lassen, müssen in
der Zukunft stark zugunsten nachhaltiger und konsistenter
Herstellungsprozesse verringert werden.
Der Reiz dieser Perspektive liegt auch darin, dass grundlegende
Veränderungen von individuellen und kollektiven
Verhaltensmustern die Erreichung des Ziels eines nachhaltigen
Konsums zwar unterstützen, aber nicht unabdingbare
Voraussetzung sind. Ein tiefgreifender Werte- und
Systemwandel ist nicht notwendig. Wirtschaftswachstum
und die weitere Ausweitung des Konsums bleiben auch in
den reifen Industrieländern weiterhin möglich, wenn dieses
Wachstum „grün“ bzw. „blau“ und inklusiv erreicht wird.
Andererseits bestehen auch Zweifel an der Konzeption eines
„nachhaltigen Wirtschaftswachstums“ und einer Fortführung
des bisherigen ökonomischen Paradigmas. Denn in
der Rückschau sind mit jeder technologischen Innovation
auch nicht intendierte Nebeneffekte verbunden. Allzu oft
haben die Lösungen von gestern zu den Problemen von
heute geführt. Und so ist gegenwärtig zum Beispiel noch
schwer abschätzbar, welche langfristigen Folgen sich aus
der Nutzung von Nanotechnologien, neuen Energiesystemen,
der Molekularbiologie, Geo-Engineering etc. ergeben.
Und selbst eine durchweg ökologische Erzeugung von
Lebensmitteln kann die Tragfähigkeit unserer Ökosysteme
überschreiten.
Quelle: Auszug des Ergebnisberichts zum 1. Projektmodul
der Szenarien-Werkstatt Nachhaltiger Konsum 2030
globalcompact Deutschland 2017
37
AGENDA
38 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
Deutschland kann
selbstbewusst auf
eigene Erfolge
verweisen
Von Dr. Elmer Lenzen
Corporate Foresight, Innovation, Strategie – diese Schlagworte beschreiben große und wichtige
Zukunftsthemen. Aber welche Weichen stellen wir ganz konkret für eine nachhaltigere Zukunft?
Und wie machen wir das am besten? Wir sprachen darüber mit der Innovationsforscherin
Marion Weissenberger-Eibl, die auch die Bundesregierung in SDG-Fragen berät.
Foresight
Frau Prof. Dr. Weissenberger-Eibl, in vielen Länder boomt eine
rückwärtsgewandte Politik. Und auch deutsche Politiker fahren
am liebsten „auf Sicht“. Haben wir unsere positive Einstellung zur
Zukunft verloren?
Weissenberger-Eibl: Aktuell lassen sich auf internationaler
politischer Ebene in der Tat Tendenzen beobachten, eher zurückzublicken
oder das Erreichte infrage zu stellen. Ich denke
zum Beispiel an die Errungenschaften der internationalen Klimapolitik
und speziell die Pariser Verträge, an die sich etwa die
USA nicht mehr binden möchten. Wir sollten uns stattdessen
auf die Zukunft fokussieren und darüber nachdenken, wie wir
mit künftigen Herausforderungen umgehen. Deutschland wird
sich in den nächsten Jahren mit Themen wie Digitalisierung,
Nachhaltigkeit oder dem Demografie- und Fachkräfte-Problem
auseinandersetzen und Lösungen hierfür finden müssen. Dabei
sollten wir nicht vergessen, dass wir auf zukünftige Entwicklungen
– Stichwort Foresight – Einfluss nehmen und Trends
aktiv mitgestalten können. Damit befasst sich mein Lehrstuhl
Innovations- und TechnologieManagement am KIT und das
Fraunhofer ISI, wo wir mit Zuversicht „in die Zukunft blicken“.
Zukunftsforschung klingt nach Glaskugel oder Kartenlegen. Unternehmen
sprechen deshalb lieber von Corporate Foresight. Was ist
das genau?
Weissenberger-Eibl: Bei Corporate Foresight geht es darum,
mögliche zukünftige Entwicklungen frühzeitig zu kennen und
unternehmerische Strategien dafür zu entwickeln. Von daher
ist das Bild von der Glaskugel ziemlich unvollständig. >>
globalcompact Deutschland 2017
39
AGENDA
Corporate Foresight bedeutet nämlich ausdrücklich nicht, eine
Illusion zu kreieren, wie die Zukunft aussehen könnte, sondern
auf wissenschaftlicher Basis unterschiedliche Szenarien
durchzudenken, die für Unternehmen strategisch relevant sein
könnten. Dabei geht es um Fragen, wie wir in Zukunft leben,
uns fortbewegen oder ernähren werden. Welche Rohstoffe und
Produkte werden dafür gebraucht? Welche Entwicklungen sind
wahrscheinlich und wie könnten Unternehmen darauf reagieren?
Unternehmen, die sich aktiv und frühzeitig mit diesen
und anderen Zukunftsfragen auseinandersetzen, erhöhen ihre
Gestaltungsmöglichkeiten und verringern das Risiko unangenehmer
Überraschungen. Das betrifft übrigens technologische
Entwicklungen genauso wie Entwicklungen in der Gesellschaft,
Wirtschaft oder Politik.
Foresight-Ansätze bekommen mit Blick auf die SDGs besondere
Bedeutung. Wenn wir 2030 in einem nachhaltigeren Deutschland
leben wollen, müssen wir was jetzt tun?
Weissenberger-Eibl: Ich denke, wir müssen die Vision, wie
ein nachhaltigeres Deutschland im Jahre 2030 aussehen
könnte, in alle Ebenen der Gesellschaft kommunizieren.
Dazu muss in einem ersten Schritt der Begriff „Nachhaltigkeit“
erklärt werden. Viele denken dabei in erster Linie an
Klima- und Umweltschutz, doch Nachhaltigkeit bedeutet
weit mehr: Themen wie Zugang zu Bildung, schonender
Ressourcenumgang, gesunde und lokale Ernährung oder
effiziente Infrastrukturen gehören ebenfalls dazu. In einem
zweiten Schritt gilt es zu verdeutlichen, dass jede und jeder
mit seinem Handeln als Individuum zu einem nachhaltigen
Leben in Deutschland beitragen kann: Indem zum Beispiel
mehr regionale Produkte und Lebensmittel konsumiert, sparsame
Haushaltsgeräte angeschafft und diese länger behalten
oder öfter öffentliche Verkehrsmittel genutzt werden. Aber
natürlich stellt sich diese nachhaltige Lebensweise nicht von
allein ein, hier muss es auch Anreize geben: Sei es durch
die Erforschung nachhaltiger Innovationen, Investitionen
in nachhaltige Mobilitäts- und Infrastrukturkonzepte oder
die Förderung von Bildung, die eine wichtige Voraussetzung
für das Bewusstsein gegenüber dem Thema Nachhaltigkeit
ist. Die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung greift
bereits viele dieser Aspekte auf. Im Lenkungskreis der Wissenschaftsplattform
Nachhaltigkeit 2030 diskutieren wir dies
ausführlich und entwickeln hierfür geeignete Perspektiven
und Initiativen.
Die Bundesregierung spricht in diesem Zusammenhang nicht von Zukunftsthemen,
sondern von Zukunftsfeldern. Ist das eine semantische
Spitzfindigkeit oder meint das etwas anderes?
Weissenberger-Eibl: Beide Begriffe beschreiben den gleichen
Sachverhalt, also die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der
Vereinten Nationen, die auch die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie
der Bundesregierung prägen. Ich finde „Zukunftsfelder“ zu
40 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
deren Beschreibung von der Begrifflichkeit her sinnvoller und
treffender. Denn es kommt stärker zum Ausdruck, dass es um
weitläufige und schwer abgrenzbare Themenkomplexe geht. So
sind die SDGs „Bezahlbare und saubere Energie“, „Maßnahmen
zum Klimaschutz“ und „Leben unter Wasser“ eng verwoben, was
auch für die SDGs „Hochwertige Bildung“, „Weniger Ungleichheiten“
und „Geschlechter-Gleichheit“ gilt. Zudem bestehen die
„Zukunftsfelder“ wieder aus Unterthemen, weshalb ich diese
Bezeichnung bevorzuge – auch um Irritationen zu vermeiden.
Eine Krux bleibt: Die Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen,
übersteigen oftmals unsere gewohnten Planungshorizonte. Der diesjährige
Nobelpreisträger und Verhaltensökonom Richard H. Thaler
beschreibt das sehr gut. Wie kriegen wir hier mehr Schwung in die
Umsetzung der SDGs?
Weissenberger-Eibl: Um die nachhaltigen Entwicklungsziele
und die SDGs schneller umzusetzen, ist es hilfreich, wenn alle
beteiligten gesellschaftlichen Akteure eng zusammenarbeiten.
Die deutsche Politik hat hierzu extra die SDG-Wissensplattform
„Nachhaltigkeit 2030“ gegründet, in deren Lenkungskreis ich
berufen wurde. Dabei arbeite ich gemeinsam mit Vertreterinnen
und Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und
Zivilgesellschaft an der Umsetzung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie.
Der Lenkungskreis legt die Schwerpunkte
der Plattformarbeit fest und erarbeitet regelmäßig auf Basis
wissenschaftlicher Erkenntnisse Handlungsempfehlungen zur
schnellen Umsetzung der SDG-Ziele. So wird sichergestellt,
dass diese Ziele nicht aus den Augen verloren werden – selbst
dann nicht, wenn sich die Rahmenbedingungen dafür ändern
sollten. Für die Umsetzung und Erreichung der SDG-Ziele ist
der Austausch zwischen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und
Zivilgesellschaft immens wichtig und unverzichtbar.
Innovation
Können Innovationen hierbei so etwas sein wie das Schwert, das
den gordischen Knoten herkömmlichen Wirtschaftens durchtrennt?
Weissenberger-Eibl: Auf dem Weg zu einer nachhaltigeren
Wirtschaftsordnung spielen Innovationen eine enorm wichtige
Rolle. Denn sie stoßen tiefgreifende Transformationsprozesse
an, die wir brauchen, um beispielsweise den CO 2-Ausstoß zu
senken und unsere Ressourcen effizienter zu nutzen. Dazu
bedarf es zum einen kluger Köpfe, die den Mut haben, ihre
Ideen vom Erstentwurf bis zur Marktreife durchzusetzen.
Zum anderen bedarf es aber auch einer starken und gesunden
Innovationskultur, die die Entwicklung und Etablierung
nachhaltiger Start-ups fördert und auch einmal zulässt, dass
man mit einer Idee scheitert. Wir erforschen etwa, welche
Innovationskraft von der in jüngster Zeit aufgekommenen
„Kultur des Selbermachens“ ausgeht – Stichwort „offene
Werkstätten“ und Repair-Cafés – und welche Bedingungen
gegeben sein müssen, damit nachhaltige Innovationen marktund
systemrelevant werden. Deutschland hat, wie der von uns
mitentwickelte „Innovationsindikator“ zeigt, noch Nachholbedarf
– insbesondere bei der Digitalisierung. Innovationen
sind ein hohes Gut auf dem Weg zu einer dezentralen und
vernetzten Wirtschaft.
Bei Corporate Foresight geht es
darum, mögliche zukünftige
Entwicklungen frühzeitig zu kennen
und unternehmerische Strategien
dafür zu entwickeln.
Bei Innovationen denkt man gleich an große Taten wie die Erfindung
des Rades oder des Autos. Die meisten Innovationen sind unspektakulärer.
Sie schlagen deshalb vor, nicht vom Ergebnis, sondern von
Rahmenbedingungen, die zu einem Ergebnis führen, aus zu denken.
Was bedeutet so ein Blickwinkel bei unserer SDG-Diskussion?
Weissenberger-Eibl: Bei Innovationen denken viele Menschen
in erster Linie an bahnbrechende Neuerungen, jedoch weniger
an kontinuierliche Weiterentwicklung. In der Innovationsforschung
sprechen wir im ersten Fall von radikalen, im >>
globalcompact Deutschland 2017
41
AGENDA
zweiten von inkrementellen Innovationen. Letztere spielen eine
weitaus bedeutsamere Rolle, als dies gemeinhin angenommen
wird. Für die Diskussion um nachhaltige Entwicklungsziele
sind inkrementelle Innovationen wichtig, weil sich Verbesserungen
erst im Lauf der Zeit und durch stetiges Anpassen
ergeben. Nimmt man etwa das SDG-Entwicklungsziel „Frieden
und Gerechtigkeit“ als Beispiel her, lässt sich dieses nicht
durch plötzliches Agitieren erreichen. Vielmehr braucht es
dazu stabile politische Verhältnisse, Wirtschaftswachstum
und Bildungsanstrengungen, die sich nicht von heute auf
morgen realisieren lassen. Dies hat die UN erkannt und diese
„Unterziele“ teilweise selbst als „Sustainable Development
Goals“ definiert.
Es gibt bereits herausragende und gute SDG-Beispiele – sogenannte
Leuchttürme. Taugen solche Leuchtturmprojekte, um die anderen
mitzureißen oder enden wir am Ende bei vielen kleinen Insellösungen?
Weissenberger-Eibl: Die erwähnten Leuchtturmprojekte
sind aus mehreren Gründen hilfreich: Zum einen arbeiten sie
konkrete Lösungsvorschläge für globale Problemstellungen
aus, die über die SDGs angesprochen werden. Zum anderen
unterstreichen sie, dass es bei der Umsetzung der nachhaltigen
Entwicklungsziele vorangeht – die Projekte sollen ja zum
Nachahmen anspornen. Zwar sind sie nicht immer komplett
auf andere Fälle und Länder übertragbar. Aber bestimmte
Ansätze und Schemata eignen sich zur vielfältigen Verbreitung.
Ich denke etwa an die Leuchtturmprojekte zum Ausbau der
ländlichen Infrastruktur in Laos, das Bündnis für nachhaltige
Textilien oder das von Deutschland mitfinanzierte Konzept der
Bauernfeldschulen, in denen landwirtschaftliche Fertigkeiten
erlernt, angewandt und weitergegeben werden.
Wir Europäer tun uns oft schwer mit strukturellem Wandel, denn
das bedeutet oft, mühsam ausgehandelte Kompromisse wieder aufzuschnüren.
Viele schauen deshalb neidisch in die USA und das Silicon
Valley mit seiner Innovationsmentalität. Sie tun das nicht. Warum?
Weissenberger-Eibl: Der Erfolg des Silicon Valley ist unbestritten,
er hat aber auch ganz spezifische Ursachen. Daher
ist es ein Irrglaube, dass dessen Erfolgsrezept in Deutschland
funktionieren würde. Wir können aber natürlich Dinge vom
Silicon Valley lernen. Dazu gehört die Erkenntnis, dass die
Verzahnung von exzellenter Forschung und Entwicklung,
finanzieller Unterstützung und unternehmerischen Wissens
eine erfolgreiche Innovations- und Arbeitskultur schafft. Zudem
gibt es in Deutschland keine vergleichbare Fehlerkultur
oder Einstellung gegenüber unternehmerischen Risiken – in
den USA werden Jungunternehmer dagegen mit potenziellen
Geldgebern zusammengebracht, die Start-ups mit Summen
im zweistelligen Milliardenbereich ausstatten. All dies prägt
das Silicon Valley seit den 1950er Jahren und hat im Lauf der
Zeit eine ganz eigene Innovationsmentalität hervorgebracht.
Ich plädiere aber dafür, dass Deutschland selbstbewusst auf
sein eigenes Erfolgsrezept verweisen kann. Im Unterschied
zum Silicon Valley stützt sich das deutsche Innovationssystem
nicht nur auf einige wenige Eliteuniversitäten wie Harvard,
das MIT oder Standford. Stattdessen gibt es hier eine Vielzahl
exzellenter Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen
wie Fraunhofer, Max-Planck, Leibniz und Helmholtz.
Die Fraunhofer-Gesellschaft verknüpft wie keine andere Einrichtung
wissenschaftliche Forschung mit ihrer Anwendung
und ist die größte Organisation für anwendungsorientierte
Forschung in Europa. Das erfolgreiche Fraunhofer-Modell
regte sogar Ex-US-Präsident Obama zur Aussage an, dass in
den USA eine Einrichtung wie Fraunhofer fehle, die auf nationaler
wie internationaler Ebene Forschung und Anwendung
eng miteinander verzahnt.
Impact
Bei der Messung von Fortschritt sind qualitative Indikatoren gefragt.
Hier sehen einige in Big Data eine Chance. Andere warnen, dass
mehr Informationen nicht automatisch mehr Erkenntnis bringen.
Welchen Rat haben Sie?
Weissenberger-Eibl: Ich bin der Meinung, dass Big Data in
bestimmten Bereichen eine große Chance darstellt – etwa
wenn es um die Entwicklung von Produkten oder Dienstleistungen
geht, bei denen kumulierte Datenmengen helfen,
das künftige Konsumverhalten und neue Kundenbedürfnisse
besser abzuschätzen. Bei der Entwicklung der SDG-Indikatoren
würde ich aber anraten, sowohl auf harte als auch auf weiche
Indikatoren zu setzen. Konkret bedeutet dies, dass nachhaltige
Innovationen neben messbaren Faktoren wie etwa den zur
Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen, Bildungsabschlüssen
oder zum Artenreichtum genauso von weichen,
nicht unmittelbar messbaren Faktoren wie den vorhandenen
Werten oder Moralvorstellungen abhängen. Diese sind
42 globalcompact Deutschland 2017
VISION DEUTSCHLAND 2030
manchmal essenziell, um Veränderungen anzustoßen und sie
auch abzubilden. Ein gutes Beispiel ist das SDG-Ziel Nr. 5 zur
„Geschlechter-Gleichheit“, bei dessen Beurteilung es zu kurz
greift, wenn man sich nur auf vorhandenes Datenmaterial
stützt. Auch beim schon erwähnten „Innovationsindikator“
kombinieren wir weiche und harte Indikatoren, um die
Innovationsfähigkeit von Ländern, Branchen oder diversen
Gesellschaftsbereichen zu messen.
Bekannt werden Ideen und Innovationen meist erst, wenn sie kommerziellen
Erfolg haben. Geld ist hier der Gradmesser des Erfolges.
Was machen wir aber mit Entwicklungsthemen und Lebenswelten,
von denen die meisten Menschen nicht wünschen, dass diese monetarisiert
oder kommerzialisiert werden?
Entwicklungs- und Schwellenländer, doch mittlerweile finden
sich in Deutschland immer mehr Nachfrager für derlei Innovationen.
Den Menschen wird einfach immer stärker bewusst,
dass ihr eigenes Konsumverhalten das Leben von Menschen
in anderen Ländern beeinflusst. Und andererseits wir auch
von anderen Ländern und deren Herangehensweisen lernen
können. Hier ein gelungenes Zusammenspiel zu orchestrieren,
wird zukünftig noch essenzieller werden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Weissenberger-Eibl: Wir beobachten in der Innovationsforschung
schon länger, dass bei Innovationen nicht allein
der kommerzielle Erfolg zählt. Dies gilt insbesondere auch
für nachhaltige Innovationen. Bei etlichen Produkten und
Dienstleistungen gibt es – sicherlich auch bedingt durch den
gesellschaftlichen Wandel zu postmaterialistischen Werten –
eine teilweise Umorientierung auf Aspekte wie Einfachheit,
Nachhaltigkeit oder Robustheit. Innovationsforscherinnen und
-forscher sprechen hier von „frugalen Innovationen“, die auf
Ressourcenschonung, Simplizität in ihrer Konstruktionsweise,
auf das Notwendigste beschränkte Funktionen und einen günstigen
Preis bedacht sind. Konzipiert waren sie anfangs eher für
ZUR PERSON
Univ.-Prof. Dr. Marion A. Weissenberger-Eibl leitet das Fraunhofer-
Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe,
zudem ist sie Inhaberin des Lehrstuhls Innovations- und TechnologieManagement
iTM am Karlsruher Institut für Technologie KIT.
Im April 2017 wurde Weissenberger-Eibl in den Lenkungskreis
der Sustainable Development Goals (SDGs)-Wissenschaftsplattform
„Nachhaltigkeit 2030“ der Bundesregierung berufen. Diese Plattform
ist Teil der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie.
globalcompact Deutschland 2017
43
Good Practice
Für die redaktionellen Beiträge dieser Rubrik sind ausschließlich die Unternehmen und ihre Autoren selbst verantwortlich.
46
Audi
48
Aurubis
50
BASF
52
Bayer
54
Bosch
56
BPW Bergische A.
58
CEWE
60
CWS-boco
62
Daimler
64
Deutsche Post DHL Group
66
E.ON
68
Evonik
70
EY
72
HOCHTIEF
44 globalcompact Deutschland 2017
74
Hoffmann & Campe X
76
IntegrityNext
78
iPoint-systems
80
K+S
82
Lufthansa Group
84
macondo publishing
86
MAN
88
Mazars
90
Merck
92
Miele
94
Phoenix Contact
96
Symrise
98
Tchibo
100
TÜV Rheinland
102
Weidmüller
globalcompact Deutschland 2017
45
GOOD PRACTICE
Audi setzt bei Aluminium
auf Circular Economy
Aufgrund des Klimawandels und der steigenden Ressourcenknappheit ist es für die AUDI AG
besonders wichtig, die Umweltauswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit entlang des gesamten
Wertschöpfungsprozesses zu reduzieren sowie Rohstoffe und Materialien zu schonen. Diese
Verantwortung nimmt der Audi Konzern ernst, um wettbewerbsfähig zu bleiben und künftigen
Generationen eine lebenswerte Zukunft zu bewahren. Denn wirtschaftlicher Erfolg und
verantwortungsvolles Handeln sind für Audi untrennbar miteinander verbunden.
Von Dr. Johanna Klewitz und Susanne Haas, Audi
„Audi steht für Nachhaltigkeit. Wir wollen
die gesamte Wertschöpfungskette
unserer Modelle nachhaltig gestalten
und haben uns dafür anspruchsvolle
Ziele gesetzt“, sagt Dr. Bernd Martens,
Beschaffungsvorstand der AUDI AG.
„Durch das Prinzip der Kreislaufwirtschaft
wollen wir Ressourcen schonen,
indem wir Materialien und Rohstoffe
wiederverwerten. Unser „Aluminium
Closed Loop“ Projekt beispielsweise
zeigt, dass sich die anzurechnenden
CO 2-Emissionen um bis zu 39 Prozent
reduzieren lassen.“
Audi kooperiert in der Aluminiumverarbeitung
mit unterschiedlichen
Stakeholdern. Das Ziel ist, intelligente
Materialkreisläufe entlang der Lieferkette
zu etablieren und dadurch Umweltrisiken
zu minimieren und Ressourcenverschwendung
zu vermeiden.
Aluminium ist im Automobilbau ein
wichtiger Leichtbauwerkstoff. Es ist
etwa um zwei Drittel leichter als Stahl
und kann in vielen Bereichen des Automobils
wie Karosserie, Fahrwerk oder
Aggregat eingesetzt werden. Im Zuge der
Elektrifizierung der Autos wird Aluminium
als Material weiter an Bedeutung
gewinnen, um dort konzeptbedingte
Mehrgewichte zu kompensieren. Leichtbau
ist eines der Kernkompetenzen von
Audi. Das Unternehmen setzt bereits
seit den 1990er Jahren Aluminium ein.
Aktuell verwendet Audi im Durchschnitt
15 Prozent Aluminium-Werkstoffe –
Tendenz steigend. Da die Herstellung
von Aluminium energieintensiver als
die Produktion von Stahl ist, sind Maßnahmen
zum verantwortungsvollen
Ressourcenumgang wichtig: „Der gesellschaftliche
Wertewandel schreitet
voran, für immer mehr Menschen wird
Nachhaltigkeit zum Ausdruck einer
Lebenseinstellung“, sagt Prof. Dr.-Ing.
Peter F. Tropschuh, Leiter der Abteilung
Strategie Nachhaltigkeit bei Audi.
„Wir bauen Autos, die dieser Haltung
in der gesamten Wertschöpfungskette
entsprechen sollen. Deswegen treiben
wir die Entwicklung innovativer Antriebstechnologien
voran und verfolgen
bei der Entwicklung, Herstellung
und Vermarktung unserer Produkte
Kreislauf-Prinzipien, die keinen Platz
für Ressourcenverschwendung lassen.“
Kreislaufwirtschaft im Fokus
Audi durchleuchtet die Umweltauswirkungen
seiner Produkte und Komponenten
entlang ihres gesamten Lebenszyklus.
Die daraus resultierende
Transparenz ermöglicht es, die Herstellung
der Autobauteile ressourceneffizient
zu optimieren. Außerdem können
die eingesetzten Materialien wiederverwertet
werden. Dabei spielt auch das
Recycling von Schrotten eine wichtige
Rolle – diese werden als Sekundärrohstoffe
eingesetzt. Im Bereich der Verarbeitung
von Aluminiumwerkstoffen hat
Audi deswegen gemeinsam mit einem
Lieferanten das Pilotprojekt „Aluminium
Closed Loop“ ins Leben gerufen.
Dieses soll die Wiederverwertung von
Aluminiumblechteilen erproben.
Audi will auf diese Weise einen geschlossenen
Wertstoffkreislauf mit seinem
Ressourcenschonender
Umgang mit Batterien
Audi konzentriert sich bei seinem
Engagement für ressourcenschonende
Prozesse nicht nur auf Aluminiumwerkstoffe,
sondern auch
auf Batteriebestandteile. Durch
Wiederverwertung von Komponenten
aus Versuchsfahrzeugen für
Gebrauchtwagen und die Weiterverwendung
von Hochvolt-Batterien
können die Nutzungsphasen einzelner
Bestandteile deutlich verlängert
werden. Denn auch nach der
Nutzung im Fahrzeug besitzen die
Akkus von Audi noch immer einen
Großteil ihrer Kapazität, sodass sie
für einen weiteren Einsatz attraktiv
sind. Audi plant, sie als stationäre
Energiespeicher zu verwenden
– etwa für die neuen Schnellladestationen
für e-tron-Modelle oder als
Puffer für erneuerbare Energien.
46 globalcompact Deutschland 2017
Lieferanten auf bauen. So gehen die
Aluminiumblechverschnitte, die in den
Audi-Presswerken anfallen, direkt an
den Lieferanten zurück, der sie erneut
verarbeitet. Die auf diese Weise hergestellten
Alubleche verwendet Audi anschließend
wieder in seiner Produktion.
Dadurch entfällt bei diesen Materialien
die vorgelagerte, energieintensive Wertschöpfungskette.
Seit Anfang 2017 testet Audi die unterschiedlichen
Abläufe, um die Anforderungen,
Bedingungen und Prozesse klar
zu definieren und langfristig eine konzernweite
Anwendung des Programms
zu untersuchen.
Ziel: Transparenz im
Aluminiumsektor
Audi ist seit 2013 Mitglied der Aluminium
Stewardship Initiative (ASI). Die ASI
entwickelte sich aus einem Zusammenschluss
verschiedener Stakeholder der
Aluminiumindustrie. Ziel der Initiative
ist es, mehr Nachhaltigkeit und Transparenz
im Aluminiumsektor zu schaffen
und eine verantwortungsvolle Aluminiumgewinnung
zu fördern. Neben Audi
kooperieren in der ASI viele weitere
führende Unternehmen entlang der gesamten
Aluminium-Wertschöpfungskette,
von der Gewinnung des Rohstoffes
Bauxit über die Produktion bis hin zur
Weiterverarbeitung.
Seit 2014 entwickelt die ASI einen nachhaltigen
Standard für den Umgang mit
Aluminium, den die teilnehmenden
Unternehmen umsetzen müssen. Der
Standard stellt sicher, dass das Material
entlang der gesamten Vorkette nachhaltig
hergestellt und verarbeitet wird. Er
umfasst verschiedene ökologische, soziale
und ethische Kriterien, die für alle
Stadien der Wertschöpfung gelten. Im
Mittelpunkt stehen dabei Umweltaspekte
wie Vorgaben zur Treibhausgasreduzierung,
zur Abfallproduktion in der Aluminiumherstellung
oder zum Umgang
mit Wasserressourcen. Alle Firmen, die
Aluminium produzieren, verwenden
oder recyceln, sind eingeladen, mit der
Initiative zusammenzuarbeiten. ASI kooperiert
auch mit NGOs wie etwa der
International Union for Conservation
of Nature (IUCN), die ihre Expertise in
Sachen nachhaltiger Ressourcennutzung
bereitstellt. Durch die Integration unterschiedlicher
Stakeholder erzielt der
ASI-Standard eine hohe Akzeptanz bei
allen Beteiligten. Das fördert auch das
Vertrauen der Konsumenten gegenüber
Produkten, die Aluminium enthalten.
Mit dem Pilotprojekt „Aluminium Closed
Loop“ und seinem Engagement in der ASI
leistet Audi einen wichtigen Beitrag zu
den Zielen 12 (Nachhaltige Konsum- und
Produktionsweisen), 13 (Bekämpfung des
Klimawandels) und 17 (Partnerschaften
zur Erreichung der Ziele) der Sustainable
Development Goals der Vereinten
Nationen.
globalcompact Deutschland 2017
47
GOOD PRACTICE
Gemeinsam für
Klimaschutz und
Ressourceneffizienz
Die Aurubis AG integriert nachhaltiges Handeln und Wirtschaften in die Unternehmenskultur
– an den einzelnen Standorten und geschäftsprozessübergreifend. Im Sinne der neuen Unternehmensvision
für 2025 „Passion for metallurgy. Metals for progress. Together with you“
strebt Aurubis im Bereich der Nachhaltigkeit nach Fortschritt und Zusammenarbeit. Wann
immer sich die Möglichkeit bietet, nimmt Aurubis Partner mit auf diesen Weg.
Von Nienke Berger, Referentin Nachhaltigkeitsmanagement, Aurubis
Aurubis leistet als führender integrierter
Kupferkonzern und größter Kupferrecycler
weltweit schon heute einen großen
Beitrag zu einer ressourcenschonenden
Nutzung von Rohstoffen, sowohl
beim Einsatz von Energie als auch beim
Ausschöpfen von Recyclingpotenzialen.
Rohstoffe werden immer komplexer,
und Aurubis möchte dazu beitragen,
dass der Wertstoffkreislauf für Kupfer
und andere Metalle geschlossen wird.
Zudem will das Unternehmen seine Expertise
bei der Multi-Metall-Produktion
zukünftig auf noch mehr Metalle übertragen.
Und das Engagement hört nicht
an den Werksgrenzen auf. Gemeinsam
mit Partnern werden ressourceneffiziente
Lösungen gesucht und umgesetzt,
die darauf einzahlen.
Dies bedeutet eine Steigerung gegenüber
der Teilnahme 2015, als das Unternehmen
als Best Newcomer Germany geehrt wurde.
Es wird aber schwieriger, im Bereich der
Energieeffizienz signifikante Fortschritte
zu erreichen. Mit der zunehmenden Zahl
von umgesetzten Maßnahmen werden die
Möglichkeiten zu weiteren Optimierungen
geringer. Schon heute stößt Aurubis
bei den Effizienzsteigerungen an prozessbedingte
Grenzen, und es besteht bereits
ein Konflikt zwischen Energieeffizienz
und Ressourcenschonung. So entfällt
ein wachsender Anteil des eingesetzten
Stroms auf Umweltschutzmaßnahmen.
Deswegen denkt Aurubis weiter: Wenn
die Optimierungsmöglichkeiten an den
eigenen Standorten geringer werden,
geht das Unternehmen Partnerschaften
ein, um den Klimaschutz voranzubringen.
Anfang 2017 hat Aurubis mit der
enercity Contracting Nord GmbH einen
Vertrag über die Nutzung von industrieller
Abwärme zur Versorgung der Hamburger
Hafencity Ost unterzeichnet. Ab
Sommer 2018 wird am Aurubis Hauptsitz
in Hamburg ein ganzer Stadtteil mit
CO 2-freier Fernwärme versorgt werden,
die im Produktionsprozess anfällt. Die
Wärme entsteht bei der Umwandlung
von Schwefeldioxid – ein Nebenpro-
Klimaschutz bei Aurubis und für
die Region
Aurubis hat sich ein konzernweites Klimaschutzziel
gesetzt − die Reduktion
der CO 2-Emissionen um 100.000 Tonnen
CO 2 durch Energieeffizienzprojekte und
interne Stromproduktion bis 2018. Und
Aurubis ist auf gutem Wege, dieses Ziel
zu erreichen. 2016 wurde das Unternehmen
von der Investoreninitiative CDP mit
einem Ergebnis von A- in die Leadership-
Kategorie des CDP-Klimawandel-Index
aufgenommen und gehört zu den sieben
führenden MDAX-Unternehmen 2016.
Auszubildende von Aurubis diskutieren
das Thema „Closing the loop“.
48 globalcompact Deutschland 2017
dukt, das bei der Kupferschmelze anfällt
– zu Schwefelsäure. Allein durch die
Auskopplung und Wiederverwertung
dieser Wärme werden dann mehr als
20.000 Tonnen CO 2 jährlich eingespart,
sowohl auf dem Werksgelände
aufgrund der Einsparung von Erdgas
als auch durch die Nutzung der Abwärme
als Fernwärme. In der Hafencity
Ost werden im Endausbau (Ziel:
2029) rund 4.500 Tonnen CO 2 pro Jahr
eingespart. Jährlich werden in Zukunft
160 Millionen kWh ausgekoppelt, das
entspricht etwa dem durchschnittlichen
Wärmebedarf von 8.000 Vier-Personen-
Haushalten. Aurubis wird davon selbst
ca. 40 Millionen kWh nutzen. Aurubis
könnte in Zukunft deutlich mehr Fernwärme
für die Stadt Hamburg liefern
und damit sogar bis zu 140.000 Tonnen
CO 2 jährlich einsparen. Derzeit fehlen
dafür jedoch noch die technischen, finanziellen
und vertraglichen Grundlagen.
An einer Lösung wird intensiv und
partnerschaftlich gearbeitet.
Gemeinsam Wertstoffkreisläufe
schließen
Partnerschaftliche Lösungen stehen bei
der Kooperation zwischen Aurubis und
der Grillo-Werke AG, einem Spezialisten
in der Zinkchemie, im Vordergrund. Auf
höchstem Stand der Technik sorgt die
Zusammenarbeit für einen nachweisbaren,
lückenlosen Wertstoffkreislauf für
Kupfer, Zink und andere wertvolle Metalle.
Das Projekt ist 2017 beim Bundeswettbewerb
des Responsible Care-Preises des
VCI mit dem zweiten Preis ausgezeichnet
worden. Der Beitrag ging als Landessieger
von Nordrhein-Westfalen in den
Wettbewerb. Das Projekt ist ein Beispiel
für eine – laut Juryurteil – perfekte
Umsetzung der Kreislaufwirtschaft.
Mit einer Anlage zur Sekundärkupfererzeugung
(das Kayser-Recycling-System,
„KRS“) der Aurubis AG in Lünen wird Konverterkupfer
aus Recyclingmaterialien
wie kupferhaltigen Rückständen, Legierungen
und Elektronikschrott erzeugt.
Den dabei anfallenden, zinkhaltigen
Filterstaub („KRS-Oxid“) verwenden die
Grillo-Werke zur Herstellung von Zinksulfat,
das u. a. als Spurenelementträger
in der Futter- und Düngemittelindustrie
genutzt wird. Bei der Verarbeitung des
KRS-Oxides zu Zinksulfat fällt wiederum
ein Rückstand an, der Kupfer, Zinn und
Blei in nun angereicherter Form enthält.
Diesen Rückstand nimmt Aurubis
zurück und setzt ihn in den Recycling-
Anlagen zur Weiterverarbeitung und
Wiedergewinnung und Vermarktung
der Metalle ein. Der Wertstoffkreislauf
ist damit geschlossen. Das Projekt hat
weitere Vorteile: Die Partnerschaft ist
regional, die Transportwege vom Kupferrecycling
in Lünen bis hin zur Herstellung
von Zinksulfat in Duisburg sind
kurz. Nicht zuletzt bieten langfristige
Verträge Planungssicherheit und tragen
zur Sicherung von Arbeitsplätzen an
beiden Standorten bei.
Nachhaltigkeit von Beginn an
Die junge Generation an der Zukunftsgestaltung
des Konzerns mitarbeiten
zu lassen, liegt Aurubis am Herzen.
Deswegen spielt Nachhaltigkeit bei
Aurubis auch in der Ausbildung von
Beginn an eine entscheidende Rolle.
Regelmäßig findet die Nachhaltigkeitswoche
der Auszubildenden statt. 2016
war das zentrale Thema „geschlossene
Kreisläufe“. Kleine Teams arbeiteten an
Fragen und Hintergründen zum Thema
„Closing the loop“ und tauschten
sich dazu intensiv mit Experten aus
verschiedenen Abteilungen des Unternehmens
aus. Die Ergebnisse wurden im
Rahmen eines Nachhaltigkeitstags im
LÜNTEC-Technologiezentrum in Lünen
ausgestellt und mit Gästen aus Politik,
Wirtschaft und Wissenschaft diskutiert.
Für die Auszubildenden ist die Nachhaltigkeitswoche
eine gute Möglichkeit,
unternehmerische Verantwortung bei
Aurubis kennenzulernen. Gleichzeitig
bietet sie dem Unternehmen die Chance,
von den Ideen der jungen Menschen zu
profitieren und generationenübergreifend
an ressourceneffizienten Lösungen
zu arbeiten.
Eine soeben bei 1.200 Grad
gegossene Kupferanode wird gekühlt.
