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Neue Szene Augsburg 2018-02

Stadtmagazin für Augsburg

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31<br />

Ist die Schauspielbranche ein Dschungel voller Sexisten?<br />

Das fände ich jetzt zu zugespitzt. Die Schauspielbranche, also Theater<br />

und Film und damit auch der ganze Bereich drumherum mit Agenturen<br />

und Produktionsfirmen, ist wahrscheinlich schon extremer als zum Beispiel<br />

das Klempnergewerbe, aber das liegt auch irgendwo in der Natur der Sache.<br />

Was ist die Natur der Sache?<br />

Das heißt, dass man es sehr oft mit extremen Persönlichkeiten zu tun<br />

hat, die in einem Metier arbeiten, das emotional, von der Hierarchie und<br />

inhaltlich sehr intensiv ist. Schauspieler arbeiten meist sehr kurze Zeit, sehr<br />

intensiv mit eigentlich fremden Menschen zusammen. Dann kommt noch<br />

dazu, dass es in der Branche ein krasses Machtgefälle gibt.<br />

Wie sieht dieses Machtgefälle aus?<br />

Also es ist ja bekannt, dass es nur sehr wenige Schauspieler gibt, die wirklich<br />

gut von ihrer Arbeit leben können. Dieses Glamouröse ist ja eine Inszenierung,<br />

die mit den Arbeitsbedingungen von 99 Prozent der Schauspieler<br />

nichts zu tun hat. Du hast also unglaublich viele Schauspieler, die sich von<br />

Engagement zu Engagement oder von Film zu Film hangeln und irre Konkurrenz<br />

haben. Auf der Gegenseite, also bei Regisseuren und Produzenten,<br />

steht dagegen eine Riesenmacht. Die bestimmen, wer eine Rolle bekommt,<br />

wer eine Hauptrolle bekommt, wer überhaupt eine Chance bekommt und<br />

die müssen sich ja nicht rechtfertigen. Wenn ein Regisseur Schauspielerin A<br />

statt Schauspielerin B, C, D, E, F, G oder H nimmt, dann ist das ja nicht so,<br />

dass das eine objektiv total schwachsinnige Entscheidung ist, weil A stottert,<br />

aber Riesentitten hat. Sorry, wenn ich das so sage.<br />

Und diese Macht der Entscheider, wird die wirklich auf der Besetzungscouch<br />

ausgeübt?<br />

So klischeehaft läuft das nicht, zumindest habe ich das nicht so erlebt,<br />

das hängt ja auch immer davon ab, wie sich der Entscheider selbst sieht. Also,<br />

dass da einer mit Bademantel und Sonnenbrille in der Hotelsuite auf mich<br />

wartet (lacht)... da würden sich viele Regisseure sicher lächerlich vorkommen,<br />

das läuft schon subtiler, zumindest bei der jüngeren Generation. Soll<br />

ich ein Beispiel sagen?<br />

Bitte.<br />

Also, Casting, die Entscheider sitzen zusammen, eine junge Schauspielerin<br />

spricht vor, alles super, sie ist wirklich gut, die Entscheider beraten und<br />

sagen: Ja, sie ist gut, aber winzige Titten, geht nicht. Punkt!<br />

Das klingt jetzt nicht sehr subtil.<br />

Stimmt, aber zur sachlichen Verteidigung wird dann gesagt, und das<br />

ist auch wieder nicht total abwegig, dass im Film oder auch im Theater<br />

die Attraktivität eben eine sehr große Rolle spielt. Bei Frauen mehr als bei<br />

Männern, aber auch bei denen immer mehr. Schauspielerei ist ein sehr körperlicher<br />

Beruf mit sehr vielen sehr attraktiven und auch charismatischen<br />

Menschen.<br />

Das klingt, als wäre es zwangsläufig so, dass...<br />

dass es zu sexuellem Missbrauch kommt?<br />

Eher, dass es in dieser verschworenen, intensiven Branche mit viel<br />

Macht, viel Schönheit und viel finanzieller Not zumindest zu einer<br />

gefährlichen Mischung kommt.<br />

Ja, schon.<br />

Wurde Dir denn schon einmal gesagt: Rolle nur gegen Sex?<br />

Nein, aber wie gesagt, das läuft ja nicht so plump. Monster wie Weinstein<br />

sind ja die Ausnahme, was nicht heißt, dass die anderen besser sind, nur weil<br />

sie vorsichtiger vorgehen. Man trifft sich ja ständig, es gibt Feste und Premieren<br />

und jeder weiß, wer was zu bieten hat. Also wenn ich dann am Tisch mit<br />

einem Regisseur sitze, der einen Film vorbereitet und er flirtet mit mir und<br />

ich suche gerade eine Rolle, ja dann muss ich kein Psychoanalytiker sein, um<br />

zu verstehen, dass da jetzt eine Erwartung entstehen kann. Es kann sein, dass,<br />

wenn ich mit ihm flirte und vielleicht mehr draus wird, dass er mir dann eine<br />

