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2014_Jahresbericht

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EIN PLÄDOYER<br />

FÜR DEN SOZIALEN<br />

FRIEDEN<br />

MIRJAM SCHLUP, DIREKTORIN<br />

SOZIALE DIENSTE STADT ZÜRICH<br />

Wer heute die Sozialhilfe kritisiert, denkt längst<br />

nicht mehr nur an den BMW-fahrenden Sozialbetrüger.<br />

Immer häufiger wird die soziale Hilfe<br />

für Menschen in Notsituationen grundsätzlich<br />

hinterfragt. Die Argumente variieren, die Skepsis<br />

wächst. Es ist richtig, diese Diskussion zu<br />

führen, im Wissen darum, dass die Sozialhilfe<br />

ein Grundpfeiler unseres Gesellschaftssystems<br />

ist, der massgeblich dazu beiträgt, dass wir in<br />

der Schweiz von den Vorteilen eines liberalen<br />

Wirtschaftssystems profitieren können und die<br />

Schweiz als sicher gilt.<br />

Das Netz an sozialen Leistungen, wie wir es<br />

in der Schweiz kennen, ist eine Errungenschaft,<br />

die über viele Jahre Schritt für Schritt<br />

aufgebaut und entwickelt wurde. Die Sozialhilfe<br />

fungiert darin als letztes Auffangnetz<br />

nach einer Reihe von Versicherungen. Diese<br />

unterstützen Menschen, die aus dem Berufsleben<br />

ausscheiden, krank werden, den Job<br />

verlieren oder in eine andere Notlage geraten.<br />

Sozialhilfe funktioniert nach dem Prinzip<br />

der Subsidiarität. Sie wird dann gewährt,<br />

wenn alle anderen Möglichkeiten nicht<br />

(mehr) oder noch nicht greifen. Die Sozialhilfe<br />

bietet uns in der Schweiz die Sicherheit,<br />

dass wir nicht durch alle Maschen fallen –<br />

egal, wie hart uns das Schicksal mitspielt.<br />

Diese Sicherheit ist es denn auch, die es unserem<br />

Land erlaubt, sich ein liberales Wirtschaftssystem<br />

zu leisten. Denn von der Sozialhilfe<br />

profitieren nicht nur Direktbetroffene,<br />

sondern die ganze Gesellschaft. Bestünde<br />

nicht die Sicherheit, dass Menschen, die aus<br />

verschiedenen Gründen aus dem Arbeitsmarkt<br />

ausscheiden, über die Taggeldversicherung<br />

hinaus Hilfe erhalten, gäbe es für die<br />

heu tige Flexibilität unseres Arbeitsmarkts<br />

kaum mehr die nötige Akzeptanz. Es gäbe<br />

wohl – ähnlich wie in unseren Nachbarländern<br />

– einen rigideren Kündigungsschutz und<br />

staatlich geregelte Mindestlöhne. Heute kann<br />

unsere Wirtschaft auf Konjunkturschwankungen<br />

flexibel reagieren, was zum Erfolg der<br />

Schweiz massgeblich beiträgt. Der soziale<br />

Frie den und das sichere soziale Netz sind<br />

wichtige Trümpfe unseres Wirtschaftssystems.<br />

Negativspirale für die ganze Gesellschaft<br />

Nun mehren sich aber Stimmen, die die<br />

So zialhilfe kürzen wollen. Überlebenshilfe in<br />

Notsituationen ja, aber die Beiträge in der<br />

Sozialhilfe seien zu grosszügig bemessen.<br />

Solchen Voten ist entgegenzuhalten, dass die<br />

Sozialhilfekosten, gemessen an den Gesamtkosten<br />

der sozialen Sicherheit in der Schweiz,<br />

lediglich knapp zwei Prozent ausmachen.<br />

Oder anders gesagt: Mehr als 98 Prozent des<br />

Sozialstaates besteht nicht aus Sozialhilfe.<br />

Was die Höhe der Leistungen betrifft, so soll<br />

man den Begriff selber als Massstab nehmen:<br />

Sozialhilfe ist eben gerade mehr als blosse<br />

Überlebenshilfe. Sie enthält den Faktor «sozial»<br />

respektive «gesellschaftlich». Menschen,<br />

die in eine Notsituation geraten, erhalten in<br />

der Schweiz nicht nur finanzielle Unterstützung,<br />

die Sozialhilfe hat auch den Auftrag<br />

sicherzustellen, dass sich Betroffene weiterhin<br />

angemessen am gesellschaftlichen Leben<br />

beteiligen können. Und zwar mit dem klaren<br />

Ziel, dass sie den Anschluss an die Gesellschaft<br />

und den Arbeitsmarkt nicht verlieren.<br />

Wer sich vollkommen abnabeln muss, hat es<br />

schwerer, je wieder auf eigenen Beinen zu<br />

stehen.<br />

Doch genau in diesem Punkt setzt die aktuelle<br />

Diskussion an: Ist es richtig, dass eine<br />

Sozialhilfebezügerin in einem Bistro einen<br />

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