Im Recyclingzentrum Aurubis Lünen entstehen aus
Elektroschrott wieder hochwertige Produkte.
globalcompact Deutschland 2017
49
GOOD PRACTICE
Pariser Abkommen
global umsetzen
Bei BASF verbinden wir wirtschaftlichen Erfolg mit dem Schutz der Umwelt und gesellschaftlicher
Verantwortung. Unser Unternehmenszweck fasst das zusammen: „We create chemistry –
for a sustainable future“. Nachhaltigkeit ist zu einem entscheidenden Faktor für Wachstum und
Wertschöpfung geworden. Nirgendwo wird dies deutlicher als in der Notwendigkeit, den
Klimawandel zu begrenzen.
Von Christian Schubert, Vice President,
Head of Berlin Office BASF
2015 haben sich Regierungen der ganzen
Welt zu den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung
und zum Pariser Klimaschutzabkommen
bekannt, um entschlossen
global konsistente Maßnahmen für eine
nachhaltige Entwicklung und gegen den
Klimawandel zu ergreifen. Unternehmen
aus der ganzen Welt stellen die dafür erforderlichen
Innovationen und Geschäftsmodelle
zur Verfügung. Rund um den
Globus müssen wir nicht nur bereits zur
Verfügung stehende, sondern auch bisher
noch nicht verfügbare Lösungen entwickeln
und umsetzen, um Energie- und
Ressourceneffizienz, Produktionsprozesse
und Infrastruktur zu verbessern.
Um erfolgreich zu sein, muss der Klimaschutz
daher Hand in Hand gehen mit
Strategien, die das Wachstum steigern
und die sozialen Bedürfnisse adressieren.
BASF setzt sich für einen wirtschaftlich
effizienten und ökologisch effektiven
globalen Klimaschutz ein – in unserer
Produktion und durch unsere Produkte.
In der Produktion bei BASF setzen wir
auf unsere Innovationskraft und unsere
Verbundstruktur, mit der wir chemische
Prozesse ressourceneffizient verknüpfen
und unsere Treibhausgasemissionen
senken. BASF betreibt Kraft-Wärme-
Kopplungsanlagen, um den spezifischen
Energieverbrauch zu senken. Während
wir unseren Umsatz seit 1990 verdoppelt
haben, konnten wir unsere Treibhausgasemissionen
absolut gesehen um die
Hälfte und pro Tonne Produkt gemessen
sogar um 75 % reduzieren. Wir haben
uns das Ziel gesetzt, bis 2020 zertifizierte
Energiemanagementsysteme gemäß
ISO 50001 weltweit an allen relevanten
Produktionsstandorten einzuführen. Zusammengenommen
stehen sie für 90 %
50 globalcompact Deutschland 2017
Links: Mit seiner Verbundstruktur spart
BASF nicht nur Produktionskosten, sondern
schont auch die Umwelt.
des Primärenergiebedarfs der BASF. So
wollen wir weitere Verbesserungen bei
der Energieeffizienz identifizieren und
umsetzen und damit nicht nur unsere
Treibhausgasemissionen reduzieren und
wertvolle Energiequellen schonen, sondern
zugleich die Wettbewerbsfähigkeit
der BASF erhöhen.
Mit unseren Produkten helfen wir unseren
Kunden (und den Kunden unserer
Kunden), Energie einzusparen und
Emissionen zu vermeiden und so ihre
Klimaschutzziele zu erreichen. So kann
beispielsweise der Energiebedarf zur
Beheizung eines 160m 2 großen Einfamilienhauses
aus den 1960er Jahren durch
die Isolierung der Außenwände um ca.
60 % gesenkt werden. Windkraftanlagen
zur Erzeugung von erneuerbarem Strom
werden immer leistungsstärker. Daher
sind Härter- und Kunstharzsysteme entscheidend,
um Größe und Lebenserwartung
der Rotorblätter zu steigern und die
Energieeffizienz der Anlagen insgesamt
zu verbessern.
Über ihren Lebensweg betrachtet spart
die Verwendung chemischer Produkte
ein Vielfaches der CO 2-Emissionen ein,
die bei ihrer Herstellung entstanden.
So können wir dazu beitragen, in wirtschaftlich
verträglicher Weise auf erneuerbare
Energien umzustellen und
Energieverbrauch und CO 2-Emissionen
in anderen Wirtschaftsbereichen, wie
etwa Bau und Verkehr, zu senken.
Sowohl in den Prozessen wie auch in
unseren Produkten kommt es auf Innovationen
an, um neben unseren eigenen
Emissionen auch die der Wertschöpfungskette
insgesamt zu reduzieren.
2016 haben wir mehr als 60 % unseres
Forschungs- und Entwicklungsbudgets
für Lösungen aufgewendet, die einen
besonderen Beitrag zur Nachhaltigkeit,
also z. B. zu Ressourcen- und Energieeffizienz
oder zur Vermeidung von Treibhausgasen,
leisten. Ein neuer Ansatz ist
z.B. einer unserer Beiträge zur Circular
Economy – unser Biomassenbilanz
Verfahren, bei dem Anteile fossiler Rohstoffe
in der Verbundproduktion durch
Bio-Naphtha, Biogas aus organischen
Abfällen oder pflanzliche Öle ersetzt
werden.
Damit Unternehmen wie die BASF ihre
Innovationskraft voll ausschöpfen können,
ist ein global konsistenter politischer
Handlungsrahmen erforderlich.
Zu diesem Zweck hat BASF den B20-
Prozess als Bestandteil der deutschen
G20-Präsidentschaft unterstützt. Der
BASF-Vorstandsvorsitzende Kurt Bock
übernahm den Vorsitz der B20-Taskforce
zu Energie-, Klima und Ressourceneffizienz.
Unternehmen aus der ganzen
Welt unterstützten diesen Prozess, weil
ein entschlossenes Handeln der G20-Regierungen
Voraussetzung für deutliche
Fortschritte ist. Die G20-Staaten sind für
etwa 80 % der globalen Treibhausgasemissionen
verantwortlich, erbringen
aber auf der anderen Seite etwa 90 %
des weltweiten BIP. Damit kann die G20
eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung
des Pariser Klimaschutzabkommens
übernehmen.
Es war sehr ermutigend zu sehen, dass
über viele Stakeholder-Gruppen hinweg
eine weitreichende Übereinstimmung
darüber bestand, was die notwendigen
Schritte für den Klimaschutz sind. In
einer gemeinsamen Erklärung betonten
B(usiness)20, C(ivil)20, L(abor)20,
T(hink Tank)20, W(omen)20, Y(outh)20,
and F(oundations)20, dass „die Herausforderungen
von heute globaler Natur
sind und koordinierte Lösungen und
internationale Zusammenarbeit erfordern.“
Nach dem G20-Gipfeltreffen in
Hamburg begrüßten sie die Tatsache,
„dass sowohl das Abschlussdokument
der G20-Regierungschefs als auch der
Aktionsplan für Klima und Energie das
Pariser Klimaschutzabkommen und die
UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung
als Rahmen bestätigt haben, innerhalb
dessen wir die enormen Herausforderungen
in Chancen wandeln und eine
Perspektive aufzeigen müssen für Innovation,
gute Arbeitsmöglichkeiten und
eine lebendige Zivilgesellschaft.“
Empfehlungen an die Politik für das
weitere Vorgehen
Gemeinsames Ziel aller Länder sollte
es daher sein, die Innovationskraft der
Industrie zu stärken, um die Entwicklung
neuer Technologien zu beschleunigen.
Nur dann kann die Industrie ihr
volles Potenzial für den Klimaschutz
ausschöpfen.
1. Eine Carbon-Pricing-Plattform ist Voraussetzung,
um die Entwicklung
globaler Preisbildungs-Mechanismen
voranzutreiben.
2. Ein G20-Aktionsplan für Energieinnovation
kann die Marktreife von
innovativen Technologien, Business-
Modellen und digitalen Lösungen
beschleunigen und so den Weg frei
machen für die wesentlichen CO 2-Reduzierungen
der nächsten Jahrzehnte.
3. Der Abbau der Rohstoffintensität der
Weltwirtschaft ist ein entscheidender
Treiber für eine Nachhaltige Entwicklung.
Die G20-Regierungen sollten
ihre Zusammenarbeit auf diesem
Gebiet verstärken.
Ausblick
Die Industrie ist auf ein stabiles politisches
Umfeld angewiesen, um ihre
Schlüsselrolle beim Klimaschutz zu
übernehmen und notwendige Innovationen
voranzubringen. Den Unternehmen
ist wichtig, dass Regierungen die
Schlüsselrolle der Industrie anerkennen,
die sie zur Erreichung der in Paris formulierten
Klimaschutzziele hat. Das Pariser
Regelwerk sollte deshalb einen Rahmen
ermöglichen, der Innovation fördert und
für einen fairen Wettbewerb zwischen
Industrieunternehmen auf globaler Ebene
sorgt. Dann kann die Industrie ihre
Innovationskraft voll ausnutzen und zu
einem Klimaschutz beitragen, der gut ist
für Umwelt, Mensch und Wirtschaft.
globalcompact Deutschland 2017
51
GOOD PRACTICE
Lösungen für eine
nachhaltige Landwirtschaft
der Zukunft
Die Weltbevölkerung nimmt jedes Jahr um 80 Millionen Menschen, also die Einwohnerzahl
Deutschlands, zu. Bis 2050 wird diese Zahl voraussichtlich auf fast zehn Milliarden Menschen
ansteigen. Für alle genügend gesunde und bezahlbare Nahrungsmittel herzustellen, gerecht
zu verteilen und damit das UN-Nachhaltigkeitsziel „Kein Hunger“ zu erreichen, ist eine
gewaltige Aufgabe.
Von Dr. Wolfgang Große Entrup, Leiter Corporate Sustainability & Business Stewardship, Bayer
Produktivitätssteigerung und
Ressourcenschonung
Tatsächlich nimmt mit steigender Weltbevölkerung
die verfügbare Ackerfläche
pro Kopf ab. Hinzu kommt, dass der
Klimawandel die Landwirtschaft in den
kommenden Jahrzehnten vor erhebliche
Herausforderungen stellen wird. Sollte
zum Beispiel die Temperatur auf der
Erde bis 2100 um zwei Grad Celsius ansteigen,
ginge nach wissenschaftlichen
Studien die globale Weizenproduktion
im Schnitt um 16 Prozent zurück. Die
UN-Welternährungsorganisation FAO
schätzt, dass die weltweite landwirtschaftliche
Produktion bis zum Jahr 2050
um 50 Prozent gesteigert werden muss,
um die dann bestehende Nachfrage zu
decken. Derzeit werden nur rund drei
Prozent der Erdoberfläche als Ackerland
genutzt, und für die Erschließung neuer
Flächen gibt es kaum noch Spielraum.
Dies bedeutet, dass mit jedem Hektar
Land sehr verantwortungsvoll umgegangen
werden muss. Knappe Ressourcen
wie Frischwasser und fruchtbare Böden
sind zu schonen und die Umwelt so
wenig wie möglich zu beeinträchtigen.
Um all das zu schaffen, brauchen wir
Innovationsgeist, um neue Technologien
auf den Weg zu bringen. Und wir
müssen auch darüber reden, dass Nahrungsmittel
oft nicht dort ankommen,
wo sie gebraucht werden, und dass zu
viel verschwendet wird oder verdirbt.
Die gute Nachricht ist, dass neue Technologien
längst dabei sind, die Landwirtschaft
zu revolutionieren. Dazu gehört
zum Beispiel die Digitalisierung. Traktoren
und Erntemaschinen sind heute
oft schon mit Sensoren ausgestattet, die
Informationen über den Zustand der
Pflanzen und des Bodens sammeln. Auch
Luftaufnahmen von Drohnen oder Satelliten
können wertvolle Informationen
liefern. Auf der Grundlage solcher Daten
ist es heute möglich, Präzisionslandwirtschaft
zu betreiben: Die Auswahl des
Saatguts, die Düngung, Bewässerung und
der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln
können für bestimmte Teilflächen eines
Feldes genau geplant und dank softwaregestützter
Sprühsysteme zielgenau
angewendet werden. Dies führt nicht nur
zu höheren Ernteerträgen, sondern auch
zu einem effizienteren und umweltschonenderen
Ressourceneinsatz. Gelingt es,
diese Technologien auch Kleinbauern
in Entwicklungsländern zugänglich zu
machen, leisten wir damit einen großen
Beitrag zu einer globalen, nachhaltigen
Landwirtschaft.
Ein weiterer Faktor, auf den wir ebenfalls
bei Bayer setzen, sind neue Technologien
in der Pflanzenzüchtung. Damit wird es
möglich, das Erbgut von Pflanzen gezielt
zu optimieren, wodurch Pflanzen
ertragreicher und widerstandsfähiger
gemacht werden können und so letztlich
auch zur Schonung von Ressourcen
beitragen. Dank der neuen Technologien
geschieht dies deutlich präziser, kostengünstiger
und schneller als bisher. Und
Tempo ist entscheidend, da sich ja auch
die klimatischen Bedingungen rapide
verändern. Zum Beispiel stehen die Reis-
Bauern in Asien vor dem Problem, dass
viele Ackerböden – auch aufgrund des
Klimawandels – einen hohen Salzgehalt
haben. Dies hemmt das Wachstum der
Reispflanzen. Daher arbeiten wir bei
Bayer daran, salztolerante Reispflanzen
zu entwickeln, die ohne den Einsatz moderner
Technologien nicht möglich wären.
52 globalcompact Deutschland 2017
Natürlich wird auch „Bio“ in Zukunft
eine Rolle spielen, liefert aber allein kein
Patentrezept zur Welternährung: Die Erträge
im Öko-Landbau sind nach konservativen
Berechnungen durchschnittlich
um etwa 20 Prozent geringer als in der
konventionellen Landwirtschaft. Das
bedeutet, dass man für den gleichen
Ertrag mehr Fläche benötigt – Fläche,
die nicht vorhanden ist. Also muss auch
der Bio-Anbau offen für Innovation sein.
Wir werden in Zukunft weiterhin innovative,
wirksame Pflanzenschutzmittel
brauchen – sowohl für die Bio-Bauern
halben Hektar Land bewirtschaftet. Gerade
die weltweit mehr als 500 Millionen
Kleinbauern sind der Schlüssel
zur Lösung der Ernährungsfrage, denn
sie steuern global etwa die Hälfte der
Nahrungsmittel bei. Daher entstehen
derzeit immer mehr Projekte auf der
ganzen Welt, in denen Unternehmen
und Kleinbauern, oft mit Unterstützung
von Politik und Entwicklungshilfeorganisationen,
zusammenarbeiten, um
die kleinbäuerliche Produktivität zu
erhöhen, gleichzeitig aber einheimische
Sorten und traditionelle Anbaumethoden
zu erhalten.
in Kombination mit Pflanzenschutzmitteln
zur Verfügung – im Bundesstaat
Rajasthan für den Baumwoll-Anbau, in
Karnataka für Salatgurken, in anderen
Bundesstaaten für den Anbau von Reis.
Dazu bieten wir Schulungen in guter
landwirtschaftlicher Praxis, Produktsicherheit
und Umweltschutz an. Diese
Kombination kann im Ergebnis für die
Bauern zu einer Erhöhung der Erträge
um 15 bis 50 Prozent führen.
als auch für die konventionellen Landwirte.
Denn Kulturpflanzen stehen in
einem harten Überlebenskampf: Sie
müssen sich gegen 30.000 Unkrautarten
und 10.000 Arten pflanzenfressender
Insekten behaupten. Hinzu kommen
3.000 Arten von Fadenwürmern, die die
Wurzeln befallen.
Unterstützung für Kleinbauern
Nach unserer Überzeugung gibt es keine
einheitliche Blaupause für die Landwirtschaft
der Zukunft, die überall auf der
Welt eins zu eins umgesetzt werden
könnte. Zu vielfältig und unterschiedlich
sind die Herausforderungen auf den
Feldern der Welt – vom Großbetrieb
in den USA oder Brasilien mit mehreren
Hundert Hektar Anbaufläche bis zum
Kleinbauer in Indien, der nur einen
Die Produktivität vieler Kleinbauern ist
so niedrig, dass sie oft nicht in der Lage
sind, ihre eigenen Familien zu ernähren.
Dies hat viele Gründe wie bewaffnete
Konflikte, Korruption, mangelnder
Zugang zu Land und Wasser und zu
Krediten, wenig ertragreiche Sorten, fehlende
Lager- und Transportmöglichkeiten,
erschwerter Zugang zu lokalen Märkten
oder geringes Wissen über effiziente
Anbaumethoden aufgrund mangelnder
Bildung. Dies führt zur paradoxen Situation,
dass von den rund 800 Millionen
Menschen, die derzeit weltweit Hunger
leiden, drei Viertel Landwirtschaft betreiben.
Auch Bayer engagiert sich in
zahlreichen Projekten zur Förderung
der Produktivität von Kleinbauern, insbesondere
in Asien und Afrika. In Indien
allein leben 90 Millionen Kleinbauern.
Wir stellen hier hochwertiges Saatgut
In Afrika sind 60 Prozent der arbeitenden
Bevölkerung in der Landwirtschaft
beschäftigt. Eines unserer dortigen Projekte
ist eine Kooperation mit der Nicht-
Regierungsorganisation „Fair Planet“ in
Äthiopien. Gemeinsam unterstützen
wir Landwirte mit modernen Sorten
im Gemüseanbau, ohne dass sie dabei
ihre traditionellen Anbaumethoden
aufgeben müssen.
Wichtig ist aber auch, dass gerade wir
Europäer uns wieder stärker mit dem
Thema Lebensmittelproduktion auseinandersetzen.
Die Menschen in den
Städten haben heute oft keinen Bezug
mehr zur Landwirtschaft. Wir brauchen
wieder mehr Verständnis und Wertschätzung
für die Landwirtschaft, die uns
ernährt – und für die Innovationen,
die dazu beitragen, auch in Zukunft
die Ernährung der Weltbevölkerung auf
zunehmend umweltschonende Weise
zu sichern.
globalcompact Deutschland 2017
53
GOOD PRACTICE
Nachhaltig vernetzt
In einer digitalisierten Umgebung sind Menschen, Gegenstände und Maschinen miteinander
verbunden. Diese Vernetzung erschließt zahlreiche neue Anwendungsmöglichkeiten – auch
in puncto Nachhaltigkeit: Haushaltsgeräte und Fahrzeuge effizienter genutzt und damit
sparsamer betrieben, erneuerbare Energien zuverlässiger abrufbar. Bosch gestaltet diese
Entwicklung aktiv mit und liefert über alle Unternehmensbereiche hinweg Lösungen, die
zu einer ressourcenschonenden Wertschöpfung beitragen.
Von Bernhard Schwager, Leiter Geschäftsstelle
Nachhaltigkeit, Bosch
Digitale Technologien verändern schon
heute unseren Alltag. Die Vernetzung
über das Internet ermöglicht eine Vielzahl
von neuartigen Produkten und
Dienstleistungen, deren Nutzung mit
großen Chancen, aber auch Herausforderungen
verbunden ist. Ziel von Bosch ist
es, diesen Wandel aktiv mitzugestalten
und das Potenzial der vernetzten Welt
optimal zu nutzen. Dafür greift das Unternehmen
auf seine jahrzehntelange
Expertise in der Automobil-, Energie-,
Gebäude- und Industrietechnik zurück.
Heute ist Bosch als eines von wenigen
Technologieunternehmen weltweit in
der Lage, vernetzte Lösungen aus einer
Hand bereitzustellen: Das Unternehmen
liefert mit seinen Motoren, Haushaltsgeräten
oder Heizsystemen nicht nur die
klassische Hardware. Es stellt seinen
Kunden auch Sensoren und Software zur
Verfügung, die das Internet der Dinge
erst ermöglichen. Als Bindeglied dient
dabei eine eigene Cloud für IoT-Lösungen,
die bald auch anderen Unternehmen
zur Verfügung stehen soll. Parallel
baut Bosch sein Angebot an vernetzten
Dienstleistungen stetig aus. Ziel ist, die
Lebensqualität heutiger und künftiger
Generationen zu verbessern – ob im Alltag,
auf der Straße oder im Bereich einer
klimaschonenden Energieversorgung.
Wachstum durch Integration
Die Verknüpfung jedes Erzeugnisses
mit einem passenden Dienstleistungspaket
eröffnet vielfältige Wachstumschancen
in allen Geschäftsbereichen.
Von den weltweit rund 59.000 Bosch-
Forschern arbeiten etwa ein Drittel in
der Softwareentwicklung und mehr
als 4.000 am Internet der Dinge. Diesen
dynamischen Zukunftsmarkt erschließt
Bosch auch mit eigenständigen
agilen Geschäftseinheiten. So hat das
Unternehmen beispielsweise zu Jahresbeginn
eine eigene Gesellschaft für
Smart-Home-Lösungen gegründet. Als
führender Komplettanbieter für innovative
Technologien sichert Bosch sein
nachhaltiges Wachstum und schafft
zugleich attraktive Arbeitsplätze für
Hochqualifizierte. Grundlage sind auch
hier vernetzte Produkte und Dienstleistungen.
Wie diese außerdem dabei
helfen, zentrale Nachhaltigkeitsziele
zu verwirklichen, zeigen die folgenden
drei Beispiele.
Smart Home: das schlaue Zuhause, das
Energie spart
Bosch treibt die Entwicklung des intelligent
vernetzten Hauses mit Nachdruck
voran: Bis 2020 sollen 230 Millionen
Haushalte auf der ganzen Welt mit smarter
Gebäudetechnik ausgestattet sein –
das entspricht einem Marktanteil von 15
Prozent. Im Smart-Home-System kann
der Nutzer Beleuchtung, Rauchmelder
und Hausgeräte über eine zentrale Steuereinheit
miteinander verbinden und
per Smartphone oder Tablet von überall
steuern. Ein selbstregulierender Heizkörperthermostat
sorgt morgens für eine
angenehme Raumtemperatur und reduziert
gleichzeitig den Energieverbrauch
in der Nacht oder bei Abwesenheit. Über
das Online-Portal HomeCom Pro können
sich Bosch-Techniker nach Zustimmung
„Mit intelligent vernetzten
Produkten und Dienstleistungen
will Bosch die Lebensqualität
heutiger und künftiger
Generationen verbessern und
zudem die Energieeffizienz steigern.
In unseren Werken und bei unseren
Industriekunden konnten wir
Energieeinsparungen von bis zu 25
Prozent realisieren. “
Christoph Kübel, Geschäftsführer und
Arbeitsdirektor
zudem direkt mit den Heizungsanlagen
der Kunden vernetzen. Auf einen Blick
liefert das System Informationen über
den Status der Heizung, gibt bei Störungen
Hinweise auf die Fehlerursache
und beugt somit einem unnötig hohen
Energieverbrauch vor.
Vernetzte Mobilität: mehr Komfort,
weniger Kraftstoff
Studien zufolge entsteht ein Drittel des
innerstädtischen Verkehrs allein durch
54 globalcompact Deutschland 2017
die Parkplatzsuche – Autofahrer kostet
das nervenaufreibende Autoabstellen
nicht nur Zeit, sondern auch Kraftstoff.
Vor diesem Hintergrund startete Bosch
im März 2016 ein Pilotprojekt im Großraum
Stuttgart. Um die Straßen und die
Umwelt zu entlasten, erfasst das Unternehmen
in 15 Park-and-Ride-Anlagen
über Sensoren, ob ein Parkplatz frei oder
besetzt ist. Via Internet gelangen die
Daten in die IoT Cloud, wo in Echtzeit
eine Karte freier Parkplätze entsteht. Alle
Informationen sind sowohl über eine
App als auch über die Internetseite des
Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart
(VVS) abruf bar.
Ein weiteres Konzept für vernetzte Mobilität
setzt Bosch aktuell mit verschiedenen
Partnern um: Per digitalem Mobilitätsassistenten
können Nutzer dabei ihre
optimale Route mit unterschiedlichen
Verkehrsmitteln ermitteln – inklusive
des Umstiegs auf E-Bikes, Busse und
Bahnen. Das Ziel: Weniger Staus, CO2-
Emissionen und mehr Bereitschaft, das
Auto öfter stehen zu lassen. Mit diesem
Gemeinschaftsprojekt haben die beteiligten
Unternehmen den Wettbewerb
„moveBW“ des baden-württembergischen
Die Bosch-Gruppe
Die Bosch-Gruppe ist ein international
führendes Technologie- und Dienstleistungsunternehmen
mit weltweit
rund 390.000 Mitarbeitern (Stand:
31.12.2016). Die Aktivitäten gliedern
sich in die vier Unternehmensbereiche
Mobility Solutions, Industrial
Technology, Consumer Goods sowie
Energy and Building Technology.
Basis für künftiges Wachstum ist die
Innovationskraft des Unternehmens.
Bosch beschäftigt weltweit rund
59.000 Mitarbeiter in Forschung und
Entwicklung an 120 Standorten.
Landesministeriums für Verkehr und
Infrastruktur gewonnen.
Smarte Energienetze: Wind und Sonne
flexibel nutzen
Intelligentes Energiemanagement
gewinnt zunehmend an Bedeutung.
Ehemals wenigen großen Kraftwerken
stehen heute viele kleine, dezentrale
Anlagen gegenüber. Viele davon nutzen
Wind- oder Sonnenenergie. Die Herausforderung
besteht darin, die kleinen
Kraftwerke so ins Verteilnetz zu integrieren,
dass unabhängig von Wettereinflüssen
eine gleichmäßige, zuverlässige
Stromversorgung gewährleistet ist. Die
passende Technologie dafür liefert Bosch
– und auch hier spielt Vernetzung eine
wesentliche Rolle: Das Unternehmen
stellt Energieversorgern eine Software
zur Verfügung, mit deren Hilfe sich
verschiedene Energieerzeugungs- und
Speicheranlagen zu sogenannten Virtuellen
Kraftwerken zusammenschließen
lassen. Die Beispiele verdeutlichen:
Vernetzte Produkte und Services helfen
unter anderem, endliche Ressourcen zu
schonen – und damit wichtige Nachhaltigkeitsziele
zu erreichen.
globalcompact Deutschland 2017
55
GOOD PRACTICE
BPW: Ein „Hidden
Champion“ – auch in puncto
Nachhaltigkeit
BPW ist ein Musterbeispiel für einen Hidden Champion: Die meisten Verbraucher haben den
Namen noch nie gehört, obwohl ohne die Produkte und Lösungen des Unternehmens in der
Wirtschaft kaum etwas läuft. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn BPW mit Hauptsitz
in Wiehl im Bergischen Land bei Köln erforscht, entwickelt und produziert weltweit die
Schlüsselkomponenten für den Warentransport auf der Straße.
Nahezu alles, was einen Trailer in Bewegung
bringt, digital vernetzt, sichert
und beleuchtet, kommt aus der BPW
Gruppe – und vor allem: jede Menge
neue Ideen. Denn als einer der Weltmarktführer
im Bereich Trailerachsen
und -fahrwerksysteme hat sich BPW
zum Vordenker und Innovationsführer
der Transportbranche entwickelt.
Alle Lösungen, Innovationen sowie die
gesamte Forschungs- und Entwicklungsarbeit
von BPW zielen im Kern auf eine
verbesserte Effizienz von Logistik- und
Transportprozessen. Sie sollen den Treibstoffverbrauch,
Abgas- und Lärmemissionen,
aber auch den Verbrauch von Verschleißteilen
ebenso spürbar verringern
wie ungeplante Werkstattstopps, Pannen,
Staus und unnötige Umwege. Auf diese
Weise sind Effizienzgewinne immer auch
ein Gewinn für Mensch und Umwelt –
eine bedeutende Aufgabe angesichts
weltweit steigender Transportmengen.
Unternehmenskultur fördert
Innovationen
Wie passt ein werteorientiertes Familienunternehmen
in eine Zeit des
digitalen Wandels? Bei BPW stehen
Zugehörigkeit, Vertrauen und soziale
Verantwortung im Zentrum der Unternehmenskultur
– sie schafft ein
besonderes Klima, in dem Ideen und
Innovationen gedeihen können. Dies
belegen regelmäßige Umfragen unter
den Mitarbeitern und Preise, die BPW
als einer der besten Arbeitgeber und
Ausbildungsbetriebe Deutschlands auszeichnen.
Freiräume und Selbstverantwortung
für Mitarbeiter, lebenslanges
Lernen und die Förderung individueller
Talente sind die Grundlagen der Personalpolitik.
BPW strebt langfristige, sichere
Arbeitsverhältnisse in Festeinstellung
an. „Hire & Fire“, Zeitarbeitsverträge
und Lohnarbeiter, wie sie in der Automobil-
und Zulieferindustrie durchaus
keine Seltenheit sind, gehören nicht
zur Personalstrategie von BPW. Durch
besonders ergonomische „60+ Arbeitsplätze“
sollen Mitarbeiter ein langes,
produktives Arbeitsleben genießen und
ihr Know-how weitergeben. Frauen und
Familien fördert BPW unter anderem
durch Betreuungsangebote für Kinder.
BPW hat seine Innovationszentren für
Elektromobilität, Mechatronik und vernetzten
Transport gezielt mit jungen
Talenten besetzt. Hier sind nicht nur die
Technik und Arbeitsumgebung innovativ:
Die Teams genießen ein besonders
hohes Maß an Eigenverantwortung und
nutzen dabei fortschrittliche methodische
Ansätze. Frei- und Querdenker
sind bei BPW nicht nur willkommen,
sondern finden moderne, motivierende
Arbeitsbedingungen vor.
So wird jetzt der City-Transport
elektrisiert
Besonders in den Städten und Ballungsräumen
sorgt der explosionsartig wachsende
Online-Handel für zunehmende
Belastungen. Verbraucher kaufen inzwischen
zunehmend auch Lebensmittel
und Dinge des täglichen Bedarfs im Netz.
In der Folge nimmt der innerstädtische
Lieferverkehr enorm zu. Deshalb fokussiert
BPW seine Innovationen auf die
Bereiche Elektromobilität, Lärmminderung,
Leichtbau und digitale Vernetzung
des Transports.
Dazu gehört zum Beispiel eine elektrische
Achse (eTransport) für den emissionsfreien
innerstädtischen Verteilerverkehr,
mit der BPW die herkömmlichen
56 globalcompact Deutschland 2017
Oben:
Umgerüsteter Transporter mit E-Achse
Unten:
Kreativtechniken im BPW Innovation Lab
Denk- und Konstruktionsmuster des
Verbrennungsmotors kurzerhand über
Bord geworfen hat. Mit dem Konzept
lässt sich die Anzahl an Fahrwerkskomponenten
reduzieren, daher ist
eTransport inklusive Batteriespeicher gewichtsneutral
– und lässt sich so sogar
in vorhandenen Fahrzeugen nachrüsten.
BPW mit 100 %
Ökostrom
Elektrizität nutzt BPW nicht nur als
Antriebsquelle: Mit ePower testet das
Unternehmen einen Radnabengenerator,
der beim Bremsvorgang Strom
produziert und damit den Kühltransport
revolutioniert – in dem er das lärmende
und dieselbetriebene Kühlaggregat
zum Schweigen bringt. Auf diese Weise
wird künftig auch ein geräusch- und
abgasarmer Kühltransport über Nacht
möglich – vorbei am Stau.
Förderung für Kinder
und Jugendliche –
nicht nur für Überflieger
BPW engagiert sich auf vielfältige
Weise für Kinder und Jugendliche.
Der BPW Jugendfonds weckt mit
speziellen Aktionstagen in Kindergärten
schon bei Vorschulkindern
das Interesse für Mathematik,
Informatik, Naturwissenschaft
und Technik. Die Jugendinitiative
unterstützt sowohl junge Talente
als auch Kinder und Jugendliche
mit besonderem Förderbedarf:
Jugendlichen mit Defiziten in der
Ausbildungsreife vermittelt BPW mit
einem gezielten „Start-Programm“
die Grundlagen für eine berufliche
Zukunft. Das Ausbildungszentrum
vermittelt auch politische Bildung
und animiert Jugendliche, sich für
die Gesellschaft zu engagieren.
BPW verbindet Tradition und Innovation:
Vor rund 120 Jahren ging das
Unternehmen aus einem Hammerwerk
hervor, das mit Wasserkraft
angetrieben wurde. Heute arbeitet
an dieser Stelle eine moderne
Turbine, die mit Wasserkraft die
Hauptverwaltung im Stammwerk
mit elektrischem Strom versorgt.
Die Dachflächen sind bereits seit
Jahren mit Solarpaneelen bestückt.
Resultat: Einen Teil seines Strombedarfs
deckt BPW aus eigener
Produktion. Der Rest wird von Energieversorgern
ausschließlich aus
erneuerbaren Energiequellen mit
Herkunftsnachweis bezogen – d.h.
ohne Atomkraft, Kohle oder andere
fossile Energieträger. Sämtliche
Werke werden für den firmeneigenen
Pkw-Fuhrpark, der nahezu
ausschließlich aus Hybrid- und
E-Fahrzeugen besteht, weiter mit
E-Tankstellen ausgerüstet; auch der
werksinterne Verkehr wird zunehmend
mit elektrischen Fahrzeugen
abgewickelt.
Mehr Effizienz im Transport durch
„Big Data“
In einem Innovation Lab in Siegburg
forscht und entwickelt BPW in Kooperation
mit SAP an der digitalen Vernetzung
von Warenströmen. Damit erweitert
das Innovation Lab den Transportweg
Autobahn zur Datenautobahn. Das Ziel
ist die totale Transparenz im Transport:
Durch die Echtzeit-Nachverfolgung von
Fracht und Fahrzeug sowie Big Data-
Analysen können die Produktions- und
Ressourcenplanung in Unternehmen
optimal mit den Transportprozessen
vernetzt werden. Gleichzeitig arbeitet in
Wiehl ein zweites Innovationszentrum
für Mechatronik daran, mit ausgefeilter
Sensorik dem Trailer das Sehen, Hören
und Fühlen zu lehren. Das ermöglicht
eine effizientere Beladung und mehr
Sicherheit – nicht nur für Fracht, Fahrer
und Fahrzeug, sondern auch für Fahrradfahrer
und Fußgänger. Schon heute ist
die BPW Gruppe mit ihrem Tochterunternehmen
idem telematics Marktführer
im Bereich der Trailer-Telematik und
will diese Position durch wegweisende
Innovationen weiter ausbauen.
globalcompact Deutschland 2017
57
GOOD PRACTICE
CEWE überzeugt sich
persönlich
Seit September 2016 produziert der führende Fotofinisher CEWE das CEWE FOTOBUCH und
alle Markenprodukte 100 Prozent klimaneutral. Dabei anfallende CO₂-Emissionen werden
ausgeglichen durch ClimatePartner, ein Unternehmen, das Klimaschutzlösungen anbietet und
bei der Umsetzung in konkrete Projekte unterstützt. Die Entscheidung bei CEWE fiel auf das
Projekt Kasigau Wildlife Corridor in Kenia. Vier internationale Mitarbeiter aus dem Umweltmanagement
des Unternehmens machten sich im Juli 2017 auf die Reise, um sich persönlich
von dem Projekt in Kenia zu überzeugen.
Von Dr. Matthias Hausmann, Leiter Umwelt und Chemie, CEWE
Bereits seit vielen Jahren verfolgen wir
bei CEWE eine nachhaltige Umweltschutzstrategie,
die wir stetig ausbauen.
Unsere selbst auferlegten Richtlinien
geben vor, dass wir Energie sparen, Klimaschutz
vorantreiben, Wasser schützen,
Luft und Boden rein halten, verantwortungsvoll
Material einsetzen, Abfall reduzieren
und Recyclingprozesse optimieren.
Im September 2016 haben wir unser
Klimaschutzengagement dadurch erweitert,
dass wir unsere gesamte Markenproduktpalette
durch das Waldschutzprogramm
Kasigau Corridor in Kenia
klimaneutral gestellt haben. Das Unternehmen
ClimatePartner hilft uns bei der
Umsetzung, indem es den CO 2-Verbrauch
von CEWE überprüft und uns ausgewählte
und zertifizierte Projekte zur Kompensation
vermittelt. Konkret bedeutet dies,
dass CEWE in gleicher Höhe des CO 2-
Verbrauchs Emissionszertifikate kauft.
Das Geld für diese Zertifikate geht dann
an das ausgewählte Klimaschutzprojekt,
durch das die entsprechende Menge CO 2
gebunden und der Verbrauch damit ausgeglichen
wird. Wir haben uns für das
von der UN initiierte Projekt Kasigau
Wildlife Corridor entschieden, welches
mit dem Gold Level für Klimaschutzprojekte
vom CCB Standard ausgezeichnet
wurde und die strengen Verified Carbon
Standard (VCS)-Richtlinien erfüllt.
Im afrikanischen Kenia werden durch
das Projekt Kasigau für den Klimaschutz
wichtige Waldflächen vor Brandrodung
und Abholzung auf einer Fläche von
200.000 Hektar geschützt, die sonst von
der Bevölkerung für den täglichen Bedarf
genutzt würden. Im Gegenzug wird mit
dem Geld aus den Emissionszertifikaten
die Bevölkerung durch Bildung, Arbeit,
Infrastruktur, Wasserversorgung und
Aufklärung unterstützt, sodass diese
nicht mehr auf Brandrodung angewiesen
ist, außerdem werden bedrohte
Tierarten, wie zum Beispiel Elefanten,
geschützt.