Rolle gibt, muss aber nicht sein. Wenn ich nicht mit ihm flirte, kann es aber<br />

natürlich auch sein, dass ich trotzdem eine Rolle kriege, oder eben nicht, klar.<br />

Wenn der Regisseur aber einen gewissen Ruf hat, und das weiß man in der<br />

Branche ja, und er die Macht mag, und die meisten Regisseure mögen Macht<br />

ganz gerne, dann kommt es ein bisschen auf meinen Charakter an.<br />

Es kommt darauf an, ob Du dich für die Rolle sozusagen verkaufst.<br />

Das ist jetzt sehr dramatisch formuliert. Ich habe das noch nicht gemacht,<br />

auch weil ich glaube, dass es nicht den einen Regisseur geben wird, von dem<br />

abhängt, ob ich jetzt die große Karriere mache oder nicht. Aber mal ehrlich,<br />

das ist doch in fast allen Branchen so, oder?<br />

Was genau?<br />

Dass wir alle irgendwie kleine Politiker und Strategen in eigener Sache<br />

sind, die alles Mögliche machen, um Erfolg zu haben. Aus der Not heraus<br />

natürlich! Wie viele Kellnerinnen werden von ihren Chefs geknallt? Wie<br />

viele Verkäuferinnen müssen sich sexistisch dumm von ihren Vorgesetzten<br />

anquatschen lassen, weil sie wissen, dass er am längeren Hebel sitzt. Und wie<br />

es erst im Modebereich zugeht, da werden blutjunge Models zu Edelprostituierten<br />

für reiche Kunden in Asien und den Golfstaaten gemacht.<br />

Es ist eine Machtfrage.<br />

Es ist eine totale Machtfrage und schon auch eine Mann-Frau-Frage.<br />

Aber vor allem geht es um Macht. Es gibt jemanden, der dringend einen Job<br />

braucht und es gibt jemanden, der diesen Job geben kann oder eben nicht,<br />

dann kriegt ihn eben einer von den hundert Anderen, die in der Schlange<br />

stehen. Ich würde sogar sagen, dass die ganze Sache eher eine Frage der Ausbeutung<br />

ist. Du hast den armen Teufel und den Mächtigen, der das hat, was<br />

der arme Teufel dringend braucht und der arme Teufel muss machen, was<br />

der Mächtige will. Ich glaube ich werde noch zur Marxistin (lacht).<br />

Wobei auch berühmte Schauspielerinnen Opfer von Weinstein wurden,<br />

das sind in dem Sinn keine armen Teufel.<br />

Nicht in dem Sinn, dass die nicht wissen, ob sie in zwei Monaten die Miete<br />

bezahlen können. Aber lass Dich nicht von dem Titel „berühmt“ täuschen. Die<br />

Frauen, die Weinstein missbraucht hat, waren zu dem Zeitpunkt oft noch gar<br />

nicht so berühmt und er war einer der ganz Mächtigen in der Branche, da war<br />

also schon ein krasses Machtgefälle. Und das ist das Miese, dass all der Scheiß<br />

nur dann funktioniert, wenn es ein krasses Machtgefälle gibt.<br />

In Frankreich haben 100 Frauen einen Brief veröffentlicht, darunter<br />

Catherine Deneuve, die sich kritisch mit der metoo-Debatte auseinandersetzen<br />

und davor warnen, dass ein neuer Puritanismus das Spiel<br />

zwischen den Geschlechtern verbieten wolle.<br />

Ich hab das jetzt nicht so ganz genau verfolgt, ich glaube sie wollten<br />

sagen, dass nicht jeder Flirt gleich sexuelle Belästigung ist, oder?<br />

Könnte man so sagen.<br />

Okay, klar, bei diesen metoo-Meldungen habe ich mich zum Teil schon<br />

gefragt, was das jetzt soll. Wenn da eine junge Politikerin schreibt, dass sie<br />

total entsetzt ist, weil ein Politiker sie gerade öffentlich „schön“ genannt hat,<br />

dann hat man schon das Gefühl, dass da jemand eben auf der Welle mitreiten<br />

will und Aufmerksamkeit möchte, das war ja bei dieser Geschichte mit<br />

dem Politiker, der zu einer Journalistin gesagt hat, dass sie ein Dirndl gut<br />

ausfüllen kann auch so. Das finde ich deswegen ein bisschen doof, weil die<br />

Frauen, die wirklich sexuell missbraucht wurden und werden, ja die wirklichen<br />

Opfer sind.<br />

Angeblich fühlen sich viele Männer verunsichert.<br />

Ach, das sind aber doch die falschen Männer! Die, die sich durch so eine<br />

Debatte verunsichert fühlen, sind doch eh die lieben, schüchternen Männer,<br />

die ja gar nicht das Problem sind, die werden am Ende vielleicht noch<br />

schüchterner, ohne Grund. Die Schweine verunsichert die ganze metoo-Sache<br />

aber doch kein Stück, die sind höchstens ein bisschen vorsichtiger, wie<br />

so ein Jäger, der weiß, dass das Wild jetzt mit ein wenig mehr Risiko erlegt<br />

werden muss.

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