Über fünf Tage war ich mit drei weiteren
Kollegen von CEWE zusammen mit
Wildlife Works im Korridor unterwegs,
damit wir uns vor Ort überzeugen konnten,
dass das Projekt den Ansprüchen
von CEWE gerecht wird. Wir alle waren
sehr beeindruckt von der Umsetzung
des Projekts, Wildlife Works nimmt die
Berechnungen der CO 2 - Kapazitäten im
Korridor sehr genau. So werden etwa
innerhalb von fünf Jahren 500 Kontrollflächen
vermessen: Von jedem Baum
und Ast werden Umfänge ermittelt und
damit Rückschlüsse auf das Holzvolumen
gezogen. In Kombination mit
Daten zur Dichte des Holzes sowie zur
Baumsorte wird damit die Menge des gebundenen
CO 2 bestimmt. Somit kann die
gesamte Fläche des geschützten Waldes
von 500 km 2 bewertet werden.
Wir haben im Verlauf der fünf Tage vor
Ort die Vielfalt der Arbeit von Wildlife
Works erfahren können. Auch konnten
wir einen Bürgermeister und eine
Community Based Organisation (CBO)
besuchen und mit ihnen sprechen. Die
Gremien der CBO werden direkt von
Wildlife Works-Mitarbeitern betreut.
Die fünf wichtigsten Arbeitspunkte für
die Gremien sind Wasser, Bildung, Gesundheit,
der Human-Wildlife-Konflikt
und die gerechte Organisation und Verteilung
der Gelder. Dieses sind auch die
Hauptprobleme Afrikas. Wir durften in
vielen Gesprächen erfahren, wie diese
Gegebenheiten empfunden werden und
welche Lösungsansätze es für die jeweiligen
Themen gibt.
58 globalcompact Deutschland 2017
Wasser
Im Kasigau hat es seit fast zwei Jahren
nicht mehr geregnet. Die Dürre ist ein
großes Problem für Menschen, Tiere und
Pflanzen. Der Zugang zu Trinkwasser ist
für viele Menschen dort schwierig und
erfordert oft Anstrengungen, die wir in
Europa und anderswo kaum nachvollziehen
können. Die großen Wasser-Pipelines
versorgen nur die Städte, die angelegten
Wasserreservoirs sind weitläufig verteilt
und stellen zudem eine Gesundheitsgefahr
dar. Oft müssen Trinkwasser-Lkw
zur Versorgung der Landbevölkerung
ausrücken. Viele Wasserprojekte wurden
von Wildlife Works betreut und
mitfinanziert.
Bildung
Mit dem Geld aus den Emissionszertifikaten
werden viele Stipendien für die
Schule und auch für einige Hochschulen
finanziert. Denn da die kenianische Regierung
zu wenig Lehrer stellt, müssen
von den Schulen private Lehrer zusätzlich
eingestellt werden. Deren Gehalt
wird faktisch durch Gebühren finanziert,
sodass Bildung in Kenia nur offiziell kostenfrei
ist. Alle Schüler, die wir während
unserer Reise besucht haben, haben sich
im Unterricht ausgesprochen ruhig und
respektvoll verhalten. Ein Zeichen dafür,
dass auch von den Kindern die Bildung
als besonders wertvoll angesehen wird.
Bei den Menschen dort ist angekommen,
dass Verbesserung nur durch Bildung
ermöglicht wird.
Gesundheit
Es gibt im Korridor jeweils ein Gesundheitscenter
in den größeren Orten, das
meist alleine von einer Krankenschwester
betreut wird. Für die rund 100.000
Bewohner der Gegend Kasigau gibt es
lediglich zwei Ärzte. Durch das Projekt
werden Medizinstudenten aus dem Kasigau
mit Stipendien unterstützt, in der
Hoffnung, dadurch mehr einheimische
Ärzte zu rekrutieren.
Human-Wildlife-Konflikt
Elefanten zertrampeln gelegentlich Ernten
der Bauern und zerstören so quasi
über Nacht deren Lebensgrundlage. Bis
2013 wurde die Elefantenpopulation
in Kenia von Wilderern und zornigen
Bauern dramatisch reduziert. Hier sucht
das Projekt effiziente Lösungskonzepte,
wie zum Beispiel die Ausbildung von
Wildlife-Rangern und die Errichtung von
effektiven Zäunen zum Schutz der Ernte.
Zum Einsatz kommen dabei beispielsweise
Naturzäune aus Bienenstöcken und
Büschen mit Chili – beides natürliche
Abschreckungen für Elefanten.
Governance
Korruption ist ein großes Thema in
Kenia. Daher muss die Naturschutzorganisation
Wildlife Works sehr genau
austarieren, wie die Gelder der Zertifikate
verteilt werden. Die Community Based
Organisations sind eine demokratische
Möglichkeit, einen Kontrollmechanismus
gegen Korruption einzuführen. Ein
Drittel des Geldes aus den Emissionszertifikaten
wird treuhänderisch den
CBOs zugeordnet, damit die kommunale
Unterstützung gesichert ist.
Nach dieser Reise sind wir noch mehr
von diesem Projekt überzeugt, CEWE
wird daher auch künftig in dieses Projekt
investieren und weiterhin nachhaltig für
Mensch und Umwelt aktiv sein.
Mehr Informationen zum Nachhaltigkeitsengagement
von CEWE finden Sie unter:
company.cewe.de/de/nachhaltigkeit
globalcompact Deutschland 2017
59
GOOD PRACTICE
Nachhaltiges
Geschäftsmodell mit
transparenter Lieferkette
Das Mietmodell setzt auf Mehrweg anstatt Einweg und ist schon deshalb an sich nachhaltig.
Denn die Textilien werden hochwertig gefertigt und lange in einem Servicekreislauf eingesetzt.
Kunden erhalten immer saubere und sichere Ware vom Experten.
Von Dirk Baykal, CSR Koordinator bei CWS-boco
CWS-boco bietet seinen Kunden Berufskleidung
und Waschraumlösungen im
Full-Service. Dies beinhaltet nicht nur die
Bereitstellung von Arbeitskleidung und
Waschraumlösungen, sondern auch die
regelmäßige fachgerechte Aufbereitung
der Kleidung und Stoffhandtuchrollen,
die dann frisch gewaschen wieder angeliefert
werden. Kleine Risse oder Löcher
werden repariert und die Kleidung professionell
instand gehalten.
In den eigenen Hightech-
Wäschereien werden die
Textilien gewaschen und
wenn nötig repariert.
Der Mietservice setzt auf die Langlebigkeit
von Produkten. Um die lange
Haltbarkeit der Textilien sicherzustellen,
müssen hochwertige Materialien eingesetzt
werden. Knöpfe, Reißverschlüsse
oder Garne, die verarbeitet werden, müssen
leasingfähig sein, das heißt sehr widerstandsfähig.
Wo die Ware herkommt
und wie sie verarbeitet wird, überlässt
CWS-boco nicht dem Zufall.
Zertifizierte Lieferkette
Auch im B2B-Bereich spielt Nachhaltigkeit
eine immer bedeutendere Rolle. Gerade
die Lieferkette von Lieferanten und
Dienstleistern rückt immer mehr in den
Fokus von Unternehmen, die ihre eigene
Lieferkette transparent darlegen möchten
und dies auch von ihren Partnern
fordern. Insbesondere große und namhafte
Unternehmen lassen zunehmend
ihre eigene Lieferkette zertifizieren, indem
sie auch von Lieferanten Transparenz
verlangen. Ein bekannter Anbieter
solcher Zertifizierungen ist EcoVadis.
Diese unabhängige Prüfstelle stellt CSR-
Ratings von Lieferanten für globale Lieferketten
bereit. EcoVadis durchleuchtet
Lieferanten in insgesamt 21 Kriterien der
Bereiche Umwelt, Arbeitsbedingungen,
Geschäftspraxis und Lieferkette. Ziel
ist es, die Umwelt- und Sozialpraktiken
von Unternehmen durch ein CSR-
Performance-Monitoring innerhalb der
Lieferkette zu fördern und Unternehmen
bei der Verbesserung von Nachhaltigkeit
zu unterstützen. So können Unternehmen
ihr Handeln gegenüber Partnern
und Kunden transparent machen. Die
Lieferkette von CWS-boco hat seit 2015
die höchste EcoVadis-Bewertung, den
Gold-Status.
Die Vorgeschichte kennen
Soziale und Umwelt-Faktoren in der
Lieferkette sind entscheidend. Dies betrifft
nicht nur die Bedingungen bei der
Konfektion, also in den Produktionsstätten,
sondern beginnt bereits vorher.
Wo kommt das Gewebe her? Wo und
wie wird dieses hergestellt? Viele Unternehmen,
die ihre Produkte hinzukaufen,
kennen deren Herstellungsort
nicht. Doch müssen sich Lieferanten
und Dienstleister, die sich zukunftsfähig
aufstellen wollen, zunehmend damit
beschäftigen, welche Prozesse in der
eigenen Lieferkette stattfinden. Welche
Abläufe gibt es in den Webereien und
Färbereien und wo liegen dort soziale
oder ökologische Gefahren? Dann gilt
es, diese Prozesse aktiv zu beeinflussen.
Durch enge Partnerschaften und Zusammenarbeit
mit den eigenen Produzenten
kontrolliert CWS-boco jeden Schritt seiner
Lieferkette und kann diesen transparent
darlegen. CWS-boco legt Wert darauf,
mit allen Lieferanten eine Vereinbarung
zu schließen, die auf den Grundlagen
der ILO-Kernarbeitsnorm basiert. Dieser
Code of Conduct umfasst neben dem
Verbot von Zwangs- und ausbeuterischer
Kinderarbeit sowie Vorgaben zum
Umweltschutz auch eine Verpflichtung
zur Durchsetzung seiner Zielvorgaben
in tieferen Wertschöpfungsketten: Auf
diese Weise kann CWS-boco aktiv zu
einem sozialen Wandel beitragen. Über
60 globalcompact Deutschland 2017
Transparenz in der Lieferkette
1. Baumwolle 2. Spinnerei 3. Weberei 4. Färben 5. Konfektion 6. Ausliefern
Intensität der
ökologischen
Wesentlichkeit
Intensität der
sozialen
Wesentlichkeit
Die CWS-boco Lieferkette im Detail
95 Prozent des Einkaufsvolumens wird
mit Lieferanten abgewickelt, die den
Verhaltenskodex unterschrieben haben.
Mehr Transparenz mit Fairtrade
Mit einem Partner wie Fairtrade wird
die Lieferkette nachvollziehbar. Denn
möchte ein Unternehmen Fairtrade-
Baumwolle in seiner Berufskleidung
einsetzen, verlangt Fairtrade für alle
Stationen der Lieferkette eines Produktes
ein Sozialtestat. Dies geht immer
mit einem unabhängigen Audit einher.
Unternehmen können großen Einfluss
auf ihre eigenen Lieferanten nehmen
und dadurch auch die Welt ein kleines
bisschen besser machen. Am Ende profitieren
beide Seiten davon, der Anbieter
gleichermaßen wie der Lieferant. Der
Fairtrade-Mindestpreis deckt die Kosten
eines nachhaltigen Baumwollanbaus
und sichert die Kleinbauern und deren
Familien gegenüber Marktschwankungen
ab. Strenge Umweltstandards
verbieten u.a. gentechnisch veränderte
Saaten und schränken zudem den Einsatz
von Pestiziden und Chemikalien
ein. Auch Kunden, die sich für Fairtrade-
Berufskleidung entscheiden, profitieren.
Denn für sie wird die Herkunft der
Kleidung transparent. Über einen Code
im Etikett kann der Träger mehr über
die produzierenden Baumwollbauern
erfahren, die von der fair gehandelten
Baumwolle profitieren. Zudem zeigen
die Mitarbeiter nach außen, dass ihr
Arbeitgeber auf nachhaltige Beschaffung
setzt. Denn jedes Kleidungsteil ist
mit einem Fairtrade-Label versehen, das
gegenüber Partnern und Kunden ein
positives Image vermittelt. CWS-boco
führte 2016 seine erste Berufskleidungskollektion
für Handwerk und Industrie
mit Fairtrade-Baumwolle ein, die dank
der vielen Farbvarianten von vielen Branchen
eingesetzt werden. Heute bietet
CWS-boco bereits vier Kollektionen an.
Allein 2016 wurden über 200 Tonnen
Fairtrade-Rohbaumwolle abgenommen.
Dies macht das Unternehmen zu einem
der international größten Anbieter von
Fairtrade-Berufskleidung.
Aus alt mach neu
Auch im Bereich Waschraum setzt CWSboco
mit seiner Marke CWS und dem
Stoffhandtuch auf Nachhaltigkeit. Auch
dieses wird gewaschen und dem Kunden
wieder angeliefert. Bis zu 11.000 Händepaare
trocknet eine Stoffhandtuchrolle
in ihrem Leben und verursacht
währenddessen keinen Abfall. Das spart
enormen Entsorgungsaufwand. Eine
Rolle wird rund 100 Mal gewaschen
und ersetzt dank des Mehrwegprinzips
dabei etwa 22.000 Papierhandtücher *.
Für den Einsatz von Stoffhandtuchrollen,
Seifenschaumspendern und Recyclingtoilettenpapier
vergibt CWS sein eigenes
Umweltlabel ecoilet an Kunden und
zeichnet so nachhaltige Waschräume aus.
Nicht nur das Stoffhandtuch selbst ist
eine grüne Lösung, sondern auch die
Spender selbst. Im eigenen Upcyclingcenter
wurden im vergangenen Jahr mehr
als 44.500 defekte Exemplare repariert,
die danach wieder eingesetzt wurden.
Die Spender, die nicht repariert werden
können, erhalten ein neues Leben.
Der Kunststoff älterer Spender wird zu
Granulat und für die Produktion neuer
Spender verwendet. Das ausgeschriebene
Ziel des Unternehmens lautet, bis 2020
eine Upcyclingstrategie zu entwickeln,
die sämtliche Produkte und Verpackungen
umfasst.
*Ausgehend von ca. 100 Waschzyklen einer „CWS
Slim-Rolle“, die rund 110 Portionen pro saubere
Rolle liefert, legt man eine Verwendung von zwei
einfachen Papierhandtüchern mittlerer Art und
Güte je Händlerordnung zugrunde.
globalcompact Deutschland 2017
61
GOOD PRACTICE
An eine nachhaltige
Mobilität für die Städte
von morgen denken
Urbane Ballungszentren sehen sich zunehmend mit Verkehrschaos, Lärmbelastung und Luftverschmutzung
konfrontiert. Digitalisierung und eine sich verändernde Konsumkultur sorgen
darüber hinaus für einen steigenden Bedarf an alternativen Mobilitätskonzepten. Nachhaltige
Mobilität – und besonders auch der Öffentliche Personennahverkehr – nimmt eine Schlüsselrolle
bei der Verwirklichung der Sustainable Development Goals ein. Mit innovativen Technologien
sowie intelligenten Mobilitätslösungen trägt Daimler Buses dabei insbesondere zur Umsetzung
des elften Ziels, einer nachhaltigen Stadtentwicklung, bei.
Von Hartmut Schick, Head of the Division Daimler Buses
Schon heute decken Busse einen großen
Anteil am gesamten öffentlichen
Nahverkehrsbedarf ab. In vielen Städten
der Welt ist der Bus das einzig verfügbare
öffentliche Verkehrsmittel. Als
feste Größe im Stadtverkehr ist es das
umweltfreundlichste: Umgerechnet auf
die Fahrgäste verbraucht kein anderes
Verkehrsmittel so wenig Kraftstoff und
stößt so wenig Kohlendioxid aus. Statistisch
gesehen ist es zudem das sicherste
Verkehrsmittel auf den Straßen.
Die Urbanisierung stellt Städte allerorts
vor große Herausforderungen. Studien
gehen davon aus, dass im Jahr 2030 41
Städte mehr als zehn Millionen Einwohner
zählen werden. Bis 2050 leben 67
Prozent, manchen Studien zufolge sogar
bis zu 80 Prozent der Weltbevölkerung
in den Städten. Bis dahin wird sich die
Zahl jährlich zurückgelegter Personenkilometer
mit öffentlichen Verkehrsmitteln
nahezu verdreifachen. Aufgrund seiner
positiven Eigenschaften ist die Rolle des
Busses bei der Bewältigung der sich verändernden
Mobilitätbedürfnisse einer
stetig wachsenden, urbanen Bevölkerung
somit zentraler denn je.
Weniger Emissionen, weniger Lärm –
mehr Klimaschutz
Die Entwicklung batteriebetriebener und
weiterer alternativer Antriebslösungen
wird die niedrige CO 2-Bilanz des Busses
im Sinne einer umweltgerechten Stadtentwicklung
weiter verringern. Wichtig
ist dies für den Klimaschutz und um der
Gesundheitsgefährdung durch Luftverschmutzung,
die vor allem in Entwicklungsländern
akut ist, entgegenzuwirken.
Wir erwarten, dass bis zum Jahr 2030 70
Prozent aller neu zugelassenen Stadtbusse
emissionsfrei fahren werden. Um den
besten Ansatz für die Umstellung von
Bus-Flotten auf einen emissionsfreien
Betrieb zu finden, setzen wir auf eine
enge Vernetzung mit den Städten. Hier
leisten wir mit eMobility Consulting beim
Aufbau verlässlicher und flottenfähiger E-
Mobilitätkonzepte umfassende Beratung
für die Verkehrsbetriebe.
Daimler Buses fertigt den batterieelektrischen
Stadtbus ab 2018 in Serie. Weil
Dieselbusse weltweit trotzdem noch lange
Zeit eine Rolle spielen, entwickeln wir
den Dieselantrieb weiter, indem wir ihn
noch effizienter und umweltfreundlicher
machen. Gleichzeitig treiben wir mit Erdgas-
und Hybridlösungen die Entwicklung
alternativer Antriebe mit geringerem
Verbrauch kontinuierlich voran.
Intelligente Mobilitätslösungen:
vernetzt, sicher, effizient
Mit dem Trend von Shared Mobility,
durch den Fahrzeuge zunehmend geteilt
und Mobilitätsangebote gemeinsam genutzt
werden, wächst die Bedeutung der
Intermodalität, einer intelligenten Vernetzung
verschiedener Verkehrsmittel im
urbanen Raum, mit dem Ziel, schnell von
62 globalcompact Deutschland 2017
A nach B zu kommen. Unser 2016 neu
eingerichtetes Innovation Lab Mobility
Solutions arbeitet unter anderem an
der Weiterentwicklung digitaler Dienstleistungen,
um konkrete Lösungen für
die urbane Mobilität umzusetzen. Zum
Beispiel ermöglichen speziell entwickelte
Apps, Busfahrern ein direktes Feedback
zu ihrer Fahrweise und sorgen so für
weniger Kraftstoffverbrauch und erhöhte
Sicherheit. Flexibilität und Komfort der
Reisenden können zudem zukünftig
durch Kooperationen zwischen Bushersteller
und -betreibern im Rahmen von
on-Demand-Konzepten wie einem Rufbus
erhöht werden.
Mit steigendem Verkehrsaufkommen
werden Städte unübersichtlicher – das
Unfallrisiko steigt. Deshalb setzen wir
alles daran, dass Busse künftig noch sicherer
werden, als sie es heute schon sind.
Unsere Vision des unfallfreien Fahrens
verfolgen wir mit Sicherheits- und Assistenzsystemen.
Diese werden immer
leistungsfähiger und sorgen dafür, dass
Unfälle gar nicht erst passieren.
Darüber hinaus geht mit zunehmendem
Automatisierungsgrad der Assistenzfunktionen
und der Vernetzung mit anderen
Fahrzeugen und Infrastrukturen die
Entwicklung hin zum (teil-)autonomen
Fahren. Unser teilautonom fahrender
Mercedes-Benz Future Bus, der 2016
seine Premierenfahrt absolvierte, zeigt
das Potenzial, den Verkehrsfluss und die
Verkehrssicherheit im urbanen Straßenverkehr
weiter zu erhöhen.
In Anlehnung an den Internationalen
Verband für öffentliches Verkehrswesen
(UITP) unterstützen wir das Ziel, den
Umfang des öffentlichen Transports bis
2025 zu verdoppeln. Innovative, urbane
Mobilitätskonzepte wie Bus Rapid
Transit (BRT) – separate Busspuren mit
Haltestellenplattformen, die bereits in
vielen Städten weltweit eingesetzt werden
– sind dafür unerlässlich. Denn
BRT-Systeme lassen sich günstiger und
schneller implementieren als andere
Verkehrssysteme und ermöglichen einen
effizienten, wirtschaftlichen und
besonders umweltfreundlichen Personentransport.
Wichtig ist, dass BRT-Systeme
nicht als unabhängige Transportprojekte
betrachtet werden, sondern in der
Stadtentwicklung mit einer Vision für
die Umgebung um die BRT-Haltestellen
verbunden sind. Mit Wohn-, Bildungs-,
Arbeits- und Freizeitmöglichkeiten in
Haltestellennähe ermöglichen sie Menschen
nicht nur Mobilität, sondern auch
gesellschaftliche Teilhabe.
Wir sind uns sicher: Für den ÖPNV hält
die Zukunft viele spannende Entwicklungen
bereit. Dabei werden nicht nur
der Bus als Verkehrsträger, sondern auch
innovative Mobilitätslösungen einen
Beitrag zu einer nachhaltigeren Mobilität
im urbanen Raum – und darüber
hinaus – leisten. Als verantwortungsbewusster
Bushersteller tragen wir daher
auch künftig dazu bei, urbane Lebensräume
nachhaltig mitzugestalten und
die Lebensqualität in den Städten zu
verbessern. Damit leisten wir wichtige
Beiträge für die Nachhaltigkeit unseres
Unternehmens und nicht zuletzt die
Sustainable Development Goals.
globalcompact Deutschland 2017
63
GOOD PRACTICE
Globale Ziele mit
Null-Emissionen-Logistik
erreichen
Deutsche Post DHL Group ist
das weltweit führende Unternehmen
für Logistik und Briefkommunikation.
Die Gruppe
konzentriert sich darauf, in
ihren Kerngeschäftsfeldern
weltweit die erste Wahl für
Kunden, Arbeitnehmer und
Investoren zu sein. Als langjähriger
Partner der Vereinten
Nationen steht Deutsche Post
DHL Group hinter den UN-
Zielen für Nachhaltige
Entwicklung (Sustainable
Development Goals, SDGs). In
allen Bereichen unserer
„Family of Divisions“ haben wir
bereits die Weichen für nachhaltige
Entwicklung gestellt.
Von Prof. Dr. Christof E. Ehrhart, Executive Vice
President Konzernkommunikation und Unternehmensverantwortung,
Deutsche Post DHL Group
Deutsche Post DHL Group unterstützt
alle 17 Ziele der Vereinten Nationen für
Nachhaltige Entwicklung. Viele Aspekte
haben wir bereits in unsere Konzernaktivitäten
und Programme aufgenommen.
Das „Impact Wheel“ steht als Infografik
für ein sich drehendes Rad, die zahlreichen
Produkte und Services mit gesellschaftlichem
Mehrwert sind seine Speichen.
Jedes Mal, wenn das Rad sich dreht,
unterstützt es nicht nur die Strategieziele
unseres Konzerns, sondern zeigt auch,
wie die Kerngeschäftsfelder von Deutsche
Post DHL Group – insbesondere in
den Bereichen Umwelt, Gesundheit und
Logistikinfrastruktur – bereits einen
wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung
weltweit leisten. Ein sichtbarer
Nachweis für die Bemühungen unseres
Unternehmens ist der StreetScooter. Der
StreetScooter ist ein von Deutsche Post
DHL Group entwickeltes Elektrofahrzeug
für die umweltfreundliche Zustellung
in Innenstädten. Nach einem erfolgreichen
Pilotprojekt in Bonn werden Pakete
nun in sechs großen deutschen Städten
mit dem rein elektrisch betriebenen
Fahrzeug ausgeliefert. Wir planen, im
nächsten Jahr 10.000 solcher Fahrzeuge
zu produzieren und in Betrieb zu nehmen.
Diese Art der Zustellung trägt dazu
bei, den Ausstoß von Treibhausgasen in
Wohngebieten zu reduzieren.
Umweltauswirkung unseres Unternehmens
minimieren
Auf dem Impact Wheel ist der Street-
Scooter im Abschnitt Umweltschutz
angesiedelt. Deutsche Post DHL Group
ist Vorreiter auf diesem Gebiet. Mit dem
konzernweiten Umweltschutzprogramm
GoGreen hat das Unternehmen seine
CO2-Effizienz im Vergleich zum Basisjahr
2007 bereits jetzt um 30 Prozent verbessert
– vier Jahre früher als geplant. Das
im März 2017 bekannt gegebene neue
Klimaschutzziel ist bahnbrechend für
den Transportsektor: Wir wollen bis 2050
alle logistikbezogenen Emissionen auf
null reduzieren. Dieses Ziel werden wir
mit Hilfe neuer Technologien, dem Engagement
und der Expertise unserer Mitarbeiter
sowie durch die Zusammenarbeit
mit unseren Kunden und Partnern erreichen.
Auf diese Weise leistet der Konzern
seinen Beitrag zum Ziel der UN-Klimakonferenz
in Paris, die Erderwärmung
64 globalcompact Deutschland 2017
OGISTIKLÖSUNGEN MIT GESELLSCHAFTLICHEM MEHRWERT
schen und verbessern ihr Leben.
Medical Express
DHL Paketkopter
Klinische Depots
GAVI
DHL Coldchain:
Temperaturgeführte
Logistik
DHL Thermonet
Netzwerk
auf weniger
als zwei
Grad Celsius zu
begrenzen sowie zu
SDG 11 (Klimaschutz) und
13 (Nachhaltige Städte und Gemeinden).
Diese beiden Ziele gehören zu
den fünf SDGs, auf die sich Deutsche
Post DHL Group primär fokussiert. Die
Ziele hochwertige Bildung, menschenwürdige
Arbeit und Wirtschaftswachstum,
nachhaltige Städte und Gemeinden,
Maßnahmen zum Klimaschutz sowie
Partnerschaften für die Ziele spiegeln
die Verantwortung des Unternehmens
wider und sind am besten geeignet, Lösungen
für die Herausforderungen einer
nachhaltigen Entwicklung zu bieten.
Hochwertige Bildung für alle
Als einer der größten Arbeitgeber weltweit
sind wir auf unsere Mitarbeiter angewiesen.
Denn sie sind es, die Menschen
verbinden und deren Leben verbessern.
Eine zukunftsorientierte und nachhaltige
Personalentwicklung ist daher für
unseren langfristigen Geschäftserfolg
entscheidend. Wir bieten lebenslange
Entwicklungsmöglichkeiten für unsere
bestehenden sowie Trainingsprogramme
für zukünftige Mitarbeiter. Im Rahmen
unserer inklusiven und gerechten hochwertigen
Bildungsprogramme bieten
Gesundheits-/Logistikinnovationen
Unterstützung von
Get Airports
Ready for Disaster
Sicherer globaler Zugang zu
Hilfsgüterlogistik
DHL Disaster
Response Team
Globale
Lagerkapazität
Gesundheitsprodukten
Lösungen von
DPDHL Group
schaffen
gesellschaftlichen
Mehrwert
GESUNDHEIT
Resilience 360
E-Fahrzeuge
LO GISTIK-
Lärmreduktion
UMWELT
INFR ASTRUK TUR
und Kommunikation
Schutz
natürlicher
Ressourcen
Globaler sowie lokaler Transport
Globales Logistik
Netzwerk
Fahrradzustellung
Rückführungs-
sowie sonstigen Treibhausgasund
Schadstoffemissionen
E-POST
l ogistik-Lösungen
Minderung von CO ² Emissionen
Electroreturn
Envirosolutions
Die Post für
Deutschland
Intermodal
Teardrop Anhänger
DHL Express
Fahrradzustellung
StreetScooter
SmartTruck
wir auch
Berufsausbildungsmöglichkeiten
für Menschen mit
Behinderung.
Mit unserem GoTeach-Programm wollen
wir die Bildungs- und Berufschancen
junger Menschen verbessern. Ziel unserer
Partnerschaft mit Teach For All
ist es, das Potenzial junger Menschen
zu entfalten. Überall auf der Welt sind
Bildungschancen ungerecht verteilt. Das
Bildungsnetzwerk hat sich der Idee verschrieben,
dass jedes Kind, unabhängig
vom sozialen Status seiner Eltern, Zugang
zu exzellenter Bildung haben sollte.
Durch unsere strategische Partnerschaft
mit SOS-Kinderdörfer im Rahmen des
GoTeach-Programms fördern wir die
Berufschancen sozial benachteiligter
junger Menschen.
Globalen Handel erleichtern und dadurch
Wachstum unterstützen
Logistik ist das Rückgrat der wirtschaftlichen
Entwicklung und des Wohlstands.
Als globaler Logistikanbieter erleichtern
wir den globalen Handel und unterstützen
das Wirtschaftswachstum.
Wir schaffen Arbeitsplätze für unsere
510.000 Mitarbeiter sowie unsere Partner
und Lieferanten. Bei allem, was wir tun,
folgen wir unseren Grundsätzen für verantwortungsvolles
unternehmerisches
Handeln. Unsere Mitarbeiter sind ein
wichtiger Stützpfeiler unseres Unternehmens.
Unser Selbstverständnis als
verantwortungsvoller Arbeitgeber gründet
auf unserem Verhaltenskodex. Dazu
gehören der Schutz der Menschenrechte
und dem lokalen Kontext entsprechende
angemessene Arbeitsbedingungen sowie
die Berücksichtigung der Diversität unserer
Mitarbeiter.
Zusammenarbeit mit Partnern für
eine nachhaltige Wirkung
Neue und bestehende Partnerschaften
sind eine der strategischen Säulen von
Deutsche Post DHL Group im Umgang
mit globalen Herausforderungen. Im
Rahmen unserer Corporate-Responsibility-Programme
arbeiten wir mit zuverlässigen
und globalen Partnern, wie
dem UN-Büro für die Koordinierung humanitärer
Angelegenheiten und dem
Entwicklungsprogramm der Vereinten
Nationen für unsere Aktivitäten im
Katastrophenmanagement zusammen.
Darüber hinaus steht Deutsche Post DHL
Group im offenen Dialog mit unseren
internen und externen Stakeholdern, um
eine verantwortungsvolle und nachhaltige
Geschäftsstrategie sicherzustellen.
Dieser Austausch und diese Allianzen
tragen maßgeblich zum Erfolg unserer
Maßnahmen im Bereich Unternehmensverantwortung
bei. Unser soziales Engagement
bekunden wir auch durch die
ehrenamtlichen Projekte unserer Mitarbeiter.
In ihren lokalen Gemeinschaften
tragen sie zur Lösung von Problemen
bei und leisten dadurch nicht nur einen
Beitrag für die Gesellschaft, sondern
schaffen ein Gemeinschafts- und Teamgefühl,
das uns auch am Arbeitsplatz
bereichert.
globalcompact Deutschland 2017
65
GOOD PRACTICE
E.ON macht das Stromnetz
fit für die Zukunft
Immer mehr Strom wird regenerativ und dezentral erzeugt. Das ist wichtig, denn gleichzeitig
wächst unser täglicher Strombedarf. Der angestrebte Ausbau der Elektromobilität
stellt Stromnetze und -versorgung künftig vor zusätzliche Herausforderungen. E.ON will
seinen Teil zu einem zukunftsfähigen Energiesystem beitragen. Eine Schlüsselrolle spielt
hierbei die Kooperation mit der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule
(RWTH) Aachen.
Dass sich die Elektromobilität weiter
durchsetzen wird, gilt als sicher. Doch
Ausmaß, Tempo und damit auch der
Ausbau der Infrastruktur sind offene
Fragen. An den Voraussetzungen dafür –
ein schnelleres Aufladen, eine größere
Reichweite und ein dichteres Netz an
Ladesäulen – arbeiten deshalb alle Beteiligten
mit Nachdruck.
Ein Blick in die Labore der RWTH Aachen
zeigt, was in Sachen Elektromobilität in
Zukunft möglich ist. Zum Beispiel beim
Thema Batterietechnik: Am Institut für
Stromrichtertechnik und Elektrische
Antriebe (ISEA) entwickelt und testet
das Team um Professor Dirk Uwe Sauer
die Batterien der Zukunft. Sie sollen
leistungsfähiger, langlebiger, günstiger
und gleichzeitig sicherer und zuverlässiger
werden. In einem anderen Gebäude
auf dem Hochschulcampus der RWTH
Aachen geht man einer weiteren Frage
nach: Wie lassen sich die Stromnetze für
den potenziellen Bedarf von Millionen
Elektrofahrzeugen wappnen?
Das komplexe Thema des Netzaus- und
-umbaus kann weder von der Wissenschaft
noch der Wirtschaft alleine umgesetzt
werden. In dem vom Bundesministerium
für Bildung und Forschung
(BMBF) geförderten „Forschungscampus
Flexible Elektrische Netze“, kurz FEN,
erforschen deshalb 15 Institute der
RWTH Aachen gemeinsam mit internationalen
Industriepartnern – darunter
E.ON –, wie die Stromnetze fit für die
Zukunft gemacht werden können. Lösungswege
zeichnen sich bereits heute
ab: Viele erneuerbare Energiequellen
wie Windparks an Land und auf See
oder Solarzellen auf den Dächern der
Verbraucher treten an die Stelle einer
„Top-Down-Verteilung“ mit wenigen zentralen
Großkraftwerken. Professor Rik
De Doncker, der das Mittelspannungs-
Konsortium innerhalb des FEN leitet,
erläutert: „Klassische Verteilernetze sind
radial aufgebaut, das heißt sie sind keine
Verbundnetze wie etwa das Hochspannungsnetz.
Deswegen ist es nur möglich,
Energie zwischen Unterwerken, die eine
Straße oder ein Stadtviertel versorgen,
über das Hochspannungsnetz auszutauschen.“
Zur Zeit der Liberalisierung der
Energiemärkte wurden zahllose Mengen
an dezentralen Energiequellen – wie
Photovoltaik, Windturbinen und Kraft-
Wärme-Kopplungssysteme – installiert,
nicht nur in Deutschland, sondern europaweit.
„Diese dezentralen Erzeuger
speisen Energie in die Mittel- und Niederspannungsverteilernetze.
Diese können
jedoch nur bedingt Energie aufnehmen,
um die Stromversorgungsqualität zu
gewährleisten“, ergänzt Rik De Doncker.
Hier setzt die Arbeit des Forschungscampus
FEN an: Unter anderem untersucht
man, wie Verteilernetze Energie
zwischen Erzeugern und Verbrauchern
flexibel austauschen können. Eine
Schlüsselrolle spielt hierbei die Gleichspannungstechnik
auf Basis modernster
Leistungselektronik, eine Technologie,
die im Mittel- und Niederspannungsbereich
derzeit noch nicht angewendet
wird. Rik De Doncker ergänzt: „Weiterhin
werden Normen, Installations-,
Schutz- und Sicherheitsaspekte dieser
neuen Technologie untersucht. Die zukünftigen
Netzstrukturen werden mehr
zellular aufgebaut sein und ermöglichen
effizienteres Routing von Energie zwischen
Unterwerken. Damit ist es denkbar,
höhere Kapazitäten, zum Beispiel für
Schnellladesäulen, zur Verfügung zu
stellen, oder die existierenden Drehstromnetze
stabiler zu betreiben.“
66 globalcompact Deutschland 2017
Visionen zukünftiger Energiesysteme
Der Forschungscampus FEN ist ein zentrales
Projekt, an dem E.ON gemeinsam
mit seinem wichtigsten Partner im Bereich
der Energieforschung, dem E.ON
Energy Research Center (ERC), arbeitet.
Ebenfalls auf dem Campus der RWTH
Aachen angesiedelt, verfügt das E.ON
ERC über Labore und Werkstätten sowie
Seminar- und Besprechungsräume,
in denen interdisziplinär und fakultätsübergreifend
geforscht und gelehrt
wird. Arbeitsschwerpunkte sind Netze
und Speichersysteme, energieeffiziente
Gebäude und Städte sowie erneuerbare
Wärme und Kraftwerke. Neben der
Entwicklung innovativer Technologien
werden aber auch das Verhalten der Energiekonsumenten
in Privathaushalten
und Unternehmen sowie energiepolitische
und strategische Fragestellungen
untersucht.
Die Kooperation von Wissenschaft und
Wirtschaft bringt auch für uns viele
Vorteile mit sich, betont Dr. Stephan
Ramesohl, Vice President Innovation
Strategy and Portfolio Management der
E.ON SE: „Wenn wir die Energiewende
umfassend und aktiv mitgestalten wollen
und neben technischen und ökonomischen
Fragestellungen auch ökologische
und soziale Aspekte betrachten wollen,
brauchen wir den Input von außen und
insbesondere auch aus der Wissenschaft.
Und die RWTH Aachen und das E.ON
Energy Research Center bringen die
besten Voraussetzungen für eine interdisziplinäre
Zusammenarbeit zwischen
Industrie und Forschung mit. Auch deshalb
haben wir den 2006 gegründeten
Kooperationsvertrag zwischen E.ON und
der RWTH Aachen im vergangenen Jahr
bis 2021 verlängert.“ Rik De Doncker unterstreicht
: „Die Kooperation zwischen
der RWTH Aachen und E.ON garantiert
eine langfristige, stabile Zusammenarbeit,
wodurch neue Ideen und globale
Probleme viel gründlicher untersucht
werden können.“
Die Energiewende, das Pariser Klimaabkommen
und die nachhaltigen Entwicklungsziele
der UN sind neben Faktoren
wie gestiegenen Kundenanforderungen
wichtige Antriebsfedern für die gemeinsame
Forschungsarbeit im Forschungscampus
FEN und im E.ON ERC. Denn bei
E.ON weiß man: Um Kunden in Zukunft
eine sichere, bezahlbare und nachhaltige
Energieversorgung anbieten zu können
und zugleich zum Gelingen der nationalen
und internationalen Klimaschutzziele
beizutragen, müssen jetzt die entsprechenden
Weichen gestellt werden.
Universitätsprofessor Dr.-Ing. Ernst Schmachtenberg, Rektor der Universität
RWTH Aachen: „Das E.ON Energy Research Center ist ein herausragendes Beispiel
für das enge Zusammenspiel zwischen Wissenschaft und Praxis an der RWTH
Aachen und war mit dem interdisziplinären Konzept ein Novum in der deutschen
Hochschullandschaft. Am E.ON ERC sind die entscheidenden Säulen der Energieforschung
vereint: Erzeugung, Umformung, Verteilung und Speicherung von
Energie, das alles verknüpft mit verhaltensorientierten sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen
Fragestellungen. Ich bin fest davon überzeugt, dass dieses
Energieforschungszentrum auf dem erfolgreich eingeschlagenen Weg weiter
vorangehen wird und seine Leuchtturm-Funktion in der nationalen und internationalen
Energieforschung weiter ausbaut.“
globalcompact Deutschland 2017
67
GOOD PRACTICE
Hilfe zur Selbsthilfe
in Südafrika
Gesellschaftliches Engagement ist fester Bestandteil der Unternehmenskultur und des Werteverständnisses
von Evonik. Wir wollen damit unseren Beitrag zu einer nachhaltigen gesellschaftlichen
Entwicklung leisten. Ein gutes Beispiel dafür ist unsere Zusammenarbeit mit dem Verein
Utho Ngathi Südliches Afrika e.V.
Von Hannelore Gantzer und Dr. Detlef Männig,
Corporate Responsibility, Evonik
Evonik und seine Vorgängergesellschaften
sind seit über 40 Jahren in Südafrika
tätig. Am 6. Juli 1976 gründete die damalige
Degussa AG die Vertriebsgesellschaft
Degussa South Africa (Pty) Ltd, heute
als Evonik Africa (Pty) Ltd ansässig in
Midrand. Bis 1985 folgten weitere Niederlassungen
in Durban, Kapstadt, Port
Elizabeth und Johannesburg.
Zu den bedeutsamsten Aktivitäten von
Evonik in Südafrika zählen heute die
Geschäfte mit Wasserstoffperoxid, Futtermitteladditiven
und Plexiglas®. Seit
mehr als 25 Jahren produzieren wir
Wasserstoffperoxid in Umbogintwini,
unweit von Durban, vor allem für die
umweltschonende Bleiche bei der Papierherstellung.
In Südafrika hat sich Evonik mit seinem
Geschäftsgebiet Animal Nutrition
außerdem als zuverlässiger Partner in
der Futtermittelindustrie etabliert. Der
Zusatz der Aminosäure Methionin zum
Futter von Nutztieren erfüllt ökologische,
ökonomische und gesellschaftliche
Kriterien der Nachhaltigkeit. So wird
der Ausstoß von Ammoniak, Nitrat und
Treibhausgasen deutlich gesenkt; zudem
lässt sich hiermit hochwertiges Protein
für die gesunde Ernährung einer wachsenden
Bevölkerung erzeugen. Unsere
Kooperation mit Utho Ngathi zielt auf
die Integration von Menschen mit Behinderung
im südlichen Afrika, deren
Zahl auf mehr als 18 Millionen geschätzt
wird – mindestens zehn Prozent der
Gesamtbevölkerung. Viele sind sich
selbst überlassen, vor allem in ländlichen
Regionen. Sie sind meist ans Haus
gebunden und leben außerhalb der Dorfgemeinschaft.
Utho Ngathi arbeitet mit
diesen Menschen, ihren Familien und
den Dorfgemeinschaften, um ihnen eine
bessere Lebensqualität zu ermöglichen.
Evonik unterstützt den Verein bereits
seit einigen Jahren. Die langfristig ausgerichtete
Zusammenarbeit begann
mit klassischen Sachspenden in Form
68 globalcompact Deutschland 2017
von Rollstühlen für gehbehinderte Jugendliche.
Seitdem haben sich unsere
Aktivitäten in Südafrika für Menschen
mit Behinderung kontinuierlich weiterentwickelt.
Um Menschen mit Behinderung zu integrieren,
benötigen diese eine Aufgabe,
die echten Mehrwert und Inklusion
schafft. Aus dieser Erkenntnis heraus beschlossen
Mitarbeiter unseres Geschäftsgebiets
Animal Nutrition, zusammen mit
Utho Ngathi in der Dorfregion Macubeni
im Osten Südafrikas Häuser für die Aufzucht
von Hühnern zu errichten. Evonik
holte einen lokalen Tierfuttermittelproduzenten,
einen großen Kunden in der
Region, mit seiner Expertise an Bord.
Dieser schulte die Hühnerhausbetreiber
hinsichtlich Haltung, Hygiene und Reinigung.
Zusätzlich stiftet er regelmäßig
Futter für Broiler und Legehennen.
Evonik ist auch Hersteller von Acrylglas,
besser bekannt als Plexiglas®. Daher
kamen Mitarbeiter von Evonik Acrylics
Africa (Pty) Ltd auf die Idee, Plexiglasplatten
mit den dazugehörigen Stahlrahmen
nach Macubeni zu bringen, um die Hühnerhäuser
wind- und wetterfester zu
machen: Im Winter werden die Platten
seitlich an den Häusern angebracht, um
die Hühner vor dem kalten Wind zu
schützen, im Sommer auf den Dächern,
um die Hitze abzuhalten.
Inzwischen sind bereits mehrere Generationen
von Hühnern aufgezogen und
verkauft worden, wodurch die Anzahl an
Häusern mit Broilern und Legehennen
auf mittlerweile drei anstieg. Damit bieten
die Hühnerhäuser zehn Menschen
mit und ohne Behinderung Arbeit und
ein kleines Einkommen.
Für Menschen mit Behinderung hat
die Arbeit einen unschätzbaren Wert:
Sie haben nicht nur eine sinnvolle Beschäftigung,
sondern sind auch in die
Dorfgemeinschaft integriert. Gleichzeitig
verbessert das zusätzliche Fleischangebot
die Versorgung der Dorfbewohner. Vom
Gewinn aus dem Verkauf der Hühner
zahlt Utho Ngathi ihnen ein Gehalt.
Dabei bleibt noch etwas Geld übrig,
um einige Dorf bewohner zu unterstützen,
die bei Menschen mit Behinderung
Hausbesuche machen und sich um diese
kümmern („Home Care“).
Von der Nachhaltigkeit des Engagements
in Macubeni überzeugt, fördert
auch die Evonik Stiftung die Arbeit
von Utho Ngathi bis zum Jahr 2020.
Zuletzt spendete sie dem Projekt einen
Pick-up, mit dem die Farmarbeiter die
täglich notwendigen Transporte durchführen
können und das vom Kunden
gespendete Hühnerfutter direkt am
Werk abholen.
Auch unsere Mitarbeiter unterstützen
individuell die Hilfe zur Selbsthilfe
im südlichen Afrika: Sie haben eine
interne Social-Media-Plattform für Utho
Ngathi eingerichtet, informieren über
den Projektfortschritt und rufen zu
Spenden auf. Informationen finden sich auch
unter www.uthongathi.org
globalcompact Deutschland 2017
69
GOOD PRACTICE
Gemeinwohl – eine
wichtige Säule unseres
Selbstverständnisses
Unternehmen und Gesellschaft stehen in einer lebendigen Wechselbeziehung zueinander. Als
Teil der Gesellschaft leisten Unternehmen und Organisationen einen Beitrag zu ihrem Gelingen
und sind gleichzeitig darauf angewiesen, dass sie von der Gesellschaft im Sinne einer „License
to operate“ akzeptiert werden. Indem immer mehr Menschen und Gruppen sich eine Meinung
bilden über das, was in Unternehmen geschieht und es in sozialen Netzwerken kommunizieren,
nimmt die Gesellschaft heute in zunehmendem Maße Einfluss auf Unternehmensentscheidungen,
wenn nicht sogar auf den Unternehmenserfolg.
Von Annekatrin Nowotny, Business Partner Corporate Responsibility GSA, EY
Unternehmen stehen somit vor der Herausforderung,
die Werte- und Bedürfniswelt
ihres gesellschaftlichen Umfelds
besser zu verstehen und in Entscheidungen
zu reflektieren. Leistet z.B. eine bevorstehende
Akquisition einen potenziell
positiven Beitrag zum Gemeinwohl oder
wird sie eher kritisch gesehen? Und welche
Auswirkungen könnte eine kritische
Haltung der Gesellschaft gegenüber einer
solchen Entscheidung auf den weiteren
Erfolg des Unternehmens haben; auf
Produktakzeptanz oder eventuell auf
das „employer branding“? Letztlich ist es
wichtig für Unternehmen zu verstehen,
dass die Gesellschaft bei allen Entscheidungen
immer mit am Tisch sitzt.
Aufgrund der zunehmenden Bedeutung
dieser gesellschaftlichen Dynamik hat
EY diese Fragestellung proaktiv nicht
nur für sich selbst, sondern auch in
ihren Dienstleistungen aufgenommen.
Mit dem Selbstverständnis „Building a
better working world“ wird die Rolle
klar beschrieben, die EY global für sich
beansprucht. Um diesem Leitgedanken
gerecht zu werden, wird die Frage nach
der gesellschaftlichen Wirkung auch in
die Beratungsarbeit integriert. „Für EY ist
die Frage des Beitrags zum Gemeinwohl
eine wichtige Säule in unserem Selbstverständnis
‚Building a better working
world‘. Für uns ist klar, dass wir diesem
Anspruch nur gerecht werden, wenn wir
ihn nicht nur für uns selbst reflektieren,
sondern auch in unsere Beratungspraxis
und weitergehende Aktivitäten einfließen
lassen“, sagt Markus T. Schweizer,
EY Managing Partner Strategic Solutions
Deutschland, Schweiz, Österreich. Damit
engagiert sich EY für das nachhaltige
Entwicklungsziel 8 der UN, das für dauerhaftes,
inklusives und verantwortungsvolles
Wirtschaftswachstum steht.
Methodische Grundlage ist die von EY
und der HHL Leipzig Graduate School
of Management (HHL) sowie der Universität
St. Gallen entwickelte und wissenschaftlich
erprobte „Public Value
Scorecard“. Sie evaluiert anhand der vier
Grundbedürfnisse des Menschen, die die
psychologische Forschung identifiziert
hat, welchen Beitrag Unternehmen zum
Gemeinwohl leisten. Entlang dieser
Kategorien müssen sich Unternehmen
die Frage stellen, ob sie
• einen gesellschaftlichen Nutzen stiften,
indem sie ein Problem lösen,
• im Einklang mit dem moralischen
Wertekanon ihres gesellschaftlichen
Umfelds agieren,
• einen Beitrag zum gesellschaftlichen
Zusammenhalt leisten und
• den Menschen eine positive Erfahrung
ermöglichen.
Zusammen mit der Frage nach dem finanziellen
Nutzen eines Unternehmens
ergibt sich eine wissenschaftlich fundierte
Basis, die Rolle eines Unternehmens im
gesellschaftlichen Kontext zu verstehen
und in Entscheidungen einfließen lassen
zu können.
EY zeichnet gemeinwohlorientierte
Start-ups aus
Für EY ist der Gemeinwohl-Ansatz aber
nicht nur Bestandteil der Beratungspraxis,
sondern auch Motor für eine Reihe
von Initiativen wie etwa dem „EY Public
Value Award for Start-ups“. Gemeinsam
70 globalcompact Deutschland 2017
EY Public Value Award for Start-ups 2017
Das Start-up Social-Bee hat den EY Public Value Award 2017 gewonnen. Die
Gründer aus München konnten sich beim Finale im Oktober vergangenen Jahres,
das in der Kongresshalle am Zoo in Leipzig vor 250 Gästen stattfand, gegen
sechs Finalisten durchsetzen. Insgesamt hatten sich 120 Start-ups für den Preis
2017 beworben.
Die Geschäftsidee von Social-Bee im Überblick:
mit der HHL vergibt EY die Auszeichnung
seit 2016 an Jungunternehmen, deren
Geschäftsidee wachstumsorientiert ist
und dabei ein gesellschaftliches Problem
löst, moralisch-ethische Standards
berücksichtigt oder das Zusammenleben
zwischen Gruppen stärkt. „Im zweiten
Jahr konnten wir mit dem EY Public
Value Award ein Zeichen setzen. Public
Value ist für Gründerinnen und
Gründer mehr als nur ein kurzzeitiger
Trend. Es ist ein Thema, das sie über alle
Gründungsphasen hinweg begleitet“, so
Markus T. Schweizer weiter.
Der Award bietet Gründern die Chance,
die Einzigartigkeit ihres Geschäftsmodells
vorzustellen. Er soll ihnen als
Qualitätssiegel und positives Signal für
die Öffentlichkeit und für potenzielle
Investoren dienen, denn die gesellschaftliche
Relevanz von Geschäftsideen ist
zunehmend ein Investitionskriterium
für Kapitalgeber. Aus diesem Grund
ist es wichtig, dass Start-ups gleich zu
Beginn die wirtschaftliche und die gesellschaftliche
Perspektive bei ihrer Unternehmensgründung
mitdenken. „Das
hohe Interesse der Start-ups an diesem
Wettbewerb zeigt: Jungunternehmen
hinterfragen aktiv ihre gesellschaftliche
Rolle, stellen sich mit ihren Gründungsideen
den Themen und Fragen unserer
Zeit und nutzen ihre Innovationskraft,
um diese zu lösen“, sagt Hubert Barth,
Vorsitzender der Geschäftsführung von
EY Deutschland.
• Das Jungunternehmen ist die erste gemeinnützige Zeitarbeitsfirma in
Deutschland, die Geflüchtete in Arbeitsmarkt und Gesellschaft integriert. Social-
Bee stellt die Betroffenen an und leitet sie an interessierte Unternehmen weiter.
Darüber hinaus unterstützen die Gründer Geflüchtete mit sozialpädagogischer
Betreuung, Sprachkursen oder Teilqualifikationen.
Auf den Plätzen zwei und drei landeten die Berliner Start-ups SirPlus und
Coffee Circle. Der Publikumspreis ging an Companion2Go.
• SirPlus arbeitet mit Produzenten und Großhändlern zusammen, um
überschüssige Lebensmittel wieder in den Verwertungskreislauf
zurückzubringen. Zunächst bietet das Jungunternehmen die Produkte in einem
Food Outlet Store an. Später soll ein Marktplatz folgen, um Angebot und
Nachfrage zusammenzuführen.
• Coffee Circle will einen über die gesamte Wertschöpfungskette fairen
Kaffeehandel etablieren. Der Rohstoff wird auf traditionelle Weise angebaut und
in der eigenen Rösterei weiterverarbeitet. Mit jeder Tasse Kaffee unterstützt das
Start-up Trinkwasserprojekte in äthiopischen Kaffeeanbauregionen.
• Companion2Go ist eine Werbeplattform, über die behinderte und nichtbehinderte
Menschen mit gleichen Interessen gemeinsam mit öffentlichen
Verkehrsmitteln reisen und Veranstaltungen wie Konzerte oder Sportevents
besuchen können.
Im Uhrzeigersinn:
Erster Platz: Social-Bee,
zweiter Platz: SirPlus,
dritter Platz: Coffee Circle,
Publikumspreis: Companion2Go
globalcompact Deutschland 2017
71
GOOD PRACTICE
Willkommen in der Zukunft
des Bauens
Web 4.0, smarte Systeme, Big Data – die Digitalisierung wird die Zukunft prägen. Auch die
Zukunft des Bauens. Denn wo früher zweidimensionale Pläne die Basis für den Baustellenalltag
waren, sind immer häufiger Bauherren und Planer, Unternehmen und Nachunternehmer digital
miteinander verbunden. Building Information Modeling (BIM) heißt die Methode, Bauprojekte
effektiv und digital abzuwickeln. Sie basiert auf einer aktiven Vernetzung aller Beteiligten
mithilfe eines 3D-Computermodells, das um weitere Daten wie Zeit und Kosten ergänzt
werden kann. Kurz: Wer zuerst digital und dann real baut, ist einfach besser vorbereitet; viele
Probleme entstehen gar nicht erst.
Von HOCHTIEF, Konzernkommunikation
Schon früh hat HOCHTIEF das Potenzial
von BIM erkannt: Unsere Gesellschaft
für virtuelles Bauen, die HOCHTIEF
ViCon GmbH, gilt als einer der Pioniere
in diesem Bereich. Seit einigen Jahren
bauen wir innerhalb des Konzerns das
BIM-Know-how immer stärker aus. Das
ergibt Sinn, wird es doch immer öfter
sowohl bei öffentlichen als auch privaten
Kunden gefordert. So wurde 2015
in Deutschland der BIM-Stufenplan
vorgestellt: Bis zum Jahr 2020 soll BIM
Standard bei allen Verkehrsinfrastrukturprojekten
des Landes sein. In vielen
Ländern, unter anderem Großbritannien,
Finnland, Norwegen, Singapur und Malaysia,
gelten ähnliche Standards. In den
USA realisiert unsere Gesellschaft Turner
kaum noch ein Hochbau-Projekt ohne
BIM-Einsatz. Und das aus gutem Grund.
Bauprozess: Flexibel und genau
BIM ist mehr als ein 3D-Modell: ein Informationstool
für alle Beteiligten und
daher ein Kommunikationssystem, fast
schon eine neue Philosophie des Bauens.
Da Architekten, Bauherren, Ingenieure
und Nachunternehmer auf das Modell
zugreifen können, kennen sie stets den
aktuellen Stand des Bauprojekts. Am
Bildschirm werden Leitungen, Wände,
Treppen und Mauern sichtbar. Daraus
errechnet das System auf Knopfdruck,
wie viele Mengen Beton, Stahl oder Mauerwerk
benötigt werden. Wird während
des Bauprozesses neu geplant, zum Beispiel
eine weitere Wand eingezogen,
werden alle daraus folgenden Konsequenzen
für jedes Gewerk in Sekundenschnelle
berechnet – und alle wissen
direkt Bescheid. Das Modell kann um
weitere Informationen wie Zeit, Kosten
und Nutzung ergänzt werden; daraus
ergibt sich eine Fülle weiterer Vorteile
für das Projektmanagement.
72 globalcompact Deutschland 2017
Um das vollständige Potenzial von BIM
erfolgreich zu heben, ist es wichtig, dass
alle Teammitglieder und Beteiligten in
die digitalen Prozesse involviert werden.
Hierzu müssen viele Menschen geschult
werden. HOCHTIEF ViCon bietet BIM-
Zertifizierungskurse zum „BIM Professional“
in Kooperation mit Hochschulen
an und ermöglicht damit den Zugang
zu den Projekterfahrungen aus den vergangenen
Jahren.
Zum Beispiel von Großprojekten wie der
Elbphilharmonie in Hamburg. Dort wurde
bereits 2007 eine Kollisionsprüfung
für technische Gewerke eingesetzt, die
bei solchen komplexen Projekten äußerst
sinnvoll ist: Wo treffen welche Gewerke
aufeinander? Begegnen sich Leitungen,
Rohre und Kanäle? Das Modell macht
dies sichtbar – und verhindert rechtzeitig,
dass Wände aufgerissen werden
müssen, doppelte Arbeit, Zeitverlust,
Kosten und Ärger entstehen. „Wir haben
in der Elbphilharmonie beim Planen
mehrere tausend Konflikte zeitnah in der
Planungsphase gefunden und gemeinsam
mit den Beteiligten gelöst, bevor
es in der Praxis zu Problemen kommen
konnte“, ist von René Schumann, Geschäftsführer
von HOCHTIEF ViCon, zu
erfahren. „Das ist in 2D bei so komplexen
Projekten einfach nicht mehr möglich.“
Kontrolle ist alles
Nicht nur im Hochbau, sondern auch
im Infrastrukturbau wird BIM zum Vorteil,
zum Beispiel bei Großvorhaben wie
dem Projekt Sydney Metro Northwest in
Australien. Dort sind die Kollegen der
HOCHTIEF-Gesellschaft CPB Contractors
am Bau der zwei 15 Kilometer langen
Tunnelröhren beteiligt. Die Experten
von HOCHTIEF ViCon unterstützen mit
BIM-Management-Dienstleistungen und
implementieren das selbst entwickelte
Online Rail Information System (ORIS).
ORIS ist ein webbasiertes Projektmanagementsystem,
das speziell für die Kontrolle
und Auswertung des Datenmaterials von
Bahnprojekten entwickelt wurde, um
deren Realisierung und Betrieb effizienter
zu steuern. Neu in diesem Projekt
ist, dass die Modellinformationen auch
direkt auf der Baustelle mithilfe von
Tablets genutzt werden und zusätzliche
Daten von dort wieder zurück in das
3D-Computermodell fließen. Das Metroprojekt
in der australischen Metropole
wird bei Fertigstellung im Jahr 2019 das
erste vollautomatische S-Bahn-System
des Kontinents sein und 100.000 Bahnfahrer
pro Stunde befördern.
Ein wesentlicher Vorteil von BIM: eine
perfekte Übersicht über alle Daten. Folglich
ist die Methode auch in Sachen Nachhaltigkeit
ein klarer Vorteil. Die Praxis
zeigt, dass BIM dabei hilft, Baukosten
und CO 2-Emissionen einzusparen. Wie
das geht? Durch bessere Planung können
logistische Schritte besser aufeinander
abgestimmt werden, Wartezeiten werden
verkürzt, Missverständnisse im Vorfeld
weitestgehend ausgeräumt. Beste Voraussetzungen
also dafür, dass Zeit- und
Kostenpläne eingehalten werden. Zudem
können auf Basis der Modelle der
CO 2-Footprint sowie Einsparpotenziale
berechnet werden.
Vorteil für Betreiber
Von BIM profitieren nicht nur Investoren,
Baufirmen und Nachunternehmer, sondern
auch Property- und Facility-Manager.
Bei der Übergabe des Gebäudes durch das
Links: Die Elbphilharmonie in Hamburg – ein
110 Meter hohes Gesamtkunstwerk.
Oben: Die Große Treppe der Elbphilharmonie
in der Planung.
bauausführende Unternehmen erhalten
sie mit BIM detaillierte Informationen zu
Einbauorten und Spezifikationen von zu
betreuenden technischen Anlagen und
Betriebsmitteln beziehungsweise Flächen.
Optimal sind die BIM-Möglichkeiten genutzt,
wenn bereits im Planungsprozess
die aus Betreibersicht wichtigen Aspekte
in das BIM-Modell eingebracht werden
und bereits die Produkthersteller ihre
Daten digital im 3D-Computermodell
zur Verfügung stellen.
Ein Vorteil, den sich auch synexs, die
noch junge, für Facility-Management
zuständige HOCHTIEF-Gesellschaft, zunutze
macht. Das Unternehmen bündelt,
aufsetzend auf BIM, alle Daten, die für
den effizienten und ressourcenschonenden
Betrieb von Immobilien und
Anlagen wichtig sind. Liegenschaften
können so „in Echtzeit“ gesteuert, alle
Themen „just in time“ avisiert werden.
Ein Zugang zu relevanten Informationen
ist für den Kunden jederzeit möglich, der
Betrieb wird lückenlos und transparent
dokumentiert. So sind die BIM-Daten
in jeder Phase des Lebenszyklus immer
auf einem aktuellen Stand. Und davon
profitieren wiederum Architekten und
Bauunternehmen bei der Planung neuer
Projekte. Transparenz zahlt sich eben
aus.
globalcompact Deutschland 2017
73
GOOD PRACTICE
17 Global Goals.
Und eine gewaltige Chance.
Mit der „Agenda 2030“ wollen die Vereinten Nationen dazu beitragen, dass unsere Welt in
den nächsten 15 Jahren eine spürbare Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit nimmt. Die
17 „Sustainable Development Goals“ (SDGs) ersetzen die „Millennium Development Goals“
aus dem Jahr 2000. Mit ihrer hohen Symbolkraft stellen sie eine echte Chance dar.
Von Sven Grönwoldt, Hoffmann und Campe X
„Transforming the World“: Das Motto der
„Agenda 2030“ verheißt einen großen
Wurf, und entsprechend anspruchsvoll
sind die 169 Unterziele zu den SDGs.
Und sie sind überfällig. Denn die Agenda
richtet sich, anders als ihre Vorgängerin,
auch an die Industriestaaten und nicht
mehr nur an Schwellen- und Entwicklungsländer
und ist dadurch auch stärker
als ein Appell an die Vernunft und die
Ethik von privatwirtschaftlichen Unternehmen
zu verstehen.
Doch welchen Stellenwert haben die
SDGs für das CSR- und Nachhaltigkeitsmanagement
von Unternehmen und
die strategische Kommunikation über
die Leistungs- und Zukunftsfähigkeit
im Sinne einer globalen und nachhaltigen
Entwicklung? Zunächst führen
sie uns in einem symbolischen Akt von
buchstäblich globaler Signifikanz unsere
gemeinsame gesamtplanetarische Verantwortung
vor Augen: Wir alle stehen
nun in der Pflicht, uns gegen Hunger,
Armut und Umweltzerstörung zu engagieren
und für Gesundheit und Bildung
einzusetzen.
ANALYSE &
BERATUNG
• Bestandsaufnahme und Analyse
bestehender Aktivitäten im
CR-Management und der strategischen
Kommunikation
• Zielgruppenanalyse
• Performance-Analyse
• Repräsentative Stakeholder-Befragungen
und Dialoge
KONZEPTION
• Inhaltliche und grafische Konzeption
• Integrierte Kommunikationskonzepte
für alle Offline- und
Online-Kanäle
• Weiterentwicklung bestehender
CR-Kommunikationskonzepte
unter Berücksichtigung aktueller
Berichtsstandards,
Vergleichsrahmenwerke,
Leitlinien und Indikatorensets
(GRI, EFFAS, DNK, GRESB,
ISO 26000, IIRC, SDGs etc.)
1
2 3
Die „Agenda 2030“ rückt auch das Thema
Corporate Social Responsibility (CSR)
stärker denn je in den Fokus und wird
dadurch zu einer Art Hebel, mit dem der
bislang recht hermetische Adressatenkreis
für Nachhaltigkeitsproblematiken
deutlich erweitert wird, auch wenn sie
auf die sich ergebenden organisationsinternen
Herausforderungen und alle
Fragen nach Einfluss- und Umsetzungsmöglichkeiten
keine bündige Antwort
geben. Dafür stiften sie Orientierung: Sie
erleichtern es den Unternehmen, sich im
Dschungel der nationalen und internationalen
Regeln, Gesetze, Verordnungen,
Goodwill-Erklärungen, Richtlinien und
Absichtserklärungen zurechtzufinden.
Sie ermöglichen es, noch einmal aus
anderer Perspektive die wesentlichen
sozialen, ökologischen und ökonomischen
Aspekte der Auswirkungen ihres
wirtschaftlichen Handelns zu fokussieren
und pragmatische Lösungen im
Rahmen der globalen Wertschöpfung
und Arbeitsteilung zu entwickeln.
Für die strategische Unternehmenskommunikation
und speziell für das Nachhaltigkeits-/CSR-Reporting
bieten die
SDGs eine gewaltige Chance: Sie geben
FLANKIERENDE
MASSNAHMEN
• Flankierende PR- und Medienarbeit
(online und print)
• Organisation und Moderation
von Stakeholder-Roundtables
• Roadshows und Events
• Mitarbeiter-Workshops
• Entwicklung von Webaktivitäten
(Facebook-Accounts, Blogs,
Web-Foren etc.)
• Matchmaking mit gemeinnützigen
Organisationen für partnerschaftliche
CR-Projekte
UMSETZUNG
• Projektmanagement
• Textredaktion; Storytelling für
Ihre CR-Kommunikation
• Grafische Gestaltung, Layout,
Fotoshootings
• Druckvorstufe, Druck
• Fremdsprachliche Adaption
74 globalcompact Deutschland 2017
der Öffentlichkeit und den Stakeholdern
– auch jenen, die an das Lesen von
GRI-Berichten gewöhnt sind – einen
praktikablen Maßstab dafür an die Hand,
wie weit und in welcher Form ein Unternehmen
dazu beiträgt, die für die
Zukunft unseres Planeten entscheidenden
Ziele zu erreichen. Denn dank ihrer
symbolhaften Funktion bieten sie die
Möglichkeit, den Think-global-act-local-
Ansatz und auch die Einflussmöglichkeiten
und -grenzen der Unternehmen
auf die großen globalen Themen noch
einmal besonders anschaulich und nachvollziehbar
abzubilden.
Auch zukünftig sollten Unternehmen
entlang ihres Geschäftsmodells qualitative
und quantitative Nachhaltigkeits-KPIs
mit Berichtsstandards wie denen der
GRI abbilden, besonders für die Gruppe
jener Stakeholder, die sich mit der
Materie auskennen und auf der Basis
ihres Know-hows Handlungsentscheidungen
fällen (z. B. Investoren, Kunden,
Partner). Darüber hinaus ist es für uns
ein begrüßenswertes Szenario, dass die
strategische Unternehmenskommunikation
durch die Integration der SDGs eine
weitere Option erhält, mit sehr deutlicher
(Symbol-)Sprache ihre Beiträge zur
Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele
abzubilden. Diese Aufgabe
übernehmen wir für unsere Kunden
gern. Wie gewohnt immer nach dem
„Agenda 2030“-konformen Motto: „Nach
innen ehrlich, nach außen glaubwürdig.“
Um beim Thema Glaubwürdigkeit gleich
einzuhaken: Keinesfalls sollten Unternehmen
ihre Kommunikation durch weitere
Indikatoren auf blähen, die weder
zu ihrem Business Case noch zu den
Kerngeschäftsprozessen passen. Minutiös
ausgearbeitete Indikatorensets auf Basis
der 17 Ziele und 169 Unterziele wurden
bereits von verschiedenen Expertengruppen
– darunter auch eine im Deutschen
Statistischen Bundesamt – erstellt, um
die Verfolgung der Ziele messbar zu machen.
Die von der Inter-agency and Expert
Group on Sustainable Development Goal
Indicators (kurz IAEG-SDGs) entwickelte
Indikatorenliste ist auf einer offiziellen
Internetseite der Vereinten Nation einsehbar
und wird regelmäßig vom United
Nations Statistics Division (UNSD), einer
Unterabteilung des Department of Economic
and Social Affairs (DESA), aktualisiert.
Sie ist, mit weit über 200 Indikatoren, sehr
lang. Viel Arbeit also für die Experten der
Vereinten Nationen und die nationalen
Unterstützer dieser Initiative. Nur auch
bei diesen Indikatoren stellt sich die Frage:
Wo liegt der eigentliche Nutzen für
Unternehmen und ihre CSR-Beauftragten?
Besonders mittelständische Unternehmen
mit weniger Erfahrung im CSR-Reporting
können sich bereits anhand der plakativen
17 Ziele einen Überblick verschaffen,
wo sie als Local Player überhaupt Einflussmöglichkeiten
auf globale Entwicklungen
haben. Überraschend mag es bei
genauerer Betrachtung für den einen oder
anderen Geschäftsführer oder Inhaber
dann sein, wie vielfältig diese Möglichkeiten
tatsächlich sind – zu denken ist
an die Gleichstellung der Geschlechter
(Ziel 5), das Streben nach nachhaltigem
Wirtschaftswachstum und menschenwürdiger
Arbeit für alle (Ziel 8), den Auf bau
einer widerstandsfähigen Infrastruktur,
die Förderung einer breitenwirksamen
und nachhaltigen Industrialisierung sowie
die Unterstützung von Innovationen
(Ziel 9), die Sicherstellung nachhaltiger
Konsum- und Produktionsmuster (Ziel 12)
oder die Bekämpfung des Klimawandels
und seiner Auswirkungen (Ziel 13).
Die 169 Unterziele (zum Beispiel #12.5
„Abfallaufkommen verringern“ oder
#12.6 „Berichterstattung zu Nachhaltigkeit“)
beschreiben weitere konkrete
Handlungs- und Einflussmöglichkeiten.
Hat ein Unternehmen das erforderliche
Engagement, aber nicht die entsprechende
Erfahrung, sollten die Entscheider, um
Professionalität beim Messen und bei
der Kommunikation sicherzustellen, die
Unterstützung von Reportingexperten in
Anspruch nehmen – was aller Erfahrung
nach auch die wesentlich effizientere
Lösung ist.
Sven Grönwoldt
Sven Grönwoldt arbeitet seit über
15 Jahren agentur- und unternehmensseitig
im Corporate Reporting.
Seit 2014 ist er bei Hoffmann und
Campe X als Creative Director
und Editor in Chief für die Berichterstattung
der HoCa X-Kunden
zuständig und berät hier Unternehmen
unterschiedlicher Größe und
Branchen beim Auf- und Ausbau
ihres CR-Managements und ihrer
kanalübergreifenden strategischen
CR-Kommunikation. Kontakt:
sven.groenwoldt@hoca.de
Hoffmann und
Campe X
Bei der Entwicklung und Umsetzung
von CR-Kommunikationskonzepten
vertrauen namhafte Unternehmen
auf Hoffmann und Campe X – denn
hier erstellen CR-Experten gemeinsam
mit erfahrenen Art Direktoren
und Onlineprofis effiziente Kommunikationslösungen
für unterschiedliche
Kanäle. CR-Kommunikation versteht
das Team stets als integralen
Bestandteil nachhaltiger Unternehmensstrategie
und als wesentlichen
Beitrag für den Reputationsgewinn
und die Wettbewerbsstärke der
Unternehmen.
globalcompact Deutschland 2017
75
GOOD PRACTICE
Nachhaltigkeitsprüfung
von Lieferanten und
Lieferketten
Nachhaltigkeit von Lieferanten und Lieferketten zu prüfen, ist ein komplexes Thema. Viele
Unternehmen fokussieren sich daher lediglich auf die wenigen strategisch wichtigen Lieferanten.
Mittlere und kleine Unternehmen scheuen den Aufwand oftmals gänzlich. Eine neue Generation
an Softwarelösungen ermöglicht es Unternehmen nun, ihr Nachhaltigkeitsengagement mit
wenig Aufwand anzugehen und sehr schnell auf die gesamte Lieferantenbasis auszudehnen.
Ein Beispiel dafür, wie Technologie die Nachhaltigkeitsbestrebungen von Unternehmen
unterstützen und auf das nächste Level heben kann.
Von Martin Berr-Sorokin, CEO von IntegrityNext
Standards und Regeln definieren den
Rahmen, in dem Unternehmen agieren
müssen. Solche Nachhaltigkeits- und
Compliance-Standards sind jedoch komplex
und unterliegen einer ständigen
Weiterentwicklung. Unternehmen
kämpfen daher damit, diese Nachhaltigkeitsanforderungen
in Prozesse und
Systeme umzusetzen und aktuell zu
halten. Insbesondere wenn es darum
geht, die Nachhaltigkeit von Lieferanten
zu kontrollieren, wird es hochgradig
komplex.
Wie holt man Selbstauskünfte und
Verpflichtungserklärungen der Lieferanten
zu Themen wie Korruption,
Kinderarbeit, Arbeitssicherheit oder
auch Konfliktmineralien ein? Wie erfährt
man von Zuwiderhandlungen,
Verstößen und schlechter Publicity
bei den eigenen Lieferanten? Und wie
identifiziert man möglichst schnell
die damit verbundenen Reputationsrisiken
für das eigene Unternehmen
und dessen Marken? Dies sind Fragen,
mit denen sich nicht nur große Konzerne,
sondern spätestens seit dem
Inkrafttreten der CSR-Berichtspflicht
(2014/95/EU) auch mittelständische
Unternehmen konfrontiert sehen.
Mit dem Aufkommen von Cloud-Lösungen,
also Lösungen, bei denen man sich
lediglich auf einer Internetseite anmeldet
und sofort ohne Installation loslegen kann,
dezentral nutzbaren Superrechnern und
sogenannten kognitiven Technologien,
die den Computer z.B. die menschliche
Sprache verstehen lassen, entsteht derzeit
eine völlig neue Generation von Business
Applikationen, die Geschäftsprozesse nicht
mehr nur unterstützt, sondern diese fast
gänzlich abnimmt.
Verabschiedung von der „Leeren App“
„ ... wenn Sie Anwendungen kaufen, kaufen
Sie leere Apps. Mit anderen Worten: Sie
kaufen ein Datenmodell und eine Anwendungslogik,
aber Sie kaufen nicht wirklich
eine Lösung, ... “, monierte Pierre Mitchell
im Mai letzten Jahres in einem Beitrag
auf der Internetseite Spendmatters.com.
Im Falle der Nachhaltigkeit und Compliance
sind die Anforderungen als Verordnungen,
nicht aber als praktische
Evaluierungsinstrumente formuliert.
Hinzu kommt, dass in Zeiten der globalen
Beschaffung Lieferketten bereits
auf der ersten Ebene international sind.
Somit gelten auch für deutsche Unternehmen
sehr schnell internationale Gesetzgebungen.
Nur erfahrene Fachleute
sind qualifiziert, diese Evaluierungsinstrumente
zu erstellen.
Um die Hürde für Unternehmen möglichst
gering zu halten, enthalten die
neuen Softwarelösungen heutzutage
vorgefertigte fachliche Inhalte, die Nachhaltigkeitsthemen
wie die Vermeidung
von Korruption, Umweltschutz, Menschenrechte,
Kinderarbeit, Arbeitssicherheit,
etc. adressieren und internationale
Nachhaltigkeitsstandards und Gesetze
abdecken.
Soziale Medien als Echtzeit-
Informationsquelle
Die sogenannten Sozialen Medien wie
Twitter, Facebook und LinkedIn geben
Konsumenten und Aktivisten, Unternehmen
und Arbeitnehmern, ja einfach all
denen, die ein Sprachrohr suchen, ein
entsprechendes Forum. Laut Business
76 globalcompact Deutschland 2017
Insider übertrifft der Informationsaustausch
der Sozialen Medien einige der
datenintensivsten B2B-Aktivitäten. So
verarbeitet beispielsweise Facebook täglich
500-mal mehr Daten als die New
Yorker Börse.
Social Media-Daten sind zwar unstrukturiert,
aber die Nachrichten darin haben
einen wahrnehmbaren Tonfall. Sogenannte
Natural Language Processing (NLP)
Algorithmen erlauben es Computern,
die menschliche Sprache zu verstehen
und für eine Art Frühwarnsystem zu
verwenden.
Sie können beispielsweise erkennen, ob
ein Unternehmen in einen Korruptionsfall
verwickelt ist, ob sich Arbeitnehmer
über Arbeitsbedingungen beschweren
oder Konsumenten Kinderarbeit bei einem
Lieferanten ankreiden.
Da die Social Media-Gemeinde äußerst
kommunikativ und schnell ist, kann man
solche Ereignisse und Stimmungen fast
in Echtzeit wahrnehmen.
Die Überwachung von Social Media-
Nachrichten ermöglicht es Unternehmen
somit, ihre Lieferanten auf skalierbare
und vollautomatisierte Weise quasi aus
der Ferne zu auditieren. Das ist von großer
Relevanz, da traditionelle Methoden
zur Überwachung der Compliance von
Lieferanten, wie beispielsweise Audits
an den Produktionsstätten, lediglich für
eine sehr begrenzte Anzahl an Lieferanten
durchführbar ist. Für Unternehmen, die
auf dem globalen Markt konkurrieren,
gibt es somit vielleicht kein größeres
Argument für den Einsatz einer Social
Media-Analyse zur Überwachung ihrer
Lieferanten.
Nachhaltigkeitschecks auch von Sub-
Lieferanten
Ein Unternehmen mit nur wenigen tausend
Lieferanten ist indirekt schnell mit
hunderttausenden von Sub-Lieferanten
verbunden. Die Verantwortung, die der
Gesetzgeber Unternehmen für die Einhaltung
von Nachhaltigkeitsverordnungen
bei ihren Lieferanten auferlegt, endet
aber nicht bei den direkten Lieferanten,
sondern muss oftmals bis tief in die Lieferkette
verfolgt und nachgewiesen werden.
So müssen beispielsweise Unternehmen,
die Gold, Tantal, Wolfram oder Zinn in
ihren Produkten einsetzen, aufgrund
eines US-Gesetzes, dem Dodd-Frank Act,
lückenlos von Sub-Lieferant zu Sub-Lieferant
nachweisen, ob diese Mineralien aus
der Konfliktregion um die Demokratische
Republik Kongo kommen. Das klingt
nach einem absoluten Nischenthema,
betrifft aber tatsächlich fast die gesamte
Elektronik- und Hightechindustrie sowie
die Automobilindustrie.
Nachhaltigkeit Next Level
Eine neue Generation an Cloud-Lösungen
hilft Unternehmen, schnell, einfach und
kostengünstig Transparenz über die Nachhaltigkeit
ihrer Lieferantenbasis zu gewinnen.
Auch Großunternehmen werden befähigt,
ihre Nachhaltigkeitsinitiativen auf
nahezu 100 Prozent ihrer Lieferanten und
sogar auf ihre Sub-Lieferanten auszudehnen.
Das ist die Chance für Unternehmen,
die Nachhaltigkeit in Lieferketten
auf das nächste Level zu bringen.
Erfahren Sie mehr unter
www.integritynext.com
globalcompact Deutschland 2017
77
GOOD PRACTICE
Die digitale Revolution
der Kreislaufwirtschaft
Die Circular Economy gilt als ressourcenschonendes Wirtschaftsmodell der Zukunft. Davon ist
auch der Software-Spezialist iPoint-systems überzeugt. Die Lösungen des Unternehmens
unterstützen einen kontinuierlichen, digitalen Lifecycle-Managementprozess, der die Gesetzeskonformität
und die Nachhaltigkeit von Produkten und Systemen gewährleistet. Ein Beispiel
dafür ist die Community-Plattform SustainHub, die den branchenübergreifenden Austausch
relevanter Daten innerhalb der Lieferkette ermöglicht.
Von Dr. Katie Böhme, Head of Corporate
Communications, iPoint-systems
Unternehmen stehen bei Produktentwicklung
und Beschaffung zahlreichen
Herausforderungen gegenüber. Gerade
in technisch hochentwickelten Wirtschaftsbranchen
sind die Lieferketten international
verzweigt und hochkomplex.
Das macht es schwierig, den Weg eines
Produkts über den gesamten Wertschöpfungsprozess
nachzuverfolgen. Alleine in
einem Smartphone etwa stecken hunderte
Einzelteile, die aus mehr als 60 verschiedenen
Rohstoffen und Materialien gefertigt
werden. Die notwendigen Ressourcen
werden oft in Entwicklungsländern abgebaut
und über Landesgrenzen hinweg
zu Mobiltelefonkomponenten weiterverarbeitet.
Kommt es in diesem Prozess zu
Menschenrechtsverletzungen, kann das
dem Ruf der Unternehmen schaden und
Kunden und Verbraucher abschrecken.
Darüber hinaus sehen sich die Betriebe
auch mit zahlreichen Umweltauflagen
konfrontiert: Dazu zählen beispielsweise
die RoHS-Richtlinie (Restriction of Hazardous
Substances) oder die REACH-
Verordnung (Registration, Evaluation, Authorisation
and Restriction of Chemicals),
deren Vorgaben beim Herstellungsprozess
eingehalten werden müssen. Ein transparenter
Austausch von Informationen über
die Gesetzeskonformität und Nachhaltigkeit
der Produkte wird für Unternehmen
deswegen immer wichtiger.
Digital Circular Economy
Das ist auch der Ausgangspunkt für die
Business-Software von iPoint-systems: Mit
iPoints modulare
Lösungen für die
Herausforderungen in
einem geschlossenen
Produktlebenszyklus.
78 globalcompact Deutschland 2017
dieser können Unternehmen die Einhaltung
produktbezogener, gesetzlicher und
kundenspezifischer Anforderungen an
Inhaltsstoffe, Materialien und Prozesse
managen. Der ganzheitliche Ansatz der
Software ermöglicht es, die relevanten
Daten branchenübergreifend über den
gesamten Produktlebenszyklus zu steuern
und zu überprüfen: „Bei dem von uns unterstützten
Prinzip der Circular Economy
gibt es kein „Ende“ eines Produktes bzw.
Prozesses. Unsere holistisch-zirkuläre
Betrachtungsweise geht von kontinuierlichen
positiven Entwicklungskreisläufen
aus“, sagt Jörg Walden, Geschäftsführer
von iPoint-systems.
Bezogen auf Produkte bedeutet das, dass
die Informationen aus allen Prozessschritten
bereits in der Designphase berücksichtigt
werden müssen, um die eingesetzten
Ressourcen nach der jeweiligen
Nutzungsdauer wieder in biologische
oder technische Kreisläufe zurückzuführen:
„Um diesen Ansatz hochgradig
automatisiert durchzuführen und gleichzeitig
Nachhaltigkeitspotenziale neuer
Geschäftsmodelle über den gesamten Lebenszyklus
zu erschließen, sind möglichst
durchgängig digitale Modelle notwendig“,
sagt Walden weiter.
So ermöglicht ein digitales Abbild der
Produkte – der sogenannte „digitale
Zwilling“ – nicht nur ihre effiziente
Entwicklung, sondern auch die Fähigkeit
smarter Systeme, kontinuierlich Daten
über sich selbst und ihre Umgebung zu
erfassen und zu kommunizieren. „Aufgrund
des aktuellen Trends zur hohen
Individualisierung der Produkte und der
damit verbundenen Heterogenität der
Zulieferer und Fertigungsteile lässt sich
die Prüfung der Gesetzeskonformität nur
über eine Digitalisierung der Prozesse
bewältigen“, führt Walden aus.
Cloud-Plattform SustainHub
Für iPoint-systems sind die Überführung
existierender Informationssysteme in
digitale Prozesse sowie die zunehmende
Verschmelzung moderner Technologien,
die die Grenze zwischen physischer und
digitaler Welt auflösen, zentraler Ausgangspunkt
und Treiber neuer Businessmodelle
in der Cloud. Ein Beispiel dafür
ist die Plattform SustainHub, mit der die
Kommunikation und Datenerfassung in
der Lieferkette zwischen Unternehmen
einfach und effizient gestaltet werden
kann.
Die Cloud-Lösung bietet für die Anwender
folgende Vorteile:
• Je nach regulatorischen und kundenspezifischen
Anforderungen stehen unterschiedliche
Applikationen zur Auswahl.
Dazu zählen etwa die Conflict Minerals-
App zur Erfassung, Aggregierung und
Berichterstattung relevanter Konfliktmineralien-Daten
über die gesamte
Lieferkette hinweg oder die Material
Compliance-App zum Management von
Daten zu substanzbezogenen Regularien
wie REACH und RoHS. Diese spiegeln
immer die aktuellsten Vorgaben der
Richtlinien und Verordnungen wider.
• Mit der Registrierung werden Nutzer Teil
der größten Community an Experten
zu diesen Themengebieten und können
direkt von bewährten Prozessen
profitieren.
• Die Applikationen ermöglichen eine
automatisierte Abfrage innerhalb der
Lieferkette. Die Daten können wiederum
in Standardformaten fürs Reporting
genutzt werden. Lieferanten können
mit kostenlosen Basis-Lizenzen Kundenanfragen
beantworten und bestehende
Deklarationen mehrfach nutzen.
• Anwender haben die Möglichkeit, Rollen
und Aufgaben ihres Teams festzulegen,
zu verwalten und die Zusammenarbeit
in der Lieferkette zu intensivieren.
• Die Plattform bietet ein einheitliches
User Interface zur routinierten Nutzung
bestehender und neuer Funktionen.
Durch Einführungstutorials, eine umfangreiche
Wissensdatenbank sowie weitere
Support-Tools wird die individuelle
Lernkurve der Anwender beschleunigt.
Damit die Kunden ihre aktuellen und
künftigen Nachhaltigkeitsanforderungen
bewältigen können, plant iPoint-systems
den SustainHub durch weitere Applikationen
zu erweitern. So etwa in den
Feldern Social Compliance, Life Cycle
Assessment (LCA) oder Corporate Social
Responsibility (CSR).
Beitritt zum
UN Global Compact
stärkt Nachhaltigkeitsengagement
von
iPoint-systems
iPoint-systems ist seit 2017
Mitglied im UN Global Compact.
„Bei allem, was wir tun, stellen
wir Nachhaltigkeit an die Spitze
unserer Unternehmenstätigkeit.
Mit unseren Software-Lösungen
können wir aktiv dazu beitragen,
die Herstellung nachhaltiger
Produkte zu unterstützen“,
erklärt Walden. Damit
unterstützt das Unternehmen
konkret die nachhaltigen
Entwicklungsziele 8 und 12.
„Unsere Unternehmensstrategie
entspricht jetzt schon sehr den
zehn Prinzipien des UN Global
Compact. Deswegen war es
für uns ein logischer Schritt,
der Initiative beizutreten und
damit unser Engagement als
Unternehmen und Corporate
Citizen zu unterstreichen, um
den Wandel in eine nachhaltige
Zukunft zu beschleunigen.“
globalcompact Deutschland 2017
79
GOOD PRACTICE
Bergbau wird digital
In einer Branche, in der tief unter der Erdoberfläche mineralische Rohstoffe aus dem Berg
gesprengt werden, mag die Digitalisierung auf den ersten Blick keine große Rolle spielen.
Doch das Gegenteil ist der Fall. Beim internationalen Kali- und Salzproduzenten K+S jedenfalls
nimmt die Digitalisierung zunehmend Fahrt auf. Das schafft neue Potenziale bei Produktivität
und Effizienz, aber auch bei der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen.
Von Kerstin Häusler, Claudia Haney und
Andreas Köster, K+S
Wie alle Industriezweige muss sich auch
der Bergbau den Herausforderungen
der Digitalisierung stellen. Nur wenn
dabei auch Nachhaltigkeitsaspekte von
Beginn an mitgedacht werden, kann
die Digitalisierung nicht nur für die
Wirtschaft, sondern auch für die Umwelt
und die Gesellschaft gewinnbringend
sein. Dies ist das erklärte Ziel von K+S,
denn das Unternehmen bekennt sich zu
seiner Verantwortung gegenüber den
Menschen, der Umwelt, den Gemeinden
und der Wirtschaft in den Regionen, in
denen es tätig ist.
Vor diesem Hintergrund bedeutet die
Digitalisierung bei K+S nicht einfach den
Sprung auf einen Modezug, sondern sie
adressiert die langfristigen Herausforderungen
eines Rohstoffunternehmens.
Diese sind unter anderen: Sicherheitsaspekte,
demografischer Wandel, Umweltanforderungen
und steigende Kosten. Die
Nutzung von datenbasierten Systemen
wird dabei die Antwort auf viele Fragen
sein. Jedoch kommt es ausdrücklich
nicht darauf an, den Menschen und
seine Arbeitskraft überflüssig zu machen.
Vielmehr besteht das wesentliche Ziel
darin, das Unternehmen im internationalen
Wettbewerb noch erfolgreicher zu
machen – und zwar im Einklang mit
den Zielen für Nachhaltige Entwicklung
der Vereinten Nationen und dem Global
Compact.
Bereits in der Vergangenheit hat sich K+S
intensiv mit der Schnittstelle zwischen
der klassischen Maschinen- und Anlagentechnik
und der Informationstechnologie
beschäftigt. Mittlerweile sind IT-gestützte
Prozesse wie autonomes Fahren, intelligente
Sensorik, Algorithmus-basierte
Regelungen und Mustererkennung längst
nicht mehr nur Forschungsgegenstand,
sondern gehören an vielen Stellen zu
den etablierten Verfahren. Sie erleichtern
nicht nur den Alltag der Bergleute unter
Tage, sondern sie verbessern auch deren
Arbeitsergebnisse.
Besonders in den Bereichen Produktion
und Instandhaltung gibt es auf
den verschiedenen Standorten der K+S
Gruppe schon jetzt eine Vielzahl von
Initiativen zur Digitalisierung. Die dabei
gemachten Erfahrungen werden in
einem nächsten Schritt dazu genutzt,
systematisch die Potenziale der Anwendung
von digitalen Werkzeugen weiterzuentwickeln.
Dabei liegt der Fokus
nicht nur auf Innovation, sondern auch
darauf, wie die Digitalisierung ganzheitlich
und vor allem nachhaltig Prozesse
optimieren kann. Zu Beginn wurde
dabei analysiert, in welchen Bereichen
80 globalcompact Deutschland 2017
Initiativen bereits so weit erprobt sind,
dass sie mit einer gemeinsamen Zielstellung
in der gesamten K+S Gruppe
umgesetzt werden können.
Weit fortgeschritten ist man bei K+S
beispielsweise beim Projekt „Mobile
Instandhaltung“. Auf dem Pilotstandort
werden die Anlagen unter Tage und
in der Fabrik mit einem sogenannten
Data Matrix Code ausgerüstet. Durch
Abscannen des Codes mit dem Tablet
in der Hand erhält der Instandhalter so
per App direkt vor Ort alle relevanten
Informationen. Er kann online Aufträge
bearbeiten, Daten ändern, Messbelege
erfassen und Materialien suchen. Dies
erspart viel Zeit: Wege entfallen, Notizen
müssen nicht doppelt erfasst werden –
erst auf Papier, dann im System. Dies
erhöht nicht nur die Effizienz und die
Zufriedenheit der Mitarbeiter, sondern
vor allem auch die Arbeitssicherheit.
Denn aufgrund der nun leichter erfassbaren
Datenbasis reduziert sich das Ausfallrisiko
bei Anlagen und Maschinen.
Auf einem anderen Standort läuft seit
einiger Zeit ein Projekt mit dem Namen
„Wertstoffoptimierung“. Dahinter verbirgt
sich eine verbesserte Nutzung der
Rohsalzvorkommen durch geologische
3D-Modelle. Zusätzliche Bohrgeräte und
spezielle Radarsonden erkunden die Lagerstätte
messtechnisch und liefern mehr
Informationen über die geologische Beschaffenheit.
Eine IT-Lösung hilft dabei,
diese umfangreichen Daten schneller
auszuwerten und den besten Abbau- und
Streckenverlauf vorzugeben. So kann der
ideale Abbauweg im Vorfeld modelliert
und die Lagerstätte optimal ausgenutzt
werden. Das wirkt sich auch positiv auf
die Umwelt aus, denn durch die präzisere
Vorhersage fällt bei der Gewinnung
weniger Rückstand an, die Ausbeute
wird erhöht und die Verschwendung
von Wertstoff vermieden.
Jedes Projekt wird zunächst auf dem jeweiligen
Werk vorangetrieben, berücksichtigt
jedoch gleich von Beginn an den Nutzen
für alle K+S-Standorte. Dabei ist neben der
Entwicklung der verschiedenen digitalen
Werkzeuge und deren Einbindung in die
bestehende IT-Landschaft auch wichtig,
dass diese im Arbeitsalltag den richtigen
Platz finden. Digitalisierung soll zu einem
Teil der Unternehmens-„DNA“ werden
und K+S seinem Ziel damit ein Stück
näher bringen: die Produktion zu steigern
und die Kosten zu senken – und dabei
zugleich den ökologischen Fußabdruck
zu reduzieren.
Breites mineralisches
Produktportfolio
K+S versteht sich als ein auf den
Kunden fokussierter, eigenständiger
Anbieter von mineralischen Produkten
für die Bereiche Agriculture, Industry,
Consumers und Communities und will
das EBITDA bis 2030 auf drei Milliarden
Euro steigern. Seine mehr als
14.000 Mitarbeiter helfen Landwirten
bei der Sicherung der Welternährung,
bieten Lösungen, die Industrien am
Laufen halten, bereichern das tägliche
Leben der Konsumenten und
sorgen für Sicherheit im Winter. Die
stetig steigende Nachfrage nach mineralischen
Produkten bedient K+S
aus Produktionsstätten in Europa,
Nord- und Südamerika sowie einem
weltweiten Vertriebsnetz. Das Unternehmen
strebt nach Nachhaltigkeit,
denn es bekennt sich zu seiner Verantwortung
gegenüber Menschen,
der Umwelt, den Gemeinden und der
Wirtschaft in den Regionen, in denen
es tätig ist. Erfahren Sie mehr über
K+S unter www.k-plus-s.com.
Nachhaltigkeit bei K+S
Mit der neuen Unternehmensstrategie
„Shaping 2030“ hat K+S eine
klare Vorstellung davon entwickelt,
wie das Unternehmen im Jahr 2030
aufgestellt sein soll. Ein wichtiger
Baustein dabei ist Nachhaltigkeit,
denn für K+S bedeutet nachhaltige
Entwicklung Zukunftsfähigkeit. Das
Unternehmen hat sich ambitionierte
Ziele in den drei Bereichen Menschen,
Umwelt und Geschäftsethik gesetzt,
die 2018 mit konkreten Maßnahmen
unterlegt werden sollen. Jeder dieser
drei Bereiche umfasst eine Reihe
von Teilzielen wie beispielsweise die
Verbesserung der Arbeitssicherheit
(im Bereich Menschen), die Verringerung
von salzhaltigen Prozessabwässern
in der Kaliproduktion (im
Bereich Umwelt) oder die Umsetzung
von Compliance-Aktivitäten entlang
unserer Lieferkette (im Bereich Geschäftsethik).
globalcompact Deutschland 2017
81
GOOD PRACTICE
Digitale Lösungen und
Innovationen unterstützen
nachhaltige Entwicklung
Gesellschaftliche Megatrends wie der technologische Fortschritt und die voranschreitende
Digitalisierung zahlreicher Prozesse haben einen großen Einfluss auf die Arbeitswelt von
heute. Die Lufthansa Group begegnet diesen prägenden gesellschaftlichen Entwicklungen
unter anderem mit Konzepten für offene Arbeitsplatzmodelle sowie vielfältigen Programmen
und Innovationen zur Digitalisierung. Diese machen den Luftfahrkonzern agiler und
nachhaltiger und leisten so einen Beitrag zur Umsetzung der globalen Entwicklungsziele der
Vereinten Nationen.
Von Lufthansa Group Communications
Als international agierendes Unternehmen
und Erstunterzeichner des UN Global
Compact aus der Luftfahrtindustrie
sieht sich die Lufthansa Group in besonderem
Maße den UN Sustainable
Development Goals (SDGs) verpflichtet.
Sie sind Basis der Geschäftstätigkeit und
Bestandteil der strategischen Positionierung
des Konzerns und seiner Einzelgesellschaften.
Ebenso spiegeln sie sich
in den wesentlichen Handlungsfeldern
der Lufthansa Group im Bereich der unternehmerischen
Verantwortung wider,
die der Konzern zuletzt 2016 in einer
Materialitätsanalyse mit externen und
internen Stakeholdern ermittelt hat. Von
besonderer Relevanz hierbei sind die
Klimaziele und der verantwortungsvolle
Umgang mit Ressourcen, aber auch die
Förderung weiblicher Beschäftigter in
den Führungsebenen, Vielfalt und Chancengleichheit
sowie die kontinuierliche
Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
Zudem engagiert sich die Lufthansa
82 globalcompact Deutschland 2017
Group als „Corporate Citizen“ mit ihrer
gemeinnützigen Gesellschaft help
alliance in zahlreichen Hilfsprojekten
in Deutschland und weltweit. Im Zentrum
des sozialen Engagements steht
die Befähigung junger, benachteiligter
Menschen zu einem erfolgreichen, gesunden
und selbstbestimmten Leben – dies
insbesondere über Bildungsangebote.
Damit folgt die Lufthansa Group einem
der nachhaltigen Entwicklungsziele der
Vereinten Nationen – „Hochwertige
Bildung“.
Aber auch das Vorantreiben von Innovations-
und Digitalisierungsprojekten unter
Beachtung sozialer und ökologischer
Verträglichkeit ist ein wesentlicher Eckpfeiler
des unternehmerischen Handelns
des Konzerns. Denn längst durchdringt
die Digitalisierung auch fast jeden Aspekt
der Luftfahrt, die Auswirkungen
auf bestehende Prozesse und Produkte
sind enorm. Die Möglichkeiten der Informationstechnologie
bieten konkrete
Chancen, die Wertschöpfungskette des
Konzerns weiter zu optimieren sowie
das Produkt- und Serviceangebot um
digitale Komponenten zu ergänzen und
zu personalisieren. Aber auch Arbeitsprozesse
lassen sich so vereinfachen und
die grüne Transformation vorantreiben.
„Innovation und Digitalisierung“ ist ein
strategisches Handlungsfeld des Konzerns,
der Wandel hin zu elektronisch
gestützten Prozessen wird in allen Geschäftsbereichen
konsequent vorangetrieben.
Der Fokus liegt auf digitalen
Lösungen und Innovationen, die sowohl
einen ökonomischen Nutzen als auch
ökologische Vorteile bringen.
Beispielsweise hilft die Umstellung von
papierbasierten auf digitale Prozesse,
wertvolle Ressourcen entlang der Wertschöpfungskette
zu schonen. Lufthansa
Technik hat sich mit dem Programm
„Paperless Maintenance“ – papierlose
Flugzeugwartung – zum Ziel gesetzt,
die Beanstandungs- und Bearbeitungsdokumente
bei der Flugzeugwartung
vollständig zu digitalisieren. So können
jährlich rund 30 Tonnen Papier eingespart
werden. Auch Lufthansa Cargo verfolgt
mit dem Digitalisierungsprogramm
„eFreight“ ein ähnlich ambitioniertes Ziel:
die Luftfrachtabwicklung papierlos zu
gestalten und bis 2020 die komplette
Lieferkette zu digitalisieren. So lassen
sich die Effizienz von Luftfrachttransporten
deutlich steigern und branchenweit
7.800 Tonnen Papier jährlich einsparen.
Der Lufthansa Group ist es darüber hinaus
ein Anliegen, die verschiedenen
Leistungen entlang der Reisekette beständig
zu optimieren und das Fliegen
samt all seinen nachhaltigen Facetten
immer erlebbarer zu machen. Die Airlines
der Lufthansa Group bieten ihren
Fluggästen beispielsweise neben zahlreichen
neuen Applikationen wie digitale
Gepäck- und Kundenservices auch kostenlose
eJournals anstelle von gedruckten
Zeitungen und Magazinen. Von diesem
digitalen Medienangebot profitiert auch
die Umwelt, denn eJournals reduzieren
das Gewicht an Bord, wodurch sich der
Treibstoffverbrauch und die CO 2-Emissionen
verringern lassen. Bereits seit 2007
können Fluggäste der Lufthansa Group
die durch ihre Flugreise unvermeidbar
entstehenden CO 2-Emissionen mit einer
Spende an die Stiftung myclimate
ausgleichen und so einen persönlichen
Beitrag zum Klimaschutz leisten. Bei
Auswahl und Umsetzung der Projekte
werden höchste Standards angelegt. Ein
weiteres Beispiel ist die im November
2006 von Miles & More eingeführte
Initiative „Miles to Help“. Sie ermöglicht
Teilnehmern des Vielflieger- und
Prämienprogramms Miles & More, ihre
Prämienmeilen unter anderem an ausgesuchte
Projekte der gemeinnützigen
Hilfsorganisation der Lufthansa Group,
help alliance, zu spenden. Auch hier
eröffnet die Digitalisierung neue Möglichkeiten
und Kooperationen – dies
insbesondere im Fundraising-Bereich. So
können Inhaber der Lufthansa Miles &
More Credit Card seit August 2016 auf
der Mastercard Spendenplattform einen
individuellen Betrag festlegen, der mit
jedem Kartenumsatz den Hilfsprojekten
der help alliance zugutekommt. Auf
diese Weise wird das soziale Engagement
der Kunden der Lufthansa Group in den
Alltag integriert und gefördert.
Bei ihren Mitarbeitern setzt die Lufthansa
Group ebenfalls auf digitale Innovationen,
um sie bei der täglichen Arbeit
optimal zu unterstützen. Dazu gehören
unter anderem Eyetracking-Technologien
und Augmented Reality. Weitere Ansätze
umfassen die digitale Vernetzung der Mitarbeiter,
Lern-Apps sowie Virtual Reality,
zum Beispiel für die Pilotenausbildung.
Qualität, Effizienz und Innovationen
sind auch künftig die Voraussetzungen
für erfolgreiches und nachhaltiges Wirtschaften
der Lufthansa Group im Sinne
der globalen Ziele der Vereinten Nationen
zur Umsetzung der Agenda 2030.
globalcompact Deutschland 2017
83
GOOD PRACTICE
Brücken bauen zwischen
Wirtschaft und Gesellschaft
Das Nachhaltigkeitsmanagement der Unternehmen steht vor einem tiefgreifenden Umbau:
Die zunehmende Verlagerung von den Global Compact-Prinzipien hin zu den UN-Zielen für
nachhaltige Entwicklung (SDGs) beinhaltet viel mehr als nur einen Austausch von Begriffen.
Dem Nachhaltigkeitsreporting kommt dabei eine Schlüsselstellung zu. Wir begleiten diesen
Prozess durch ehrenamtliches Engagement beim weltweit wichtigsten Standardsetzer, der
Global Reporting Initiative (GRI).
Dr. Elmer Lenzen, Geschäftsführer von
macondo publishing, ist in ehrenamtlicher
Funktion in den GRI Stakeholder
Council (SC) berufen worden. Dabei
handelt es sich um eines der zentralen
Beratungsgremien der GRI. Die UN-nahe
Organisation ist der weltweit wichtigste
Standardsetzer für extra-finanzielle
Berichterstattung. Als Councellor repräsentiert
Elmer Lenzen in der Legislaturperiode
2017–2019 die Unternehmen
aus den Regionen Europa und Zentralasien.
Die SDGs stehen dabei ganz oben
auf der Arbeitsagenda: Die Nichtregierungsorganisation
GRI versteht sich als
Brückenbauer zwischen Unternehmen
und Gesellschaft, um positive Beiträge
zu den SDGs messbar zu machen.
Die Arbeit der GRI in diesem Bereich konzentriert
sich auf den Nachhaltigkeitsberichterstattungsprozess,
die Qualität der
Informationen sowie die Datenerhebung
und deren Transparenz. Schlussendlich
geben diese Daten Regierungen Hilfestellungen
dabei, nachhaltigen Fortschritt
zu verfolgen und auf dieser Basis gute
politische Entscheidungen zu treffen.
Die GRI ist daher auch Mitbegründerin
des „Measure What Matters“-Projekts –
einer globalen Initiative, die darauf abzielt,
eine bessere Abstimmung zwischen
Unternehmens-, nationalen und globalen
Nachhaltigkeitsdaten zu erreichen. Eine
wichtige Rolle spielt auch die Zusammenarbeit
mit dem UN Global Compact.
KMUs als Herausforderung
Die GRI und der UN Global Compact planen
für die Zukunft, sich speziell auf die
Erleichterung der SDG-Berichterstattung
kleiner und mittlerer Unternehmen zu
konzentrieren, da diese rund 90 Prozent
der globalen Wirtschaftstätigkeit
ausmachen. Und hier gibt es aus Sicht
von macondo publishing die größten
Herausforderungen: Mittelständische
Unternehmen haben auch in Nachhaltigkeitsfragen
deutlich weniger Budgetmittel
– sowohl personelle als auch
fachliche Kapazitäten sind begrenzt. Das
gilt schon für bisherige Berichts- und
Management-Prozesse. Die SDG-Debatte
wird das sogar noch verstärken.
Die Ausdehnung von gerade erlernten
CSR-Modellen in Richtung SDGs ist mehr
als nur eine semantische Verschiebung.
Es geht nicht mehr nur darum, Nachhaltigkeit
im Business Case zu verankern,
sondern vielmehr den Business Case
nachhaltig und zum Erreichen der SDGs
einzusetzen. Inwieweit ein solcher Ansatz
von „Sustainable Entrepreneurship“
wirklich tragfähig ist, bleibt abzuwarten.
Auch ist bisher vielen unklar, wie
der Erfolg genau zu messen sein wird.
Die Indikatoren sind erst in der Entwicklung,
und genau daran wollen wir
bei macondo publishing innerhalb der
GRI-Initiative konstruktiv mitwirken.
Neben der Relevanz der Indikatoren
beschäftigen uns dabei noch zwei weitere
Fragen: Erstens, wie verbessern wir die
Auswertung der Daten? Es reicht nicht,
die Diskussion auf die reine Erhebung
der Daten zu verkürzen. Zweitens, wie
verbessern wir die Kommunikation?
Nachhaltigkeitsberichte werden viel zu
wenig gelesen. Die thematische Ausweitung
auf gesellschaftlich relevante SDGs
wird daran nichts ändern.
Die Krux mit den KPIs
Die erste Herausforderung für ein Unternehmen
besteht darin festzulegen,
welche Daten verfügbar sind, welche
Qualität die Daten haben und durch welche
analytische Brille man das überhaupt
betrachten will. Das Ergebnis dieser Diagnose
sagt für sich genommen aber noch
nicht viel aus, da die Aussagequalität
qualitativer Daten subjektiv und die der
quantitativen Daten von der Qualität
der objektiven Zielmargen abhängig ist.
Salopp ausgedrückt: Was ist gut? Was
nicht? Wie wird das gemessen? Was
wird überhaupt gemessen?
84 globalcompact Deutschland 2017
Treffen des GRI Stakeholder
Council im September 2017
in Amsterdam
Eine KPI-getriebene Sichtweise ist so
ähnlich wie die Erstellung eines Blutbilds
beim Arzt. Dabei wird der Gesundheitszustand
des Patienten „aufgelöst“ in
zahlreiche Messwerte, aus denen der Arzt
wiederum Rückschlüsse auf die Gesundheit
des Patienten zieht. So eine Herangehensweise
ist wissenschaftlich, fundiert
und damit auch anerkannt. Nur lassen
sich nachhaltige KPIs nicht wie Blutwerte
beurteilen. Der zentrale Unterschied ist
nämlich, dass es beim Arzt empirisch
belegte Sollwerte gibt, die einen Ist-Soll-
Vergleich zulassen. Daran mangelt es im
Nachhaltigkeitsbereich: Erstens gibt es in
der Regel keine vernünftigen Vergleichszahlen
zu anderen Unternehmen, ohne
dass man Äpfel mit Birnen vergleicht
(Benchmark-Problematik). Zweitens wäre
die Frage, ob so ein Benchmark überhaupt
einen Sollwert beschreiben würde
oder nicht eher ein Median aus den
schlechten Blutwerten aller, um im Bild
des Arztbesuchs zu bleiben. Außerdem
ist ein KPI, das von außen eingefordert
wird – maximal zwei Grad globale Erwärmung
beispielsweise – als solcher
ein moralischer Sollwert. Das hat nichts
mit empirischer Wissenschaft zu tun.
Hier müssen wir mit GRI und anderen
Stakeholdern also noch viel Arbeit leisten.
Warum (fast) niemand Nachhaltigkeitsberichte
liest
Nachhaltigkeitsberichte teilen das
Schicksal von Geschäftsberichten und
Parteiprogrammen. Es wird viel darüber
geredet, aber wenig darin geblättert.
Aber warum eigentlich nicht? Sind die
Stakeholder zu bequem?
Vielleicht hilft zum besseren Verständnis
eine wissenschaftliche Arbeit von
Anthony Downs: Downs hat in den 50er
Jahren des letzten Jahrhunderts die wirtschaftswissenschaftlichen
Modelle der
individuellen Nutzungsmaximierung
auf politische Prozesse angewandt. Seine
Annahme war folgende: Informationsgewinnung
ist aufwändig. Das gilt für die
eingesetzte Zeit und Aufmerksamkeit.
So ist etwa die Lektüre von Wahlprogrammen
oder Gesetzestexten mühsam.
Unweigerlich fragt sich der Wähler:
Lohnt sich der Aufwand im Verhältnis
zum individuellen Nutzen? Anthony
Downs nennt diesen Konflikt „rationale
Ignoranz“. Die Kosten (Zeit) übersteigen
den Nutzen (es bleibt bei einer Stimme,
die jeder Einzelne hat). Wähler verhalten
sich, so Downs, in ihrem Eigennutz
genauso wie Konsumenten.
Wie bilden sie sich dann ihre Meinung?
Die pointierten Zusammenfassungen
und Interpretationen von Meinungsbildnern
– Influencer wie man heute sagt
– und Lobbygruppen treffen den Nerv des
Eigennutzenaxioms. Die Übernahme von
deren vorgefertigter Meinung ist oftmals,
ökonomisch gesprochen, für den Einzelnen
kostengünstiger. Hierbei spricht
man vom sogenannten Rational-Choice-
Ansatz der Wahlverhaltensforschung.
Übertragen wir die Gedanken auf den
Nachhaltigkeitsbereich: Viele Stakeholder
interessieren sich durchaus für
Nachhaltigkeitsthemen. Aber sie wollen,
dass diese Informationen „convenient“
aufbereitet sind. Sie wollen die wichtigen
Kennzahlen, eine Bewertung und externe
Stimmen auf einen Blick respektive in
einem Artikel. Sie wollen Medienangebote,
die ihnen mit möglichst geringem
Aufwand größtmöglichen Nutzen
versprechen.
Das zu verbessern und damit auch die
Akzeptanz der SDGs zu steigern, ist unser
Ziel bei macondo publishing. Ganz
praktisch beitragen wollen wir mit innovativen
Medieninhalten und neuen
Zielgruppenansprachen.
globalcompact Deutschland 2017
85
GOOD PRACTICE
MAN entwickelt Ideen für
die Mobilität von morgen
Ob bei Lärm oder Emissionen – in unseren Städten gelten immer strengere Umweltauflagen.
Das gilt nicht nur für den privaten Autoverkehr, sondern auch für den Warentransport und
den öffentlichen Personennahverkehr. Als Nutzfahrzeughersteller bietet MAN Truck & Bus
seinen Kunden darum Lösungen an, die bei Effizienz und Umweltfreundlichkeit
gleichermaßen überzeugen.
Von Peter Attin, Senior Vice President Coporate
Responsibility, MAN
Umwelt- und Klimaschutz gehören aus
Sicht der meisten Deutschen zu den
zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen.
Das ergab eine Umfrage im
Auftrag des Bundesumweltministeriums
und des Umweltbundesamts, die 2016
durchgeführt wurde. Demnach fühlen
sich viele Städter zunehmend von Lärm
und Emissionen beeinträchtigt.
Städte und Gemeinden stehen daher vor
der Herausforderung, Luftverbesserung
und Lärmschutz mit dem innerstädtischen
Personen- und Güterverkehr in
Einklang zu bringen. Für den Transport
von Gütern und Menschen sind Lkw und
Bus in der Stadt unabdingbar. Dabei nehmen
Lkw und Busse mit modernen EURO
VI-Dieselmotoren eine positive Rolle ein:
Bei Fahrzeugen dieser Emissionsstufe
liegen die erlaubten Partikelemissionen
um 66 Prozent und der NO X-Ausstoß um
80 Prozent niedriger im Vergleich zum
bereits sehr strengen Vorläuferstandard
– und das nicht nur auf dem Motorprüfstand,
sondern auch im Fahrbetrieb. Dies
ist sichergestellt, da während der Fahrt
kontinuierlich überprüft wird, ob die
Grenzwerte eingehalten werden. Dazu
werden AdBlue-Tank-Inhalt, -Qualität,
-Verbrauch sowie die NO X-Werte im Fahrbetrieb
mit Sensoren überwacht.
Trotz dieser sehr sauberen Technologie
gehen wir bei MAN davon aus, dass die
Zukunft des Güter- und Personenverkehrs
in Ballungsräumen elektrisch sein
wird. Für diesen Einsatzbereich setzen
wir daher sowohl beim Truck als auch
beim Bus auf den Elektroantrieb. Zusätzlich
konzipieren wir die Transport- und
Verteiler-Lkw der Zukunft so, dass sie
auch auf engen Straßen und in dicht
bebauten Innenstädten sicher fahren.
Unsere Elektro-Lkw werden die künftigen
Anforderungen an Fahrzeuge für
den innerstädtischen Lieferverkehr voll
erfüllen: Sie bieten viel Ladevolumen
Als international führender Hersteller von Nutzfahrzeugen übernehmen wir
eine besonders große Verantwortung gegenüber unseren Kunden sowie auch
gegenüber der Gesellschaft und der Umwelt. Seit vielen Jahren werden wir dem
stetig steigenden Bedarf an nachhaltigen und effizienten Mobilitätslösungen
gerecht – und sind dabei im Einklang mit den nachhaltigen Entwicklungszielen
der UN-Agenda 2030. Unsere Lkw und Busse tragen maßgeblich zu einer
nachhaltigen Städte- und Gemeindeentwicklung bei (Ziel 11) und sind aufgrund
ihrer geringen bzw. nicht vorhandenen Emissionen ein großer Beitrag zum
Klimaschutz (Ziel 13).
86 globalcompact Deutschland 2017
ei relativ geringem Eigengewicht, sind
frei von lokalen Emissionen sowie sehr
leise und wendig.
Einen wichtigen Meilenstein auf diesem
Weg erreichen wir Anfang 2018,
wenn wir die ersten vollelektrisch angetriebenen
Trucks an österreichische
Kunden ausliefern – darunter große
Supermarktketten, Brauereien und
Speditionen. Ab Ende 2018 wird dann
zunächst eine Kleinserie auf den Markt
kommen, die Serienproduktion für
Elektro-Lkw ist für Ende 2021 geplant.
Gemessen an den langen Produktzyklen
im Nutzfahrzeugbereich und dem hohen
Qualitätsanspruch von MAN ist das sehr
ambitioniert. Eine intensive Testphase im
realen Kundeneinsatz wird entscheidend
dazu beitragen, dass unsere eTrucks und
eBusse die gleiche Zuverlässigkeit wie
unsere herkömmlichen Fahrzeuge bieten.
Serienproduktion von Elektro-
Bussen schon in 2019
Emissionen und Lärm sind aber auch für
den öffentlichen Personen- und Nahverkehr
ein Thema: Die aktuelle Debatte um
Abgaswerte in den Innenstädten sorgt
für eine steigende Nachfrage nach Bussen
mit besonders umweltfreundlichen
Antrieben. Mit unseren Elektro-Bussen
bringen wir auch hier eine neue Art der
Mobilität in den Stadtverkehr. Ab 2018
schicken wir dazu in mehreren europäischen
Städten Testflotten auf die Straßen.
Es existieren bereits seit längerem
Entwicklungspartnerschaften mit Verkehrsbetrieben
in Hamburg, München
und Wolfsburg. Die Serienproduktion
von voll elektrisch angetriebenen Stadtbussen
wird bereits Ende 2019 beginnen.
Gerade die Umstellung des Fuhrparks
auf batterieelektrische Fahrzeuge stellt
Unternehmer jedoch oftmals vor ungeahnte
Herausforderungen, die eine
sorgfältige Vorbereitung und Planung
erforderlich macht. Der neue MAN Beratungsservice
Transport Solutions unterstützt
Verkehrsbetriebe und Flottenbetreiber
beim Umstieg auf alternative
Antriebe – und damit bei allen Fragen
rund um Antriebstechnologien, Streckennetzplanung,
Routenoptimierung
und Batteriemanagement. Neben der
Ladesäuleninfrastruktur spielen beim
Betriebshof natürlich auch Aspekte wie
Größe, Sicherheit und Parksituation
eine wesentliche Rolle. Wichtig auch:
die Ermittlung des Strombedarfs. Dieser
hängt von der Anzahl der eBusse ebenso
wie von der Ladestrategie ab. Nachhaltig
erzeugte Energie ist hier selbstverständlich
der Schlüssel zu einer Verminderung
der CO 2-Emissionen.
Digitalisierung für den Fernverkehr
Auch für den Fernverkehr arbeitet MAN
an alternativen Antriebskonzepten. Auf
Dieselmotoren wird man hierbei allerdings
zunächst nicht verzichten können,
sie werden auf der Langstrecke
noch weiter eine wichtige Rolle spielen.
Auch wenn in der aktuellen Debatte ein
anderes Bild gezeichnet wird – moderne
Dieselmotoren in Lkw und Bussen
sind sehr sauber und stoßen zudem
wenig CO 2 aus. Einen rein elektrischen
Antrieb sehen wir bei der derzeitigen
Batterietechnik in Fernverkehrs-Lkw
nicht – sonst ist zu wenig Raum für
die Ladung da. Alternativen könnten
die Hybridisierung, durch Ökostrom
erzeugte Kraftstoffe – so genannte E-
Fuels – oder Gasmotoren sein.
Im Fernverkehr spielen hingegen digitalisierte
und automatisiert gesteuerte
Fahrzeuge eine größere Rolle. Eine solche
Innovation ist das sogenannte „Platooning“.
Dabei fahren mindestens zwei
Lkw in geringem Abstand als Konvoi.
Der erste Lkw wird von einem Fahrer
gesteuert, der nachfolgende Lkw folgt
automatisiert im Windschatten und
verbraucht deshalb bis zu zehn Prozent
weniger Kraftstoff. Dabei sind die Lkw
über die sogenannte Truck-to-Truck-
Kommunikation miteinander vernetzt
und mit Fahrassistenz- und Steuerungssystemen
ausgestattet. Diese wiederum
werden von Radar, Laserscannern und
Kameras mit Umgebungsinformationen
versorgt. Damit sinkt nicht nur der CO 2-
Ausstoß beträchtlich, auch die Verkehrssicherheit
nimmt zu. Der automatisierte
Lkw reagiert mit nur fünf tausendstel
Sekunden Verzögerung schneller als
jeder Mensch, ist nie abgelenkt und wird
nicht müde.
Links: Vollelektrische Version des MAN TGM
Verteiler-Lkws
Rechts: Der neue Elektro-Stadtbus von MAN
kommt 2019 auf den Markt.
globalcompact Deutschland 2017
87
GOOD PRACTICE
Menschenrechte im
Fokus der Corporate
Governance-Debatte
Warum die Wahrung von Menschenrechten für Unternehmen obligatorisch ist und wie ein
neuer Standard dabei hilft, den Anspruch umzusetzen.
Von Dr. Christoph Regierer und Kai M. Beckmann, Mazars
Die Einhaltung von Menschenrechten
ist ein hohes Gut, das indiskutabel zur
Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung
gehört, die alle Teilnehmer
einer Gesellschaft tragen. So auch Unternehmen.
Wirtschaft und Menschenrechte
– ein Spannungsfeld auf den ersten
Blick, strebt schließlich der, der Profit
im Auge hat, nicht in erster Linie nach
Nachhaltigkeit, die aber Menschenrechte
einfordern und bedingen.
Wie lassen sich also beide Standpunkte,
gewinnbringend für alle Seiten, miteinander
vereinbaren? Wie lässt sich sicherstellen,
dass Unternehmen Menschenrechte
einhalten und wahren – und
dennoch fähig sind, wettbewerbsfähig zu
bleiben und erfolgreich zu wirtschaften?
Wie kann das sehr komplexe Thema systematisch
und standardisiert angegangen
werden? Mazars hat sich dieses bedeutsamen
Themas angenommen und zusammen
mit der führenden gemeinnützigen
Vereinigung für Menschenrechte, Shift,
eine umfassende Prüfungsrichtlinie für
Menschenrechte veröffentlicht. Sie gibt
Unternehmen zum ersten Mal in der
Geschichte eine klare Orientierung darüber,
wie sie ihre Informationen über
die Einhaltung von Menschenrechten im
Einklang mit internationalen Standards
bereitstellen.
Mehrere Jahre hat die Entwicklung der
neuen Prüfungsrichtlinie gedauert, sie
unterstützt das UN Guiding Principles
Reporting Framework aus dem Jahr 2015.
Dieses ist der weltweit einzige Berichtsrahmen
für Unternehmen, die sich umfassend
an den international gültigen
UN Guiding Principles on Business and
Human Rights orientieren.
Derartige Anforderungen verleihen Interner
Revision und externer Prüfung
heute größere Bedeutung als je zuvor.
Umso wichtiger ist die nachhaltige Unterstützung
der Einführung der neuen
Prüfungsrichtlinie zur Einhaltung der
Menschenrechte durch die Global and
Chartered Institutes of Internal Auditors.
Wir alle – die Gesellschaft, die
Unternehmen, aber vor allem auch wir
als professionelle Berater – können die
Frage der Menschenrechte nicht länger
umgehen, sondern müssen sie effektiv
integrieren. Der neue Standard unterstützt
diesen Gedanken und trägt dazu
bei, diesen Anspruch umzusetzen.
Doch wie können Unternehmen die
Wahrung der Menschenrechte in ihren
unternehmerischen Alltag und in
ihre Geschäftsprozesse integrieren? Die
neue Richtlinie unterstützt die Interne
Revision von Unternehmen dabei, die
Geschäftstätigkeit im Einklang mit der
Links: WP/RA/StB Dr. Christoph Regierer,
Managing Partner bei Mazars GmbH & Co. KG
Rechts: Kai Michael Beckmann,
Director Compliance, Risk & Responsibility
bei Mazars GmbH & Co. KG
88 globalcompact Deutschland 2017
Einhaltung von Menschenrechten zu
gewährleisten. Zugleich hilft sie externen
Prüfungsunternehmen bei der Überwachung
der Berichterstattung zur Einhaltung
der Menschenrechte. Ein entscheidender
Aspekt bei der Entwicklung der
Richtlinie war stets: Sowohl interne als
auch externe Anspruchsgruppen sollten
bei der Festlegung der Leitplanken des
eigenen Handelns eingebunden sein,
immer im Hinblick und unter Berücksichtigung
der Menschenrechte.
Betrachtet man die Menschenrechte
im Fokus der Corporate Governance-
Debatte, so spielen globale Lieferketten
und die Information über diese eine
zentrale Rolle. Ganz besonders betrifft
dies Unternehmen mit internationalem
Engagement: Nur große Transparenz
und eine breite Information innerhalb
der Lieferkette können vor unternehmerischer
Misswirtschaft im Sinne von
Menschenrechtsverletzungen Aufschluss
geben – und davor schützen. Dabei
bedeutet der Risikobegriff nicht „Welche
Risiken stellen sich für mein Unternehmen“,
sondern vielmehr: „Welche
Auswirkungen hat die Unternehmenstätigkeit
auf Menschen im Unternehmen
sowie der vorgelagerten Lieferkette“.
Auch wenn eine klare Trennung hier
schwer zu vollziehen ist, bedingt das
eine schließlich oft das andere.
Guter Wille reicht an dieser Stelle nicht
aus. So muss jedes Unternehmen, das
die eigene Nachhaltigkeit nachweisbar
machen möchte und zeigen will, dass
und in welcher Art und Weise es zu
nachhaltiger Entwicklung beiträgt, seine
Verantwortung für die Einhaltung der
Menschenrechte belegen. Dies sollte
im Rahmen der Geschäftstätigkeit des
Unternehmens sowie anhand dessen
Wertschöpfungskette geschehen. An
diesem Punkt kommt die unabhängige
Überprüfung ins Spiel. Die objektive
Belegung solcher Aktivitäten steigert
die Glaubwürdigkeit dessen, was dem
Vorstand berichtet wird oder was Dritte
über Risiken, Leistung, die Liefer- und
Wertschöpfungskette des Unternehmens
sagen.
Zwei Jahre sind vergangen, seit das UN
Guiding Principles Reporting Framework
veröffentlicht wurde. Führende
Unternehmen, Regierungen, Investoren
und gesellschaftspolitisch engagierte
Organisationen haben das Framework
als entscheidende Maßnahme begrüßt,
die Unternehmen dabei unterstützt, ihr
Risikomanagement im Hinblick auf Menschenrechte
zu verbessern und größere
Transparenz und Verantwortung zu
zeigen. Mehrere westliche Regierungen
haben es offiziell als Richtlinie für Unternehmen
empfohlen. Und weiter: Unternehmen
wie Unilever, Citi, Ericsson,
H&M und Microsoft haben öffentlich
erklärt, dass das UN Guiding Principles
Reporting Framework maßgeblich
war für ihr Risiko Management und
Reporting.
Auch auf europäischer Ebene ist man
sich der Wichtigkeit und Dringlichkeit
des Themas bewusst. So fordert die EU
aktuell alle Vorstände europäischer Aktiengesellschaften
mit mehr als 500 Mitarbeitern
auf, darüber auskunftsfähig zu
sein, wie ihre Gesellschaften Risiken für
Menschenrechte identifizieren und wie
sie damit umgehen. Investoren, Kunden,
Angestellte: Sie alle haben das Recht über
die Fortschritte, die ein Unternehmen
umsetzt, informiert zu werden. Mehr
Transparenz, mehr Information und
das Belegen von Aktivitäten und der
Übernahme von Verantwortung sind die
Schritte, die Unternehmen nun gehen
müssen. Simpel zu sagen „Das war uns
nicht bewusst“, reicht nicht mehr.
Mazars trägt diese Haltung und Überzeugung
mit. Unternehmen, die Menschenrechte
respektieren und in ihr
Handeln integrieren, sind glaubwürdiger,
produktiver und schaffen Mehrwert
– für Stakeholder und für die Gesellschaft.
Wir alle sind Nutznießer der
durch den Schutz von Menschenrechten
durch Unternehmen geschaffenen
Werte. Unternehmen, die diesen Schutz
in die Erwirtschaftung ihrer Gewinne
einbeziehen, bringen die Interessen der
Wirtschaft mit denen der sie umgebenden
Gemeinschaften und der Umwelt in
Übereinstimmung. Das sind die Ansatzpunkte,
an denen die unternehmerische
Zukunft beginnt.
globalcompact Deutschland 2017
89
GOOD PRACTICE
Arbeiten 4.0
verantwortungsvoll
gestalten
Der rasante Wandel der Arbeitswelt durch digitale Technologien schürt gleichermaßen
Hoffnungen wie Sorgen. Umso wichtiger ist es, den Transformationsprozess im intensiven
gesellschaftlichen Austausch umzusetzen. Unternehmen, Mitarbeiter, Sozialpartner und
staatliche Institutionen – gemeinsam tragen wir die Verantwortung, die Herausforderungen
der Digitalisierung zu meistern und ihre Chancen zu nutzen. Bei Merck steht das Thema
„Arbeiten 4.0“ daher ganz oben auf der Agenda.
Von Kai Beckmann, Mitglied der Geschäftsleitung von Merck
Stetiger Wandel ist ein Kernelement der
Menschheitsgeschichte. Mit der digitalen
Vernetzung hat die technologische Transformation
allerdings ein schwindelerregendes
Tempo aufgenommen. Manche
Menschen sind durch die tiefgreifenden
Veränderungen im Arbeitsleben verunsichert,
etwa wegen potenziell wegfallender
Beschäftigungsprofile. Andere sind
geradezu euphorisch angesichts neuer
Geschäftsmodelle und der enormen
Produktivitätssteigerung. Klar ist: Die
vielfältigen, komplexen und weitreichenden
Auswirkungen der Digitalisierung
lassen sich nicht ausblenden – vernetzte
90 globalcompact Deutschland 2017
Maschinen, Anlagen und Produkte sind
bereits Realität und gewinnen weiter an
Bedeutung. Aus der „Industrie 4.0“ folgt
daher zwingend ein „Arbeiten 4.0“. Dies
sollte keinesfalls als Bedrohung, sondern
als Chance wahrgenommen werden.
Denn wir können den Wandel hin zu
modernen, zukunftsfähigen Arbeitsformen
in einem breiten gesellschaftlichen
Konsens aktiv gestalten und letztlich alle
davon profitieren. Bei Merck treiben wir
diesen Prozess in vier Handlungsfeldern
voran.
Flexibilisierung: Das Ergebnis zählt
Die Digitalisierung bietet vielen Arbeitnehmern
einen erheblichen Zugewinn
an Freiheit. Denn immer häufiger können
sie selbstständig entscheiden, wo,
wie und wann sie – mit Notebook und
Smartphone – ihrer Arbeit nachgehen.
Feste Anwesenheitszeiten und geografische
Distanzen spielen im digitalen
Zeitalter insbesondere für Büro- und
Projekttätigkeiten keine große Rolle
mehr. Was zählt, ist das Ergebnis der
geleisteten Arbeit. Diese Flexibilisierung
wirkt auf die Mitarbeiter motivationssteigernd
und verbessert die Vereinbarkeit
von Beruf und Privatleben – ähnlich
wie die vorübergehende Auszeit im Rahmen
eines Sabbaticals, das wir unseren
Mitarbeitern bei Merck unkompliziert
ermöglichen. In enger Zusammenarbeit
mit dem Betriebsrat haben wir unser
flexibles Arbeitsmodell mywork@merck
realisiert. Die Beschäftigten können individuell
ihre Arbeitszeiten und -orte
sowie ihre Ergebnisziele mit ihren
Teams und Vorgesetzten abstimmen.
Auf Zeiterfassung und -kontrolle wird
verzichtet. Nur bei Überschreitung der
Regel-Arbeitszeit innerhalb des vorgegebenen
Arbeitszeitrahmens dokumentiert
der Mitarbeiter seine Zeiten. Der Erfolg
von mywork@merck basiert auf einer
Vertrauens- und Leistungskultur, die
wir bei Merck weiter stärken wollen.
Das Feedback unserer Mitarbeiter ist
sehr positiv.
Das Prinzip (Eigen-)Verantwortung
Das deutliche Plus an Freiheit und Vertrauen
dieser Unternehmenskultur birgt
auch Herausforderungen: Die mobilen
und virtuellen Tätigkeitsformen bedingen
eine hohe Bereitschaft zu selbstständigem
Arbeiten, zur Selbstdisziplin
und zu Eigenverantwortung. Von
den Mitarbeitern wird erwartet, dass
sie ihren beruflichen Alltag effizient
gestalten, sinnvolle Weiterbildungsmaßnahmen
nutzen und auf ihre körperliche
und psychische Gesundheit
achten. Bei Merck haben wir darum
ein Kompetenzmodell entwickelt, das
Mit-Arbeiter zu Mit-Gestaltern macht.
Die darin definierten Kompetenzen
„sinnhaft, zukunftsorientiert, innovativ,
ergebnisorientiert, gemeinschaftlich
und stärkend“ werden den Mitarbeitern
durch Workshops, Videos, interne Kampagnen
und unternehmensbereichsspezifische
Initiativen vermittelt. Darüber
hinaus sind die Kompetenzen bereits
ein integrativer Bestandteil der Interviewleitfäden
im Recruiting und in den
Weiterbildungsangeboten von Merck.
Bildung, Bildung und nochmals
Bildung
In der digitalen Transformation sinkt
der Bedarf an einfachen manuellen
Tätigkeiten, während die Nachfrage
nach hoch qualifizierten Fachkräften
für anspruchsvolle Aufgaben steigt. In
der neuen, globalisierten Arbeitswelt
gewinnen zudem Eigenschaften wie
Flexibilität, Agilität, Selbstständigkeit
und Teamfähigkeit weiter an Bedeutung.
Der Staat muss dafür Sorge tragen, dass
die Kinder und Jugendlichen in den
allgemeinbildenden Schulen und Berufsschulen
auf die steigenden kognitiven
und interaktiven Anforderungen der
Zukunft bestmöglich vorbereitet werden.
Doch damit nicht genug: Lebenslanges
Lernen sollte zur Selbstverständlichkeit
werden, denn Bildung ist der wesentliche
Erfolgsfaktor im internationalen
Wettbewerb. Bei Merck investieren wir
daher kräftig in die umfassende Aus- und
Weiterbildung unserer Mitarbeiter. So
nutzen bereits viele unserer Auszubildenden
neue digitale Technologien wie
zum Beispiel Augmented-Reality-Anwendungen.
Mit unserer eigenen „Digital
Basics App“ haben alle Mitarbeiter die
Möglichkeit, sich aktuelles Wissen in
Sachen Digitalisierung anzueignen. Bei
sämtlichen Qualifizierungsmaßnahmen
legen wir großen Wert auf einen engen
Austausch mit unseren Mitarbeitern
und Sozialpartnern, um ihre Wünsche,
Bedürfnisse, Ideen und Bedenken zu
erfahren und zu berücksichtigen.
Führung 4.0
Der Anspruch, sich kontinuierlich weiterzubilden,
gilt für Führungskräfte in
besonderem Maße. In unserer internen
„Merck University“ haben wir daher in
Zusammenarbeit mit der Stanford University
ein neues Modul mit dem Titel
„Leading Innovation and Digitalization
at Merck“ für unsere Top-Nachwuchsführungskräfte
etabliert. Doch es geht
nicht nur darum, die technischen Anwendungsmöglichkeiten
in den unterschiedlichen
Verantwortungsbereichen
zu kennen und zu nutzen. „Führung
4.0“ setzt auch einen mentalen Wandel
voraus. Hierarchische Strukturen, Kontrolle
und Sanktionen haben in der neuen
Arbeitswelt keinen Platz. Moderne
Führungskräfte fungieren als Vorbilder
und sind bereit zu einem kontrollierten
Kontrollverlust: Sie vertrauen ihren Mitarbeitern,
wecken ihre Neugier, hören
ihnen zu, motivieren sie zu Höchstleistungen
und begegnen ihnen mit
Respekt und Wertschätzung. Dies gilt
auch dann, wenn Fehler passieren oder
Projekte scheitern – denn aus Misserfolgen
können wir lernen.
Niemand kann heute genau prognostizieren,
wie sich die Digitalisierung und
„Arbeiten 4.0“ weiter entwickeln. Wir
haben bei Merck zwar schon einiges
erreicht, werden uns jedoch keinesfalls
auf unseren Lorbeeren ausruhen. Im Gegenteil:
Mit Neugier, Elan, Optimismus
und Verantwortungsbewusstsein wollen
wir die künftigen Herausforderungen
meistern. Dazu braucht es nicht zuletzt
auch eine gesunde Portion Mut. Und
Mut zählt zu den essenziellen Unternehmenswerten
von Merck.
globalcompact Deutschland 2017
91
GOOD PRACTICE
Miele auch bei Energieeffizienz
„Immer besser“
Jeder Haushalt benötigt Energie. Das verursacht Kosten und Treibhausgase. Dabei möchten laut
einer Studie drei von vier Deutschen Energie einsparen und so einen Beitrag zum Umwelt- und
Klimaschutz leisten. Helfen können dabei effiziente Hausgeräte. Miele ist hier Vorreiter und hat
beispielsweise den Strom- und Wasserverbrauch seiner Geräte seit dem Jahr 2000 mehr als
halbiert. Diese Maßnahmen zahlen unmittelbar auf die UN-Entwicklungsziele ein.
Produkte mit Blick auf zukünftige Generationen
zu entwickeln und zu produzieren,
hat beim Familienunternehmen
Miele Tradition. Im Sinne der Firmenleitlinie
„Immer besser“ ist es das Ziel,
Haus- und Gewerbegeräte von besonders
hoher Qualität und Lebensdauer herzustellen,
die Mensch und Umwelt so wenig
wie möglich belasten und einen echten
Nutzen bieten. Deshalb engagiert sich
der Gütersloher Hausgerätehersteller bei
seiner Produktentwicklung seit vielen
Jahren für einen verantwortungsvollen
Umgang mit der Umwelt und den natürlichen
Ressourcen. Damit befindet Miele
sich im Einklang mit den nachhaltigen
Entwicklungszielen der UN-Agenda 2030:
Die Hausgeräte tragen nämlich dazu bei,
Energie effizienter und ökologischer
zu nutzen (Ziel 7), die Konsum- und
Produktionsgewohnheiten nachhaltig
zu gestalten (Ziel 12) und natürlich zur
Reduktion der Treibhausgasemissionen
und damit zur Begrenzung des Klimawandels
(Ziel 13).
So werden Hausgeräte immer effizienter.
Der Stromverbrauch aller Haushalte sank
deshalb in den letzten zehn Jahren nach
Angaben des Statistischen Bundesamtes
um zehn Prozent. Eine große Rolle spielt
dabei die Energieeffizienzkennzeichnung
der Hausgeräte mit dem so genannten
Energy Label. Viele Verbraucher achten
beim Kauf auf die entsprechende Klassifizierung
der Geräte. Sie gibt Auskunft
darüber, ob ein Gerät vergleichsweise viel
oder wenig Strom und Wasser verbraucht.
Die allermeisten Miele-Produkte sind in
diesen Bewertungen immer weit vorne
an der Spitze. So sind etwa die sparsamsten
Miele-Waschmaschinen noch
einmal 40 Prozent effizienter als für
den Grenzwert der höchsten Energieeffizienzklasse
A+++ vorgeschrieben. Im
Geschäftsjahr 2015/16 waren 93 Prozent
aller Waschmaschinen mit der besten
Kennzeichnung A+++ versehen, bei den
Geschirrspülern waren es etwa 39 Prozent
und bei den Wäschetrocknern lag
der Anteil bei acht Prozent.
Im Alltag bewährt
Da die Energieeffizienz moderner Hausgeräte
heute deutlich über die bisherigen
Kategorien hinausgeht, wird die
Kennzeichnung EU-weit reformiert und
durch eine überarbeitete Skala von A bis
G ersetzt werden. Bei aller Orientierung,
die solche Labels bieten, kommt es aber
auch auf das Nutzungsverhalten des
Einzelnen an. Und gerade hier gibt es
im Alltag deutliche Unterschiede zu den
Idealbedingungen im Labor. Beispiel
Waschen: Erhebungen der Universität
Bonn haben ergeben, dass viele Menschen
ihre Waschmaschine mehrmals
pro Woche mit kleinen Wäschemengen
befüllen und dabei längst nicht immer
das sparsamste Waschprogramm nutzen.
Folglich kommt es nicht zu der durch
das Label ausgewiesenen Ersparnis bei
Energie und Kosten.
Vor diesem Hintergrund führte Miele
im Jahr 2016 gemeinsam mit dem Öko-
Institut eine Vergleichsuntersuchung
unter Alltagsbedingungen, sprich bei
voller und bei halber Beladung, durch.
Getestet wurden der Strom- und Wasserverbrauch
sowie die Waschleistung
und die Programmdauer. Das Miele-Gerät
schnitt in allen Bereichen am besten ab.
Möglich macht dies das besonders wassersparende
und effiziente PowerWash-2.0-
Waschverfahren. Miele-Waschmaschinen,
die mit dieser Technologie ausgestattet
sind, waschen laut Öko-Institut je nach
Programm bis zu 40 Prozent schneller
und sparen gleichzeitig bis zu 25 Prozent
Strom.
Nachhaltigkeit bei
Miele
Auf bis zu 20 Jahre Lebensdauer
testet Miele seine Geräte;
Ersatzteile gibt es auch noch 15
Jahre nach Serienauslauf, und am
Ende eines langen Gerätelebens
sind beispielsweise Haushalts-
Waschmaschinen von Miele bis
zu 85 Prozent recyclingfähig.
Mit diesem Verständnis von
nachhaltiger Produktgestaltung
unterscheidet sich Miele deutlich
von anderen Herstellern – zum
Nutzen der Kunden und der
Umwelt. So bestätigt eine
Studie des Öko-Instituts: Ein
energieeffizientes Miele-Gerät so
lange wie möglich zu nutzen, ist
auch unter ökologischen Aspekten
sinnvoll.
92 globalcompact Deutschland 2017
Der ökologische Fußabdruck beschränkt
sich aber nicht nur auf den Strom- und
Wasserverbrauch. Aus Umweltgesichtspunkten
genauso wichtig ist der schonende
Einsatz von Wasch- und Reinigungsmitteln.
Deshalb verfolgt Miele
einen ganzheitlichen Ansatz: „Vor allem
beim Waschen und Spülen bietet das
Unternehmen zunehmend Systemlösungen
an, bei denen Geräte, Programme,
Reinigungsmittel und Zubehör optimal
aufeinander abgestimmt sind“, heißt
es im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht.
Dies gilt beispielsweise auch für die
automatische Zwei-Phasen-Waschmitteldosierung
„TwinDos“, mit der bis zu 30
Prozent Waschmittel eingespart werden
können. Das wurde dem Unternehmen
bereits 2013 durch das Öko-Institut auch
von unabhängiger Seite bestätigt.
Effizienz auch bei Küchengeräten
Dass Miele in Sachen Energieeffizienz
gut aufgestellt ist, zeigt sich auch im
Bereich der Küchengeräte: So konnte
Miele in den vergangenen Jahren die
Energieeffizienz der Dunstabzugshauben
deutlich verbessern. Dafür wurden
die Gebläse von Wechselstrom auf
Gleichstrom umgestellt. Die Gleichstrom-
Motoren benötigen 70 Prozent weniger
Energie als die Wechselstrom-Motoren.
Zusätzlich wechselte man von der Halogenbeleuchtung
zu langlebigen LEDs.
Ein weiteres Beispiel sind die Geschirrspüler
der Baureihe G 6000 EcoFlex, die
seit 2016 erhältlich sind und über einen
neuartigen Wärmespeicher verfügen.
Im Sparprogramm unterschreitet der
Geschirrspüler den Grenzwert der besten
Energieeffizienzklasse A +++ um bis zu
20 Prozent. Trotz niedrigem Stromverbrauch
müssen jedoch keine langen
Wartezeiten oder Kompromisse bei der
Sauberkeit in Kauf genommen werden.
Die Technik dahinter basiert auf zwei
voneinander getrennten Wasserkreisläufen.
Der eine transportiert das einlaufende
Frischwasser, der zweite ist
als Schlaufensystem konzipiert, in das
warmes Wasser aus dem jeweils letzten
Programmabschnitt fließt, das wiederum
das Frischwasser erwärmt. Auf diese
Weise wird für das weitere Erhitzen
entsprechend weniger Strom benötigt.
Neue Potenziale durch
Digitalisierung
Zahlreiche Miele-Produkte sind heute
vernetzungsfähig. Mithilfe der App
Miele@mobile lassen sich die Geräte per
Smartphone oder Tablet von unterwegs
aus überwachen und steuern. Die Vernetzung
von Hausgeräten bietet nicht nur
eine komfortablere Bedienung, sondern
birgt für Verbraucher auch das Potenzial,
Strom effizienter zu nutzen und Kosten
zu sparen. Mithilfe der Funktion „Smart-
Start“ etwa startet die Waschmaschine
erst dann, wenn gerade ausreichend
Strom aus der Photovoltaikanlage auf
dem Dach zur Verfügung steht. Miele
war in diesem Themenfeld schon vor fast
20 Jahren Pionier der Branche und hat
heute 400 vernetzungsfähige Hausgeräte
im Programm.
globalcompact Deutschland 2017
93
GOOD PRACTICE
Elektromobilität bei Phoenix
Contact: Technischer
Fortschritt, der begeistert
Als mittelständisch geprägtes Unternehmen in Familienhand fühlt sich Phoenix Contact insbesondere
der Nachhaltigkeit verpflichtet. Dieses Verantwortungsbewusstsein gilt nicht nur gegenüber
der Region, sondern auch gegenüber der Umwelt. Die Schonung von Ressourcen wird
bereits bei der Entwicklung neuer Produkte, in der Fertigung und im Wirtschaften berücksichtigt.
Auch die Elektromobilität leistet hier einen Beitrag.
Von Katrin Fasse, Corporate Human Resources,
Phoenix Contact
Elektromobilität praxisnah erleben
Unter dem Motto „Elektromobilität erleben“
fand im September 2017 auf dem
Betriebsgelände ein Aktionstag für alle
interessierten Mitarbeiter von Phoenix
Contact statt. An diesem Tag gab es nicht
nur viele Informationen und einen regen
Austausch zu den Themen Elektromobilität
und Energieeffizienz. Auf verschiedenen
Parcours konnten die Mitarbeiter
selbst das Fahren mit Elektroautos und
Elektrofahrrädern testen. Für dieses Erlebnis
standen E-Fahrzeuge verschiedener
Automobilhersteller sowie Pedelecs
unterschiedlicher Modelle bereit. „Dieser
Aktionstag ist nur ein Baustein, um die
Elektromobilität in Deutschland weiter
voranzubringen“, unterstreicht Roland
Bent, CTO Phoenix Contact, die Beweggründe.
„Nachhaltigkeit ist eine zentrale
Triebfeder für unsere Innovationskultur
im Unternehmen. Insbesondere der ressourcenschonende
Umgang mit Energie
ist Ansporn für uns.“
So identifiziert Phoenix Contact schon
früh Zukunftsmärkte und entwickelt
Technologien und Produkte, um diese
Märkte voranzutreiben und maßgeblich
mit zu gestalten. Es finden sich Lösungskonzepte
für erneuerbare Energien wie
Fotovoltaik und Windkraft im Produktportfolio
ebenso wieder wie Ladekonzepte
für die Elektromobilität. Bereits im
Jahr 2013 gründete das Unternehmen die
eigene Tochtergesellschaft Phoenix Contact
E-Mobility, um Entwicklungen und
Produkte dort zu konzentrieren. Dazu
zählen Komponenten wie Ladestecksysteme,
Ladesteuerungen und Softwarelösungen
für den Auf bau einer individuellen
Ladeinfrastruktur. Startpunkt der
Aktivitäten war die Entwicklung eines
Schnellladestandards für Elektrofahrzeuge,
die in enger Zusammenarbeit mit
deutschen Automobilherstellern erfolgte.
Das Laden mit diesem sogenannten Combined
Charging System (CCS) verkürzt die
Ladezeit signifikant und erfordert nur
eine universelle Ladebuchse im Fahrzeug,
über die sowohl Gleichstrom- als auch
Wechselstromladen möglich ist. Mittlerweile
steht die nächste Generation des
Schnellladens in den Startlöchern, mit
dem Elektromobilität alltagstauglicher
wird. Mit High Power Charging (HPC)
hat Phoenix Contact eine Technologie
entwickelt, die den Akku in nur drei bis
fünf Minuten für 100 km Reichweite lädt.
Auf diesem Wege will das Unternehmen
weiter zur Akzeptanz der Elektromobilität
beitragen.
94 globalcompact Deutschland 2017
Mit der Wave Trophy begeistern
Da die Akzeptanz einer neuen Technologie
in hohem Maße auch von Begeisterung
getragen wird, starten seit fünf
Jahren Mitarbeiter-Teams von Phoenix
Contact bei der Wave Trophy. Die größte
Elektro-Rallye der Welt hat zum Ziel,
Elektromobilität zu fördern und zu zeigen,
dass erneuerbare Energien und Elektrofahrzeuge
nicht nur alltagstauglich
sind. Sie will Begeisterung wecken für
eine umweltschonende Mobilität. An den
Start gehen alle Arten von Fahrzeugen,
die elektrisch angetrieben werden, vom
Serienfahrzeug bis zum selbst umgebauten
Oldtimer. Aufgabe der Teams ist es,
möglichst energieeffizient zu fahren
und an den verschiedenen Stationen der
Route Geschicklichkeits- und Präzisionsaufgaben
mit dem Fahrzeug erfolgreich
zu lösen. Die Rallye-Teilnehmer besuchen
Städte, Unternehmen, Schulen
und Universitäten und sorgen so für
eine steigende Aufmerksamkeit für die
Elektromobilität. „Die Teilnahme an der
Wave Trophy ist speziell für Phoenix
Contact E-Mobility ein wichtiger Faktor,
um den Bekanntheitsgrad zu steigern“,
erläutert Roland Bent die Teilnahme
an der Rallye.
Die Arbeitszeit zum Laden nutzen
Um auch bei den Mitarbeitern die Akzeptanz
zu steigern, gibt es nicht nur
Elektrofahrzeuge in der Dienstwagenflotte
des Unternehmens. Phoenix Contact
hat für die Mitarbeiter, die privat
bereits ein E-Auto fahren, Parkplätze
mit Lademöglichkeiten geschaffen. Dies
soll auch denjenigen, die den Kauf eines
Elektrofahrzeuges in Betracht ziehen,
einen Anreiz bieten, da während der Arbeitszeit
das Fahrzeug wieder aufgeladen
werden kann. Zu Beginn des Projektes
gab es eine Umfrage unter den Mitarbeitern,
um den Bedarf an Stromtankstellen
festzustellen. Bei den Ladesäulen hat
sich das Unternehmen für Master-Slave-
Varianten entschieden, eine Lösung, die
sich nach Bedarf leichter und schneller
ausbauen lässt. Das Stromtanken für die
Mitarbeiter ist kostenfrei. Sie erhalten
einen Chip, mit dem sie sich an der Ladesäule
anmelden müssen. Die Anzahl
der Nutzer stetig steigt, ein Ausbau der
Ladesäulen ist schon in Planung.
Zusätzlich dienen diese Ladestationen
als Dauertest für Ladesteuerung und
-infrastruktur. Die Erkenntnisse aus diesem
praxisnahen Einsatz der eigenen
Produkte und Lösungen fließen in die
Entwicklung neuer Produkte ein.
Leasing für Pedelecs
Auch mit dem Fahrradleasing bietet
Phoenix Contact für Mitarbeiter den
Anreiz, sich mit der Elektromobilität
vertraut zu machen. Hier stehen Pedelecs,
die in der Anschaffung sehr teuer
sind, hoch im Kurs. Seit dem Frühjahr
können Mitarbeiter ihr Elektrofahrrad
über den Anbieter Jobrad leasen. Eine
Versicherung, deren Kosten der Arbeitgeber
komplett trägt, und regelmäßige
Wartungen sind verpflichtend. Das Rad
kann sowohl privat als auch für den Weg
zur Arbeit genutzt werden. 500 Mitarbeiter
nutzen bereits dieses Angebot.
Mit Elektromobilität in die Zukunft
Der Aktionstag „Elektromobilität erleben“
fand großen Zuspruch bei den Mitarbeitern.
„Wir haben nur diese eine Welt und
diese müssen wir für die nachfolgenden
Generationen so gut wie möglich schützen.“
Diese Aussage war vielfach zu hören
von den teilnehmenden Familien. Auch
das Fahrerlebnis im Elektroauto begeisterte
viele und regte Diskussionen für
den zukünftigen Fahrzeugkauf an. Dabei
spielten auch die Ladesäulen für Mitarbeiterfahrzeuge
eine Rolle. „Die verschiedenen
Ansatzpunkte für Elektromobilität
zeigen, dass dieses Zukunftsthema nicht
nur in unseren Produkten stattfindet,
sondern vom ganzen Unternehmen gelebt
wird“, fasst Prof. Dr. Gunther Olesch,
CHRO Phoenix Contact, zusammen.
globalcompact Deutschland 2017
95
GOOD PRACTICE
Symrise setzt auf
nachhaltige Wertschöpfung
Die Symrise AG ist ein Bespiel dafür, wie global agierende Unternehmen ihre Gesamtstrategie
konsequent auf nachhaltiges Wachstum ausrichten können. Der Duft-, Geschmacks- und
Wirkstoffhersteller mit Sitz in Holzminden versteht darunter den dauerhaft belastbaren
Ausbau des Geschäftes unter Berücksichtigung ökologischer und sozialer Rahmenbedingungen.
Hinzu kommen effiziente Produktion und ein Portfolio, das hilft, die Grundbedürfnisse der
wachsenden Weltbevölkerung zu befriedigen. Dafür hat Symrise Ziele entlang der gesamten
Wertschöpfungskette formuliert.
Von Christina Witter, Press and Media Relations, und Friedrich-Wilhelm Micus, Sustainability Communications, Symrise
um neue Aromen und Düfte zu kreieren.
Die Bewahrung der Biodiversivität
stellt damit ein essenzielles Anliegen
von Symrise dar.
Die Ziele im Bereich Nachhaltigkeit bündelt
das Unternehmen mit Blick auf
das Kerngeschäft in den vier Säulen der
Nachhaltigkeitsagenda: (1) Einfluss auf
die Umwelt, (2) Forschung und Entwicklung,
(3) Beschaffung und (4) Mitarbeiter
und weitere Interessengruppen. So
verbindet es wirtschaftliche Ziele eng
mit der täglichen Verantwortung für
Umwelt, Mitarbeiter und Gesellschaft.
Mit dieser Strategie will Symrise aktiv
dazu beitragen, die nachhaltigen Entwicklungsziele,
kurz SDGs für Sustainable
Development Goals, der Vereinten
Nationen zu erreichen.
In der Säule Footprint zahlt Symrise mit
seinen Fortschritten direkt auf sechs
von 17 SDGs ein. Dazu zählen der Zugang
zu nachhaltiger Energie (SDG 7),
nachhaltiges Wirtschaftswachstum und
produktive Vollbeschäftigung (SDG 8),
der Aufbau einer belastbaren Infrastruktur
(SDG 9), die Sorge für nachhaltige
Konsum- und Produktionsmuster (SDG
12), Maßnahmen zur Bekämpfung des
Klimawandels (SDG 13) und Schutz der
Landökosysteme (SDG 15).
Biodiversität als Teil der
Nachhaltigkeitsstrategie
Zu den ehrgeizigen Zielen im Symrise
Nachhaltigkeitsansatz gehören das Reduzieren
von Emissionen, das Schonen
von Ressourcen und der Erhalt der Biodiversität.
Die globale Artenvielfalt ist für
Symrise als Quelle von Inspiration und
natürlichen Rohstoffen unabdingbar,
Um das Engagement in diesem Bereich
zu festigen, hat das Unternehmen Ende
2016 als einer der Erstunterzeichner
den Business & Biodiversity Pledge unterschrieben.
Diese freiwillige Selbstverpflichtung
im Rahmen der UN-Konvention
zur biologischen Vielfalt ist aus
Sicht des Unternehmens ein starkes Bekenntnis
zum weltweiten Schutz und
zur nachhaltigen Nutzung von Biodiversität
sowie zur gerechten Verteilung
der Vorteile aus der Nutzung genetischer
Ressourcen.
Nachhaltiger Einkauf der exotischen
Zitrusfrucht Bergamotte
Ein Beispiel für das Engagement von
Symrise für Biodiversität ist der nachhaltige
Einkauf der Zitrusfrucht Bergamotte.
Die Pflanze wächst und gedeiht unter
anderem im süditalienischen Kalabrien.
Ihre Öle eignen sich zum Beispiel für
Parfüms. Sie verleiht weltweit mehr als
50 Prozent aller feinen Parfüms ihren
Charakter und gibt auch dem bekannten
Earl-Grey-Tee seine ihm eigene und
beliebte Zitrusnote.
96 globalcompact Deutschland 2017
Symrise kooperiert bei der Rohstofferzeugung
eng mit der Firma Capua 1880,
ein Familienunternehmen, das seit fünf
Generationen Bergamotte-Öle produziert.
Es verarbeitet mehr als die Hälfte der
gesamten Ernte in der Region, in der
wiederum vier Fünftel der Weltproduktion
entstehen.
Weitere Partner sind die Universität
Kalabrien und die Union for Ethical
Biotrade (UEBT). Gemeinsam investieren
sie in Forschung und Entwicklung, um
etwa die Seitenströme der Produktion
besser nutzen zu können. Dabei geht
es zum Beispiel um Aromen aus dem
zuvor ungenutzten Saft und dem Öl in
den Schalen, die mithilfe innovativer
Technologien gewonnen werden können.
Mit den Erzeugern in Kalabrien legen
die Experten Standards fest, wie sich bei
der Beschaffung und Nutzung von Rohstoffen
die lokale Vielfalt fördern lässt.
Weltweite Nachfrage erfordert größere
Anbaumengen von Zitrusfrüchten
Neben der Bergamotte zählen Zitrone, Limette, Orange, Grapefruit und weitere
exotische Sorten zu den am meisten verwendeten Rohstoffen. Im Lebensmittelbereich
werden die Essenzen aus Schalen oder Säften in Erfrischungs- und
Biermixgetränken, Tees, Bonbons, Kaugummis, Joghurts, Eiscremes, Saucen und
Suppen verarbeitet. Die Luxusparfümerie verfügt über zahlreiche Zitrusdüfte und
auch im Bereich Home Care – vom einfachen Haushaltsreiniger bis zum Lufterfrischer
– ist der Rohstoff unersetzbar. Sowohl bei der Bergamotte aus Kalabrien
als auch generell bei Zitrusfrüchten achtet Symrise auf Nachhaltigkeit. In der
Regel wachsen diese auf großen Plantagen in Südamerika und weiteren Teilen
der Welt, um die stetig wachsende Nachfrage der Weltbevölkerung zu erfüllen.
Nachhaltiges Wirtschaften vieler großer Unternehmen, die Zitrusfrüchte verarbeiten,
ist nötig, um Monokulturen in den Erzeugerländern zu reduzieren und die
Lebenssituation von Kleinbauern zu verbessern.
Darüber hinaus stellt dieser Ansatz sicher,
dass die kalabrischen Obstbauern
mit ihren Ernten in Zukunft ihren Lebensunterhalt
besser bestreiten können.
Das wirtschaftliche Auskommen
motiviert sie, weiter in den Anbau von
Zitrusfrüchten zu investieren und auch
den kommenden Generationen einen
Anreiz zum Anbau der Bergamotte zu
geben. Feste Abnahmen zu einem fairen
Preis seitens Capua beziehungsweise
Symrise bedeuten für die Obstbauern
Planungssicherheit.
Biodiversität und der Schutz von
Leben unter Wasser
Mit verschiedenen Umweltzielen entlang
der gesamten Wertschöpfungskette trägt
Symrise dazu bei, dass die Biodiversität
in Ozeanen und Meeren erhalten bleibt.
Da der Anbau der Bergamotte relativ nah
an den Küsten des Mittelmeers erfolgt,
erforschen die Fachleute die Einflüsse der
Bergamotte-Produktion auf das Leben im
Wasser mit dem Ziel, Flora und Fauna im
Meer besser zu schützen. Darüber hinaus
arbeitet Symrise an der Entwicklung von
Naturstoffen mit hoher Bioabbaubarkeit
und leistet damit einen weiteren Beitrag
zum Gewässerschutz. Das Unternehmen
will in den kommenden Jahren seine
Forschungen im Bereich grüne Chemie
weiter verstärken.
globalcompact Deutschland 2017
97
GOOD PRACTICE
Nachhaltigkeit im
Rohkaffeeanbau
Nachhaltigkeit ist seit 2006 in die Tchibo-Unternehmensstrategie integriert. Mit seinen Umweltund
Sozialprogrammen in den wesentlichen Feldern seiner Geschäftstätigkeit sichert Tchibo
die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens und trägt gleichermaßen zur Erreichung der Entwicklungsziele
der Vereinten Nationen bei. Das wird im Folgenden am Beispiel Rohkaffeeanbau
verdeutlicht.
Von Achim Lohrie,
Direktor Unternehmensverantwortung, Tchibo
Eine Besonderheit des Kaffeesektors ist
der hohe Anteil von nicht oder nur unzureichend
in Organisationen zusammengefassten
Kleinfarmern im sog. Kaffeegürtel
rund um den Äquator. Vier Fünftel der
geschätzt 25 Millionen Kaffeefarmer
weltweit bewirtschaften weniger als
zwei Hektar Land. Sie bauen neben Rohkaffee
zumeist noch andere Agrarprodukte
an oder gehen einer Zweitbeschäftigung
nach, um ihre Existenz zu sichern.
Ihre Ressourcen sind ebenso begrenzt wie
ihr Zugang zu Wissen, Technologien und
Krediten für notwendige Investitionen.
Die Folge: Ihre Erträge sinken durch geringere
Ernten und schlechtere Qualität
des Rohkaffees. Hinzu kommen die negativen
Auswirkungen des Klimawandels
auf den Anbau. Auf Dauer gefährdet das
die Lebensgrundlage der Kleinfarmer. Vor
allem jungen Menschen fehlen unter
diesen Bedingungen die Anreize, den
Rohkaffeeanbau fortzuführen.
Intervention
Diese Situation gefährdet nicht nur die
Zukunftsfähigkeit der Kaffeefarmer, sondern
auch die von Tchibo. Denn Kaffee
ist das Herz des Unternehmens. Zu einem
nachhaltigen Anbau der in den
Produkten verarbeiteten natürlichen
Rohstoffe gibt es keine Alternative. Auf
seinem Weg zu 100 % Nachhaltigkeit
wird Tchibo in den Anbauregionen
durch international anerkannte Organisationen
unterstützt, die ihre Expertise
in Umwelt- und Sozialstandards
gebündelt haben.
Das sind derzeit Rainforest Alliance
und UTZ Certified, Fairtrade und die
Organisationen hinter dem Bio-Siegel
der EU sowie 4C - Common Code for the
Coffee Community als Basis Compliance
Standard.
Mit dem eigenen Entwicklungsprogramm
Tchibo Joint Forces!® und in
Kooperation mit Rohkaffeeexporteuren,
Rohkaffeehändlern, Standard- und sonstigen
Nichtregierungsorganisationen
werden insbesondere kleine Kaffeefarmer
bei der Transformation von einem
konventionellen auf einen ökologisch
und sozial verträglichen sowie ökonomisch
zukunftsfähigen Rohkaffeeanbau
unterstützt. Die Schulungs- und Qualifizierungsmodule
umfassen u.a.
• Organisation zu Erzeuger- und Vertriebsgenossenschaften
98 globalcompact Deutschland 2017
• bessere landwirtschaftliche und betriebswirtschaftliche
Praktiken einschließlich
Kostenkontrolle,
• Verbesserung der Rohkaffeequalität,
Erhöhung der Ernteerträge und damit
der Einkommen,
• Schutz und Erhalt des Regenwaldes, der
Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit,
Verhinderung von Bodenerosion,
• Anpassung an den bereits spürbaren
Klimawandel, Reduzierung des eigenen
Beitrags zum Klimawandel,
• Versorgung mit sauberem Trinkwasser
sowie
• Umsetzung der von den jeweiligen Standardorganisationen
vorausgesetzten,
darüber hinausgehenden Zertifizierungs-
bzw. Validierungsanforderungen.
Weitergehend werden im Rahmen von
Tchibo Joint Forces!® Qualifizierungsmaßnahmen
im Bereich des gesellschaftlichen
Umfeldes angeboten. Hierzu
gehören insbesondere Bildungsmaßnahmen
für Kinder und Jugendliche,
Kindertagesbetreuung zur Vermeidung
unzulässiger Kinderarbeit insbesondere
in der Erntezeit, Einbindung der Frauen
als gleichberechtigte Partner bei der
Bewirtschaftung der Farmen, Einkommensdiversifizierung
sowie Verbesserung
der medizinischen Versorgung.
Wirkung
Bis 2016 wurden in Zentral- und Südamerika,
Ostafrika und Asien bei ca.
32.000 der in die Tchibo Zulieferketten
eingebundenen Kaffeefarmer Qualifizierungsmaßnahmen
durchgeführt.
Hinzu kommen rund 50.000 Kleinfarmer,
die im Rahmen der International
Coffee Partners (ICP) sowie der Initiative
Coffee&Climate, Entwicklungspartnerschaften
von Tchibo mit Kaffeeröstern
qualifiziert werden. Das entspricht
geschätzt knapp einem Drittel der für
Tchibo tätigen Kaffeefarmer weltweit.
Deren Kaffees werden nach Verfügbarkeit
insbesondere in den Tchibo Premiumsegmenten
eingesetzt.
Diese Interventionen erfassen mehr als
2/3 der für Tchibo weltweit tätigen Kaffeefarmer
nicht, insbesondere nicht solche,
die für sog. Mainstreamsegmente des
internationalen Kaffeesektors Rohkaffee
produzieren. Ein Teil dieser Kaffeefarmer
ist immerhin über den Basis-Compliance
Standard 4C erfasst. Eine weitere Ausweitung
des Anteils dieser 4C validierten
Farmer ist zwar sinnvoll, erreicht jedoch
als Compliance-Programm nicht den
von Tchibo definierten Anspruch an
eine ganzheitlich nachhaltige Sektorentwicklung.
Ein Farmer zentriertes Programm, wie es
zuvor für den Premiumsektor beschrieben
wurde, ist insbesondere wegen der
Vielzahl und unterschiedlichen Größe
sowie des unterschiedlichen Entwicklungsstands
der Farmer, der damit verbundenen
Komplexität und teilweisen
Intransparenz des Mainstream Rohkaffeeanbaus
sowie der diffusen Handelsstrukturen
weder ökologisch noch sozial
und ökonomisch Erfolg versprechend.
Es sind also neue Ideen, andere Formen
der Partnerschaft und vor allem Systeminterventionen
„2.0“ gefordert, die auch
diese Produzenten in die Agenda 2030
einbeziehen.
Nachhaltigkeit 2.0
Brasilien für sog. Arabica-Kaffees und
Vietnam für sog. Robusta-Kaffees sind
die nach Weltmarktmenge größten
Rohkaffee-Produzenten für den Mainstream.
In Brasilien konzentriert sich der Rohkaffeeanbau
auf die drei Regionen Sul
de Minas, Cerrado und Alta Mogiana, in
Vietnam auf die vier Regionen Dak Lak,
Dak Non, Lam Don und Gia Lai. Statt
geschätzt mehrere hunderttausend Farmer
unterschiedlicher Größe zu identifizieren,
bei Bedarf zu organisieren und
nach internationalen Nachhaltigkeitsstandards
zu schulen und bestenfalls
zu zertifizieren, sollten regionale, auf
Augenhöhe d.h. mit den Produzentenvertretern
partnerschaftlich entwickelte
bzw. verbesserte Systeminterventionen
mehr Nachhaltigkeit den Weg bereiten.
Dadurch ließen sich zugleich Komplexitäten
reduzieren, die Identifikation mit
dem Programm fördern und die Wirksamkeit
von Interventionen erhöhen.
Auf keinen Fall sollte „das Rad neu erfunden
werden“. Es sollten mindestens
vorhandenes regionales Wissen über
fehlende Nachhaltigkeit, über deren
Ursachen, über ökonomische, ökologische
und soziale bzw. gesellschaftliche
Erfolgs- und Misserfolgsindikatoren,
bestehende Entwicklungs- und Qualifizierungssysteme
und vorhandene
Partnernetzwerke genutzt werden.
In zunächst je einer Region in Brasilien
und in Vietnam und im regionalen Partnerverbund
hat Tchibo damit begonnen,
diesen neuen Ansatz zu konzipieren, zu
pilotieren und wird ihn im internationalen
Kaffeesektor sobald wie möglich
zur Diskussion stellen.
globalcompact Deutschland 2017
99
GOOD PRACTICE
Digitalisierung gestalten:
Optimierungspotenziale
für KMU entdecken
Begleitung in die digitale Zukunft: TÜV Rheinland unterstützt Mittelständler bei der Standortbestimmung
ihres digitalen Reifegrades – auch im Vergleich zu anderen Unternehmen. Ziel ist es,
mittelständischen Unternehmen die Transparenz zu verschaffen, die sie brauchen, um den
digitalen Wandel kontrolliert, sicher und erfolgreich zu gestalten: angefangen bei digitalen
Grundlagen über optimierte Prozesse bis hin zu völlig neuen Geschäftsmodellen.
Von Susanne Dunschen und Norman Hübner,
TÜV Rheinland
In vielen Branchen, aber auch in der
Gesellschaft, nimmt die Veränderungsgeschwindigkeit
rapide zu. Die
Digitalisierung gilt zu Recht als vierte
industrielle Revolution. Sie verändert
viele Unternehmen und Branchen
grundlegend. Industrie 4.0 und aktuelle
Technologien wie Cloud-Services,
das Internet der Dinge, Big Data oder
mobiles Internet schaffen heute die
Grundlage dafür, dass konventionelle
Geschäftsmodelle über Nacht auf den
Kopf gestellt werden können. Das gilt
für die digitale Wirtschaft wie Software-
Unternehmen, Musik- und Filmindustrie,
Fernsehen oder Online-Handel,
aber auch für bislang konventionelle
Branchen wie Hotellerie, Automobilindustrie
oder das Taxiwesen.
Die Digitalisierung verspricht Effizienzsteigerungen,
Ressourcenschonung
und langfristiges Wirtschaftswachstum.
Sie wird allerdings auch mit Risiken im
Hinblick auf Privatsphäre, Zukunft der
Arbeit und Cyber-Sicherheit in Verbindung
gebracht. Durch Ermittlung des jeweils
individuellen digitalen Reifegrades
eines Unternehmens, den transparenten
Vergleich mit der Peer Group sowie
zusätzliche Beratungsangebote unterstützt
TÜV Rheinland Unternehmen
dabei, die Potenziale der Digitalisierung
zu nutzen, ohne sich den genannten
Risiken auszusetzen. Kurz gesagt: sich
sicher und zukunftsfähig aufzustellen.
Ermittlung des „Digitalen
Reifegrads im Mittelstand 2017“
TÜV Rheinland hat die Studie „Digitaler
Reifegrad im Mittelstand 2017“ gemeinsam
mit dem Analystenhaus Lünendonk
& Hossenfelder erarbeitet. Sie beleuchtet
Fragen, die für mehrere Stakeholder von
strategischer Bedeutung sind: Gehören
Kleine und Mittelständische Unternehmen
(KMU), die in Deutschland noch die
meisten Arbeitsplätze schaffen, zu den
„Digitalen Pionieren“? Sind sie „Digitale
Verfolger“? Hinken sie als „Digitale
Nachzügler“ dem Wettbewerb hinterher
oder haben sie als „Analoge Bewahrer“
bereits mit Wettbewerbsnachteilen zu
kämpfen?
Was braucht der Standort
Deutschland?
Die Antworten sind in erster Linie für
die Unternehmen selbst wichtig, die an
der Studie teilgenommen haben, denn
sie müssen sich im Klaren darüber sein,
ob sie ihre Wachstumsstrategien der
neuen Entwicklung anpassen müssen.
Befragt wurden Geschäftsführer und
Führungskräfte von insgesamt 110 Mittelständlern,
mit mindestens 50 und
mehr als 3.000 Mitarbeitern.
Wichtige Erkenntnisse liefert die Studie
aber auch Gestaltern auf politischer,
regionaler und nationaler Ebene. Denn
sie müssen darüber nachdenken, unter
welchen politischen und wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen der Standort
Deutschland im globalen Wettbewerb
mittel- bis langfristig gesichert werden
kann und wie Arbeitsplätze erhalten und
neue geschaffen werden können.
Weil die Frage des digitalen Reifegrads
nicht nur einzelne neue Bereiche wie
Online-Vertriebskanäle betrifft, sondern
das gesamte Unternehmen, ist die Studie
ganzheitlich angelegt. Zu beantworten
waren mehr als 70 Fragen aus allen
Unternehmensbereichen. Ziel war es
herauszufinden, wie es um die Veränderungsfähigkeit
der gesamten Organisation
bestellt ist und welche Bedeutung
die Digitalisierung in den verschiedenen
Unternehmensbereichen spielt, angefangen
von der Produktion über Vertrieb
und Marketing, IT, Logistik bis hin zu
100 globalcompact Deutschland 2017
Verwaltung und HR. Auch die Umsetzung
der Digitalisierungsstrategie in den
einzelnen Bereichen spielte eine Rolle
sowie ein Vergleich der Unternehmen
untereinander.
Kostenloses und individuelles
Digitalisierungsprofil mit
Optimierungspotenzialen
30 %
Digitale
Pioniere
14 %
Digitale
Verfolger
24 %
Digitale
Nachzügler
32 %
Analoge
Bewahrer
Ziel der Studie war es auch, Unternehmen
noch stärker für die Notwendigkeit,
sich mit der Digitalen Transformation
auseinanderzusetzen, zu sensibilisieren.
„Das Potenzial der Digitalisierung mangels
Expertise ungenutzt zu lassen, kann sich
heute kein Unternehmen mehr leisten,
das langfristig am Markt bestehen will“,
so Prof. Dr. Kai Höhmann, Geschäftsführer
der TÜV Rheinland Consulting GmbH.
„Die digitale Transformation ist ein Kraftakt,
der aber auch viele Chancen birgt.“
Mehr als 100 Unternehmen nahmen an der initialen Studie teil. 60 Prozent
davon erwarten „starke oder sehr starke Veränderungen für die eigenen Geschäftsmodelle“,
67 Prozent organisatorische Veränderungen. Rund 30 Prozent
der Studienteilnehmer wurden als „Digitale Pioniere“, 14 Prozent als „Digitale
Verfolger“, 24 Prozent als „Digitale Nachzügler“ und 32 Prozent als „Analoge
Bewahrer“ eingestuft.
Ausgangspunkt für diesen Kraftakt muss
eine individuelle Standortbestimmung
sein. Wie digital ist das eigene Unternehmen
bereits, wie ist das Digitalisierungsniveau
innerhalb der Branche und
wo liegen die Ansatzpunkte für eine
Digitalstrategie? Nur wer einschätzen
kann, wo sein Unternehmen steht, ist
in der Lage, den Digitalisierungsprozess
aktiv zu gestalten und voranzutreiben.
Dazu bedarf es allerdings nicht nur der
statischen Auswertung einer Befragung,
sondern einer dynamischen Umsetzung
als Online-Benchmarking. Um Organisationen
dies zu erleichtern, hat TÜV
Rheinland einen „Digitalisierungsspiegel“
entwickelt (www.digitalisierung-gestalten.de).
Die auf der Studie basierende
Online-Befragung gibt mittelständischen
Unternehmen die Möglichkeit einer
ersten fundierten Einschätzung ihres
laufenden Digitalisierungsstatus. Die
Teilnehmer schätzen online den Stand
der Digitalisierung in ihrem Unternehmen
zunächst selbst ein. Anschließend
werden die anonymisierten Angaben
aller Teilnehmer in Relation zueinander
gesetzt und ausgewertet. Das teilnehmende
Unternehmen erhält kostenfrei sein
individuelles Digitalisierungsprofil, das
konkrete Hinweise auf Optimierungspotenziale
vermittelt und Handlungsbedarfe
aufzeigt. Durch die Teilnahme
von unterschiedlichsten Branchen wird
die Studie dynamisch fortgesetzt, und es
entsteht darüber hinaus ein fortlaufendes
und aussagekräftiges Benchmarking mit
stets aktuellen Ergebnissen.
Beratungsansatz erfordert
Verständnis für Komplexität der
Prozesse
Eine Standortbestimmung allein reicht
nicht aus. Wer sich auf den Weg durch
die digitale Transformation macht, muss
eine solide Strategie entwickeln, die sich
an Geschäftszielen und Investitionsvolumen
orientiert und dennoch in einem
wettbewerbsorientierten Zeithorizont
umzusetzen ist. Weil es an Erfahrung
oder an der technischen Expertise fehlt,
scheuen sich viele mittelständische Unternehmen,
Digitalisierungsprojekte oder
gar eine gesamte Strategie konsequent in
Angriff zu nehmen. Gleichzeitig spüren
sie den steigenden Handlungsdruck und
die Sorge, von der Konkurrenz überholt
oder gar abgehängt zu werden. Ein Weg,
solche Defizite auszugleichen, ist, externe
Ressourcen hinzuzuziehen. Der Vorteil:
Speziell geschulte Digitalisierungsteams
haben einen objektiven Blick auf die
Organisation und bringen branchenübergreifende
Erfahrungen und Projektkompetenz
mit. Weil die Anforderungen im
Zusammenhang mit der Digitalisierung
so vielfältig sind, kommt es darauf an,
die richtige Unterstützung zu finden. Die
Experten sollten die Branche kennen, die
Komplexität verstehen und auch bei der
Arbeit an Spezialthemen das große Ganze
für den Kunden im Blick behalten. „Entscheidend
für die Unternehmen ist, dass
sich Investitionen schnell auszahlen“,
so Prof. Dr. Kai Höhmann. „Digitalisierung
ist kein Selbstzweck, sondern muss
immer im Zeichen einer nachhaltigen
Wertschöpfung stehen.“
globalcompact Deutschland 2017
101
GOOD PRACTICE
Perspektiven in Tansania
mit erneuerbaren Energien
schaffen
Seit vielen Jahren setzt sich die Weidmüller Gruppe weltweit für eine nachhaltige Entwicklung
ein und übernimmt als Familienunternehmen gesellschaftliche Verantwortung. Gemeinsam mit
dem „Club der guten Hoffnung“, dem Netzwerk für Unternehmenskooperationen bei missio
München, unterstützt das Unternehmen seit 2015 ein Bildungsprojekt in Tansania, bei dem
durch die Elektrifizierung und Ausbildung im Bereich erneuerbare Energien eine feste Beschäftigungsperspektive
und die Basis für Zugang zu Wissen etabliert werden. Dadurch gibt das Unternehmen
der Bevölkerung vor Ort nicht nur die finanzielle Unterstützung, sondern verschafft den
Menschen Perspektiven durch Bildung und hilft ihnen, sich selbst helfen zu können.
Von Carsten Nagel, Manager External
Communication, Weidmüller Gruppe
Noch eine Schraube festdrehen und drei
Kabel befestigen und es ist geschafft –
stolz präsentiert der Jugendliche die
soeben montierte Photovoltaikanlage.
Mehrere Stunden hat er in der Mbeya
Trade School in Tansania an der Montage
gesessen und vorher intensiv geübt, um
die vielen Teile richtig zusammenzufügen.
Für ihn ein Meilenstein, der neue Perspektiven
eröffnet – denn Zugang zu Strom
ist in dem Land nicht selbstverständlich.
Im Gegenteil: weniger als 25 Prozent der
Bevölkerung in Tansania haben Zugang
zu Elektrizität – im ländlichen Raum
sind es sogar nur knapp zehn Prozent. Das
Land steht vor vielen Herausforderungen:
während die Wirtschaft aufstrebt, die
Bevölkerung wächst und die allgemeine
Mobilität steigt, nehmen gleichzeitig die
sozialen Missstände zu. Der Weg ins Berufsleben
gestaltet sich für Jugendliche
schwierig, denn es gibt keine geregelte
Ausbildung wie in Deutschland und die
Qualität der Schulen ist mitunter gering.
Mbeya Trade School –
Ausbildungszentrum für Jugendliche
Um diesen Herausforderungen begegnen
zu können, setzt sich missio München
mit den katholischen Partnern in der
südwestlichen Stadt Mbeya für verschiedene
Hilfseinrichtungen ein. Mbeya ist
mit knapp 500.000 Einwohnern eine
der zehn größten Städte Tansanias und
gilt als einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte
des Landes. Hier hat die
Diözese 2015 den Bau des Ausbildungs-,
Beratungs- und Rehabilitationszentrums
gestartet, das jungen Menschen von der
Straße eine neue Perspektive gibt. Teil
dieses Komplexes ist auch die Mbeya
Trade School, die vor allem im Ausbildungssegment
aktiv ist. Die Schule bietet
aktuell die Lehrgänge Elektroinstallation,
Kfz-Mechanik, Schreinerei, Schlosserei
und Schneiderei an – gerade auch für die
sogenannten School Dropouts, Schüler,
die sonst keine Möglichkeit zur Ausbildung
erhalten.
Voraussetzung für den Zugang zu
Wissen schaffen
Seit 2015 unterstützt Weidmüller das
Projekt von missio München zum Bau
eines Integrations- und Weiterbildungszentrums
in Mbeya und fördert unter
anderem einen Pilotlehrgang im Bereich
Solarenergie und Photovoltaik. „Die Unterstützung
ist Teil unseres weltweiten
sozialgesellschaftlichen Engagements,
welches wir unter dem Oberbegriff
‚Weidmüller hilft‘ bündeln“, erklärt der
Nachhaltigkeitsbeauftragte Dr. Eberhard
Niggemann. Weidmüller legt dabei großen
Wert darauf, dass Nachhaltigkeit im
Unternehmen ganzheitlich betrachtet
und gelebt wird und strebt eine richtige
Balance zwischen den ökologischen,
ökonomischen und gesellschaftlichen
Dimensionen von Nachhaltigkeit an. Das
Engagement in Tansania setzt an zwei
Punkten an, die sich gegenseitig beeinflussen,
um die Beschäftigungsfähigkeit
in der Region zu erhöhen:
1. Förderung der Bildungsmöglichkeiten,
weil Bildung jungen Menschen neue Per-
102 globalcompact Deutschland 2017
spektiven ermöglicht und Bildung der
stärkste Hebel ist, um eine nachhaltige
Wirkung herbeizuführen.
2. Schaffung von Zugang zu Elektrizität,
da durch Elektrizität der Zugang zu Medien
und somit zu Wissen möglich ist.
Durch die Unterstützung erhalten junge
Menschen durch eine Ausbildung in den
Bereichen Elektrotechnik und regenerative
Energien neue Perspektiven, und
Weidmüller leistet einen Beitrag für die
Verbesserung der Lebenssituation. „Zunächst
braucht es schließlich Licht und
Strom, damit eine ausreichende Versorgung
überhaupt gewährleistet werden
kann, beispielsweise um Essen zuzubereiten
oder abends lernen zu können“,
erklärt Niggemann.
Club der guten Hoffnung – Gesellschaftliche
Verantwortung übernehmen
Die Unterstützung von Weidmüller ist Teil eines größeren Förderprojektes, das
der Club der guten Hoffnung, die CSR-Plattform des katholischen Missionswerks
missio aus München, unterstützt. Rund um die Themen Menschenrechte,
Frauenförderung, Bildung und Infrastruktur fördert missio München knapp 1050
Projekte in 60 Ländern – in Asien, Afrika oder Ozeanien. Weitere Informationen
erhalten Sie auch unter www.club-der-guten-hoffnung.de
Elektrifizierung und
Ausbildung als Basis für
eine Beschäftigungsperspektive
Durch die Unterstützung von Weidmüller
gelang es erstmalig, einen Pilotkurs für
regenerative Energien an der Mbeya Trade
School einzurichten. Er wird die Schule
zu einem in der Region einzigartigen
Trainingscenter für Solarenergie machen.
Im Bereich der erneuerbaren Energien
können die Menschen dadurch zukünftig
selbst kleinere Solaranlagen installieren
und instand halten. „Dadurch stellen wir
sicher, dass die Hilfe keine einmalige
Aktion ist, sondern sich die Menschen
vor Ort zukünftig selber helfen können.
Denn was nützt es, wenn die Technik
zwar vorhanden ist, im Bedarfsfall aber
niemand die Anlagen reparieren kann“,
erläutert Niggemann.
Beitrag zu wichtigen Sustainable
Development Goals der Vereinten
Nationen
Mit dem Projekt in Mbeya leistet Weidmüller
einen aktiven Beitrag zu einigen
wesentlichen Sustainable Development
Goals der Vereinten Nationen. Insbesondere
die Themen „Bildung für alle
– inklusive, gerechte und hochwertige
Bildung gewährleisten und Möglichkeiten
des lebenslangen Lernens für alle fördern“
sowie „Nachhaltige und moderne Energie
für alle – Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher,
nachhaltiger und zeitgemäßer
Energie für alle sichern“ stehen im Fokus
des Projektes.
Mitarbeiterengagement für Bildung
Von dem Engagement in Tansania sind
bei Weidmüller auch die Mitarbeiter
überzeugt und unterstützen das sozialgesellschaftliche
Projekt. Die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter haben dafür
die Möglichkeit, die Schulgebühr eines
Berufsschülers in Mbeya zu übernehmen
oder für Schulbücher zu spenden.
Die Beiträge der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter werden anschließend von
Weidmüller verdoppelt – um langfristig
Perspektiven zu schaffen mit erneuerbaren
Energien und der Investition in
Bildung und Elektrifizierung. „Ich bin
mir sicher, dass solche Projekte zukünftig
großen Einfluss auf die Transformation
der Gesellschaft nehmen werden und
den Leuten Zugang zu Energie ermöglichen
– für eine bessere, wirtschaftlichere
und umweltfreundlichere Entwicklung“,
verdeutlicht Niggemann.
globalcompact Deutschland 2017
103
104 globalcompact Deutschland 2017
GC INSIDE
EINBLICKE
in die Arbeit im Netzwerk
globalcompact Deutschland 2017
105
Die Grenzen
des Wachstums
Bericht von der Teilnehmerkonferenz 2017
Das Thema der Veranstaltung „Unternehmen 2030: Langfristige
Wettbewerbsfähigkeit sichern“ orientierte sich an den
Sustainable Development Goals (SDGs) und aktuellen Megatrends,
insbesondere dem Megatrend Planetary Boundaries
mit Schwerpunkt auf Klimawandel und Ressourcenknappheit.
Zusammenfassung: DGCN Geschäftsstelle
Graeme Maxton, Generalsekretär, Club of Rome, nahm sich in
seiner Keynote drei bedeutsamen Themen der Gegenwart und
Zukunft an: dem Klimawandel, dem Verhältnis von Konsum
gegenüber den Staatsausgaben und den Wirtschaftswachstums-
Projektionen. Maxton rief in alarmierendem Ton zu einem
zügigen Umdenken auf, um den Folgen des Klimawandels
entgegenzuwirken und so ökologischen und sozialen Katastrophen
vorbeugen zu können. So bedeute etwa für Bangladesch
der Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter, dass 30
Millionen Menschen zur Migration gezwungen wären. Auch
das Pariser Klimaabkommen genüge nicht, um das ehrgeizige
Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Es müsse innerhalb der nächsten
vier Jahre schon ein entscheidender Wandel in der Art, wie
produziert und wie konsumiert wird, eintreten, um nach dem
Jahr 2020 nicht schon bei einer globalen Erwärmung von 1,5°C
(gegenüber dem Niveau vor der Industrialisierung) zu stehen.
Für Unternehmen stelle sich die Aufgabe, entschieden weniger
Ressourcen zu verbrauchen, sukzessive dem „dirty business“
zu entsagen und sich zum Beispiel auch Initiativen wie dem
UNGC anzuschließen. Dann würden jenseits des sogenannten
Green Washings Wachstumschancen, z.B. bei nachhaltiger
Mobilität oder der Wärmedämmung von Häusern, bestehen.
Die Fragen an Maxton, etwa wie relevant die SDGs bei der
Bewältigung der anstehenden Aufgaben seien, beantwortete
dieser mit dem Hinweis, dass die Sensibilisierung aller Gesellschaftsschichten
ein entscheidender Schritt sei und die SDGs
dazu beitragen würden. Es bedürfe der Zusammenarbeit von
Politik und Wirtschaft sowie von rund einem Fünftel der
Menschen in den reichsten Staaten der Welt, die sich zum
nachhaltigen Wandel bekennen.
Lösungsweg Corporate Foresight?
Der Keynote von Graeme Maxton schloß sich eine Paneldiskussion
zum Thema Corporate Foresight an. Es diskutierten
Julia Jaspers von der Deutschen Bahn, Christoph Böhm von
SAP, Sascha Meinert vom Institut für prospektive Analysen
106 globalcompact Deutschland 2017
GC INSIDE
und Johannes Mahn von Evonik. Die Panelteilnehmer gaben
dabei einen Einblick in ihre Arbeit als Zukunftsforscher.
Die Zukunftsforschung sei von großer Bedeutung für die Umsetzung
der Agenda 2030, sagte Sascha Meinert. Nachhaltige
Geschäftsmodelle seien nicht von heute auf morgen umsetzbar,
doch anhand fundierter Zukunftsszenarien können Kontexte
geschaffen werden, die Akteure langfristig handlungsfähig machen.
Johannes Mahn sprach aus der Unternehmensperspektive
über die Relevanz der Zukunftsforschung für die Entwicklung
neuer und innovativer Geschäftsfelder. Es gelte, Zukunftswissen
auf Ideen für konkrete Produkte herunterzubrechen,
um so nachhaltige Wachstumschancen zu kreieren. Julia
Jaspers unterstrich, dass Zukunftsforschung und nachhaltige
Unternehmensführung Hand in Hand gehen. Es sei auch für
Unternehmen heutzutage darum bedeutsam, zuallererst eine
nachhaltige Strategie zu gestalten, um erfolgreich zu sein. Erst
im zweiten Schritt sei man dann beim „klassischen Business“.
Christoph Böhm eröffnete die Perspektive, dass zum Blick
in die Zukunft auch der Blick in die Vergangenheit gehöre.
So ließen sich Trends verstehen und die Wiederholung von
Fehlern vermeiden. Im Panel wurde außerdem die Wichtigkeit
hervorgehoben, nicht nur auf Risiken hinzuweisen, sondern
auch Zukunftschancen zu benennen. Letztlich gehe es um
die Frage, ob Nachhaltigkeit ein Hindernis oder eine Chance
darstelle. Vor allem die Digitalisierung biete vielfältige Möglichkeiten,
z.B. beim Thema Real-Time-Reporting.
globalcompact Deutschland 2017
107
Die Menschheit lebt über ihren Verhältnissen. Das ist bekannt.
Doch wie groß ist unser ökologischer Fußabdruck genau?
Und wo ist es schlimmer, wo wird es besser? Nur wer hier
die Fakten kennt, kann Maßnahmen sinnvoll steuern. Wir
sprachen anlässlich des „Earth Overshoot Day 2017“ mit
Mathis Wackernagel, Gründer und Vorsitzender des Global
Footprint Networks.
Hallo Herr Wackernagel, Sie haben in Ihrem Buch „Footprint“ den
ökologischen Fußabdruck der Welt neu vermessen. Was gibt es da Neues,
was wir nicht schon wissen (sollten)?
Mathis Wackernagel: Die Welt leidet an einer fundamentalen
Wissenslücke. Das ist nicht neu. Aber je länger wir warten,
diese Lücke zu füllen, desto enormer sind die wirtschaftlichen
Risiken. Zwar gibt es viele Meinungen zu diesem Thema,
aber die decken sich kaum: Auf der einen Seite ist es klar,
dass unsere Natur und damit auch die Atmosphäre begrenzt
ist. Aber auf der anderen Seite werden die Wirtschaftspolitik
108 globalcompact Deutschland 2017
GC INSIDE
und die Wirtschaftsstrategien so gelegt,
als wären Ressourcen oder Klima kein
wesentlicher Faktor. Wer hat Recht?
Wirkliches Wissen bedeutet Konsens.
Die Schweiz, wo ich aufgewachsen bin,
braucht, um ihren Konsum zu decken,
von der Natur viermal mehr als die
Schweizer Ökosysteme erneuern können.
Hat das wirtschaftliche Konsequenzen?
Einige sagen absolut – andere sehen
das als unbedeutend an. Da keine klare,
realistische, gemeinsame Antwort zu
haben ist, ist das höchst riskant. Denn
schnell kann weder die Schweiz noch ein
anderes Land seine Ressourcenabhängigkeit
neuen Gegebenheiten anpassen. Das
braucht Vorausblick. Unsere Footprint-
Buchhaltung liefert dazu quantitative
Einsichten. Zum Beispiel zeigen wir,
dass 71 Prozent der Weltbevölkerung
in Ländern leben, die ein ökologisches
Defizit haben (also mehr Footprint als
Biokapazität) und gleichzeitig weniger
als der Weltdurchschnitt verdienen. Das
bringt diese Menschen in eine schwierige
Lage, da sie sich finanziell nicht
einfach aus der Ressourcenknappheit
herauskaufen können.
Was besagt der ökologische Fußabdruck, und
was kann er nicht leisten?
Wackernagel: Er ist eine grobe Buchhaltung,
der die Wirtschaft auf der
Fläche abbildet, die notwendig ist, um
sie materiell zu versorgen. Also, wir
rechnen alle unsere Bedürfnisse nach
Natur zusammen, die um Fläche im
Wettbewerb stehen: Essen, Fasern, Holz,
CO 2-Absorption, Flächen für Städte. Das
gibt uns eine Abschätzung, wie viel wir
brauchen, im Vergleich dazu, was die
Natur erneuern kann. Innerhalb des
Budgets der Natur zu leben, ist eine
grundlegende, notwendige Bedingung
für die Nachhaltigkeit, aber nicht hinreichend.
Daher braucht es auch noch
andere Messinstrumente zur Qualität
der Naturnutzung und auch zur Qualität
des menschlichen Lebens. Dazu sagt der
Footprint nichts.
Ist das nicht einfach nur „ökologische Buchhaltung“?
Wir alle wissen doch, dass wir auf
„zu großem Fuß“ leben. Nur ändern tut sich
wenig, oder?
Wackernagel: Wie auch finanzielle
Buchhaltung: Sollten wir nicht genauer
wissen, wo der Schuh drückt? Wären Sie
mit einem Kontoauszug ihrer Bank zufrieden,
der nur sagt: Sie haben Schulden.
Wie viel zu groß ist unser Footprint? Wie
groß sollte er sein? Was sind die Konsequenzen
eines zu großen und eines zu
kleinen Footprints?
Bleiben wir beim Thema Bedarf und Verbrauch!
Sie stellen in Ihrem Buch kluge Fragen,
beispielsweise: Wie viel Biokapazität braucht
ein gutes Leben?
>>
Stichwort Erdüberlastungstag
Der sogenannte Erdüberlastungstag
wurde in 2017 bereits am 2.
August erreicht. An diesem Tag sind
die gesamten nachhaltig nutzbaren
Ressourcen der Erde für dieses Jahr
verbraucht, die der Weltbevölkerung
rechnerisch zur Verfügung stünden,
wenn sie nur so viel nutzen würde, wie
sich im selben Zeitraum regeneriert.
Der globale Erdüberlastungstag ist
im Vergleich zum Vorjahr erneut um
sechs Tage nach vorn gerückt, die
Überlastung nimmt also weiterhin zu.
Um den weltweiten Bedarf an
natürlichen Ressourcen wie Wälder,
Ackerland und Fischgründe zu decken,
bräuchte die Weltbevölkerung rechnerisch
1,7 Erden. Würden alle Länder
der Welt so wirtschaften wie Deutschland,
wären sogar 3,2 Planeten nötig.
Hierzulande tragen die CO 2-Emissionen
sowie der Verbrauch von Ackerland
und Waldflächen am meisten
zum enormen ökologischen Fußabdruck
bei.
Das Global Footprint Network berechnet
jedes Jahr den Tag, an dem
die Erdüberlastung erreicht ist (Earth
Overshoot Day). Dabei werden zwei
rechnerische Größen gegenübergestellt:
zum einen die biologische
Kapazität der Erde zum Aufbau von
Ressourcen sowie zur Aufnahme von
Müll und Emissionen, zum anderen
der Bedarf an Wäldern, Flächen, Wasser,
Ackerland und Lebewesen, den
die Menschen derzeit für ihre Lebensund
Wirtschaftsweise verbrauchen.
globalcompact Deutschland 2017
109
Wackernagel: Das ist die grundsätzliche Frage, die im Zentrum
der akademischen Forschung stehen sollte. Was wir zeigen
können ist, dass heute sehr wenige Länder auch nur nah an
beiden Nachhaltigkeitsbedingungen lebt: hohe Lebensqualität
und genügend kleiner Footprint. Wenn wir nur die Sustainable
Development Goals der UN verfolgen, so wie das Jeffrey
Sachs gemessen hat, dann sind die Länder, die den Zielen am
nächsten sind, solche, für die es drei Erden bräuchte, lebten
alle Menschen wie die.
Läuft die ganze Debatte um den ökologischen Fußabdruck nicht auf
Maßhalten, Einschränkung und damit auch „Bevormundung“ hinaus?
Wie Erfolg versprechend ist ein dirigistischer Ansatz?
Wackernagel: Dirigistische Ansätze sind zum Scheitern verurteilt.
Die physische Buchhaltung ist ebenso maßhalterisch
oder bevormundend wie eine finanzielle Buchhaltung. Unser
Instrument ist beschreibend. Es kann Risiko abschätzen. Damit
können wir informierte Entscheidungen treffen. Auch sagt
uns Lessing: Kein Mensch muss müssen. Aber wir leben mit
den Konsequenzen unserer Entscheidungen.
Der „Earth Overshoot Day“, also der Tag, an dem die Menschheit die
natürlichen Ressourcen eines ganzen Jahres erschöpft hat, lag vor zwanzig
Jahren noch Ende November, aber Jahr für Jahr rückt er weiter vor. Gibt
es eigentlich irgendwo auf der Welt Tendenzen, dass sich dieser Trend,
und sei es nur regional, umkehrt?
Wackernagel: Im Jahr 2017 liegt der Tag im August. Es gibt
noch einiges zu tun. Einige Länder sind aktiver. Deren größte
Anstrengungen richten sich auf den CO 2-Footprint. China will
den Trend umkehren und spricht von „Ecological Civilization.“
Deutschland setzt sich schon länger für die Energiewende ein.
Schottland will bis 2020 seinen CO 2-Footprint auf 58 Prozent
von 1990 herunterfahren und scheint das auch zu erreichen.
Die Welt hinkt weit hinterher.
Jorgen Randers, Autor der Neuauf lage der „Grenzen des Wachstums“,
sagte mir in einem Gespräch, dass er sich damit tröstet, dass die
schlimmsten Verluste im Bereich der Biodiversität heute bereits vollzogen
seien. Wie sehen Sie die Zukunft? Wie wird es weitergehen?
Wackernagel: Die Zukunft findet schon heute statt … Länder
mit niedrigem Einkommen und wenigen Ressourcen, besonders
noch bei wachsender Bevölkerung, sind schon heute unter
enormem Druck. Viele Leute dort sehen wenige Perspektiven,
ziehen weg – in Städte oder ins Ausland – und werden mit
schwierigsten Umständen konfrontiert. Daher muss Entwicklung
auf Ressourcensicherheit auf bauen. Sonst bauen
wir Kartenhäuser. Ohne unseren Ressourcenhunger radikal
und schnell umzulenken, werden wir nicht nur einiges an
Biodiversität verlieren, sondern auch schon für heute lebende
Generationen die Lebensgrundlagen enorm schwächen.
Wirtschaften mit der Natur und nicht gegen sie sehe ich als
einzigen Weg. Unsere Wirtschaftsstrategen sehen das aber,
implizit, diametral anders. Damit beschleunigen wir den unwirtschaftlichen
Raubbau. Das bedroht nicht nur Elefanten
und Nashörner. Ich bin kein Schwarzmaler. Ich weiß, dass
North North America America
5,814 5,814 bn bn
tonnes tonnes of CO 2
of CO 2
United United States States
5,300
Latin America Latin America
& Caribbean & Caribbean
1,624 1,624 bn bn
tonnes tonnes of CO 2
of CO 2
Mexico Mexico
446 446
Venezuela Venezuela
185 185
Brazil
367
Argentina
175
Canada Canada
514 514
Brazil
367
Argentina
175
Wirtschaften ohne Raubbau möglich ist. Schwarzmalen ist,
den Raubbau zu tolerieren oder gar voranzutreiben.
Dekarbonisierung der Industrie gilt für viele als einziger echter
Ausweg. Zugleich sehen wir, dass die Pariser Klimaabkommen von
vielen, nicht zuletzt der EU, eher verwässert als forciert werden.
Welche Rolle räumen Sie globalen Rahmenvereinbarungen ein?
Wackernagel: Paris ist ein Quantensprung. Universell zu akzeptieren,
dass 2 Grad die Obergrenze für Klimaerwärmung
sind, übersetzt sich in ein klares CO 2-Budget: weniger als
20 Jahre der heutigen Emissionen. Rechnen Sie selbst: 450
ppm CO 2e ist wahrscheinlich schon zu hoch für 2 Grad (nach
IPCC). Wir sind schon über 405 ppm CO 2 (und höher, wenn
wir die anderen Treibhausgase einrechnen). Wir erhöhen mit
heutigen Emissionen die CO 2-Konzentration um 2.1 ppm pro
Jahr. Wie viel CO 2-Budget da bleibt, kann jeder Primarschüler
ausrechnen – nämlich etwa 20 Jahre, maximal!
110 globalcompact Deutschland 2017
GC INSIDE
World
32,042 bn
tonnes of CO 2
United
Kingdom
475
Netherlands
170
Spain
288
France
363
Germany
734
Algeria
121
Poland
299
Belgium
104 Czech
Republic
108
Italy
401
Middle East &
North Africa
2,196 bn
tonnes of CO 2
Sub-Saharan
Africa
729 bn
tonnes of CO 2
Egypt
216
South Africa
499
Turkey
278
Saudi Arabia
433
Iraq
109
Ukraine
272
Europe &
Central Asia
6,428 bn
tonnes of CO 2
Iran
602
Pakistan
United Arab 161
Emirates
157
Russia
1,574 Kazakhstan
226
Uzbekistan
117
India
1,979
South Asia
2,215 bn
tonnes of CO 2
China
7,687
Thailand
272
Vietnam
142
Malaysia
198
Indonesia
452
Australia
400
Japan
1,101
South Korea
509
East Asia
& Pacific
11,304 bn
tonnes of CO 2
Wenn wir uns Paris verwässern lassen, dann nur, weil viele
zu faul sind, auch nur ein wenig zu rechnen. Ich sehe diese
Rechnung hier kaum vorgelegt. Kaum eine Umweltgruppe,
ein Umweltministerium, Wissenschaftler, Journalist rechnet
vor. Wir verstecken uns hinter dem abstrakten „2 Grad“,
statt das Ziel in CO 2 zu übersetzen. Ohne Rechnung lässt
sich kaum Druck machen, um auch jeder und jedem klar zu
machen, dass unsere Politik klimainkompatibel ist. Und wir
sollten auch zeigen, dass Klimakompatibilität nicht netto
kostet, sondern die viel bessere Option ist. Aus direktem
Eigeninteresse. Denn eine Wirtschaft, die sich nicht auf Ressourcenknappheit
und Klimaveränderung vorbereitet, wird
es viel schwerer haben: „There is no business case in waiting.“
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Dr. Elmer Lenzen
Quelle: Global Compact International Yearbook 2013,
Worldbank, Data status 2009
ZUR PERSON
Mathis Wackernagel ist ein Schweizer
Vordenker im Bereich Nachhaltigkeit.
Er ist Präsident der Organisation
Global Footprint Network, einer
internationalen Forschungsgruppe
in Oakland.
globalcompact Deutschland 2017
111
„You are your future“
Verleihung des 4. Internationalen TÜV Rheinland Global Compact Awards an Dr. Auma Obama
Mit dem Internationalen TÜV Rheinland Global Compact Award
ehrt die gemeinnützige TÜV Rheinland Stiftung herausragende
Persönlichkeiten, die sich in besonderer Weise für die Ziele
des Global Compact einsetzen. In diesem Jahr zeichnete die
Stiftung Dr. Auma Obama für ihr konsequentes Engagement
für eine nachhaltige Entwicklungsarbeit aus.
Um eine nachhaltige Entwicklung in Gesellschaft und Wirtschaft
weltweit zu fördern, unterstützt TÜV Rheinland seit 2006
den Global Compact der Vereinten Nationen. Seit 2008 verleiht
die TÜV Rheinland Stiftung den Internationalen TÜV Rheinland
Global Compact Award im Rhythmus von drei Jahren. Dabei
spiegelt die Auswahl der Preisträger bewusst die Bandbreite
der Prinzipien des Global Compact wider: 2008 wurde der
ehemalige Bundesforschungsminister Dr. Volker Hauff dafür
geehrt, den Nachhaltigkeitsgedanken voranzutreiben und in
der Politik zu verankern. 2011 erhielt der Unternehmer Dr.
Michael Otto die mit 25.000 Euro dotierte Auszeichnung für
sein Engagement für soziale und ökologische Themen über
Unternehmensgrenzen hinweg. 2014 nahm Prof. Dr. Edda
Müller, Vorsitzende von Transparency International Deutschland,
die Auszeichnung entgegen – für ihren Einsatz gegen
Korruption, unethisches Verhalten und für den Umweltschutz.
In diesem Jahr wurde Dr. Auma Obama für ihren Einsatz für
die Zukunft von Kindern und Jugendlichen in Kenia gewürdigt.
Mit ihrer Stiftung „Sauti Kuu“ – „Starke Stimmen“ – zeigt sie
Kindern und Jugendlichen Chancen in den Bereichen Bildung,
Ökonomie und Kultur auf und verhilft ihnen zu einer selbstbestimmten,
selbstverantwortlichen Zukunft. Dr. Auma Obama
wurde in Kenia geboren und studierte und promovierte in
Heidelberg, Berlin und Bayreuth. Die Schwester des ehemaligen
US-Präsidenten Barack Obama arbeitete nach ihrer Rückkehr
nach Kenia für die Hilfsorganisation Care. Sie ist Mitglied des
Weltzukunftsrates (World Future Council) und setzt sich mit
ihrer Stiftung sowie als weltweit gefragte Rednerin für eine
nachhaltige Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft ein.
Die Verleihung des Preises fand am 10. Oktober 2017 im
Historischen Rathaus zu Köln vor rund 400 geladenen Gästen
statt. Die Preisträgerin Dr. Auma Obama bedankte sich für den
Award mit den Worten: „Es ist für mich eine große Ehre, diese
Auszeichnung zu erhalten. Zeigt sie doch auch, dass meine
Arbeit, die meines Teams der Sauti Kuu Foundation und der
vielen Menschen vor Ort wichtig ist, wahrgenommen wird
und etwas ändern kann. So hoffe ich, dass sich noch viel mehr
Menschen engagieren. Wir müssen da ansetzen, wo wirklich
Veränderung für die Zukunft stattfindet: bei den Kindern
und Jugendlichen, bei ihrer Bildung und Ausbildung. Wir
machen ihnen klar: You are your future. Und wir stärken ihr
Selbstbewusstsein ganz praktisch, direkt bei ihnen vor Ort,
mit ihren Familien.”
112 globalcompact Deutschland 2017
GC INSIDE
Nachhaltigkeit in unsicheren Zeiten:
Global Compact
International Yearbook 2017
Wir leben in Zeiten der Unsicherheit und globaler (Un)Ordnung.
„Das Verständnis von globalen Trends ist essenziell. Wir leben
in Zeiten der vielfachen und sich gegenseitig verstärkenden
Veränderungen“, so UN-Generalsekretär Antonio Guterres.
„Durch diese geopolitischen, demografischen, klimatischen,
technischen, sozialen und ökonomischen Kräfte steigen sowohl
die Bedrohungen als auch die Möglichkeiten ins Unermessliche.“
Nachhaltigkeit in unsicheren Zeiten steht daher im Mittelpunkt
des Global Compact International Yearbook 2017.
In der Einführung wirft Dr. Elmer Lenzen, Herausgeber des
Global Compact International Yearbook, einen kritischen Blick
auf die Beziehung zwischen Demokratie und Globalisierung.
Jahrzehntelang galt das Zusammenspiel dieser Faktoren als
Erfolgsformel, jetzt durchleben beide Bereiche eine kritische
Phase. UN Global Compact Gründungsdirektor Georg Kell und
Princeton-Professor Larry Diamond, beides hoch angesehene
Experten auf diesem Gebiet, beschreiben einige Gründe für
dieses Phänomen in einem ausführlichen Interview. Eine
der Erklärungen ist, dass die heutige Welt in immer kleinere
Teile zersplittert. Wie kann Nachhaltigkeit in solchen Zeiten
funktionieren? Es könne gelingen, wenn wir die Vorzüge der
Zukunft nutzen, um uns auf die Bedürfnisse der Gegenwart zu
fokussieren, ohne dabei die Möglichkeiten der Zukunft einzuschränken,
argumentiert Richard Roberts in einem Gastbeitrag.
In kritischen Zeiten das Richtige zu tun, ist aber auch immer
eine Frage der Einstellung. Der Unternehmer Richard Branson
und die Schauspieler Colin Firth und Marion Cotillard zeigen
jeweils auf ihre eigene Weise, dass Nachhaltigkeit immer auch
Authentizität bedeutet.
Weitere Themen der Jahrbuchausgabe sind:
Nach dem Klimaabkommen von Paris: Was nun?
Das Klimaabkommen von Paris war einer der größten diplomatischen
Errungenschaften der Vereinten Nationen in den
vergangenen Jahren. Es steht für die Vision des Multilateralismus
und die Fähigkeit der globalen Gemeinschaft, sich
ambitionierte Ziele zu setzen. Die Richtung, die die neue
Trump-Administration einschlägt, ist daher irritierend, vor allem
weil es keinen Ausweg aus der Situation gibt. Das derzeitige
Momentum muss aufrechterhalten werden, mahnt deshalb der
CDP-Vorsitzende Paul Simpson in seinem Beitrag. Viele neue
Trends bei der Finanzierung des Klimawandels unterstützen
diese These. Die fossile Industrie verliert demnach an Boden, weil
die erneuerbaren Energien längst wettbewerbsfähig geworden
sind und aufschließen. Dass Unternehmen davon profitieren
können, zeigt unter anderem die neue Science Based Targets
Initiative des Global Compact.
Das Plastik-Versprechen
Die weltweite Verschmutzung durch Plastik erdrückt unseren
Planeten: Bis zu 12,7 Millionen Tonnen Plastik landen jedes
Jahr in den Weltmeeren und bedrohen wertvolle Ökosysteme
und gefährden die menschliche Gesundheit. Aber so muss es
nicht bleiben: Immer mehr Firmen versprechen, ihren Plastikkonsum
zu reduzieren.
Die Sustainable Development Goals in Japan
Ein wichtiger Aspekt der Sustainable Development Goals (SDGs)
ist es, dass niemand zurückgelassen wird. Die Kooperation von
Regierungen und dem privaten Sektor über die Grenzen der
Nationalstaaten ist hierfür unerlässlich. Durch seine Führungsrolle
auf dem Gebiet der technologischen Innovation – eine der
wichtigsten Antriebskräfte der SDGs – hat Japan das Potenzial,
auch beim Erreichen dieses gemeinsamen Zieles voranzugehen.
Mithilfe eines Berichts des japanischen Wirtschaftsministers
sowie des Columbia-University-Professors Jeffrey D. Sachs und
einer gemeinsamen Studie von IGES und des Global Compact
Netzwerkes Japan versucht dieses Jahrbuch erstmalig, einen
Überblick über die wichtigsten Akteure innerhalb Japans zu
schaffen und wirft einen Blick auf die länderübergreifende
Zusammenarbeit, die notwendig ist, um den Staat in diese
Rolle hineinwachsen zu lassen.
37 Best Practice Beispiele
Um das gegenseitige Lernen zu fördern, beinhaltet das Global
Compact International Yearbook 37 bewährte Praktiken von
Teilnehmern, die auf unterschiedliche Art und Weise an die
Umsetzung der zehn Global Compact Prinzipien und der Sustainable
Development Goals (SDGs) herangehen.
The Global Compact International Yearbook 2017; Münster/
New York 2017: 172 pages, paperback; macondo publishing/
UN Publications; Subscription: 30.00 USD;
ISBN 13: 978-3-946284-03-1; ISSN-Print: 2365-3396;
ISSN-Internet: 2365-340x
globalcompact Deutschland 2017
113
Ende der
Freiwilligkeit?
Global Compact stellt Teilnahmeoptionen um
Der United Nations Global Compact ist die weltweit größte und
wichtigste Initiative für verantwortungsvolle Unternehmensführung.
Seit ihrer Gründung 2000 sind über 9.700 Unternehmen
dem Pakt beigetreten. Vor einigen Jahren hatte der damalige
UN-Generalsekretär Kofi Annan die ambitionierte Größe von
20.000 Mitgliedsfirmen bis 2020 ausgegeben. Dass es bisher
nicht dazu gekommen ist, liegt unter anderem auch daran,
dass der Global Compact eine verpflichtende jährliche Berichterstattung
eingeführt hat. Der Transparenz und Redlichkeit
der verbliebenen Firmen hat das sicher nicht geschadet, aber
das Mitgliedswachstum sicherlich abgebremst.
Für 2018 hat die neue Exekutivdirektorin des UN Global
Compact, Lise Kingo, eine weitere, gravierende Änderung angekündigt:
Wer als Unternehmen künftig weiterhin Mitglied mit
vollem Leistungsumfang bleiben möchte (Participant-Status),
muss einen jährlichen Pflichtbeitrag entrichten. Die Gebühren
reichen von 1.250 US Dollar für KMUs bis zu 20.000 US
Dollar für Großkonzerne. Die Beteiligung an den sogenannten
Action-Plattforms kostet noch einmal separat, und wer daran
teilnehmen darf, entscheidet die Zentrale in New York nach
eigenem Ermessen.
Für alle anderen gibt es eine „Light-Version“, die sich „Signatory-Status“
nennt und kostenlos ist. Eine gute Nachricht
kommt immerhin vom hiesigen Netzwerk: Alle deutschen
Unternehmen im UN Global Compact bleiben automatisch
Teilnehmer des Deutschen Global Compact Netzwerkes
(DGCN) und können unabhängig vom finanziellen Beitrag
somit weiterhin im vollen Umfang von nationalen Lern- und
Dialogformaten, Informationsangeboten und Vernetzungsmöglichkeiten
profitieren.
Hier noch einmal die beiden Optionen in der Übersicht:
• Vollmitgliedschaft als „Participant“: Unternehmen dieser
Kategorie erhalten Zugang zum vollen Umfang an Leistungen,
Plattformen und Veranstaltungen des Global Compact
und werden zu einem verpflichtenden finanziellen Beitrag
aufgefordert, der sich an der Höhe des Umsatzes orientiert.
• Basisoption „Signatory“: Teilnehmer in dieser Kategorie
erhalten Zugang zu einem Basisangebot an Ressourcen und
Materialien des Global Compact. Unternehmen mit einem
Umsatz von über USD 50 Millionen werden aufgefordert,
einen finanziellen Beitrag zu leisten, während es kleineren
Unternehmen weiterhin freigestellt sein wird, eine Spende
zu leisten.
Die mit den Teilnahmeoptionen verbundenen Leistungen
und finanziellen Beiträge werden in nachfolgender Tabelle
beschrieben:
114 globalcompact Deutschland 2017
GC INSIDE
Teilnahmeoptionen und Leistungen im Überblick
Ihr Mehrwert im Global Compact PARTICIPANT SIGNATORY
Zugang zu lokalen Netzwerken des Global Compact in mehr als 70 Ländern
(Für Unterzeichner mit einem Umsatz unter USD 50 Millionen und Tochtergesellschaften
wird keine Gebühr fällig.)
KOMMUNIZIEREN SIE IHR ENGAGEMENT
x
x
Digitales Profil
Unternehmensprofil auf der UN Global Compact Website,
einschließlich des jährlichen Berichts über den Unternehmensfortschritt
(Communication on Progress – COP)
x
x
Erweitertes Unternehmensprofil auf der
UN Global Compact Website
x
Sichtbarkeit &
Anerkennung
Länderspezifische Möglichkeiten der Sichtbarkeit bei
Veranstaltungen, in den Sozialen Medien und als SDG Pionier x x
Globale Möglichkeiten bei der Sichtbarkeit und Teilnahme
an Veranstaltungen, in den Sozialen Medien, einschließlich
Kernveranstaltungen: UN Global Compact Leaders Summit
und Making Global Goals Local Business
x
Logo &
Media Toolkit
Tools für die Kommunikation des unternehmerischen
Engagements im UN Global Compact
Logo + Toolkit
Logo
EINFACHE TOOLS & HILFSMITTEL
Support
Themen der Nachhaltigkeit:
Inhalte und
Lernmöglichkeiten
UN Global Compact
Navigator
Zugang zur UN Global Compact Beratungsstelle:
Anleitung und Unterstützung x x
Zugang zur erstklassigen UN Global Compact Digitalbibliothek
mit Inhalten und Materialen zum Thema Nachhaltigkeit x x
Zugang zu begleitetem Lernen und Coaching durch
die UN Global Compact Academy
Eigenbewertung & Benchmarking x x
Angepasster Fahrplan & Content Curation (Zusammentragen,
Aufbereiten und Veröffentlichen von Inhalten)
x
x
GLOBALES ENGAGEMENT & PARTNERSCHAFTEN
Partnerschaften
Zugang zu UN-Business Partnerschaftsunterstützung
und Beratungsdiensten x x
Globale
Veranstaltungen und
Versammlungen
Global Leadership
Programmes
Einladungen zu UN Global Compact Gipfelveranstaltungen,
globalen zielorientierten Versammlungen und
UN-Rahmenveranstaltungen
Möglichkeit, sich den UN Global Compact Aktionsplattformen
anzuschließen (zusätzliches finanzielles Engagement)
Teilnahmeberechtigung für eine Global Compact LEAD
Anerkennung (für Unternehmen, die an zwei oder mehr
Aktionsplattformen teilnehmen)
x
x
x
Zusammenstellung: Dr. Elmer Lenzen mit Datenmaterial der DGCN-Geschäftsstelle
globalcompact Deutschland 2017
115
AKTIONS-
PLATT-
FORMEN
Seit 2017 bietet der UN Global Compact eine neue Palette an
Aktionsplattformen an, um Business-Aktivitäten in Bezug
auf die Zehn Prinzipien und die SDGs voranzutreiben. Die in
Abstimmung mit LEAD-Unternehmen, lokalen Netzwerken,
UN-Einrichtungen und anderen relevanten Partnern entwickelten
Aktionsplattformen füllen neu aufkommende Lücken
bei der Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele. Sie
eignen sich für bis zu vierzig Unternehmen gleichzeitig und
erfordern eine Teilnahmegebühr.
THE BLUEPRINT FOR
SDG LEADERSHIP
SDG LEADERSHIP THROUGH
REPORTING
Der Blueprint wird die grundlegende Verantwortlichkeit
und bewährte Praktiken der strategischen Unternehmensführung
zu allen 17 SDGs darstellen und bereits
bestehende Standards und Führungspraktiken vertiefen.
Dadurch werden erstrebenswerte Rahmenbedingungen
geschaffen, die für Unternehmen als Maßstab für ihre
eigenen Strategien und Ziele bezüglich der SDGs dienen
können. Entwickelt wird die Plattform gemeinsam mit
Teilnehmern des LEAD-Programms, UN-Partnern, Experten
auf den jeweiligen Gebieten, Stakeholdern aus der
Zivilgesellschaft und lokalen Netzwerken.
Gemeinsam mit der Global Reporting Initiative (GRI)
will der Global Compact daran arbeiten, eine umfassende
Offenlegung von SDG-Indikatoren künftig in die
bestehenden Berichtsformate der Unternehmen einzubringen.
Dabei wird es auch darum gehen, konsolidierte
Wirtschaftskennzahlen zu entwickeln, die eindeutig
auf die nachhaltigen Entwicklungsziele einzahlen und
als SDG-Indikatoren für die Entscheidungsfindung von
Investoren von Relevanz sind und zu denen auch kleine
und mittelständische Unternehmen einen Zugang
haben.
BREAKTHROUGH INNOVATION
FOR THE SDGs
Das Projekt „Breakthrough“ – entstanden in Partnerschaft
mit Volans, PA Consulting, der DO School und
der Singularity University – bringt Unternehmen mit
einigen der führenden Wegbereitern und exponentiellen
Denkern der Welt zusammen. Die Teilnehmer
lernen revolutionäre Technologien wie künstliche
Intelligenz, Big Data und Blockchain näher kennen und
entdecken deren Potenzial für nachhaltige und zirkuläre
Geschäftsmodelle der Zukunft.
116 globalcompact Deutschland 2017
GC INSIDE
FINANCIAL INNOVATION FOR
THE SDGs
PATHWAYS TO LOW-CARBON &
RESILIENT DEVELOPMENT
In Kooperation mit der UNEP Finance Initiative (UNEP FI)
und PRI (Principles for Responsible Investment) wird diese
Plattform innovative finanzielle Methoden identifizieren,
die das Potenzial haben, private Kapitalgeber zu Lösungen
zur Nachhaltigkeit einzubinden. Die Plattform will daher
als Anleitung für Investment-Strategien fungieren, die eine
nachhaltige Entwicklung fördern. Außerdem soll sie auf
aktuelle und neu entstehende Finanzinstrumente hinweisen
und als Labor für die Entwicklung innovativer Finanz-
Instrumente dienen.
Aufgebaut auf die Erfahrungen aus zehn Jahren „Caring
for Climate“ soll diese Plattform dabei helfen, Unternehmensführungen
dazu anzutreiben, das Abkommen
von Paris und zugehörige SDGs auf der Länderebene
umzusetzen. Ziel ist es, Raum für zahlreiche Stakeholder
bieten, um so den Unternehmensbeitrag zur Umsetzung
nationaler Klimaziele und der SDGs in sieben bis
zehn Ländern zu unterstützen. Außerdem analysieren
die Plattformpartner die Lücken, Synergien und Trade-
Offs sowohl für Unternehmen als auch für politische
Entscheidungsträger.
Weitere Aktionsplattformen, die in Kürze starten:
HEALTH IS EVERYONE‘S BUSINESS
BUSINESS FOR INCLUSION
Diese Aktionsplattform wird Unternehmen und
Vertreter der Zivilgesellschaft zusammenbringen, um
eine Kultur der Gesundheit zu schaffen, die vor allem
junge Leute anspricht und den 2,2 Milliarden Kindern
der Welt einen guten und gesunden Start ins Leben zu
ermöglichen.
Die Aktionsplattform wird erforschen, wie Unternehmen
eine Brücke zwischen Menschen und Gemeinschaften
bauen können und Kulturen des Verstehens,
des Respekts und der Kooperation durch Diversität
und Inklusion fördern.
BUSINESS ACTION FOR
HUMANITARIAN NEEDS
DECENT WORK IN GLOBAL
SUPPLY CHAINS
Es werden Problemlösungen zu den Themen Bildung,
Beschäftigung und menschliche Bedürfnisse identifiziert,
um sicherzustellen, dass verletzliche Flüchtlinge
und Migranten mit Würde behandelt werden und eine
Chance erhalten.
Diese Aktionsplattform wird erforschen, was angemessene
Arbeitsbedingungen für Unternehmen, ihre
Lieferketten und die Gemeinschaften bedeuten, in denen
sie agieren – um dabei zu helfen, nötige Schritte
zu identifizieren und aufzuzeigen, wie sie in der Praxis
umgesetzt werden können.
globalcompact Deutschland 2017
117
AGENDA
118 globalcompact Deutschland 2017
KINDERRECHTE
Kinderrechte
in einer globalen
Wirtschaft
Die Missachtung von Kinderrechten darf kein
Wettbewerbsvorteil sein, sondern ihre Umsetzung
muss positive Größe bei Unternehmensentscheidungen
und Teil von verbindlichen
Compliance-Regeln werden. In diesem Sinne
hat UNICEF in Zusammenarbeit mit dem
Global Compact und Save the Children bereits
im Jahr 2012 Grundsätze zum Schutz und zur
Förderung von Kinderrechten im Rahmen von
unternehmerischem Handeln entwickelt. Die
neue Studie „Kinderrechte in deutschen
Unternehmensaktivitäten“ vom Deutschen
Global Compact Netzwerk (DGCN), UNICEF
Deutschland und dem Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (BMZ) belegt empirisch, in
welchem Maße Kinderrechte in deutschen
Unternehmensaktivitäten bereits verankert
sind. Das deutsche Global Compact Jahrbuch
stellt die wichtigsten Ergebnisse vor.
globalcompact Deutschland 2017
119
AGENDA
Kinderunrecht in Zahlen
Rund 1,1
Milliarden Kindern
auf der Erde fehlen bis heute grundlegende Mittel
für Überleben und Entwicklung wie ausreichende
Nahrung, sauberes Wasser, medizinische Hilfe, eine
gute Schulbildung und ein Dach über dem Kopf.
Naturkatastrophen in Folge des Klimawandels
bedrohen immer mehr Kinder – insbesondere in
Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Zahl der